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Bernau, den 1. Januar 1904.
W. Seit länger als einem Jahrhundert zieht man am Neujahrstage aus dem Wortschatz der poetischen Sprache den Zahn der Zeit, in welchen abermals ein Jahr hinabstieg, oder steht man am Meeresstrand der Ewigkeit gerade in dem Moment, wo dieser nimmersatte Ozean wiederum ein Jahr verschlingt. Wie meine geehrten Leser wissen, habe ich es stets verschmäht, diesen Zahn der Zeit und dieses Meer der Ewigkeit dem Kreise meiner Neujahrsbetrachtungen anzufügen. Immer habe ich mir gesagt, daß der alljährlich zwischen dem 31. Dezember und dem 1. Januar wiederkehrende Jahreswechsel ein akzeptierter ist, den wir ohne poetische Redefloskeln einzulösen haben. Immer überließ ich diese gerne den Dichtern, deren Aufgabe es ist, alles anders zu sagen, als wir es in der Schule mit der Grammatik eingesogen haben. Dies liegt daran, daß ich in der Silvesternacht niemals das Poetische entdecken konnte, wie es von den etablierten Poeten, Reimern, Skandierern und Dichtern tatsächlich entdeckt worden ist. Entweder wurde mir, wenn ich in der Großstadt war, um die Mitternachtsstunde der an dem Jahreswechsel ganz unschuldige Hut angetrieben, oder ich 147 erwachte am nächsten Morgen durch das eintönige Miau des Katers, in den sich in den reichen Armen des Morpheus der Affe verwandelt hatte, welchen Vierhänder ich mir aus der Punschbowle angeschlürft. Das war doch nichts als die Prosa, wie sie im Buche steht, welches uns das Alltagsleben in unsere Bibliothek stellt. Immer hatte ich nur die Empfindung, die zwölf Schläge der Sylvesterglocke seien auf mich niedergesaust und hätten mich braun und blau geschlagen, so daß ich mich kaum rühren konnte. Dies meine ich natürlich bildlich. Körperlich war mir nicht wehgetan, ich war nicht opodeldokreif und brauchte nicht den Arzt aufzusuchen, um mir genau sagen zu lassen, was meine Lebenskraft unheilbar verzehrt hatte. Aber meine Seele war durchbläut, und der Mensch ist in solcher Lage nicht imstande, der armen Seele den ersten Verband anzulegen, oder sie mit irgend einem Bleiwasser einreiben zu lassen. Der geschätzte Leser wird sagen: »So spricht ein Pessi – verzeihen Sie das harte Wort! – mist«, aber es freut mich, ihm antworten zu können: Viel Glück auf den Holzweg! Nein, ich bin sogar ein Opti, um mit der dritten Silbe nicht nochmals des Lesers Nase und Ohr zu verletzen. Ja, ich wiederhole: Ich bin kein Pessi, ich bin ein Opti. Als man mir am ersten Januar Null Drei die Hand schüttelte, als sei sie zugleich ein Kopf und ein Obstbaum, und mir Fortuna wünschte, so daß ich mir zurufen mußte: »Mein Gott, so viel Fortuna gibt es ja gar nicht!« dachte ich trotzdem: Nun, vielleicht hilft es einmal, vielleicht wird das Schwein, welches man mir in Marzipan, in Holz, auf Postkarten ins Haus gesandt, denn doch im Laufe des Jahres das Licht des 148 Tatsächlichen erblicken. Ein bronzenes Schweinchen hing ich sogar an meine Uhrkette, und als ich diese mit der Uhr versetzen mußte, stellte ich das Schweinchen auf den Pfandschein, immer wieder denkend: Vielleicht hilft es einmal. Aber das Schweinchen blieb Allegorie. Ich sah bald ein, daß das Schwein ein Tier ist, welches man nicht hat. Fortuna ist eine Göttin, welche immer fort ist, wenn man glaubt, sie bei ihren Füllhörnern gepackt zu haben. Das Glück, sagt Heine, ist eine leichte Dirne, die, sagt Raupach, niemals mit den Hohenstaufen war, aber wenn Goethe sagt: Lerne nur das Glück ergreifen, denn das Glück ist immer da, so kann ich nur sagen: Ich bin nie da, wo das Glück immer ist, ja, ich habe stets vergessen, was nicht zu ändern ist, aber glücklich bin ich deshalb nicht gewesen. Noch neulich erklärte mir ein Schneider, mein Winterpaletot sei nicht zu ändern, ich vergaß es, aber glücklich hat es mich nicht gemacht, und wenn ich tausendmal vergessen könnte, daß meine Nase nicht zu ändern sei, könnte mich das glücklich machen? Ja? Nun, lieber Leser, dann hast Du nicht bedacht, was ich sagte.
Ich war vor genau einem Jahr unter Glückwünschen kaum förmlich begraben, als mich Briefe erreichten, denen alles fehlte, was die Erfüllung von Glückwünschen bedeuten konnte. Mein Briefkasten war zum Mahnbriefkasten geworden. Der eine Gläubiger wollte nicht länger warten, der andere ballte gar das Gericht gegen mich. Wenn Schweigen wirklich Gold wäre, so wäre es ein Leichtes gewesen, meine Schulden zu bezahlen, denn ich beantwortete die Briefe durch ein derartiges Schweigen, daß es dem Gott der Glücklichen zum Verwechseln 149 ähnlich sah. Aber nicht lange, denn dieselben Briefe kamen wieder und immer wieder, und all das Glückwünschen hatte mir so wenig genützt, daß ich auch nicht einem einzigen Gläubiger mit einem blanken Zwanzigmarkstück ins Gesicht springen konnte.
Und ich will ehrlich eingestehen: Als mir vor einem Jahr zum neuen Jahr gratuliert wurde, – ich habe eine große Schar von Gratulyrikern unter meinen Freunden, – malte ich mir im Traum ein Bild von Glück in einem goldenen Rahmen, wie keines bisher in einer der vielen Kunstausstellungen zu schauen gewesen ist. Ich träumte wie ein Menzel, in den ein Knaus gefahren war, der aus Böcklin und Stuck bestand und selbst von Liebermann für einen Skarbina erklärt wurde. Mir träumten Briefe.
Ich will hier einige mitteilen:
Millardwaukee, den 1. Mai 1903.
Mein Di-Amant!
Wenn mir jemals ein Stein vom Herzen fiel, den kein geaichter Edelsteinkenner unter 20 000 Dollars taxieren würde, so ist es in diesem Augenblick geschehen, wo ich den Entschluß à jour faßte, Dir zu schreiben.
Ich liebe Dich, Herrlicher, und biete Dir Herz und Hand. In der Hand liegt eine Mitgift von ungezählten Millionen. Greife zu, und Du wirst Zeit finden, sie zu zählen. Dann wirst Du sorgenlos Deine Kriegsberichte schreiben und nicht mehr nötig haben, Deine geehrte 150 Redaktion um Vorschüsse zu bitten, die ich durch das Mikroskop erblicken muß, um sie auch dann nicht für nennenswerte Sümmchen zu halten. In Deine Kriegsberichte habe ich mich bis über hundert Ohren verliebt, wenn ich sie hätte. Aber wenn Du die Boutons sehen würdest, die ich in meiner geringen Anzahl Ohren zu tragen pflege, so würdest Du sehen, daß sie mehr wert sind als das Hundertfache aller Vorschüsse, die Du bisher nicht erhalten hast.
Lächle nicht ungläubig, Goldgrube meiner Seele! Ich will zu einer Dichtersgattin erhoben sein aus dem Kohlenstaub der Bergwerke meines Vaters, der zwar einen sehr guten Magen hat, aber nicht 25 pCt. der Zinsen seiner Renten verzehren kann, obschon ich ihm redlich beistehe. Ich habe ihm erklärt, daß ich nicht wie viele Amerikanerinnen den Titel eines Herzogs heiraten will, dessen Schloß in England vis-à-vis de rien steht und einen Stammbaum hat, in dessen Schatten er vor Schulden nicht schlafen kann. Antworte mir sofort, antworte mir: Ja! – Beigehend hunderttausend Mark für Porto – und nenne mich Deine Miss Wippchen. Noch aber bin ich Deine bis zum Eintreffen Deiner Antwort
schlaflose Milliardärstochter
Hermione Cressida Krösos .
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Enthaltend die Ernennung zum Ehrenbürger. Unterzeichnet:
Der Magistrat von Bernau. 151
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(Aus dem Schwedischen.)
Stockholm, den 10. Mai 1905.
Hochgeehrter Herr!
Die Existenz des Nobelpreises dürfte Ihnen bekannt sein.
Herr Nobel selig machte seinem Namen alle Ehre, als er sein Vermögen dazu bestimmte, diejenigen Männer zu belohnen, zu unterstützen und zu sorgenlosem Weiterarbeiten anzuspornen, welche unsterbliche Werke des Friedens geschaffen haben.
Sie, hochgeehrter Herr, sind einer dieser Männer. Zu dieser Erkenntnis sind wir endlich gelangt, nachdem wir Sie durch eine Reihe von Jahren beobachtet haben, wie Sie, fern vom Treiben der deutschen Reichshauptstadt, unausgesetzt tätig gewesen sind, den Krieg in seiner ganzen Abscheulichkeit und Unmenschlichkeit, in seinen männermordenden Zwecken und Zielen, in seinem Zerstören von Menschenglück, in seinen Greueln und Gewalttaten zu schildern. Wenn eine, so ist Ihre schriftstellerische Tätigkeit ein Friedenswerk, an welchem Sie nun seit dem Mai 1877 arbeiten, also seit länger als einem Vierteljahrhundert.
Wir haben uns den Vorwurf zu machen, daß wir das 25jährige Jubiläum Ihrer Kriegsberichterstattung vorübergehen ließen, ohne im Sinne der großen Nobelstiftung unsere Pflicht zu tun. Dies soll nun nachgeholt werden, indem wir Ihnen die Mitteilung machen, daß wir mit Stimmeneinheit beschlossen haben, Ihnen jetzt den Nobelpreis zu erteilen.
152 Indem wir wünschen, daß Sie sich des Besitzes desselben noch viele Jahre freuen und daß Sie seine Zinsen dazu verwenden mögen, sorgenlos an Ihrem segensreichen Friedenswerke weiter zu arbeiten, zeichnen wir, hochgeehrter Herr,
in treuer Ergebenheit
Die Verwalter der Nobelstiftung.
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Mit der Veröffentlichung dieser drei Briefe, die mich nicht erreichten, will ich bewiesen haben. daß alle Glückwünsche zum neuen Jahr weniger nützen, als vielleicht von den Gratulanten beabsichtigt zu werden pflegt, keinenfalls aber mehr, als wenn überhaupt kein Prosit Neujahr, keine Gratulation und kein Neujahrswunsch gesprochen, geschrieben, zugetrunken, telephoniert, telegraphiert, oder gedruckt würde.
Und nun: Glückauf ins neue Jahr! 153