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In der Musik giebt es zwei Wege, die zum Genuß führen: der Haydn'sche Stil und der Stil von Cimarosa, die erhabene Harmonie oder die entzückende Melodie. Die Musik Cimarosa's paßt für die Völker des Südens und kann von den Dummen nicht nachgemacht werden. Die Melodie war auf dem Gipfel ihres Ruhmes um 1780 herum. Seitdem nimmt die Musik eine andere Natur an, die Harmonie wird immer wuchtiger und das Melodische schwindet.
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Das Glockenläuten ist wirklich eine Art Musik, und nachdem ich erst darüber erstaunt war, bin ich heut wahnsinnig verliebt in die eigentümliche Weise, mit der man in Mailand die Glocken läutet. Man hat das, glaube ich, dem heiligen Ambrosius zu danken, der auch das Verdienst hat, den Karneval um vier Tage verlängert zu haben. . . .
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Ich komme aus der berühmten Sixtinischen Kapelle. Ich habe der päpstlichen Messe beigewohnt, vom besten Platz aus, rechts, hinter dem Kardinal Consalvi. Ich habe die berühmten Sixtinischen Kastraten gehört. Nein, niemals war ein Charivari greulicher: es war das beleidigenste Getön, das ich seit zehn Jahren gehört habe. Von den zwei Stunden, die die Messe gedauert hat, habe ich anderthalb damit zugebracht, mich zu verwundern, mich zu betasten, mich zu fragen, ob ich nicht krank sei, und dann meine Nachbarn auszuforschen. Unglücklicherweise waren das Engländer, Leute, denen die Musik ein versiegeltes Buch ist. Ich befragte sie über ihre Empfindung: sie antworteten mir mit Stellen aus Burney.
Nachdem ich mein Urteil über die Musik geschlossen hatte, genoß ich die männlichen Schönheiten der Decke und des Jüngsten Gerichts.
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In Terracina, in der prächtigen Herberge, die der praktische Pius VI. gebaut hat, schlägt man uns vor, mit einigen Reisenden aus Neapel zu Abend zu essen. Unter sieben bis acht Personen fällt mir da ein sehr schöner, blonder, etwas kahlhäuptiger Mann auf, der etwa fünf- bis sechsundzwanzig Jahr alt sein mochte. Ich frage ihn nach Neuigkeiten aus Neapel, besonders über die Musik. Er antwortet mir mit klaren, glänzenden, heiteren Ideen. Ich frage ihn, ob ich hoffen dürfte, den Othello von Rossini noch in Neapel zu sehen, er antwortet mit einem Lächeln. Und nun bekenne ich ihm, in meinen Augen sei Rossini die Hoffnung und die Schule Italiens, der einzige Mensch mit Genie, der einzige Musiker heute, der seine Erfolge nicht auf den Reichtum der Begleitung gründe, sondern auf die Schönheit der Melodie. Ich sehe meinem Mann etwas Verlegenheit an, seine Reisegefährten lächeln: kurz, er ist selbst Rossini.
Zum Glück und ganz zufällig habe ich weder die Faulheit noch die zahlreichen Plagiate des schönen Genius erwähnt.
Dieser arme Mann von Genie interessiert mich lebhaft. Nicht daß er etwa nicht sehr lustig und fast glücklich wäre. Aber wie schade, daß sich in diesem unseligen Lande nicht ein Souverän findet, der ihm eine Pension von zweitausend Thalern gäbe und ihn in Stand setzte, die richtige Stunde der Eingebung zum Schreiben abzuwarten. Wie soll man da noch den Mut haben, ihm vorzuwerfen, daß er in vierzehn Tagen eine Oper macht? Er schreibt an einem schlechten Tisch, beim Lärm der Wirtshausküche, und mit der kotigen Tinte, die man ihm in einer alten Pomadenbüchse bringt. Das ist der Mann Italiens, in dem ich den meisten Geist finde. Und sicherlich hat er keine Ahnung davon.
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An den Ufern der Saône spazieren gehend, hörte ich heute Abend einen chant provençal, süß, heiter, wundersam originell. Zwei Marseiller Matrosen waren es, die abwechselnd mit einer Frau ihrer Heimat sangen. Nichts zeigt besser den Abstand zwischen Marseille und Paris. Der Geist des Franzosen versteht alles wundervoll, und treibt ihn in der Musik dazu, Schwierigkeiten zu überwinden. Aber da es ihm absolut an dem musikalischen Gefühl fehlt, das darin besteht, alles Harte zu verabscheuen und dem Rhytmus zu folgen, so gefällt er sich darin, die scheußliche Musik anzuhören, die ich in Lyon beklatschen höre.
Ein Volk, das solche Sachen mit Vergnügen anhören kann, kann sich rühmen, eine Ausnahmestellung einzunehmen: nicht nur genießt es das Gute nicht, es zieht das Schlechte vor. In der Musik hat der Franzose nur für Menuetts, Walzer und kriegerische Weisen Instinkt. Außerdem treibt ihn sein Verstand an, überwundene Schwierigkeiten zu applaudieren.
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Warum hat man Vergnügen, im Unglück singen zu hören? Das kommt daher, daß uns diese Kunst auf geheimnisvolle und die Eigenliebe nicht verletzende Weise an das Mitleid der Menschen glauben läßt: sie verwandelt den trocknen Schmerz des Unglücklichen in einen wehmütigen; sie entlockt dem Auge Thränen, weiter geht ihr Trost nicht. Zärtlichen Seelen, die den Tod eines geliebten Wesens betrauern, schadet sie und beschleunigt den Fortgang der Schwindsucht.
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Für gewöhnlich kann meine Verachtung für die französische Musik kaum größer sein. Dennoch hatten mich die Briefe meiner Freunde in Frankreich fast irre gemacht. Ich war nahe daran, ihnen die Gesänge der Fröhlichkeit und der heitern Unterhaltung einzuräumen. Das Ballet der Joconda schließt allen Streit für mich ab. Nie habe ich die Armut, die Trockenheit, die anspruchsvolle Unbedeutendheit unserer Musik stärker gefühlt. – Und doch hat man darin alle die Melodien gesammelt, die mich früher gerührt haben. Aber das Gefühl des wahrhaft Schönen gewinnt selbst über die Jugenderinnerungen die Oberhand. Was ich da sage, wird gerade den Gipfel des Absurden und vielleicht gar des Abscheulichen für diejenigen bezeichnen, die das wahrhaft Schöne nie erlebt und empfunden haben. Die guten Patrioten haben auch gewiß diesen Band längst ins Feuer geworfen und ausgerufen: Der Verfasser kann unmöglich ein Franzose sein.
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Seit langem schon ist es klar, daß die Musik keinen Geist, keine Gedanken ausdrücken kann. . . . Die Musik malt nur die Leidenschaften und eigentlich nur die Leidenschaften des Gefühls.
Seit Mozart und Haydn malen die Orchestersätze, indessen der Gesang eine Leidenschaft ausdrückt, andere Gefühlsstimmungen, die sich, ich weiß nicht wie, in unserer Seele mit der Malerei der Hauptleidenschaft mischen. Meyerbeer, Winter, Weigl, Cherubini mißbrauchen das Nebensächliche, weil sie an die Hauptsache nicht heranreichen. Aber trotz dieser Empfindung kann die Musik bis jetzt noch immer nicht ein Geistiges ausdrücken.
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Die Musik gefällt, wenn sie am Abend die Seele in eine ähnliche Stimmung versetzt, wie es sonst die Liebe thut.
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Was soll eine Musik, die nicht vor allem ein Glück für's Ohr ist.
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Der Grad von Entzücken, zu dem sie unsere Seele emporträgt, ist in der Musik der einzige Wertmesser.
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Dem menschlichen Herzen verleidet leicht alles, was kein Geheimnis mehr birgt; der Vorteil der Musik besteht darin, daß sie vorübergehend ist wie die menschlichen Handlungen selber.
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Die tiefe Menschenkenntnis ist nichts weniger als angenehm, sie ist ein vorzeitiges Greisentum: daher der Abscheu der Italiener vor der Charakterkomödie und ihre Leidenschaft für die Musik, die sie über diese Welt hinaushebt und im Reiche der süßen Illusionen schweifen läßt.
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Eine berühmte Stimme, wie auch die berühmte weibliche Schönheit, findet sich nur im Verein mit einem kalten Herzen.