Frau von Staël
Corinna oder Italien
Frau von Staël

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Vierzehntes Buch.

Corinnas Geschichte.

Erstes Kapitel.

»Oswald, ich will mit dem Bekenntniß anfangen, das über mein Leben entscheiden wird. Wenn Sie es unmöglich finden, mir darnach zu verzeihen, dann lesen Sie nicht weiter, dann stoßen Sie mich von sich; wenn aber noch nicht Alles zwischen uns zerrissen ist, nachdem Sie den Namen und die Lebensstellung erfuhren, denen ich entsagt habe, dann kann das, was Sie ferner hören werden, vielleicht dazu dienen, mich zu entschuldigen.

»Lord Edgermond war mein Vater; ich ward ihm in Italien von seiner ersten Frau, einer Römerin, geboren, und Lucile Edgermond, die Ihnen bestimmte Gattin, ist meine Schwester von väterlicher Seite; sie ist das Kind aus meines Vaters zweiter Ehe mit einer Engländerin.

»Und nun hören Sie mich. In Italien auferzogen, verlor ich meine Mutter, als ich erst zehn Jahre alt war. Sterbend hatte sie den heißen Wunsch geäußert, ich möge nicht, bevor meine Erziehung vollendet sei, nach England gebracht werden, und ihn berücksichtigend, ließ mein Vater mich bis zum fünfzehnten Jahre in Florenz, bei einer Tante meiner Mutter. Meine Neigungen, meine Talente, mein Charakter waren schon sehr ausgebildet, als nach dem Tode auch dieser Tante mein Vater sich veranlaßt sah, mich zu sich zu nehmen. Er lebte in einer kleinen Stadt Northumberlands, die mir schwerlich von England einen Begriff geben konnte; doch ist sie Alles, was ich während der sechs dort verlebten Jahre von Ihrer Heimat kennen lernte. Seit meiner frühesten Kindheit hatte die Mutter mir davon gesprochen, welches Unglück ein Leben fern von Italien für sie sein würde, und später versicherte mich meine Tante oft, daß meiner Mutter frühzeitiger Tod durch die stete Besorgniß, ihre Heimat verlassen zu müssen, beschleunigt worden sei. Auch war die gute Tante ferner überzeugt, eine in protestantischen Landen lebende Katholikin müsse einst sicher zur Hölle fahren, und wenn ich derartige Befürchtungen auch natürlich nicht theilte, erregte mir der Gedanke, nach England zu gehen, doch großen Schrecken.

»Ich reiste mit einem Gefühl unaussprechlicher Traurigkeit ab. Die Frau, welche mich zu holen kam, verstand nicht italienisch; zwar sprach ich es noch heimlich mit meiner armen Theresina, die sich entschlossen hatte, mir zu folgen, obwohl sie sich unter tausend Thränen von der Heimat trennte, aber ich mußte mich doch von seinen wohllautenden Klängen entwöhnen, die selbst den Fremden so sehr gefallen, und die über alle Erinnerungen meiner Kindheit ihren Zauber gebreitet hatten. Als ich tiefer in den Norden kam, bemächtigte sich meiner allmählig ein düsteres Vorgefühl, für das ich keine rechte Ursache wußte. Seit fünf Jahren hatte ich meinen Vater nicht gesehen, und als ich ihm jetzt entgegentrat, erkannte ich ihn kaum. Es schien mir, als hätten seine Züge einen ernsteren Charakter angenommen; doch empfing er mich höchst liebevoll, und fand, ich gliche meiner Mutter. Man führte mir meine kleine, damals dreijährige Schwester zu; ihre schneeweiße Haut, ihr goldenes Lockenhaar waren mir neu, denn wir haben keine solche Gesichter in Italien, und sie gewann sogleich meine zärtlichste Theilnahme; noch an diesem Tage raubte ich von ihren blonden, seidenen Haaren, um daraus ein Armband zu flechten, das ich noch aufbewahre. Endlich erschien auch meine Stiefmutter, und der Eindruck, den ich von ihr empfing, hat sich während der sechs neben ihr zugebrachten Jahre stets gesteigert und erneuert.

»Lady Edgermond liebte ausschließlich die Provinz, in welcher sie geboren war, und mein Vater, den sie beherrschte, opferte ihr deshalb einen Aufenthalt in London oder Edinburg. Sie war eine kalte, förmliche, schweigsame Frau, deren Augen nur auf ihrer Tochter mit Empfindung ruhten, und die sonst etwas so Entschiedenes in ihrer Miene, ihren Reden hatte, daß es unmöglich schien, ihr weder einen neuen Gedanken, noch selbst ein Wort begreiflich zu machen, wenn es nicht nach ihrem Sinne war. Sie empfing mich recht gut; doch bemerkte ich schnell, wie überrascht sie von meinem ganzen Benehmen war, und es schien, als nehme sie sich vor, es zu ändern. Während des Essens wurde kein Wort gesprochen, obwohl man einige Personen aus der Nachbarschaft eingeladen hatte; ich langweilte mich so sehr bei diesem Stillschweigen, daß ich endlich einen neben mir sitzenden, älteren Herrn anredete, und als ich nun, im Laufe des Gesprächs, einige italienische Verse, sehr reinen und edlen Inhalts, anführte, die jedoch von Liebe sprachen, sah meine Stiefmutter, da sie ein wenig italienisch verstand, mich tadelnd an, erröthete, und gab noch früher, als gewöhnlich, den Damen das Zeichen, sich zurückzuziehen, um den Thee zu bereiten, und die Männer beim Nachtische allein zu lassen. Ich wußte nichts von einem Brauche, der in Italien, wo man sich keine Unterhaltung ohne Frauen denken kann, etwas Unerhörtes sein würde, und glaubte einen Augenblick, meine Stiefmutter wäre so entrüstet über mich, daß sie nicht in einem Zimmer mit mir bleiben wolle. Indessen beruhigte ich mich darüber, als sie mir einen Wink gab, ihr in den Salon zu folgen, wo ich während der drei Stunden, die wir in Erwartung der Herren dort zubrachten, keine Vorwürfe von ihr erhielt.

»Beim Souper erklärte mir meine Stiefmutter recht maßvoll, wie es nicht geziemend sei, daß junge Mädchen sich am Gespräche betheiligten, am wenigsten um Verse, in denen von Liebe die Rede sei, zu citiren. »Miß Edgermond«, fügte sie hinzu, »Sie müssen versuchen, all diese, aus Italien herübergebrachten Weisen abzulegen; es wäre zu wünschen, Sie hätten nie dieses Land gekannt.« – Ich verbrachte die Nacht in Thränen; Sehnsucht bedrückte mein Herz; am Morgen ging ich spazieren; es lag dichter Nebel auf der Erde, und ich konnte die Sonne nicht sehen, die mir doch wenigstens meine Heimat zurückgerufen hätte. Mein Vater begegnete mir, und redete mich an: »Mein liebes Kind«, sagte er, »hier ist es nicht wie in Italien; bei uns haben die Frauen keinen andern Beruf, als ihre häuslichen Pflichten zu erfüllen. Deine Talente werden Dich in der Einsamkeit unterhalten, und vielleicht findest Du einen Gemahl, der sich ihrer freut. In einer kleinen Stadt erzeugt Alles, was Aufmerksamkeit erregt, auch Neid, und es würde sich keine Gelegenheit bieten, Dich zu verheirathen, wenn man glaubte, daß Deine Liebhabereien unsern Sitten widersprächen; hier muß man sich in seiner ganzen Lebensweise den veralteten Gewohnheiten einer abgelegenen Provinz unterordnen. Ich habe mit Deiner Mutter zwölf Jahr in Italien gelebt, und die Erinnerung daran ist mir sehr theuer; damals war ich jung und das Neue gefiel mir. Seitdem bin ich unter mein heimatliches Dach zurückgekehrt, und befinde mich gut dabei, denn ein regelmäßiges, selbst etwas einförmiges Leben läßt die Zeit verstreichen, ohne daß man es bemerkt. Es taugt nicht, gegen die Gebräuche eines Landes verstoßen, in welchem man nun einmal leben muß; man leidet dabei stets. In so einer kleinen Stadt, wie die unsere, erfahren die Leute Alles, besprechen sie Alles, nicht etwa um uns nachzueifern, sondern aus Eifersucht, und es ist immer noch besser, ein wenig Langeweile zu ertragen, als erstaunten, übelwollenden Gesichtern zu begegnen, die Einen in jedem Augenblick zur Rechenschaft ziehen möchten.«

»Sie können es sich wohl kaum vorstellen, mein theurer Oswald, welchen Schmerz ich bei diesen Ermahnungen meines Vaters empfand. Aus meinen Kinderjahren erinnerte ich mich seiner als eines geistreich-lebhaften Mannes, und jetzt sah ich ihn unter jenem bleiernen Mantel, welchen Dante in seiner Hölle beschreibt, und den die Mittelmäßigkeit auf die Schultern derer legt, die sich ihrem Joche gefügt haben. Alles schien nun meinen Blicken zu entweichen; die Begeisterung für Natur und Kunst, die hohe Weise zu fühlen, ich sollte sie verläugnen, und meine gequälte Seele war wie ein nutzloses Feuer, das mich verzehren mußte, da es außen keine Nahrung mehr fand. Weil ich von sanftem Naturell bin, und dies in den Beziehungen zu meiner Stiefmutter sehr vorwalten ließ, hatte sie keinen Grund, sich über mich zu beklagen; noch weniger mein Vater, den ich innig liebte, und dessen Unterhaltung allein mir noch einiges Vergnügen gewährte. Er hatte verzichtet, aber wenigstens war er sich dessen bewußt, während die meisten unserer Landedelleute jagten, tranken, spielten und damit das vernünftigste und beste Leben von der Welt zu führen glaubten.

»Ihre Selbstzufriedenheit verwirrte mich fast: ich fragte mich, ob nicht vielmehr meine Denkart thöricht sei; ob dieses materielle Dasein, in welchem der Schmerz und der Gedanke keine Stätte findet, das sich dem Gefühl wie aller schwärmerischen Erhebung entzieht, ob es nicht viel besser sei, als meine Auffassung vom Leben. Doch was hätte mir diese traurige Ueberzeugung helfen können? Mich über meine Talente zu grämen, wie über ein Unglück, während sie in Italien für eine schöne Himmelsgabe galten.

»In dem Kreise meiner Eltern gab es Leute, die nicht ohne Geist waren, ihn aber verhüllten, wie ein störendes Licht; und meistens begab sich diese kleine Regung ihres Hirns beim vorschreitenden Alter mit allem Uebrigen zur Ruhe. Im Herbst ging mein Vater viel auf die Jagd, und wir erwarteten ihn oft bis Mitternacht. Ich brachte während seiner Abwesenheit den größesten Theil des Tages auf meinem Zimmer zu, um meine Talente zu üben; darüber war meine Stiefmutter verstimmt. »Wozu soll das Alles dienen?« fragte sie, »werden Sie deshalb glücklicher sein?« Und solch ein Wort konnte mich zur Verzweiflung bringen. »Was ist das Glück«, antwortete ich mir, »wenn es nicht die Entwicklung unserer Fähigkeiten ist? Ist der physische Tod denn schlimmer, als der moralische? Und wenn ich Geist und Seele ersticken soll, was fange ich mit dem elenden Leben an, das mir dann noch bleibt?« – Doch hütete ich mich wohl, meiner Stiefmutter in diesem Sinne zu entgegnen. Ich hatte es einige Mal versucht, und ihre Erwiderung ging stets dahin, daß eine Frau nur für den Haushalt ihres Mannes, für die Gesundheit ihrer Kinder zu sorgen habe; alle andern Prätensionen brächten nur Unheil, und der beste Rath, den sie mir geben könne, sei der, sie zu verbergen, wenn ich sie hegte. Auf derartige Reden, so alltäglich sie waren. fehlte mir jede Antwort; denn Streben und Begeisterung, diese bewegenden Triebkräfte, bedürfen sehr der Ermuthigung, sonst verkommen sie, wie Blumen unter kaltem Himmel.

»Es ist nichts leichter, als die Eigenartigkeit einer hochgestimmten Seele zu verdammen, und sich dadurch ein höchst moralisches Ansehen zu geben. Man kann die Pflicht, diese beste Religion des Menschen, wie jeden anderen Begriff entstellen; man kann sie zu einer schmerzhaft verwundenden Waffe machen, deren sich beschränkte Geister, mittelmäßige und von dieser Mittelmäßigkeit befriedigte Menschen gern bedienen, um dem Talente Schweigen zu gebieten, und sich damit das ihnen unbequeme Streben, die idealere Rechtschaffenheit Anderer – kurz Alles fernzuhalten, was ihnen feindlich, weil edel überlegen ist. Wenn man solche Leute reden hört, klingt es, als bestände die Pflicht in der Verläugnung aller auszeichnenden Fähigkeiten, als wäre ein reicher Geist ein Unrecht, das man büßen muß, indem man eben das Leben zu führen hat, wie Jene, denen er mangelt. Muß denn die Pflicht allen Charakteren gleiche Gesetze vorschreiben? Sind die großen Gedanken, die edlen Anschauungen nicht eine Schuld, welche diejenigen, die solcher Erhebung fähig sind, ihrem Dasein abzahlen müssen? Darf denn nicht jede Frau, wie jeder Mann, sich einen Weg bahnen, der ihrem Charakter und ihren Talenten angemessen ist? Und soll man den blinden Instinkt der Bienen nachahmen, deren Schwärme ohne Fortschritt, ohne Abwechselung auf einander folgen?

»Nein, Oswald! Verzeihen Sie Corinna diesen Stolz: sie glaubte sich zu anderm Loose bestimmt. Dem Manne, den ich liebe, bin ich ebenso sehr, noch mehr vielleicht, unterworfen, als diese Frauen, welche mich dort umgaben, und die ihrem Geiste kein Urtheil, ihrem Herzen keinen Wunsch gestatteten. Wenn es Ihnen gefiele, Ihren Aufenthalt im Innern Schottlands zu nehmen, würde ich glücklich sein, an Ihrer Seite leben und sterben zu dürfen; aber statt meiner Einbildungskraft zu entsagen, wollte ich mich durch sie nur besser der Schöpfung erfreuen, und je ausgedehnter die Welt wäre, die ich mit meinem Geiste zu umfassen vermöchte, je mehr wäre es des Ruhmes und Glückes für mich, Sie darin als meinen Herrn über mir zu sehen.

»Ich war Lady Edgermond durch mein Denken nicht minder unbequem, als durch mein Thun. Es genügte ihr nicht, daß ich das gleiche Leben führte, wie sie; ich sollte es auch aus denselben Beweggründen führen; die Eigenschaften, welche ihr mangelten, wollte sie gewissermaßen nur wie eine Krankheit gelten lassen. Wir lebten nahe dem Meeresstrand, und der Nordwind war bis in unser Schloß hinein zu fühlen. Nachts hörte ich ihn durch die langen Korridore klagen, und des Tages begünstigte er das drückende Schweigen unseres Kreises nur zu gut. Die Luft war kalt und feucht; fast niemals konnte ich ausgehen, ohne ein schmerzendes Unbehagen davonzutragen; mir schien in dieser Natur etwas Feindliches zu sein, das mich an das milde Italien sehnsuchtsvoll zurückdenken ließ.

»Für den Winter zogen wir in die Stadt, wenn man einen Ort, wo es weder Theater, noch Architektur, noch Musik, noch Gemälde giebt, eine Stadt nennen kann; es war ein Zusammengetragenes von Weiberklatsch, eine Anhäufung von zugleich verschiedenartigen und einförmigen Langweiligkeiten.

»Geburten, Heirathen, Sterbefälle, sie allein gaben den Stoff zu geselligem Gespräch, und es schien, als ob diese drei Ereignisse dort noch weniger als anderswo abwechselten. Stellen Sie sich vor, was es für eine Italienerin meiner Art bedeutete, mehrere Stunden des Tages nach dem Diner an einem Theetisch, und mit den Gästen meiner Mutter, festsitzen zu müssen. Es waren fast immer Damen aus der Stadt; zwei von ihnen fünfzigjährige Mädchen, schüchtern als wären sie fünfzehn, doch ohne die Heiterkeit dieses Alters. »Meine Liebe, glauben Sie, das Wasser koche genügend, um den Thee aufzugießen?« fragt Eine aus dem Kreise. »Meine Liebe, ich denke, es ist noch zu früh, denn die Herren scheinen an kein Aufheben der Tafel zu denken.« – »Wie lange sie heute wohl bleiben werden?« sagt eine Dritte. »Was denken Sie davon, meine Liebe?« – »Ich weiß es nicht«, erwidert die Vierte, »aber da die Wahlen zum Parlament in nächster Woche stattfinden, scheint es mir wahrscheinlich, daß sie sich lange über den Gegenstand unterhalten werden.« »Nein«, sagt eine Fünfte, »ich glaube, sie sprechen von der neulichen Fuchsjagd, die so befriedigend ausgefallen ist, daß sie am nächsten Montag wiederholt werden soll; doch mir scheint, sie sind bald damit fertig.« – »Ach, ich hoffe es kaum«, seufzte die Sechste, und Alles verfiel wieder in Schweigen. Die italienischen Klöster, in denen ich zuweilen gewesen, schienen wie das Leben selbst gegen diesen Cirkel, in welchem ich nichts mit mir anzufangen wußte.

»Alle Viertelstunde etwa erhob sich eine Stimme, um die abgeschmackteste Frage zu thun, und die seichteste Antwort darauf zu erhalten; dann fiel die Langeweile von Neuem mit bleiernem Gewicht auf diese Frauen, die man für unglücklich halten könnte, wenn die von Kindheit auf anerzogene Gewohnheit, Alles zu ertragen, ihnen noch ein Bewußtsein davon übrig gelassen hätte. Endlich kamen »die Herren«, und dieser erwartete Augenblick brachte eben auch keine Veränderung. Die Männer setzten ihr Gespräch am Kamine fort, die Frauen blieben am Theetisch, oder reichten die Tassen umher, bis sie endlich mit ihren Gatten nach Hause gingen, um am folgenden Tage ein Leben wieder anzufangen, das sich vom vorhergehenden nur durch den Kalender und durch die Spuren der Zeit unterschied, die sich allmählig ihren Gesichtern eindrückten, – als ob sie inzwischen gelebt hätten!

»Ich begreife noch heute nicht, daß mein Talent in dieser tödtlich frostigen Atmosphäre nicht verloren ging; denn man darf es sich nicht verschweigen: es giebt für die meisten Dinge zwei Anschauungsweisen: man kann den höhern Geistesflug rühmen, man kann ihn tadeln; Bewegung und Ruhe, Mannigfaltigkeit und Einförmigkeit können durch verschiedene Beweisführungen sowohl angegriffen, als vertheidigt werden; man kann dem Leben das Wort reden, und doch läßt sich viel Gutes vom Tode sagen, und von dem, was ihm gleicht. Man ist also durchaus nicht berechtigt, die Meinung mittelmäßiger Menschen einfach zu verachten. Wider unsern Willen dringen sie bis auf den Grund unserer Gedanken; sie stehen in dem Augenblick neben uns auf der Lauer, wo unsere Ueberlegenheit Kummer über uns gebracht hat, um uns dann ein sehr ruhiges »Nun also« zu sagen, das mit seiner scheinbaren Mäßigung das Härteste ist, was man hören kann. Der Neid ist nur in solchen Kreisen allenfalls erträglich, wo er durch die Bewunderung, welche man dem Talente zollt, erregt wird; aber dort leben müssen, wo die Ueberlegenheit kein begeistertes Nachstreben, sondern nur Eifersucht erweckt, ist ein sehr großes Unglück; und sehr schwer ist es, wie eine Macht gehaßt zu werden, und doch weniger stark, weniger zäh, als ein ganz untergeordneter Mensch zu sein. Dies aber war grade meine Lage im väterlichen Hause; Allen fast galt mein Talent nur als ein lästiges Geräusch; ich konnte hier nicht, wie es in London oder Edinburg möglich gewesen wäre, jenen überlegenen Menschen begegnen, die Alles zu beurtheilen, Alles anzuerkennen wissen, und die mit dem Bedürfniß nach den unerschöpflichen Freuden des Geistes, nach edlem Gedankenaustausch, auch in der Unterhaltung mit einer Ausländerin vielleicht noch einigen Reiz gefunden haben würden, selbst wenn sie sich nicht immer den strengen Formen des Landes gefügt hätte.

»Ich brachte ganze Tage in den Gesellschaften meiner Stiefmutter zu, ohne auch nur ein einziges Wort zu hören, das der Ausdruck eines Gefühls, eines Gedankens gewesen wäre; man gestattete sich nicht einmal, die Rede mit Gesten zu begleiten. Auf den Gesichtern der jungen Mädchen war die schönste Frische, die lebhaftesten Farben, aber die vollkommenste Unbeweglichkeit. Welch sonderbarer Contrast zwischen Natur und Gesellschaft! Alle Altersstufen hatten dieselben Unterhaltungen: man trank Thee, man spielte Whist, und da sie stets dieselbe Sache thaten, immer auf demselben Platze blieben, alterten die Frauen schnell; die Zeit konnte sicher sein, sie nicht zu verfehlen, wußte sie doch stets, wo die Bewegungslosen anzutreffen waren!

»In den kleinsten Städten Italiens giebt es ein Theater, Musik, Improvisatoren, viel Begeisterung für Poesie und Kunst, viel lieben Sonnenschein – kurz, man weiß dort, daß man lebt! In jener nordischen Provinz aber vergaß ich es, und ich glaube, wenn ich, statt meiner, eine Puppe mit leidlicher Mechanik abgesendet hätte, sie würde meinen Platz in der Gesellschaft genügend ausgefüllt haben. In England findet man die verschiedenartigsten, höchst achtbaren Interessen für das öffentliche Wohl überall verbreitet; folglich haben die Männer, in welcher Zurückgezogenheit sie auch leben, die Mittel zur Hand, ihre Muße würdig auszufüllen; aber die Tage der Frauen waren dort in jenem entlegenen Winkel, wo ich lebte, unaussprechlich nüchtern. Es gab wohl Einige unter ihnen, die von Natur und durch Nachdenken einen etwas freier entwickelten Geist besaßen, und hie und da war mir ein Ton, ein Blick, ein leise gesprochenes Wort aufgefallen, die von der vorgeschriebenen Linie abwichen; allein diese schüchternen Keime wurden von der kleinen, in ihrem kleinen Kreise allmächtigen Meinung einer kleinen Stadt gänzlich erstickt. Man würde für abenteuerlich, für eine Frau von zweifelhaftem Ruf gegolten haben, wenn man sich's hätte einfallen lassen, zu sprechen, oder irgendwie hervorzutreten; und was schlimmer als all das Unbequeme: man hatte auch keinen Vortheil davon.

»Anfangs versuchte ich, diese schlafenden Menschen aufzurütteln: ich schlug ihnen ein gemeinsames Lesen unserer großen Dichter, auch gemeinschaftliches Musiciren vor. Wirklich wurde auch ein Tag dafür festgesetzt; aber plötzlich erinnerte sich eine der Damen, daß sie seit drei Wochen versprochen habe, bei irgend welcher Tante zu Abend zu speisen; eine Zweite, daß sie um einer alten Muhme willen, die sie nie gekannt, und die vor mehr denn drei Monaten gestorben, in Trauer sei; eine Andere hatte unvermeidliche wirthschaftliche Abhaltungen –: all das klang sicherlich sehr vernünftig; was aber immer dabei geopfert wurde, das waren die edleren, geistigen Freuden, und da ich so oft ein niederschlagendes »Das geht nicht an« hören mußte, schien mir endlich unter so vielen Verneinungen ein verneinendes Leben noch immer am besten.

»Nachdem ich mich einige Zeit gesträubt hatte, entsagte ich meinen erfolglosen Versuchen; nicht etwa, weil mein Vater mir gebot, sie zu unterlassen; im Gegentheil, er hatte von meiner Stiefmutter verlangt, sie möge mir nicht hinderlich sein; sondern weil die Andeutungen, die spöttischen Seitenblicke, während meines Sprechens, die tausend kleinen Nadelstiche, – den Banden gleich, mit welchen die Pygmäen Gulliver umstrickten, – mir jede freie Bewegung unmöglich machten; ich that schließlich, was die Andern thaten, nur mit dem Unterschiede, daß ich vor Langerweile, Ungeduld und Ekel innerlich förmlich dahinstarb. In dieser Weise hatte ich schon vier der drückendsten Jahre verlebt. Noch größere Bekümmerniß selbst, als diese Verhältnisse, bereitete mir der Umstand, daß mein Talent im Abnehmen war. Unwillkürlich erfüllte sich mein Geist mit Kleinlichkeiten; denn in einer Gesellschaft, die an Wissenschaft, an Literatur und Kunst, an allem Höheren endlich kein Interesse findet, liefern die kleinen Thatsachen, die genau abwägenden Urtheilchen über Nebenmenschen notwendiger Weise den einzigen Unterhaltungsstoff; und solche Menschen ohne geistige Thätigkeit, ohne Nachdenken, haben etwas Engherziges, Mißtrauisches, Gezwungenes, das den Verkehr mit ihnen ebenso peinlich als unersprießlich macht.

»Sie finden nur in einer gewissen mathematischen Regelmäßigkeit Befriedigung; diese ist ihnen genehm, denn sie kommt ihrem Wunsche entgegen, alle Überlegenheit zu unterdrücken, und die ganze Welt auf ihren Standpunkt herabzuzerren; aber diese Einförmigkeit der Standpunkte bereitet Charakteren, die sich zu einem ihnen angemesseneren Loose berufen glauben, ununterbrochenen Schmerz. Das bittre Bewußtsein von der Abneigung, die ich wider meinen Willen erregte, vereinigte sich mit dem Druck einer Nüchternheit, einer Leere, die mir fast den Athem raubte. Umsonst sagt man sich: »Dieser Mann ist nicht würdig, über dich zu urtheilen, jene Frau kann dich nicht verstehen«; des Menschen Angesicht übt nun einmal große Herrschaft über des Menschen Herz, und wenn wir auf solchem Gesichte heimliche Mißbilligung lesen, so beunruhigt uns diese trotz unseres Sträubens; kurz, es gelingt dem uns umgebenden Kreise schließlich immer, die übrige Welt unsern Blicken zu verdecken. Der kleinste Gegenstand vermag uns die Sonnenstrahlen abzufangen, und ebenso ist's mit der Gesellschaft, in welcher man lebt; weder Europa, noch die Nachwelt vermögen gegen etwaige Häkeleien mit dem Nachbarhause unempfindlich zu machen, und wer glücklich sein und den Geist frei entwickeln will, soll vor Allem die Atmosphäre, welche ihn zunächst umgiebt, mit Vorsicht wählen.«

Zweites Kapitel.

»Ich hatte kein anderes Vergnügen, als die Erziehung meiner kleinen Schwester; meine Stiefmutter wollte nicht, daß sie musikalisch gebildet werde, doch gestattete sie mir, Lucile im Zeichnen und im Italienischen zu unterrichten, und ich bin überzeugt, sie wird Beides nicht vergessen haben, denn sie bewies damals große Fähigkeiten. Oswald! Oswald! und wenn ich mir alle diese Mühe zur Verschönerung Ihres Glückes mit einer Andern gegeben haben sollte, so freue ich mich doch, so will ich mich dessen noch im Grabe freun!

»Ich war fast zwanzig Jahre alt; man wollte mich verheirathen, und jetzt begann das Verhängnißvolle meines Geschickes Gestalt anzunehmen. Wein Vater war mit dem Ihren innig befreundet, und Sie, Oswald, Sie hatte er für mich als Gatten erwählt. Hätten wir uns damals gekannt, hätten Sie mich geliebt, wäre unser Schicksal ein wolkenloses gewesen! Ich hatte von Ihnen sehr viel Auszeichnendes gehört, und war es nun Vorgefühl, war es Stolz: die Hoffnung, mich Ihnen zu vermählen, schmeichelte meinem Herzen, wie meinem Geschmacke. Sie waren zu jung für mich, da ich um ein und ein halbes Jahr älter bin, als Sie; doch Ihr Geist, hieß es, Ihre ernste wissenschaftliche Richtung seien weit über Ihre Jahre hinaus. Ich machte mir von dem Zusammenleben mit einem Manne, wie man Sie schilderte, die beglückendsten Vorstellungen; es war ein hoffnungsvolles, reichgefärbtes Bild, das all meine Vorurtheile gegen die Lebensweise der englischen Frauen verdrängt hatte. Ueberdies wußte ich, daß Sie Ihren Aufenthalt in Edinburg oder London zu nehmen gedachten, und ich durfte sicher sein, in beiden Städten die gewählteste Gesellschaft zu finden. Ich sah damals ein, was ich noch heute für richtig halte, daß nämlich all das Unglückliche meiner Situation aus dem kleinstädtischen, vom großen Weltgetriebe abgeschnittenen Leben entsprang. Denn allein in großen Städten finden ursprüngliche, aus der Alltäglichkeit heraustretende Persönlichkeiten einen ihnen zusagenden Boden, immer vorausgesetzt, daß sie in der Gesellschaft zu leben wünschen. In der großen Stadt ist das Leben mannigfaltig, und deshalb gefällt dort das Neue und Ungewohnte, wie etwas Gewohntes; wogegen man an kleinen Orten, wo die Einförmigkeit ein bequemes Herkommen geworden, unmöglich wünschen kann, sich einmal zu amüsiren, weil man darüber die gefährliche Entdeckung machen könnte, daß man sich alle Tage langweilt.

»Ich wiederhole es so gern, Oswald: obgleich ich Sie nie gesehen hatte, erwartete ich mit wahrer Herzensangst Ihren Vater, der den meinigen auf acht Tage zu besuchen dachte; jenes Gefühl ließ sich damals durch nichts Haltbares begründen, es war eben die Vorahnung meines Geschicks. Als Lord Nelvil anlangte, wünschte ich ihm zu gefallen; vielleicht wünschte ich es zu sehr, denn ich wendete viel mehr Mühe auf das Gelingen, als erforderlich gewesen wäre. Ich entfaltete all meine Talente, sang, tanzte, improvisirte für ihn, und mein so lange in die engsten Schranken gewiesener Geist brach vielleicht zu eifrig seine Fesseln. Seit sieben Jahren hat mich Erfahrung Mäßigung gelehrt; es liegt mir weniger daran, mich zu zeigen, ich bin meiner selbst gewohnter und kann jetzt warten. Vielleicht habe ich weniger Vertrauen in Anderer Wohlwollen, aber dafür frage ich auch nicht mehr so viel nach ihrem Beifall – kurz, es ist wohl möglich, daß in meinem Wesen damals etwas Wunderliches lag. Man hat in der ersten Jugend so viel Feuer, so viel Unvorsichtigkeit! Man wirft sich dem Leben mit so viel Lebenskraft entgegen! Geist, auch der reichbegabteste, ersetzt nie die mangelnden Jahre, und wiewohl man mit diesem Geist über Menschen und Dinge zu sprechen weiß, als ob man sie erkennte und verstände, handelt man nicht nach solchen selbst gemachten Beobachtungen; in der jungen Geistesthätigkeit arbeitet ein unerklärliches Fieber, welches oft verhindert, das Betragen folgerecht dem eigenen Besserwissen anzupassen.

»Ohne es bestimmt erfahren zu haben, glaube ich doch, daß ich Lord Nelvil alle zu lebhaft erschien; denn nach achttägigen Aufenthalt, während dessen er mir jedoch sehr gütig begegnet war, verließ er uns, um darauf meinem Vater zu schreiben, daß er nach reiflicher Ueberlegung seinen Sohn für die beabsichtigte Heirath noch zu jung finde. Oswald! welches Gewicht werden Sie diesem Bekenntnisse beimessen? Ich hätte Ihnen den Umstand verbergen können, – ich thue es nicht. Wäre es denn möglich, daß er mich vor Ihnen verurtheilte? Ich weiß es, ich habe mich seit sieben Jahren gebessert, und würde Ihr Vater meine Liebe, meine begeisterte Anbetung für Sie ohne Rührung gesehen haben? O Oswald, da er Sie liebte, hätten wir uns verstanden!

»Meine Stiefmutter hatte den Plan, mich mit dem Sohne ihres ältesten Bruders zu verheirathen, dessen Grundbesitz in der Nachbarschaft lag. Er war ein Mann von dreißig Jahren, von schöner Gestalt, der vornehmsten Abkunft und sehr ehrenwerthem Charakter, aber mit den seltsamsten Ansichten in Betreff des oberherrlichen Verhältnisses des Gatten zu der Frau. Ein Zweifel über die Bestimmung der Frau zu gänzlicher Unterwürfigkeit und häuslicher Dienstbarkeit würde ihn empört haben, wie wenn man Ehre und Rechtschaffenheit in Frage gestellt hätte. Herr Maclinson (dies war sein Name) hegte viel Neigung für mich, und das kleinstädtische Geschwätz über meine Geistesrichtung und meinen sonderbaren Charakter beunruhigte ihn nicht im Mindesten. In seinem Hause herrschte so viel Ordnung, geschah Alles so pünktlich zu gleicher Stunde und auf gleiche Weise, daß wohl Niemand im Stande gewesen wäre, daran etwas zu ändern. Zwei alte Tanten, welche den Haushalt beaufsichtigten, die Dienerschaft, ja selbst die Pferde hätten es nicht begriffen, daß man eine Sache heute anders als gestern machen könne; und ich glaube, das Hausgeräth selbst, das seit drei Generationen diesem Scheinleben zusah, würde sich von seinem Platze bewegt haben, wenn ihm etwas Neues aufgestoßen wäre. Herr Maclinson hatte also vollkommen Recht, wenn er den Einfluß meiner Gegenwart auf so versteinerte Einrichtungen nicht fürchtete. Das Hergebrachte herrschte dort mit solcher Wucht, daß meine etwaigen kleinen Abweichungen ihn vielleicht auf eine Viertelstunde verstimmt, sonst aber sicherlich keine andern Folgen gehabt haben würden.

»Er war ein gütiger Mann, unfähig, Andere zu kränken; aber wenn ich ihm von den zahllosen langen Sorgen, die ein mit der Menschheit lebendes, mit ihr empfindendes Gemüth quälen können, hätte sprechen wollen, würde er mir, wie einem überspannten Frauenzimmer, einfach gerathen haben, ein wenig auszureiten, um in der freien Luft auf bessere Gedanken zu kommen. Eben weil er keine Ahnung von einem Leben im Geist und dessen höheren Bedürfnissen hatte, wünschte er mich zu heirathen, denn ich gefiel ihm, ohne daß er mich verstand.

»Hätte er sich Gedanken über das Wesen einer ausgezeichneten Frau gemacht, über die Vortheile, über die Nachtheile, welche ihr Besitz mit sich führen kann, würde er gefürchtet haben, mir nicht liebenswürdig genug zu erscheinen; aber solche Besorgnisse kamen ihm gar nicht in den Sinn. Stellen Sie sich also meinen Widerwillen gegen diese Vermählung vor! Ich lehnte sie auf das Entschiedenste ab. Mein Vater unterstützte mich, doch meine Stiefmutter zeigte mir seitdem die heftigste Abneigung. Nach meinem Urtheil war sie eine durchaus herrschsüchtige Frau, obgleich ihre Schüchternheit sie oft hinderte ihren Willen auszusprechen. Wenn man ihn nicht errieth, war sie übler Laune; widerstand man ihm aber, nachdem sie die Anstrengung gemacht, ihn zu äußern, dann verzieh sie das um so weniger, als es ihr schwer geworden war, aus ihrer gewohnten Zurückhaltung herauszutreten.

»Die ganze Stadt tadelte mich unbedingt: eine so passende Verbindung, ein so großes Vermögen, ein so achtbarer Mann, ein so glänzender Name! Mit Entrüstung zählte man mir all die zurückgewiesenen Vortheile auf. Ich versuchte auseinanderzusetzen, warum diese passende Verbindung mir nicht passe; es war verlorene Mühe. So lange ich sprach, machte ich mich zuweilen verständlich; aber weine Worte ließen keinen bleibenden Eindruck zurück, denn die gewohnten Ideen bemächtigten sich der Köpfe meiner Zuhörer bald wieder, und wurden von diesen als alte Bekannte, die ich einen Augenblick verscheucht hatte, nur um so lieber begrüßt.

»Eine Frau, die viel geistvoller war, als die übrigen, wiewohl sie sich äußerlich völlig in die allgemeine Lebensweise geschickt hatte, nahm mich eines Tages, als ich mit besonderer Lebhaftigkeit gesprochen hatte, auf die Seite, um mir ein paar weise Worte zu sagen, die mir den tiefsten Eindruck zurückgelassen haben. »Sie geben sich viele Mühe für ein Unerreichbares, meine Liebe, und werden natürliche Dinge doch nicht ändern. Eine kleine Stadt im Norden, die keine Beziehung zur übrigen Welt, keinen Sinn für Kunst und Wissenschaft hat, kann eben nicht anders sein, als diese ist. Wenn Sie hier leben müssen, so fügen Sie sich – und gehen Sie fort, wenn Sie können. Sie haben nur unter diesen beiden Entschlüssen zu wählen.« Die Richtigkeit dieses Rathes war nur zu klar, nur zu begründet. Ich empfand für diese Frau viel Verehrung, und setzte größeres Vertrauen in sie, als in mich selbst; denn mit einer Richtung, welche der meinigen sehr verwandt, hatte sie sich einem Loose, das ich nicht ertragen konnte, zu unterwerfen gewußt, und indem sie die Poesie und ihre idealen Freuden liebte, beurtheilte sie die Macht der Verhältnisse, die Verstocktheit der Menschen mit klarer Uebersicht. Ich gab mir viel Mühe, sie häufiger zu sehen, aber das war vergeblich; ihr Geist überflog die Schranken, ihr Leben hatte sie hineingeschlossen, und ich glaube fast, sie fürchtete durch unsere Gespräche ihre angeborene Ueberlegenheit zu wecken. Was hätte sie damit anfangen sollen?«

Drittes Kapitel.

»Dennoch würde ich mein ganzes Leben in dieser jammervollen Bedrängniß verbracht haben, wenn mir der Vater erhalten worden wäre. Eine plötzliche Krankheit raffte ihn hinweg. Mit ihm verlor ich meinen Beschützer, meinen Freund, das einzige Herz, welches mich in dieser Einöde verstand; meine Verzweiflung war grenzenlos. Mit zwanzig Jahren sah ich mich ohne jedes Band, ohne jede andere Stütze auf Erden, als meine Stiefmutter, der ich nach fünf Jahren unausgesetzten Nebeneinanderlebens nicht näher gekommen war, als ich ihr am ersten Tage unseres Begegnens stand. Sie sprach mir in lästigen Wiederholungen von Herrn Maclinson, und wenn sie auch kein Recht hatte, mich zu dieser Ehe zu zwingen, so empfing sie doch nur ihn in ihrem Hause, und erklärte mir rund heraus, daß sie keine andere Heirath begünstigen werde. Nicht weil sie Herrn Maclinson sehr liebte, nicht aus beleidigtem Verwandtschaftsgefühl machte sie gemeinschaftliche Sache mit ihm, sondern weil sie es hochmüthig von mir fand, ihn abzulehnen, weil sie die Mittelmäßigkeit vertheidigen wollte.

»Mit jedem Tage wurde meine Lage unerträglicher, vollends als das Heimweh mich ergriff. Das Exil mit seinem nagenden, heimlichen Leid ist für empfindungsvolle Menschen oft grausamer als der Tod: in kranker Einbildung hadern wir mit unserer Umgebung, mit dem Klima, der Gegend, der Sprache, den Sitten, mit dem öffentlichen, wie mit dem Privatleben; jeder Augenblick hat seinen Schmerz, jede Situation ihr Unbehagen, denn das Vaterland gewährt uns tausend fortdauernde Freuden, deren wir uns nicht bewußt werden, bis wir sie verloren haben.

... La favella, i costumi
L'aria, i tronchi, il terren, la mura, i sassi.

Anmerkung des Verlages: Sprache, Sitten, Luft, Bäume, die Erde, die Mauern, das Gestein!

»Es ist schon eine große Entbehrung, die Stätte nicht mehr zu sehen, wo man seine Kindheit verlebte; mit wunderbarem Zauber verjüngen die Erinnerungen dieses Alters das Herz, und versüßen doch zugleich den Gedanken an den Tod. Wenn das Grab nicht fern dem Orte liegt, wo einst die Wiege stand, ist's, als berge sich das ganze Leben unter ein und demselben Schatten, während die auf fremdem Boden verbrachten Jahre gleich Zweigen ohne Wurzeln sind. Dort sah die ältere Generation uns nicht geboren werden sehen, sie ist uns kein Schutz, wir finden in ihr nicht die Altersgenossen unserer Väter. Für tausend Interessen, die wir mit unsern Landsleuten gemein haben, fehlt dem Fremden jedes Verständnis; man muß Alles erklären, Alles auseinandersetzen, Alles sagen, statt jenes leichten Gedankenverkehrs, jener warmen Ergießungen, die mit dem Augenblick beginnen, wo man wieder unter Mitbürgern ist. Ich konnte nicht ohne Rührung der holden Ausdrucksweise meiner Heimat gedenken: cara, carissima, flüsterte ich zuweilen, wenn ich spazieren ging, in mich hinein, und unwillkürlich verglich ich diese herzliche Begrüßung mit dem Empfang, der mir hier meist zu Theil wurde.

»Täglich irrte ich in den Feldern umher, wo allein das Gekrächz der Raben durch die grauen Wolken schnitt, während ich in Italien den harmonischen Gesang reiner, klarer Menschenstimmen allabendlich über die Gefilde ziehen hörte. Statt der schönen Sonne, statt der lauen Lüfte meiner Heimat, nichts als Nebel! Die Früchte reiften kaum, ich sah keine Trauben, selbst die Blumen blühten matt und in weiten Zwischenräumen von einander; das ganze Jahr hindurch bedeckte das dunkle Kleid der Tannen die Berge. Ein altes Gebäude, ein Gemälde, nur ein einziges schönes Gemälde, würden meine Seele erhoben haben; aber umsonst hätte ich im Umkreis von dreißig Meilen darnach gesucht. Alles war düster und wie erloschen um mich her, und was von Menschen und ihren Wohnungen da war, diente höchstens dazu, die Einsamkeit jenes poetischen Entsetzens zu berauben, welches die Seele in beinahe wohlthuenden Schauern erbeben läßt. Rings herum gab es Wohlhabenheit, etwas Handel und Ackerbau, kurz, was nöthig ist, damit man uns sagen könne: »Du mußt zufrieden sein, es fehlt Dir nichts.« Allein das ist ein albernes, auf des Lebens Aeußerlichkeiten zielendes Wort, wenn der Brennpunkt des Glücks und des Leides in dem innersten, verborgensten Heiligthum unseres Wesens liegt!

»Mit einundzwanzig Jahren durfte ich in den Besitz des Vermögens meiner Mutter und auch des mir vom Vater hinterlassenen gelangen. Es tauchte mir damals in meinen einsamen Träumereien der Wunsch auf, nach Italien zurückzukehren, um dort, da ich verwaist und volljährig war, ein unabhängiges, ganz der Kunst geweihtes Leben zu führen. Ich war glückberauscht von dem bloßen Gedanken und faßte anfangs gar nicht die Möglichkeit eines Hindernisses. Als sich jedoch das erste Hoffnungsfieber etwas beruhigte, scheute ich zurück vor einem so unwiderruflichen Schritte; und je mehr ich mir vorstellte, was Alle, die ich kannte, davon denken würden, desto unausführbarer schien mir das anfänglich so Natürliche. Aber mir war das Bild jenes Lebens, umgeben von den Erinnerungen des Alterthums, von Malerei und Musik mit so vielen zauberhaften Einzelheiten vor die Seele getreten, daß ich erneuerten Widerwillen vor meinem langweiligen Dasein empfand.

»Mein Talent, das ich ganz einzubüßen fürchtete, war vielmehr durch meine gründlichen Studien der englischen Sprache noch bereichert worden; die, Euren Dichtern eigene, tiefe Weise des Schauens und Denkens hatte mir Geist und Seele gekräftigt, ohne daß dies auf Kosten jener lebhaften Einbildungskraft geschehen wäre, die allein den Bewohnern unserer Lande anzugehören scheint. Durch die seltene Vereinigung von Umständen also, welche mir eine zwiefache Erziehung und, wenn ich so sagen darf, zwei verschiedene Nationalitäten gegeben, durfte ich mich im Besitze ungewöhnlicher Vortheile glauben. Ich erinnerte mich des Beifalls, welchen in Florenz eine kleine Zahl sachkundiger Richter meinen ersten dichterischen Versuchen gegönnt hatte. Ich schwelgte in zukünftigen Erfolgen, die mir zu Theil werden konnten; kurz, ich erwartete viel von mir: ist das denn nicht die erste und edelste Täuschung der Jugend?

»Mir war, als werde mir an dem Tage, wo ich nicht mehr den verdorrenden Einfluß böswilliger Mittelmäßigkeit fühlen dürfte, die ganze Welt gehören. Aber als es sich um den Entschluß handelte, wirklich abzureisen, heimlich zu entfliehen, da fand ich mich durch das Urtheil der Gesellschaft gefesselt, das mir in England viel mehr, als in Italien imponirte. Denn obwohl ich jene kleine Stadt nicht liebte, achtete ich doch das große Land, von dem sie ein Theil war. Wenn meine Stiefmutter sich herbeigelassen hätte, mich nach London oder Edinburg zu begleiten, wenn sie daran gedacht hätte, mich einem Manne zu vereinigen, der Geist genug besaß, um den meinigen zu würdigen, niemals hätte ich meinem Namen und jener Lebensweise entsagt, selbst nicht um meiner alten Heimat willen. Und wie schwer mir auch die Herrschaft meiner Stiefmutter zu tragen war, ich hätte ohne eine Menge zusammentreffender Umstände, die meinen schwankenden Sinn zur Entscheidung drängten, nie die Kraft zur Aenderung meiner Lage besessen.

»Theresina, meine Ihnen bekannte Kammerfrau, war immer noch bei mir; sie ist aus Toskana; und obwohl ihr Geist nicht gebildet ist, weiß sie doch jene edlen, harmonischen Ausdrücke zu brauchen, die den geringsten Worten unseres Volkes so viel Anmuth verleihen. Mit ihr allein konnte ich meine Sprache reden, und dies knüpfte mich eng an sie. Ich sah sie oft traurig, doch wagte ich nicht, sie nach der Ursache zu fragen, denn ich dachte mir wohl, daß sie, wie ich, unserer Heimat nachhänge, und fürchtete, meine Gefühle nicht mehr beherrschen zu können, wenn sie durch die eines Andern noch mehr aufgeregt würden. Es giebt Schmerzen, welche sich in der Mittheilung besänftigen, aber die Krankheiten der Einbildungskraft steigern sich, indem man sie anvertraut; steigern sich mehr noch, wenn man in dem Andern den verwandten Schmerz findet. Das zu erduldende Leid scheint dann unbesiegbar, und man versucht gar nicht mehr, es zu bekämpfen. Meine arme Theresina erkrankte plötzlich sehr ernst, und da ich sie Tag und Nacht seufzen hörte, entschloß ich mich, sie nach der Ursache ihres Kummers zu fragen. Mit welchem Erstaunen vernahm ich Alles das von ihr, was ich selbst empfunden! Sie war sich dessen nicht so klar, wie ich, bewußt, und gab mehr den örtlichen Verhältnissen, den einzelnen Persönlichkeiten die Schuld; aber das Traurige dieser Natur, die Schaalheit der kleinen Stadt, die Kaltherzigkeit ihrer Einwohner und das Gezwungene ihrer Sitten – sie fühlte das Alles, ohne sich Rechenschaft darüber geben zu können. »O, mein Vaterland, werde ich dich denn niemals wiedersehn!« rief sie unaufhörlich, um doch gleich hinzuzufügen, sie wolle mich nicht verlassen, und es dann wieder in bitterem Jammer zu beklagen, daß ihre Anhänglichkeit an mich nicht mit ihrem schönen, italienischen Himmel und den geliebten Tönen ihrer Muttersprache vereinbar sei.

»Nichts hätte mir tieferen Eindruck machen können, als dieser Wiederhall meiner eigenen Gefühle in dem Gemüthe eines ganz alltäglichen Geschöpfes, das jedoch den italienischen Charakter und seine Neigungen in ihrer ganzen Ursprünglichkeit sich bewahrt hatte; ich versprach ihr, sie solle Italien wiedersehn. »Mit Ihnen?« fragte sie. Ich schwieg. Darauf gerieth sie in die maßloseste Bekümmerniß, und schwur, sie wolle sich nie von mir trennen; zwar schien sie beinahe sterbend, als sie mir diese Versicherung gab. In meiner Besorgniß, und nur um sie zu beruhigen, entschlüpfte mir das Versprechen, auch ich würde nach dem Süden zurückkehren; aber sie gab dem unbedachten Wort durch ihre grenzenlose Freude und durch das Vertrauen, mit welchem sie es aufnahm, eine größere, feierlichere Bedeutung. Seit jenem Tage setzte sie sich, ohne mir etwas davon zu sagen, mit einigen Kaufleuten der Stadt in Verbindung und machte mir stets genaue Anzeige, wenn ein nach Genua oder Livorno segelndes Schiff den Hafen verließ. Ich hörte das meist ohne Erwiderung an; sie schwieg dann auch, doch ihre Augen standen immer voll Thränen. Durch das Klima und das innere Leid verschlechterte sich meine Gesundheit täglich mehr. Mein Geist bedarf der Bewegung und Heiterkeit; ich habe es Ihnen schon oft gesagt: der Schmerz vermag mich zu tödten, denn es kämpft in mir zu fürchterlich gegen ihn an; um nicht davon zu sterben, muß man sich ihm unterwerfen.

»Ich kam häufig auf den Gedanken an Flucht zurück. Doch meine Liebe zu Lucile, für welche ich mich seit sechs Jahren wie eine Mutter bemühte, und die Befürchtung, solch heimliches Entweichen könne meinen Ruf derartig gefährden, daß selbst der Name meiner Schwester darunter leiden würde, bestimmten mich, noch einige Zeit hindurch meinem Plan zu entsagen. Eines Abends indessen, als ich mich über die Art meiner Beziehungen zu Lady Edgermond und der Gesellschaft grade ganz besonders verstimmt fühlte, speiste ich zufällig mit Jener allein, und nach einer Stunde absoluten Schweigens ergriff mich plötzlich eine solche Ungeduld über ihre unerschütterliche Frostigkeit, daß ich die Klage über das Leben, welches ich führte, zum Gegenstand des Gespräches machte, mehr eigentlich, um sie zum Reden zu zwingen, als weil ich irgend ein für mich günstiges Resultat erwartet hätte. Ich wurde etwas eifrig dabei, und ging so weit, die Möglichkeit, in einer Lage, wie die meinige sei, England auf immer zu verlassen, als sehr naheliegend anzudeuten. Meine Stiefmutter regte sich darüber durchaus nicht auf, und mit einer Gleichgültigkeit und Härte, die ich in meinem Leben nicht vergessen werde, erwiderte sie mir: »Sie sind einundzwanzig Jahr alt, Miß Edgermond, und haben jetzt über das Vermögen Ihrer Mutter, wie über Ihr väterliches Erbtheil, frei zu verfügen. Folglich können Sie sich aufführen, wie es Ihnen beliebt; wenn Sie indessen etwas unternehmen, das Sie in der öffentlichen Meinung entehrt, sind Sie es Ihrer Familie schuldig, den Namen zu wechseln und für todt zu gelten.« Ohne auf diese Worte etwas zu erwidern, stand ich heftig auf und verließ das Zimmer.

»So viel geringschätzige Härte versetzte mich in bebende Entrüstung, und anfangs empfand ich ein mir sonst fremdes Bedürfniß nach Rache; zwar beruhigte sich diese Aufwallung wieder, aber die Ueberzeugung, daß Niemand hier sich um mich kümmere, zerriß auch die letzten Bande, welche mich an das Haus meines todten Vaters knüpften. Allerdings liebte ich Lady Edgermond nicht, aber eine Unempfindlichkeit, wie sie mir solche zeigte, hatte ich nicht für sie; ihre Liebe für Lucile war mir immer rührend gewesen, ich glaubte ihr durch meine Sorgfalt für das Kind einiges Wohlwollen abgewonnen zu haben, und vielleicht hatte im Gegentheil eben diese Sorgfalt ihre Eifersucht erregt; denn je verneinender sie allen andern Dingen gegenüber stand, um so leidenschaftlicher war sie in dieser einzigen Zuneigung, welche sie sich gestattet hatte. Alles, was es an Gluth und Leben im Menschenherzen giebt, und was sie sonst mit kühler Vernunft nach allen Richtungen hin in Schranken hielt, ergoß sich auf diese Tochter.

»Noch während des grollenden Schmerzes, welchen die Unterhaltung mit Lady Edgermond in mir aufgestürmt, meldete Theresina in größester Bewegung, daß im benachbarten Hafen ein von Livorno kommendes Schiff eingelaufen sei, auf welchem sich mehrere ihr bekannte Kaufleute, »die ehrenhaftesten Männer von der Welt«, befänden. »Sie Alle sind Italiener«, erzählte sie weinend, »sie sprechen nur italienisch; in acht Tagen schiffen sie sich wieder nach Livorno ein, und wenn Madame entschieden wäre...« – »Geh mit ihnen, meine gute Theresina«, erwiderte ich ihr. – »Nein, Madame«, rief sie, »lieber sterbe ich hier!« – Und sie verließ mein Zimmer, wo ich in Grübeleien über meine Pflichten gegen Lady Edgermond zurückblieb. Daß sie mich nicht mehr um sich zu haben wünschte, schien mir klar; mein Einfluß auf Lucile mißfiel ihr, sie fürchtete mein Ruf als ein sonderbares, überspanntes Mädchen könne einst ihrer Tochter schaden; auch hatte sie mir ja wirklich ihre verborgenste Gesinnung enthüllt, als sie mir den Wunsch andeutete, daß ich mich für todt ausgeben möge; und dieser bittre Rath, wie sehr er mich anfangs auch empört hatte, schien mir nach einiger Ueberlegung recht brauchbar.

»Ja wohl«, dachte ich, »wohl kann ich hier für todt gelten, hier, wo mein Dasein nur einem gequälten Schlafe gleicht. Natur, Sonnenschein und Kunst werden mich in der Heimat zu neuem Leben erwecken, und die kalten Buchstaben meines Namens auf einem lügnerischen Grab können in diesem leblosen Aufenthalt meine Stelle so gut, als ich selber, ausfüllen. Dieses Aufstreben meiner Seele nach Licht und Freiheit gab ihr indeß noch nicht den Muth zum letzten Entschlusse. Wir haben Augenblicke, wo wir die Kraft zur Erreichung aller unserer Wünsche in uns fühlen; und andere, wo es uns dünkt, als müsse die herkömmliche Ordnung der uns umgebenden Einrichtungen über alle unsere Gefühle den Sieg davon tragen. In solcher Schwankung befand ich mich, und sie hätte ewig dauern können, weil nichts von Außen an mich Herantretendes mir eine Entscheidung abnöthigte, als ich am Abend des folgenden Sonntags unter meinen Fenstern einen italienischen Gesang anstimmen hörte, der, von der Mannschaft jenes Schiffes ausgeführt, eine Ueberraschung war, welche Theresina mir bereitet hatte. Ich gerieth in unbeschreibliche Bewegung, meine Thränen flossen, und all die theuren Erinnerungen standen auf – denn nichts bringt uns so die Vergangenheit zurück, als Musik. Wenn sie das Gewesene heraufbeschwört, gleicht sie den schwermüthigen, geheimnißvollen Schatten unserer Lieben. Die Italiener sangen Monti's köstliche, im Exil gedichtete Verse:

Bella Italia, amate sponde,
Pur vi torno à riveder.
Trema in petto e si confonde
L'alma oppressa dal piacer.

Anmerkung des Verlages: Schönes Italien! Geliebter Strand! So werde ich Euch denn wiedersehen, meine Seele erbebt und erliegt fast dem Uebernaße des Glücks.

»Ich war wie trunken, wie außer mir, und empfand für die Heimat alle Gefühle der Liebe: Sehnsucht, Begeisterung, Schmerz; meine ganze Seele drängte sich nach dem Süden – ich mußte ihn sehen, ihn athmen, ihn hören, jeder Schlag meines Herzens war ein Ruf nach dem schönen, lachenden Vaterlande. Wenn den Todten in ihren Grüften das Leben angeboten würde, sie könnten, den Stein, welcher sie deckt, nicht mit größerer Ungeduld emporheben, als die war, mit der ich meine kalten Leichentücher abwerfen und in den Vollbesitz meines Genius, meiner Begeisterung, meiner wahren Natur zurückkehren wollte. Aber auch auf der Höhe dieser durch die Musik entzündeten Schwärmerei war ich noch weit entfernt, an die Ausführung meines Vorhabens zu denken; es war noch viel zu unklar, viel zu verwirrt, um es zu einem bestimmten Plane festigen zu können. Da aber trat meine Stiefmutter ins Zimmer, und ersuchte mich, den Gesang aufhören zu lassen, weil Musik am Sonntage ein großes Aergerniß sei. Ich machte zögernde Einwendungen: die Italiener wollten morgen schon fort, seit sechs Jahren hätte ich solch ein Vergnügen nicht gehabt, – meine Stiefmutter hörte nicht darauf, und erklärend, daß man vor Allem den Anstand gegen das Land, in welchem man lebe, zu berücksichtigen habe, trat sie ans Fenster und befahl ihrer draußen lauschenden Dienerschaft, meine armen Landsleute fortzuschicken. Sie gingen, und sendeten mir von Zeit zu Zeit aus immer größerer Ferne ein gesungenes Lebewohl zurück, das mir ins Herz schnitt.

»Das Maß meiner Widerwärtigkeiten war voll. Am nächsten Tage sollte jenes Schiff die Anker lichten. Theresina hatte auf's Ungewisse hin, und ohne mich davon in Kenntniß zu setzen, Alles zur Abreise vorbereitet. Lucile war seit acht Tagen bei einer Verwandten ihrer Mutter; die Asche meines Vaters befand sich nicht hier, sondern war, seiner Bestimmung gemäß, nach seinem Gute in Schottland gebracht worden, – kurz, nachdem ich Lady Edgermond brieflich meinen Entschluß mitgetheilt, hatte ich eben nur zu gehen. Ich ging. Es geschah in einem jener Augenblicke, wo man sich gänzlich an das Schicksal hingiebt, wo uns Alles besser scheint, als Abhängigkeit, als schaaler Ueberdruß und ein zielloses Leben, wo die unbedachte Jugend der Zukunft warm vertraut und gläubig den Stern ihres Glückes über sich leuchten sieht.«

Viertes Kapitel.

»Als ich Englands Küste aus den Augen verlor, kamen mir wohl bange Gedanken; da ich aber kein mir zugehöriges Herz zurückließ, fühlte ich mich in Livorno bald durch den mich rings umfangenden Zauber Italiens getröstet. Wie ich es meiner Stiefmutter versprochen hatte, sagte ich Niemand meinen wahren Namen, und nannte mich einfach Corinna, welches der Name einer griechischen Dichterin, der Freundin Pindars ist, deren Geschichte ihn mir theuer gemacht hatte.Anmerkung der Autorin: Den Namen Corinna muß man nicht mit Corilla verwechseln, einer italienischen Improvisatorin, von welcher man viel gesprochen hat. Corinna war eine Griechin, berühmt durch ihre lyrische Poesie; Pindar selber hat ihren Unterricht genossen. S. 358. Eine alte Sage unterstützt Corinna's fantastisches Vorurtheil, daß der Diamant gegen Verrath warne; man findet diese Sage in einem Trauerspiel Calderons erwähnt; die Verse, welche sie erzählen, sind von sehr wunderbarem Charakter. Sie sind dem Prinzen Ferdinand, einem Portugiesen, in den Mund gelegt, und er spricht sie zu dem Könige von Fez, dessen Gefangener er geworden. Dieser Prinz wollte lieber im Kerker sterben, als einem maurischen Könige eine Stadt übergeben, die sein Bruder, König Eduard, als Lösegeld anbot. Durch diese Weigerung aufgebracht, ließ der maurische König den edlen Prinzen auf das Unwürdigste behandeln; dieser erinnert ihn, um ihn zu besänftigen, daß Großmuth und Erbarmen die wahren Eigenschaften der höchsten Macht seien. Er führt ihm Alles, was königlich auf Erden ist, als Beispiel an; unter den Thieren den Löwen, den Delphin, den Adler; dann sucht er unter den Pflanzen und Steinen die natürlichen, auszeichnenden Eigenschaften derer auf, die alle andern zu beherrschen scheinen, und bei dieser Gelegenheit sagt er ihm, daß der Diamant, der dem Eisen zu widerstehen vermag, von selber in Staub zerfällt, um den, welcher ihn trägt, vor einem ihm drohenden Verrath zu warnen. Man kann nicht behaupten, daß diese Weise, die ganze Natur im Zusammenhange mit den Empfindungen und dem Schicksal des Menschen anzusehen, mathematische Richtigkeit habe; so viel ist aber gewiß, daß sie der Fantasie wohlgefällt, und daß die Poesie überhaupt und die spanischen Dichter insbesondere große Schönheiten daraus hernehmen. Da mein, durch die verflossenen Jahre noch mehr entwickeltes Aeußere recht verändert war, ich auch in Florenz früher sehr zurückgezogen gelebt hatte, durfte ich darauf rechnen, was eingetroffen ist, daß Niemand mich erkannte, und man in Rom nicht erfahren hat, wer ich bin. In Northumberland verbreitete meine Stiefmutter das Gerücht von meinem plötzlichen Tode, der wahrend der Ueberfahrt nach Italien, welchen Aufenthalt die Aerzte mir verordnet hätten, erfolgt sei. Sie meldete mir dies in einem Briefe, ohne irgend welch anderes Wort hinzuzufügen. Mit größester Sorgfalt ließ sie mir mein ganzes, sehr bedeutendes Vermögen verabfolgen; dann hat sie mir nie wieder geschrieben. Fünf Jahre liegen zwischen damals und dem Augenblicke, wo ich Sie sah, fünf Jahre voll mannigfaltigen Glückes. Ich nahm meinen Aufenthalt in Rom; mein Ruf verbreitete sich schnell, obwohl mir durch Literatur und Kunst noch mehr einsame Freuden als selbst öffentliche Erfolge zu Theil geworden sind; und bis ich Sie kannte, wußte ich nichts von der Gewalt eines großen, allmächtigen Gefühls. Zuweilen verleitete mich meine Einbildungskraft zu farbenreichen Illusionen, indeß entfärbten sich diese auch wieder, ohne daß es mir sonderlich Schmerz bereitet hätte. Noch keine Neigung hatte mich erfaßt, die mich beherrschte: Bewunderung, Ehrfurcht und Liebe, sie spannten nicht alle meine seelischen Fähigkeiten an. Selbst da, wo ich liebte, konnte ich mir mehr große Eigenschaften, mehr Adel vorstellen, als ich in Wirklichkeit nachher vorfand; kurz, ich stand immer über meinen eigenen Eindrücken, statt ganz von ihnen unterjocht zu werden.

»Verlangen Sie nicht, daß ich ausführlicher erzähle, wie vor Ihnen zwei Männer, deren Leidenschaft für mich nur zu bekannt geworden ist, mein Leben beschäftigt haben, ohne es zu erfüllen. Nur mit Anrufung meiner innersten Rechtlichkeit vermag ich mich zu überzeugen, daß ein Anderer als Sie mich hat interessiren können, und ich empfinde darüber jetzt Reue und Schmerz. Sie wissen es wohl durch meine Freunde: die Unabhängigkeit war mir so theuer, daß ich nach langen Schwankungen, nach traurigen Auftritten, zweimal Verhältnisse abgebrochen habe, welche die Sehnsucht, zu lieben, mich eingehen ließ, und die unauflöslich zu machen ich mich doch nicht entschließen konnte. Ein Deutscher aus großem Geschlecht wollte mich als Gemahlin in seine Heimat führen, an welche ihn, neben seiner Vorliebe für dieselbe, auch Stand und Besitz fesselten. Und ein italienischer Fürst bot mir die glänzendste Stellung in Rom selber an. Der Erstere hatte mir eine außerordentliche Hochschätzung einzuflößen gewußt, doch bemerkte ich mit der Zeit, daß er keinen weitreichenden Geist besaß. Wenn wir allein waren, mußte ich mir viel Mühe geben, um das Gespräch im Gange zu erhalten und ihm mit Sorgfalt zu verbergen, was ihm mangelte. Ich wagte nicht, mein ganzes Geistesvermögen vor ihm zu entfalten, aus Furcht, ihm Unbehagen zu verursachen, und ich sah voraus, daß nothwendigerweise sein Gefühl für mich an dem Tage abnehmen werde, wo ich aufhörte, ihn zu schonen; es ist aber schwer, für Menschen, die man schonen muß, Begeisterung zu fühlen. Die Rücksicht einer Frau für einen ihr untergeordneten Mann verräth mehr Mitleid als Liebe; und die Art von Berechnung und Ueberlegung, welche jene Rücksicht verlangt, läßt die himmlische Blüthe eines unwillkürlichen Gefühls verdorren. Der Italiener hatte einen schöpferischen und anmuthigen Geist; auch wollte er in Rom bleiben, denn wir hatten gleiche Neigungen, und er liebte meine Weise zu leben. Allein bei einer sehr wichtigen Gelegenheit bemerkte ich, daß es ihm an Kraft der Seele gebräche, und daß in schwierigen Lebensverhältnissen nicht er, sondern ich für uns Beide Stütze und Halt sein müßte. Damit war es um alle Liebe geschehen, denn die Frauen bedürfen des Schutzes, und nichts erkältet sie wohl mehr, als wenn sie ihn gewähren müssen. So bin ich also nicht durch Unglück, nicht durch menschliches Fehlen, sondern durch meinen beobachtenden Geist, der mir aufdeckte, was die Einbildungskraft mir verbarg, zweimal in meinen Gefühlen enttäuscht worden.

»Ich glaubte, es sei mein Schicksal, nicht mit der vollen Kraft meiner Seele lieben zu dürfen; zuweilen war mir das sehr schmerzlich, aber häufiger noch wünschte ich mir Glück, frei zu sein, denn ich fürchtete beinahe diese Leidensfähigkeit in mir, diese glühende Natur, die mein Glück und mein Leben bedrohte; zwar suchte ich mich stets dadurch zu beruhigen, daß ich mich erinnerte, wie schwer mein Urtheil einzunehmen sei, und wie kaum Jemand der Vorstellung entsprechen werde, die ich mir von dem Charakter und dem Geiste eines Mannes gemacht. Immer, hoffte ich, würde ich an dem Gegenstände meines Gefallens einige Mängel bemerken, und so der Vollgewalt einer großen Leidenschaft entrinnen; ich wußte nicht, daß es Mängel giebt, welche grade durch die Besorgniß, die sie hervorrufen, die Liebe erhöhen. Oswald, Ihre Schwermuth, Ihre Ungewißheit, mit der Sie an Alles zagend herantreten, die Strenge Ihrer Meinungen trüben meine Ruhe, ohne meine Liebe zu erkälten; diese Liebe wird, fürchte ich, mich nicht glücklich machen, aber dann bin ich zu verurtheilen, nicht Sie.

»Nun wissen Sie die Geschichte meines Lebens; das Verlassen Englands, den Wechsel meines Namens, meines Herzens Unbeständigkeit – nichts habe ich Ihnen verschwiegen. Vielleicht werden Sie nun sagen, meine Einbildungskraft habe mich oft auf Irrwege geführt. Aber wenn die Gesellschaft den Frauen nicht so viel Zwang anlegte, von dem die Männer sich frei fühlen, was in meinem Leben gäbe Ihnen ein Hinderniß, mich zu lieben? Habe ich je getäuscht? Jemals Böses gethan? Hat gemeine Selbstsucht je meine Seele erniedrigt? Wird Gott mehr als Aufrichtigkeit, Güte und Selbstachtung von der Waise verlangen, die sich in der weiten Welt allein sah? O, die glücklichen Frauen, welche bei den ersten Schritten ins Leben Dem begegnen, Den sie immer lieben werden! Doch verdiene ich ihn weniger, weil ich ihn später kennen lernte?

»Indessen gestehe ich Ihnen offen, und Sie werden es mir glauben, Mylord: wenn ich mein Leben an Ihrer Seite hinbringen könnte, ohne Ihnen vermählt zu sein, würde ich das eheliche Band kaum wünschen, ohngeachtet ich mir vollkommen bewußt bin, welch großes Glück, welchen Ruhm, – den stolzesten von Allen, – ich dabei aufgebe. Diese Ehe wäre Ihnen vielleicht ein Opfer; vielleicht gedächten Sie einst in Reue meiner Schwester, der schönen Lucile, welcher Ihr Vater Sie bestimmte. Sie ist zwölf Jahre jünger als ich; ihr Name ist fleckenlos, wie die erste Frühlingsblüthe; der meine, welcher in England schon zu den Todten hinabgestiegen ist, müßte dort erst wieder ins Leben gerufen werden. Lucile hat, ich weiß es, eine milde und reine Seele, und durch die Liebe würde sie lernen, Sie zu verstehen. Oswald, Sie sind frei! Sie erhalten Ihren Ring zurück, sobald Sie es wünschen.

»Ehe Sie sich entscheiden, möchten Sie vielleicht wissen, was ich leiden werde, wenn Sie mich verlassen. Ich weiß es nicht; es steigen zuweilen schwere Kämpfe in meiner Seele auf, die stärker sind, als meine Vernunft, und ich wäre nicht strafbar, wenn solche innere Zerrüttungen mir das Dasein unerträglich machten. Dagegen habe ich auch wieder viel Glücksfähigkeit, und ein förmliches Gedankenfieber treibt zuweilen mein Blut in Umlauf. Ich interessire mich für Alles, spreche mit Vergnügen, erfreue mich mit Entzücken an geistreichen Menschen, an ihrer Theilnahme für mich, an den Wundern der Natur, den Werken der Kunst. Aber ob ich leben kann, wenn ich Sie nicht sehe? Das zu beurtheilen ist an Ihnen, Oswald; Sie kennen mich besser, als ich mich kenne; ich bin für das, was ich zu leiden haben würde, nicht verantwortlich. Wer den Dolch führt, muß wissen, ob die Wunde tödtlich ist. Und wenn sie es wäre. Oswald, müßte ich's Ihnen verzeihen.

»Mein Glück hängt ganz und allein von dem Gefühl ab, das Sie mir seit sechs Monaten bewiesen haben. Und wenn Sie die ganze Macht Ihres Willens und Ihres Zartgefühls aufbieten, können Sie mich über die leichteste Veränderung in diesem Gefühl nicht täuschen. Lassen Sie in dieser Beziehung nicht etwas, wie Pflichtgedanken, in sich aufsteigen; in der Liebe giebt es für mich weder Versprechen, noch Bürgschaft. Nur Gott kann eine Blume wieder blühen lassen, wenn der Sturm sie entblätterte. Ein Ton, ein Blick von Ihnen würde mir genügen, um zu erfahren, daß Ihr Herz nicht mehr dasselbe ist, und Alles würde ich verschmähen, was Sie mir als Ersatz für Ihre Liebe, für diese göttliche Offenbarung, diese Himmelsseligkeit, bieten könnten. So sind Sie denn frei, Oswald; an jedem Tage frei; frei noch, selbst wenn Sie mein Gatte würden! Denn wenn Sie mich nicht mehr liebten, würde ich Sie durch meinen Tod von den unauflöslichen Banden befreien, die Sie an mich fesselten.

»Sobald Sie diesen Brief gelesen haben, will ich Sie wiedersehn; meine Ungeduld wird mich zu Ihnen treiben, und mit dem ersten Blick auf Sie werde ich mein Schicksal wissen. Denn das Unglück geht schnell, und das Herz, so schwach es ist, darf sich über die todbringenden Anzeichen eines unabänderlichen Schicksals nicht irren. Leben Sie wohl.«


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