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Herrn Wippchen in Bernau.
Sie können sich denken, daß wir durch Ihr gestriges Manuskript sehr erfreut worden sind, weil es uns eine Reihe von interessanten Kriegsberichten erhoffen ließ. Zugleich aber bemerkten wir mit Bedauern, daß Sie zu rasch mit beiden Füßen in die blutigste Aktion hineinsprangen. Dadurch hat unsere Freude einigen Abbruch erlitten. Was sollen unsere Leser davon denken, daß wir ihnen plötzlich einen Krieg liefern, von dem bisher nur als von einem möglichen gesprochen worden ist? Wir bewundern Ihren Mut, mit welchem Sie nun die Engländer mit den Tibetern zusammenstoßen und diese zurücktreiben lassen, während die Russen heranrücken, um England die Beute zu entreißen. Sehen Sie denn nicht ein, daß Sie damit den ersten Spatenstich zu einem Weltkriege tun? Auf ein solches Abenteuer können wir uns nicht einlassen, jedenfalls wollen wir doch abwarten, wie sich der vorhandene Konflikt entwickelt, zugleich Sie aber um einen anderen Bericht bitten.
Ergebenst
Die Redaktion.
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134 Bernau, den 17. November 1903.
W. Ihr ohne sein Verschulden sprichwörtlich gewordenes Bedenken gegenüber meinen Berichten fängt wie der Knabe Don Karl an, mir fürchterlich zu werden, so wenig in meinem Staat die Sonne nicht untergeht. Ich bin aber auch bei der vorliegenden Gelegenheit an diesem Bedenken unschuldig, wie etwa ein Gummikissen an einem Familienzuwachs, und das will doch etwas heißen! Sie müssen nicht bei jedem Bericht, welchen ich Ihnen sende, die Empfindung haben, daß ich Ihre Zeitung für ein Journal halte, welches »Lügende Blätter« heißt. Ein für alle Mal: Wenn ich an meinem Schreibtisch meine journalistische Pflicht erfülle, walke ich keinen Cake und denke ich nicht daran, einen Fise zu matenten, dazu habe ich denn doch meine Anfängerschuhe bereits zu sehr vertreten. Ich bin ein ernster Mann, und der Tag soll noch beginnen, in welchen ich hineinschreibe. In diesem Punkt bin ich wie – verzeihen Sie das harte Wort! – ein rohes Ei zu behandeln. Wenn Sie mir aber auf den Kopf zusagen, daß ich ein Sensationsbold sei, so heißt dies auf mich armen Pelion einen vollen Ossa stülpen. Schlagen Sie in einem Ihrer Brockhäuser einmal dieses Gebirge auf, und Sie werden meinen Unmut begreifen. Haben Sie denn den englisch-transvaalschen Krieg nicht erlebt? Doch! Der Stuhl ist ja noch warm, welcher den Eingesessenen vor die Tür gestellt worden ist. Die Welt verstand den Krieg nicht, so eindringlich England ihn erklärte. Ich habe damals gleich den Daumen geschildert, welchen England den Buren auf das Auge drücken würde, und Ihren Lesern alles vom Schilde vorgelesen, was die 135 Engländer in demselben führen. Glauben Sie, daß die Engländer die Tibeter anders behandeln werden, als sie die Buren behandelt haben? Wenn ja, so ist der Weg, auf dem Sie sich befinden, noch hölzerner als der Tisch, an dem ich sitze, und als der Federhalter, mit dem ich dies tue. Wenn Ihr geschätzter Papierkorb jetzt die Vergessenheit bildet, in welche mein Artikel gerät, so ist mir dies ein Beweis dafür, daß Sie aus dem Burenkrieg vielleicht viel gelernt, aber alles wieder, wie nach einem Diner alle Gänge, vergessen haben.
Dem sei nun, wie ich will, es fällt mir nicht ein, Ihren tauben Ohren eine Reihe von Gardinen zu predigen und Sie zu bitten, mir ferner nicht die Zeit zu kleptomanieren, welche ich auf das Schreiben eines Berichts verwendete. Auch sollen Sie sehen, daß es mir nicht einfällt, einzig und allein die Hinterbeine, auf die ich mich stellen könnte, reden zu lassen. Im Gegenteil binde ich meinen Bericht an eines der besagten Beine und sende Ihnen einen neuen Bericht. Mit der Zeit, das sehen Sie wohl ein, werde ich mild und nachgiebig. Ach, wenn die Zeit doch Geld wäre! Ach, sie ist es nicht. Ich habe wenig Zeit, aber noch weniger Geld. Seien Sie also ein umgekehrter Jago und tun Sie Geld in meinen Beutel, den ich mir eigens zu diesem Zweck angeschafft habe. Senden Sie mir einen Vorschuß von 40 Mark, und wenn Ihnen das nicht nennenswert genug erscheint, so will ich dem Geldbriefträger auch darin entgegenkommen, daß ich ihm eine Quittung über 60 Mark gebe, wenn Sie sie eingezahlt haben werden. Die Ihnen verursachte Mühe wird ja dadurch nicht wesentlich größer.
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136 Kaschmir, den 15. November 1905.
W. So bin ich denn nach einer beschwerlichen Fahrt in dieser Stadt eingetroffen, in welcher die in der Damenwelt so hochgeschätzten Shawls das Licht der Welt erblicken. Es ist merkwürdig, daß Kaschmir durch einen Stoff berühmt ist, wie das Land Tibet, welches von dem kammwollenen Zeug den Namen hat, und noch viel merkwürdiger ist es, daß das ganze Tibet nicht ebenso durch seine Vielmännerei bei den Frauen bekannt ist. Oder vielleicht so bekannt, aber nicht so beliebt. Ich bedaure dies, weil es ein schlechtes Licht auf unsere Männer wirft, deren einer schon unseren Frauen zu genügen, oder gar schon mehr als zu genügen scheint. Allerdings herrscht in Tibet die Vielmännerei nur unter Brüdern. Es gibt Tibeterinnen, welche mit einem Mann und sechs Brüdern desselben eine Ehe eingehen, während viele unserer Frauen schon ungern daran denken, daß sie einen Schwager haben, vor dem sie sich in acht nehmen müssen, so daß sie ihn, wenn sie nicht müßten, nicht einladen würden, wenn sie Gäste bei sich sehen wollen. In früheren Zeiten hieß der Postillon Schwager. Vielleicht hat ihm eine Frau diesen Titel gegeben, um anzudeuten, daß sie, wenn sie mit ihrem Gatten und dessen Bruder reist, diesen am liebsten auf dem Bock sitzen sähe.
Doch wohin führt mich meine Feder! Es sieht ernst in Tibet aus. Ich wohne im »Kleinen Himalaja«, dessen Wirt, ein orthodoxer Buddhist, mich nicht aufnehmen wollte, weil er mich für einen Engländer hielt, obwohl ich ihn französisch anredete, was er sehr gut spricht. Erst als ich ihm durch meine Papiere bewies, daß mein Storch 137 in Deutschland gestanden habe, und ich ihm gesagt hatten daß ich ein Gegner Englands sei, bekam ich ein Zimmer, und er rief, mir die Hände drückend: »Dann sind wir Brüder«, und gab seiner Frau den Befehl, mich als einen ihrer Gatten zu betrachten. Indem sie mich nun betrachtete, sah ich, daß sie schon mit einem Fuß in der silbernen Hochzeit stehen mußte, wenn sie sich im zwanzigsten Jahre verheiratet hatte, und ich log dem Wirt also vor, ich sei bereits Gatte und Vater und müßte aus diesem Grunde auf die Freude verzichten, in seinen Familienkreis einzutreten. Ich erfuhr, beiläufig bemerkt, noch an demselben Abend vom Zimmerkellner, daß der Wirt und seine Brüder die Absicht hatten, sich von ihrer Frau scheiden zu lassen, sie dann mir aufzuhalsen und hierauf eine hübsche Zwanzigjährige zu heiraten. So sind die Buddhisten, fromm und gut, und tun alles mögliche, eine treue Lebensgefährtin, deren sie überdrüssig sind, vor Not zu schützen: ein sehr sympathisches Volk!
Seit China die Großmächte so gereizt hat, daß sie sich genötigt sahen, sich weit über ihre Verhältnisse hinaus in Unkosten zu stürzen, ist das unermeßliche Reich das Ziel ihrer Wünsche geworden. Zuerst warf Rußland ein Auge auf China, nun England eines, und mit diesen zwei Augen sieht jetzt wohl China, daß es seinen Kragen nur hat, damit die Großmächte ihm an denselben gehen. Der Herrscher von Tibet, der Dalai-Lama, speit wie alle Lamas, aber Feuer und Flammen, denn er weiß, daß die Engländer langsam, aber sicher nahen. Die Engländer kennen jedoch seine Ohnmacht, und daß ihnen sein Speien nicht Schaden kann. Das Spucken ist nicht gefährlich, sondern 138 nur unartig und widerlich. Sie lassen ihn also spucken und speien, und es tut ihnen nur leid, daß die Buren nicht auch bloß gespuckt haben, als sie von ihnen angegriffen wurden. Tibet wäre somit für China verloren, wenn England die Rechnung mit dem Wirt gemacht hätte. Aber England hat sie nicht nur ohne den Wirt, sondern ohne die Wirte gemacht. Diese Wirte sind die Großmächte, deren Eifersucht ihm Einhalt gebieten wird. Die Eifersucht wirkt Wunder. Wenn der schlafende Ulan ein Liebchen hat, so hindert ihn die Eifersucht am Weiterschlafen. Die Eifersucht reißt die Wurzeln der Hörner aus, die in der Stirn des Gatten keimen. Sie überzieht das Antlitz des Othello mit Leichenblässe. Und sie ist auch die Zuhälterin der Janustempeltür und schützt die Weltgeschichte vor einem Weltkrieg.
Morgen eile ich nach der Hauptstadt Tibets, Lhassa, auf welche die Engländer unterwegs sind, die von Youngjusband kommandiert werden. Aber schon rühren sich die Russen. Deutschland und Frankreich haben ganz gewiß nicht ihren Schoß, nur ihre Hände hineinzulegen, wenn eine Macht nach einem fetten Bissen langt. Auch bewaffnen sich die Tibeter bereits bis an die Zähne, welche diesen Bissen festzuhalten entschlossen sind. Die Buren waren ja auch große Beter, aber die Tibeter sind ebensowenig nur Gesundbeter. Die Ärzte warten schon, und so leicht wie in Transvaal wird den Engländern Tibet nicht werden. Das ist keine Frage. Ich hätte sonst wohl auch hinter das Wort »werden« ein Fragezeichen gesetzt. 139