Frau von Staël
Corinna oder Italien
Frau von Staël

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Zwölftes Buch.

Geschichte Lord Nelvils.

Erstes Kapitel.

»Ich bin im väterlichen Hause mit einer Sorgfalt, mit einer Güte auferzogen worden, die ich erst recht bewundern lernte, seit ich die Menschen kenne. Nichts auf Erden habe ich mehr als meinen Vater geliebt; und doch scheint mir, daß meine Verehrung noch viel heißer, noch viel ergebener gewesen sein würde, wenn ich gewußt hätte, was ich jetzt weiß, wie einzig ein Charakter, gleich dem seinen, in dieser Welt ist. Ich erinnere mich an tausend Züge aus seinem Leben, die mir einfach selbstverständlich erschienen, weil er sie so fand, und die mich heute, wo ich ihren Werth kenne, tief erschüttern. Die Vorwürfe, welche man sich in Bezug auf einen geliebten Menschen macht, der nicht mehr ist, geben uns einen Begriff davon, was die Strafen der Hölle sein könnten, wenn die göttliche Barmherzigkeit nicht wäre!

»Ich lebte neben meinem Vater ruhig und glücklich; dennoch wünschte ich mir zu reisen, ehe ich in die Armee eintrat. Zwar ist in meiner Heimat die parlamentarische Laufbahn die bei weitem glänzendere; doch bedarf es für diese viel rednerischer Begabung, und so zog ich wegen einer, mir damals und noch heute eigenen, großen Schüchternheit, die mir das öffentliche Sprechen sehr peinlich gemacht hätte, den Militärstand vor. Ich wollte lieber mit bestimmten Gefahren, als mit möglichen Verdrießlichkeiten zu thun haben. Meine Eigenliebe ist, nach allen Richtungen hin, mehr empfindlich als ehrgeizig; und immer habe ich gefunden, daß die Menschen, wenn sie uns tadeln, unserer Einbildungskraft wie Gespenster erscheinen, wenn sie uns loben, wie Pygmäen. Ich hatte Lust nach Frankreich zu gehen, wo jene Revolution eben ausgebrochen war, die, ohngeachtet des Alters des Menschengeschlechts, den Anspruch erhob, eine neue Aera der Weltgeschichte zu beginnen. Mein Vater fand gegen Paris Manches einzuwenden; er hatte zu Ende der Regierung Ludwig des Fünfzehnten dort gelebt, und konnte nicht begreifen, wie Coterien sich in eine Nation, Anmaßung in Tugend, Eitelkeit in Begeisterung verwandelt haben sollten. Indessen willigte er, da er meinen Wünschen nicht hinderlich sein mochte, in diese Reise. Wenn die Pflicht es ihm nicht gebot, von seiner väterlichen Autorität Gebrauch zu machen, mied er es gern, mich diese fühlen zu lassen; er wollte vor Allem geliebt sein, und fürchtete immer, ein zu vieles Geltendmachen seines Ansehens möchte die Wahrhaftigkeit und Reinheit meiner kindlichen Liebe, wie auch ihre freie, unabhängige Aeußerung beeinträchtigen. So gestattete er mir in Beginn des Jahres 1791, als ich eben mein einundzwanzigstes Lebensjahr vollendet hatte, einen sechsmonatlichen Aufenthalt in Frankreich; und ich ging, die nachbarliche Nation kennen zu lernen, die dennoch durch ihre Institutionen, und ihre sich daraus entwickelnden Anschauungen so sehr von der unseren verschieden ist.

»Ich glaubte, das Land niemals lieben zu können, und betrat es mit all den Vorurtheilen, zu welchen wir Engländer durch unsern Stolz und unser gemessenes Wesen nur allzuleicht verleitet werden. Ich fürchtete die Verspottung dessen, was dem Geiste und Herzen heilig ist, und verabscheute die gekünstelte Manier, jeden Aufschwung niederzuschlagen, alles Liebesgefühl zu entnüchtern. Der Boden dieser vielgerühmten Heiterkeit schien mir sehr unfruchtbar, da auf ihm meine theuersten Empfindungen zu verdorren schienen. Ich kannte noch nicht die wirklich ausgezeichneten Franzosen, welche mit den edelsten Eigenschaften höchst anmuthsvolle Formen vereinigen. In den Pariser Gesellschaften herrschte eine Freiheit, eine Einfachheit, die mich überraschten. Die wichtigsten Dinge wurden dort ohne Leichtfertigkeit, aber auch ohne Pedanterie behandelt; es schien, als ob die tiefsten Ideen hier allgemeines Eigenthum der Unterhaltung geworden wären, und als ob die Revolution der ganzen Welt nur geschehen sei, um die Gesellschaft von Paris noch liebenswürdiger, noch geistvoller zu machen. Ich lernte Männer kennen voll tiefen Wissens, mit überlegenem Talent, die mehr von dem Wunsch zu gefallen, als dem Bedürfniß nützlich zu sein, angeregt schienen; die selbst nach dem Beifall, welchen man ihnen auf der Tribüne gezollt, noch den des Salons suchten, und die im Verkehr mit Frauen eher bewundert, als geliebt zu werden strebten.

»Alles, was äußerliches Behagen angeht, war in Paris vortrefflich eingerichtet. In den Einrichtungen des gesellschaftlichen, wie öffentlichen Lebens gab es keinen Zwang; Selbstsucht im Innern, doch niemals in der Form; eine Bewegung, eine Angespanntheit, die jeden Tag ausfüllten, ohne freilich viel Nutzen zurückzulassen, aber auch ohne einem Gefühl der Ermüdung Raum zu gestatten; eine Schnelligkeit des Verständnisses, vermöge welcher man durch ein Wort andeutete, oder begriff, wozu man anderswo der längsten Auseinandersetzungen bedurft hätte; ein Geist der Nachahmung, der vielleicht wohl vor jeder wahren Unabhängigkeit zurückgeschreckt wäre, der aber in das Gespräch jene Uebereinstimmung, jene Gefälligkeit brachte, wie sie nirgend sonst zu finden sind; endlich eine leichte Art das Leben zu nehmen, es zu mannigfaltigen, ihm ernsteres Nachdenken fern zu halten, ohne es indeß von Geistesanmuth zu entblößen. All diesen berauschenden Weisen des Lebensgenusses fügen Sie noch die Schauspiele, die anwesenden Fremden, die Neuigkeiten des Tages hinzu, und Sie haben einen Begriff von der geselligsten Stadt der Welt. Hier in dieser Einsiedelei, inmitten einer Wüste, unter Eindrücken, welche der Gegensatz von Allem sind, aus dem jene geschäftigste aller Bevölkerungen ihren Lebensstoff zieht, hier erschreckt es mich fast, das pulsirende Paris auch nur zu nennen; aber ich mußte versuchen, Ihnen diesen Aufenthalt und seine Wirkung auf mich zu schildern. Werden Sie es glauben, Corinna? Sie, die Sie mich jetzt so düster und verzagt sehen, – ich ließ mich durch diesen geistreichen Taumel hinreißen. Es behagte mir, nicht einen Augenblick von Langerweile geplagt zu sein, obwohl ich nun auch keinen für das Nachdenken übrig hatte; es war mir recht, die Fähigkeit zu leiden in mir abzustumpfen, wenngleich die Fähigkeit zu lieben dies mitzuempfinden hatte. Wenn ich nach mir selber urtheilen darf, so scheint es mir, daß ein Mann von ernstem und leidenschaftlichem Charakter an der Intensität und Tiefe seines eigenen Gefühls ermüden kann; er kehrt immer zu seinem eigentlichen Wesen zurück, doch ist es ihm wohlthätig, für einige Zeit wenigstens, aus demselben herausgetreten zu sein. Sie, Corinna, verscheuchen meine natürliche Schwermuth, indem Sie mich über mich selbst erheben; eine andere Frau, von der ich Ihnen bald sprechen werde, zerstreute meinen Trübsinn dadurch, daß sie mich hinab von meinem eigentlichen Werth und zu sich hinunter zog. Indeß wie vielen Geschmack ich auch an dem Pariser Leben fand, und wie schnell es mir zur Gewohnheit wurde, lange hätte es mir nicht genügen können, wenn ich nicht die Freundschaft eines Mannes zu erwerben gewußt, der das vollendete Muster des französischen Charakters in seiner alten Biederkeit, des modernen Franzosengeists in seiner jetzigen Bildungsform, war.

»Ich sage Ihnen nicht den wahren Namen der Personen, von denen ich zu reden habe, liebste Freundin; wenn Sie das Ende dieser Geschichte kennen, werden Sie einsehen, was mich zwingt, ihn zu verbergen. Graf Raimund stammte aus einer der vornehmsten Familien Frankreichs; in seiner Seele thronte der ganze ritterliche Stolz seiner Ahnen, während sein Verstand willig die neuen philosophischen Ideen aufnahm, auch dann aufnahm, wenn sie persönliche Opfer von ihm forderten. Er hatte sich an der Revolution nicht thätig betheiligt, doch bewunderte er das, was an jeder Partei tugendhaft war: den Muth der Dankbarkeit in den Einen, die Liebe zur Freiheit bei den Andern. Vor Allem liebte er Uneigennützigkeit. Immer erschien ihm die Sache der Unterdrückten als die gerechte, und diese Großmuth trat durch die vollkommenste Sorglosigkeit um sein eigenes Wohl in noch helleres Licht. Er war nicht eigentlich ein unglücklicher Mensch; aber sein geistiges Wesen stand zu der Gesellschaft, wie sie im Allgemeinen ist, doch in solchem Gegensatz, daß statt der täglichen Pein, welche ihm dies bereitete, er es vorzog, sich, so zu sagen, von sich selber los zu machen. Ich war so glücklich, des Grafen Raimond Theilnahme zu erregen; er wünschte meine angeborene Zurückhaltung zu überwinden, und um das zu erreichen, pflegte er unsere Freundschaft mit wahrhaft romantischer Zärtlichkeit. Um einen großen Dienst zu leisten, oder ein Vergnügen zu bereiten, gab es für ihn kein Hinderniß. Er beschloß, da er sich nicht ganz von mir trennen mochte, die Hälfte des Jahres in England zu verleben, und ich hatte Mühe zu verhindern, daß er sein ganzes Besitzthum mit mir theilte.

»Ich habe nur eine Schwester, sagte er mir; sie ist an einen sehr reichen, alten Mann verheirathet; ich darf also frei mit meinem Vermögen schalten. Außerdem wird diese Revolution einen schlechten Ausgang nehmen, und ich könnte getödtet werden. Lassen Sie mir darum die Freude, meinen Ueberfluß mit Ihnen zu theilen. Ach! der großmüthige Raimond sah sein Schicksal nur zu gut voraus! Wer im Stande ist, sich selbst zu erkennen, täuscht sich selten über sein Loos; und die Vorahnungen sind in den meisten Fallen nichts, als ein Urtheil über das eigene Ich, das man sich nur noch nicht ganz klar eingestanden. Edel, offenherzig, selbst unvorsichtig, wie Graf Raimond war, zeigte er mir offen seine ganze Seele; mir war ein solcher Charakter neu und bewundernswerth. Bei uns werden die Schätze der Innerlichkeit dem Blicke Anderer nicht so leicht preis gegeben, und wir haben die Gewohnheit angenommen, Alles zu bezweifeln, was sich nicht verhüllt; allein diese überströmende Güte meines Freundes gewährte mir ebenso leicht errungene, als sichere Freuden, und es fiel mir nicht ein, an seinen Eigenschaften zu zweifeln, weil sie sich gleich im ersten Augenblicke wahrnehmen ließen.

»Ich empfand durchaus keine Schüchternheit in meinem Verkehr mit ihm, und was mir noch höher galt: er brachte mich mit mir selbst in Einklang. So war der liebenswürdige Franzose geartet, für welchen ich jene unbegrenzte Freundschaft, jenes kameradschaftliche Brudergefühl empfand, dessen man nur in der Jugend fähig ist, ehe man das Gefühl der Nebenbuhlerschaft kennen lernt, ehe die unabänderlich vorgezeichneten Lebensbahnen das Feld der Zukunft furchen und zertheilen.

»Eines Tages erzählte mir Graf Raimond: »Meine Schwester ist Wittwe geworden, und ich gestehe, daß ich dadurch eben nicht allzu sehr bekümmert bin. Ich war einst gegen diese Heirath; sie hatte die Hand des Greises, der nun gestorben ist, in einer Zeit angenommen, als wir Beide ohne alles Vermögen waren; denn meinen jetzigen Wohlstand danke ich einer Erbschaft, welche mir erst kürzlich zugefallen ist. Dennoch widersetzte ich mich dieser Verbindung damals, so viel ich es vermochte: ich liebe es nun einmal nicht, daß man irgend etwas aus Berechnung thue, am wenigsten den heiligsten Schritt des Lebens. Uebrigens hat sie sich gegen den ungeliebten Gatten stets tadellos benommen, und es ist, nach dem Urtheile der Welt, nichts an der Sache auszusetzen. Nun sie frei ist, wird sie wieder bei mir leben, und Sie werden sie also kennen lernen. Sie ist immerhin doch eine liebenswürdige Frau, und Ihr Engländer liebt es ja wohl, Entdeckungen zu machen. Was mich betrifft, ich ziehe es vor, klar in einem Angesicht lesen zu können. Freilich war mir Ihre Zurückhaltung nie peinigend, mein theurer Oswald, aber die meiner Schwester finde ich zuweilen doch recht unangenehm.

»Diese Schwester des Grafen Raimond, Frau von Arbigny, kam am Morgen des folgenden Tages an; noch an demselben Abend wurde ich ihr vorgestellt. Ihre Züge und der Klang der Stimme waren denen des Bruders ähnlich, aber durch den vorsichtigen und listigen Ausdruck ihrer Augen und durch ihre manierirte Art zu sprechen wich sie wieder sehr von diesem ab. Sonst war ihr Aeußeres angenehm, ihr Wuchs voller Anmuth, und alle Bewegungen zeigten die vollendetste Eleganz. Sie sagte nichts, das nicht stets geziemend gewesen wäre, unterließ keinerlei Art von Rücksicht, ohne daß dabei ihre Höflichkeit übertrieben geschienen hätte; sie schmeichelte der Eigenliebe mit vieler Geschicklichkeit, und wußte es kund zu geben, wenn man ihr gefiel, wiewohl sie selbst sich nie dabei blosstellte; denn in Allem, was das Gefühl anging, drückte sie sich stets in einer Form aus, als wolle sie den Andern verbergen, was in ihrem Herzen vorgehe. Diese Weise zog mich an, da sie mit jener der Frauen meiner Heimat eine scheinbare Aehnlichkeit hatte. Zwar glaubte ich zu bemerken, daß Frau von Arbigny gar zu oft verrieth, was sie behauptete, verheimlichen zu wollen, und daß der Zufall so viele Gelegenheiten zu unfreiwilliger Rührung, als sie um sich her auftauchen zu lassen wußte, nicht herbeizuführen pflegt; doch diese Wahrnehmung ging mir nur flüchtig durch den Kopf, und was ich meistens für Frau von Arbigny empfand, war mir süß und neu.

»Die Gefahr der Schmeichelei kannte ich noch nicht. Wir fühlen bei uns tiefe Ehrfurcht vor der Liebe und der Begeisterung, welche sie erweckt, aber die Kunst, sich durch Schmeicheln der Eigenliebe in das Herz des Anderen einzuschleichen, ist wenig bekannt. Ueberdies kam ich eben von der Universität, und Niemand hatte mir bisher in England irgend welche Aufmerksamkeit gewidmet. Frau von Arbigny ließ jedes meiner Worte als bedeutend gelten und beschäftigte sich mit mir auf das Beständigste. Ich glaube nun zwar nicht mehr, daß sie recht erkannte, zu welchem besseren Ganzen meine Fähigkeiten sich hätten vollenden können; aber sie offenbarte mir zuweilen doch einzelne Verborgenheiten meines Wesens, und dies geschah dann in Worten, deren treffender Scharfsinn mich in Erstaunen setzte. Mitunter schien mir wohl, als ob etwas Gekünsteltes in ihrer Sprache sei, als ob sie zu gut und mit zu holder Stimme rede, und ihre Phrasen zu sorgsam setze, aber die Ähnlichkeit mit ihrem Bruder, dem aufrichtigsten aller Menschen, zerstreute diese Zweifel wieder, und trug selbst dazu bei, mir die Schwester sehr anziehend erscheinen zu lassen.

»Eines Tages sprach ich Graf Raimond von der Wirkung dieser Aehnlichkeit auf mich; er dankte mir, fügte dann aber nach einigem Zaudern hinzu: »Im Charakter indessen hat meine Schwester keine Aehnlichkeit mit mir.« Er schwieg nach diesen Worten; als ich mich später ihrer, wie noch mancher anderer Umstände, erinnerte, habe ich die Ueberzeugung gewonnen, daß er meine Bewerbung um seine Schwester nicht wünschte. Ich kann nicht läugnen: sie ermuthigte eine solche schon damals in absichtlichster Weise, wiewohl diese Absicht sich nicht so deutlich als in der Folge zu erkennen gab. Wir lebten mit einander hin, und die Tage verflossen mit ihr meist angenehm, und immer ohne Verstimmung. Seither ist mir eingefallen, daß sie gewöhnlich meiner Ansicht war; wenn ich einen Satz anfing, beendete sie ihn, oder eilte, meine Aussprüche zu den ihrigen zu machen. Aber trotz dieser Nachgiebigkeit in der Form verfügte sie mit despotischer Gewalt über mich und mein Thun. Sie hatte eine gewisse Art mir zu sagen: »Sicherlich werden Sie dies thun; sicherlich werden Sie jenes unterlassen«, die mich völlig beherrschte. Mir schien dann, als würde ich all ihre Anerkennung verlieren, wenn ich ihre Erwartungen täuschte: kurz, ich legte auf diese mir oft in den schmeichelhaftesten Ausdrücken bewiesene Anerkennung viel Gewicht.

»Indessen, Corinna, glauben Sie mir, denn ich wußte es, selbst ehe ich Sie kannte, das Gefühl, welches ich für Frau von Arbigny empfand, war nicht Liebe; auch hatte ich ihr durchaus nicht gesagt, daß ich sie liebte, denn ich wußte gar nicht, ob eine solche Schwiegertochter meinem Vater genehm sein werde. Die Möglichkeit, daß ich eine Französin heirathen könnte, war ihm wohl kaum in den Sinn gekommen, und ich hätte nichts ohne seine Zustimmung thun mögen. Mein Schweigen, glaube ich, mißfiel Frau von Arbigny; sie zeigte nun oft eine Mißstimmung, aus der sie nachher edle Trauer zu machen suchte, und sie durch, rührende Gründe motivirte; allein ihre Physiognomie drückte in unbewachten Augenblicken oft viel Härte aus. Ich schrieb anfangs diese launischen Anwandlungen unseren gegenseitigen Beziehungen zu, mit denen ich selbst nicht zufrieden war; denn es schmerzt, nur ein wenig, und nicht ganz zu lieben.

»Weder Graf Raimund erwähnte seiner Schwester, noch that ich es, und das war der erste Zwang in unserem Verhältniß. Frau von Arbigny hatte mich wiederholt beschworen, mit ihrem Bruder nicht von ihr zu reden, und als ich mein Erstaunen über diese Bitte äußerte, sagte sie: »Ich weiß nicht, ob Sie darin denken, wie ich: ich kann es nicht ertragen, wenn ein Dritter, und wäre es mein nächster Freund, sich um meine Gefühle für einen Anderen kümmert. Ich liebe es, in meinen Zuneigungen geheimnißvoll zu sein.« – Diese Erklärung schien mir ausreichend, und ich gehorchte ihrem Wunsche. Ich erhielt darauf von meinem Vater einen Brief, der mich nach Schottland zurückrief. Die sechs Monate meines Aufenthalts in Frankreich waren verflossen, und da hier die innern Wirren und Kämpfe immer bedenklicher wurden, hielt er es einem Ausländer nicht angemessen, noch länger zu verweilen. Sein Brief verursachte mir anfangs vielen Kummer. Allerdings fühlte ich, wie sehr mein Vater Recht habe, und mein Verlangen, ihn wiederzusehn, war groß; aber das Leben in Paris in Gesellschaft des Grafen Raimund und seiner Schwester war mir derartig zusagend, daß ich mich nicht ohne bitteren Schmerz herauszureißen vermochte. Ich ging sogleich zu Frau von Arbigny und zeigte ihr den Brief; während sie ihn las, war ich so in Traurigkeit versunken, daß ich nicht einmal sah, welchen Eindruck sie davon empfing; ich weiß nur, daß sie mich bestimmen wollte, meine Abreise zu verschieben, dem Vater zu schreiben, ich sei krank, – kurz, sie rieth mir, mit seinem Befehle zu »laviren«. Ich erinnere mich dieses ihres Ausdruckes noch genau; eben wollte ich antworten, ihr sagen, daß ich bereits fest entschlossen sei, am folgenden Tage aufzubrechen, als Graf Raimund eintrat, und da er nun erfuhr, um was es sich handelte, kurz und bündig erklärte, es sei hier nichts zu zaudern, und ich hätte dem Wunsche meines Vaters unverzüglich Folge zu leisten. Ich war über diese schnelle Abfertigung der Sache betroffen, hatte erwartet, von dem Freunde gebeten, zurückgehalten zu werden, hatte geglaubt, solchem Zureden mit innerstem Bedauern Widerstand leisten zu müssen – Alles, nur daß man mir den Sieg so leicht machen werde, hatte ich nicht vorausgesehen, und für einen Augenblick verkannte ich die Motive meines Freundes. Er bemerkte es. »In drei Monaten bin ich in England«, sagte er, mich liebevoll bei der Hand fassend; »weshalb also sollte ich Sie in Frankreich zurückhalten? Ich habe meine Gründe, es nicht zu thun«, fügte er leiser hinzu. Dennoch hatte Frau von Arbigny seine letzten Worte vernommen, und eilig zustimmend sagte sie, es wäre auch in der That vernünftig, den Gefahren auszuweichen, welchen ein Engländer in Frankreich während der Revolution preis gegeben sei. Ich bin jetzt ganz sicher, daß Graf Raimund nicht dies gemeint hatte, wiewohl er der Erklärung seiner Schwester weder widersprach, noch sie bestätigte. Ich reiste ab, und er hielt es nicht für nothwendig, noch mehr über die Sache zu sagen.

»Könnte ich meinem Lande nützen, so würde ich bleiben«, hatte er unter Anderem gegen mich geäußert, »doch Sie sehen es ja, es giebt kein Frankreich mehr. Das Gedankenleben, die charaktervolle Eigenthümlichkeit, um derentwillen man es so liebte, sie sind nicht mehr. Ich werde den heimatlichen Boden schwer vermissen, doch hoffe ich ein Vaterland wieder zu finden in einem Zusammenleben mit Ihnen.« – Wie sehr bewegte mich der herzliche Ausdruck seiner ächten Freundschaft! Wie viel höher stand Raimond eben jetzt in meiner Liebe, als seine Schwester! Sie errieth das schnell, und noch an diesem Abend sah ich sie in ganz neuem Lichte. Es kam Besuch; sie empfing denselben auf das Heiterste, sprach von meiner Abreise mit der größesten Unbefangenheit und suchte allgemein den Eindruck zu machen, als sei diese für sie ein ganz gleichgültiges Ereigniß. Ich hatte schon bei mehreren Gelegenheiten bemerkt, welch großes Gewicht sie auf persönliches Ansehen legte, und wie sorgfältig sie ihre Liebe zu mir vor Anderen verbarg. Dieses Mal wurde es mir zu arg. Von ihrer Gleichgültigkeit verletzt, beschloß ich, mich noch vor der Gesellschaft zu entfernen, um auch nicht einen Augenblick mit ihr allein zu bleiben. Sie beobachtete mich, als ich mich ihrem Bruder näherte, und ihn bat, ihm erst am nächsten Morgen, kurz vor dem Aufbruch Lebewohl sagen zu dürfen. Darauf trat sie an mich heran, sprach laut genug, um von den Andern gehört zu werden, von einem Briefe, den sie mir für eine ihrer Freundinnen in England einhändigen wolle. Dann fügte sie leise und schnell hinzu: »Nur die Trennung von meinem Bruder wird Ihnen schwer; nur mit ihm reden Sie, und mir werden Sie durch solchen Abschied das Herz brechen!« Hierauf nahm sie ihren Platz im Kreise der Anwesenden wieder ein. Ich war von ihren Worten verwirrt, und dachte schon daran, noch zu bleiben; da legte Graf Raimund gelassen seinen Arm in den meinen und führte mich auf sein Zimmer.

»Als die Gesellschaft sich entfernt hatte, hörten wir sehr heftiges, wiederholtes Schellen, das nur aus den Gemächern der Frau von Arbigny kommen konnte. Graf Raimond achtete nicht darauf; ich bat ihn aber, es zu berücksichtigen, und wir schickten hinüber, um fragen zu lassen, was geschehen sei. Man antwortete uns, daß Frau von Arbigny sich plötzlich unwohl befinde. Ich war gerührt, wollte sie noch einmal sehen, noch einmal zu ihr zurückkehren, doch Graf Raimond widersetzte sich dem auf das Hartnackigste. »Vermeiden wir diese Aufregungen«, sagte er, »die Frauen trösten sich meist leichter, wenn sie allein sind.« – Diese mit seiner sonstigen Milde in großem Gegensatz stehende Härte gegen seine Schwester war mir unverständlich, und ich trennte mich darnach am folgenden Morgen mit einer gewissen Beklommenheit von dem Freunde. Ach! hätte ich sein sorgendes Zartgefühl errathen können, das ihn bewog, die Künste seiner Schwester zurückzuweisen, weil er diese nicht geeignet hielt, mich glücklich zu machen, hätte ich vollends voraussehen können, daß die kommenden Ereignisse uns auf ewig trennen sollten, unser Lebewohl würde sein und mein Herz befriedigt haben.«

Zweites Kapitel.

Oswald hatte seine Erzählung für ein paar Minuten unterbrochen, und Corinna war auf die Fortsetzung so gespannt, daß auch sie sich schweigend verhielt, um den Wiederbeginn seiner Rede nicht hinauszuschieben. »Ich wäre heute ein glücklicher Mensch«, fuhr er fort, »wenn mein Verhältnis zu Frau von Arbigny damit ein Ende gehabt hätte, wenn ich bei meinem Vater geblieben und nie wieder nach Frankreich zurückgegangen wäre. Aber das Verhängniß, was hier vielleicht so viel heißt, als die Schwäche meines Charakters, hat auf immer mein Leben vergiftet, – ja, auf immer, theure Freundin, – selbst ein Leben an Ihrer Seite.

»Ich verlebte nahezu ein Jahr mit meinem Vater in Schottland, und unser gegenseitiges Verständniß wurde täglich inniger. Mehr und mehr drang ich in das Allerheiligste dieser schönen Seele ein, an die mich freie Wahl ebenso sehr, als die Verwandtschaft des Blutes fesselte. Von Raimund erhielt ich die liebevollsten Briefe; zwar sprach er von den Schwierigkeiten, welche ihm das Umsetzen seines Vermögens bereitete, doch blieb er bei seinem Vorsatze, mir zu folgen, wenn jenes Geschäft ausgeführt sei. Ich liebte ihn unverändert; aber welchen Freund konnte ich meinem Vater vergleichen! Die Verehrung, welche dieser mir abnöthigte, beschränkte durchaus nicht mein Vertrauen. Ich glaubte seinen Worten, wie einem Orakel, und die unglücklichen Schwankungen meines Charakters hörten auf, wenn er gesprochen hatte. »Der Himmel gab uns die Liebe für das Ehrwürdige«, sagt ein englischer Schriftsteller. Mein Vater wußte nicht, hat nicht wissen können, wie sehr ich ihn liebte, und mein unseliges Betragen mußte ihn an mir irre machen. Doch hat er Mitleid mit mir gehabt. Sterbend noch beklagte er mich, um des Schmerzes willen, den sein Verlust mir bereiten werde. Ach! Corinna, ich komme immer weiter, in diesem traurigen Berichte; sprechen Sie mir Muth ein, – ich bedarf dessen.«

»Theurer Freund«, sagte Corinna, »finden Sie denn nicht einiges Glück darin, Ihre reiche, edle Seele vor der Frau zu entfalten, die auf der Welt Sie am meisten bewundert und liebt?« ...

»Er schickte mich in Geschäften nach London«, fuhr Lord Nelvil fort, »ich verließ ihn, um ihn nicht mehr wiederzusehn, und ohne daß auch nur das leiseste Vorgefühl meines Unglücks mich durchschauerte. In unsern letzten Unterredungen war er liebreicher, denn je; es ist, als hauchte die Seele des Gerechten, gleich der Blume, Abends den schönsten Wohlgeruch aus. Er küßte mich unter Thränen, und sagte wiederholt, wie um diese zu erklären, es werde in seinem Alter eben Alles feierlich. Ich aber glaubte an seine Lebenskraft, wie an meine eigene; unsere Seelen waren so gleichgestimmt, er war so jung im Lieben, daß ich sein Alter vergaß. Sicherheit, wie Furcht, sie kommen uns in den großen Gefühlen aus unerklärlichen Ursachen. Mein Vater begleitete mich bis an die Schwelle seines Schlosses, dieses Schlosses, das ich später leer und verödet wiederfand, wie mein trauerndes Herz.

»Ich war noch nicht acht Tage in London, als ich von Frau von Arbigny den unseligen Brief empfing, dessen Inhalt mir wohl beinahe wörtlich im Gedächtniß geblieben ist. »Gestern, am zehnten August«, schreibt sie, »ist mein Bruder in den Tuilerien ermordet worden, weil er seinen König vertheidigte. Als seine Schwester bin ich proskribirt, bin gezwungen, mich vor meinen Verfolgern zu verbergen. Graf Raimund hatte mein ganzes Vermögen mit dem seinen vereinigt, um es nach England und in Ihre Hände zu schaffen; haben Sie es etwa schon erhalten? Er hat mir nur ein kurzes Wort zurückgelassen, das er von dem Schlosse aus in dem Augenblick an mich richtete, als man sich zum Sturm anschickte; und in diesen Zeilen verweist er mich an Sie, von dem ich Alles erfahren würde. Wenn es Ihnen möglich wäre, mich von hier abzuholen, retteten Sie mir vielleicht das Leben; Engländer können noch ungehindert in Frankreich reisen, während ich nicht einmal mehr einen Paß erhalte; der Name meines Bruders verdächtigt auch mich. Falls Sie für Raimunds unglückliche Schwester so viel Theilnahme haben, um sich ihrer anzunehmen, werden Sie in Paris bei Herrn von Maltigues, einem Verwandten von mir, meinen Zufluchtsort erfahren. Dann aber, wenn Sie diese Großmuth üben wollen, verlieren Sie keinen Augenblick, denn man sagt, daß mit jedem Tage der Krieg zwischen England und Frankreich ausbrechen könne.«

»Denken Sie sich die Wirkung dieses Briefes auf mich! Mein Freund getödtet, seine Schwester in Verzweiflung; und das Vermögen Beider glaubt sie in meinen Händen, während mir auch nicht die geringste Nachricht über dasselbe zugekommen war. Nehmen Sie dazu die Gefahr, in der Frau von Arbigny sich befand, und ihre Ueberzeugung, daß ich im Stande sei, ihr daraus zu helfen. Ein Zögern schien mir unmöglich; ich reiste augenblicklich ab, nachdem ich an meinen Vater einen Courier gesendet hatte, welcher ihm den eben erhaltenen Brief und mein schriftliches Versprechen überbrachte, in vierzehn Tagen wieder daheim zu sein. Durch einen wirklich grausamen Zufall erkrankte mein Bote unterwegs, und der zweite Brief, den ich meinem Vater von Dover aus schrieb, erreichte ihn früher als der erste. So erfuhr er meine Reise, ohne deren Beweggründe zu kennen; und ehe ihm dieselben durch meinen ersten Brief mitgetheilt wurden, hatte ihn über mein Ausbleiben eine Ruhelosigkeit erfaßt, die ihn nicht mehr verließ.

»In drei Tagen erreichte ich Paris; hier erfuhr ich, daß Frau von Arbigny sich in eine, noch sechzig Meilen entfernte Provinzialstadt zurückgezogen habe, und dorthin setzte ich nun sogleich meinen Weg fort. Wir wurden Beide durch das Wiedersehen tief erschüttert; sie war im Schmerz viel liebenswürdiger als früher, weil in ihrem Benehmen jetzt weniger gekünstelter Zwang lag. Wir beweinten zusammen den edlen Bruder und das allgemeine Unglück der Nation. Ich fragte ängstlich nach ihrem Vermögen, und sie sagte mir, daß ihr jede Nachricht darüber fehle; doch einige Tage später erfuhr ich, sie habe die Papiere von dem Bankier, welchem Graf Raimund sie anvertraut, wieder erhalten; und sonderbarer Weise erlangte ich diese Kenntniß ganz zufällig, von einem in jener Stadt lebenden Kaufmanne, welcher mich auch versicherte, daß Frau von Arbigny niemals recht eigentlich Ursache gehabt habe, um ihr Besitzthum in Sorge zu sein. Dies war mir unerklärlich, und ich ging zu Frau von Arbigny, sie zu fragen, was das Alles bedeute. Ich fand einen ihrer Verwandten, Herrn von Maltigues, bei ihr, der mir schnell und mit merkwürdiger Schlagfertigkeit erklärte, er komme in eben diesem Augenblicke von Paris, um Frau von Arbigny die Nachricht von der Rückkehr des Bankiers zu bringen, den sie in England vermuthet, und der seit vier Wochen wie verschollen gewesen sei. Frau von Arbigny bestätigte seine Mittheilung, und ich glaubte ihr; seither freilich, fiel mir ein, hatte sie beständig Vorwände gesucht, um mir das angebliche Billet ihres Bruders, von welchem sie in jenem Briefe gesprochen, nicht zu zeigen, und ich habe später das listige Verfahren, durch welches sie mich über ihre Existenzmittel beunruhigen wollte, durchschaut.

»So war sie wirklich reich; in ihren Wunsch, sich mir zu vermählen, mischte sich also wenigstens kein niedriger Eigennutz. Aus einem Gefühle eine Unternehmung machen zu wollen, da geschicktes Manövriren aufzuwenden, wo reine Liebe genügt hätte, und sich unaufhörlich zu verstellen, wo es viel einfacher gewesen wäre, zu zeigen, was sie empfand: das war das große Unrecht dieser Frau. Denn sie liebte mich damals so sehr, als man lieben kann, wenn man Alles berechnet, was man thut, ja, was man denkt, und wenn man die Ungelegenheiten des Herzens wie politische Intriguen behandelt.

»Die Traurigkeit der Frau von Arbigny erhöhte ihre äußeren Reize, und verlieh ihr einen rührenden Ausdruck, der mir ungemein gefiel. Ich hatte ihr auf das Bestimmteste erklärt, daß ich mich ohne die Einwilligung meines Vaters nicht verheirathen würde, konnte mich aber nicht enthalten ihr das Entzücken zu verrathen, mit welchem ich an ihrer verführerischen Gestalt hing; und da es in ihrer Absicht lag, mich um jeden Preis zu gewinnen, glaubte ich auch zu erkennen, daß sie nicht unabänderlich entschlossen sei, meine Wünsche unerhört zu lassen. Wenn ich mir jetzt zurückrufe, was zwischen uns vorging, scheint es mir, als zögerte sie aus Beweggründen, die nichts mit der Liebe gemein hatten, und als sei ihr scheinbares Kämpfen nur heimliche Ueberlegung gewesen. Ich war den ganzen Tag mit ihr allein; und ohngeachtet meiner von Delikatesse und Gewissenhaftigkeit gepredigten Vorsätze konnte ich meiner Leidenschaft nicht widerstehen, und Frau von Arbigny auferlegte mir alle Pflichten, indem sie mir alle Rechte gewährte. Sie zeigte mir darauf wohl größeren Schmerz und innere Vorwürfe, als sie wirklich empfand, und so knüpfte sie mich durch diese Reue noch enger an ihr Geschick. Ich wollte sie mit nach England nehmen, sie meinem Vater vorstellen, und ihn beschwören, in unsere Verbindung zu willigen; allein sie weigerte sich, Frankreich zu verlassen, ohne daß sie mich ihren Gatten nennen könne. Vielleicht hatte sie hierin Recht; da sie aber allezeit wußte, daß ich mich nicht entschließen würde, sie ohne die Zustimmung meines Vaters zu heirathen, that sie Unrecht, Mittel zu ergreifen, die ihre Abreise verhindern und mich neben ihr festhalten sollten, ohngeachtet meine Pflicht mich nach England rief.

»Als der Krieg zwischen beiden Ländern erklärt war, steigerte sich natürlich mein Wunsch, Frankreich zu verlassen; mit ihm aber mehrten sich auch die Hindernisse, welche Frau von Arbigny dem entgegensetzte. Bald konnte sie keinen Paß erhalten, bald, als ich allein reisen wollte, versicherte sie, daß ihr Ruf gefährdet sei, wenn ich Frankreich verließe, und daß man sie einer Correspondenz mit mir verdächtigen werde. Diese sonst so gelassene und maßvolle Frau gab sich jetzt auf Augenblicke einer Verzweiflung hin, die meine ganze Seele erschütterte; sie wendete alle Reize ihrer Gestalt, alle Anmuth ihres Geistes auf, um mir zu gefallen, und ihren ganzen Schmerz, um mich einzuschüchtern.

»Vielleicht haben die Frauen Unrecht, mit Hülfe der Thränen über uns zu herrschen, und so die Kraft ihrer Schwäche dienstbar zu machen. Doch falls sie sich nicht scheuen, dieses Mittel anzuwenden, wirkt es fast immer, wenn auch nur für einige Zeit. Das Gefühl erkaltet durch die Herrschaft, die man sich über dasselbe anmaßt, und zu häufig angewendete Thränen hören auf, Eindruck zu machen. Indessen gab es zu jener Zeit in Frankreich tausend Gelegenheiten, um Interesse und Mitleid zu erregen. Auch die Gesundheit Frau von Arbigny's schien mit jedem Tage abzunehmen, und Kränklichkeit ist nun vollends ein furchtbares Herrschaftsmittel der Frauen. Diejenigen, welche nicht, wie Sie, Corinna, ein berechtigtes Vertrauen in ihren Geist und ihre Seelengröße setzen, oder die nicht wenigstens, wie unsere Engländerinnen, zu stolz und zu schüchtern sind, um sich der List zu bedienen, nehmen zu künstlichem Verfahren ihre Zuflucht, wenn sie rühren wollen; und das Beste, was man dann noch von ihnen erwarten kann, ist, daß der Verstellung ein wahres Gefühl zum Grunde liege.

»Ein Dritter, Herr von Maltigues, drängte sich ohne mein Wissen in mein Verhältniß zu Frau von Arbigny. Sie gefiel ihm, er hätte sie auch wohl geheirathet, aber eine bewußte Unsittlichkeit machte ihn gleichgültig gegen Alles; er liebte die Intrigue, wie ein Spiel, selbst wenn ihr Zweck ihn nichts anging, und deshalb unterstützte er Frau von Arbigny in ihren Bestrebungen, mich zu erwerben; immer bereit natürlich, den Plan zu vereiteln, wenn die Gelegenheit, den seinen auszuführen, sich darbieten sollte. Ich hatte gegen diesen Mann eine besondere Abneigung; kaum dreißig Jahr alt, zeigte sein Aeußeres wie sein ganzes Wesen schon eine merkwürdige Trockenheit. In dem »kalten« England sah ich nie etwas, das seinem steifen Ernste und der Haltung glich, mit welcher er in ein Zimmer trat. Ich würde ihn nimmermehr für einen Franzosen gehalten haben, wenn er nicht so viel Geschmack an Scherz und Spott und ein Bedürfniß zu sprechen gezeigt hätte, die sich sehr seltsam an einem Menschen ausnahmen, der über Alles blasirt schien, und diese Blasirtheit zu einem System erhob. Er behauptete, von Natur sehr gefühlvoll, sehr schwungvoll angelegt zu sein, die französische Revolution aber und die durch sie erlangte Menschenkenntnis; habe ihn über Alles enttäuscht. Er habe eingesehen, daß es auf der Welt nichts Gutes gebe, als Geld und Macht, und daß man Neigung und Freundschaft nur als Mittel zu seinen Zwecken betrachten dürfe, die man je nach Umständen aufnehmen und wieder fallen lassen müsse. In der Anwendung dieser Meinung war er sehr geschickt, er beging dabei nur den einen Fehler, sie auszusprechen. Er hatte zwar nicht, wie die Franzosen von früher, den liebenswürdigen Wunsch zu gefallen, wohl aber das Bedürfniß, in der Unterhaltung Effekt zu machen, und dies verleitete ihn zur Unvorsichtigkeit. Hierin unterschied er sich sehr von Frau von Arbigny, die ihren Zweck erreichen wollte, sich aber nie dadurch verrieth, daß sie, wie Herr von Maltigues, mit eingestandener Leichtfertigkeit zu glänzen suchte. An diesen beiden Menschen war es sonderbar, wie gut die wärmer fühlende Frau ihre Heimlichkeiten zu verbergen wußte, und wie schlecht der kalte Mann zu schweigen verstand.

»Wie Herr von Maltigues nun aber auch beschaffen sein mochte, er besaß jedenfalls einen erstaunlichen Einfluß auf Frau von Arbigny. Er errieth sie stets, oder besser, sie vertraute ihm Alles. Dieser meist so versteckten Frau war es vielleicht ein Bedürfniß, von Zeit zu Zeit eine Unklugheit zu begehen, wie um aufzuathmen. Wenigstens gerieth sie in sichtbare Verwirrung, wenn Herr von Maltigues sie nur scharf ansah; wenn er mißgestimmt schien, stand sie auf, um abseits mit ihm zu reden; wenn er unzufrieden fortgegangen war, zog sie sich, um sich mit ihm zu verständigen, sogleich an ihren Schreibtisch zurück. Ich erklärte mir seine Gewalt über sie dadurch, daß er sie von Kindheit auf kannte, und daß er, seit sie keinen näheren Verwandten besaß, die Führung ihrer Angelegenheiten übernommen hatte. Der Hauptgrund ihrer auffallenden Berücksichtigung aber, den ich zu spät erfuhr, war ihre Absicht, Herrn von Maltigues zu heirathen, im Fall ich sie verließe; denn vor Allem lag ihr daran, nicht für eine verlassene Frau zu gelten. So viel Berechnung sollte eigentlich glauben machen, daß sie mich nicht liebte; aber es gab, um mich vorzuziehen, keinen anderen Grund, als ihr Gefühl. Sie hatte nun einmal ihr Lebelang die Berechnung dem Sichgehenlassen, und die gekünstelten Forderungen der Gesellschaft den natürlichen Empfindungen beigemischt. Sie weinte, weil sie gerührt war, aber sie weinte auch, weil man dadurch Rührung erweckt. Sie war glücklich, geliebt zu sein, weil sie liebte, aber auch, weil das vor der Welt Ehre bringt. Sie hatte gute Gefühle, wenn sie allein war, aber falls sie diese nicht zum Vortheil ihrer Wünsche und ihrer Eigenliebe ausnützen konnte, ward sie derselben auch nicht froh. Sie war eine durch und für die Gesellschaft gebildete Frau, die sich auf die Kunst verstand, »das Wahre gut zu verarbeiten«, eine Kunst, welche man häufig in Kreisen antreffen wird, wo die Begier, mit seinen Gefühlen Effekt zu machen, lebhafter ist, als diese Gefühle selbst.

»Seit lange fehlten mir Nachrichten von meinem Vater; der Krieg hatte unseren Briefwechsel unterbrochen. Durch Gelegenheit erhielt ich endlich ein Schreiben von ihm; in demselben beschwor er mich zurückzukehren, im Namen der Pflicht und seiner väterlichen Liebe; er erklärte mir in förmlichster Weise, daß ich ihm durch meine Ehe mit Madame d'Arbigny tödtlichen Schmerz bereiten würde, und bat mich, jetzt nur wenigstens noch frei heimzukehren, und mich nicht eher zu entscheiden, bis ich ihn angehört hätte. Ich antwortete augenblicklich; gab ihm mein Ehrenwort, mich nicht ohne seine Einwilligung verheirathen und in Kurzem bei ihm sein zu wollen. Frau von Arbigny wendete erst Bitten, dann Verzweiflung an, um mich festzuhalten; und als sie deren Erfolglosigkeit einsah, versuchte sie es mit der Lüge: wie aber hätte ich damals Argwohn gegen sie hegen sollen?

»Eines Morgens kam sie blaß, mit aufgelösten Haaren zu mir herein, und warf sich um Schutz flehend in meine Arme; sie schien sterbend vor Entsetzen. Kaum vermochte ich aus all dieser Aufregung so viel zu verstehen, daß gegen sie, als Schwester des Grafen Raimund, ein Verhaftsbefehl ausgegeben sei, und daß ich ihr, um sie den Spähern der Polizei zu entziehen, einen Zufluchtsort ausfindig machen müsse. Zu jener Zeit waren auch Frauen schon mit ins Verderben gerissen worden, und das Furchtbarste hatte seine Wahrscheinlichkeit. Ich brachte sie zu einem mir ergebenen Kaufmann; dort glaubte ich sie sicher geborgen, da nur Herr von Maltigues und ich um diesen Aufenthalt wußten. Wie sollte man an dem Schicksal einer Frau in solcher Lage nicht den lebhaftesten Antheil nehmen? Wie könnte man eine Geächtete verlassen? Wann fände man die Möglichkeit, ihr zu sagen: »Du hast auf meinen Schutz gezählt, ich entziehe ihn dir!« – Dabei verfolgte mich beständig der Gedanke an meinen Vater, und bei verschiedenen Gelegenheiten suchte ich von Frau von Arbigny die Erlaubniß zu erhalten, allein abzureisen; aber sie drohte mir, sich den Henkern zu überliefern, wenn ich sie verließe, und zweimal stürzte sie bei hellem Tage in gänzlicher Fassungslosigkeit, die mich mit Schmerz und Angst erfüllte, auf die offene Straße. Ich folgte ihr, und beschwor sie vergebens, zurückzukommen. Glücklicherweise begegneten wir jedesmal aus Zufall, oder aus Berechnung, Herrn von Maltigues, der sie dann wieder umkehren hieß, und ihr über solch unvorsichtiges Benehmen Vorwürfe machte. Nun endlich ergab ich mich darein, zu bleiben; dem Vater setzte ich mein Verhalten, so gut ich konnte, schriftlich auseinander; aber ich schämte mich, inmitten der furchtbarsten Ereignisse, und während mein Vaterland mit den Franzosen im Kriege war, in Frankreich zu leben.

»Herr von Maltigues spottete oft über meine Gewissensscrupel; allein so scharfsinnig er auch war, bemerkte er nicht, oder gab er sich nicht die Mühe, zu bemerken, welche Wirkung seine Spöttereien auf mich übten; sie erweckten all jene Empfindungen, die er vernichten wollte, nur um so lebhafter. Frau von Arbigny sah das viel besser ein; nur hatte sie über Herrn von Maltigues, der oft nach Launen handelte, sehr wenig Gewalt. Um mich für ihren wahren Schmerz zu erweichen, spielte sie mir immer wieder ihren übertriebenen Schmerz auf; sie bediente sich der Schwäche ihrer Gesundheit ebenso sehr, um reizend, als um rührend zu erscheinen, denn nie war sie anziehender, als wenn sie ohnmächtig zu meinen Füßen lag. Sie wußte ihre Schönheit, wie ihre übrigen Vorzüge zu verschönen, und, um mich zu berauschen, verstand sie geschickt, die äußeren Reize mit innerer Bewegung zu verweben.

»So lebte ich in beständiger Ruhelosigkeit; zitternd, wenn ich einen Brief vom Vater erhielt, unglücklicher noch, wenn ich keinen erhielt: festgehalten durch meine Neigung für Frau von Arbigny und besonders durch die Furcht vor ihrer Verzweiflung; denn aus einem unbegreiflichen Widerspruch war sie ebenso sanft, gleichmäßig, selbst heiter im täglichen Treiben, als maßlos heftig, wenn es einen Auftritt gab. Sie wollte mich nicht nur vermöge des Glückes, auch mit der Furcht wollte sie mich an sich fesseln, und deshalb verwandelte sie ihr Naturell in tausend Absichtlichkeiten. Eines Tages, es war im September 1793, als ich bereits über ein Jahr in Frankreich zugebracht, erhielt ich ein kurz gefaßtes Schreiben meines Vaters; es klang sehr düster und schmerzlich; ersparen Sie mir, es zu wiederholen. Mein Vater war schon krank, sein Zartgefühl und sein Stolz gestatteten ihm aber nicht, mir dies mitzutheilen. Der ganze Brief war voll des beredtesten Schmerzes über meine Abwesenheit, über die Möglichkeit meiner Vermählung mit Frau von Arbigny, und ich begreife noch heute nicht, wie ich beim Lesen das Unglück, welches mich bedrohte, nicht vorausahnte. Ich war indeß erschüttert genug, um nicht mehr zu schwanken, und eilte zu Frau von Arbigny fest entschlossen, ihr Lebewohl zu sagen. Sie mochte dies in meinen Augen lesen, denn sie erhob sich, völlig gesammelt, und sagte: »Ehe Sie gehen, müssen Sie ein Geheimniß erfahren, welches Ihnen zu gestehen ich bisher erröthete. Wenn Sie mich verlassen, tödten Sie nicht nur mich, sondern auch die Frucht meiner Schande und unserer strafbaren Liebe geht mit mir zu Grunde.« Nichts vermag meine Empfindungen zu schildern. Diese neue, heilige Pflicht stellte sich mir gebieterisch entgegen; ich war der Sklave dieser Frau.

»Ich würde unsere kirchliche Trauung haben vollziehen lassen, wie sie das wünschte, wenn sich nicht eben jetzt der Vermählung eines Engländers in Frankreich unübersteigliche Hindernisse in den Weg gestellt hätten. So schob ich unsere Verbindung bis zu dem Augenblicke hinaus, wo wir zusammen würden nach England gehen können, und beschloß, bis dahin Frau von Arbigny nicht zu verlassen. Sie beruhigte sich anfangs, als die Gefahr meiner Abreise ihr aus nächster Nähe gerückt war; aber bald begann sie wieder mich anzuklagen, und abwechselnd unglücklich und gekränkt zu scheinen, weil ich nicht alle Schwierigkeiten, die sich unserer Trauung entgegensetzten, zu überwinden verstand. Ich versank in tiefste Schwermuth, brachte ganze Tage, ohne auszugehen, auf meinem Zimmer zu, nur an den einen Gedanken hingegeben, den ich mir nicht klar eingestand, und der mich doch immer verfolgte. Ich hatte von meines Vaters Krankheit ein Vorgefühl, und wollte dem nicht glauben, da ich es für Schwachheit hielt. In seltsamem Widerspruch, der sich von dem Entsetzen herleitete, welches Frau von Arbigny's Schmerz mir verursachte, bekämpfte ich meine Pflicht, wie eine Leidenschaft, und was man bei mir für Leidenschaft hätte halten können, quälte mich wie eine Pflicht. Frau von Arbigny schrieb mir unaufhörlich, ich möge zu ihr kommen, und wenn ich kam, sprach ich nicht einmal von ihrem Zustande, weil ich es nicht liebte, an ihre Rechte über mich erinnert zu werden; es scheint mir jetzt, daß auch sie weniger davon redete, als natürlich gewesen wäre; damals aber litt ich zu sehr, um das zu bemerken.

»Als ich einmal drei Tage lang, ohne auszugehen, verzehrt von Vorwürfen, und hundert Briefe an den Vater schreibend, die ich alle wieder zerriß, mit mir allein zugebracht hatte, kam Herr von Maltigues. Er besuchte mich sonst gar nicht, da wir uns einander nicht mochten; jetzt schickte ihn Frau von Arbigny mit dem Auftrage, mich meiner Einsamkeit zu entreißen. Er schien sich indeß, wie Sie das bald selbst einsehen werden, wenig für den Erfolg seiner Botschaft zu interessiren. Beim Eintreten hatte er meine Thränen bemerkt, ehe ich Zeit fand, sie zu verbergen. »Wozu dieser Kummer, mein Bester?« sagte er, »verlassen Sie meine Cousine, oder heirathen Sie sie, Beides ist gleich gut, da es der Sache ein Ende macht.« – »Es giebt Lebenslagen«, antwortete ich, »in denen man, selbst wenn man sich aufopfert, doch noch nicht weiß, wie man alle seine Pflichten erfüllen soll.« – »Eben deshalb muß man sich nicht aufopfern«, entgegnete Herr von Maltigues; »ich wenigstens kenne kein Verhältniß, wo das nothwendig wäre; mit Gewandtheit zieht man sich aus Allem heraus; Geschicklichkeit ist die Herrin der Welt.« – »Nicht diese Geschicklichkeit wünsche ich mir«, entgegnete ich; »doch möchte ich, ich wiederhole es, wenn ich doch allem Glück entsagen soll, die wenigstens nicht noch betrüben, die ich liebe.« – »Glauben Sie mir, es ist nicht gut, der schweren Aufgabe, welche man Leben nennt, noch ein sie so verwirrendes Gefühl beizumischen. Das ist eine Krankheit der Seele; ich werde gelegentlich, so gut wie Andere, davon ergriffen; doch wenn sie kommt, nehme ich mir vor, sie müsse vorübergehen, und dies hilft.« – »Aber«, erwiderte ich, und suchte dabei, wie er, auf allgemeinem Gebiet zu bleiben, denn ich konnte und wollte ihm mein Vertrauen nicht schenken, »wenn man auch das Gefühl beseitigen könnte, bliebe immer noch die Ehre und die Tugend, welche sich oft unseren Wünschen entgegenstellen.« – »Die Ehre!« rief Herr von Maltigues; »verstehen Sie unter Ehre, sich zu schlagen, wenn man beleidigt ist? Darüber kann kein Zweifel stattfinden. Welchen Vortheil aber hatte man in jeder andern Beziehung davon, sich von tausend Spitzfindigkeiten beschränken zu lassen?« – »Welchen Vortheil!« unterbrach ich ihn; »das, dünkt mich, ist hier nicht das rechte Wort.« – »Nun, im Ernst«, fuhr Herr von Maltigues fort, »es giebt keines, das eine klarere Bedeutung hätte. Ich weiß wohl, daß man früher von einem ehrenvollen Unglück, von glorreichen Schicksalsprüfungen zu sprechen pflegte. Allein heutzutage, wo alle Welt geplagt ist, die Schelme so gut, wie die sogenannten ehrlichen Leute, heute unterscheidet man nur noch die Vögel, welche an der Leimruthe hängen blieben, von denen, die davon kommen.« – »Ich glaube an einen andern Unterschied«, erwiderte ich; »an ein unverdientes, würdeloses Glück und an das, von der Achtung rechtschaffener Menschen geehrte Unglück.« – »So zeigen Sie sie mir doch, diese rechtschaffenen Leute, welche Sie mit muthvoller Anerkennung für Ihre Schmerzen trösten«, entgegnete Herr von Maltigues; »mir scheint vielmehr, daß die meisten der sogenannten tugendhaften Menschen uns nur entschuldigen, wenn wir glücklich sind, uns nur lieben, wenn wir in der Welt und der Gesellschaft eine Bedeutung haben. Es ist ohne Frage sehr schön von Ihnen, sich gegen einen Vater nicht auflehnen zu mögen, der, nebenbei gesagt, sich jetzt lieber nicht mehr in Ihre Angelegenheiten mischen sollte; deshalb aber brauchten Sie sich das Leben hier nicht gleich in aller Art so gänzlich zu verderben. Was mich betrifft, so will ich, bei Allem, was mir auch geschehe, um jeden Preis meinen Freunden den Kummer, mich leiden zu sehen, und mir den Anblick ihrer langen Trostgesichter ersparen.« – »Ich glaubte«, antwortete ich eifrig, »der Lebenszweck eines rechtschaffenen Mannes sei nicht das persönliche Glück, das ihm allein zu Gute kommt, sondern die Tugend, die Andern Nutzen bringt.« – »Die Tugend, die Tugend!« rief Herr von Maltigues mit einigem Zögern; dann fuhr er plötzlich entschieden fort: »das ist 'ne Sprache für den gemeinen Mann, welche die Eingeweihten unter sich nur mit Hohnlachen gebrauchen. Es giebt gutherzige Seelen, die von gewissen Worten, von gewissem harmonischen Klingklang noch gerührt werden, und um ihretwillen läßt man wohl zuweilen noch das Instrument aufspielen. Aber diese ganze Poesie von Gewissen und Entsagung und Begeisterung ist zum Trost für diejenigen erfunden, denen in dieser Welt kein Glück zu Theil geworden; ist nichts als ein de profundis wie man es für die Todten singt. Die Lebendigen tragen, wenn es ihnen wohl geht, nach dieser Art von Weihrauch durchaus kein Verlangen!« –

»Ich war von diesem Reden sehr aufgebracht, und konnte mich nicht enthalten, etwas hochmüthig zu erwidern: »Hätte ich ein Recht, über den Salon der Frau von Arbigny zu bestimmen, so würde es mir unlieb sein, wenn sie Männer empfinge, die sich eine derartige Denk- und Ausdrucksweise erlauben.« – »Sie können in dieser Beziehung nach Gefallen verfügen, sobald es Zeit dazu ist«, entgegnete Herr von Maltigues; »allein wenn meine Cousine auf mich hören wollte, heirathete sie nicht einen Mann, der sich über die Möglichkeit dieser Verbindung so unglücklich zeigt; lange schon tadle ich sie um dieser Schwäche und um der Mittel willen, die sie für einen Zweck aufwendet, der nicht der Mühe lohnt.« – Nach diesem Wort, das durch seinen Ton noch beleidigender wurde, bedeutete ich Herrn von Maltigues, daß er mir Genugthuung zu geben habe. Wir gingen vor's Thor hinaus. Unterwegs fuhr er fort, mir das System seiner Ansichten mit der größesten Kaltblütigkeit zu entwickeln, und obwohl er in wenigen Minuten todt sein konnte, hörte ich von ihm auch nicht ein religiöses oder gefühlvolles Wort. – »Wenn ich mich auch auf all Eure Abgeschmacktheiten, wie Ihr jungen Leute sie liebt, hätte einlassen wollen, selbst dann würden mich die Ereignisse in meinem Vaterlande davon geheilt haben. Wann sahen Sie, daß bei einer Gewissenhaftigkeit, wie die Ihrige, je etwas Vernünftiges herauskam?« – »Ich gebe Ihnen zu«, erwiderte ich, »daß sie hier bei Ihnen gegenwärtig weniger angebracht sein mag, als anderswo; doch mit der Zeit, oder über alle Zeit hinaus, bald, was an der Sache ist.« – »Wenn mich das Sterben trifft«, rief er lachend, »dann bin ich gewiß, nichts davon zu erfahren; und falls Sie hinüber müssen, werden Sie wohl nicht zurückkommen, um meine verlorene Seele zu erleuchten!« – Im Gehen fiel mir ein, daß ich für den Fall meines Todes gar keine Anordnungen getroffen hatte, weder um meinen Vater von meinem Schicksal in Kenntniß zu setzen, noch auch, um Frau von Arbigny einen Theil meines Vermögens zu sichern, worauf sie, wie ich glaubte, ein Recht hatte. Während ich noch darüber nachsann, kamen wir an der Wohnung des Herrn von Maltigues vorüber, und ich bat ihn um die Erlaubniß, eintreten und zwei Briefe schreiben zu dürfen; er gewährte sie, und als wir darauf unseren Weg fortsetzten, um aus der Stadt zu kommen, übergab ich ihm das Geschriebene, und empfahl mit aufrichtiger Sorge Frau von Arbigny seinem Freundesschutz. Dieser Beweis von Vertrauen rührte ihn; denn zum Ruhme der Ehrenhaftigkeit zeigt es sich immer wieder, daß Menschen, welche sich am kecksten zu unsittlichen Grundsätzen bekennen, doch sehr geschmeichelt sind, wenn man ihnen einen Beweis von Achtung giebt. Unser Vorhaben war überdies ernsthaft genug, um selbst Herrn von Maltigues zu bewegen; aber da er um Alles in der Welt das nicht hätte merken lassen wollen, sagte er in scherzendem Ton, was ihm, glaube ich, aus ernsterem Gefühle kam:

»Sie sind ein redlicher Kerl, lieber Nelvil, und ich will einmal großmüthig gegen Sie sein. Man sagt, das bringe Glück; mag sein; die Großmuth ist in der That eine so kindliche Eigenschaft, daß sie eher im Himmel als auf Erden belohnt werden kann. Doch ehe ich Ihnen diesen Dienst leiste, müssen wir unsere Bedingungen klar festgestellt haben: was ich Ihnen auch mittheile, wir schlagen uns darum nicht weniger.« – Ich erwiderte hierauf mit hochmüthiger Zustimmung, wie ich glaube, denn ich fand seine Einleitungsrede zum Mindesten sehr überflüssig. Herr von Maltigues fuhr in einem trockenen, ungezwungenen Tone fort: »Frau von Arbigny paßt nicht für Sie, Ihre beiden Charaktere sind einander völlig entgegengesetzt. Ueberdies würde Ihr Vater höchst unglücklich sein, wenn Sie diese Ehe eingingen, und Sie wiederum würden höchst unglücklich sein, Ihren Vater zu betrüben; bleibe ich also leben, so ist's besser, ich heirathe Frau von Arbigny, und tödten Sie mich, ist's besser, sie heirathet einen Dritten. Denn meine Cousine will; Sie finden dieselben in meinem Pult, zu welchem hier der Schlüssel. Ich kenne meine Cousine, seit sie auf der Welt ist, und Sie wissen, daß sie mir, wie geheimnißvoll sie auch thut, doch nicht eine ihrer intimen Angelegenheiten vorenthält. Sie glaubt, daß ich stets nur sage, was ich sagen will, und wahr ist's, ich lasse mich durch nichts hinreißen; aber ich lege auch nie unbedeutenden Dingen eine zu große Wichtigkeit bei, und bin der Meinung, daß wir Männer uns in Betreff der Frauen nichts verschweigen sollten. So wären es, wenn ich auf dem Platze bleibe, die schönen Augen der Frau von Arbigny, die mir diesen Unfall zugezogen, und wiewohl ich bereit bin, mit vollem Anstand für sie aus der Welt zu gehn, fühle ich mich ihr für die Lage, in welche sie mich durch ihre doppelte Intrigue gebracht hat, doch nicht eben sehr verpflichtet. Uebrigens«, fügte er hinzu, »ist es ja noch nicht ausgemacht, daß Sie mich tödten.« Und da wir jetzt außerhalb der Thore waren, zog er seinen Degen und nahm seine Position.

»Seine mit seltsamer Heftigkeit gesprochenen Andeutungen hatten mich starr und sprachlos gemacht. Ohne sich durch die nahende Gefahr verwirren zu lassen, war er davon doch aufgeregt, und ich konnte nicht errathen, ob ihm eine Wahrheit entschlüpft sei, oder ob er, um sich zu rächen, eine Lüge erfunden habe. In dieser Ungewißheit schonte ich ihn sehr. Er war in körperlichen Uebungen weniger gewandt, als ich, und zehnmal hätte ich ihm meinen Degen ins Herz stoßen können. Ich begnügte mich damit, ihm eine Wunde am Arm beizubringen, und ihn dann zu entwaffnen. Er schien mir hierfür dankbar zu sein, und als ich ihn nach Hause geleitete, erinnerte ich ihn an unser kurz vor dem Zweikampf stattgehabtes Gespräch. »Ich bedaure«, erwiderte er, »das Vertrauen meiner Cousine verrathen zu haben. Die Gefahr gleicht dem Wein, sie steigt zu Kopf. Doch könnte ich mich eigentlich darüber trösten, denn Sie würden mit Frau von Arbigny nicht glücklich geworden sein; sie ist viel zu schlau für Sie. Mir kommt's darauf nicht an; denn obwohl ich sie sehr reizend finde, und von ihrem Geist äußerst angezogen bin, wird sie mich nie zu Handlungen, die gegen meinen Vortheil wären, bestimmen können; und wir werden sogar einander trefflich in die Hände arbeiten, weil die Ehe unsere Interessen zu gemeinschaftlichen macht. Aber Sie, mit Ihrer Romantik, Sie wären von ihr genasführt worden. Sie hatten eben mein Leben ganz in Ihrer Gewalt; ich schulde es Ihnen, und kann Ihnen also die Briefe nicht vorenthalten, die ich Ihnen für den Fall meines Todes versprach. Lesen Sie dieselben, gehen Sie nach England und grämen Sie sich nicht allzu sehr über die Schmerzen der Frau von Arbigny. Sie wird Thränen vergießen, denn sie liebt Sie, und wird sich trösten, denn sie ist eine viel zu vernünftige Frau, um unglücklich sein, und besonders um dafür gelten zu wollen. In drei Monaten ist sie Frau von Maltigues.« Er hatte in Allem die Wahrheit gesagt, die erwähnten Briefe bewiesen es mir. Ich gewann die Ueberzeugung, daß Frau von Arbigny sich nicht in dem Zustande befand, den sie mit erröthendem Bekenntniß vor mir geheuchelt, und daß ich also in dieser Beziehung auf das Unwürdigste von ihr getäuscht worden war. Ohne Zweifel liebte sie mich, da sie es selbst in den Briefen an Herrn von Maltigues aussprach; doch schmeichelte sie ihm mit so viel Geschicklichkeit, ließ ihm so viel Hoffnung, und zeigte, um ihm zu gefallen, einen so gänzlich von jenem verschiedenen Charakter, mit welchem sie mich anzuziehen gesucht, daß ich unmöglich zweifeln konnte: sie hatte ihn geschont, um ihn heirathen zu können, falls unsere Vermählung nicht stattfände. So war die Frau geartet, Corinna, die mich auf ewig um die Ruhe meines Herzens und Gewissens gebracht hat.

»Ich schrieb ihr vor meiner Abreise und sah sie nicht mehr wieder; später erfuhr ich, was Herr von Maltigues mir vorhergesagt: sie hatte ihn an meiner Statt genommen. Ich war damals weit entfernt, das Unglück, welches mich erwartete, auch nur zu ahnen. Ich hoffte die Verzeihung meines Vaters zu erhalten und war überzeugt, daß, wenn ich ihm sagte, wie furchtbar ich hintergangen worden, er mich um so mehr lieben würde, als ich zu beklagen war. Nach einer Reise, die mich Tag und Nacht unterwegs hielt, deren Dauer sich aber doch auf vier Wochen belief, weil ich über Deutschland hatte gehen müssen, kam ich voll festen Vertrauens auf die unerschöpfliche, väterliche Güte in England an. Corinna! In einem öffentlichen Blatt, das ich zufällig zur Hand nahm, las ich die Nachricht von meines Vaters Tode. Zwanzig Monate sind seit jenem Augenblick verstrichen, und immer bleibt er mir gegenwärtig, wie ein verfolgendes Gespenst. In Flammenschrift stehen die Worte vor mir: »Soeben ist Lord Nelvil gestorben«; das Feuer des Vulkans hier vor uns brennt weniger schrecklich, als sie. Dies ist noch nicht Alles; ich erfuhr, daß er in äußerster Bekümmerniß über meinen Aufenthalt in Frankreich, und mit der Befürchtung geschieden sei, ich könne der militärischen Laufbahn entsagen, jene Frau, von der er wenig Gutes erfahren, wirklich heirathen, und mich durch meine Niederlassung in einem fremden, mit dem eigenen im Kriege begriffenen Lande, um meinen guten Namen in England bringen. Wer weiß, ob diese schmerzlichen Besorgnisse sein Ende nicht beschleunigten. Corinna, Corinna, bin ich denn nicht der Mörder meines Vaters; o, sagen Sie, bin ich's denn nicht?« – »Nein«, rief diese, »Sie sind nur unglücklich; Sie haben sich von der eigenen Güte und Großmuth hinreißen lassen. Ich verehre Sie so hoch, als ich Sie liebe. Lassen Sie mein Herz richten, nehmen Sie mich als Ihr Gewissen an, und glauben Sie der Frau, die Sie liebt. Ach! die Liebe, wie ich sie fühle, ist keine Täuschung; nur weil Sie der beste, der edelste der Männer sind, bewundere ich Sie, nur deshalb bete ich Sie an.« – »Corinna«, sagte Oswald, »so viel Huldigung verdiene ich nicht, doch bin ich vielleicht wirklich nicht so strafbar. Mein Vater verzieh mir, ehe er starb; sein letztes mir hinterlassenes Wort giebt mir Trost. Er hatte kurz vor seinem Ende einen Brief von mir erhalten, der mich wohl etwas rechtfertigte; aber der Schlag war gefallen, und sein Schmerz über mich hatte ihm das Herz gebrochen.

»Als ich das väterliche Schloß betrat, als die alten Diener mich umringten, wies ich ihre Tröstungen zurück und klagte mich selbst vor ihnen an. Auf dem Grabe meines Vaters schwur ich, als wäre es zum Gutmachen noch Zeit gewesen, nie ohne seine Einwilligung mich vermählen zu wollen. Weh mir! Was gelobte ich dem Dahingeschiedenen? Was bedeuteten die Gelübde des verzweifelnden Wahnsinns? Ich muß sie als bindende Verpflichtung ansehen, nichts zu thun, was er im Leben nicht gebilligt hätte. Corinna, Liebe, warum sind Sie so betrübt? Mein Vater konnte wohl von mir fordern, einer werthlosen Frau zu entsagen, deren List allein meine Neigung für sie zuzuschreiben war; aber weshalb sollte ich mich von einem edlen, wahrhaftigen und großmüthigen Weibe, weshalb mich von derjenigen trennen müssen, für die ich die eine, die ächte Liebe empfunden, weil sie mein Wesen geklärt und mich vor mir selbst erhöhet hat, statt mich herabzuziehen.

»In meines Vaters Zimmer fand ich Alles unverändert; sein Mantel, sein Lehnstuhl, sein Degen, sie waren da, wie sonst, und er nur fehlte! – Vergeblich rief ich in meinem Schmerz nach ihm. Wenn ich ihn vor seinem Tode nur einen Augenblick gesehen hätte; wenn er nur noch hätte wissen können, daß ich seiner doch nicht ganz unwürdig war, mir hätte sagen können, daß er mir glaube, dann würde ich nicht, gleich dem sündhaftesten Verbrecher, von Reue und Qual zerrissen sein; dann würde ich diese schwankende Haltung, diese verworrene Seele nicht haben, mit denen ich keinem Menschen Glück bringen kann. Werfen Sie mir dies nicht als Schwachheit vor: der Muth vermag nichts über das Gewissen! Aus ihm erst wird er erzeugt, wie sollte er es überwinden können? Selbst jetzt, bei dieser zunehmenden Dunkelheit, scheint es mir, als sähe ich in den Wolken den Blitzstrahl drohen, der mich verurtheilt. Corinna! Corinna! trösten Sie Ihren armen Freund; oder ich möge hier auf dieser Erde liegen bleiben – auf daß sie sich vielleicht öffne und mich zu den Todten mit hinunter nehme.«


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