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Achtes Kapitel

Doch niemand kann den Lauf eines Flusses hemmen, wenn er mit Blumen seinen Wellen wehrt, und wär' es auch ein mächtig großer Strauß. Die Christen aber, wie sich die »stillen« Querhovener kurz selber nannten, richteten mit ihrer sanften Unbeirrbarkeit gegen die Hemsterhuser Ketzerkämpfer und vor allem gegen ihre eigenen wilden Glaubensbrüder auch nichts aus. Eigentlich wollten sie das ja gar nicht. Sie fühlten sich nur vor ihrer reinen Seele und vor Gott, wie sie ihn verstanden, gebunden und lehnten es ab, Hammer oder Amboß zu sein.

Um sie herum aber ging das tolle Pinkepank weiter.

Denn die wilden Meixnerianer hatten mit ihrem rücksichtslosen Weckruf durch das zerstoßene Fenster wirklich nicht unrecht gehabt. Auf das Drängen des Kantors hin hatte sich der Pfarrer von Hemsterhus entschlossen, gegen die Glaubenswidersetzlichkeit der Querhovener mit Gewaltmitteln einzuschreiten, wenn die bisher angewendete milde Kirchenzucht an ihrer Halsstarrigkeit zuschanden werden sollte. Die Gemeindeflur von Querhoven war mit Ausnahme des früheren Meixnerschen Gutes zum Teil Eigentum des Fürsten Arenberg. Der andere Teil gehörte als Widmut dem jeweiligen Pfarrer von Hemsterhus. Nur den Hausfleck, ein kleines Gärtchen und die Hütten besaßen die meisten Querhovener Wirtschafter eigentümlich. Die Ackerstreifen, deren Ertrag die Hälfte ihres Unterhaltes ausmachte, hatten sie seit undenklichen Zeiten von der Herrschaft und dem Pfarramt zu Hemsterhus in Pacht. Niemand wußte, daß es je anders gewesen war; keinem fiel es ein, auf welche Weise irgendeinmal eine Änderung eintreten könnte. Denn was die Notdurft schmiedet, findet im Gebrauch seine einzige Erklärung. Also ernteten die Querhovener Spunddreher und Speilhobler seit immer ihren Kohl, Kartoffeln, ein Schöcklein Korngarben, einige Buschen Hafer von den Äckerchen und trugen getreulich um Johanni und Silvester den Pachtschilling auf den Pfarrhof zu Hemsterhus oder zu dem Oberförster Wiesner in Dingden, wie andere den Zins zu dem Gläubiger tragen, und manch ein Zwirnbeißer mochte sich alle Pachtsümmlein von Vater, Großvater und noch weiter hinauf zusammengerechnet und gefunden haben, daß das Äckerchen schon lange mehr als bezahlt sei, und wenn er eines schönen Tages mit einem fürstlichen und geistlichen Kopfnicken zum unumschränkten Herrn des Ackers eingesetzt würde, so brauchte auf der ganzen Welt nicht ein Haar verrückt zu werden. So sehr liefe das nach dem Lot des Rechtes, daß es sich kaum lohnen würde, zum Dank ans Mützenschild zu greifen.

Als die Meixnerianer darum in der Nacht den Warnruf wegen Haus und Hof ausstießen, hielten die meisten der stillen Gottesfreunde die Besorgnis nur für einen Rauch aus aufgeregten Hirnen. Allein, in den Tagen bis zu Neujahr rispelte doch allerhand von allen Seiten herbei. Meixner-Elis schob geschäftig ab und zu, und unter den Leuten seines Anhanges gab es ein immerwährendes heimliches Gelauf, daß auch der geruhige Teil der Täufer sich in seiner Art auf eine unangenehme Überraschung innerlich faßte.

Bis zum zweiten Tage nach Neujahr war jeder mit sich eins geworden, auf welche Weise dem Drohenden zu begegnen sei. Und wirklich, nachdem die einen auf der oberförsterlichen Kanzlei, die anderen im Pfarrhofe zu Hemsterhus die Pachtgroschen auf das Zahlbrett gelegt hatten, wurde ihnen hier wie dort eröffnet, daß eine Einziehung der Lohnäcker in irgendeiner Zeit sehr wohl möglich sei, und daß die Leute gut täten, sich nach einer neuen Pacht, vielleicht aus dem Meixnergute, umzusehen. Wie ein besprochenes Spiel wirkte das gleiche Vorgehen der beiden Stellen, und von wem das Stücklein eingefädelt war, darüber konnte kein Zweifel sein, weil der Pfarrer, bei dem einen heftiger als bei dem andern, mit dem Glaubensprügel gewinkt hatte, indem er von der Berechtigung zeitlicher Strafen für Vergehungen an Gott und seiner heiligen Kirche sprach.

Allein, weder die Stillen noch die Wilden wurden damit aus den Angeln gehoben.

»Der Herr Christus wird es in Ihnen schlichten, wie es recht ist«, antworteten die einen, lächelten gütig und gingen leise und manierlich durch die Tür. Die anderen ließen ihr Gesicht funkeln, brachen jäh in ein widersetzliches Hohnlachen aus und sagten wohl gar, daß ohne Axt noch kein gesunder Baum gefallen sei, warfen die Mütze auf den Kopf und polterten aus dem Hause.

Der Oberförster Wiesner in Dingden war ein gerader Geist, und auf seinem gesunden Brustfleck nistete sich so leicht keine Ungerechtigkeit, kein Spinnengift ein. Als er darum den vollständigen Mißerfolg der Drohung bemerkte, schreckte er davor zurück, der Kirche noch weiter behilflich zu sein, um des Glaubens willen arme Leute in Not und Elend zu bringen. Er ließ also den Pfarrer wissen, daß die fürstliche Verwaltung nicht gesonnen sei, auf dem beschrittenen Wege weiter fortzudrängen, weil durch den wahrscheinlichen Abzug vieler Familien die Forsten um tüchtige Arbeitskräfte kämen, die bei dem Mangel an Leuten nicht so leicht, und vor allem so gut ersetzt werden könnten. Er warne vor Überspannung und Härte, weil sonst auch zu befürchten stehe, daß zu dem kirchlichen Grind noch die sozialdemokratische Pest komme.

Doch nichts ist schlechter zu regieren als ein Greis, der aus der Hut seiner Lebenserfahrung hinausgedrängt worden ist. Ardelt gab also dem geraden, gerechten Manne eine gesalbte Antwort, die noch dazu mit allem geistlichen Hochmut gewürzt war.

Zum Unglück ging in dieser Zeit einer der rührigsten unter den heißen Schwärmern mit dem Tode ab. Es war einer von denen gewesen, die dem Pfarrer am neujährlichen Zinstage mit einer höhnischen Antwort über die Nase gefahren waren. Den schwindsüchtigen, ausgezehrten Mann hatte es an der Hobelbank gepackt und in die Späne geschlagen, daß er ohne Beichte und Kommunion, die er sowieso seit Jahren gemieden, davongefahren war.

Als ihm Ardelt nun das kirchliche Begräbnis verwehrte und der Totengräber für ihn neben den Gehängten ein richtiges Sünderloch in die Erde wühlte, kamen seine Freunde überein, diesmal, gehe es hin, wohin es wolle, hart gegen hart zu setzen.

Der Vanlyßender warnte sie wohl vor aller Gewalttat, und als sie doch nicht nachlassen wollten, überwand er sich und suchte sogar den Meixner-Elis selbst auf, um ihn mit beweglichem Einspruch darauf aufmerksam zu machen, wie gefährlich so ein Beginnen für die ganze Gemeinde der Gottesfreunde sei, und wer nicht den Entschluß gefaßt habe, sich zermalmen zu lassen, der solle auch nicht den Finger zwischen die Zahnräder einer Maschine stecken. Allein, er richtete bei dem unheimlichen Manne nichts aus. Wer immer und immer das Feuer mit Zunder löschen wolle, sagte Meixner, der müsse auch einmal erfahren, wie die Flamme dem eigenen Leibe tue.

Die aufgestachelten Schwärmer blieben bei ihrem Willen und hoben ihrerseits an einer bebuschten Stelle der Lehne zwischen Querhoven und dem Gebiet der Fremdhöfe, an der sie sich oft versammelt hatten, ein Grab für den Toten aus und schafften einen mehrere Zentner schweren Stein herbei.

An dem Abende nun, da die Leiche auf dem Hemsterhuser Kirchhofe versenkt werden sollte, trugen die Schwärmer den Sarg mit ihrem toten Freunde hinaus unter die Bäume. Es war ein unheimlicher Leichenzug. Schweigend, gesenkten Hauptes, zu zweien und dreien nebeneinander, mit krampfhaft verschlungenen Händen, so gingen sie dahin. Viele der Männer trugen eine Hacke oder eine Schaufel auf der Schulter. In dem frühjährlichen Abenddunkel, das alles greller und schwankender zugleich macht, sahen sie selber wie Schatten aus, die ihrem eigenen zerbrochenen Leben folgen. An der Spitze des Zuges wurde ein Kreuz getragen, wie eben aus dem Busch gebrochen, das Querholz mit Stricken festgebunden. Nur ab und zu unterbrach ein Weinstoß der Witwe die unheimliche Stille, dem wie ein machtloses Echo das wehe Wimmern der vaterlosen Kinder folgte. Den Schluß des Trauergefolges bildete der Meixner-Elis, der, ganz abgefallen, nur noch Haut und Knochen, tief gebückt mit Hilfe eines Stockes in einem Abstande folgte. Brandrote Haarsträhnen hingen an seinen eingefallenen Schläfen nieder, er schien todestraurig und lebensüberdrüssig zum Umfallen. Als der Zug am Rande des Gehölzes angekommen war, steigerte sich das Weinen der Witwe und der Kinder so, daß allen ein Schauer durch die Haut rieselte. Der Prahl-Meixner aber hob den Kopf, stutzte einen Augenblick in Ratlosigkeit, sah sich dumpf um und stieß dann einen Schmerzenslaut aus wie das Gebrüll eines sterbenden Stieres. Hier am Waldgrabe hielt er nun seine erste große Rede. Es war ein artikuliertes Gewitter, ein heißes Gebläse, wildes Aufzucken, mehr eine bloße Aneinanderreihung von Ausrufen, Beteuerungen und Beschwörungen. Alle sahen furchtsam auf ihn, und es hätte sie vielleicht nicht überrascht, wenn er an den fanatischen Ausbrüchen seiner Inbrunst auf der Stelle gestorben wäre.

»Brüder! Schwestern! Feuerbrände Gottes!« rief er zuletzt. »Von heut an soll dieser Ort, wo wir unsern Freund begraben, Gethsemane heißen. Denn von hier an beginnt unser Leiden. Aber ich werde mich opfern, wenn es sein muß, für unsere gute Sache, für euch, für den wahren Glauben. Anders werde ich mich opfern wie dieser Schönbläser von Heiligenbauer, der nun schweigt und sich duckt in seinem Wohlleben, da das Schicksal mit stählerner Striegel unser Haar strählt. Und jetzt senkt den Bruder in die Erde und wälzt den Stein auf seinen Sarg, daß niemand seine Ruhe stören kann als Jesus Christus allein. Als Geächteter gingst du dahin, Bruder, als ein reines Licht wachst du auf vor Gott, dem Herrn, wie auch bald wir aufwachen werden wie eine ausgeruhte Flamme und ein fressendes Feuer. Der Morgen naht, der Sturm! Amen!«

So erschüttert waren alle von seinen Worten, daß den Männern die Hände bebten, die den schweren Stein auf den Sarg wälzten und dann einen Erdhügel über ihn türmten, auf den sie das mitgebrachte Kreuz steckten. Darauf zerstreuten sich alle nach allen Richtungen ins tiefe Dunkel. Denn von dem Dorfe her nahte schnellen Schrittes ein Mann, den man wohl für den Gendarm halten konnte. Die Frauen zogen die Oberröcke über den Kopf, die Männer entledigten sich auch ihrer Röcke, nahmen sie über den linken Arm, schwangen die Schaufel oder die Hacke auf die Achsel und gingen jeder auf einem anderen Rain, von allen Richtungen her, dem Dorfe zu, gleich Arbeitern, die vom Feld und aus dem Wald kommen.

Bald darauf erhielten sie die Aufforderung des Pfarrers und der Polizei, den Toten auszugraben und auf dem Kirchhof zu Hemsterhus zu bestatten. Sie blieben hartnäckig und antworteten, die Leiche sei ehrlich zur Ruhe bestattet worden. Wer ein schändliches und ehrloses Begräbnis wolle, der solle es halten, wie er es vor Gott verantworten könne. Sie rührten gewiß keinen Finger an.

Die Aufregung wuchs.

Meixner hielt Predigt um Predigt, jede wilder, lodernder als die andere. Es rauchte förmlich aus seinem Munde. Wie ehemals, da er noch trank, war er in einem fortwährenden Rausche.

Eines Tages verschwand er ganz aus dem Ort und der Gegend und hinterließ die Kunde, wenn sein Haus in Flammen aufgehe, habe der Herr es selber angezündet. Dann sei die Zeit gekommen.

»Ehe nicht eine Blutschuld an uns begangen und zu sühnen ist, werdet ihr mich nicht mehr wiedersehen.« Dies waren die letzten Worte, die der Prophet vor seinem geheimnisvollen Weggang verbreiten ließ.

Nun folgten sich die Ereignisse wie die Hufschläge eines galoppierenden Pferdes.

Liborius Pfeiffer sonderte die Querhovener Kinder in der Schule ganz von den übrigen ab und nannte die Bänke, auf denen sie saßen, Satansbänke. Der Pfarrer Ardelt übersandte seinen zwanzig Pächtern am ersten April die Mitteilung, daß sie am ersten Oktober die Lohnäcker an das kirchliche Amt zurückzugeben hätten. Zugleich wurde einem allgemein verhaßten Querhovener Zwischenträger die ganze Widmut zur Bewirtschaftung übertragen. Dieses schnelle Heraufkommen einer gemeinen Seele vermehrte die Bitterkeit und den Schmerz bei jenen, die vor dem Ruin standen, wenn nicht in Kürze sich ein Ausweg bot. Einige wandten sich an die fürstliche Verwaltung um Gewährung einer Pacht, erhielten aber einen abschlägigen Bescheid, wenn auch ihre Einstellung als Waldarbeiter in Aussicht genommen wurde. Andere begannen sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, Haus und Garten, wenn nicht anders, an die Herrschaft zu verkaufen, ins Kohlengebiet zu ziehen und dort Bergmann zu werden. Schlechter gehen könne es ihnen auf keinen Fall, und was sie an Sonne und Freiheit weniger hätten, würde durch den hohen Verdienst doppelt aufgehoben.

Aber alle waren bedrückt. Wohin sie gingen, es geschah wie zum Abschied; was sie sahen, trug die melancholische Farbe des Trennungswehes; was ihnen klang, ergriff wie ein letzter Gruß. Selbst die Abgestorbenen im Grabe regten sich auf. Aus dem einen Hause sah man eines Abends die vor zwei Jahren verschiedene Großmutter aus dem Felde hereinkommen. Sie hatte die Schürze heraufgesteckt und sammelte bald von rechts, bald von links Handvoll Ackers hinein. Und je mehr die Last in ihrer Schürze wuchs, je mehr die Alte zur Erde gezogen wurde, desto leidenschaftlicher wurden die Gebärden ihres Schmerzes. Sie schlug sich an die Brust, rang die Hände und warf dann wieder wie zur Anklage die Arme in die Höhe. Dazu weinte sie heftiger und heftiger, daß es zuletzt war, als schluchze die ganze Welt mit. Baum, Hügel, Wolke: alles bebte in der Dämmerung wie vor großem Schmerz. In dieser wehen Erschütterung erlosch die Erinnerung plötzlich, und alle, die es mit angesehen hatten, fielen sich um den Hals und brachen auch in Tränen aus.

Acht Tage darauf sammelte der Hemsterhuser Küster während des Hochamtes wie immer mit dem Klingelbeutel seine Pfennige ein. Aber so oft heute ein Querhovener nur den Arm ausstreckte, auch seinen Kupferling beizusteuern, riß der fanatische Mann den Klingelsack weg, sein Blick wurde grimmig, und der Mund kniff sich ein.

So fielen viele Ketzerpfennige unter die Bank, und als einer auf den Boden vor den Küster rollte, schippte ihn der mit dem Fuße fort, daß er den ganzen Gang entlang schwirrte. Dort am Ende stand ein armer, blasser Querhovener Junge mit seinem Gebetbüchlein neben einer Bank hart bei seiner Mutter, die auf dem untersten Platz saß. Als der Knabe den fortgestoßenen Pfennig am Boden hinlaufen sah, bückte er sich, fing ihn schnell mit den Fingern ein und freute sich, nun auch einmal wie ein Großer etwas in den roten Klingelsack werfen zu können. Denn was der Küster trieb, hatte er noch nicht bemerkt, weil er zu andächtig aus seinem Buche gelesen hatte. Die Brederoder und Hemsterhuser aber, als sie das sahen, lachten in sich hinein, spitzten die Augen, was nun werden würde, oder nickten dem Küster gar ermunternd zu.

Als nach einer Weile nun der Küster an die Bank des Knaben kam, wollte dieser richtig den erhaschten Pfennig hineinspedieren, brachte es aber nicht fertig, weil im gleichen Augenblick der Klingelbeutel mit einem Ruck auswich und davonfuhr. Aber das Junglein wollte sich durchaus auch einmal als Geber fühlen, hob den Pfennig wieder auf und versuchte darum ein zweites Mal sein Glück mit dem Klingelsack. Der aber hüpfte nicht nur wieder zornig weg, sondern der Knabe erhielt bald darauf mit dem dicken Ende des langen Stockes aus Versehen einen furchtbaren Stoß ins Gesicht. Das Blut sprang aus einer Stirnwunde, der Knabe wurde blaß, taumelte und schlug mit lautem Gestöhn auf die Fliesen.

Nicht viel fehlte, und die Querhovener wären beim Anblick dieser Roheit in einen einzigen Schrei ausgebrochen. Man bezwang sich aber. Die meisten standen ruhig auf und verließen auf der Stelle das Gotteshaus. Umsonst unterbrach der Pfarrer seine Zeremonien und befahl ihnen vom Altar her, hierzubleiben. Niemand kehrte sich daran, sie gingen schweigend davon.

In derselben Nacht loderte das kleine Holzhaus des Meixner-Elis in Flammen auf. Das Feuer raste und heulte, wie von einem unterirdischen Gebläse angefacht. Es war eine einzige Riesengarbe aus roten und gelben Flammen. Sie stand in der Windstille gerade und hoch ins Finstere, und Funken, wie feurige Körnchen, stoben dann und wann an den Seiten nieder.

Ein Fanal Gottes!

Niemand rührte den Finger, zu löschen, und wer etwa zugreifen wollte, wurde von den Schwärmern zurückgehalten. Sie standen in einer unheimlichen Starre der Erwartung umher, wie Bäume in der Stille vor dem Sturm von der Erde aufragen, mit erschlafften Ästen, stillmüden Blättern, mit einem Säuseln, das sich anhört wie ein innerliches Rieseln des Erschauerns. Und wenn sie eine Weile die Last ihrer unaussprechlichen Spannung mit zu Boden gekehrtem Gesicht stumm getragen hatten, fuhren sie sich mit unsicherer Hand über die heiße Stirn, blickten sehnsüchtig nach allen Seiten in die Nacht hinaus, nickten einander schmerzvoll zu und sagten müde: »Er wird nicht kommen«, oder: »Paß auf, Bruder, wir sind zum Narren gehalten.«

Da brach unvermutet mit Getöse das Dachgesparre des brennenden Hauses zusammen, und ein Funkenregen stob gewaltig nach allen Seiten empor, daß die Zuschauer zurücktreten mußten, um nicht versengt zu werden. In dem Augenblick der Betroffenheit, der diesem letzten Ausbruch des Feuers folgte, hörten viele von der Dingdener Lehne her überstürztes Gepolter eines stiefelschweren Laufes auf dem steinigen Weg. Immer näher kam es.

Schon konnte man einen riesigen Schatten erkennen. Zugleich ertönte von Hemsterhus und von Brederode her stärker und schwächer das Geläut nahender Spritzen, Peitschenknall und Fuhrmannsrufen. Aber die Aufmerksamkeit der Schwärmer war vollkommen nach der Lehne hin gerichtet.

Er war es!

Keuchend, wie eine überhitzte Maschine, tobte er heran.

»Meixner, lieber Bruder, Meixner!«

Die Schwärmer drängten ihm entgegen. Aber er sauste durch sie hindurch und sprang, auf einen Augenblick von der Glut rot überleuchtet, wie ein aufrechtes Raubtier in langen, plumpen Sätzen an seinem brennenden Hause vorüber; ohne sich auch nur umzusehen oder im Rasen seines Laufes innezuhalten, rannte er quer durchs Dorf, seine Anhänger hinter ihm her.

Er war nicht einzuholen, so schnell lief er noch immer. Schon außerhalb des Dorfes auf halber Höhe der jenseitigen Lehne schrie er: »Nach Gethsemane!« und fing zugleich an, langsamer zu gehen. Als aber seine Anhänger an ihn herankommen wollten, wehrte er sie ab, indem er drohend rief: »Niemand darf mir nahe kommen!«

Einige Neugierige von den stillen Enderleuten und auch Katholiken des Ortes folgten dem davonbrausenden Zuge der Schwärmer in einem Abstand und warteten von ferne, um zu erfahren, was sich ereignen werde.

Anfangs war alles totenstill. Nach langem erhob sich ein Regen und vorsichtiges Hin- und Widergehen und dann ein halblautes, monotones Gemurmel wie das dumpfe Wogengetön eines ferne dahinziehenden Flusses, erstarb, hob an, setzte aus und rollte dann wieder endlos eintönig weiter in der lauen, stillen Frühlingsnacht, in deren klarer Höhe die Sterne grell und unruhig flackerten wie rote, grüne und weiße Feuerbüschel.

So ging es bis gegen Mitternacht.

Da begann sich der Wind in den Bäumen zu erheben und übertönte das endlose Gebet der Schwärmer.

Müde vom langen aussichtslosen Lauschen verloren sich die Neugierigen und kehrten kopfschüttelnd einer nach dem andern ins Dorf zurück.

Aber als das letzte Licht in den Hütten des Dorfes verlöscht worden war, begann ein brausendes Singen aus Gethsemane hervorzubrechen und steigerte sich zu solch wilder Macht, daß zeitweilig das Sausen des Windes in den Baumkronen übertönt wurde.

Der Vanlyßender, dessen Wirtschaft der Andachtsstätte der Schwärmer am nächsten lag, konnte diese Nacht nicht schlafen, erhob sich und ging hinaus gegen den Lärm hin und stand, von dem Stamm eines Feldbirnbaumes gedeckt, in der Nähe.

Kaum daß das Lied der Männer verstummt war, erhob der Prahl-Meixner seine Stimme. Schon die Anfangsworte waren furchtbar. »So will ich auch werden gegen sie wie ein Löwe, und wie ein Parder auf dem Wege will ich ihnen auflauern«, schrie er. »Ich will ihnen begegnen wie ein Bär, dem seine Jungen genommen sind, und will ihr verstocktes Herz zerreißen und sie daselbst fressen wie ein Löwe, so sagt Hosea im dreizehnten Kapitel.«

Dann fuhr er mit ruhigerer Stimme fort: »Die Leute sagen: Mit Licht vermag niemand Holz zu spalten, und hat der Metzger den Mut nicht, den Stier zu töten, so wird er von dessen Hörnern erstoßen werden, und die Leute müssen verhungern, weil sie keine Nahrung mehr haben. Damit wollen sie sagen, auch die Räder an den Gefährten Gottes werden mit Wagenfett geschmiert, und niemand wird satt, er mache sich denn ein Gericht, in dem jeder zweite Bissen ein Unrecht ist. Hütet euch vor solchen Gedanken und Gefühlen, meine Brüder. Das sind stumme Gäste an dem Tisch eurer Seele, die das Gut eures Lebens verprassen. Sie stammen von dem Verfluchten auf dem Heiligenhübel. Ich aber will euch ein anderer Führer, ein anderer Prophet sein. Ich trete diesen Zwerg samt seiner Blinden in den Kot, wenn er mir entgegentritt. Ich zerbreche die Häuser der Gottlosen und schmeiße ihre Türen auf den Weg. Erhebt euch, Brüder, der große Tag ist da! Wir haben die Würfel in der Hand und werden jene wie Spreu in alle Winde streuen, die das Blut unserer Kinder vergossen haben und als Bettler in die Welt treiben wollen.

Ich war in den zwei Wochen weit im Reiche und habe mir Rat geholt bei dem Herner Rebellen, der einstmals wie ein Sturm durch unser Land gefahren ist.«

Länger konnte der Vanlyßender nicht zuhören. Ihn ergriff ein Schauern der Furcht. Er schlich sich davon, ging zu den Häusern seiner Freunde, klopfte sie heraus und mahnte, sich morgen bereit zu halten, der wilde Meixner predige Aufruhr.


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