Stendhal
Aphorismen aus Stendhal
Stendhal

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Einleitung.

Ich nenne ihn Stendhal. Da er sich selber diesen deutschen Namen beigelegt hat, auch die Franzosen ihn meistens so nennen, haben wir Deutschen den wenigsten Grund, ihn nicht unter diesem Namen bei uns einzuführen.

Um eine Einführung aber handelt es sich.

»Gegen das Jahr 1880 werde ich vielleicht einigen Erfolg haben« lautet ein berühmtes Wort Stendhals. Einigen Erfolg, das war bescheiden. Es kam ganz anders. »Seit zwanzig Jahren, schreibt Pellissier l'admiration de Stendhal a pris un tour dévotieux.« Die ganze neuere französische Litteratur ist Geist von seinem Geist. Die Ueberwindung der Romantik war gleichbedeutend mit seiner Intronisierung. Mérimée und Flaubert, Maupassant und Bourget sind seine Schüler, wenn nicht als Künstler, so doch als Psychologen. Und gar Taine steht ganz auf seinen Schultern. Er war ihm auch dankbar; er nennt ihn geradezu den größten Psychologen des Jahrhunderts. Der »Beylismus«, wie Stendhal-Beyle selber scherzweise seine Weltanschauung nennt, wurde zum Glaubensbekenntnis einer ganzen Generation. Zwei so verschiedene und in allem sich entgegengesetzte Talente wie Zola und Bourget haben dies gleichzeitig festgestellt.

Das war in Frankreich. In Deutschland lagen naturgemäß die Dinge anders. Zwar kannte ihn hier schon Goethe und sprach wiederholt von ihm. Der deutsche Altmeister bewundert schon seinen »psychologischen Tiefblick«. Und das unmittelbar nach dem Erscheinen von Le Rouge et le Noir. Doch Goethe's Urteil fand nicht Widerhall noch Wirkung. Seit zehn Jahren habe ich einer Reihe von deutschen Buchhändlern vorgeschlagen, Le Rouge et le Noir in einer guten Uebersetzung zu bringen. Es mochte keiner darauf eingehen. Die wenigsten wußten um was es sich handelte.

Wenn ich Stendhal als tiefen Psychologen rühmte, sagt Nietzsche im Jahr 1888, begegnete es mir mit deutschen Universitätsprofessoren, daß sie mich den Namen buchstabieren ließen. Nun sind freilich Universitätsprofessoren als solche gerade nicht der beste Thermometer für gegenwärtig lebendige und fortzeugend wirkende Kräfte in der Litteratur. Aber selbst unter den Schriftstellern, selbst unter jenen, die sich gern selber die Modernen nennen, gab es doch nur hie und da einmal einen Kenner Stendhals, d. h. einen, der Le Rouge et le Noir gelesen hatte. Seine zahlreichen übrigen Werke, an die zwanzig Bände, kamen überhaupt nicht in Betracht.

Stendhal stieß in Deutschland auf keine Geistesverwandte.

Als nur auf einen.

Nietzsche äußert sich über Stendhal in Ausdrücken, die er sonst nur auf sich selber anwendet.

Stendhal ist ihm »das letzte große Ereignis des französischen Geistes«, ein »erkennendes, vorwegnehmendes Genie, das mit einem napoleonischen Tempo durch sein unentdecktes Europa marschiert ist und zuletzt sich allein fand, schauerlich allein«, der »aber jetzt kommandiert, ein Befehlshaber für die Ausgewähltesten.« Zweier Geschlechter habe es bedurft, um ihm nahe zu kommen. »Wer aber mit feinen und verwegenen Sinnen begabt ist, neugierig bis zum Cynismus, Logiker aus Ekel, Rätselrater und Freund der Sphinx gleich jedem rechten Europäer,« der werde ihm nach gehen müssen. Stendhal kennen gelernt zu haben, ihn mit dem »vorwegnehmenden Psychologen-Auge, mit seinem Thatsachengriff, der an die Nähe des größten Thatsächlichen erinnert (ex unque Napoleonem)«, ist für Nietzsche »einer der schönsten Zufälle seines Lebens.«Zukunft, 1899, Nr. 25. Man hört es heraus: Diesmal hatte Stendhal einen Verwandten gefunden. Oder umgekehrt.

Noch rühmt Nietzsche an dem so Verwegenen das ganz Besondere: »voller Scham vor den Heimlichkeiten der großen Leidenschaft und der tiefen Seelen stehen zu bleiben.«

* * *

Stendhal war der erste Mann nach der Revolution, der, bei aller ausdrücklichen Schätzung der politischen Errungenschaften, den Mut fand, das ancien régime zu bedauern, nicht als politischer Reaktionär, sondern als künstlerisch empfindende Persönlichkeit. Er war der erste, der sich über die wahre Natur der »Emporgekommenen« keine Illusionen machte, der erste, der die Bourgeoisie ehrlich haßte, mit einem Haß, in den sich der Ekel mischte. Schon hierin berührt er sich stark mit Nietzsche.

Er thut es noch stärker in seiner Auffassung der Religion und Moral, und zwar noch mehr auf der positiven als auf der negativen Seite dieser Auffassung. Hier liegt das Besonderste, das die beiden gemeinsam haben. Gegner des Christentums, Gegner der Religionen und der Religion gab es viele. Die wenigsten zeigten sich fähig, dem, was sie bekämpften, dennoch gerecht zu werden. Weder die Voltairianer des XVIII. noch die Materialisten des XIX. Jahrhunderts waren fähig, das religiöse Genie überhaupt zu begreifen. Zum Teil ahnten sie es kaum.

Stendhal aber war kein Begreifender wie Nietzsche. Z. B. das asketische Ideal, wie Nietzsche sich ausdrückt: es wurde in seiner gewaltigen pädagogisch-psychologischen Bedeutung für die europäische Kultur und Menschheit von niemand tiefer begriffen und schöner erklärt als von diesen beiden heftigsten und weitgehendsten Gegnern eben dieses Ideals.

Sehr sympathisch wird es Nietzsche berührt haben, daß Stendhal kein Mann vom Handwerk war, sondern ein Weltmann im weitesten Sinn des Wortes. Jedes Handwerk hat seinen Buckel, sagt Nietzsche. Es wird ihn angenehm berührt haben, in Stendhal keinen Buckel zu finden. Stendhal war bald Krieger, bald Administrator, bald Kaufmannsgehilfe, bald Diplomat. Er war sogar napoleonischer Höfling. Tourist war er, wann er nur konnte. Und immer war er Dilettant, in dem Sinn, in dem Schopenhauer dem Dilettanten vor dem Berufsmenschen so entschieden den Vorzug giebt. Wer Nietzsche auch nur oberflächlich kennt, weiß genau, wie er in dieser Beziehung dachte: daß ein solcher Schriftsteller die Vorbedingung, Wahrheiten zu finden und Wahrheiten zu sagen, gefährliche Wahrheiten, eher erfüllte als ein staatlicher Professor – wenngleich Nietzsche selber einmal einer war.

Gerade zu Stendhals Zeit waren die Schriftsteller mehr »Schriftsteller«, mehr die Sklaven ihres Handwerks als je zuvor. Man denke nur an Balzac als das auffallendste Beispiel. Balzacs übermenschlicher Fleiß erfüllt uns gewiß mit staunender Bewunderung. Wir erkennen eine Kraft, die über alle Maßstäbe hinausgeht. Aber eine Bewunderung ohne Einschränkung ist hier einfach dumm. Denn wenn auch fürs erste der Ungeheuerlichkeit des Fleißes die Ungeheuerlichkeit des Werkes entsprach; in letzter Instanz bleibt dieses Verhältnis keineswegs bestehen. Denn von dem ungeheuerlichen Werk werden doch nur, wenn es gut geht, drei oder vier Bände lebendig bleiben. Und diese wären leicht noch lebenskräftiger und lebenwirkender, wenn auch ihr Autor mehr gelebt und weniger geschrieben hätte. Ich sage dies keineswegs als Vorwurf. Ich konstatiere bloß. Der Mensch thut nicht was er will.

Aber Balzac hat ansteckend gewirkt. Sein Schüler Zola z. B. La vie seule est belle, ruft er aus. Aber hat er sich je einmal von der Schönheit des Lebens locken lassen, der brave Mann? Er ist ihr aus dem Weg gegangen. Er hat sich vergraben. Nur wenn er ein Buch machen wollte, »studierte« er den betreffenden »Ausschnitt« Leben. Wenn andere Leute nach Rom gehen, so thun sie es Roms wegen, Zola thut es seines Roman's wegen. Nur wegen seines Roman's interessierte ihn Rom.

Mit diesen Sklaven ihres Handwerks hat Stendhal fast nichts gemein, obwohl er sehr viel geschrieben hat, obwohl das nulla dies sine linea durchaus von ihm gilt. Aber er war sich bewußt, daß alles Geschriebene ein Produkt des unmittelbaren Lebens sein muß, mehr als des Fleißes. Auch hört man die andern immer seufzen unter ihrer Aufgabe. Ein schreckhaftes memento scribere läßt sie kaum zu sich selber kommen. Stendhal schreibt nicht aus einer Aufgabe heraus. Er schreibt jeden Tag seine Zeile, aber er schreibt kein »Pensum«, und was er auch schreibt, memento vivere steht in allen oder zwischen allen seinen Zeilen.

Alle handwerkliche Wichtigthuerei stank ihm zum Hals heraus. »Es ist eine traurige Sache um unsere litterarischen Urteile, Zeitungen, Vorträge etc. Dies Gelärm verekelt den zarteren Naturen die ganze Dichtung. Wenn man die Verse eines nordischen Dichters mit Vergnügen lesen will, darf man ihn nicht von Person kennen; ihr werdet einen Gecken finden, der ›meine Muse‹ sagt.«

* * *

Noch vieles andere in Stendhal mag Nietzsche mächtig angezogen haben: daß Stendhal weich und zart war von Natur und ein Harter geworden ist; daß er ein geborener Enthusiast ist und doch so kühl sein kann; daß seine Seele immer schamhaft und sein Mund oft cynisch ist.

Und ganz besonders muß ihn entzückt haben, was man Stendhals Religion nennen kann: seine Verherrlichung des Krieges und der Gefahr, sein unerschütterlicher Glaube, daß nur unter ihnen die menschliche Pflanze gedeiht zu Kraft und Schönheit.

Die Großheit der florentinischen mittelalterlichen Architektur erklärt er aus dem Umstand, daß in diesen Straßen oft die Gefahr umging. »Die Abwesenheit aller Gefahr in den Straßen aber ist es, die uns so klein macht.«

Und so wie die Gefahr vergöttert er die Leidenschaft. »Mit Staunen und Bewunderung steht man vor den Meisterwerken der alten Zeit, gezeugt von der Kraft der Leidenschaften, und dann sieht man, wie später alles unbedeutend wird, kleinlich, verrenkt und verengt, sobald der Sturm der Leidenschaften aufhört, das Segel zu schwellen, das die menschliche Seele vorwärts treiben muß, jene Seele, die nichtig und armselig wird, wenn sie ohne Leidenschaften ist, das heißt ohne Laster und Tugenden.«

Das klingt doch ganz nach Nietzsche. In solchen Sätzen mag der »große Unzeitgemäße« sich wie im Spiegel gesehen haben.

Denn ein Unzeitgemäßer war vor allem auch Stendhal. »Man müßte die Meinungen haben, die die Mode gerade vorschreibt. Ich bin leider in dieser Beziehung übel daran. Mein Glück besteht in meinen Ueberzeugungen, sie mag ich nicht vertauschen gegen das Vergnügen der Eitelkeit und die Vorteile des Geldes. Der Himmel hat mich so wenig mit dem Instinkt weltlichen Erfolgs bedacht, daß ich mich mit aller Gewalt in den Anschauungen bestärke, von denen man mir sagt, daß sie unzeitgemäß sind, und daß es meine höchste Lust ist, auf Thatsachen zu stoßen, die mir solche gefährliche Wahrheiten immer wieder aufs neue beweisen.«

Stendhals Leidenschaft für die Klarheit, Klarheit über sich und über andere, die vielleicht stärker in ihm war als irgend etwas: sie bildet auch ein Band zwischen ihm und dem Verfasser des »Menschlichen und Allzumenschlichen«. Damit hängt zusammen seine Liebe für alles Sonnige und Südliche, seine Liebe für Montesquieu und das XVIII. Jahrhundert, für Mozart, Rossini, Cimarosa. Er wäre in unsern Tagen der größte Anti-Wagnerianer geworden und ohne Nietzsches Wandlungen erst nötig zu haben.

Wissenschaft, Philosophie, Kunst können uns nicht mehr genügen, wir sehnen uns nach etwas Höherem. So schreiben heut gewisse deutsche Universitätshofräte und Wagner-Apostel. Nach etwas Höherem! Die »christlich-germanische Weltanschauung, als Grundlage einer zukünftigen deutschen Kultur, muß auf etwas Höherem beruhen als auf Kunst, Philosophie und Wissenschaft. Nietzsche, und Stendhal mit ihm, hätten das genannt ein Fischen im Trüben, ein Munkeln im Dunkeln.

* * *

Dem Wort »Uebermensch« begegnen wir natürlich nicht in Stendhals Werk; aber die Kultur des Uebermenschen tritt uns darin auf jeder Seite entgegen. Julien Sorel, in Le Rouge et le Noir, ist dessen werdende Inkarnation; und sein zeitgemäßer Typus, Napoleon, schwebt über Stendhals Werk wie der Geist Gottes über den Wassern. Stendhal wird davon, oft wider seinen Willen, fasziniert wie ein Heiliger von seiner Vision.

In diesem Punkt ist er ganz konsequent.

Und doch ist Konsequenz nicht seine starke Seite. In der Malerei stellt er die Farbe himmelhoch über die Linie, in der Sprache, im Stil, verabscheut er sie über alle Maßen. Auch in der Musik bevorzugt er weitaus die strenge Linie, die reine Melodie. Wenn Nietzsche sich gedrängt fühlt, die großen »Künstler« Molière, Corneille, Racine »nicht ohne Ingrimm gegen das wilde Genie Shakespeares«, in Schutz zu nehmen, so ist er ganz in der Konsequenz seiner künstlerisch ästhetischen Entwicklung. Stendhal haßt Racine ganz wie die Romantiker thun; aber er liebt von ganzem Herzen die farblosen Schriftsteller des XVIII. Jahrhunderts, die von den Romantikern noch mehr verachtet wurden. Und er stellt wieder Shakespeare über alles.

Stendhal ist der Unsinnlichkeit und der Verständnislosigkeit für bildende Kunst, wodurch sich die französische Litteratur des XVII. und XVIII. Jahrhunderts charakterisiert, mit scharfer Kritik zu Leibe gerückt, und ist doch tiefer in den litterarischen Traditionen jener Jahrhunderte stecken geblieben als irgend ein Schriftsteller seiner Zeit.

Was bei Vielen als Widerspruch erscheint, ist oft nur Wandlung, Entwicklung. Bei Stendhal ist wenig Entwicklung zu beobachten, und die Widersprüche liegen in ihm hart nebeneinander. Daran werden manche Geister großes Aergernis nehmen. Andere vielleicht finden darin einen besondern Reiz . . .

Wenn Sie mich beim Wort nehmen, sagt Ludwig Bamberger einmal, kann ich überhaupt nicht schreiben; es ist schon an sich genugsam eine brotlose Kunst.

Stendhal war eine selten wahre Natur. Man kann aber die Beobachtung machen, daß sich die innerlich wahren Menschen mehr widersprechen als die verlogenen. Sie sind unbekümmert. Was sie in jedem Augenblick aussprechen, ist immer ihre Ueberzeugung. Das genügt ihnen. Die Unwahren werden dagegen ängstlich darauf bedacht sein, ihre Verlogenheiten untereinander in Uebereinstimmung zu bringen und ihnen so den Schein der Wahrheit zu geben. Sie sprechen nur im »Brustton« der Ueberzeugung.

* * *

Endlich war Stendhal, ganz im Sinne Nietzsche's ein guter Europäer. Stendhal hat seinem Vaterland wiederholt und mit großem Eifer Dienste gethan. Insofern war er ein guter Bürger und Patriot. Aber er war kein Maulpatriot. Er fand, daß man Niemand schmeicheln dürfe, nicht einmal seiner Nation. Das war für Frankreich ein kühner Grundsatz. Stendhal meint sogar, daß einer, der die Menschen kenne, naturgemäß das Land hasse, wo er sich diese fatale Kenntnis erworben hat. Ein bischen etwas hat davon schon jeder erfahren. Nietzsche hat nicht allein harte Worte gegen Deutschland. Wir finden einige recht böse auch bei dem milden Goethe. Wir sind aber auch in diesem Punkt die mündigste und männlichste Nation. Der Mann von Verdienst darf sich in diesem Sinn bei uns mehr Freiheit und Kühnheit herausnehmen als irgendwo. Oder vielmehr, es ist dazu bei uns gar keine Kühnheit erforderlich. Das braucht keine Schmeichelei zu sein. Man kann es als das Gegenteil auffassen. Jedenfalls ist es Thatsache. Eine Art Chauvinismus kennt man bei uns in neurer Zeit wohl auch. So weit sich nämlich Chauvinismus künstlich züchten läßt. Aber das ist eine gemachte Sache und geht nicht weit. Den volkstümlichen Chauvinismus kennen wir kaum, diesen naiven, milden, unvorsätzlichen Chauvinismus – eine Sache die sehr weit geht, wie jede Elementarkraft.

Das aber war von je her der Chauvinismus in Frankreich. Ihm zu trotzen haben wenige gewagt – in unsern und in vergangenen Tagen. Zu diesen wenigen gehört Stendhal. Ja, so weit wie er ging nicht leicht einer. Es will am Ende wenig heißen, daß er immer und immer wieder die französische Nationalschwäche, die Eitelkeit geißelt und daß er mit wenig Achtung von der französischen Musik spricht. Es mochte auch hingehen, daß er fort und fort die Einseitigkeit der französischen Litteratur betont, insbesondere die Abkehr der litterarischen Bildung von der bildenden Kunst; denn dieser Vorwurf stimmte schon kaum mehr auf die Gegenwart, hatte nur noch historische Bedeutung. Aber daß er zwei so eminent französischen Gewächsen, wie der Pariserin und dem esprit, statt mit Begeisterung mit kühler Kritik gegenüber stand und unausgesetzt bemüht war, die Geziertheit und Gekünsteltheit der einen und die Borniertheit und Sterilität des andern darzuthun: wem das die Franzosen zuletzt verzeihen konnten, der mußte viel zu seinen Gunsten in die Wagschaale zu legen haben.

Das heißt ein hervorragend glänzender Stil konnte vielleicht genügen. Aber Stendhal hatte das Gegenteil . . .

So wenigstens sagen es die Leute. So wenigstens lesen wir es in den herkömmlichen französischen Litteraturgeschichten. So betont es ganz besonders der deutsche Uebersetzer von Le Rouge et le Noir. Und er glaubt noch besonders hervorheben zu müssen, daß er den schlechten Stil seines Autors unverfälscht und unverbessert in sein geliebtes Deutsch übertragen hat – worauf sich Friedrich von Oppeln-Bronikowski nicht gerade viel einzubilden braucht. Denn daß der Stil eines französischen Autors durch deutsche Uebersetzungen verbessert worden ist, hat man überhaupt noch nicht gehört. Dieser Vorwurf ist noch keinem Uebersetzer gemacht worden. Herr von Oppeln hatte ganz unnötig Angst, daß er ihm gemacht werden könne. Eher hat man schon von dem und jenem Deutschen behauptet, der sich in der Uebersetzung französischer Autoren versuchte, daß sein eigener Stil dadurch gewonnen habe. Ich glaube, nicht einmal das wird man dem Uebersetzer von Le Rouge et le Noir nachsagen.

Selbst ein Mann wie Georg Brandes stimmt mit ein in das Lied vom schlechten Stil. Er nimmt Stendhals Wort vom Code civil, diese Uebermuts- und Mißmutsäußerung gegen die romantischen Sprachausschweifungen, allzu wörtlich und meint: »Man kann sich als Dichter nicht mit unverständigerer Geringschätzung für das Künstlerische ausdrücken.«

Diese Aeußerung von Brandes hätte nur dann einen Sinn, wenn es sich um einen Schriftsteller handelte, der sich um Stil überhaupt den Teufel schert, was es wohl in Deutschland massenhaft, in Frankreich aber vielleicht überhaupt nicht giebt. Und Stendhal gar war alles eher als gleichgiltig der Stilfrage gegenüber. Der Stil war vielmehr seine große Präokkupation. Nicht den Stil verachtet er, sondern nur den herrschenden Stil seiner Zeit: den Stil Chateaubriants, den Stil der »Corinna«, den Stil der George Sand. Und Gautiers Prosa machte ihm gewiß Bauchweh. Er war das Gegenteil von gleichgültig, er war außerordentlich empfindlich in Stilsachen. Er war eben in seinem Stil ganz Er selber. Und insofern hatte er mehr Stil als alle andern.

Nur entging den andern, was gerade seinen Stil ausmachte.

Er selber war sich klar. Man braucht ihn nur zu hören, wie er über andere urteilt. Ueber Rousseau z. B. »Da die reichen Leute von Genf, sagt er, den Verfasser der Heloise verachten, d. h. hassen, so hat sein Stil hierzuland keinen Nachahmer gefunden. Darüber muß man sich freuen. Mein Stil ist berufen, große Narren zu machen, lautet ein Wort Michelangelos. Jean-Jacques hätte ihm diese Idee stehlen können. Dieser Komödiantenstil begünstigt die Heuchelei, die jetzt allen Franzosen nötig ist. Er macht den Dummköpfen ihr Handwerk leicht . . . Man sehe nur unsern schönen gegenwärtigen Stil. Aber wie wird ihre angeborne Sterilität auf eine harte Probe gestellt, so wie sie die wunderbare Klarheit Voltaires oder die Condensiertheit Montesquieus nachahmen wollen. Und vollends der gehaltvolle Stil Bayle's, der ist für sie ganz unmöglich.

Stendhal zitiert mit Vorliebe das Wort Montesquieu's: Dans le commun des livres on voit un homme qui se tue à allonger ce que le lecteur se tue à abréger.«

Dann höre man ihn über Diderot: »Zweifellos hat dieser Schriftsteller Emphase; aber wie hoch wird er nicht im Jahr 1856 der Mehrzahl der zeitgenössischen Schönredner überlegen geachtet werden. Seine Emphase kommt nicht von der Armut der Ideen her, etwa um dieselbe geschickt zu verstecken. Das Allzuviele, was ihm sein Herz darbietet, drängt auf ihn ein . . .

Und welches interessante Gegengift Stendhal empfiehlt. Diderot hätte, meint er, so charakteristisch für sich selber, mit zwanzig Jahren einer Weltdame den Hof machen und die Keckheit haben sollen, in ihrem Salon zu erscheinen. Dann wäre seine Emphase verschwunden: sie ist nichts als ein Rest provençalischer Gewohnheiten. Möglicherweise auch dachte er mit Voltaire, daß es besser sei, stark als genau zu treffen. Bei dieser Methode gefällt man einer größeren Leserzahl. Aber dafür setzt man sich auch der Gefahr aus, die Menschen die Correggio und Mozart fühlen tötlich zu verletzen.

Außerordentlich fein charakterisiert er sich selber in seinen Worten über Balzac: Ich wünschte nur (bei Balzac) einen einfacheren Stil. Aber würden die Provinzler ihn dann kaufen? Ich vermute, daß Balzac seine Romane in zwei Malen schreibt, erst einfach und verständlich, dann sie einkleidend in Schwulst mit den »Pâtiments de l'âme«, »il neige dans mon coeur« und andern schönen Sachen.

Stendhal kann noch deutlicher werden: Um über die Vollkommenheit einer Sprache ein gesundes Urteil zu fällen, muß man nicht die Meisterwerke in Betracht ziehen. Das Genie täuscht. Meiner Ansicht nach findet sich die Vollendung des Französischen in den Übersetzungen der Einsiedler von Port-Royal um's Jahr 1670. Nun gut, das ist gerade dasjenige Französisch, das die Marseiller und Lyoner Kaufleute am wenigsten verstehen. Sie würden fürchten, sich ihre Ehre abzuschneiden, wenn sie etwas gut hießen, was in ihren Augen so leicht aussieht. Man begegnet überall der Fielding'schen Kellerratte.

In den Augen Stendhal's war der herrschende Stil seiner Zeit, das geht aus all dem deutlich hervor, ein plebejischer Stil.

Wollt Ihr sein schönstes Wort über Stil hören? Ein Mensch ist gut angezogen, sagt er, wenn im Augenblick, wo er einen Salon verlassen hat, niemand sagen kann, wie er angezogen war. Gerade so ist es mit den Manieren und – wie ich zu behaupten wage, mit dem Stil. Der beste Stil ist der, der sich nie bemerkbar macht und die Gedanken, die er ausspricht, am klarsten sehen läßt. Aber Gedanken müssen da sein, wahre oder falsche.

So. Und nun habt noch den Mut, zu behaupten, Stendhal habe keinen Stil . . ..

In Zola's Roman expérimental lesen wir: Voilà un écrivain qui a écrit avec son sang et sa bile, et qui a laissé des pages inoubliables d'intensité et de vie. J'ai tort même de l'appeler un écrivain; il était mieux que cela, car il ne semble pas s'être soucié d'écrire . . . Chez nos plus illustres auteurs, on sent la rhétorique, l'apprèt de la phrase; une odeur d'encre se dégage des pages. Chez lui, rien de ces choses . . .

Diese Worte sind nicht auf Stendhal gemünzt, aber sie könnten es sein. Sie passen wundervoll auf ihn. Und in der That dachte Zola sehr hoch von Stendhal als Stilisten, der nichts so sehr verabscheute als »Stil zu schreiben«, aber der den Stil seines Talents hatte, von solcher Originalität, bei aller gelegentlichen Unkorrektheit, daß er typisch geworden ist. So ungefähr lauten Zolas Worte. Und er rühmt Stendhals farblose Trockenheit, und seine abgerissenen, scharfkantigen und einschneidenden Sätze als ein unvergleichliches Werkzeug der Analyse. Zola findet zuletzt ein grandioses Bild: C'est comme un lac glacé à la surface, peut-être bouillonnant dans ses profondeurs et qui réfléchit avec une vérité inexorable tout ce qui se trouve sur ses bords.

– – – – –

Es liegt nicht in meiner Absicht, hier einen Essay über Stendhal zu schreiben. Viel des Vortrefflichsten ist über ihn gesagt worden, von Balzac und Mérimée, von Sainte-Beuve und Teine, von Zola, Bourget und Eduard Rod; ich bilde mir nicht ein, Besseres vorbringen zu können. Nur über die gegenwärtige Veröffentlichung möchte ich mir noch ein paar Worte erlauben.

Man wird mir vielleicht einen Vorwurf daraus machen, daß ich von einem so bedeutenden Schriftsteller ausgezogene »Aphorismen«, also Bruchstücke gebe. Für Uneingeweihte könnte der Vorwurf auch berechtigt erscheinen. Aber er ist hinfällig für jeden, der Stendhal einigermaßen kennt.

Diesem eminenten Schriftsteller mangelhaften Stil vorzuwerfen, ist ein Mißverständnis; ein anderes aber, was man ihm zur Last legt, kann nicht bestritten werden. Stendhal hat keinen Sinn für die Komposition eines großen Ganzen. In diesem Sinn ist er kein Franzose, kein Künstler – kein Artist, wie Nietzsche und Hermann Bahr zu sagen lieben. In diesem Sinn hat Pellisier recht, wenn er von Stendhal spricht, als von einem Schriftsteller, qui répand à l'aventure de très ingenieux aperçus, qui, d'ailleurs, n'a pas plus de méthode que de Système, und wenn er sogar von seinen verhältnismäßig vollendetsten Werken sagt: L'action de ses romans se disperse à tort et à travers, elle est fragmentaire, décousue, faite de parties qui ne se subordonnent pas . . . elle manque de continuité . . . nous y sentons un esprit inhabile à rassembler autour d'un centre commun les éléments qu'isole sa pénétrante analyse.

Noch mehr als von seinen Romanen gilt das von seinen zahlreichen übrigen Werken. Und so nennt auch Brandes nicht mit Unrecht »seine Bücher elend genug entworfen«, aber »wimmelnd von unvergeßlichen Aussprüchen«, von »meisterhaft ausgeführten Einzelheiten«, ganz »seiner aphoristischen Denkweise« entsprechend.

Da haben wir das Wort. Stendhal hat in Wahrheit Aphorismen geschrieben.

Als Ganze können, besonders in deutscher Uebersetzung, allenfalls in Betracht kommen: Le Rouge et le Noir, La Chartreuse de Parme, das Buch De l'Amour. Und vielleicht die italienischen Chroniken. Mit den folgenden »Aphorismen« habe ich an keines dieser Werke gerührt.

Hier und da ist einer der kurzen Aussprüche in der Ursprache stehen geblieben; es geschah, weil ich fürchtete, die wunderbare Prägung durch Uebersetzung zu verwischen.

Ueber ihren Sinn nur ein Wort: ich bin nicht der Meinung, daß man keinem dieser Gedanken widersprechen soll. Ganz im Gegenteil.

Ich rate, überall mißtrauisch gegen mich zu sein, sagt Stendhal selber.

Und hat nicht Nietzsche sich ähnlich geäußert?

Mannheim, Ostern 1901.

Benno Rüttenauer.

 


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