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Drittes Kapitel

Unter dem Volke wurde von dieser verborgenen Heimsuchung nichts bekannt als die Kunde, der Heiligenbauer habe wieder einmal tief im Walde den Teufel lachen lassen.

Der Sintlinger hörte das mit seinem gewohnten Lächeln an, ohne eine Erklärung dieses törichten Mißverständnisses zu versuchen. Auch Johanna gegenüber trat er aus seinem Schweigen nicht heraus, außer daß er von der verdrießlichen Forderung eines Mannes sprach, der ihm in der wilden Zeit einst nahegestanden hatte. Um ihrer Ruhe und Unbefangenheit halber bitte er, nicht nach seinem Namen zu fragen. Die Erschütterungen, die dessen unvermutetes Auftauchen ihm beschert habe und von denen ihr in der Nacht ja auch eine Probe nicht erspart geblieben sei, seien nun vollkommen vorüber.

Mit leiser Hand fuhr er seinem Weibe nach dieser verkappten Wahrheit über die Stirn, und Johanna sah ihn in der gewohnten Haltung wieder von sich in das Licht seiner rätselhaften Einsamkeit gehen, wohl beruhigt, aber auch ein wenig enttäuscht, daß die Finsternisse von dem Sintlinger so schnell wieder abgelassen hatten, durch die er doch nun letzten Endes zu ihr und der Gesellschaft der Menschen einst zurückgeführt werden mußte. Denn das war zu einer fixen Idee in der lieben Frau geworden, daß das Lenlein nicht eher in den Besitz ihres Augenlichtes kommen könne, ehe der Sintlinger nicht aus seiner Verlorenheit gescheucht sei.

Allein, wie sie ihren Mann auch unauffällig beobachtete, sie konnte nicht eine geheime Verdunkelung, nicht eine entschlüpfte Reizbarkeit an ihm wahrnehmen, wodurch sie der furchtvollen Sehnsucht in sich hätte recht geben können.

Der Heiligenbauer glaubte sich von dem Zusammenbruch im Walde ganz erholt zu haben. Er setzte das Schicksal des alten Klim, des Pfarrers und des Prahl-Meixners nicht mehr allein auf sein Schuldkonto, sondern sah in ihrem unglücklichen Ausgang die Folge der eigenen Fehler und die Wirkung von Gewalten, die Leben und Tod jedes Menschen seit je bestimmen. In seinen Papieren ist auch nur die Rechtfertigung seines errungenen Zustandes enthalten, nicht ein Wort der Selbstbezichtigung, die ihn im Walde überfallen hat. Nur ganz leise klingt etwas von dem ausgestandenen Schmerz in dem Ausspruch nach, der am Ende der Gedankenreihe sich findet, mit der er den Einfluß des Faberschen Briefes abgewehrt hat.

»Erst hat die Musik das Instrument gemacht«, lauten die rätselhaften Worte. »Seitdem macht das Instrument die Musik, und jedes höchste Lied muß entarten. Denn niemand kann rein die Musik des Himmels spielen als nur im eigenen Herzen.«

Man geht nicht fehl, in diesen Sätzen das Bekenntnis der Hoffnungslosigkeit gegenüber allem Menschenstreben nach der letzten Vollkommenheit zu sehen. Aber doch flackerte gerade unmittelbar nach diesen Vorgängen wieder eine besondere Schroffheit des Heiligenbauers auf, sein Leben ganz von dem der übrigen abzusondern, wie, um die errungene Höhe wenigstens zu behaupten. Er lehnte es ernst und entschieden ab, in dem Handel Partei zu nehmen, der nach dem Begräbnis des Vanlyßender zwischen dem Hemsterhuser Pfarrer und den Querhovenern entstand, und wußte sich auch der Zeugenschaft in dem nachfolgenden Prozeß zu entziehen.

Sich weiter mit dem Streben dieser Sektierer zu verzweigen, hieß für ihn einfach wieder in die Wirnisse früherer Torenzeit zurückzukehren, in die Bitterkeit über die Läppereien Gewöhnlicher und endlich in das alte Hohngelächter. Alles, was er wollte, ahmten sie so nach, wie der Schatten das Wesen eines Baumes wiederholt, ohne Farbe, ohne Duft, ohne Tiefe.

In diesen Entscheidungsstunden des Schicksals also ging der Sintlinger über die Grenzen der Selbstbewahrung hinaus. Denn in jedes Menschen Leben tritt ein Zeitpunkt ein, da unsere Kräfte die höchstmögliche Steigerung erfahren haben. Dann müssen wir aus Meistern Diener unseres Werkes werden und, wenn es sich um Ideen handelt, die Veränderungen ertragen, die unweigerlich mit jeder Verwirklichung nun schon verbunden sind.

Aber den Sintlinger brannte weiter die ganze Welt nur mit seinen eigenen Schmerzen.

Eines Tages nahm er Helene mit sich hinaus auf das Feld, und als sie beide ganz allein waren, fragte er das Mädchen, ob sie in der Weite einen Mann sähe, der auf den Hof zukomme. Er meinte damit den Faber-Rebellen, der in dem Brief seinen Besuch auf dem Heiligenhübel in Aussicht gestellt hatte. Der Sintlinger, der von Helenens Kraft des Fernsehens fest überzeugt war und schon wundersame Proben dieser Eigenschaft an ihr erfahren hatte, erlitt das erstemal eine vollkommene Enttäuschung. Schon die andere Art, in der Helene seine Frage heut entgegennahm, machte ihn stutzig. Nicht wie sonst löste sich die Geschlossenheit ihrer Haltung auf, nahm ihr Gesicht einen Zug bekümmerter, ernster Betrachtsamkeit an, vertiefte sich die klare Grundlosigkeit ihres blicklosen Auges noch mehr ins Innere. Sie hob nur einen Augenblick, wie auslugend, den Kopf, zuckte dann gleichgültig ablehnend mit den Schultern, bückte sich, strich leise mit der flachen Hand übers Gras und antwortete dabei, fast mit dem Anflug eines geringschätzigen Lächelns: Nein, sie sehe nichts. Was solle sie auch sehen? Das sei überhaupt bei ihr nicht mehr so wie sonst. Aber als der Heiligenbauer nun bekümmert in sie drang, ihm doch zu erklären, was sich geändert habe, wie es in ihr anders geworden sei, gab das Mädchen vorderhand keine Antwort, ging neben dem Vater hin, zupfte bald mit der rechten, bald mit der linken Hand Blumen, Halme, Grasrispen, was sie gerade erwischte, ab und warf es mit leidenschaftlicher Gebärde weit von sich. Doch da der Sintlinger nicht nachließ, in aller besorgten Liebe den Veränderungen in ihrem Gemüt nachzuforschen, sagte sie ein paarmal lauter und lauter, zuletzt fast schreiend: »Nichts – nichts – nichts!« und fing plötzlich an, wie flüchtend von ihrem Vater weg, geradezu über das Feld zu laufen, mitten in ein Korngewanne hinein. Der erschrockene Heiligenbauer war wohl sofort hinter seinem Kinde her. Aber sowie Helene sich verfolgt sah, flog sie nur so durch den rauschenden Roggen und stand erst am jenseitigen Rain mit fliegender Brust, erhitztem Gesicht und mit Augen still, die lächelten und zugleich funkelnd spielten und dabei doch von Tränen überströmt wurden. So ließ sie sich von ihrem Vater in die Arme schließen und bat, immer heftiger schluchzend, sie nicht mehr so zu fragen wie vorhin. Das Gesinde wisse auch nichts anderes mit ihr zu reden, und alle Leute nicht, und mit einem Wort, sie möge das nicht mehr. Bei all dem leidenschaftlichen wirren Reden verlor sich aus ihrer Stimme manchmal das nur ihr eigene silberne Klingen, die Worte mutierten in einen vollen fremden Laut hinein, und selbst der Sintlinger wurde ein wenig von der heißen Beklommenheit gestreift, von der seine Tochter erfaßt war, und so ließ er sie in einer Art Furcht los und bat sie, sich mit aller Macht zu wehren, wenn wieder ein solches Gemütswirbeln über sie herfallen wollte.

Während des Nachhausegehens durch das volle stille Sommerlicht, unter dem Wogen des Lerchenjubels in der Luft und dem weit gedehnten Schweigen der hochhalmigen Saatfelder kam Helene freilich wieder ganz in das ferne Verzaubertsein ihres Wesens. Sie faßte die Hand ihres Vaters, und der Heiligenbauer genoß das leichte, wundersame Spiel ihres schwebenden Ganges. Nicht nur das, die ganze Grenzenlosigkeit des kindlichen Aufgeschlossenseins kam wieder über sie, und scheinbar ohne Zusammenhang begann sie darüber zu plaudern, was sie auf der Fahrt zu dem Hemsterhuser Aufruhr erlebt habe. Da sei es ihr gewesen, als werde sie davongetragen, um nie, nie mehr zurückzukehren, nicht auf den Hofhübel, nicht zu ihrer Mutter, zu niemand, nicht einmal zu ihm, zu ihrem Vater, der doch, das Pferd lenkend, neben ihr gesessen habe. Aber das allerseltsamste sei doch gewesen, daß ihr lieber Vater während des Fahrens dort geblieben sei, wo er immer war; nur sie, sie allein habe sich rasend schnell mit jedem Hufschlag ins Ungewisse hinausgerissen gefühlt. Und eigentlich habe das seitdem nicht mehr recht aufgehört. Und auch heute nachmittag, als ihr Vater sie nach dem fernen Mann gefragt habe, sei das so gewesen. Manchmal sei das gar nicht hübsch und manchmal auch geradezu zum Fürchten und dabei doch schön, daß es sich gar nicht sagen lasse wie.

Als Helene das alles kraus und überstürzt herausgezwitschert hatte, fiel sie ihrem Vater um den Hals, küßte ihn stürmisch und versprach sich zusammenzunehmen und nicht mehr unartig zu sein. Er solle nur der Mutter nichts sagen.

Der Sintlinger strich ihr die Haare aus der Stirn und die Besorgnisse aus der Seele. Handverschlungen, beglückt aussehend wie immer, schritten sie durch das hintere Beipförtchen über den Hof. Aber als Helene vor ihrem Vater die wenigen Stufen emporstieg und durch die Haustür verschwand, fühlte der Heiligenbauer ein Verdunkeln so jäh in seine Augen fallen, daß er sich mit der Hand übers Gesicht fuhr, als sei dieser Seelenschatten ein Schleier, der sich wegwischen lasse.

Denn es mag wohl sein, daß ihn der Schmerz anfiel, der Eltern auferlegt ist, die ihr Kind durch den Übergang in ein anderes Lebensalter sich verdunkeln, verwirren, wie um eine Biegung des Weltweges verschwinden sehen, mit keinem Ruf der Liebe, mit keinem Weh der Sehnsucht zurückzulocken; es wird ihn auch der Kummer ergriffen haben über das Versiegen der geheimnisvollen Kraft des Lenleins, mit fernsichtigem Seelenblick das Auftauchen schicksalhafter Personen am Horizont seines Lebens zu schauen, und vielleicht geht man in der Annahme nicht fehl, daß ihn deswegen eine Empfindung der Schutzlosigkeit angefaßt habe, dem Gefühl des Kriegers vergleichbar, dem seine Waffen abhanden gekommen sind.

An einem Nachmittage saßen der Sintlinger, Johanna und das Lenlein an dem Eßtisch in der großen Stube.

Das Mädchen hatte den Kopf in die linke Hand gestützt und hörte in der stillen Zerstreutheit ihrer sechzehn Jahre dem Gespräch der Eltern zu.

Durch das geöffnete Fenster strömte die klare, stille Sonne des Nachsommers, der schon wanderunruhige Gesang der Vögel und der herbe Duft herbstnaher Fülle. Auf einmal lehnte sich Helene leidenschaftlich in den Stuhl zurück, faltete die Hände ineinander und versank in ein solch verzücktes Lauschen nach dem Gesang der Vögel, daß ihr Gesicht in den Schimmer einer heißen Verklärung getaucht wurde und stille Tränen in ihre blicklosen Himmelsaugen traten.

»Lenlein, was ist dir denn?« fragte der Heiligenbauer und legte besorgt seine Hand auf ihren Unterarm.

»Ich weiß nicht«, sagte sie ringend und lächelnd zugleich, »ich weiß nicht. Das Singen, das Singen! Hör doch bloß, wenn der Vogel so herunterschmettert, weißt du, da ist es einem geradeso, als fiele man in die leere Luft. Gott, wie im Traum von einem hohen Hause, man fällt und weiß nicht wohin.«

Johanna, die tüchtige Natur, verwies ihr ernst dies ziellose Schwelgen, von dem das Mädchen mehr und mehr verführt wurde.

»Weißt du, Kind«, sagte die Bäuerin, »mein Vater konnte solch ein Reden gar nicht leiden. Eine Frau, die ohne Knoten näht, näht leer. Und dann meinte er immer, daß jeder Mensch Hirt und Kuhherde auf einmal ist, und zwingt der Hirt die Herde nicht, so wird die Herde den Hirten regieren.«

»Ja, ja, Mutterlein«, erwiderte das Mädchen und lachte vergnügt. »Genau so ist es mit mir. Inwendig klopft es wie von tausend Ziegenfüßen. Nein, es ist nicht zu sagen wie.« Und noch während sie das sprach, stand sie, wieder ins Traumhafte entrückt, auf, als sehe sie an sich nieder, und fragte dann den Heiligenbauer leise wie mit der Neugier eines Halbschlafenden:

»Hab' ich nicht einmal getanzt, Vater? Als ganz, ganz kleines Mädchen. Du? Den Rain hinunter und herauf ging das: La, la, la, laaa! Lalala, laaa. Lalala, laaa! La, la, la. Laaa!«

Und sie begann singend sich in der Stube zu drehen.

Aber der Heiligenbauer fing sie schon nach einigen Wendungen in den Armen auf.

»Komm, liebes Lenlein, komm her und setz dich«, sagte er und führte sie auf den Stuhl zurück. »Der Hemsterhuser Aufruhr hat dich doch sehr erregt.« Doch Helene war von ihren Erinnerungen nicht loszukriegen. Sie saß da, fortwährend still und verwundert in sich hineinhorchend.

»Nein – nein – so was!« sagte sie erstaunt. »Es wird immer mehr anders. Sonst, wenn ich gesehen und gehört habe, ist alles aus dem Weiten in mir gekommen. Jetzt kommt alles in mich hinein. Ganz, ganz anders. Ich weiß und weiß das nicht, was das bedeuten soll! Vorhin war das Harmonikaspiel ganz weit ... ganz weit weg.«

»Harmonikaspiel?« fragte Johanna fast hart. »Dummes Mädel! Woher soll denn in aller Welt jetzt Harmonikaspiel kommen?«

»Jawohl, Harmonikaspiel«, erwiderte Helene leidenschaftlich. »Gottlieb hat mir doch damals gespielt. Ich hör's ganz deutlich. – Ach! – Und nun kommt es immer näher ... und es ist ... als ob ... nun geht es ganz leise oben durch unser Haus ...«

Indes sie so abgerissen sprach, war sie wieder, mit allen Sinnen in die Ferne dringend, aufgestanden und ging dann, wie hypnotisch davongetragen, aus der Stube.

Helene war in Haus, Hof und Feld trotz ihrer Blindheit so sicher, daß der Sintlinger und seine Frau sie auch jetzt gehen ließen, in der Meinung, sie trete nur vor die Haustür.

»Ich weiß nicht, was das heißen soll«, sagte die Bäuerin, unter besorgtem Kopfschütteln ihr nachsehend. »Das Mädchen ist gar nicht mehr dieselbe.«

»Du meinst auch, seit sie mit mir in Hemsterhus war. Vielleicht von der Angst vor dem Prahl-Meixner«, sagte der Sintlinger.

»Ja, Andreas, man könnte das sagen, freilich«, antwortete Johanna. »Oder es kommt alles davon, weil sie doch jetzt in die Natur kommt ...« Aber die Heiligenbäuerin unterbrach sich, scharf ins Haus horchend. »Ach Gott«, sagte sie dann überstürzt. »Hörst du nicht? Sie geht ja über die Bodenstiege! Andreas, da wär's doch besser, du gingst ihr nach. Die Treppe hat eine so böse Kehre.«

Der Sintlinger lief sogleich hinaus. Er fand den oberen Flur leer, sah niemand auf der ersten Bodenstiege, hörte keinen Schritt mehr, vernahm aber dafür Lenleins dringende Stimme, und als Antwort tönten um und um unbeholfene Männerworte.

Er konnte nicht vernehmen, was geredet wurde. Und nun war er auf dem unteren Boden angekommen, schritt den schmalen Gang vorsichtig hin und gelangte vor die offene Tür einer Kammer.

Dort bot sich ihm ein verwunderlicher Anblick. Gottlieb kniete oder kauerte vor Helene (er konnte das nicht genau sehen, weil das Mädchen ihn zum Teil verdeckte) und hielt eine ihrer Hände in seinen großen, viereckigen Greiforganen. Alles war von dem Dämmerdunst des Bodens umflossen, ein verwunschenes, traumhaftes Bild, das der Heiligenbauer verwundert ein Weilchen genoß.

Doch jetzt empfand Helene den hinter ihr stehenden Sintlinger und rief, sich umwendend, mit beglückter Stimme:

»Siehst du, Vater, das Harmonikaspiel war doch auf dem Boden! Aber, Gottlieb, nun steh doch auf. Er will wieder zu uns, denk, und hat Angst, daß wir noch alle böse auf ihn sind. Das ist doch nicht wahr! Komm, Vater, sag' du's ihm. Mir will er nicht glauben.«

So sprudelte das Lenlein durcheinander und trat dann auf die Seite.

Nun sprang Gottlieb auf und ging dem vollends hereintretenden Heiligenbauer entgegen. Sein durcheinandergehügeltes Gesicht war beinblaß, die Augen lagen in stillem Feuer in den geräumigen Höhlen. So stand er vor dem Sintlinger und sagte stockend und bebend alles, was sein beladenes Herz seit Jahren so wirr getragen hatte. Der Schluß war, daß er wieder auf den Heiligenhof müsse, sonst komme er wahrhaftig um. Man solle ihm alles vergeben, was er Böses und Dummes getrieben habe. Er habe gebüßt genug und glaube, daß er sich nun ganz und gar »ausgemeixnert« habe. Der Heiligenbauer ließ ihn nicht ganz ausreden. Er war ergriffen von der Treue des Burschen, wenn ihm auch die neue Verknüpfung mit den Querhovener »Menschenchristen«, denen Gottlieb doch anhing, nicht genehm war. Am tiefsten bewegten ihn die wundersamen Umstände, unter denen sein Lenlein das heimliche Einschleichen Gottliebs auf den Hof wahrgenommen hatte. Denn nun merkte er, daß seinem Kinde auch in dem jungfräulichen Leben die rätselhafte Kraft doch nicht ganz abhanden gekommen war, und schöpfte die Hoffnung, auch sein Leben wieder weiter und weiter in einsame Höhen führen zu können. Er nahm deshalb den Burschen bei der Hand und führte ihn durchs Haus der Bäuerin zu. Diese empfing ihn mit frischem Wohlwollen, und als sie alles gehört hatte, war auch sie von Verwundern ergriffen und fragte den Gottlieb schelmisch, wo er denn nun die Harmonika gelassen hätte, auf deren Spiel das Lenlein aus der Stube ihm nachgeeilt sei. Denn ihr wäre es gerade lieb, wenn er jetzt ein recht lustiges Stücklein herunterspielte.

Aber der Bursche antwortete verdutzt, daß er die verehrte Bäuerin ganz und gar nicht verstehe. Er sei so, wie er dastehe, auf den Hof gekommen. Von einer Harmonika sei nicht einmal ein Klappenstift in seiner Tasche. Ach, und Spielen! Spielen tue er seit Jahr und Tag und Tag und Jahr nicht mehr. Das sei für immer alle. Oder er wüßte nicht, was passieren müßte, daß er noch einmal Lust darauf bekäme.

»Ich habe nicht gespielt, Bäuerin. Meiner Seele nicht!« beteuerte er am Schluß noch einmal, weil Johanna mit gespannt lächelndem Mißtrauen, wie vor einer schalkhaften Überraschung, von einem zum andern sah.

»Ja, aber was soll denn das sein?« rief sie jetzt laut. »Dann hat es dem Lenlein eben was vorgemacht.«

Da flüsterte der Heiligenbauer seiner Frau etwas ins Ohr, daß sie ihr Mädchen nun noch mit größerem Verwundern ansah. So stark war das Andringen ihrer Blicke, daß das Lenlein, über und über rot, sich ihrer Mutter an den Hals warf und glühend sagte: »Er hat doch gespielt, Mutter. Ach, und wie schön hat er gespielt»


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