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Die Geschichte der Christen-Verfolgungen und der Märtyrer ist von Gibbon geschrieben worden. Dieser Historiker sagt zweifelsohne alles was er für wahr hält, aber er verabscheut die Einzelheiten, die das neunzehnte Jahrhundert mit Recht so gern hat. Hier eine Anekdote:
Die heilige Perpetua wurde ihres Glaubens wegen im Jahr 204 unter der Regierung des Severus hingerichtet, wahrscheinlich in Karthago. Sie war nur zweiundzwanzig Jahre alt; und bis zum Vorabend ihres Martyriums schrieb sie Tag für Tag selbst auf, was sich in ihrem Gefängnis mit ihr, ihrer Gefährtin, der heiligen Felicitas und mehreren andern Christen zutrug, die mit den zwei Jungfrauen den Tod erlitten. Die naive Erzählung der Perpetua ist sehr rührend. Man erkennt daraus, daß für den Glauben zu leiden, um 204 in Afrika Mode war; geradeso wie fröhlich zu sterben, ohne sozusagen an den Tod zu denken, in dem Kerker Mode war, aus dem hervor Madame Roland das Schaffott bestieg.
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Die Päpste haben der Liebe für das Schöne eine unendliche Verbreitung dadurch gegeben, daß sie die Furcht vor der Hölle damit in Beziehung brachten. Bei reichen Greisen war diese Furcht entscheidend. In zarteren Seelen setzte sie sich um in die Liebe zur Madonna. Sie fühlten sich zärtlich hingezogen zu dieser unglücklichen Mutter, der Mutter aller Schmerzen, aber auch der Mutter aller Tröstungen. Sechsundzwanzig Kirchen sind ihr in Rom gewidmet.
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Geruhe, o Leser, das Eine zu bedenken: nicht ein Viertel der großen Meisterwerke der Kunst besäßen wir, wenn nicht zuerst die Frömmigkeit und dann die Eitelkeit das Geld dazu gegeben hätten.
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Die Decke der Peterskirche blitzt von Gold wie die Galerie von Compiègne; es sind Rosen und Kassetten aus vergoldetem Stuck. Ueber dem großen Bogen, die das Hauptschiff mit den Seitenschiffen verbinden, beobachtet man eine große Anzahl Statuen, in welchen man nach der griechischen Schönheit gestrebt hat, nach einer Schönheit, die dem sechzehnten Jahrhundert gefallen konnte, die den Ausdruck der Kraft mit dem der Sinnlichkeit vereinigte.
Der Mensch mit vorherrschender Phantasie, der des Trostes bedürftig ist, wird sich immer gern mit seinem Gott unterhalten, und je nach seinem Temperament und Charakter werden ihn die gewaltigen Gewölbe der Peterskirche zu Rom oder das halbverfallene gotische Kirchlein seines Dorfes mehr zur Andacht stimmen. Das tiefere religiöse Gefühl wird von der Pracht verletzt; sein Lieblingsheiligtum ist die verlassene Kapelle im tiefen Wald, wohin sich kaum das fern-leise Geläut wieder einer andern Kirche verirrt. Und zuckende Blitze und rollender Donner oder ein Regenschauer, der an die blinden Scheiben klatscht, werden seiner Andacht förderlicher sein, als blauer Himmel und goldner Sonnenschein.
Wir Menschen des Nordens finden in den Kirchen Roms kaum die eigentliche religiöse Erhebung: sie sind uns zu schön. Diese Architektur, die Bramante von den Griechen gelernt hat, ist für uns der Ausdruck weltlicher Feste.
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Diese reich vergoldete Wandbekleidung macht aus St. Peter die Kapelle eines großen Herrschers, dessen Macht sich auf die Religion gründet, und nicht eine christliche Kirche. Die Peterskirche paßte vortrefflich zu dem eleganten Hofe eines Papstes,, der ein geistvoller Mann war, wie Leo X. Und die frömmsten Päpste, die seitdem daran arbeiten ließen, haben ihr den Charakter einer höfischen und weltlichen Schönheit nicht verkümmern können. In St. Peter ist das Gebet nicht der Aufschwung des Herzens zu einem schrecklichen Richter, den es um jeden Preis zu versöhnen gilt, es ist eine Ceremonie, tue man einem guten und über viele Dinge hinwegsehenden Wesen schuldet.
Wir sind zum broncenen St. Peter zurückgekehrt, der rechts im großen Schiff aufgestellt ist. Diese steife Statue war ein Jupiter; jetzt ist es ein hl. Petrus. Sie hat an persönlicher Sittlichkeit gewonnen, aber seine Anbeter wiegen die Jupiters nicht auf. Das Altertum hatte keine Inquisition und keine Bartholomäusnacht, aber auch keine puritanische Tristheit.
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Da wir ganz nah bei der Kirche von Santa Maria degli Angeli waren, sind wir eingetreten.
Rom zählt sechsundzwanzig Kirchen, die jenem erhabenen Wesen, der schönsten Erfindung der christlichen Kultur geweiht sind. In Loretto ist die Madonna göttlicher als Gott selbst. Die menschliche Schwachheit hat das Bedürfnis zu lieben, und welche Gottheit war wohl jemals der Liebe würdiger?
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Die Bewohner der Berge zwischen Rom, dem See von Fucino, Aquila und Ascoli, stellen meiner Ansicht nach recht gut den sittlichen Zustand Italiens um 1400 dar. In ihren Augen geschieht nichts ohne Wunder; das ist das katholische Prinzip auf seinem Gipfel.
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Wenn man die Sitten und den Glauben des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts in alle Einzelheiten verfolgte, so würde man das Warum vieler lächerlichen Dinge in den Bildern der großen Meister entdecken. Die christliche Religion ließ damals allen Leidenschaften Spielraum, und verlangte nur das Eine: daß man an sie glaubte.
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Wir haben nicht die geringste Idee mehr vom Christentum im ersten Jahrhunderte. Von Paulus, diesem Moses der Christenheit, bis auf Leo XIII. (Leo XII.) gleicht die christliche Religion einem großen Strom, der, je nach den Hindernissen, die sich ihm entgegenstemmen, alle zwei oder drei Jahrhunderte seine Richtung gänzlich ändert.
Z. B. die gegenwärtige Religion. Man hält sie für alt. In Wahrheit ist sie das Werk der Päpste seit dem Tridentinischen Konzil. Aber Leute, denen die Religion seine Karossen neuester Konstruktion oder die Befriedigung ihrer Machtgelüste verschafft, möchten uns diese Dinge natürlich anders darstellen. Siehe das Leben des heiligen Karl Borromäus, der nicht nach Karossen trachtete.
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Die Dummen, die nur wissen, was in ebenso dummen Büchern steht, glauben, in Frankreich und in Italien herrsche dasselbe Christentum.
In Europa giebt es soviel Religionen als es Staaten giebt.
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Neapel. – Das Volk hier hat zweierlei Glauben, den an die Riten der christlichen Religion, und den an die jetatura (die Handlung, dem Nächsten etwas Böses anzuwerfen, indem man ihn von der Seite ansieht). Eine gewisse Sache, die Rechtspflege und Regierung heißt, wird als eine Unbequemlichkeit angesehen, die man alle acht oder zehn Jahre einmal wegräumt und die man übrigens umgehen kann.
Der Zufall hat mich diesen Morgen zu Don Nardo geführt, dem berühmtesten Advokaten Neapels. In seinem Wartezimmer sah ich ein ungeheures Stierhorn, das etwa zehn Fuß hoch sein mochte und aus dem Fußboden wie ein Nagel herausragte. Ich vermute, daß es aus drei oder vier Stierhörnern hergestellt ist. Das ist ein Blitzableiter gegen die jetatura (gegen den bösen Blick). »Ich fühle das Lächerliche dieses Aberglaubens, sagte Don Nardo, als er mich hinausbegleitete, aber was wollen Sie? ein Advokat hat das Schicksal, sich Feinde zu machen, und dieses Horn giebt mir Sicherheit.«
Was noch besser ist, es giebt Leute, die selber glauben, die Macht des bösen Blickes zu besitzen. Der Herzog von Bisagno, der große Dichter, geht auf der Straße. Ein Bauer, der auf seinem Kopfe einen großen Korb Erdbeeren trägt, läßt ihn fallen, sodaß die Beeren auf das Pflaster rollen. Der Herzog läuft zu dem Bauer: »Mein guter Freund, sagt er zu ihm, ich versichere Dir, daß ich Dich nicht angesehen habe«.
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Ich machte mich heute Abend einem außerordentlich verdienstvollen Mann gegenüber über die jetatura lustig: »Sie haben wahrscheinlich das Buch von Nicolas Volitta nicht gelesen,« sagte er; Cäsar, Cicero, Virgil glaubten an den bösen Blick, und diese Männer waren wohl mehr wert als wir.
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Die hübschesten Frauen hier nehmen ihren Hut herunter, damit der Priester das Reliquienkästchen auf ihre Stirn drücken kann, das das heilige Blut enthält.
Wir haben eine der Liebenswürdigsten Thränen vergießen sehen im Augenblick, wo sie diesen Schrein küßte. Und einen Monat früher hatte sie sich alle erdenkliche Mühe gegeben, um aus Marseille ein Exemplar von Voltaire kommen zu lassen. Dieses in Neapel einzuführen war keine geringe Sache gewesen.
Eines Abends hörten wir unter den Fenstern dieser Dame Knallerbsen, die die Kinder auf die Straße warfen, zu Ehren eines Heiligen, dessen Fest grade gefeiert wurde. Es gab große Illumination und großen Volkszulauf in der benachbarten Kirche, die den Namen jenes Heiligen trug. Die Dame sagte diesem viel Uebles nach. Einige Franzosen, die geholfen hatten, das Exemplar von Voltaire an Land zu bringen, sahen in diesen Witzeleien die Wirkung der Voltaire'schen Lehren. Sie fingen an, sich über die Wunder lustig zu machen. Aber da kamen sie übel an. Die schöne Napolitanerin moquierte sich über den benachbarten Heiligen nur aus Eifersucht. Sie nannte sich Xaveria und verehrte den heiligen Xaver als ihren Schutzpatron, dessen Fest man ein paar Tage früher weit weniger glänzend gefeiert hatte . . .
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Im Jahre 1824 habe ich der Heiligsprechung St. Julian's beigewohnt. Der neue Heilige war infolge eines reizenden Wunders zu dieser Würde erhoben worden. Eines Tages, es war ein Freitag, kommt er zu einem reichen Feinschmecker und sieht gebratene Lerchen auf dem Tisch. Mit einer Bewegung der Hand giebt er den Vögeln das Leben wieder, sie fliegen durch das Fenster davon, und die Sünde wird dadurch unmöglich.
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Die Freiheit des Denkens dauerte in Italien bis zu Paul IV., der Großinquisitor gewesen war (1555). Dieser Papst erkannte die Gefahr, die dem Katholizismus vom Luthertum drohte.
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Die Druiden verdankten ihre Macht zum größten Teil dem Glauben, daß im Tode die Seele bloß den Körper wechselt. Aristoteles dagegen glaubte an die Sterblichkeit der Seele.
Die Kelten und Germanen waren demnach für den christlichen Kult besser vorbereitet, als die Griechen und die Römer. Die Gewohnheit, mit ehrfürchtiger Scheu den Druiden zu gehorchen, bereitete unsre Vorfahren dazu vor, auch den Bischöfen Gehorsam entgegen zu bringen. Der Fluch der Priester war derselbe: Excommunikation, Ausschließung aus der Gemeinde.
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Gestern sagte mir Jemand: »Es ist schade, daß Franz I. Frankreich nicht protestantisch gemacht hat.«
Ich habe den philosophischen Lehrjungen sehr verblüfft, indem ich ihm antwortete: »Das wäre für die Welt ein großes Unglück gewesen. Wir wären traurig und verständig wie die Genfer geworden. Keine Lettres persanes, kein Voltaire, besonders kein Beaumarchais. Haben Sie über den Grad des Glückes einer Nation nachgedacht, bei dem die Memoiren von Beaumarchais alle Aufmerksamkeit zu konzentrieren vermögen? Das ist vielleicht doch mehr wert als der Reverend M. Irving, wenn er seine Uhr zum Pfande setzt. Es giebt im Leben soviel Krankheiten und Traurigkeiten, daß das Lachen in Wahrheit nicht vernünftig ist. Die Jesuiten mit ihren weiten Aermeln, die Ablässe, die Religion wie sie in Italien um 1650 bestand, sind für die Künste und das Glück wertvoller, als der verständigste Protestantismus. Je verständiger er ist, je mehr tötet er die Künste und alle Fröhlichkeit.
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Die Jesuiten haben in unserer Zeit die Religion ungefähr wieder so hergestellt, wie sie vor Luther war. Sie sagen ihren Schülern im Kollegium zu Modena: Thut was ihr mögt, und kommt dann und erzählt es uns.
Wie weit ist es von dieser bequemen Religion, die sich damit begnügt, ein Bekenntnis der Sünden einzufordern, zu dem düsteren Glauben des Londoner Bürgers, der Sonntags nicht spazieren geht, weil er damit Gott zu beleidigen fürchtet! Man sehe die Predigten Irving's, um den sich allsonntäglich die beste Gesellschaft drängt.
Ich ging eines Sonntagmorgens in Glasgow mit dem Banquier, an den ich empfohlen war, zur Kirche. Er sagte zu mir: Lassen Sie uns nicht so rasch gehen, wir könnten aussehen, als ob wir spazieren gingen. Sein Kredit wäre durch diese Sünde verringert worden.
In Amerika nötigt man Sonntags den Reisenden, der in der Post fährt, auszusteigen. Man will ihn auch ohne seinen Willen retten: Reisen ist Arbeiten. Dem Postillon, der für das Geldinteresse vieler arbeitet, erlaubt man die Sünde; aber dem Reisenden, der nur um sein persönliches zeitliches Interesse in die Verdammnis rennt, thut man Einhalt. Man ist in Rom unmoralischer, aber man ist nicht so albern. Wir stehen hier den äußersten Gegensätzen beider Religionen gegenüber. Und wie seltsam berührt in diesem Verhältnis der andere politische Gegensatz: auf der einen Seite die reinste Freiheit, auf der andern der völligste Despotismus.
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Ich werde mir etwas Ungeheuerliches gestatten. Wenn ihr eine Dame seid, so geruht, sechs Seiten zu überschlagen, und wer ihr auch sein mögt, glaubt mir, daß ich meinen Gedanken soviel als möglich abschwäche, weit entfernt davon, ihn verletzend und beleidigend für den zu gestalten, der etwa anders als ich denkt. In Genf sagt man der George Sand Injurien; ich sage niemand Injurien.
Der Gesetzgeber von Genf ist offenbar Calvin. Ich sah eben das kleine Fenster über einer Durchgangs-Wölbung, von dem aus er seinem Volke ein oder zwei Mal die Woche predigte.
Ich füge hinzu, daß ich Calvin sehr hoch schätze. Ganz gewiß war er mehr wert, als die römischen Priester seiner Zeit. Vor allem ist er, ohne das Gelübde der Armut gethan zu haben, arm gestorben und hat immer arm gelebt. Er hat ein verständiges und sittliches Volk gebildet, das nach drei Jahrhunderten noch den Abdruck seines individuellen Charakters trägt.
Mir scheint, das für Genf Unterscheidende ist, daß die beiden Geschlechter sich so wenig wie möglich sehen. Da sehne ich mich nach den braven Jesuiten, die euch lehren: »Ueberlaßt euch euren Leidenschaften, seid jung, thut wozu euch die Jugend treibt, und kommt dann und erzählt mir eure kleinen Missethaten. Wenn ihr im Staat einige Gewalt ausübt, laßt euch von mir leiten und rechnet darauf, daß euch gewißlich die ewige Glückseligkeit und alle Freuden dieser Welt zufallen werden. Glaubt außerdem, daß ich euch gern kleine Gegendienste zu leisten bereit bin.«
Gebt aber zu, daß diese wundervolle jesuitische Religion einen Fehler hat, nämlich den, der Preßfreiheit und der Zweikammerregierung feindlich zu sein. Ich nach meinem Geschmack, würde ja lieber unter einer Monarchie leben, wie sie unter der Regentschaft des Herzogs von Orléans um 1720 existierte. Doch die Zeit läßt sich nicht zurückschrauben.
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Wegen der Höhe des Kapitolinischen Hügels und der Anordnung der Straßen ist es um das Collegium und die Kirche der Jesuiten herum fast immer windig. Eines Tages, so erzählt das Volk, ging der Teufel in Rom mit dem Winde spazieren. Als sie zu der Kirche del Gesù kamen, sagte der Teufel zum Wind: »Ich habe dadrin etwas zu thun, warte hier ein wenig.« Seitdem ist der Teufel nicht wieder herausgekommen und der Wind wartet noch immer an der Kirchenthür.
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Nichts ist für eine Religion oder für ein System unheilvoller, als vom Gendarmen beschützt zu werden.