Frau von Staël
Corinna oder Italien
Frau von Staël

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Neunzehntes Buch.

Oswalds Rückkehr nach Italien.

Erstes Kapitel.

Wir gehen nun auf die Ereignisse zurück, die sich in Schottland zutrugen, seit Corinna an jenem Fest-Abend das schwere Opfer ihrer Liebe brachte. Als Lord Nelvil von dem Bedienten den Brief erhalten hatte, der über sein Schicksal entschied, verließ er, um ungestört lesen zu können, den Tanzsaal; und wie er nun Corinnens Handschrift, ihr kurzes »Sie sind frei!« und seinen Ring erblickte, ward er von dem heftigsten Unwillen und zugleich von bitterem Schmerz ergriffen. Seit zwei Monaten fehlte ihm jede Nachricht von Corinna, und nun wurde dieses Schweigen durch ein kurzes Wort, durch eine so entscheidende That gebrochen! Er zweifelte nicht länger an ihrer Untreue, und erinnerte sich alles dessen, was Lady Edgermond über den Leichtsinn und die Unbeständigkeit der Stieftochter geäußert hatte. So nahm er schnell eine feindliche Haltung gegen Corinna ein, denn er liebte sie noch genug, um ungerecht gegen sie sein zu können. Er vergaß, daß er schon seit Monaten den Gedanken, sie zu heirathen, völlig aufgegeben, daß Lucile ihm ein sehr lebhaftes Wohlgefallen eingeflößt hatte, und hielt sich für den gefühlvollen, von einer treulosen Frau verrathenen Mann. Er war verwirrt, entrüstet, unglücklich; über diesen Empfindungen aber herrschte, stärker als sie alle, ein beleidigter Stolz, der ihm das Verlangen anregte, sich der Frau, die ihn verlassen hatte, überlegen zu zeigen. In Herzensneigungen sollte man sich des Stolzes nicht weiter rühmen. Meistens ist er nur da zu finden, wo die Eigenliebe über die Liebe den Sieg davon trug; und hätte Lord Nelvil Corinna noch wie in den Tagen von Rom und Neapel geliebt, würde die Entrüstung über ihr vermeintes Unrecht ihn nicht von ihr losgemacht haben.

Seine Aufregung entging Lady Edgermond nicht; sie barg unter kaltem Aeußern das leidenschaftlichste Gemüth, und die tödtliche Krankheit, welche ihr drohte, steigerte nur ihre eifrige Sorge für die Tochter. Sie wußte, daß dieses arme Kind Lord Nelvil liebte, und bangte vor dem Gedanken, der Tochter Glück vielleicht selbst auf's Spiel gesetzt zu haben, als sie Jenen zu einem häufigeren Besuche ihres Hauses Veranlassung gab. Sie verlor deshalb Oswald nicht aus den Augen und blickte mit einer Scharfsicht in sein geheimstes Innere, die man so oft besonders dem weiblichen Geiste zuschreibt, und welche doch nur von der, durch ein wahres Gefühl geschärften Beobachtungsgabe herrührt. Sie nahm die erwähnte Erbschaftsangelegenheit zum Vorwande, um sich für den folgenden Morgen eine Unterredung mit Lord Nelvil zu sichern. Im Laufe dieser Unterredung durchschaute sie sehr schnell, daß er sich von Corinna verletzt fühlte, und um diesen Groll durch die Vorstellung einer edlen Rache zu schmeicheln, erklärte sie sich bereit, die Stieftochter anzuerkennen. Lord Nelvil war von dieser plötzlichen Veränderung in den Gesinnungen der Lady Edgermond zwar überrascht; indessen errieth er doch, wiewohl es ihm in keiner Weise angedeutet worden war, daß dieses Anerbieten wohl nur dann seine Ausführung erfahren dürfte, wenn er Lucilens Gatte würde, und in einem jener Augenblicke, wo man früher handelt, als denkt, warb er bei der Mutter um der Tochter Hand. Die entzückte Lady vermochte sich kaum so viel zu beherrschen, um nicht ein gar zu begieriges »Ja« zu sagen. Lord Nelvil erhielt die Einwilligung, und er verließ das Zimmer durch eine Verpflichtung gebunden, die einzugehen er keineswegs die Absicht gehabt, als er gekommen war.

Während Lady Edgermond Lucile auf seinen Besuch vorbereitete, ging er in großer Erregung im Garten auf und nieder. Er sagte sich, daß Lucile ihm eben deshalb gefallen habe, weil er sie wenig kenne, und daß es Thorheit sei, sein ganzes Lebensglück auf den Reiz eines Geheimnisses zu gründen, welches nothwendigerweise sich doch enthüllen müsse. Eine Regung der Zärtlichkeit für Corinna stieg wieder in ihm auf; er gedachte seiner Briefe an sie, und wie diese ihr die Kämpfe seiner Seele nur allzu kränkend ausgedrückt haben mußten. »Sie that Recht, mir zu entsagen«, rief er; »mir fehlte der Muth, sie glücklich zumachen; doch es hätte ihr schwerer werden sollen und diese kalten Zeilen ... aber wer weiß, ob sie nicht unter Thränen geschrieben wurden?« und bei diesem Gedanken flossen die seinigen. Verloren in tiefes Sinnen, entfernte er sich von dem Schlosse weiter und weiter, und die Bedienten, welche ausgesendet waren, um ihm zu sagen, daß er erwartet sei, hatten ihn lange zu suchen. Wunderte er sich doch selbst über seine geringe Ungeduld, als er nun eiliger zurückkehrte. Bei seinem Eintreten fand er Lucile vor der Mutter auf den Knieen, das Haupt in deren Schooß bergend. Sie war in dieser Stellung von der rührendsten Anmuth. Als sie Lord Nelvil kommen hörte, schlug sie die thränenvollen Augen zu ihm auf und sagte, ihm die Hand reichend: »Nicht wahr, Mylord, Sie nehmen mich nicht von der Mutter hinweg?« – Oswald fand diese Form, ihr Jawort zu sprechen, höchst liebenswürdig; auch er kniete vor Lady Edgermond nieder, und sich zu Lucile neigend, entrückte er mit einem ersten Kusse dieses unschuldige Geschöpf seiner Kindheit. Tiefes Erröthen bedeckte ihre Stirn; ihr Anblick erinnerte ihn, welch reines und heiliges Band er eben geknüpft, und wie hinreißend Lucilens Schönheit auch in diesem Augenblicke war, sie machte ihm doch geringeren Eindruck, als ihre holde Bescheidenheit.

Die Zeit, welche dem für die Trauung festgesetzten Sonntage voranging, verstrich in den nöthigen Vorbereitungen. Lucile sprach während dieser Tage nicht viel mehr, als gewöhnlich, aber was sie sagte, war einfach und edel; Lord Nelvil schätzte und billigte ein jedes ihrer Worte. Dennoch empfand er einige Nüchternheit an ihrer Seite: die Unterhaltung bestand immer aus einer Frage und einer Antwort; sie entwickelte sich nicht weiter, und wurde nicht fortgesetzt. Es war ja Alles recht gut, aber jene innere Bewegtheit fehlte, jenes unerschöpfliche Leben, das so schwer zu entbehren ist, wenn man es einmal besaß. Lord Nelvil dachte an Corinna! Doch hörte er nun gar nicht mehr von ihr reden, und er hoffte, diese Erinnerung werde sich zuletzt wie eine Chimäre, wie ein Gegenstand unklarer Wehmuth verflüchtigen.

Als Lucile von ihrer Mutter erfuhr, daß die Schwester, noch lebe, und in Italien sei, hegte sie das größeste Verlangen, Lord Nelvil nach ihr zu fragen; dies verbot ihr aber Lady Edgermond sehr bestimmt, und Lucile ordnete sich dem mütterlichen Befehle nach Gewohnheit unter, ohne auch nur auf den Grund neugierig zu sein. Am Hochzeitsmorgen stand Corinnens Bild lebhafter denn je in Oswalds Herzen auf; er war völlig erschreckt davon. Ein Gebet an seinen Vater und die Ueberzeugung, daß er dessen Wunsch erfülle, daß er, um den väterlichen Segen zu erhalten, so gehandelt habe, gab ihm wieder einige Festigkeit; und als er dann Lucile sah, warf er sich das in Gedanken gegen sie begangene Unrecht vor. Sie war so reizend! Ein Engel, der zur Erde herabsteigt, hätte kein schöneres Angesicht wählen können, um den Sterblichen ein Bild von himmlischer Tugend zu geben. Sie traten vor den Altar; die Mutter war tiefer als die Tochter bewegt; denn in ihre Rührung mischte sich die Bangigkeit, die ein Jeder, der das Leben kennt, bei einem großen Entschluß empfinden muß. Lucile aber war ganz Hoffnung; bei ihr reichte die Kindheit noch in die Jugend, der Frohsinn noch in die Liebe hinein. Als sie den Altar verließen, lehnte sie sich schüchtern auf Oswalds Arm, wie wenn sie sich ihres Beschützers versichern wolle. Oswald sah voller Rührung auf sie nieder; er glaubte auf dem Grunde seines Herzens einen Feind zu ahnen, der Lucilens Glück bedrohe, und er versprach sich, es gegen denselben zu vertheidigen.

»Jetzt bin ich ruhig«, sagte Lady Edgermond zu ihrem Schwiegersohne, sobald sie in das Schloß zurückgekehrt waren, »ich habe Ihnen Lucile anvertraut. Da nur noch ein kurzer Lebensrest vor mir liegt, ist es mir ein Trost, mich so gut ersetzt zu wissen.« – Lord Nelvil war gerührt von diesen Worten; bewegt und unruhig dachte er über die Pflichten hin und her, die sie ihm auferlegten. Wenige Tage waren erst verflossen; Lucile wagte noch kaum den Blick zu dem Gatten aufzuschlagen, und das Vertrauen zu fassen, das sie doch zu ihm hegen mußte, wenn sie von ihm gekannt sein wollte, als diese, unter so günstigen Vorbedeutungen eingegangene Verbindung auch schon durch bedenkliche Zwischenfälle getrübt wurde.

Zweites Kapitel.

Herr Dickson kam, um die Neuvermählten zu begrüßen. Er entschuldigte seine Abwesenheit bei der Hochzeitsceremonie durch eine längere Krankheit, welche die Folge eines heftigen Sturzes mit dem Wagen gewesen sei. Als man weiter nach dem Unfalle fragte, erzählte er den Hergang: wie eine Dame, eine hinreißende Frau, ihm gütig dabei zu Hülfe gekommen sei. Oswald spielte eben mit Lucile Federball, und da sie sehr anmuthig hierbei war, hatte er, in ihren Anblick vertieft, Herrn Dickson nicht gehört. »Mylord«, rief dieser jetzt vom andern Ende des Zimmers zu ihm hinüber, »meine schöne Unbekannte muß sicherlich irgend ein Interesse an Ihnen gehabt haben, denn sie richtete über Sie und Ihre Angelegenheiten allerlei Fragen an mich.« – »Von wem sprechen Sie?« fragte Oswald, indem er zu spielen fortfuhr. »Von einer bezaubernden Frau, ob sie zwar, durch großes Seelenleid offenbar, schon sehr verändert schien; die aber von Ihnen nicht ohne Bewegung reden konnte.« – Jetzt war Lord Nelvils Aufmerksamkeit erregt: er näherte sich Herrn Dickson mit einer weiteren Frage. Lucile, die sich ohnehin um das Gesagte nicht viel bekümmert hatte, wurde eben zu ihrer Mutter gerufen, und Oswald, da er nun mit dem Gast allein war, fragte diesen, wer denn die anziehende Dame gewesen sei. »Das weiß ich nicht«, war die Antwort, »ihre Aussprache verrieth die Engländerin; aber ich habe unter unseren Frauen selten Eine gefunden, die so verbindlich gewesen wäre, und vollends Keine, die so interessant zu reden verstanden hätte. Sie beschäftigte sich um mich alten Mann wie eine Tochter, und während der ganzen Zeit, die ich in ihrer Gesellschaft verbrachte, habe ich nichts von den davongetragenen Quetschungen empfunden. Aber, liebster Oswald, Sie haben am Ende in England den Ungetreuen gespielt, wie Sie's in Italien gethan? Denn meine reizende Wohlthäterin erbleichte und zitterte bei der Nennung Ihres Namens.« – »Gerechter Himmel! Von wem reden Sie? Eine Engländerin, sagten Sie?« – »Ja, das unterliegt keinem Zweifel«, entgegnete Herr Dickson. »Sie wissen, die Ausländerinnen sprechen das Englische nie ohne einen Accent.« – »Und ihr Aussehen?« – »O, das bedeutungsvollste, das ich noch gesehen, obgleich sie zum Erbarmen blaß und mager war.«

Die strahlende Corinna glich dieser Beschreibung nicht; aber konnte sie denn nicht krank gewesen sein? Mußte sie nicht viel gelitten haben, wenn sie nach England gekommen war und dort Den nicht einmal gefunden hatte, den sie suchte? Der Gedanke an diese Möglichkeiten fiel Oswald schwer auf's Herz, und in äußerster Unruhe fuhr er zu fragen fort. Herr Dickson wiederholte nur immer, daß die Unbekannte mit einer Anmuth und Eleganz gesprochen habe, wie er sie noch bei keiner Frau angetroffen; daß in ihrem Blick ein Ausdruck von himmlischer Güte gelegen, sie ihm sonst aber niedergeschlagen und traurig erschienen sei. So war Corinna früher nicht gewesen, aber wie gesagt, konnte sie nicht durch den Schmerz verändert sein? – »Von welcher Farbe waren Augen und Haar?« – »Vom schönsten Schwarz.« – Lord Nelvil erbleichte. »Spricht sie lebhaft?« – »Nein; sie sprach von Zeit zu Zeit ein paar Worte, um mich zu fragen und mir zu antworten; nur daß das Wenige, was sie sagte, so voller Zauber war!« Er hielt inne, denn Lady Edgermond und Lucile traten ein, und Oswald hörte auf zu fragen; aber er blieb nachdenklich, und ging bald hinaus, um abzuwarten, bis er Herrn Dickson wieder allein begegnen möchte.

Oswalds Betroffenheit war Lady Edgermond aufgefallen; sie schickte Lucile unter einem Vorwande hinaus, um bei Herrn Dickson nach der Ursache dieser Veränderung zu forschen; der alte Gentleman erzählte denn auch bald höchst unbefangen den Inhalt des eben stattgehabten Gesprächs. Lady Edgermond errieth die Wahrheit augenblicklich, und dachte zitternd an Oswalds Schmerz, wenn er erst mit Sicherheit wisse, daß Corinna ihm bis Schottland nachgekommen sei. Sie sah voraus, er werde noch Weiteres von Herrn Dickson erfahren wollen, und unterrichtete diesen vorsichtig über das, was er dann, um Oswalds Vermuthungen abzulenken, zu antworten habe. Wirklich vermied der alte Mann auch, bei einem fortgesetzten Gespräch, dessen Unruhe zu erhöhen; aber er konnte sie auch nicht mehr beseitigen. Oswalds erster Gedanke war, seinen Bedienten zu fragen, ob alle ihm seit drei Wochen übergebenen Briefe mit der Post angekommen wären, oder ob Jener noch auf andere Weise welche in Empfang genommen habe. Der Gefragte sann ein Weilchen nach. »Es war, denke ich, an jenem Ballabend, als mir ein blinder Mann für Eure Lordschaft einen Brief übergab; doch das wird nur eine Bittschrift gewesen sein.« – »Ein Blinder!« entgegnete Oswald, »könnten Sie den Mann wohl wieder auffinden?« – »Ja, sehr leicht«, erwiderte der Gefragte, »er wohnt im Dorfe.« – »Holen Sie ihn«, befahl Lord Nelvil; doch vermochte er die Ankunft des Gerufenen gar nicht abzuwarten, und ihm ungeduldig entgegengehend, traf er ihn unten, am Ende der Auffahrt.

»Mein Freund, an jenem Abend, als der Ball auf dem Schlosse stattfand, hat man Euch einen Brief für mich gegeben«, redete Lord Nelvil den Alten an, »von wem erhieltet Ihr den?« – »Mylord, wie sollte ich dies wissen, da ich blind bin?« – »Glaubt Ihr, es könne eine Frau gewesen sein?« – »Ja, Mylord; sie hatte sogar eine sehr sanfte Stimme, die von Thränen gedämpft war, so viel ich dies aus einem leisen Schluchzen entnehmen konnte; denn ich hörte es wohl, wie sehr sie weinte.« – »Sie weinte?« fragte Oswald, »und was sagte sie?« – »Gebt diesen Brief dem Bedienten Oswalds, guter Mann; dann aber verbesserte sie sich, und fügte hinzu: dem Bedienten Lord Nelvils.« – »O, Corinna!« rief Oswald aus, und er mußte sich auf den Greis stützen, da er nahe daran war umzusinken. »Ich saß, Mylord«, fuhr Jener fort, »am Fuße des Baumes dort, als sie mir den Auftrag gab; sogleich wollte ich ihn ausrichten, und da ich bei meinem Alter nur mühsam aufzustehen vermochte, war sie selbst so gnädig, mir zu helfen; auch gab sie mir viel Geld, mehr als ich seit lange besessen, und ich fühlte, wie ihre Hand zitterte – so wie jetzt die Ihre, Mylord!« –»Genug, genug«, sagte Lord Nelvil, »hier, guter Alter, hier nehmt auch von mir, wie Ihr von ihr erhalten, und betet für uns Beide.« – Er ging.

Von nun an lastete ein schrecklicher Kummer auf Oswalds Seele. Nach allen Richtungen hin ließ er die vergeblichsten Nachforschungen anstellen und begriff nicht, wie es möglich, daß Corinna in Schottland gewesen sein sollte, und nicht verlangt habe, ihn zu sehen. Er quälte sich mit tausend Vorstellungen über die Gründe dieses Verhaltens, und seine Bekümmerniß war so groß, daß es ihm, trotz aller Anstrengung, nicht gelang, sie vor Lady Edgermond zu verbergen. Selbst Lucile sah, wie unglücklich er war; seine Traurigkeit erhielt auch sie in steter Grübelei, und sie lebten trübe und still nebeneinander. Um diese Zeit schrieb Lord Nelvil an den Fürsten Castel-Forte seinen ersten Brief, den dieser Corinna nicht zeigen zu dürfen glaubte, und der sie sicherlich durch die tiefe Besorgniß, welche darin ausgedrückt war, gerührt haben würde.

Graf d'Erfeuil, der lange, ehe die Antwort des Fürsten Castel-Forte auf Lord Nelvils Brief eintraf, von Plymouth nach Schottland zurückgekehrt war, hatte durchaus nicht die Absicht, Oswald Alles mitzutheilen, was er von Corinna wußte; doch quälte es ihn, daß es nicht anerkannt werden sollte, er wisse um ein wichtiges Geheimniß und sei diskret genug, es zu verschweigen. Seine Anspielungen, die Lord Nelvil anfangs gar nicht verstanden hatte, erweckten dessen Aufmerksamkeit, als es ihm schien, sie könnten auf Corinna Bezug haben. Er bat Graf d'Erfeuil dringend um Auskunft, und nun wehrte sich dieser leidlich, nachdem er es erlangt hatte, befragt zu werden.

Dennoch hatte Oswald ihm schließlich Corinnens ganze Geschichte abgerungen, weil der Graf auf die Länge dem Vergnügen nicht widerstehen konnte, von allem, was er für sie gethan, zu erzählen: von der Dankbarkeit, die sie ihm stets gezeigt, von dem entsetzlichen Zustande der Verlassenheit und des Schmerzes, in welchem er sie aufgefunden, kurz, er enthüllte Alles, ohne im Geringsten zu bemerken, welchen Eindruck es auf Lord Nelvil machte, und ohne einen andern Zweck zu verfolgen, als der Held seiner eigenen Geschichte zu sein. Als Graf d'Erfeuil zu sprechen aufgehört, sah er zu spät ein, was er damit angerichtet, und war von Herzen betrübt. Oswald hatte sich so lange zusammengenommen, um nur erst Alles zu erfahren, dann aber gerieth er in eine fast sinnlose Verzweiflung. Er klagte sich als den grausamsten, treulosesten der Männer an; er stellte der Aufopferung, der Zärtlichkeit Corinnens, ihrer Entsagung, ihrer Großmuth, die sie auch dann noch geübt, als sie ihn für sehr strafbar hielt, die Härte und den Leichtsinn entgegen, womit er ihr gelohnt. Unaufhörlich wiederholte er sich, daß kein Mensch ihn lieben werde, wie sie ihn geliebt, daß ihn sicher noch einst die Strafe für seine Grausamkeit ereilen müsse. Er wollte nach Italien reisen, sie nur einen Tag, nur eine Stunde sehen, aber Rom und Florenz waren schon von den Franzosen besetzt, sein Regiment stand im Begriff, sich einzuschiffen, – er konnte sich mit Ehren nicht entfernen; er konnte das Herz seiner Frau nicht bekümmern, nicht Unrecht mit Unrecht und Schmerzen mit Schmerzen gut machen wollen. Schließlich hoffte er auf die Gefahren des Krieges, und diese Aussicht machte ihn ruhiger.

In dieser Stimmung schrieb er zum zweiten Mal an den Fürsten, was dieser ebenfalls Corinna verschweigen zu müssen glaubte. Seine Antworten schilderten sie traurig, aber ergeben, und da er stolz war und tief verletzt für die Freundin, so gab er den Grad ihrer Verzweiflung eher zu gering als zu hoch an. Lord Nelvil glaubte also, daß er sie mit seiner Reue nicht quälen dürfe, nachdem er sie durch seine Liebe so unglücklich gemacht, und schiffte sich endlich mit einem Gefühle schmerzlichsten Vorwurfs, das ihm sein Leben unerträglich machte, nach den Inseln ein.

Drittes Kapitel.

Lucile war tief bekümmert über Oswalds Abreise; allein das dumpfe Stillschweigen, das er während der letzten Zeit ihres Zusammenlebens gegen sie beobachtet, hatte ihre angeborene Schüchternheit derartig gesteigert, daß sie sich nicht entschließen konnte, ihm zu sagen, sie glaube sich guter Hoffnung; erst als er auf den Inseln angekommen war, erfuhr er es durch ein Schreiben der Lady Edgermond, welcher es die Tochter bis dahin auch verborgen hatte. Lord Nelvil fand darnach den Abschied Lucilens sehr kühl: er sah nicht durch, was in ihrem Gemüthe vorgegangen war, sondern verglich ihre schweigende Trauer mit dem beredten Schmerz Corinnens, als er sich in Venedig von dieser trennte, und stand darnach nicht an, Lucilens Liebe für recht gering zu halten. Dennoch hatte sie während der vierjährigen Dauer seiner Abwesenheit keinen glücklichen Tag. Kaum vermochte selbst die Geburt ihres Töchterchens ihre Gedanken von der Gefahr abzulenken, in welcher der Gatte unablässig schwebte. Und diesem Bangen gesellte sich noch ein anderer Kummer zu: sie entdeckte allmählig Alles, was Corinna und deren Verhältniß zu Lord Nelvil betraf. Graf d'Erfeuil, der fast ein Jahr in Schottland zubrachte und Lucile wie deren Mutter oft besuchte, war fest überzeugt, er habe das Geheimniß von Corinnens Anwesenheit in England nicht verrathen; doch sagte er so viel darauf Hinzielendes, doch war es ihm so unmöglich, das Gespräch, wenn es ermattete, nicht immer wieder auf den einen Lucile so sehr interessirenden Gegenstand zurück zu führen, daß diese schließlich so gut wie Alles errieth. So unschuldig sie war, besaß sie dennoch List genug, um Graf d'Erfeuil zum Reden zu bringen; es gehörte nicht viel dazu.

Lady Edgermond hatte, da sie täglich mehr von ihrem Körperleiden hingenommen wurde, keine Ahnung von der Mühe, mit welcher Lucile zu erforschen suchte, was ihr so viel Schmerz bereiten sollte. Als sie diese aber stets niedergeschlagen sah, ließ sie sich ihren Kummer anvertrauen. Lady Edgermond urtheilte sehr strenge über diese Reise Corinnens; Lucile nahm die Sache anders. Abwechselnd war sie eifersüchtig auf Corinna oder unzufrieden mit Oswald, daß er gegen eine Frau so grausam hatte sein können, von der er so sehr geliebt worden war; es schien ihr, als habe sie neben einem Manne, der so das Glück einer Andern hingeopfert, auch für das eigene zu fürchten. Immer hatte sie Theilnahme und Dankbarkeit für die Schwester empfunden, und hierzu kam jetzt noch tiefes Mitleid für sie; und weit entfernt, sich von dem Opfer, das Oswald ihr gebracht, geschmeichelt zu fühlen, quälte sie sich mit dem Gedanken, daß er sie nur gewählt habe, weil ihre Stellung in der Welt eine günstigere war, als die Corinnens. Sie erinnerte sich seines Zögerns vor ihrer Verheirathung, seiner Traurigkeit wenige Tage nach derselben, und immer mehr befestigte sie sich in der schmerzlichen Ueberzeugung, daß ihr Gatte sie nicht liebe. Lady Edgermond hätte der Tochter in dieser Seelenstimmung sehr wohlthätig sein können, wenn sie bemüht gewesen wäre, deren Argwohn zu beruhigen. Aber die nachsichtslose Frau, welche nichts als die Pflicht und das von dieser gestattete Gefühl gelten lassen wollte, brach über Alles den Stab, was von ihrer Linie abwich. Es fiel ihr gar nicht ein, der Tochter schonende Rücksicht anzurathen; im Gegentheil behauptete sie, die einzige Weise, das Gewissen aufzustacheln, sei bittre, vorwurfsvolle Empfindlichkeit. Sie theilte Lucilens Besorgnisse viel zu lebhaft; sie war erzürnt, daß eine so schöne Frau von dem Gatten nicht genug gewürdigt werde, und statt daß sie die Tochter zu überzeugen suchte, sie sei mehr, als sie glaube, geliebt, bestätigte sie in diesem Punkte deren Befürchtungen, um ihren Stolz nur ja noch mehr zu reizen. Die sanftere und edlere Lucile befolgte der Mutter Rathschläge zwar nicht buchstäblich; aber es blieb doch viel davon in ihren Gedanken haften; ihre Briefe nahmen dieselbe Färbung an, und enthielten weit weniger Empfindung, als ihr Herz.

Oswald zeichnete sich inzwischen im Kriege durch die glänzendste Tapferkeit aus; tausendfach gab er bei großen Waffenthaten sein Leben preis: nicht nur aus begeistertem Ehrgefühl, sondern auch, weil er die Gefahr liebte. Seine Genossen sahen es Wohl, sie war ihm ein Vergnügen. Am Tage der Schlacht wurde er heitrer, lebhafter, glücklicher; er erröthete vor Vergnügen, wenn das Geräusch der Waffen begann, und nur in diesen Augenblicken schien es, als sei ein Schweres, das sonst auf seinem Herzen lastete, hinweg genommen und gestattete ihm, freier zu athmen. Von seinen Soldaten angebetet, von den Kameraden bewundert, führte er ein rasches Leben, das ihm zwar kein Glück gab, ihm aber doch die Vergangenheit wie die Zukunft aus dem Sinne schlug. Die Briefe seiner Frau fand er frostig, doch gewöhnte er sich an sie. Corinnens Bild umschwebte ihn wohl oft in diesen schönen Tropennächten, die von der Natur und ihrem Schöpfer die erhabenste Vorstellung geben; da aber das Klima und der Krieg sein Leben fortdauernd bedrohten, hielt er sich, weil dem Sterben so nahe, auch für weniger strafbar; denn man verzeiht seinen Feinden, wenn der Tod ihnen naht, und hat in ähnlicher Lage auch mit sich selber Nachsicht. Lord Nelvil gedachte nur der Thränen, die Corinna um seinen Tod weinen werde; er vergaß derer, die durch sein Unrecht flossen.

Umringt von Gefahren, die so vielfach zum Nachdenken über des Lebens Ungewißheit auffordern, dachte er an Corinna viel mehr als an Lucile. Mit Jener hatte er so oft vom Tode gesprochen; so oft hatten sie sich in ernsteres Forschen vertieft und es war ihm, als rede er mit Corinna noch weiter fort, wenn er den großen Gedanken nachhing, die ihm Krieg und Gefahr unaufhörlich erweckten. Zu ihr – obgleich er sie doch erzürnt glauben mußte – zu ihr wendete er sich, wenn er allein war. Es schien ihm, als verständen sie sich noch, trotz der Abwesenheit, ja selbst trotz seiner Untreue; während die sanfte Lucile, die er nicht für beleidigt hielt, in seiner Erinnerung wie eine des Schutzes bedürftige Frau auftrat, der man alles trübe und tiefe Nachdenken ersparen müsse. Endlich wurde Lord Nelvils Truppentheil wieder nach England berufen. Oswald kehrte zurück! Schon die Ruhe auf dem Schiffe fand er nach der kriegerischen Thätigkeit sehr wenig zusagend. Durch so viel äußere Bewegung war ihm für die Freuden des Geistes, die er einst in dem Verkehr mit Corinna genossen, Ersatz geboten worden; mit der Ruhe, fern von ihr, hatte er es noch nicht versucht. Indessen die Liebe seiner Soldaten, ihre begeisterte Anhänglichkeit, ihre anbetende Huldigung hielten ihm während der Ueberfahrt das Interesse am militärischen Leben noch wach, und erst, als die Ausschiffung stattgefunden, hörte auch dieses völlig auf.

Viertes Kapitel.

Lord Nelvil begab sich nun nach dem Landsitze der Lady Edgermond in Northumberland; nach einer Trennung von vier Jahren hatte er mit seiner Familie von Neuem bekannt zu werden. Lucile reichte ihm sein mehr als dreijähriges Töchterchen mit ebenso vieler Schüchternheit entgegen, als eine schuldige Frau nur hätte empfinden können. Die Kleine sah Corinna ähnlich; Lucilens Fantasie war während ihrer Schwangerschaft von dem Gedanken an die Schwester sehr erfüllt gewesen, und Julia, so hieß das Kind, hatte Corinnens Haar und Augen. Lord Nelvil bemerkte das mit Verwirrung; liebevoll drückte er die Kleine an sein Herz. Lucile aber sah in dieser Zärtlichkeit nur das Andenken an Corinna, und von dem Augenblicke an hatte sie an Lord Nelvils Liebe für Julia keine ungetrübte Freude mehr.

Lucile stand jetzt im zwanzigsten Jahr; ihre Schönheit, noch glänzender als früher, hatte einen imponirenden Charakter angenommen, vor welchem Lord Nelvil ein Gefühl scheuer Achtung empfand. Lady Edgermond, die das Bette nicht mehr verlassen konnte, war verstimmt und voller Launen. Doch empfing sie Lord Nelvil mit freudiger Erleichterung; denn die Sorge, während seiner Abwesenheit zu sterben, und die Tochter allein in der Welt zu lassen, hatte sie sehr beunruhigt. Nach so bewegter Lebensweise kostete es Lord Nelvil große Ueberwindung, den ganzen Tag in dem Zimmer seiner Schwiegermutter, das nur er und Lucile noch betreten durften, zuzubringen. Lucile liebte Oswald immer noch sehr, doch glaubte sie sich nicht von ihm geliebt, und aus Stolz verbarg sie ihm die Eifersucht, welche die Kenntniß von seiner Leidenschaft für Corinna in ihr angeregt hatte. Dieser Zwang vermehrte noch ihre gewohnte Zurückhaltung und machte sie kälter und schweigsamer, als sie es sonst gewesen sein würde. Suchte der Gemahl ihr einige Andeutungen zu geben, wie viel reizvoller sie ihre Unterhaltung bilden könne, wenn sie mehr Theilnahme hineinlegte, so meinte sie in solchem Rath eine Beziehung auf Corinna zu erkennen und war davon verletzt, statt ihn zu beherzigen. Lucilens Charakter war sanft, nur waren ihr von der Mutter durchweg einseitige Anschauungsweisen anerzogen worden.

Wenn Lord Nelvil die erhebenden Wirkungen der Poesie, die Freude an der Kunst rühmte, fühlte sie immer nur eine Erinnerung an Italien heraus, und wies seine Begeisterung recht trocken zurück, weil sie annahm, Corinna allein sei die Ursache derselben. In anderer Stimmung würde sie mit Sorgfalt auf des Gatten Worte gemerkt haben, um ihm so viel als möglich zu gefallen.

Lady Edgermond, deren Krankheit ihre Fehler verschlimmerte, zeigte eine stets zunehmende Antipathie gegen Alles, was von der einförmigsten Regelmäßigkeit des herkömmlichen Lebens abwich. Ueberall fand sie zu tadeln, und ihre durch körperliches Leiden noch gereizte Empfindlichkeit fühlte sich von jedem Geräusch beleidigt und belästigt. Es war, als wolle sie das Dasein auf die kleinste Basis beschränken; vielleicht damit ihr, bei ihrem bevorstehenden Ende, desto weniger zu verlassen bleibe. Da aber Niemand die persönlichen Beweggründe seiner Ueberzeugungen eingesteht, stützte auch sie dieselben auf die Grundsätze einer hochgespannten Moral. Sie hörte nicht auf, das Leben zu entzaubern, indem sie aus den geringsten Freuden eine Sünde machte, indem sie jeder Verwendung der Zeit, welche vielleicht von der des vorhergehenden Tages ein wenig abwich, eine Pflicht entgegensetzte. Lucile ordnete sich der Mutter zwar unter; doch würde sie, da sie mehr Geist und mehr Nachgiebigkeit des Charakters besaß, sich wohl ihrem Gatten zugesellt haben, um den in ihrer Herbigkeit immer noch wachsenden Ansprüchen der Lady sanften Widerstand zu leisten, wenn diese sie nicht versichert hätte, daß sie nur deshalb eine derartige Haltung beobachte, weil der Sehnsucht Lord Nelvils nach einem Aufenthalt in Italien in keiner milderen Weise entgegenzuarbeiten sei. »Unaufhörlich«, sagte sie, »muß man mit der Gewalt der Pflicht gegen die mögliche Wiederkehr einer so unseligen Neigung ankämpfen.« – Lord Nelvil hatte sicherlich auch große Achtung vor der Pflicht, doch verstand er diese in einem weiteren Sinne als Lady Edgermond. Er ging gern bis auf ihren Ursprung zurück, hielt sie in voller Uebereinstimmung mit unsern wahren und besten Neigungen und glaubte, daß sie uns durchaus nicht immer nur Kämpfe und Opfer abverlange. Die Tugend, meinte er, weit entfernt, daß sie das Leben einschränke, trage so sehr zu einem dauernden Glücke bei, daß man sie für eine Art höheren Schaums halten könne, welches dem Menschen auf Erden schon vergönnt sei.

Zuweilen, wenn Oswald seine Gedanken entwickelte, gab er sich dem Vergnügen hin, Corinnens Ausdrücke zu gebrauchen; er hörte sich so gern, wenn er in ihrer Sprache redete! Lady Edgermond war stets mißgelaunt, wenn er sich in dieser Weise zu denken und zu sprechen gehen ließ: neue Anschauungen mißfallen alten Leuten; sie möchten gern beweisen, daß, seit sie nicht mehr jung sind, die Welt nur verloren hat und nicht fortgeschritten ist. Mit dem Instinkte des Herzens errieth Lucile oft in dem hohen Ton von des Gatten Rede den Wiederhall seiner Liebe zu Corinna; sie schlug die Augen nieder, um ihm nicht zu verrathen, was in ihr vorging, und er, da er ihre Kenntniß seiner Beziehungen zu Corinna nicht ahnte, schrieb das hartnäckige Stillschweigen, welches sie seinen warmen Worten entgegensetzte, der Kälte ihres Charakters zu. So wußte er denn nicht, wohin sich wenden, um einen Geist zu finden, der dem seinen verständnißvoll entgegenkam; der Schmerz um das Verlorene lastete drückender denn je auf seinem Gemüthe, und er versank in tiefe Schwermuth. Ein Brief an den Fürsten Castel-Forte, in welchem er um Nachrichten von Corinna bat, gelangte wegen des Krieges nicht in dessen Hände. Seine Gesundheit litt auf das Aeußerste unter dem englischen Klima, und die Aerzte hörten nicht auf, zu versichern, daß von Neuem für seine Brust zu fürchten sei, wenn er den Winter nicht in Italien zubringe. Doch konnte daran nicht gedacht werden, weil der Friede zwischen England und Frankreich noch nicht geschlossen war. Einmal sprach er in Gegenwart seiner Frau und Schwiegermutter von dem Rath der Aerzte, und dem Hinderniß, das sich seiner Ausführung entgegensetzte. »Und wenn wir auch Frieden hätten, Mylord«, entgegnete Lady Edgermond, »ich denke, Sie selbst würden es sich nicht gestatten, Italien wiederzusehen.« – »Wenn Mylords Gesundheit es erforderte, würde er sehr gut thun, den Willen der Aerzte auszuführen«, unterbrach Lucile. Oswald war davon gerührt, er dankte ihr; aber dies verwundete sie nun wieder, weil sie nur die Absicht darin sah, sie auf die italienische Reise vorzubereiten.

Im Frühling wurde der Friede abgeschlossen und dadurch eine Reise nach Italien ermöglicht. Bei jedem Worte Lord Nelvils, das seine schwankende Gesundheit betraf, kämpfte Lucile zwischen der Sorge um ihn und der Furcht, er wolle damit nur seinen Entschluß andeuten, den Winter in Italien zu verleben; und während ihr Gefühl sie sonst vielleicht getrieben hätte, des Gatten Krankheit zu schwer zu nehmen, mißleitete sie die aus diesem Gefühl erwachsende Eifersucht, nach Gründen zu suchen, um das zu verkleinern, was doch die Aerzte selbst über die Gefahr seines Bleibens in England auf's Bestimmteste ausgesprochen hatten. Begreiflicherweise schob Lord Nelvil dieses Betragen auf Rechnung von Lucilens Gleichgültigkeit und Egoismus, und so verletzten sie sich gegenseitig, weil sie sich ihre Empfindungen nicht mit Freimuth eingestanden.

Als endlich Lady Edgermond in äußerster Lebensgefahr war, gab es zwischen Lucile und Lord Nelvil keinen andern Gegenstand der Unterhaltung mehr, als das Befinden der Kranken. Die arme Frau verlor schon vier Wochen vor ihrem Ende die Sprache, und nur aus ihren Thränen, ihrem Händedruck vermochte man zu errathen, was sie sagen wollte. Lucile war in Verzweiflung, und Oswald wachte, in aufrichtigem Mitgefühl, jede Nacht am Bette der Kranken. Da sie im Monat November waren, schadete er sich selbst durch diese Pflege in hohem Grade. Lady Edgermond schien von den Beweisen der Zuneigung ihres Schwiegersohnes beglückt; die Mängel ihres Charakters verschwanden, als ihr schweres Dulden sie entschuldigt haben würde. So klärt das Nahen des Todes alle Gährungen der Seele; die meisten Fehler entstehen aber nur aus diesen Gährungen.

In der Nacht, als sie starb, legte sie Lucilens Hand in die Lord Nelvils, und drückte so beide an's Herz; diese Bewegung und der Blick, den sie zum Himmel richtete, sagten mehr, als Worte es vermocht hätten. Wenige Minuten später war sie verschieden.

Lord Nelvil, der sich an dem Sterbebette seiner Schwiegermutter viel zu sehr angestrengt hatte, erkrankte nun ernstlich, und Lucile hatte im Augenblicke des tiefsten Schmerzes noch diese quälende Angst zu tragen. Oswald sprach in seinen Fantasien wohl oft von Corinna und Italien. Stets verlangte er nach Sonne, nach dem Süden, nach wärmerer Luft. Wenn die Fieber-Schauer ihn schüttelten, sagte er oft: »Es ist in diesem Norden so kalt, daß man sich niemals wird erwärmen können.« – Als er zur Besinnung kam, erfuhr er verwundert, daß Lucile Alles zu einer Reise nach Italien vorbereitet habe; er äußerte sein Erstaunen, sie gab als Grund den Befehl der Aerzte an. »Wenn Sie es erlauben«, fügte sie hinzu, »so werde ich mit Julia Sie begleiten; man muß ein Kind nicht vom Vater trennen; noch weniger von der Mutter.« – »Gewiß«, erwiderte Lord Nelvil, »wir dürfen uns nicht trennen. Aber ist Ihnen diese Reise unangenehm, Lucile? Sagen Sie es, dann verzichte ich darauf!« – »Nein«, entgegnete Lucile, »nicht das ist's, was...« Lord Nelvil sah sie an, und ergriff ihre Hand; sie wollte sich deutlicher erklären, aber der Gedanke an die Mutter, die es ihr anempfohlen, nie dem Gatten ihre Eifersucht zu gestehen, ließ sie innehalten. »Meine erste Sorge, ich hoffe, Sie glauben es, Mylord, ist die Herstellung Ihrer Gesundheit.« – »Sie haben eine Schwester in Italien«, fuhr Lord Nelvil fort. – »Ich weiß es«, entgegnete Lucile, »erhielten Sie Nachricht von ihr?« – »Nein, seit ich nach Amerika ging, habe ich nichts über sie erfahren.« – »In Italien, Mylord, werden wir von ihr hören!« – »Gedenken Sie ihrer noch gern?« fragte Oswald. »Ja, Mylord, ich kann die Liebe nicht vergessen, mit der sie meine Kindheit verschönte«, erwiderte Lucile. »O, man soll nichts vergessen«, seufzte Oswald, und Beide schwiegen.

Oswald ging nicht in der Absicht nach Italien, sein Verhältniß zu Corinna wieder anzuknüpfen; er hatte zu viel Zartgefühl, um solchen Gedanken in sich aufkommen zu lassen. Aber falls er von dem drohenden Brustleiden nicht geheilt werden sollte, schien es ihm süß, in Italien zu sterben, und mit einem letzten Lebewohl Corinnens Verzeihung zu erhalten. Er nahm nicht an, Lucile könne von seiner früheren Leidenschaft unterrichtet sein; und vollends ahnte er nicht, wie sehr er in den wandernden Reden des Fiebers die reuevollen Schmerzen verrathen hatte, die ihn bewegten. Er konnte Lucile nicht gerecht werden, weil sie einen unfruchtbaren Geist besaß, der ihr mehr diente zu errathen, was die Andern dachten, als diese durch ihre eigenen Gedanken zu interessiren. Oswald hatte sich gewöhnt, sie für eine schöne und kalte Frau zu halten, die ihre Pflichten erfüllte, und ihn liebte, wie sie lieben konnte; ihr Empfindungsvermögen war ihm unbekannt, denn sie verbarg es ihm sorgfältig. In diesem Falle verheimlichte sie ihm aus Stolz, was sie bekümmerte; aber sogar in einem vollständig glücklichen Verhältnisse würde sie sich ein Gewissen daraus gemacht haben, Andern, ja selbst dem Gatten, eine sehr lebhafte Zuneigung zu beweisen. Sie hielt jedes Aeußeren eines leidenschaftlichen Gefühls für ein Verbrechen gegen die Schicklichkeit; da sie aber solchen Gefühles fähig war, hatte ihre Erziehung, welche ihr die gezwungenste Selbstbeherrschung zum Gesetz erhoben, sie verschlossen und schweigsam gemacht. Man hatte sie wohl überzeugen können, daß sie nicht aussprechen dürfe, was sie empfinde, aber sie fand auch kein Vergnügen daran, von etwas Anderem zu reden.

Fünftes Kapitel

Lord Nelvil fürchtete die Erinnerungen Frankreichs, und deshalb nahm er dort keinen längeren Aufenthalt. Es blieb auf dieser Reise Alles seiner alleinigen Entscheidung überlassen, da Lucile weder Wunsch noch Willen äußerte. Sie waren jetzt am Fuße der Gebirge angelangt, welche die Dauphiné von Savoyen trennen, und beschlossen, die Straße, die, den Felsen durchbohrend, beide Länder wieder vereint, zu Fuß zurückzulegen. Ihr Eingang gleicht einer tiefen Höhle, und selbst in den schönsten Sommertagen ist sie finster von einem Ende zu andern. Man war im Anfange des December; zwar lag noch kein Schnee, aber der Herbst war im letzten Verfall, und räumte schon dem Winter den Platz. Der ganze Weg war mit welkem Laub bedeckt, das der Wind hieher getrieben; denn Bäume gab es an dieser Felsenstraße nicht: neben den Ueberresten der gestorbenen Natur sah man keine Zweige, die Hoffnung des kommenden Jahres. Mit Vergnügen ließ Lord Nelvil den Blick über diese Gebirgsmassen streifen. In der Ebene scheint die Erde keinen anderen Zweck zu haben, als den Menschen zu tragen und ihn zu ernähren; in malerischen Gegenden aber ist's, als habe die Allmacht des Schöpfers ihnen ihr erhabenes Gepräge aufgedrückt. Doch allenthalben hat sich der Mensch mit der Natur vertraut gemacht, und die Wege, welche er bahnte, erklimmen Berge, senken sich zu Abgründen hinab. Es giebt für ihn nichts Unzugängliches mehr, als das große Geheimniß des eigenen Ichs.

Als sie in La Maurienne waren, wurde es mit jedem Schritte winterlicher; beim Aufsteigen zum Mont-Cenis schien es gar, als gingen sie in den Norden. Lucile, des Reisens ungewohnt, entsetzte sich über diese Eisdecken, auf denen die Pferde so unsicher Fuß faßten; und wenn sie ihre Aengstlichkeit auch Oswald zu verbergen suchte, machte sie sich doch im Stillen Vorwürfe, Julia mitgenommen zu haben. Oft fragte sie sich, ob sie diesen Entschluß auch wohl aus ganz reinen Beweggründen gefaßt habe, ob ihre mütterliche Schwäche, und besonders noch der Gedanke, daß Oswald sie mehr liebe, wenn er sie mit dem Kinde sehe, ihr die Gefahren einer so langen Reise nicht als zu geringfügig habe erscheinen lassen. Lucile war sehr gewissenhaft und peinigte sich oft mit geheimen Zweifeln über ihr Thun. Je tugendhafter man ist, je mehr steigert sich das Zartgefühl, und mit ihm die Besorgnisse des Gewissens; Lucile hatte gegen solche Stimmung keine andere Zuflucht als religiöse Andacht; lange innere Gebete gaben ihr meist Beruhigung.

Höher hinauf nahm die Natur einen wilderen Charakter an; der Schnee fiel reichlich auf die schneebedeckte Erde; es war, als trete man in jene Eis-Hölle, die Dante so schön beschrieben hat. Von des Abgrundes Tiefe bis zum Bergesgipfel lag das von der Erde Hervorgebrachte unter weißer Hülle; alle Mannigfaltigkeit der Vegetation war in der einen Farbe untergegangen; zwar die Wasser am Fuße der Berge waren noch in fließender Bewegung, aber die weißen Tannen spiegelten sich in ihnen gleich schwankenden Baumgespenstern. Oswald und Lucile standen in schweigender Bewunderung; dieser erstarrten Natur scheint das Wort zu fehlen, und man schweigt mit ihr. Da erblickten sie plötzlich auf weiter Schneefläche eine lange Reihe schwarzer Gestalten, die einen Sarg zur Kirche trugen. Diese Priester, die einzigen lebenden Wesen inmitten des kalten, öden Feldes, bewegten sich nur in gemessenem Schritt weiter, den sie sicherlich in der Kälte beschleunigt haben würden, wenn der Gedanke an den Tod ihrem Gange nicht seinen Ernst mitgetheilt hätte. Die Trauer der Natur und des Menschen, der Vegetation und des Lebens! Das Auge ruhte auf diesen beiden, sich schneidend von einander abhebenden Farben, dem Weiß und dem Schwarz, mit einer gewissen Bangigkeit. »Welche trübe Vorbedeutung!« sagte Lucile leise. »Glauben Sie mir, Lucile«, erwiderte Oswald, »sie gilt nicht Ihnen.« – »Ach«, dachte er, »nicht unter solcher Voraussagung trat ich mit Corinna die Reise durch Italien an! Was ist aus ihr geworden? Und verkündet mir diese düstere Umgebung vielleicht nur, was ich zu erdulden haben werde?«

Lucile litt sehr von den wirklichen und eingebildeten Schrecknissen einer Winterreise; Oswald natürlich dachte nicht an solche Furcht, die jedem Mann, und zumal einem so unerschrockenen, wie er selbst es war, fremd bleibt. Lucile hielt ihn darum für gleichgültig, und er schien es doch nur, einfach, weil ihm die Möglichkeit einer Furcht bei so geringer Veranlassung nicht in den Sinn kam. Indessen vereinigte sich Alles, um Lucilens Aengstlichkeit zu steigern. Mit vieler Genugthuung pflegen Leute aus dem Volke uns eine Gefahr zu vergrößern; es ist ihre Art von Einbildungskraft, und sie lieben die Wirkung, welche sie damit auf Personen aus höherer Klasse ausüben, falls diese ihnen ein banges Ohr leihen. Wenn man im Winter den Mont-Cenis überschreiten will, erzählen Einem die Gastwirthe und Reisenden allerlei Wundergeschichten von der Passage über den »Berg«, wie er schlechtweg genannt wird; es klingt, als sprächen sie von einem bewegungslosen Ungeheuer, dem Hüter der Thäler, die zum gelobten Lande führen. Man sieht nach dem Himmel, man möchte wissen, ob es auch nichts zu fürchten giebt, und wird jener Sturm vorausgesehen, den sie »la tourmente« nennen, so räth man dem Fremden, sich nicht auf den Berg zu wagen. Ein weißes Gewölk kündigt diesen Sturm an; nach ein paar Stunden hat es sich wie ein Leichentuch am Himmel ausgebreitet und den ganzen Horizont verdunkelt.

Insgeheim, ohne Lord Nelvils Vorwissen, hatte Lucile alle möglichen Erkundigungen eingezogen; er ahnte nichts von ihrer Angst, und gab sich ganz den Gedanken hin, welche seine Rückkehr nach Italien in ihm wachrufen mußte. Lucile, die von dem Zweck der Reise noch mehr als von der Reise selbst beunruhigt war, sah Alles mit ungünstigem Vorurtheil an, und machte Lord Nelvil aus seiner Unbesorgtheit in Betreff ihrer und ihrer Tochter im Stillen einen Vorwurf. Am Morgen, als sie über den Mont-Cenis wollten, versammelten sich mehrere Landleute um Lucile, und theilten ihr mit, daß das Wetter nach Sturm aussehe; dagegen versicherten die bereits gemietheten Sänftenträger, es sei nichts zu fürchten. Fragend blickte sie zu Lord Nelvil hinüber; er schien der Furcht zu spotten, die man ihnen ja nur einreden wolle, und schon wieder durch seinen Muth verletzt, erklärte sie schnell, daß sie aufzubrechen bereit sei. Oswald ahnte den Beweggrund nicht, aus dem ihr rascher Entschluß entsprungen war; gelassen folgte er dem Tragsessel seiner Frau zu Pferde. Sie stiegen ziemlich schnell bis Oben hinauf; als sie aber etwa die Hälfte der zwischen dem Aufwärts und Abwärts liegenden Fläche zurückgelegt hatten, erhob sich ein entsetzlicher Orkan. Der wirbelnde Schnee machte die Führer fast blind, und zuweilen konnte Lucile ihren Gatten nicht sehen, so sehr hüllte das Unwetter ihn in seine Sturmnebel ein. Die geistlichen Brüder, welche auf den Alpengipfeln sich dem Heile der Reisenden widmen, begannen ihre Lärmglocken zu läuten, und wenn dieses Signal auch das Mitleid wohlthätiger Menschen verkündete, hatte es doch etwas sehr Düsteres, und klang eher erschreckend, als Hülfe versprechend.

Lucile hoffte, Oswald werde den Schutz des Klosters suchen, um die Nacht dort zuzubringen; sie gestand aber nicht ein, wie sehr sie selbst dies wünschte, und er zog es vor, weiterzueilen. Voller Angst fragten die Träger Lucile, ob denn jetzt wirklich noch hinabgestiegen werde. »Ja«, sagte sie, »weil Mylord es zu wollen scheint.« – Lucile hatte Unrecht, da das Kind mit ihr war, ihre Besorgniß nicht auszusprechen; aber wenn man liebt, und sich nicht wieder geliebt wähnt, ist man von Allem verletzt, und jeder Augenblick des Lebens ist ein Schmerz, fast eine Demüthigung. Oswald blieb zu Pferd, wiewohl dies die gefährlichste Art des Hinabsteigens war; doch glaubte er auf diese Weise sichrer zu sein, Frau und Kind nicht aus den Augen zu verlieren.

Als Lucile von dem Gipfel des Berges auf die jäh hinabführende Straße blickte, welche selber man schon für einen Abgrund hätte halten können, wenn die daneben liegenden Schlünde nicht den Unterschied gezeigt, drückte sie die kleine Julia mit einer schaudernden Bewegung an's Herz. Oswald sah das, stieg vom Pferde und gesellte sich den Trägern zu, indem er thätig Hand anlegte. Er hatte in all seinem Thun viel Anmuth, und wie Lucile ihn mit dieser eifrigen Sorge um sich und Julia beschäftigt sah, füllten sich ihre Augen mit Thränen. Jetzt aber erhob sich ein so furchtbarer Windstoß, daß selbst die Träger betend in die Kniee sanken: »Herr Gott! steh uns bei.« – Lucile raffte ihren Muth zusammen. »Nehmen Sie Ihr Kind, Oswald«, sagte sie, sich in dem Tragsessel erhebend, und ihm Julia reichend. »Und auch Sie, Lucile, kommen Sie«, erwiderte Oswald, seine Tochter in den Arm nehmend, »ich kann Euch Beide tragen.« – »Nein«, rief Lucile, »retten Sie nur das Kind!« – »Wie retten!« wiederholte Oswald, »ist denn hier Gefahr? Ihr Unglücksmenschen!« rief er, sich zu den Trägern wendend, »warum sagtet Ihr mir nicht ...« – »Sie hatten mich gewarnt«, unterbrach Lucile. »Und Sie verbargen es mir!« erwiderte Lord Nelvil, »was habe ich denn gethan, um dieses grausame Stillschweigen zu verdienen?« – Damit hüllte er das Kind in seinen Mantel, und ruhig wartend, senkte er den Blick in gekränkter Bekümmerniß zur Erde. Das Unwetter steigerte sich aber nicht; der Himmel, Lucilens Beschützer, sendete einen Sonnenstrahl, der die Wolken durchbrach, den Sturm besänftigte und endlich auch Piemonts fruchtbare Thäler dem Blicke der Geängstigten in verklärendem Lichte zeigte. Nach etwa einer Stunde traf die ganze Caravane wohlbehalten in La Novalaise ein, der ersten italienischen Stadt, jenseits des Mont-Cenis.

Im Gasthofe und auf ihren Zimmern angelangt, nahm Lucile das Kind in den Arm und dankte Gott inbrünstig auf den Knieen. Oswald stand, während sie betete, gedankenvoll an den Kamin gelehnt. »So haben Sie sich geängstigt, Lucile?« fragte er. »Ja, mein Freund.« – »Und weshalb begaben Sie sich dann auf den Weg?« – »Sie schienen so ungeduldig weiter zu wollen.« – »Sie wissen doch, daß ich vor allen Dingen für Sie Gefahr und Sorge fürchte.« – »Für Julia müssen wir sie fürchten«, sagte Lucile, und nahm diese auf ihren Schooß, um sie am Feuer zu erwärmen, und der Kleinen schönes schwarzes Lockenhaar, das Schnee und Regen geglättet hatten, wieder zu kräuseln. Sie waren in diesem Augenblick bezaubernd, die Mutter und das Kind. Oswalds Blick ruhte auf Beiden mit Zärtlichkeit, aber noch einmal unterbrach gegenseitiges Schweigen ein Gespräch, das vielleicht zu einem glücklichen Ende geführt hätte.

Sie kamen nach Turin. Der Winter war in diesem Jahre sehr strenge. Die für sonniges Wetter berechneten, weiten Räume der italienischen Häuser schienen jetzt in der Kälte äußerst unbehaglich. Im Sommer bieten diese hohen Gewölbe durch ihre Kühle große Vortheile, im Winter jedoch wird man nur die Oedigkeit jener Paläste gewahr, in denen die Menschen so klein erscheinen, daß sie Einem wie Pygmäen in Riesenwohnungen vorkommen.

Es herrschte hier eben allgemeine Trauer über den Tod Alfieri's; daher begegnete Lord Nelvil überall nur düsteren Eindrücken, und umsonst suchte er nach dem Italien, das in seiner Erinnerung lebte. Die Abwesenheit der Frau, die er so heiß geliebt, entzauberte in seinen Augen die Natur und die Kunst. Er zog über Corinna Erkundigungen ein, und erfuhr, daß sie seit fünf Jahren nichts veröffentlicht habe, und in tiefster Zurückgezogenheit zu Florenz lebe. Er nahm sich vor, dorthin zu gehen; nicht um zu bleiben und die Neigung zu verrathen, die er nun Lucile schuldete, aber um Corinna doch wenigstens einige Erklärungen zu geben.

»O, was war das Alles schön«, rief Oswald, auf dem Wege durch die lombardischen Ebenen, »als diese Ulmen in ihrem Blätterschmucke standen und grüne Weinranken sie untereinander vereinten!« – »Es war schön, weil Corinna mit ihm war«, dachte Lucile. Feuchter Nebel, wie er so oft in den Ebenen anzutreffen ist, welche von vielen Flüssen durchzogen werden, beschränkte die Aussicht auf die Landschaft. Nachts, in den Gasthöfen hörte man die im Süden gleich einer Sündfluth herabgießenden Regenströme auf die Dächer schlagen. Oft dringt das Wasser in die Häuser und verfolgt die Inwohnenden mit der Gier des Feuers. Vergeblich suchte Lucile nach dem Zauber Italiens. Es war, als vereinige sich Alles, um es ihren wie Oswalds Blicken mit dunklem Schleier zu verhüllen.

Sechstes Kapitel.

Oswald hatte, seit er Italien betreten, noch kein italienisches Wort geredet; die Sprache that ihm weh; er vermied, sie zu hören, wie sie zu sprechen. Eines Abends, als Lady Nelvil und er in einem Hotel zu Mailand abgestiegen waren, wurde an ihre Thür geklopft, und sie sahen einen Mann eintreten, einen Römer, mit sehr schwarzem, sehr markirtem Gesicht, das indessen doch keine eigentliche Physiognomie hatte; Züge, die für bedeutungsvollen Ausdruck geschaffen waren, denen aber die Seele mangelte, aus welcher allein er kommen kann; ein Blick, der poetisch sein wollte; ein fortdauernd süßliches Lächeln. Noch an der Thür, fing er doch schon zu improvisiren an: Verse voller Lobpreisungen über Mutter, Kind und Gemahl; Lobpreisungen, die für alle Mütter, alle Kinder und alle Gemahle der Welt passend gewesen wären, und sich über jeden Gegenstand mit gleicher Ueberschwänglichkeit ergossen, als ob Worte und Wahrheit in durchaus keiner Beziehung mit einander zu stehen brauchten. Und doch waren es die so wohl lautenden, italienischen Klänge, deren dieser Mensch sich bediente, um mit einer Gewalt zu declamiren, welche den bedeutungslosen Inhalt dessen, was er sagte, nur noch mehr hervortreten ließ. Für Oswald konnte es gar nichts Peinlicheres geben, als nach langer Zwischenzeit die geliebte Sprache also wieder zu hören, also seine Erinnerungen herabgezogen zu sehen und sich sein schmerzliches Gedenken durch eine Lächerlichkeit auffrischen zu lassen. Lucile bemerkte seine verdrossene Stimmung; sie versuchte, den Improvisator zum Schweigen zu bringen, doch das war unmöglich. Mit Phrasen und Ausrufungen, die nicht zu unterbrechen waren, mit den tollsten Geberden rannte er im Zimmer auf und ab, und kehrte sich durchaus nicht an das Mißbehagen seiner Hörer. Seine Bewegung glich einer aufgezogenen, erst nach bestimmter Zeit wieder einhaltenden Maschine. Endlich kam dieser Stillstand und es gelang Lady Nelvil, ihn los zu werden.

Als er hinaus war, sagte Oswald: »Die poetische Redeform ist in Italien so leicht zu parodiren, daß man sie Allen untersagen sollte, die nicht würdig sind, sie zu gebrauchen.« »Wahrlich«, erwiderte Lucile, vielleicht ein wenig lieblos, »wahrlich, es mag unangenehm sein, sich an das, was man einst bewunderte, durch etwas, wie das eben Gehörte, erinnern lassen zu müssen.« Lord Nelvil war verletzt. »Durchaus nicht«, erwiderte er, »mir scheint sogar, als bringe solch ein Contrast die Macht des Genie's nur zu höherer Geltung. Dies ist dieselbe, zur Erbärmlichkeit herabgewürdigte Sprache, welche himmlische Poesie wurde, wenn Corinna, wenn Ihre Schwester«, wiederholte er mit Nachdruck, »sich ihrer bediente, um ihren Gedanken Gestalt zu geben.« – Lucile war von diesen Worten wie versteinert; Corinnens Name war während der ganzen Reise nicht über Oswalds Lippen gekommen, ebenso wenig hatte er ihr von »ihrer Schwester« gesprochen. Es klang wie ein Vorwurf; Thränen drohten, sie zu ersticken, und hätte sie sich ihrer Erschütterung überlassen, würde dieser Augenblick vielleicht der süßeste ihres Lebens geworden sein. Doch sie drängte Alles zurück, und der zwischen den beiden Gatten herrschende Zwang wurde nur um so peinlicher.

Am folgenden Morgen schien die Sonne wieder strahlend und warm; Lord Nelvil und Lucile benutzten sie, um den Dom zu besichtigen. Er ist in Italien das Meisterwerk der gothischen, wie die Peterskirche das der modernen Baukunst. Gleich einem schönen Bild des Schmerzes erhebt sich die Kreuzesform dieses Tempels über die reiche und fröhliche Stadt Mailand. Beim Besteigen des Thurmes bewundert man staunend diese gewissenhafte Ausführung auch der kleinsten Einzelheiten. Bis zur letzten Höhe hinauf ist das Gebäude geschmückt, gemeißelt, ausgeschnitzt, wenn man so sagen darf, als wäre es ein kostbares Spielzeug. Wie vieler Geduld und Zeit bedurfte es, um ein derartiges Werk zu vollbringen. Solche auf ein und dasselbe Ziel gerichtete Ausdauer überlieferte sich früher von Generation zu Generation; das Menschengeschlecht war in seiner Gedankenrichtung beständig und führte, dem entsprechend, unerschütterliche Monumente auf. Eine gothische Kirche versetzt in sehr andachtsvolle Stimmung. Horace Walpole sagt: »Die Päpste haben jene Reichthümer, welche ihnen die durch die gothischen Kirchen entstandene Frömmigkeit eingebracht, der Erbauung moderner Tempel geweiht.« Das Licht, welches durch die gemalten Fenster mildgedämpft hereinfällt, die eigenthümlichen, architectonischen Formen, kurz der ganze Anblick der Kirche giebt eine schweigende Vorstellung von dem Geheimniß der Unendlichkeit, das man stets in sich trägt, ohne sich davon freimachen, ohne es verstehen zu können.

Als Lucile und Lord Nelvil Mailand verließen, lag eine Schneedecke über der Erde, und nichts macht Italien so trübselig, wie der Schnee. Man ist dort nicht gewohnt, die Natur unter seiner einförmig frostigen Hülle verschwinden zu sehn, und die Italiener jammern über schlechtes Wetter, wie über eine öffentliche Landplage. Oswald empfand, Lucile gegenüber, für Italien eine gewisse Coquetterie, die nun gar nicht befriedigt wurde; der Winter mißfällt dort mehr als irgendwo, weil die Fantasie durchaus nicht darauf vorbereitet ist. Lord und Lady Nelvil berührten Piacenza, Parma, Modena. Die Kirchen und Paläste dieser Städte stehen nicht im Verhältniß zu der Zahl und dem Reichthum der Einwohner; sie sind zu groß. Es ist, als wären sie für vornehme Herren eingerichtet, die erst noch ankommen sollen, und inzwischen einen Theil ihres Gefolges vorausschickten.

Am Morgen des Tages, an welchem Lord Nelvil und Lucile den Taro zu überschreiten sich vorgenommen hatten, fanden sie, als ob Alles beitragen wolle, ihnen die Reise zu verkümmern, den Fluß während der Nacht aus seinen Ufern getreten; die Ueberschwemmungen dieser, auf den Alpen und Apenninen entspringenden Ströme sind oft ausgedehnt, und dann sehr verheerend. Gleich dem Donner, hört man ihre Wasser von Weitem grollen, und ihr Lauf ist so reißend schnell, daß sie fast gleichzeitig mit dem sie verkündenden Getöse heranbrausen. Da diese Flüsse unaufhörlich ihr Bette verändern, und häufig über das Niveau der Bodenfläche steigen, werden Brücken zur Unmöglichkeit. Hier am Ufer sahen Oswald und Lucile sich nun plötzlich aufgehalten; der Strom hatte die Boote hinweg gerissen, und es mußte gewartet werden, bis die Fährleute sie an das neue, von den Fluthen eben gebildete Ufer zurückführten. Lucile ging nachdenklich und fröstelnd auf und nieder; Wasserfläche und Horizont verloren sich bei dem dichten Nebel völlig ineinander, und so erinnerten sie viel eher an die poetischen Beschreibungen der Gestade des Styx, als an die wohlthätigen Gewässer, welche die von den sengenden Strahlen der Sonne leidenden Bewohner erquicken sollen. Um das Kind vor der Kälte zu schützen, trat Lucile mit ihm in eine Fischerhütte, wo das Feuer, wie in Rußland, mitten in der Stube angezündet war. »Wo ist denn nur Ihr schönes Italien?« fragte Lucile Lord Nelvil seufzend. »Ich weiß nicht, wann und wo ich es wiederfinde«, erwiderte er sehr traurig.

Wenn man sich Parma und den übrigen an dieser Straße liegenden Städten nähert, hat man von Weitem den malerischen, an den Orient erinnernden Anblick der terrassenförmigen Dächer. Kirchen und Thürme treten wunderlich aus diesen Plattformen heraus, und dem in den Norden Zurückkehrenden sind nachher die auf Schnee und Regen berechneten, spitzen Dächer von sehr unangenehmem Eindruck. Parma bewahrt noch einige Meisterwerke des Correggio. Lord Nelvil führte Lucile in eine Kirche, wo noch ein Frescogemälde des Meisters zu sehen ist, die Madonna della Scala. Als man den schützenden Vorhang zurückzog, nahm Lucile ihre Kleine auf den Arm, um sie das Bild besser sehen zu lassen, und in diesem Augenblick war die Stellung der Mutter und des Kindes fast dieselbe, als die der Jungfrau und des Sohnes. Lucile hatte mit dem Ideal von Anmuth und Bescheidenheit, was Correggio hier geschaffen, viel Aehnlichkeit, und Oswalds Blicke schweiften von Lucile auf das Bild, von dem Bilde auf Lucile. Sie bemerkte es, schlug die Augen nieder, und dadurch wurde die Aehnlichkeit nur noch auffallender, denn Correggio ist vielleicht der einzige Maler, der den niedergeschlagenen Augen eine ebenso durchdringende Wirkung zu geben weiß, als wären sie zum Himmel gerichtet. Der Schleier, welchen er über den Blick zieht, raubt diesem weder Gefühl noch Ausdruck, sondern verleiht ihm noch einen neuen Reiz, den nämlich eines himmlischen Geheimnisses.

Dieses Gemälde ist nahe daran, sich von der Mauer loszulösen, und man sieht, daß ein Hauch die fast schon zitternde Farbe hinunterstürzen könnte. Dies giebt dem Bilde den schwermuthsvollen Reiz, der allem Vergänglichen eigen ist, und man kehrt wiederholt vor dasselbe zurück, um seiner bald entschwundenen Schönheit ein letztes, wehmüthiges Lebewohl zu sagen.

»Diese Madonna wird bald nicht mehr sein«», sagte Oswald, als sie aus der Kirche traten, »ich aber werde stets ihr Original vor Augen haben.« Das liebreiche Wort rührte Lucile; sie drückte Oswalds Hand, und war nahe daran, zu fragen, ob sie sich auf diesen Ausdruck seiner Zärtlichkeit verlassen dürfe. Aber wenn Oswalds Weise ihr kalt erschien, hinderte sie ihr Stolz, sich darüber zu beklagen, und gab er ihr einen Beweis seines Gefühls, dann fürchtete sie diesen Augenblick des Glücks durch den Wunsch, ihn dauernder zu machen, zu zerstören. So fand sie immer Grund zum Stillschweigen; sie hoffte, daß Zeit, Ergebung und Sanftmuth eine beglückende Lösung herbeiführen würden.

Siebentes Kapitel.

In dem italienischen Klima besserte sich Oswalds Befinden schon jetzt wieder, nur daß ihn unaufhörlich die quälendste Unruhe bewegte. Ueberall fragte er nach Corinna, und stets antwortete man ihm, daß man sie in Florenz glaube, jedoch nichts weiter von ihr wisse, da sie keinen Menschen mehr sehe, und zu schreiben aufgehört habe. Ach! nicht so war ihm Corinnens Name früher entgegengeklungen, und konnte er, der ihr Glück und ihren Ruhm zerstört, konnte er sich das verzeihen?

Kommt man Bologna näher, so wird man beinahe erschreckt durch den Anblick von zwei schiefen Thürmen, von denen besonders der eine sehr stark überhangt. Umsonst erfährt man, er sei so gebaut, und habe in dieser Gestalt Jahrhunderte an sich vorüberziehen lassen: das Schönheitsgefühl ist doch davon gequält. Bologna ist eine der wenigen italienischen Städte, wo viele unterrichtete Männer, die Vertreter jeder Wissenschaft, zu finden sind; das Volk aber macht hier den unangenehmsten Eindruck. Lucile erwartete das ihr so gerühmte, wohllautende Italienisch zu hören, und mußte also von dem bolognesischen Dialekt, der sehr häßlich ist, notwendig enttäuscht sein; denn es giebt selbst im Norden keinen rauheren. Sie trafen zur Carnevals-Zeit in Bologna ein; Tag und Nacht hörte man Freudengeschrei rings umher, das in bedenklicher Weise dem des Zankes glich. Ein dem Lazzaroni von Neapel ähnlicher Pöbel schläft Nachts unter den Arkaden, welche die Straßen Bologna's einfassen; im Winter tragen diese Leute in thönernen Gefäßen etwas Feuer mit sich herum, essen auf der Straße und verfolgen die Fremden mit ihren zudringlichen Betteleien. Vergeblich hoffte Lucile auf die süßen melodischen Stimmen, wie sie in Italien Nachts auf den Straßen zu erklingen pflegen; sie schweigen alle, wenn es kalt ist, und werden in Bologna durch ein Gelärme ersetzt, das dem Fremden, der nicht daran gewöhnt ist, nur unheimlich sein kann. Das Kauderwälsch der niedern Klassen klingt, mit seinen rauhen Tönen, ganz feindlich; und ohnehin sind ja die Sitten des Volks in vielen mittäglichen Gegenden viel gröber, als in nördlichen Ländern. Das Leben in den Häusern trägt zur Vervollkommnung der bürgerlichen Ordnung bei, während die Sonne des Südens, da sie unter freiem Himmel zu leben gestattet, den Gewohnheiten des Volks leicht etwas Verwildertes giebt.

Oswald und Lady Nelvil konnten nicht einen Schritt thun, ohne von einer Menge Bettler umlagert zu werden, die eine wahre Geißel für Italien sind. Als sie an den Gefängnissen Bologna's vorbeikamen, sahen sie, welch einer widerwärtigen Ausgelassenheit sich die Gefangenen hingaben; sie redeten die Vorübergehenden mit Donnerstimme an, und baten mit gemeinen Späßen und maßlosem Gelächter um Almosen; kurz, Alles gab hier das Bild eines würdelosen Volks. »In England«, sagte Lucile, »zeigt sich das Volk anders; dort ist's der Mitbürger seiner Vornehmen. Oswald! und ein solches Land kann Ihnen gefallen?« – »Bewahre mich der Himmel, daß ich je meinem Vaterlande entsagen möchte. Doch wenn wir nur erst die Apenninen hinter uns haben, wenn Sie das Toskanische reden hörten, den wahren Süden und sein geistreiches, lebhaftes Volk kennen lernten, dann werden auch Sie, glaube ich, weniger streng gegen Italien sein.«

Man kann die italienische Nation, je nach den Umständen, auf ganz verschiedene Art beurtheilen. Zuweilen stimmt das Ungünstige, was ihr so oft nachgesagt wird, genau zu dem, was man selber sieht und erfährt, und ein ander Mal hält man es auch wieder im höchsten Grade ungerecht. In einem Lande, wo die meisten Regierungen ohne Verantwortlichkeit walteten, wo die Macht der öffentlichen Meinung fast ebenso nichtig für die obersten, als für die untersten Klassen war; in einem Lande, wo die Religion sich mehr mit dem Cultus als der Sittlichkeit beschäftigt, wird von der Nation, im Allgemeinen betrachtet, meist nur wenig Gutes zu sagen sein; doch kann man dafür viel individuelle Vorzüge antreffen; es sind meist die zufälligen, persönlichen Verbindungen, welche dem Reisenden Spott oder Lobeserhebungen abgewinnen. Oft bestimmen die Menschen, die man nun eben näher kennen lernte, das Urtheil über ein Volk; ein Urtheil, das also weder in den Institutionen, noch in den Sitten, noch in dem öffentlichen Geiste seine Begründung findet.

Oswald und Lucile besuchten die schöne Gemäldesammlung zu Bologna. Oswald blieb lange vor der Sibylle des Domenichino stehen. Lucile ahnte die Gefühle, welche dieses Bild in ihm anregte, und da sie sah, daß er sich in der Anschauung desselben völlig verlor, wagte sie's, sich ihm zu nähern, und schüchtern zu fragen, ob die Sibylle des Domenichino mehr zu seinem Herzen spreche, als die Madonna des Correggio. Oswald verstand sie, und war von der Bedeutung ihrer Frage betroffen; ein Weilchen blickte er ohne zu antworten auf sie nieder, dann sagte er: »Die Sibylle läßt keine Orakel mehr hören; ihr Genius, ihre Begabung, es ist Alles dahin. Aber das engelgleiche Angesicht des Correggio hat nichts von seinem Zauber verloren, und der Unglückliche, welcher der Einen so viel Leids gethan, wird die Andere nie verrathen können.« Mit den Worten ging er hinaus, um seine Verwirrung zu verbergen.


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