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Ich fühle, daß mein Herz der Kunst Bologna's abspenstig wird. Einzig und mit Liebe Dante lesend, denke ich nur noch an die Männer des zwölften Jahrhunderts, die durch die Kraft der Leidenschaften und des Geistes so einfach und göttlich waren. Die Eleganz der Bologneser Schule, die griechische und nicht italienische Schönheit der Köpfe Guido Reni's beginnen mich zu ärgern wie eine Art Profanation. Ich kann es mir nicht verbergen, ich bin in das italienische Mittelalter verliebt.
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Cimabue. – Man kann diesen ältesten der Maler kaum loben, als indem man auf die Mängel hinweist, die er nicht hat. Seine Zeichnung bietet eine weniger große Anzahl von geraden Linien, als die seiner Vorgänger; die Gewänder werfen Falten, und man beobachtet eine gewisse Geschicklichkeit in der Art die Figuren zu verteilen, und manchmal einen erstaunlichen Ausdruck.
Aber man muß gestehen, daß ihn sein Talent nicht zum Anmutigen befähigte. Seinen Madonnen fehlt es an Schönheit, und seine Engel in einem und demselben Bilde zeigen fast alle die gleichen Züge. Streng wie das Jahrhundert, in dem er lebte, gelangen ihm am besten die Charakterköpfe, besonders die Köpfe von Greisen. Er wußte in ihrem Antlitz die Willenskraft und die Pflege hoher Gedanken zu betonen. In dieser Hinsicht haben die Modernen ihn nicht so viel übertroffen, wie man eigentlich glauben sollte. Voll von einer kühnen und fruchtbaren Einbildungskraft, war er der erste, sich an Gegenstände heranzuwagen, die eine größere Anzahl von Figuren erforderten, und diese Figuren in kolossalen Verhältnissen zu zeichnen.
Die zwei großen Madonnen, die sich die Neugierigen in Florenz ansehen, die eine bei den Dominikanern, die andere in der Kirche della Trinita, mit jenen Prophetengestalten, in welchen man die Diener des Allerhöchsten erkennt, geben von seinem Genie keinen so vollständigen Begriff, wie die Fresken in der Oberkirche von Assisi.
Da erscheint er für sein Jahrhundert bewundernswürdig. Die Gestalten Jesu und der Maria, oben in der Wölbung, haben allerdings noch etwas von der byzantinischen Manier; aber die Evangelisten und Kirchenlehrer, die, auf dem Stuhle sitzend, den franziskanischen Mönchen die Mysterien der Religion deuten, zeigen eine Originalität des Stiles und eine Kunst alle Teile zusammenzufügen, daß sie eine Wirkung hervorbringen, die bis dahin von niemand erreicht worden. Die Färbung ist kräftig, die Proportionen riesenhaft, wegen der großen Ferne, in die die Figuren gesetzt sind, und nirgends falsche Verhältnisse aus Unwissenheit: mit einem Wort, die Malerei wagt das erste Mal zu versuchen, was bis dahin nur von der Mosaik unternommen worden.
Cimabue starb 1300. Er war Baumeister und Maler gewesen.
Alles was man über seinen Charakter weiß, ist, daß er einen sonderbaren Hochmut hatte. Wenn er in einem seiner Werke, mochte es noch so fortgeschritten sein, einen Fehler entdeckte, verließ er es für immer. Die Geschichte seines Ruhmes liegt in diesen drei Dante'schen Versen:
Credette Cimabue nella pittura
Tener lo campo, ed ora ha Giotto il grido,
Li, che la fama di colui oscura.
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Giotto. – Die ersten Fresken, die er in Assisi malte, neben den Fresken seines Meisters, lassen sehen, wie weit er diesen schon übertraf. Im Fortschritt des Werkes, das das Leben des heiligen Franziskus darstellt, macht auch seine Kunst Fortschritte. Bei den letzten Scenen dieses merkwürdigen Lebens angekommen, beobachtet der Betrachter mit Vergnügen eine mannigfaltigere Zeichnung in den Gesichtszügen, sorgfältiger ausgeführte Hände und Füße, eine größere Lebendigkeit des Ausdrucks, geistreichere Bewegungen der Gestalten, natürlichere Landschaften. Was in dieser Bilderfolge besonders auffällt, das ist die Kunst der Komposition. In ihr machte Giotto täglich Fortschritte. Ihn hierin zu übertreffen, scheint, trotz des frühen Jahrhunderts, fast unmöglich. Ich bewundere auch seine Kühnheit in Behandlung der Nebendinge. Er zögerte nicht, in seinen Fresken die großen architektonischen Monumente anzubringen, die seine Zeitgenossen überall aufbauten, und an ihnen die glänzenden blauen und roten und gelben Farben, oder das leuchtende Weiß anzuwenden, die damals Mode waren. Er hatte das Gefühl für die Farbe.
Die Fresken in Assisi fesseln sowohl die Augen des Kenners wie die des Unwissenden. Unter ihnen befindet sich jener vom Durste verzehrte Mann, der nach einer Quelle stürzt, die er zu seinen Füßen entdeckt. Raphael selber hätte dem Ausdruck dieser Gestalt nichts hinzuzufügen gewußt. Giotto war der Mann, auf den das vierzehnte Jahrhundert die Blicke geheftet hielt, wie das sechzehnte auf Raphael und das siebzehnte auf die Carracci.
Man hat gesagt: das Erhabene sei die Sprache einer großen Seele. Man kann mit mehr Wahrheit sagen: Die Schönheit in der Kunst sei der Ausdruck der Tugenden einer Gesellschaft.
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Die ersten Jahrhunderte der Malerei hatten keine Ahnung von der idealen Schönheit.
Man sehe die Gemälde Ghirlandajo's gegen 1480 in Toscana. Die Köpfe sind von einer überraschenden Lebendigkeit, einer Wahrheit, die uns in Entzücken versetzt. Man nannte »schön«, was treu kopiert war. Die ideale Schönheit hätte für Ungenauigkeit gegolten. Wenn jenes Jahrhundert einen Maler ehren wollte, so nannte es ihn einen Affen der Natur. Die Maler strebten einzig danach, treue Spiegel zu sein. Nur manchmal trafen sie Auswahl.
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Ich habe mir eben sieben bis acht schöne Bilder aus der alten Florentiner Schule angesehen. Ich gestehe, daß ich ganz gerührt bin von der Naturtreue, die man bei Ghirlandajo und seinen Zeitgenossen findet, vor der Ueberschwemmung durch das Idealschöne. Es ist die nämliche Seltsamkeit, die mir Massinger, Fard und die anderen alten englischen Dramatiker zur Zeit Shakespeares so wert macht.
Das Ideale ist ein starkes Elixir, das die Kräfte eines Genies verdoppelt und die Schwachen tötet.
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Ich weiß nicht, warum der Anblick der höchsten Schönheit mich gestern Abend in metaphysische Gedanken gestürzt hat. Wie schade, daß die »ideale Schönheit« in den Kopfformen erst nach Raphael in Mode gekommen ist. Die brennende Sinnlichkeit dieses Mannes hätte sie der Natur vermählen können. Der nadelspitzige Geist unserer Modekünstler ist tausend Meilen weit entfernt von dieser Aufgabe. Wenn sie wenigstens sich manchmal herablassen wollten, genau die Natur zu kopieren, ohne irgend etwas Steifes, und wäre es aus Griechenland geborgt, hinzuzufügen, so wären sie göttlich und wüßten es gar nicht. Filippo Lippi oder der Bruder von Fiesole, wenn diesen der Zufall einen Engelskopf über den Weg führte, so kopierten sie ihn sorgfältig. Das ist's, was das Studium der Maler der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts so anziehend macht. Ich begreife, daß Herr Cornelius und die anderen deutschen Maler in Rom sie zum Vorbild genommen haben.
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Raphael ist in Rom, was einst Herkules im heroischen Griechenland war: alles was Großes und Edles in der Malerei hervorgebracht worden ist, schreibt man diesem Heros zu. Sogar sein Leben, dessen Ereignisse so einfach sind, wird dämmerig und fabelhaft und voll von Wundern, womit die Bewunderung der Nachwelt es ausstattet.
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An den Gestalten Raphaels sieht man, wie weit dieser große Künstler von dem heutigen Geschmack entfernt war, der nur die magere Schlankheit gelten lassen will. Raphael dachte offenbar, daß allein der kräftige Körper der Wohnsitz starker Leidenschaften sein kann, die, mit ihren unendlichen Schattierungen, den Gegenstand der Kunst ausmachen. Ein schwacher, gebrechlicher, häßlicher Körper, etwa wie der Voltaire's, den man in der Bibliothek der Akademie sieht, kann sicher die leidenschaftlichste Seele beherbergen. Man kann sogar behaupten, daß die heftigen Leidenschaften dem Körper die sichern Zeichen des beginnenden Verfalls aufdrücken. Aber diese Wahrheit kann die Kunst nicht aussprechen. In der Malerei muß ein leidenschaftliches Weib vor allem schön sein; jedenfalls darf sie durch Mangel an Schönheit nicht auffallen.
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Raphael und Mozart haben das miteinander gemeinsam: jede Gestalt Raphaels, wie jede Arie von Mozart, ist zugleich dramatisch und angenehm. Die Raphaelische Gestalt hat so viel Anmut und Schönheit, daß man ein lebhaftes Vergnügen dabei empfindet, sie im besonderen anzusehen, und trotzdem fügt sie sich dem dramatischen Vorgang wundervoll ein. Sie ist der Stein eines Gewölbes, den man nicht herausnehmen kann, ohne der Festigkeit des Ganzen zu schaden.
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Der Zufall, der hier einmal gerecht war, schien alle Arten von Glück in diesem so kurzen Lebenslauf aufzuhäufen. Raphael hatte die Anmut und liebenswürdige Zurückhaltung des Höflings, ohne seine Falschheit oder auch nur seine Klugheit. Wirklich einfältig wie Mozart, dachte er nicht mehr an die Mächtigen, sowie sie ihm aus dem Gesicht waren. Er träumte nur von Schönheit und Liebe. Sein Onkel Bramante nahm es auf sich, für ihn zu intriguieren. Raphaels Tod, bei 37 Jahren, ist einer der größten Unglücksfälle, die die arme Menschheit betroffen haben.
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In den Stanzen des Vatikans. – Das Gewölbe dieses Zimmers ist von Perugino. Aus Achtung vor seinem Lehrer hat Raphael nicht daran rühren wollen. Die Feinde dieses großen Menschen und alles dessen, was edelmütig ist, haben nicht ermangelt zu behaupten, daß er diese Decken so ließ, um sich eilten um so höheren Triumph zu sichern. Die Eifersucht unter den Künstlern ist allgemeine Regel, die auswendig zu können es nicht viel Verstand braucht. Aber ich wage es, diesen tiefen Philosophen zu widersprechen und zu glauben, daß Raphael eine Ausnahme machte. Die Augen seiner Heiligen sagen mir, daß er seine gewöhnliche Seele hatte, und die Geschichte seines Lebens beweist es.
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Ich habe mit Scarpa über Malerei gesprochen. Die guten Köpfe dieses Landes verachten es, Gemeinplätze zu gebrauchen. Sie haben den Mut, sich mit ihren persönlichen Meinungen herauszuwagen. Es würde sie langweilen, Andern nachzusprechen. Scarpa behauptet, daß die emphatischen Biographien, die die Dummköpfe über Raphael, Titian und andere veröffentlicht haben, die jungen Künstler am richtigen Streben verhindern. Sie träumen von weltlichen Ehren, statt das Glück ihrem Pinsel oder Meißel abzufordern. Raphael aber weigerte sich, Cardinal zu werden.
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Es fehlte Leonardo, um durch seine Werke so groß zu werden wie durch sein Genie, nur eine einfache Erkenntnis, die aber einer vorgeschritteneren Gesellschaft, als der des fünfzehnten Jahrhunderts, vorbehalten blieb: nämlich, daß es einem Manne nicht gelingen kann, ein Großer zu werden, als indem er sein ganzes Leben einer einzigen Kunst weiht. Oder vielmehr, denn Erkenntnis ist nichts, es fehlte Leonardo eine tiefe Leidenschaft für irgend welche Kunst. Das Merkwürdige ist, daß er lange Zeit als die einzige Widerlegung dieser heute gemeinplätzigen Wahrheit gegolten hat.
Nachdem Leonardo die Milanesischen Kanäle vervollkommnet, die Ursache von der Fahlheit des Mondlichts und der blauen Färbung der Schatten entdeckt, das Kolossalpferd von Mailand modelliert, sein Abendmahlsbild und seine Abhandlungen über Malerei und Physik vollendet hatte, konnte er sich für den größten Ingenieur, den größten Astronomen, den größten Maler und Bildhauer seines Jahrhunderts halten. Während mehreren Jahren war er das alles wirklich. Aber Raphael, Galilei, Michelangelo erschienen nach einander, gingen weiter als er, jeder auf seinem Gebiet, und Leonardo da Vinci, eine der schönsten Blüten, deren die menschliche Gattung sich rühmen kann, blieb in keinem Fache der Größte.
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Die Mittel der Malerei sind die Farbe und die Behandlung des Lichts. Aber das würde mich auf Correggio bringen, und meine Freunde behaupten ohnedies, daß ich von diesem Maler viel zu viel rede. Die Behandlung des Lichts, das Helldunkel, ist Raphaels schwache Seite. Dieser große Mann ist nie unnatürlich; nie wird ihm der Verstand einen Fehler nachweisen können. Aber in der Behandlung des Lichts und der Farben steht er nicht nur unter Correggio, er erreicht nicht einmal seinen Freund, den Fra Bartolomeo. Ja, wenn ihr euch an die heilige Petronilla und die Aurora von Guercino erinnert, werdet ihr zugeben müssen, daß Raphael in dieser Hinsicht sogar nicht einmal an Guercino hinanragt, der doch sonst, mit dem großen Meister verglichen, nur ein einfacher Handwerker ist.
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Raphael hatte immer einen Abscheu vor der Darstellung sehr bewegter Handlungen, die von den Diderot und anderen Litteraten so gepriesen werden. Diese göttliche Seele fühlte, daß die Malerei höchstens notgedrungen heftige Leidenschaften darstellen dürfe.
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Ich habe prachtvolle Van Dyck's gesehen. Wie hat dieser Maler den Zeitgenossen gefallen müssen. Wie schmeichelhaft er das Herrentum in seinen Bildnissen zu geben wußte. Welch ein Fortschritt über das natürliche Ansehen in Raphaels Bildnissen. Wie man es diesen Leuten ansieht, daß sie von Kind auf gewohnt waren, nur auf Gehorsam und Unterwürfigkeit zu stoßen.
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Mailand. – Man sieht hier Fresken von Luini, von dem, den ich in Saronno so bewundert habe. Man hat sie mit dem Stück Wand hierher gebracht, auf das sie einst gemalt worden sind. Dieser Künstler ist uns durch die künstliche Begeisterung und Affektationen der modernen Maler wieder ganz besonders lieb geworden. Er ist zweifellos kalt in der Farbe, aber er hat himmlische Angesichter; das ist eine stille süße Anmut, fast wie bei Leonardo.
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In Parma, einer sonst ziemlich langweiligen Stadt, haben mich die himmlischen Fresken des Correggio aufgehalten.
In der Bibliothek hat mich die »Madonna von Jesus gesegnet« bis zu Thränen gerührt. Ich gab dem Diener ein Trinkgeld, damit er mich eine Viertelstunde auf der Höhe der Leiter allein ließ. Niemals werde ich der Jungfrau gesenkte Augen, ihre leidenschaftliche Stellung, die Einfachheit ihrer Kleidung vergessen. Und was soll man über die Fresken von San Paolo sagen? Wer sie nicht gesehen hat, der kennt vielleicht nicht die ganze Macht der Malerei.
Die Raphaelischen Gestalten haben die antiken Statuen zu Rivalen. Aber die weibliche Liebe hat im Altertum nicht existiert. Darum ist Correggio ohne Nebenbuhler. Aber um ihn ganz zu verstehen, muß man sich im Dienste dieser Leidenschaft lächerlich gemacht haben.
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Gestern bin ich von der geraden Straße abgewichen, um den Ort Correggio zu sehen. Hier wurde 1494 der Mann geboren, der durch seine zauberhaften Farben gewisse Gefühle auszudrücken verstanden hat, zu denen keine Dichtung hinanreicht, und die nach ihm nur noch Cimarosa und Mozart zu Papier brachten.
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Die meisten Franzosen können sich nicht soweit erheben, um die Fresken des Correggio in Parma zu empfinden; sie rächen sich dafür durch Verketzerungen Das ist etwas der Art wie die zartesten Fabeln von Lafontaine.
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Die Magie der Fernen, jener Teil der Malerei der die feinsten Kräfte der Phantasie lockt und anzieht, ist vielleicht für's Auge die Hauptursache ihrer Ueberlegenheit über die Skulptur. Durch diese Magie nähert sie sich der Musik, sie veranlaßt die Phantasie, ihre Bilder fertig zu machen. Und wenn uns beim ersten Anblick die Figuren des Vordergrundes mehr auffallen, so sind es doch die Gegenstände, deren Einzelheiten durch die Luft halb versteckt sind, deren wir uns mit dem meisten Entzücken erinnern; sie haben in unsern Gedanken eine überirdische Färbung bekommen.
Poussin versenkt durch seine Landschaften die Seele in einen Traumzustand. Sie glaubt sich in jene edle Fernen entrückt und dort das Glück zu finden, das uns in der Wirklichkeit ausweicht. Aus dieser Empfindung hat Correggio seine Schönheiten geschöpft – was sich nicht von Raphael sagen läßt.
Das ist unser Elend: die am meisten für dies süße und erhabene Glück geschaffenen Seelen werden, so scheint es fast, am beständigsten von ihm gemieden. Die Vordergründe sind für sie die prosaische Wirklichkeit. Es galt jene edlen und rührenden Träumereien auszudrücken, die bei zwanzig Jahren das Glück und später den Ueberdruß des Lebens ausmachen. Correggio hat das nicht mit der Zeichnung zu erreichen versucht, sei es, weil die Zeichnung weniger eigentliche Malerei ist, als das Helldunkel, indem die sanfteren, leiseren Leidenschaften nicht durch Muskelbewegungen sichtbar werden, sei es, weil er, an der Brust der zauberhaften Lombardei aufgewachsen, erst spät die römischen Statuen kennen lernte. Seine Kunst war es, selbst die Vordergrundfiguren wie in der Ferne zu malen. Von zwanzig Personen, die von seinen Gestalten entzückt werden, ist vielleicht nicht eine, die sie sieht, und nicht zwei die sich ihrer auf ein und dieselbe Weise erinnern.
Das ist Musik, das ist keine Plastik.
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Man muß der Revolution, die der berühmte David in die Kunst gebracht hat, Dank wissen. Dieser große Maler hat Bernini den Zopf abgeschnitten.
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Wenn der junge Maler viel Geist und Phantasie hat, aber nicht das sine qua non seiner Kunst besitzt, die Farbe, das clair-obscur und die Zeichnung, so wird er hübsche Karikaturen wie Hogarth machen, dessen Bilder niemand mehr ansieht, sobald er die geistreiche Idee, die sie dem Betrachter vorstellen sollen, einmal erfaßt hat.
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Die Malerei trägt in die Seele des Beschauers die edelsten und angenehmsten Bewegungen, indem sie den Begriff der Dinge giebt, die sie darstellt. Wie weit aber darf, von der Wahl der Gegenstände unabhängig, die Darstellung naturalistisch sein, um diesen Zweck zu erreichen?
Das ist die ganze Frage.
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Wie mir das wahr vorkommt, was ein geistreicher Mann gesagt hat: man fühlt sich fast als den intimen Freund der Frau, deren Bildnis in Miniatur man betrachtet; man ist so nahe bei ihr! Die Oelmalerei dagegen stellt dich in ungeheure Entfernung . . .
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In den Künsten, in denen Bewegungen nötig sind, sind die französischen Künstler darauf beschränkt, allgemein bekannte und von ganz Paris bewunderte Gesten nachzuahmen: die des großen Schauspielers Talma. Das beste, was man von ihren Gestalten sagen kann, ist, daß sie mit Talent Komödie spielen. Aber selten sehen sie aus, als ob sie auf eigene Rechnung fühlten.
Seht euch im Louvre das Bild Girodets an: Atala portée au tombeau. Lehrt uns das Antlitz des Chactas etwas Neues über den Schmerz eines Liebhabers, der seine Geliebte zu Grabe bringt? Nein, es ist nur dem, was wir bereits wissen, wohl angepaßt. Ist dieses Bild auf der Höhe dessen, was die Malerei vor Girodet geschaffen hat?
Ist das Bild Girodets auf der Höhe der Gedanken, die der Abbé Prevost am Schluß der Histoire de Manon Lescaut et du chevalier des Prieux in uns erzeugt?
Nein; die Figuren des großen modernen Meisters sind Schauspieler, die gut spielen, nichts anders . . .
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Wenn die Liebe Heloisens für Abälard zartere Gefühle in sich begreift als alles, was uns vom Altertum überliefert ist, so muß auch die Malerei eines Raphael und Domenico die so gepriesenen Gemälde des Apelles und des Zeuxis übertreffen.
Die Madonnen Raphaels und Correggio's gewinnt man innig lieb durch ihre ziemlich gemäßigten und oft melancholischen Leidenschaftsstimmungen. Die in Pompei entdeckten reizenden Sachen gehören dagegen zu jener ganz aus Sinnlichkeit zusammengesetzten Malerei, die nichts übrig hat für die zärtliche Seele. Das ist der Gegensatz zu einer Kultur, wo man glaubt Gott zu gefallen, indem man sich Schmerzen zufügt (asketisches Prinzip des Bentham). Lest das wundervolle Kapitel Des sacrifices, von de Meistre, und geht von da zu dem neapolitanischen Grabmal, das das Priapusopfer darstellt. Wir glauben heut nicht mehr an de Meistre, aber das neapolitanische Grabmal beleidigt uns. Wer sind wir? Wohin gehen wir? – Wer weiß es?
Im Zweifelszustand giebt es nichts Wirkliches, als das sanfte und erhabene Glück, das die Musik Mozarts und die Gemälde Correggio's in unsere Seele tragen.
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Aus nichts, nach meiner Meinung, lernen wir einen Menschen besser kennen, als aus einem Portrait von Holbein.
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Im Jahre 1508 berief Julius II. Raphael nach Rom. Ludwig XIV. beehrte mit seiner Protektion und hochmütigen Herablassung ein paar Schriftsteller und zwar die wenigst energischen von denen, die von Richelieu und den Sitten der Fronde gebildet worden waren. Julius II. hatte das Bedürfnis, mit den großen zeitgenössischen Künstlern zu leben. Er erhob sie zu dem Rang seiner liebsten Vertrauten, er genoß ihre Werke mit Leidenschaft. Nun ist allerdings Eines wahr: Malerei wirkt kaum politisch aufwühlend, sie müßte es nur absolut wollen. Anders mit der Litteratur: hier ist es fast unmöglich, etwas Gutes zu schreiben, ohne wenigstens indirekt an Wahrheiten zu rühren, die den Inhabern der Macht unangenehm sind.