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Taschitschiao, den 30. Juli 1904.
W. Ich falle mit der Tür in den Bericht. Ich sehe nicht ein, aus welchem Grunde ich mit Hilfe meines Herzens die große Zahl der Mördergruben um eine vermehren sollte. Ich will meiner Leber die Ehre erweisen, frei von ihr zu sprechen, und meinen Lesern mitteilen, daß ich der Gewalt – verzeihen Sie das harte Wort! – weiche.
Sie fragen mich, lieber Leser, was ich beabsichtige? Nun, ich mache diesem unheilvollen Kriege ein Ende.
Ich ergreife die Pforte des Janustempels und werfe sie zu.
Die Kriegsdrommete lege ich bei Seite. Ich könnte sie nur noch zum Trübsalblasen benutzen.
Meine Bemühungen, klar zu sehen, sind umsonst. Die Japaner schlagen die Russen, daß man sie eine Sadistenarmee nennen könnte. Aber wenn dies geschehen ist, so setzt sich General Kuropatkin nieder und schreibt dem Zaren, er habe den Feind in eine Flucht geschlagen, deren Wildheit ihm Schrecken einflöße. Die Niederlage, welche er den Japanern bereitet habe, sei so groß, daß ihm für solche Größe der Maßstab fehle. Die armen Japaner bedeckten derart das Schlachtfeld, daß vom Schlachtfeld überhaupt nichts mehr zu sehen sei.
102 Die Wahrheit ist, daß die Flucht, in die die Japaner geschlagen worden sein sollen, gar nicht vorhanden ist. Ich habe der Schlacht am 24. beigewohnt. Die Japaner gingen nach einem zwölfstündigen Artilleriefeuer vor und vertrieben die Russen aus ihren festen Stellungen. Natürlich avanzierte auch ich. Was lese ich nun? Die Japaner nahmen Reißaus. Also müßte ich doch gleichfalls so viel Fersengeld bezahlt haben, daß ich keinen Pfennig mehr in der Tasche hatte. Ich kann, dieses lesend, nur ein lautes Lächeln aufschlagen. Als ob ich nicht wüßte, ob ich vorwärts oder zurück gegangen sei! Ich bin vorwärts gegangen, nicht zurück, wie ein Krebs, bin nicht ausgerissen wie ein hohler Zahn. Wenn das letztere der Fall wäre, so würde ich es sagen, so würde es mir nicht einfallen, das Gegenteil zu behaupten. Wir waren den Russen auf den Hacken, und General Kuropatkin leugnet einfach diese Hacken. Ja, muß ich mich fragen, waren denn das nicht die Hacken der russischen Armee, was war denn das sonst? Hacken sind Hacken, und kein Kuropatkin kann mir einreden, daß sie etwas anderes als Hacken waren.
Ähnliches erlebe ich bei den Japanern. Wenn wir vor den Russen zurückweichen, so lese ich in dem Bericht an den Mikado, daß wir das Gegenteil getan haben. Dann steht mein Verstand still und fragt sich: »Bin ich etwa der Verstand, den ein vernünftiger Mensch verloren hat?« Nein, antworte ich ihm, Du bist mein Verstand, ich habe mit den Japanern den Russen den Rücken und keinen anderen Körperteil gekehrt, ich bin der Übermacht mit gewichen, um den Haufen zu vermeiden, über den mich die Russen jedenfalls mit gerannt hätten, wenn 103 ich länger Stand gehalten haben würde. Mit jedem Japaner, der vor dem Feind gestanden, hatte ich mir gesagt: Hier ist meines Bleibens nicht, fort von hier, wo mich jeden Augenblick eine russische Kugel wie ein talentloser Maler treffen kann, nämlich so, daß ich nicht zu erkennen bin und jeder Freund ausrufen wird: »Sehr ähnlich! Wer ist das?« Und so suchte ich denn mein Heil so lange in der Flucht, bis ich es gefunden hatte. Das ist die volle Wahrheit, während ich aus dem Bericht an den Mikado erfahre, daß ich mit den Japanern einen großen Sieg über die Russen davongetragen habe.
Das will ich nicht mehr mitmachen. Ich will um keinen Preis mehr über einen Sieg der Japaner berichten, der dem Kaiser von Rußland als Niederlage der Japaner gemeldet wird, und ich will auch nicht mehr einen Sieg der Russen beschreiben, welcher an den Mikado als Niederlage der Russen telegraphiert wird.
Ich muß ganz offen eingestehen, daß mir der Zar und der Mikado leid tun. Wenn Ente perdrix hieße, so würde ich sagen, daß ihnen doch die Enten aus dem Hals wachsen müßten. Keinesfalls ist es anständig, zwei Herrschern, welche keine Zeit haben, persönlich an die spitze ihrer Armee zu treten, so viele Ickse für Uhs vorzumachen, daß sie kaum etwas anderes als Ickse sehen. Man stelle sich einen mächtigen Herrscher vor, der von seinem kommandierenden General, den er mit Ehren, Geld und Orden überhäuft, einen Brief erhält, in dem er die Worte liest wie: »Xntertänigst Mxthig xnd voll Xngedxld. Xnser Verlxst ist nxr xnbedextend. Wir schlxgen die Rxssen in die Flxcht, oder: Die Japaner xnterlagen.« Wie 104 ich höre, sollen die bezeichneten Herrscher ihren Heerführern bei Strafe lebenslänglicher Enthauptung befohlen haben, künftig ihren Fingern, aus denen sie ihre Berichte saugen, nicht mehr freien Lauf zu lassen, sondern den Herrschern wenigstens dann und wann etwas vorzuwahrheiten und sich so das Flunkern allmählich abzugewöhnen. Der Zar soll gesagt haben: »Nun schön, ich will es Kuropatkin ja gern erlauben, hier und da der Unwahrheit die Ehre zu geben, dann und wann mag ja der Becher, in dessen Wein sich keine Wahrheit befindet, überschäumen, aber wenn er mir immer das Blaue vom Himmel herunterberichtet, so kann es mir doch kein Ersatz sein, daß er selbst fortwährend von den Japanern durchgebläut wird.« So wird mir heute von einem höheren japanischen Offizier erzählt, der aber selbst gerne lügt. Seine Worte sind also mit der Mutter der Weisheit aufzunehmen.
Auch dem Mikado wird viel nach wie vorgelogen. Er ist zwar bedeutend strenger als der Zar, und wenn er die kurzen Beine, welche die Lügen haben, auf sich zukommen sieht, so kennt sein Zorn nichts so genau wie keine Grenzen. Auf der anderen Seite aber liest er gern, daß seine Armee fortwährend siegt, wenn er auch weiß, daß das Licht, hinter das er genasführt wird, den dunklen Punkt des betreffenden Berichts bildet. Das wissen seine Generäle nur zu gut, und darum lügen sie denn den Vater aller Enten, den Freiherrn von Münchhausen, nach Kräften in den Schatten. Alsbald fängt dann der Mikado das Ordensverleihen an, daß mancher Heerführer keinen Platz mehr auf der Brust hat, die Auszeichnungen 105 unterzubringen und schon genötigt ist, den Rücken zu Hilfe zu nehmen.
Man wird mir zurufen: Ei, so berichte du doch die Wahrheit! Ich werde antworten: Zuvörderst bin ich nicht die zweite Person Singu-, sondern die dritte Person Pluralis. Ich bin es nicht gewöhnt, daß man mich duzt. Man duzt wohl ein Kind und eine Geliebte, aber ich bin weder das eine, noch die andere. Dann habe ich zu antworten: Ein gewissenhafter Kriegsberichterstatter wird allerdings in allen Kriegen die Wahrheit schreiben, aber dies ist in den Haaren, in welchen sich die Russen und die Japaner lügen, fast unmöglich. Denn wenn ich der Wahrheit gemäß melde, daß die Russen oder die Japaner unterlagen, so melden die betreffenden Generale der Unwahrheit gemäß, daß sie überlagen, und alle Welt hat dann Gelegenheit, mir auf den Kopf oder auf einen anderen edlen Körperteil zuzusagen, daß ich ein Entenverbreiter, um nicht Lügner zu sagen, sei, und ich hätte einen Titel, welchen ich nicht wieder loswürde, ganz abgesehen davon, daß man mir befehlen würde, auf dem Stuhl Platz zu nehmen, den man mir vor alle Hauptquartiere setzte.
Ich glaube also, das Richtige zu tun, wenn ich, wie ich oben sagte, diesem unheilvollen Kriege hiermit ein Ende mache. Ich fühle nicht die Kraft in mir, den Russen und den Japanern im Lügen zu folgen, ihren Enten das Wasser zu reichen. Es wäre mir ein Leichtes, täglich einen großen Teil der Flotten in die Luft zu sprengen, ganze Regimenter aufzureiben, Festungen, die nirgends liegen, wie wehrlose Rasiermesser zu schleifen, und Truppen, die erst noch einzuberufen sind, da landen zu lassen, wo 106 überhaupt kein Land vorhanden ist. Papier ist ja geduldig und der Telegraph fast noch geduldiger, selbst der ohne Draht. Aber die Folge wäre, daß, wenn ich russische Schiffe in die Luft sprengte, die Russen erklärten, es seien japanische Schiffe gewesen, und wenn ich japanische Regimenter aufriebe, die Japaner behaupteten, es handle sich um einen böswilligen Druckfehler, die aufgeriebenen seien russische Regimenter. Gegen Automobile kann man eben nicht anstinken. Dazu fehlt mir wenigstens das nötige Benzin.
Also: Schluß. Wie gesagt, ich werfe die Janustür ins Schloß. Wenn ich eines Tages bemerken werde, daß die Heerführer auf beiden andere Saiten aufziehen und endlich anfangen, glaubwürdig zu berichten, dann werde ich mit Vergnügen wieder zur Tinte greifen. Ich glaube, nicht anders handeln zu dürfen. Ich bin dies meiner journalistischen Ehre schuldig, und es ist mir peinlich, mich von ihr mahnen zu lassen. 107