Frau von Staël
Corinna oder Italien
Frau von Staël

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Zweites Buch.

Corinna auf dem Kapitol.

Erstes Kapitel.

Oswald erwachte in Rom! Eine leuchtende Sonne, die Sonne Italiens, traf seine ersten Blicke, und es durchdrang ihn ein Gefühl der Dankbarkeit und Liebe gegen den Himmel, der ihn mit seinen goldenen Strahlen begrüßen zu wollen schien. Er hörte das Läuten zahlreicher Kirchenglocken; von Zeit zu Zeit gelöste Kanonenschüsse kündeten irgend eine große Feierlichkeit an; er fragte nach der Ursache derselben, und man erwiderte ihm, daß an diesem Morgen die berühmteste Frau Italiens auf dem Kapitol gekrönt werden solle; Corinna nämlich, eine Dichterin, Schriftstellerin, Improvisatorin, die zugleich eine der schönsten Frauen Roms sei. Er ließ sich noch Einiges über die bevorstehende, durch die Namen Petrarca's und Tasso's geheiligte Feierlichkeit mittheilen, und alle erhaltenen Antworten reizten lebhaft seine Neugierde.

Es gab sicherlich den Gewohnheiten und Ansichten eines Engländers nichts Entgegengesetzteres, als diese große, dem Leben einer Frau gegebene Öffentlichkeit; allein der Enthusiasmus, welchen alle hohe Geistesbegabung den Italienern einflößt, gewinnt, augenblicklich wenigstens, auch die Fremden, und inmitten einer, im Ausdrucke ihrer Gefühle so lebhaften Nation vergißt man die Vorurtheile der Heimath. In Rom versteht der Mann aus dem Volke die Kunst; er spricht mit oft kennerischem Urtheil über Bildwerke, Gemälde, Monumente, Alterthümer, und bis zu einem gewissen Grade sind die schriftstellerischen Leistungen für ihn nationale Fragen.

Oswald ging aus, um sich nach dem Ort der Feierlichkeit zu begeben; überall hörte er von Corinna, von ihrer Begabung, ihrem Genie sprechen. Man hatte die Straßen geschmückt, durch welche sie kommen sollte. Das, sich gemeinhin nur um die Vertreter des Reichthums und der Macht schaarende Volk schien wie im Aufruhr, und dies, um eine Frau zu sehen, deren Geist ihre glänzendste Auszeichnung war. In ihrem gegenwärtigen Zustande ist den Italienern kein anderer Ruhm, als ein aus der Pflege der Kunst erblühender, gestattet; und nach dieser Richtung hin fühlen sie das Geniale mit einem Verständniß heraus, das viel große Männer erstehen lassen müßte, wenn Beifall zu ihrer Hervorbringung genügend wäre; wenn es nicht eines tüchtigen Lebens, großer Gesichtspunkte, und einer unabhängigen Stellung bedürfte, um den Geist zu nähren und zu reifen.

Corinnens Ankunft erwartend, durchstreifte Oswald die Straßen Roms. Ueberall hörte er sie nennen, überall erzählte man sich neue, das Zusammentreffen der seltensten Talente beweisende Züge von ihr. Der Eine sagte, ihre Stimme sei die süßeste in ganz Italien; der Andere, Niemand herrsche in der Tragödie so groß als sie; ein Dritter erklärte, daß sie wie eine Nymphe tanze, und mit ebenso viel Styl als Erfindung zeichne: Alle versicherten, daß man nie schönere Verse geschrieben, noch improvisirt habe, als sie und daß sie in der gewöhnlichen Unterhaltung abwechselnd eine Anmuth und Beredtsamkeit entwickele, die dem Hörenden Entzücken gewährten. Man stritt sich, welche Stadt Italiens ihr Geburtsort sei, und die Römer behaupteten, man müsse in Rom geboren sein, um das Italienische mit solcher Reinheit zu sprechen. Der Name ihrer Familie war unbekannt. Ihr erstes Werk war vor fünf Jahren allein unter ihrem Vornamen erschienen. Niemand wußte, wo sie vor diesem Zeitpunkte gelebt hatte, noch was sie gewesen sei; sie zählte jetzt etwa sechsundzwanzig Jahr. Dies Geheimnißvolle, im Verein mit solcher Oeffentlichkeit, diese Frau, von der alle Welt sprach, und deren wahren Namen Niemand kannte, erschienen Lord Nelvil als eine der Seltsamkeiten des wunderbaren Landes, das er zu sehen gekommen. In England hätte er eine solche Frau verurtheilt; aber für Italien legte er keinen so strengen, gesellschaftlichen Maßstab an, und die Krönung Corinna's erfüllte ihn mit der Art von Theilnahme, wie sie ihm etwa ein Abenteuer des Ariost abgenöthigt haben würde.

Schöne und jubelnde Musik kündete das Nahen des Triumphzuges an. Welcher Art das Ereigniß auch sei, das man durch Musik einleite, wir sind durch sie stets in gehobene Stimmung versetzt. Eine große Zahl vornehmer Römer und einige Fremde umringten Corinna's Wagen. »Das ist ihr Gefolge von Anbetern«, sagte ein Römer. »Ja«, erwiderte ein Anderer, »Jedermann streut ihr Weihrauch; doch giebt sie Niemand einen entschiedenen Vorzug; sie ist reich und unabhängig; man glaubt sogar, und sicherlich sieht sie darnach aus, daß sie von vornehmer Geburt sei, die nicht bekannt werden soll.« »Gleichviel«, bemerkte ein Dritter, »sie ist eine in Wolken gehüllte Gottheit.« Oswald sah erstaunt auf den Sprechenden, dessen Aeußeres den niedersten gesellschaftlichen Rang bezeichnete; aber im Süden bedient man sich des dichterischen Ausdrucks mit einer Natürlichkeit, als ob die Luft solche Sprache lehre, die Sonnenstrahlen sie eingäben.

Endlich bahnten sich die vier weißen Rosse, welche Corinna zogen, durch das Menschengedränge ihren Weg. Die Gefeierte saß auf einem antiken Triumphwagen, und junge, weißgekleidete Mädchen gingen ihr zur Seite. Wo sie vorüberzog, erfüllte man die Luft mit reichen Wohlgerüchen; dicht gedrängt stand es an den mit Blumen und scharlachnen Teppichen geschmückten Fenstern. Das Volk rief jauchzend: »Es lebe Corinna! Es lebe der Genius! Es lebe die Schönheit.« Ueberall freudige, allgemeine Erregung – nur Lord Nelvil theilte sie noch nicht; und obwohl er sich schon mahnend gesagt, daß man, um Alles dieses richtig zu beurtheilen, englische Verschlossenheit und französischen Spott bei Seite lassen müsse, konnte er sich doch zu keiner Festesstimmung erheben, bis er endlich Corinna selbst erblickte.

Sie war wie die Sibylle des Domenichino gekleidet: ein indisches Gewebe wand sich um das Haupt und verlor sich halb in dem reichen, schwarzen Haar. Das Kleid war weiß; ein blaues Obergewand floß in reichem Faltenwurf darüber hin, und das Ganze, wiewohl malerisch, wich doch nicht so von der gegebenen Sitte ab, daß es zu viel Gesuchtheit verrathen hätte. Ihre Haltung war edel und bescheiden; man sah es wohl: sie freute sich der allgemeinen Bewunderung, doch sichtbare Schüchternheit verschleierte diese Freude und schien für so viel Ueberlegenheit Verzeihung zu erflehn. Der Ausdruck ihrer Miene, ihrer Augen, ihres Lächelns nahm für sie ein, und ehe noch ein tieferes Gefühl ihn beherrschte, war Lord Nelvil ihr Freund. Ihre Arme waren von leuchtender Schönheit; der Wuchs, groß und etwas kräftig, wie das griechische Ideal, war, gleich diesem, ein hehres Bild der Jugend und des Glückes; ihr Auge blickte voll Begeisterung. In der Art, wie sie grüßte und für die erhaltenen Beifallsbezeigungen dankte, lag eine Ungezwungenheit, welche den Glanz des außerordentlichen Momentes, den sie eben durchlebte, nur noch erhöhte. Sie erinnerte an die Priesterin, die zum Sonnentempel des Apollo emporsteigt, und glich doch auch wieder einer, in gewöhnlichen Lebensverhältnissen gewiß höchst einfachen Frau; kurz, ihre ganze Weise hatte einen Zauber, der Theilnahme und Neugier, Erstaunen und Zuneigung erweckte.

Die Bewunderung des Volkes wuchs, je mehr sie sich dem Kapitol näherte, dieser an großen Erinnerungen so reichen Stätte. Der schöne Himmel, die begeisterten Römer und vor Allem Corinna selbst erwärmten jetzt Oswalds Einbildungskraft; oft wohl hatte er daheim das Volk seine Staatsmänner im Triumphe einhertragen sehen, aber zum ersten Male war er Zeuge, daß man einer Frau so hohe Ehre erwies. Hier huldigte man nur dem Genius, hier war ein Triumphwagen, den nicht Thränen bezahlten, nicht Menschenglück erkauft hatte; und keine Rücksicht, kein Bedenken schränkte hier die Anerkennung der schönsten Naturgaben ein: der Phantasie, der Empfindung und des Gedankens.

Oswald war in Betrachtung versunken, neue Gedanken erfüllten seinen Geist, und dem durch die Geschichte geheiligten, klassischen Boden mit seinen großen Monumenten vermochte er noch keine Aufmerksamkeit zu schenken. Am Fuße der zum Kapitol hinauf führenden Treppe hielt der Wagen, und jetzt eilten Corinnens Freunde herbei, ihr den Arm zu bieten. Sie wählte den des Fürsten Castel-Forte, eines durch seinen Geist und Charakter allgemein verehrten römischen Standesherrn. Jedermann billigte Corinna's Wahl; sie stieg die Stufen zum Kapitol hinauf, deren ernste Großartigkeit auch den leichten Schritt einer Frau wohlwollend aufzunehmen schien. Die jubelnde Musik fiel im Augenblick von Corinnens Ankunft mit neuem Schwunge ein, Kanonen donnerten, und die triumphirende Sibylle trat in den zu ihrem Empfange bereiteten Palast.

Ein mächtiger Saal nahm sie auf, in dessen Tiefe die Senatoren und unter ihnen der, welcher sie krönen sollte, schon Platz genommen hatten; auf der einen Seite saßen alle Cardinäle und des Landes vornehmste Frauen, auf der anderen die Gelehrten der römischen Akademie. Das entgegengesetzte Ende des Saales war von einem Theil der ungeheuren Volksmenge eingenommen. Der für Corinna bestimmte Sessel stand auf einer Erhöhung, die indeß weniger hoch als der Sitz des Senators war. In Gegenwart dieser erhabenen Versammlung hatte Corinna, dem Gebrauche gemäß, auf der ersten, zu ihrem Sessel führenden Stufe das Knie zu beugen. Sie that es mit edler Bescheidenheit, mit anstandsvoller Würde. Lord Nelvils Augen füllten sich mit Thränen. Gerührt sah er, wie Corinnens Blicke, inmitten all dieses Glanzes, all dieses Erfolges, den Schutz eines Freundes zu suchen schienen, den Schutz, dessen keine Frau entbehren kann, wie überlegen sie auch sei! Und er dachte bei sich selbst, wie süß es sein müsse, einer Frau als Stütze zu dienen, deren überreiches Empfindungsleben allein sie solchen Anhaltes bedürftig machte.

Als Corinna ihren Platz eingenommen, trugen römische Dichter verschiedene, zu ihrem Preise verfaßte Sonette und Oden vor. Alle erhoben sie zum Himmel, ohne eine genauere Charakteristik zu liefern. Es waren hübschklingende Anhäufungen von Bildern und mythologischen Anspielungen, welche man von Sappho bis auf unsere Tage, von Jahrhundert zu Jahrhundert, an jede Frau von dichterischer Begabung hätte richten können.

Schon begann Lord Nelvil von dieser Art des Lobes zu leiden; schon meinte er, allein im Anschauen Corinnens, und ohne Suchen, ein treffenderes Bild von ihr entwerfen zu können; ein wahreres, eigenthümlicheres, ein Bild endlich, das nur Corinna sein konnte.

Zweites Kapitel.

Fürst Castel-Forte nahm nun das Wort, und seine Art, Corinna zu preisen, fesselte die Aufmerksamkeit der ganzen Versammlung. Er war ein Mann von fünfzig Jahren, der in Rede und Haltung viel Würde zeigte. Sein Alter und die Versicherung, die man Lord Nelvil gegeben, daß er nur der Freund Corinnens sei, machten es diesem möglich, seiner Charakteristik mit ungemischter Theilnahme zu folgen. Oswald wäre ohne jene Sicherheitsgründe schon eines unklaren Gefühls von Eifersucht fähig gewesen.

Der Fürst las einige Seiten in Prosa, die ohne Uebertreibung, in eigenthümlich treffender Weise Corinnens Bedeutung auseinandersetzten. Er betonte das besondere Verdienst ihrer Werke, und zeigte, wie dieses zum Theil auf ihrem gründlichen Studium der ausländischen Literatur beruhe, und wie sie in höchster Vollendung das Bilderreiche, das Phantastische, das Glanzvolle des südlichen Lebens mit jener innerlichen Tiefe, jener Kenntniß des Menschenherzens zu verbinden wisse, die solchen Ländern zum Antheil wurden, deren nüchterne Außendinge den Sinn nicht erfüllen können.

Er rühmte Corinnens Anmuth und Heiterkeit; eine Heiterkeit, die nichts vom Spott entlehne, und allein aus der Lebhaftigkeit ihres Geistes, aus der blühenden Frische ihrer Phantasie entspringe. Auch von dem Reichthum ihrer Empfindung versuchte er zu sprechen, aber man konnte leicht errathen, daß hier ein persönliches Leid sich seinen Worten beimische. Er beklagte, wie schwer eine ausgezeichnete Frau dem Manne begegne, von welchem sie sich ein ideales Bild gemacht, ein Bild, das mit all jenen Gaben geschmückt sei, die sie durch Herz und Geist beanspruchen dürfe. Dann verweilte er lange dabei, das Gefühl und die Leidenschaft in ihren Poesien zu schildern, und die Kunst anzudeuten, mit der sie die tiefen Beziehungen zwischen den Schönheiten der Natur und dem innersten Seelenleben zu erfassen vermöge. Er hob die Eigenartigkeit ihres Ausdruckes hervor, dieser anziehenden Sprechweise, die ganz nur aus ihrem Denken und Fühlen emporsteige, ohne daß je ein Schatten von Gesuchtheit ihren natürlichen, unfreiwilligen Zauber entstelle.

Von ihrer Beredsamkeit sprach er, als von einer siegenden Macht, die Solche am meisten hinreißen müsse, welche selbst reich an Geist und wahrem Gefühl seien. »Corinna«, sagte er, »ist ohne Zweifel die berühmteste Frau unseres Vaterlandes, und doch können ihre Freunde allein sie richtig würdigen: denn die echten Eigenschaften der Seele wollen immer errathen sein, und wenn nicht eine verwandte Geistesrichtung sie verstehen hilft, kann äußerer Glanz das Erkennen derselben ebenso hindern, als stille Verborgenheit. Er verbreitete sich über ihr Talent zu improvisiren, welches durchaus nicht dem gleiche, was man in Italien hergebrachtermaßen mit dem Worte bezeichne. »Man darf dieses Talent«, fuhr er fort, »nicht ihrem fruchtbaren Geiste allein zuschreiben, sondern auch dem tiefen, erschütternden Wiederhall, den alles Große und Edle in ihrer Seele erweckt; sie äußert kein dahin anklingendes Wort, ohne daß der Gedanken und Gefühle unerschöpfliche Quelle, die Begeisterung, sie ergreife, fortreiße. Auch auf den Reiz ihres immer edlen, immer harmonischen Styles wies Fürst Castel-Forte hin. »Corinnens Dichtungen sind wie eine geistige Melodie, welche allein den Zauber der flüchtigsten zartesten Eindrücke festzuhalten weiß.«

Er sprach von ihrer Unterhaltung und man fühlte es, er hatte deren Wonne gekostet. »Wahrheit und Begeisterung,« sagte er, »Milde und Kraft, das kühle Urtheil und die Exaltation – sie vereinen sich in einem Wesen, um uns alle Freuden des Geistes in lebendigem Wechsel zu gewähren. Man kann Petrarca's reizenden Vers auf sie anwenden:

Il parlar che nell' anima si sente,Anmerkung des Verlages: Die Sprache, die bis in die Seele dringt.

und ich glaube sie besitzt etwas von jener gerühmten Anmuth, von jenem orientalischen Zauber, welchen die Alten der Cleopatra zuschrieben.

»Mit ihr durcheilte Gegenden, mit ihr gehörte Musik, Gemälde, die sie mich bewundern ließ, Bücher, die sie mich verstehen lehrte – sie sind die Welt, die Heimath meiner Gedanken. Ich finde in ihnen allen den Wiederschein ihres Geistes, einen Funken ihres Lebens, und wenn ich von ihr getrennt existiren müßte, würde ich mich mit diesen Erinnerungen umgeben, da ich gewiß bin, daß ich die Feuerspur ihres Wesens, die sie ihnen aufgedrückt, nirgend mehr wiederfinde. Ja«, fuhr er fort, »suchet Corinna, lernt sie kennen, wenn Ihr das Leben mit ihr leben dürft, wenn dies vervielfältigte Dasein, das sie bereitet, Euch lange gesichert ist; aber meidet sie, wenn Ihr verurtheilt seid, sie zu verlassen. Ihr würdet vergebens bis an Euer Ende nach dieser schöpferischen Seele suchen, die Eure Gefühle und Gedanken theilte und bereicherte; Ihr fändet sie nie!«

Oswald erbebte bei diesen Worten; seine Augen hefteten sich auf Corinna, die mit einer Bewegung zuhörte, welche aus edlerer Empfindung als befriedigter Eigenliebe entsprang. Fürst Castel-Forte nahm seine, durch eine augenblickliche Rührung unterbrochene Rede wieder auf. Er sprach von Corinnens Begabung für die Malerei, für Musik, Deklamation und den Tanz, zeigte, wie sie in allen diesen Zweigen der Kunst immer Corinna sei, die sich weder an diese Manier, noch an jenes Gesetz binde, sondern in mannigfaltigen Formen dieselbe Macht ihrer Phantasie, in den verschiedenen Gestalten der schönen Kunst ihren immer gleichen Zauber ausübe.

»Ich schmeichle mir nicht«, schloß Fürst Castel-Forte, »daß es mir gelungen, eine Persönlichkeit zu zeichnen, von der man unmöglich eine Vorstellung haben kann, wenn man sie nicht hörte; aber ihre Gegenwart ist für uns Römer, gleich einer der Wohlthaten unseres glänzenden Himmels, unserer freigebigen Natur. Corinna ist das Band ihrer Freunde untereinander, sie ist die Triebkraft, die Seele unseres Lebens; wir rechnen auf ihre Güte, wir sind stolz auf ihren Genius, und sagen zu den Fremden: Schauet auf sie! sie ist das Bild unseres schönen Italiens; sie ist das, was wir sein würden ohne die Unwissenheit, den Neid, die Uneinigkeit und Schlaffheit, zu welchen unser Schicksal uns verurtheilt hat. Wir betrachten sie gern, als ein wunderbares Kind unseres Klima's, unserer Künste, als einen Nachkommen der Vergangenheit, als eine Weissagung der Zukunft. Und wenn die Fremden dieses Land schmähen, von dem das Licht ausging, das ganz Europa erleuchtete; wenn sie ohne Erbarmen für unsere Irrthümer sind, die aus unserem Unglück entsprangen, rufen wir ihnen zu: Schauet auf Corinna!

»Ja, wir würden ihrem Banner folgen, wir würden Männer sein, wie sie ein Weib ist, wenn Männer, wie die Frauen es vermöchten, sich in ihrem eigenen Herzen eine Welt zu schaffen, und wenn unser Genius, der nothwendig von den großen Gesellschaftsfragen und äußeren Verhältnissen abhängig ist, sich einzig und allein an der Flamme der Dichtkunst entzünden könnte.«

Als Fürst Castel-Forte zu sprechen aufhörte, brach ein allgemeiner Beifallssturm los; und obwohl das Ende seiner Rede einen verdeckten Tadel der gegenwärtigen Zustände Italiens enthielt, stimmten ihm doch alle Großen des Landes bei; denn sicherlich findet man hier eine Art freier Gesinnung, die zwar zum Umstoßen öffentlicher Einrichtungen nicht ausreicht, die aber überlegenen Geistern ein ruhiges Auflehnen gegen herrschende Vorurtheile gern verzeiht.

Des Fürsten Ansehen in Rom war sehr groß. Er sprach mit seltener Weisheit, und das ist in einem Lande, wo man im Ganzen mehr Geist in sein Thun als in sein Reden legt, eine ungewöhnliche Eigenschaft. In Geschäften besaß er nicht jene, die Italiener so oft auszeichnende Geschicklichkeit; aber er dachte scharf und scheute nicht die Mühe geistigen Forschens. Die glücklichen Bewohner des Südens meiden diese Anstrengung gern und schmeicheln sich, Alles durch Eingebung enträthseln zu können, wie ihre großmüthige Erde ihnen ohne Kultur, allein durch die Gunst des Himmels den reichsten Fruchtsegen spendet.

Drittes Kapitel.

Als Fürst Castel-Forte zu reden aufgehört, erhob sich Corinna und dankte mit edlem Anstande, in ihrer Verneigung lag ebenso viel holde Bescheidenheit als Freude, die natürliche Freude, nach ihrem Sinne gelobt zu sein. Es war Brauch, daß der Dichter, den man auf dem Kapitol krönte, eigene und selbst improvisirte Poesien vortrug, ehe man seine Stirn mit dem Lorbeer kränzte. Corinna ließ sich ihre Laute reichen, ein Instrument ihrer eigenen Erfindung, das zwar viel Aehnlichkeit mit der Harfe hatte, aber in der Form mehr antik, im Tone einfacher, als diese, war. Während des Stimmens erfaßte sie beklemmende Schüchternheit, und zitternd bat sie um ein Thema. »Italiens Preis und Ruhm!« rief man ihr einstimmig zu. »Nun denn, ja!« erwiderte sie, schon bereit, schon getragen von dichterischem Schwung, »das Lob Italiens.« Und begeistert von Liebe zu ihrem schönen Vaterlande ließ sie sich in stolzen, reichen Versen, deren Inhalt uns die Prosa nur unvollkommen wiedergiebt, also vernehmen:

Corinnens Gesang auf dem Kapitol.

»Heil dir, Italien, Reich der Sonne! Italien, o Königin des Weltalls! Italien, die Wiege der Wissenschaften! Oft war das Menschengeschlecht dir unterworfen! Oft war es beherrscht von deinen Waffen, deiner Kunst, deinem Himmel!

»Ein Gott verließ den Olymp und fand eine Zufluchtsstätte in Ausonien; der Anblick dieses Landes war wie ein Traum aus goldenem Zeitalter; der tugendhafte Mensch war dort glücklich, er konnte nicht strafbar sein.

»Rom eroberte die Welt durch seinen Genius und wurde Herrscherin durch die Freiheit! Der römische Geist drückte der Mitwelt sein Siegel auf, und als das Hereinbrechen der Barbaren Italien zerstörte, verdunkelte es auch das All. Italien richtete sich an den göttlichen Schätzen der Bildung wieder auf, die flüchtige Griechen ihm zugetragen! der Himmel enthüllte hier seine Gesetze; die Kühnheit seiner Söhne entdeckte einen neuen Welttheil; nochmals wurde es Königin durch den Herrscherstab des Gedankens; aber dieses von Lorbeern umwundene Scepter machte nur Undankbare!

»Von der Kunst erhielt Italien seine verlorene Macht zurück: Dichter und Maler schufen ihm eine Erde, einen Olymp – Himmel und Hölle! und sein belebendes Feuer ward vom eigenen Genius besser, als von dem Gotte der Heiden beschützt; es fand in Europa keinen raubenden Prometheus!

»Warum bin ich auf dem Kapitol? Warum soll meine demüthige Stirn den Kranz empfangen, welchen Petrarca getragen, den Kranz, der an Tasso's Trauercypressen hängt? Warum? Wenn Ihr nicht den Ruhm so liebtet, o meine Mitbürger! daß Ihr nur seinen Kultus schon belohnen wollt, als wäre er Erfolg!

»Wohlan, wenn Ihr ihn liebt, diesen Ruhm, der nur zu oft seine Opfer unter den Siegern wählte, die er selber krönte, so denket mit Stolz jener Jahrhunderte, die von der Künste Wiedergeburt Zeuge waren.

»Dante, der Homer der neueren Zeit, der heilige Dichter unserer geheimnißvollen Religion, dieser Held des Gedankens, ließ seinen Genius in den Styx hinabtauchen, um die Hölle zu betreten, und seine Seele war tief, wie die Abgründe, die er schilderte.

»Italien, wie es zur Zeit seiner Größe war, lebt ganz im Dante wieder. Glühend von republikanischem Geist, Krieger sowohl als Dichter, haucht er den Todten das Feuer der Thaten ein, und seine Schatten haben ein stärkeres Leben, als die Lebendigen von heute!

»Die Erinnerungen der Erde verfolgen sie noch, ihre ruhelosen Leidenschaften zehren noch an ihren Herzen; sie quälen sich um die Vergangenheit, welche ihnen noch weniger unwiderruflich erscheint, als die ewige – ewige Zukunft!

»Man kann sagen, daß der aus dem Vaterlande verbannte Dante seine verzehrenden Schmerzen in die Regionen des Gedankens versetzte: Wie der Dichter selbst nach seiner Heimath fragt, so fragen seine Schatten unaufhörlich um Nachrichten vom irdischen Dasein, und die Hölle stellt sich ihm unter der Gestalt des Exils dar.

»Seinem Auge hüllt sich Alles in florentinisches Gewand. Die Todten des Alterthums, die er heraufbeschwört, sind, wenn sie auferstehen, Toscaner, wie er; aber nicht etwa die Begrenztheit seines Geistes, sondern die Stärke seiner Seele ist's, die so das Weltall in den Kreis seiner Gedanken zieht.

»Eine mystische Verkettung von Kreisen und Sphären führt ihn von der Hölle zum Fegefeuer, vom Fegefeuer zum Paradiese; ein treuer Berichterstatter seiner Gesichte, läßt er Klarheit ausströmen über die dunkelsten Regionen, und die Welt, die er in seinem dreifachen Gedichte schuf, ist eine in sich vollendete, belebte, glänzende, ist wie ein neu entdeckter Planet im Firmamente.

»Auf sein großes Geheiß verwandelt sich Alles auf Erden in Poesie. Das Wesentliche und das Gedankliche, die Gesetze und die Phänomene, sie scheinen die neuen Gottheiten eines neuen Olymps; aber diese, vom Dichter geschaffene Mythologie verflüchtigt, wie die des Alterthums, bei dem Schauen des Paradieses, dieses Oceans von Licht, von Strahlen und Gestirnen, von Tugend und Liebe.

»Die magischen Worte unseres größesten Dichters sind wie ein Prisma des Weltalls, dessen Wunder alle aus ihnen zurückstrahlen, sich brechen, sich wieder zusammenfinden. Töne ahmen Farben nach, Farben verschmelzen in Harmonie. Der bald volltönende oder bizarre, bald geflügelte oder langgedehnte Reim ist von dichterischer Seherkraft eingegeben, dieser höchsten Schönheit der Kunst, diesem Triumph des Genius, welcher uns die Beziehung der Naturgeheimnisse zum Menschenherzen enthüllt.

»Dante hoffte, sein Gedicht werde ihm das Ende seines Exils erwirken; er zählte auf den Ruhm als Fürsprecher; aber er starb zu früh, um die Palmen des Vaterlandes empfangen zu können. Das flüchtige Menschenleben verbraucht sich oft im Elende, und wenn der Ruhm siegt, wenn man endlich an glücklicheren Gestaden landet, öffnet sich das Grab neben dem Hafen, und in tausendfacher Gestalt kündet das Schicksal nicht selten des Lebens Ende durch die Wiederkehr des Glückes an!

»So der unglückliche Tasso, den Eure Huldigungen, o Römer, für so viel Unbill trösten sollten, der schön, gefühlvoll, ritterlich, wie seine Helden von Jerusalem, Thaten-träumend, die Liebe lobend, die er sang, sich diesen Mauern mit Ehrfurcht und Dankbarkeit näherte. Doch am Vorabend des zu seiner Krönung bestimmten Tages forderte ihn der Tod zur schrecklichen Feier: der Himmel ist auf die Erde eifersüchtig, und ruft seine Lieblinge gern früh aus dem Zeitlichen zurück.

»In einem stolzeren und freieren Jahrhundert, als dem des Tasso, war, wie Dante, auch Petrarca, der kampfesmuthige Dichter der italienischen Unabhängigkeit. Anderswo kennt man nur die Geschichte seiner Liebe, hier ehrt ein noch ernsteres Gedenken auf immer seinen Namen, und das Vaterland begeisterte ihn schöner noch, als Laura selbst es vermocht.

»Sein Eifer half ihm, das Alterthum wieder aufleben zu lassen, und weit entfernt, daß seine Einbildungskraft solchen tiefen Forschungen ein Hinderniß war, offenbarte ihm diese schöpferische Macht die Geheimnisse vergangener Jahrhunderte, während sie ihm die Zukunft unterwarf. Er sah ein, daß das Wissen sehr viel dem Erfinden dienen kann, und sein Genie war um so ursprünglicher, als es, ähnlich den ewig wirkenden Kräften, gleichsam allen Zeitaltern angehörte.

»Unser lachender Himmel, unser heiteres Klima haben den Ariost begeistert. Er ist der Regenbogen, der uns nach langen, kriegerischen Stürmen erschien; glänzend und farbenreich, wie dieser Bote des schönen Wetters, scheint er vertraut mit dem Leben zu scherzen und seine leichte und sanfte Heiterkeit gleicht dem Lächeln der Natur, nicht dem Spotte des Menschen.

»Michel Angelo, Raphael, Pergolese, Galilei, und Ihr, unerschrockene Reisende, die Ihr begierig nach neuen Ländern suchtet, obwohl die Natur Euch kein schöneres, als das Eure bieten konnte, vereiniget auch Ihr Euren Ruhm mit dem der Dichter! Künstler, Gelehrte, Philosophen, Ihr seid, wie Jene, Kinder derselben Sonne; dieser Sonne, welche abwechselnd die Einbildungskraft entwickelt, den Gedanken beflügelt, den Muth anfeuert oder auch im Glücke einschläfert, und welche uns Alles zu verheißen, Alles vergessen zu machen scheint.

»Kennt Ihr das Land, wo die Orangen blühn? das Land, welches des Himmels Strahlen mit dem Geist der Liebe befruchten? Habt Ihr jenes melodische Getöse vernommen, das durch seine milden Nächte zittert? Habt Ihr die Wohlgerüche geathmet, die seine reine und weiche Luft noch köstlicher machen? Antwortet mir, Ihr Fremden, ist die Natur bei Euch auch so schön und so wohlthätig?

»Anderswo, wenn eine öffentliche, allgemeine Noth ein Land heimsucht, müssen die Menschen sich von der Gottheit verlassen glauben; doch Wir hier, wir fühlen beständig den Schutz des Himmels, wir wissen, daß er an des Menschen Schicksal Antheil nimmt, und ihn gnädig wie ein edles Geschöpf behandelt.

»Nicht nur mit Aehren und Weinreben ist unsre Natur geschmückt, sondern sie verschwendet auch noch unter des Menschen Schritt einen festlichen Ueberfluß von Blumen und prangendem Gewächs, das, nur zur Zierde geschaffen, zur Nutzbarkeit sich nicht erniedrigt.

»Süßer, von der Natur gespendeter Lebensgenuß bietet sich hier einem Volke dar, das seiner würdig ist. Die einfachsten Speisen genügen ihm; es berauscht sich nicht an den Weinesquellen, die ihm ihren Ueberfluß zuströmen; es liebt seinen Himmel, seine schönen Künste, seine Denkmale, seine zugleich alterthümliche und lenzesblühende Erde. Aber die überfeinerten Vergnügungen einer glänzenden Gesellschaft, die groben Freuden eines gierigen Pöbels sind nicht für unser Volk.

»Hier ist die Sinnlichkeit mit dem Gedanken verschmolzen, und die Seele schwebt, rein wie der Aether, zwischen Himmel und Erde. Hier wird das Leben ganz und voll aus einer Quelle geschöpft. Der Geist ruht hier in wohligem Behagen, weil sich's süß hier träumen läßt; und wenn es in ihm gährt und arbeitet, wenn er ein verlorenes Ziel beklagt, wenn die Menschen ihn unterdrücken, dann nimmt ihn diese liebende Natur in ihre Arme, und schläfert ihn mit tausend süßen Chimären ein.

»So macht sie Alles gut, und ihre helfende Hand heilt jede Wunde. Hier beruhigen sich selbst die Qualen des Herzens, denn wir beten zu einem Gott der Güte und suchen das Geheimniß seiner strengen Liebe zu durchdringen; die vorübergehenden Schmerzen unseres flüchtigen Lebens verlieren sich im großen, ewigen All!«

Corinna wurde einen Augenblick von stürmischem Beifall unterbrochen. Oswald allein mischte sich nicht in die lärmenden Entzückungen, welche ihn umgaben. Bei jenen Worten Corinnens: »Hier beruhigen sich selbst des Herzens Qualen«, hatte er das Haupt in die Hand gesenkt, und es seitdem nicht mehr erhoben. Corinna bemerkte es, und erkannte ihn bald an seinen Zügen, an der Farbe seiner Haare, der Kleidung, dem hohen Wuchs, an seinem ganzen Wesen endlich, für einen Engländer. Das Schwarz, das er trug, und ein trauervoller Ausdruck in seinen Zügen fielen ihr auf. Sein jetzt auf sie gehefteter Blick schien ihr sanfte Vorwürfe zu machen; sie errieth die Gedanken, welche ihn beschäftigten, und es trieb sie, nun auch seiner Stimmung zu genügen, indem sie mit weniger Zuversicht vom Glücke sprach, und inmitten dieses heiteren Festes auch dem Tode einige Verse weihte. Sie nahm in dieser Absicht ihre Laute wieder zur Hand, führte die Versammlung durch weiche, getragene Töne zum Schweigen zurück, und fuhr fort:

»Es giebt Schmerzen, die selbst unser tröstender Himmel nicht zu lindern vermag; aber in welchem Aufenthalte könnte der Seele Leid sanftere und edlere Form annehmen, als hier?

»Anderswo finden kaum die Lebenden Platz genug für ihr Jagen und Treiben und glühendes Wünschen; hier lassen Ruinen, Einöden und unbewohnte Paläste den Schatten ein weites Reich. Ist denn Rom nicht jetzt die Heimath der Gräber?

»Das Coliseum, die Obelisken, und alle die Wunderwerke, welche seit den fernsten Jahrhunderten, seit Romulus bis auf Leo X., aus Griechenland und Egypten kommend, sich hier vereinigten, als ob Größe die Größe anzöge, und als ob ein gleicher Ort Alles bewahren müsse, was der Mensch gegen die zerstörende Zeit schützen möchte – alle diese Wunder sind den Denkmalen Dahingegangener geweiht. Unser träges Leben wird kaum bemerkt; das Schweigen der Lebenden ist eine Huldigung für die Todten; sie dauern, und wir gehen vorüber.

»Sie allein sind geehrt, sie allein noch gefeiert; auf unserer Dunkelheit hebt sich der Glanz unserer Vorfahren leuchtend ab; die Vergangenheit allein steht hoch und heilig da in unserer Gegenwart, und kein Geräusch stört die Weihe dieser Erinnerungen. Alle unsere Meisterwerke sind Schöpfungen derer, die dahingegangen, und das Genie selber zählt unter die erhabenen Todten.

»Es ist vielleicht noch ein besonderer, geheimnißvoller Zauber dieses alten Roms, daß es unsere Fantasie mit dem langen Todesschlaf auszusöhnen vermag. Man ergiebt sich darein für sich selbst, und leidet auch nicht mehr ganz so sehr um die verlorenen Lieben. Die südlichen Völker stellen sich das Ende des Lebens mit weniger dunklen Farben vor, als die Bewohner des Nordens. Die Sonne und der Ruhm, sie erwärmen selbst das Grab.

»Die Kälte und die Einsamkeit des Grabes erschrecken den zagenden Geist weniger in der Nähe der Urnen so vieler großer Todten. Man glaubt sich erwartet von all jenen Schatten, und der Uebergang aus dieser einsamen Stadt in jene unterirdische erscheint hier sanft.

»So wird dem Schmerz der Stachel genommen; nicht etwa weil das Herz vertrocknet, die Seele entnervt ist, sondern weil hier unser Dasein von reineren Harmonien umklungen ist, weil es gelassener dahinströmt. Mit weniger Furcht überläßt man sich der waltenden Natur, der Natur, von welcher der Schöpfer gesagt hat: Sehet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht, und doch, welches Königs Gewand gliche der Pracht, mit der ich diese Blumen kleidete?«

Oswald war von diesen letzten Strophen hingerissen; er gab nun seiner Bewunderung den lebhaftesten Ausdruck, und dieses Mal glich selbst das Entzücken der Italiener nicht dem seinen. Und in der That war ja auch Corinnens zweiter Gesang an ihn, nicht an die Römer gerichtet.

Die meisten Italiener haben, wenn sie Verse sprechen, eine Manier einförmigen Singens, Cantilene genannt, die alle Wirkung zerstört.Anmerkung der Autorin: Von diesem Tadel gegen die italienische Art zu declamiren war der berühmte Monti auszunehmen, der Verse ebenso schön sagte als machte. Ihn die Episode von Ugolino, von Francesca di Rimini, den Tod der Clorinde recitiren zu hören, soll einer der größesten dramatischen Genüsse gewesen sein. Umsonst ist der Wechsel in den Worten: ihr Eindruck bleibt monoton; da sie den Accent fast gar nicht verändern. Aber Corinna legte reiche Abwechselung in ihren Vortrag, ohne indeß das schöne Maß des Wohlklangs zu überschreiten; es war wie verschiedene Melodien, alle einem einzigen himmlischen Instrumente entlockt.

Das edle, tonreiche Italienisch klang in Corinnens Mund wie eine neue Sprache; Oswald wenigstens schien es neu. Die englische Prosodie ist einförmig und dumpf; ihre Schönheiten sind alle schwermüthiger Art; Nebel und Wolken geben ihr die Färbung, das Geräusch der Meereswogen die Modulation. Aber wenn diese italienischen Worte, glänzend wie ein Feiertag, weithin klingend, wie triumphirende Musik – die man dem Scharlach unter den Farben vergleichen darf, – wenn diese Worte, noch in die Freude getaucht, die ein lachender Himmel in alle Herzen strömen läßt, mit empfindungsvoller Stimme gesprochen werden, dann bringt ihre weiche Pracht, ihre gemilderte Kraft eine ebenso lebhafte, als unerwartete Rührung hervor, und das, in solchen Glückeslauten gesprochene Leid erschüttert tiefer und plötzlicher, als der Schmerz, den uns die nordischen Sprachen singen, und von dem sie wie durchdrungen scheinen.

Viertes Kapitel.

Der Senator hielt jetzt die Krone aus Myrten und Lorbeer bereit. Corinna löste den Shawl von der Stirn und das schwarze Haar fiel in Locken auf ihre Schultern. Unbedeckten Hauptes und mit dankbarem Vergnügen, das sie nicht zu verbergen suchte, in den Blicken, – trat sie vor, und sank, um den Kranz zu empfangen, jetzt zum zweiten Mal auf die Kniee; doch schien sie weniger verwirrt, weniger befangen als vorhin: sie hatte geredet, hatte eben ihre Seele mit den edelsten Gedanken erfüllt: die Begeisterung siegte über die Schüchternheit. Jetzt war sie nicht mehr eine furchtsame Frau, sie war die glaubensvolle Priesterin, die sich freudig dem Kultus des Genius weiht.

Als nun der Lorbeer Corinnens Stirne schmückte, fiel die Musik mit mächtigen, das Gemüth stolz erhebenden Siegeshymnen ein; der Lärm der Pauken und Fanfaren erschütterte Corinna aufs Neue; in ihren Augen standen Thränen, sie setzte sich, und drückte das Gesicht in ihr Taschentuch. Oswald, lebhaft gerührt, trat aus der Menge hervor und auf Corinna zu, als ob er sie anreden wolle; dann aber hielt eine unüberwindliche Verlegenheit ihn zurück. Corinna beobachtete ihn, während sie Sorge trug, daß ihr Aufmerken ihm entgehe. Als ihr jedoch Fürst Castel-Forte die Hand bot, um sie nach dem Triumphwagen zu geleiten, ließ sie sich zerstreut hinwegführen, und blickte unter verschiedenen Vorwänden nach Oswald zurück.

Er folgte ihr; und als sie, umgeben von ihren Begleitern, die Treppe hinunterstieg, fiel durch eine zu schnelle Kopfbewegung ihr Lorbeerkranz zur Erde. Oswald hob ihn eilig auf, und sagte, ihr denselben überreichend, einige Worte auf Italienisch, welche etwa bedeuteten: »daß ein demüthiger Sterblicher zu den Füßen der Gottheit die Krone niederlege, die er nicht auf ihr Haupt zu setzen wage«.Anmerkung der Autorin: Wie es scheint, machte Lord Nelvil eine Anspielung auf das folgende schöne Distichon des Properz:
Ut caput in magnis ubi non est ponere signis,
Ponitur hic imos ante corona pedes.
Doch wie groß war Oswalds Erstaunen, als Corinna ihren Dank im reinsten Englisch und mit jenem heimatlichen Insulaner-Accent aussprach, den man auf dem Festlande nie nachbilden lernt. Er blieb anfangs völlig regungslos; dann lehnte er sich in äußerster Verwirrung an einen der Löwen von Basalt, die sich am Fuß der Treppe des Kapitols befinden. Corinna, die seine innere Bewegung bemerkte, war ebenfalls ergriffen; doch zog man sie nach ihrem Wagen, und die Menge war längst verschwunden, als Oswald seine Geistesgegenwart wiederfand.

Corinna hatte ihn bis dahin nur als eine der reizendsten Ausländerinnen, als ein Wunder dieses schönen Landes entzückt; aber dieser Ton seiner Muttersprache rief ihm alle Erinnerungen des Vaterlandes zurück, und gab ihrem fremden Zauber plötzlich etwas Heimatliches und Gewohntes. War sie eine Engländerin? Oder hatte sie nur Jahre ihres Lebens in England zugebracht? Es war nicht zu errathen; unmöglich aber hatte sie das Studium allein so sprechen gelehrt. Sie und Er – sie mußten schon unter gleichem Himmel gelebt haben. Wer weiß, ob ihre Familien nicht Beziehungen zu einander hatten? Vielleicht hatte er sie in ihrer Kindheit schon gesehen? Man trägt oft im Herzen, wie von Anbeginn eingeboren, das Bild von dem einst zu Liebenden, und wenn man dieses dann zum ersten Male mit leiblichen Augen schaut, dann ist's, als kannte man es längst, als kennt man es nur wieder.

Oswald hegte gegen die Italienerinnen manche Vorurtheile; er hielt sie für leidenschaftlich, aber auch für veränderlich, und einer dauernden, tiefen Neigung unfähig. Schon das, was Corinna auf dem Kapitol gesagt, hatte ihm eine andere Meinung gegeben. Und wie nun, wenn er in dieser Frau die Vorzüge und Erinnerungen der Heimat mit reichem Gedankenleben vereint fände? Wenn sie ihm eine neue Zukunft öffnete, ohne daß er nöthig hätte, mit der Vergangenheit zu brechen?

Unter solchen Träumereien hatte Oswald die Engelsbrücke erreicht, welche zur Engelsburg führt, dem einstigen Mausoleum des Hadrian. Des Mondes Strahlen beleuchteten die Statuen auf der Brücke und verwandelten sie in weiße Schatten, die regungslos in die Wogen starrten, wie in die Zeit, die beide sie nichts mehr angingen und an ihnen vorüberflossen; dazu das Schweigen dieser Stätte, des Wassers matte Dunkelheit, Alles führte ihn zu seinen gewohnten, trüben Betrachtungen zurück. Er griff nach seines Vaters Bild, das er auf der Brust trug, und nahm es hervor, es zu betrachten. Das eben empfundene Glück und dessen Ursache knüpften nur zu sehr an das Gefühl an, welches ihn einst so strafbar gegen den Vater gemacht; und dies erneuerte ihm seine inneren Vorwürfe.

»Ewiger Gedanke meines Lebens!« rief er; »so beleidigter und doch so großmüthiger Freund! Hätte ich geglaubt, daß die Aufwallung der Freude sich so bald in meiner Brust erheben könne? Nicht du, der Beste und Nachsichtsvollste der Menschen, nicht du wirfst mir das vor; du willst, daß ich glücklich sei, du willst es noch, ohngeachtet meines Vergehens. Aber möchte ich wenigstens, wenn du aus deinem Himmel zu mir redest, deine Stimme nicht verkennen, wie ich sie auf Erden verkannte.«


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