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Der Sieger

I

Ausrufer, stimmgewaltge, mit Trompetenschallen
Verkündeten in Berg und Tal den Menschen allen:
«Ist einer, der es unternimmt und dems gelingt,
Daß er dem wunden Gottesknäblein Rettung bringt,
Zum König übers Menschenland erheb ich den,
Wer er auch sei, Herkunft und Namen unbesehn.
Und wenns ein Bettler in der Gosse, in Unehre
Ein Schelm, aus finstrer Kerkergruft ein Räuber wäre,
Gleichviel: die Sünden sind vergessen und verziehn
Dem, der mein Kind mir rettet. Bruder will ich ihn
Und Heiland heißen. Neben mir im stolzen Wagen
Soll ihn der Ruhm rings um die Landesmarken tragen
Am sonnigen Tag, umjauchzt von Lobgesang und Reigen.
Und alles Volk soll sich vor seinem Antlitz neigen.
Auf nun! Erlaubnis! Öffnet die Gefängnispforten!»

So meldeten die Boten. Dank den Lockungsworten
Geschah ein Auflauf unterm Volk. Aus jeder Tür,
Aus jedem Fenster juckt ein Heiland flink herfür.
Und jeder überholte jeden in Wetteile,
Auf daß als erster er das Gottesbüblein heile.
Allein wie viele Helfer schon erschienen, wehe!
Das Knäblein siechte minder nicht dahin als ehe.
Und als der Ärzte kamen täglich immer mehr,
Da ward die Krankheit annoch schlimmer als vorher.

Mit Feuerhörnern und mit Beckenrasseln gab
Jetzt eine zweite Botschaft diese Meldung ab:
«Warnung! Nach Ärzten rief ich, nach Salbadern nicht!
Auf Gaukler und auf Schwindler leist ich gern Verzicht.
Erst prüfe sich, eh einer nach dem Preise geilt,
Denn welcher Pfuscher mir mein Kind zu Tode heilt,
Dem laß ich seine mörderischen Stümperklauen
Durchs Henkerbeil von seinen frevlen Händen hauen.»
Urplötzlich stockte da der hitzige Eiferwille.
Von Helfern und Erlösern gab es große Stille.

Indes er selbst in seiner Herzensangst und Not,
Die ihm nicht Rast noch Ruhe, nirgends Frieden bot,
Bald auf des Turmes Zinnenkrone stieg, zu spähen,
Ob links und rechts umher kein Heiland sei zu sehen,
Bald wieder in die tiefe Tempelgruft hinab
Zu seinem wundgeschlagnen Kinde sich begab,
Ob er mit Zuspruch und mit zartem Koselaut
Vielleicht ein Blicklein ihm entlocke lieb und traut
Oder ein Lächeln, das mit einer Hoffnungslüge
Auf kurze Frist sein trauernd Vaterherz betrüge.
Doch wie nun immer leiser ward von Tag zu Tage
Des Atemspieles sanfte träumerische Sage
Und die umwölkten Äuglein stetig still und stier
Ins Weite schauten, das Bewußtsein fern von hier,
Und eines Abends zwischen Dämmernis und Mond,
Als er von einer andern Seite als gewohnt
Den Hof durchquerte, er geschäftige Gesellen
Heimlich die Wände messen sah mit Stab und Ellen
Und hinter ihnen in der finstern Mauerecke
Einen umflorten Wagen lauern im Verstecke,
Von wo herab der Tod, den Dienern zum Verstand,
Stumme Befehle winkte, fingernd mit der Hand,
Da taumelt er auf Schlotterknieen schwank und schwach
In ein Gesindestüblein oben unterm Dach,
Und ohne einen einzigen Schmerzenston zu klagen,
Warf er sich jähen Sturzes auf den harten Schragen,
Schräg überquer, wohin ihn fällte sein Gewicht,
Vergrub in die gekreuzten Arme das Gesicht
Und blieb zur Stelle liegen, wie er lag, für tot.
Kaum daß er ab und zu den Atem zog aus Not.
Gleich einer schwarzen Dogge, die zur Sterbensstunde
Einsam ohn einen Freund im Kellerhintergrunde
Lautlos und regungslos, die Schnauze in den Pfoten,
Den Todeskampf beginnt in sich hineinzuschroten,
Und bloß die sturmdurchwühlten Segel ihrer Flanken
Verraten, daß noch Lebensqualen in ihr kranken,
Also der Engelgottes, als sein Geist empfing,
Daß es mit seinem Kind zum bösen Ende ging.

«Getrost! Dein Kind wird auferleben!» So erscholl
Vor seinem Lager eine Stimme gnadenvoll.
Und schon aus ihrem schönen, edlen Klang erblühte
Ein Tröpflein Trost, denn Hoheit sprach aus ihr und Güte.
«Mir dient ein Knecht», erklärte sie, «der Wunder tut.
Er wird das Knäblein retten. Darum schöpfe Mut!»
Kaum aber daß er sich erhob, das Angesicht
Zu prüfen, dessen Mund mit solcher Zuversicht
Durch die Verzweiflungnacht ihm sang von Heil und Glück,
Fiel er laut stöhnend auf die Lagerstatt zurück.

«Umsonst! Die Hoffnung ist verschwunden und vergessen.
Ich habe Trauerflor entlang den Mauern messen,
Ich hab im tannennadelduftigen Wagen stehn
In eigner grausiger Gestalt den Tod gesehn,
Wie er vor meinen Blicken einen Kindersarg
Mit ängstlichen Gebärden, doch zu spät, verbarg.»
«Ich habe auf die Schwelle meines Namens Zeichen
Gemerkt, davor der Tod sich wenden muß und weichen.
Entschlage dich der Trauer, gönne Frieden dir
Und Ruhe. Und das Weitre überlasse mir!
Und wenn du später wieder hast von mir vernommen,
Wird frohe Zeitung dir und Heil und Segen frommen.»

Jetzt langsam richtete von seiner Lagerstätte
Der Engelgottes sich empor; dann gleich als hätte
Ein übermächtiger Zauber seinen Blick gebannt,
Starrt er mit offnem Mund und Augen unverwandt,
Die Hände stemmend, nach der Trostverkünderin
Und stammelte und lallte Grüße vor sich hin.
Und zog und sog aus ihrem Aug in seine tauben,
Trüben Gedanken durstig Hoffnungmut und Glauben,
Bis daß er müd und matt mit einem Seufzer Dank
Von neuem rücklings nieder auf den Schragen sank.
Doch anders als zuvor: erleichterter und freier,
Beruhigt quoll sein Atem; weiche Wimpernschleier
Umschatteten den Geist, begrabend seinen Kummer
Und Gram und alle Angst und Not mit Nacht und Schlummer.

 

Einsam im finstern Lande unter fremden Sternen
Saß einer, welcher das Vergessen wollte lernen.
«Hinweg! Ich kenn euch nicht! In eure Gräber taucht!
Was tot ist, halte still! Erloschen ist verraucht.»
Allein wie steif er wiederholte: «Unbekannt»,
Ihn schämte, daß er einst Prometheus ward genannt.
Und immer wieder aus den Winkeln dampften Stöße
Von hochgemuter Jugendzeit und einstiger Größe.
Da zuckt er mit den Achseln, schloß die Augenlider,
Lauschte dem Atem, wie er wogte auf und nieder,
Verhoffend, schließlich durch Verdummen und Vertieren
Des wunden Selbstbewußtseins Vorwurf zu verlieren.

«Prometheus!» weckt ihn einer hellen Stimme Ton,
«Der Morgen tagt, der zähen Treue naht der Lohn.
Die Zeit des Schmachtens und Geduldens ist zu Ende,
Und nach den lichten Höhen nimmt dein Pfad die Wende.
Lach auf und spring! Die Siegessonne leuchtet dir.
Laß liegen alle Trübsal! Komm und folge mir!»

Gleichgültig, ohne nur das finstre Haupt zu heben,
Sprach er – und Groll verriet der dunklen Stimme Beben –:
«Zu spät! Zu lang, zu grausam hast du mich vergessen!
Und allzuvielen Ekel schluckt ich unterdessen.
Zieh auf den Markt und einen andern Diener wähle!»

«Prometheus! Diese Antwort deiner Göttin Seele?»

«Einst sah ich einen Stier auf hoher Alpen weide,
Dem quollen aus dem Bauch die blutigen Eingeweide,
Von seinen Hinterbeinen hing das Fleisch in Fetzen.
Die Hirten mochten noch so locken, noch so hetzen,
Mit Salz ihm schmeicheln, ihn mit spitzen Stöcken stupfen,
Sie konnten ihn nicht überzeugen aufzuhupfen.»

«Nur eine einzige kurze Tat, und Preis und Ruhm
Vom Menschenvolke wird dein ewig Eigentum.»

«‹Ruhm›, ‹Preis› vom Menschenvolk in Gossen und in Gassen –
Mir ist zu ernst. Tu solche Späßlein unterlassen!
Und nun genug der Reden; spare deine Bitten!
Ich habe schließlich Unempfindlichkeit erstritten,
Und meine Haut, verhärtet, spottet deinem Sporn.»

«Wohlan, so will ich eines schärfern Stachels Dorn
Durch dein verhärtet Fell dir in die Weichen bohren!
Erfahre denn: Ich habe mich für dich verschworen.
Ich habe, deiner Treue trauend, mich verbürgt,
Daß du dem Engelgotteskind, vom Feind gewürgt,
Genesung wieder schaffest, mir zu Lieb und Gunst.
Antworte: willst du der Beschämungröte Brunst
Mir antun? Willst du meine Schwüre Lügen strafen?»

«Hab ich dichs schwören heißen? Zieh und laß mich schlafen!»

Ein Sang von Trauerklage quoll aus ihrem Munde:
«So willst du, daß der heiligen Versuchungstunde
Damals am trüben Tag, im stillen Tal daheim,
Die Krönung mangle, deiner stolzen Tat der Reim?
Soll sämtlich Unrecht, das du meinethalb erlitten,
Die tapfern Kämpfe, die du heldenhaft gestritten,
Die tausend Nöte deines freudenlosen Lebens
Umsonst gewesen sein, all die Geduld vergebens?
Nur deshalb, weil in elfter Stunde, auf zum Siege,
Ein träger Fuß den Schritt versagte nach der Stiege?
Dein ist die Wahl. Ich harre. Sprich! Befiehl! Beschließe:
Magst du, daß alles, was geschah, zu nichts zerfließe?
Daß unser beider Name, deiner und der meine,
Ins Dunkel tauche, in die Nacht, die allgemeine?
Erträgst dus, daß der Menschenwelt die Sage fehle
Vom trotzigen Prometheus und von seiner Seele?»

Da schmolz sein Groll und seine Hässigkeit versagte.
Das Dulderantlitz mit den Händen schützend, klagte
Er ihr zurück mit leiddurchquollnen Wimmertönen.
«Wozu das alles auferwecken?» rief sein Stöhnen,
«Ach ja! Ach weh! Vormalen gab es eine Zeit,
Da war ich groß, da war mit Hoheit ich geweiht.
Gleich wie ein voller Schwamm, ein wenig kaum gepreßt,
Aus hundert Augen Wasserregen rinnen läßt,
So war mit edlem Tatenquell ich vollgesogen,
Mit Willen bis zum Überlaufen reich gewogen.
Nicht Glück und Gunst: wenn bloß Gerechtigkeit mir sonnte,
So gabs kein Werk, das ich nicht mochte und nicht konnte.
Und weh mir! Heimweh! Damals war ich mild und gut.
Noch kannt ich nicht den zornigen Blick, den Mannesmut,
Den feindlichen, mit seinen grimmen Lanzenwürfen.
Nur eines wünscht ich und ersehnt ich: Taten dürfen.
Zwar ohne Selbstbewußtsein, ohne Ichgedanken,
Schlicht wie die Bäume blühn und wie die Rosen ranken,
Einfältig wie das Kind, das sich am Armschwung freut,
Wenn eines Handvoll Münzen aus dem Fenster streut.
O Neid: die Flügel seiner Kräfte frei entfalten!
0 Qual: ein Schöpfungkeimgewitter zu verhalten!
Und wärs doch tot! Jetzt kanns nicht leben und nicht sterben.
Dummheit! Mir wards geraubt; kein andrer kann es erben.
Unwiederbringlich aus den Händen und zerronnen!
Ja, Engelgottes, ja, du hast den Streit gewonnen.
Ich bin der Unterlegene, ich geb es zu.
Doch prahle nicht! Der mich gefällt, das bist nicht du.
Ein tückischer Helfer hat den Sieg erschlichen dir.
Das ist das unsichtbare feige Nagetier
Mit seinen giftigen Hinterzähnen, namens Zeit.
Das Los des Menschen aber heißt Hinfälligkeit.
Der Wahrheit beuge dich! Sie lautet: Mir ist halt
Der Vortod angekommen. Siehe, ich bin alt.»

Ein seltsam Flüstern kam: «Und ich? Bin ich denn alt?»
Zum ersten Male jetzt im Wechselredelauf
Hob er das Kinn und schloß die Augen fragend auf.
Zwar zögernd noch und widerwillig und verschlafen;
Doch kaum daß seine Blicke in ihr Antlitz trafen,
Entlud in liebestrunknem, stammelndem Gestöhn
Sich seine alte Sehnsucht: «Weib! wie bist du schön!
Wie bist du jung! von heiligem Stolze hoch und hehr!
Ist Wahrheit dieses Wunder? Augen, gebt Gewähr!
O Auferstehung! Längstvergangenes wird gestern.
Schmach meiner Schwachheit! Schande meinem frevlen Lästern!
Doch wehe! Zweifel! Greift der Armbug deiner Gnade
So weit, dünkt dich die Überwindung nicht zu schade,
Daß du den welken Mann mit abgehärmten Wangen
Wie einst den rüstigen Jüngling huldreich magst empfangen?
Daß meine Häßlichkeit deine Auge nicht vernimmt?
Daß deine Freundschaft selbst den Ekel überstimmt?
Ein Knecht liegt dir zu Füßen. Ist er dir genehm?
Darf ich, darf ich dir gläubig dienen wie vordem?»

«Mein Freund, wie sonderbare Weisen redest du!
Welch kleine Denklein traust du mir, der Stolzen, zu!
Bin ich ein Dirnlein, das sich vor dem Spiegel putzt
Für einen jungen Fant, geleckt und auf gestutzt?
Wenn schon ein ehrlich Menschenweib, in Treue fest,
Den Freund in Krankheit und im Alter nicht verläßt,
Wie sollt ich wohl den Edelmann, der meinetwegen
Hat Menschengunst und Erdenglück dahingegeben
Und hat mit wachem Willen, adlergeistberauscht,
Verwerfungstrafen und Entbehrung eingetauscht
Und die Verzweiflungkämpfe stummer Herzensschlachten –
Wie sollt ich den, sag an, wie könnt ich dich verachten?
Was kümmert mich dein Leib, was gilt mir jung und alt?
Ich sage dir: in deiner heutigen Gestalt,
Mit deiner Faltenstirn, mit deinen grauen Brauen
Bist du in meinen Augen herrlicher zu schauen
Und vielmal köstlicher und lieblicher zumal
Als einst im üppigen Jugendsaft im Heimattal.
Allein wir wollen nun vom Wort zum Werke wenden.
's ist Erntezeit. Komm, laß uns heimsen und vollenden!»

Auf schnellt er heftig jetzt, mit jähem Sehnensprung,
Kein müder Mann mehr: umgeboren, kühn und jung,
Von Schaffenskraft durchbebt, von Tatendurst entflammt,
In jeder Fiber Wille; mutig insgesamt.
«Wohlan, es sei! Doch Offenheit vor allen Dingen!
Des Dienstes klare Meinung muß ich ausbedingen:
Nicht um den Ruhm und nicht um Ehrendankentgelt,
Nicht für das Gottesreich, nicht für die Menschen weit –
Für nichts und niemand, ausgesondert dir zulieb.»

«So meint ichs», gab sie ruhig wieder, «mir zulieb.»

«Auf denn! Voran, wohin du auch mich heißest! Heile
Mein Ungestüm! Ich harre deiner Führung: eile!»
Und flinken Ansprungs, Herz gefaßt und Mut gerafft,
Zog er nach ihrem Vortritt auf die Wanderschaft.

 

Und als nach langer Wanderung die Freunde zwei
Zur Menschenstadt und an der Menschenstadt vorbei
Den Berg hinauf durchs Schanzentor der angstumbangten,
Vom Unheilschlag verstummten Königsburg gelangten
Und jetzt im Schloßhof hielten vor der Tempelschwelle,
Von wo die Stufen abwärts fallen zur Kapelle,
Sprach sie: «Ans Werk! Tritt ein! Und tue, was zu tun!
In deiner Hand liegt meines Namens Ehre nun!»
Doch Schmach der Überraschung! Zitternd und erbleichend,
Begann er jetzt, sich sträubend und nach hinten weichend,
Ein schmerzlich Klagen: «Wehe mir! Verzweiflungspein!
Ich schwacher Mensch! Ich Nichts, gebaut aus Fleisch und Bein!
Vermessenheit! Denn Sündenschuld und Schande droht.
Erlaß! Ich kann es nicht. Sieh meine Angst und Not!»
Und also ungebärdig fort in bitterm Harm.

Den Rückzug hemmend mit dem vorgehaltnen Arm,
Rief sie ihm zu: «Ich will dir einen Wahrspruch gönnen:
Du kannst es. Ich befehl es, folglich wirst dus können.»
Und wies ihn in die Gruft mit strengem Fingerzeig.

Ächzend gehorcht er … Aber still doch! halt doch! schweig!
Ein schwaches, schmerzgetränktes lieblich Atemsingen
Hört er von unten aus der Tempelhöhle dringen,
Als ob, vergraben unter eines Felsblocks Schwere,
Ein sterbend Sönnlein, das noch nicht erloschen wäre,
Mit Farbenfeuerschein und Flammenstrahlenspitzen
Den Stein durchblühte dank verborgnen Spaltenritzen.
«Das Gottesknäblein!» Und mit jähem Ruck und Riß
Verschwand er in der Gruftkapelle Düsternis.

Sie selber aber kauert auf das Schwellenbord,
Und allda unbeweglich lagernd immerfort,
Hielt sie von Tag zu Tage und von Nacht zu Nacht
Mit heißem Augenfunkeln unablässig Wacht.
Und sieben bange Tag und Nächte, die sich glichen,
Und nochmals sieben andre ähnliche verstrichen.
Und als er endlich wiederum zutage kam,
Empfing sie ihn: «Laß schauen! Kannst du ohne Scham,
Zeig her, mir frei und ehrlich in die Augen sehn?»

«Ich kanns.» Und als die Augenprüfung war geschehn,
Erschien sie vor des Engelgottes Angesicht:
«Dein Kind ist heil. Geh hin und schaue! Prüf und richt!»

Tönt dem Gefangnen die Erlaubnis: «Freiheit da!»
Vernimmt der Bräutigam den Ruf: «Die Braut ist nah!» –
Werden sie zaudern? Brauchts Ermunterung, bevor
Die Füße fliegen? Kaum der freudige Gruß im Ohr,
Eilt er fortstürmend nach dem Hof und durch die Schluft
Der Treppentür hinunter in die Tempelgruft.
Ha! Andre Töne wurden da mit Jubelzungen
Als jüngst das Schmerzgewimmer aus der Gruft gesungen!
Verweinte Seufzer, Liebesschreie, Grüßelallen,
Glücksprache, töricht, doch die köstlichste von allen.
Und also fort, das Herz am Wiedersehen labend,
Viel selige Tagesstunden bis zum Dämmerabend.

Und als zur Dämmerzeit er wieder auferschien,
Getröstet und genesen, Glück und Glanz um ihn:
«Wo ist er?» hub er mit gehobner Stimme an,
«Wo ist er, der beherzte, wackre Ehrenmann,
Der Meister, der erlesne, dessen Helferhand
Dem Gotteskinde, meinem Knäblein, Heil erfand?
Führt ihn zu mir! Legt Teppiche vor seine Füße
Längs seinem Weg, daß ich als Bruder ihn begrüße.»
So er. Und als nun war geschehen, wie befohlen,
Und jetzt Prometheus, seinen Urteilsspruch zu holen,
Hervortrat und vor seinem Richter wartend stand,
Zwar frei, doch von Gesicht und Namen unerkannt,
Des grauen Bartes und des Dämmerdüsters wegen,
Eilte der Engelgottes stürmisch ihm entgegen,
Umarmt und küßt ihn, nannt ihn Bruder hin und her –
Und andre Huld- und Dank- und Gnadenzeichen mehr.
Und sprach: «Mein treuer Helfer, Freund und Bruder mein!
Die Schätze, die das Gottesreich enthält, sind dein,
Und was dein Herz und deine Laune mag begehren;
Um aber vor dem Menschenvolke dich zu ehren,
Hab ich ein übriges zu deinem Ruhm beschlossen:
Im königlichen Wagen mit zwölf Schimmelrossen,
Bewehrt mit einer Fahne, leuchtend in die Weite,
Will morgen ich drei Tage lang an meiner Seite
Dich rings ums Menschenland durch alle Gauen führen.
Und ob des Ruhmes Hochzeit wohlschmeckt, sollst du spüren.»

Prometheus stand ein Weilchen schweigend da. Dann gab
Er die Erwiderung mit düstrer Stimme ab:
«Dank deinem Urteil, das mit Freispruch mich bedenkt!
Auf eine einzige Bitte ist mein Wunsch beschränkt:
Es möge deine Huld mir die Erlaubnis schenken,
In meine stille Heimat meinen Fuß zu lenken.
Denn was das Übrige betrifft, bekenn ich schüchtern:
Der Lärm des Ruhmes und des Jubels läßt mich nüchtern.
Ich hab gehört des Volksgeschreis und Juppgeigei
So mancherlei, daß mein Gelüst danach vorbei.
Drum Gnade! wolle mir das Schimmelwagenfahren
Im Land herum und das Gejauchz des Volks ersparen!
Weil aber jeder Mensch, es wäre denn, er lügt,
Sich gern darein, daß man ihn schätzt und ausnimmt, fügt,
Ein Vorschlag: Bau dir eine Puppe, die mir gleicht
Oder auch nicht, aus Watte oder Werg vielleicht,
Kurz irgend etwas Ausgestopftes mit zwei Beinen,
Das plumperdings von fern als Männlein mag erscheinen;
Dem deine Fahne in die Faust, mein Name drauf,
Den Popanz auf den Thron, dann hopsa, Schimmlein, lauf!»

Auf sprang der Engelgottes, wild die Fäuste vorn,
Und diese Antwort schleuderte sein grimmer Zorn:
«Ei seht doch! Wer ist der, der meines Dankes lacht
Und mir für Huld und Gunstbezeugung Hohn vermacht?
Ei daß doch! Hurtig! Fackeln eilends her zur Stelle,
Damit ich dies Rebellenangesicht erhelle!»
Und wie er nun beim grellen Fackelfeuerschein
Die Blicke bohrte in das Angesicht hinein,
Gespenstisch anzusehn, umschwelt von schwarzem Rauch,
Prallt er entsetzt zurück. «Prometheus!» gab sein Hauch.
Und immer weiter wich er weg, die Lippen offen,
Die Augen starrend, wie von Geisterschreck getroffen.
Nach langem Stöhnen dann und schwerem Atemkeuchen:
«O welche Rätsel», rief er, «in den Menschenbräuchen!
Sieh: Epimetheus, dem ich eitel Gutes tat,
Vergalt mir meine Huld und Güte mit Verrat;
Und du, der mir durch keine Dankesschuld gehört,
Du, dessen Größe, dessen Wert ich überhört
Und hatt in Finsternis ertränkt dein leuchtend Leben –
Du hast mir Freundschaft, Glück und Heil dafür gegeben!
O tiefe Wunder! Unausdenkliche Gedanken!
Wie aber kann ich dirs vergüten, wie verdanken?»

«Täuschung! Nicht Freundschaft nenne, was ich dir vergolten,
Denn meines Werkes Meinung hat nicht dir gegolten.
Was ich getan, geschah, weil ein Befehl mich stieß,
Das strenge Machtwort meiner Herrin, die michs hieß,
Von der ich eitel bin ein untertäniger Knecht.
Wenn jemand Dank gebührt, so kommt er ihr zu Recht!»

«Und wer ist deine Herrin? – ihren Namen sprich! –
Die hocherlauchte Fürstin? – sprich! beeile dich! –
Die Benedeite, die mir Trost und Heil gespendet
Und hat in Jubellaut mein bitter Leid gewendet?
Auf! Nenne sie! Wo weilt sie? daß ich ihre Füße
Weinend umarme und als Heiland sie begrüße!»

«Wo meine Herrin wohnt, wo sie jeweilen hält,
Das weiß ich nicht; ihr Reich ist nicht von dieser Welt.
Doch forderst du den Namen, folg ich dem Befehle.
Vernimm: die Herrin, der ich diene, ist die Seele,
Von der vor alten Zeiten – weißt du? – dazumal
Am Schicksalstag, beim Sonnenstrahl im stillen Tal,
Dein Urteil den Verdammungspruch gesprochen hat:
Ich will dir ein Gewissen leihn an ihrer Statt.»

Ob dieser Antwort, ob auch schlicht und ruhig nur
Und mit verhaltner Stimme ausgesprochen, fuhr
Der Engelgottes, der gewaltige Herr der Erde,
In jähem Schmerz empor mit zuckender Gebärde,
Als wie von Schlangenbiß gestochen. Alsdann wieder
Sank er zusammen, hängte seinen Scheitel nieder
Und ließ das Antlitz fallen. Endlich schuldbewußt
Schlug er mit harten Fäusten sich auf Stirn und Brust
Und raufte sich das Haar und riß das Kleid entzwei,
Und reuig jammerte sein ungestümer Schrei:
«Ich Tor! Ein tönend Gleichnis hab ich aufgespielt
Vor aller Welt und, Spott und Schmach, ich habs verspielt!
Allein das Spiel war falsch, die Karten schlecht gemischt.
Ungültig! Hurtig einen Schwamm und ausgewischt!
Und dann von neuem dran, mit besserm Anfangschwung!
Prometheus! Hilf! Erbarmen! Werde wieder jung!
Sei groß, sei gut! Vor die vergangnen Nöte schieb
Vergessenheit! Verschmerz, was dir geschehn, vergib!
Ach, kam es wieder! Dürft ichs einzig einmal noch!
Ach, hätt ich an des Epimetheus Stelle doch
Den bessern Bruder auf den Menschenthron gesetzt!
Wie anders um die Gotteserde stand es jetzt!
Am sonnigen Tag die Himmelsgabe von Pandoren –
Statt abgewiesen: aufgenommen, unverloren.
Von tausend königlichen Werken abgesehn,
Die nun im Schoß der Träume wimmern ungeschehn,
Nur wegen eines einzigen Irrtums, der geschah.»

Prometheus nickte: «Also glaub ich gleichfalls. Ja.»

«Drum auf! Zu neuem Anfang! Nein, Prometheus, nein!
Du kannst dem Gottesreiche nicht verloren sein!
Was scheren mich Naturgesetze! Laut und ehrlich:
Lebendig oder tot, du bist mir unentbehrlich.
Nimm einen Spiegel in die Hand und spiegle dich:
Ob jemals eines Menschen Geist dem deinen glich?
Betaste dich vom Kopf zum Fuß und sag alsdann,
Ob solche Werke, wie du kannst, ein andrer kann.
Du schuldest deinen Beistand; möglich oder nicht.
Frag deine Göttin Seele, füg dich deiner Pflicht!»

«Wenn einem du das Schienbein hast entzweigeschlagen,
So nenns nicht seine Pflicht, dir Tänze vorzutragen.
Vergeblich! Deine noch so ungebärdige Reue
Gibt meinem morschen Leib die Jugend nicht aufs neue.
Ein Irrtum, den man einsieht, ist nicht weggeschafft.
Denn Fehler keimen; auch dem Kropf blüht Vaterschaft.
Ob Mißgeburt, die Mißgeburt ist wahrheitwägend,
Und selbst der krümmste Baum im Acker bildet Gegend.
Drum wolle du mit deinen Sorgen dich befassen
Und mich in Frieden meines Weges ziehen lassen.»

Der Engel seufzte: «Doch versöhnt? Und ohne Groll?»

«Wär eines Menschen Herz von Wermut übervoll,
Wenn ihn ein bleibend Werk, das er geschaffen, krönt,
So grollt er nicht. Er ist mit aller Welt versöhnt.»

«Wenns also ist, dann darfst du zum Versöhnungzeichen
Mir nicht verwehren, einen Dank dir darzureichen.
Erfind mir irgend eine Bitte, was es wäre:
Denn meine Würde fordert, meine Fürstenehre,
Daß ich den Mann, auf welchen zielen alle Blicke,
Den Helfer aus der Not, nicht leer nach Hause schicke.»

«Nun wohl, so möge mir bewilligen dein Mund,
Daß ich bei deinem heiligen Kind im Tempelgrund,
Dem ich gewidmet meine Pflegermüh und -sorgen,
Andacht verrichte still und traulich bis zum Morgen.»

«Erlaubt. Dein Wunsch, ich lobe ihn, ist schön und billig.
Dem Knäblein magst du Andacht weihn; gern bin ichs willig.
Und später – laß mir dieses Trostespförtlein offen –
Darf ich vielleicht auf deines Rates Beistand hoffen.»

Drauf reichten sich die beiden die Versöhnunghand
Und trennten sich als Freunde, ob entzweigewandt.

II

Prometheus also auf der Burg im Tempelgrunde
Hielt bei dem Engelgotteskinde Andachtstunde.
Frei, unbefangen, rein von Freundschaftglück beherzt,
Ward Spiel und Tand getan und hin und her gescherzt
Und nannten sich einander «Ich und Du» und «Sohn
Und Vater». Und das Büblein plauderte davon,
Was Schönes alles sie dereinst in tausend Jahren
Zusammen treiben würden und vereint erfahren.
Und also harmlos weiter. Lieblichkeit gelang
Und Fröhlichkeit gedieh und Lachen war im Schwang.
Bis daß am späten Morgen nach durchspielter Nacht
Sich endlich auf das müde Kinderhäuptlein sacht
Der Schlummer senkte. Jetzt vom Lager leise schlich
Prometheus, segnete das Knäblein und entwich,
Das Herz von weihevollem Andachtglück begnadet
Und alle Bitternis und Galle weggebadet.
Noch blieben Narben, doch ihr Reißen war entfernt,
Sogar das Lächeln fand er wieder, längst verlernt.

«Und nun», vermeint er, «ist mein Lebenswerk zu Ende.»
Und suchte mit dem Blick, wohin zunächst er wende.
Und siehe da: in seiner steilen Hochgestalt
Des königlichen Schlosses starrer Mauernwald.
Und ehe es zu wollen und vorauszudenken,
Geschah ihm, in das Schloß hinein den Schritt zu lenken.
Nachlässig schlendernd durch den Prunk und Marmorschimmer,
Treppaufwärts und treppabwärts, neue Säle immer.
Nachdem er alles sich besehn geflissentlich,
Kehrt er sich um und blinzelte und sprach zu sich:
«Da ists! Da siehst du nun, was du so heiß begehrt!
Sag selbst: war das die vielen Sehnsuchtseufzer wert?
Komm! Laß zum Schluß uns von der Pfalz hinuntersehn,
Nach der hinauf so viele Blicke uns geschehn.»

Und wie er durch den Hausgang hinten aus dem Haus
Hervortrat auf den freien Platz der Pfalz hinaus
Ins Reich des Luftstroms und der Wolkenwanderung,
Vom Himmelspol mit einem hohen Freudensprung
Begrüßt und von der Windbraut auf Gesicht und Wangen
Mit wilden Küssen und Umhalsungen empfangen,
Da flüchtete vor seinem Blick in tiefem Fall
Des Schloßbergs stolzer Garten- und Terrassenwall.
Und siehe da: soweit der Horizont sich weitet,
Das Menschenland zu seinen Füßen ausgebreitet.
Merkwürdig aber: alles stumm und menschenleer.
Bloß drüben, von der unsichtbaren Allmend her,
Ein tausendstimmig Volksgewoge. Priesterchöre
Und feierliche Reigen, wenn ich richtig höre.
Jetzt aber eine tiefe, inhaltschwere Stille.
Nun einer tongewaltigen Predigt harscher Wille.
Ehrfurcht! Versteh: der Engelgottes in Person!
Denn keiner andern Stimme eignet solch ein Ton.
Ein Ton, vor dessen schallendem Trompetenstoß
Vergangene Jahrhunderte sich aus dem Schoß
Der Ewigkeit mit ihrem Glauben, ihrem Streben
In unabsehbar langem Kettenzug erheben.
«Anschluß! Wir auch!» begehrt der Gruß der Gegenwart.
Und in die Zukunftnebel – «Mut hoch!» – wankt die Fahrt.
Wer ist es, der den Gläubigen die Richtung weist?
Ein freier Bannerträger lenkt sie, namens Geist.

Ob dieser Stimme Hoheit bückte unwillkürlich
Prometheus sich, die Lider senkend, wie gebührlich.
Da zuckt er, horchte und erschrak. Das war, o Scham!
Sein eigner Name, der ihm jetzt zu Ohren kam!
Über Gebirg und Tal am hellen, lichten Tage
Der Welt verkündet von des Engelgottes Sage.
Und die Jahrhunderte in ihrem stummen Lauf
Wandten den Kopf und schauten nach dem Namen auf.

Unfähig standzuhalten, machtlos sich zu wehren,
Mahnt ihn sein Schamgefühl, ins Haus zurückzukehren.
Und schon hatt er die Rückenschwenkung schier vollendet,
Da hielt er plötzlich inne, überrascht, geblendet.
Am Himmel gegenüber, staunt er, dort das Licht,
Das strahlende, das funkelnde, erklär ich nicht.
Wärs eine zweite Sonne? Spott dem Aberwitze!
Jetzt siehe: Feuer sprühts, entsendet Blitz auf Blitze.
Und aus dem Feuer steigt ein überirdisch Weib
In goldnem Helm, ein Panzer um den lichten Leib,
Ein farbenlodernd Banner haltend in der Hand.
Und wie sie nun freischwebend überm Berge stand,
Begann sie einen übermütigen Siegestanz,
Das Banner über ihrem Kopfe wie zum Kranz
Im Kreise schwingend, dann in schrägen Kreuzen quer
Und wieder um die Lenden flatternd ringsumher,
Daß wie in einem winddurchwühlten Fahnenwald
Der blanke Kern der goldumblitzten Lichtgestalt
Des hochgemuten Tanzes flinke Tritte trat,
Ein Stern von Siegesglück in einem Flammenrad.
Und als die Füße im Triumphestaumeltoben
Den Flug der federnden Gestalt am höchsten hoben,
Geschah aus ihrem Mund ein wilder Jauchzerstoß:
«Wie ist die Welt so klein! Wie ist der Mensch so groß!»

Jäh sprang er auf und wehrte mit den Armen: «Sünde!
Nicht diesen frevlen Ton in meine Andacht münde!
Mein Sieg sei edel, mit Bescheidenheit vereint.
Den Schwulst des Eigendünkels hab ich nie gemeint.»

Ein gellend Lachen, siegestrunknen Hohnes voll,
Entließ ihr Mund, das über Berg und Täler scholl:
«Ob du es magst, ob nicht, dein Wunsch ist Trödelsache.
Ich wills. Für dich, in deinem Namen kost ich Rache.
Ei sieh! Wenn wir durch meinen Atemhauch allein,
Gegen Myriaden von Gemeindevolk zu zwein,
Gegen den Engelgottes und die ganze Welt
Mit aller Rohgewalt, die sie in Händen hält,
Den Streit gewonnen, willst du den Triumph mir wehren?
Den Jubel mir verweisen und mich Anstand lehren?
Nein da! Nach zäh erstrittnem Sieg gilt Hochmutstunde.
Die schöpf ich aus bis auf den Bodensatz im Grunde.
Haji! Ich schüttle jauchzend meines Banners Lanze!
Haji! hajo! Ich lache Hohn und spring und tanze!
Und du, mein tapfrer Kampfgesell in Widerwart
Und Pein und Not, du leistest auch zum Tanz mir Part!
Getrost: trotz deinem Widerstand werd ich dich zwingen,
Dein mattes Herz zum Selbstbewußtsein aufzuschwingen,
Auf daß du dieser Stunde Hochgeschmack erfährst!»

So rief sie, trotzig lachend. Und nachdem sie erst
Mit leichtem Fußstampf und verächtlicher Gebärde
Den Berg- und Wälderkranz und das Gefild der Erde
Verstoßen, daß von ihrem zaubermächtigen Tritt
Die plumpe Welt der Dinge in den Abgrund glitt
Und nichts umher vor Augen stand als ganz allein
Sie selbst, die Herrliche, im eignen Strahlenschein,
Begann sie: «Hör und merke, was ich dir befehle,
Ich, deine strenge Herrin, deine Göttin Seele:
Die Nickhaut vor die Augen! Aus der niedern Nähe
Entfliehe, Adler, mit dem Geist in Himmelsjähe!
Rühr deine Schwingen! Tapfer! Höher! Mutig! Feuer!
Über die Sonne rieht ins Jenseits steil das Steuer!
Fest aufwärts, stetig nach dem Pol des Weltraums richts!
Was siehst du?» – «Nichts als das verwaiste, nackte Nichts.»
«Hallo! Gut Heil! Du bist ins Götterland entschwebt.
Doch wie? du fällst zurück? Warum? Weswegen bebt
Dein Leib vor Schreck? Und weh! dein Auge tränt und trauert.
Was fandest du dort oben?» «Einen, der mich dauert.»
«Wie sah er aus?» «Verstört, die Wangen gramverblichen.
Sein Aug erblickt ich nicht; es ist mir ausgewichen.»
«Du dort, vor dessen Blick der Blick des Schöpfers wich,
Stampf deinen Stempel drauf! Behaupte trotzig: ‹Ich›!»
«Behauptung gegen Gott kann ich als Mensch nicht kehren.»
«Geduld! Ich will dich deinen Namen sprechen lehren:
Steig nieder auf das Erdgebirg, im Walde bäume,
Unter die Flügel birg dein Adlerauge, träume!
Was sieht dein Traum?» «Ich seh den Tod die Menschheit schroten.
Doch überm stillen Asphodillenfeld der Toten
Schwebt ein geheimer Schiller wie von Geisterweben.
O Schreck! Gestalten seh ich aus dem Grab sich heben.
Ha! welche kühne, freie Mannesangesichter!
Sinds Völkerkönige? Sinds Geistestatendichter?
Schau dort zu Pferd die Fürsten, ragend zu den Firnen!
Und jene, eine Welt von Geist in ihren Stirnen!
O Armut! O Verlust! Wie ist das Totenreich,
Verglichen mit den Lebenden, an Riesen reich!
Doch halt! sie sehn sich um; den harschen Blick versüßen
Freundschaft und Liebeshuld; sie scheinen wen zu grüßen,
Und aller Augen sind auf meinen Stand gerichtet.
Wie scharf indes ringsum mein Auge forscht und sichtet,
Umsonst versuch ich, wen sie grüßen, zu erspähn.»
«Geh! Spiegle dich im Wasser, alsdann siehst du, wen.
Prometheus, den als ebenschlächtigen Verwandten
Der Vorzeit Herrlichste durch Freundschaftgruß bekannten,
Gestehe mutig deinen Wert, ruf freudig: ‹Ich›!»

Prometheus schwieg und meuterte und sträubte sich.

«So schwing die Flügel, heb dich auf des Schlosses Zinne!
Schau in die Zukunft: welchen Schauspiels wirst du inne?»

«Ich hör den Strom des Lebens, durch die Höhlen brausend.
Ich schau das Erdenfeld der künftigen Jahrtausend.
Ich seh von Hügeln Städte ziehn in Gartenblüte,
Und aus den Städten, aus den Gärten atmet Güte.
O Morgenrot! O Frühling! Aus der Tempeltür
Trippelt das Engelgottesknäblein wach herfür.
Und singend steigts ins Erdenland hinab die Pfade.
Wie ist es schön! Wie ist es hold und selig! Gnade
Strahlt aus von seinem Lächeln, von den Händchen Segen.
Und alles Menschenvolk stürzt jubelnd ihm entgegen.
O Sehnsucht! Jeden dieser künftigen Menschen, sieh,
Hab ich im Traume schon gegrüßt; ich kenne sie.
Kann so viel Liebessonne je auf Erden scheinen?
Zuviel! Mein Herzquell überflutet. Laß mich weinen!»

«Prometheus, sieh das Knäblein an, dann wags und lüge!
Entdeckst du nicht in seinem Antlitz Mienenzüge,
In seinem Auge Blicke, die dir sind bekannt?
Wohl dir! das Kind ist seinem Heiland sohnverwandt.
Durch seine Heilung hast du Teil an ihm erworben.
Vergebens deine Stille, wenn dein Leib gestorben:
Im Gottesknäblein bleibst du ewig eingebunden,
In seinem Auge wird das deine aufgefunden.
Und welchen Segenskreis sein Wirken je beschreibt,
Du bists, der im Verborgnen in ihm schafft und treibt.
Darum, Mund auf, Unsterblicher! Bekenne dich!
Ruf deinen Namen! Juble stolz und glücklich: ‹Ich›!»

Er kämpfte. Endlich sprang im Herzensüberschwalle
Die trunkne Antwort lallend ihm vom Mund: «Ich Alle!»
«Heil dir, daß dus erschwungen, alle zu umfassen!
Prometheus, ziehe deines Wegs; du bist entlassen.»

Und alsobald erlosch am Himmel gegenüber
Der Glanz. Ihr Bild verschied, und alles war vorüber.
Nichts mehr als übernächtig, kläglich und gebrechlich,
Ein kleiner, nichtiger Mensch, im Weltraum nebensächlich.

 

Ihn fröstelte. Aus einer einzigen Richtung nur
Bracht ihm der Wind von Wärme eine schwache Spur.
Doch wohl ihm! Wo die Wärme herkam, spürt er Süße.
Drum nach der Heimat steuert er die Wanderfüße.
Wie er, den Binnenhof durchschreitend, an der Stelle
Vorbeikam, wo er unten in der Gruftkapelle
Das Gottesknäblein schlafend wußte, hielt er ein
Und pochte leise mit dem Finger an den Stein
Und lächelte und flüsterte: «So bleibts dabei?
Nach einem Jährleintausend wieder oder zwei?»

Nach diesen Worten reist er rüstigen Schritts durchs Tor,
Und bald wuchs hinten über ihm die Burg empor.
Wo sich der Schloßberg nieden in den Plan verliert,
Beim Kreuzpfahl, der die Wege scheidet ins Geviert,
Schrieb er mit einem Gertlein auf den Weg vor sich
Querüber einen trennenden Gedankenstrich
Und sprach: «Prometheus! Kampf und Sieg und Hoheit hüben.
Ein kleiner nichtiger Menschenwurm empfängt dich drüben.»
Und gleich als galt es über eine giftige Schlange,
Besann er sich und zweifelte und zagte lange.
Dann aber tapfer, fest die Augen zugeschlossen,
Ermannt er sich und trieb von dannen unverdrossen.
Und von Gesichten, Träumen und Gedankenschauern
Vergaumt, bemerkt er nicht des Reiseweges Dauern.

Bis daß am späten Abend, zwischen Nacht und Tag,
Die heimatliche Waldschaft ihm vor Augen lag.
Hügel auf Hügel, Tannen über Tann, davor
Als Pförtner und als Talverschluß das Felsentor.
Ob diesem Anblick ward zum leisen Zehentreten
Sein Gang und sein verhaltner Atemzug zum Beten,
Denn Bangen und Verlangen schwebten in der Waage.

Doch jetzt begann und rief das Felsentor die Frage:
«Prometheus, ehe du durch meine Pforte kehrst,
Steh deiner Heimat Red und Rechenschaft zuerst!
Als welcher kommst du uns zurück? Antworte mir.
Kommst du mit leeren Händen heim, dann wehe dir!
Auf einem Markstein in des Tales Eingangsgassen
Liegt ein Versprechen, das du einst hast nachgelassen,
Versprechen von verwegnen, heldenhaften Dingen,
Von großem Wollen und von herrlichem Gelingen.
Getraust du dich, dort unverletzt vorbeizugehn?
Wirst du den Anblick ohne Schmerzensschrei bestehn?
Weis deine Beute! Welche Leistungen und Taten
Sind deinem Fleiß zum Wohl des Menschenvolks geraten?»

«In tiefer Demut bin ich schmerzlich mir bewußt:
Das meiste, was ich mochte, ging mir in Verlust.
Ists meine, ists des Schicksals Schuld? Unnötig Grübeln,
's ist Menschenlos, 's ist eines von den Erdenübeln.
Von Heut und Damals waltet ewig Widerspruch,
Und jede Lebensrechnung schließt mit einem Bruch.
Ob aber etwas ich geleistet und getan,
Das weiß ich nicht. Frag drüben bei den Leuten an!»
Und setzte unbekümmert weiter seinen Fuß.

Plötzlich im Jubeltone scholl des Pförtners Gruß:
«Ha, Fürstenlaune! Hei, Verkleidung! Maskenspiel!
Was hat, Prometheus, der Verstellungscherz zum Ziel?
Umsonst. Kehr immerhin den müden Mann heraus:
Der König, wisse, schaut dir aus den Augen aus.
Und welch Gefolge! Ha! was will im Hinterhalt
Der Geisterschatten, welcher deine Leibgestalt
Im Großen wiederholt und deine Züge trägt
Und eins mit deinem Schritt die Riesenschwingen schlägt?
Erkannt! Ergib dich! Wunderzeichen offenbaren:
Du hast des Engelgottes Bruderkuß erfahren.
Herbei! Auf, Freunde! Zum frohlockenden Empfang!
Prometheus naht, und Ruhm und Ehre ist im Gang.
Den Preis des Menschenvolks, des Engelgottes Gunst
Bringt er euch heim in kindlich treuer Liebesbrunst.
Durch sein Verdienst mit Welt und Ewigkeit verwandt,
Ist jeder unter euch gezeichnet und benannt!»

Da tauchten hinterm Tannensaume Augen auf,
Vereinzelt erst, hernach in Hunderten zuhauf.
Sich reihend überm Wald, begannen sie zu kreisen
Und stillen Sternenzuges durch die Nacht zu reisen.
Und grüßten und umschwärmten ihn im Freundeschor
Und jedes eiferte dem andern friedlich vor:
«Kennst du mich nicht? Wir waren solche Freunde doch!»
Und: «Weißt du damals?» und: «Erinnerst du dich noch?»
Und welcherlei Erzählung jedes mochte schildern,
Die stellte sich vor seinen Blick in trauten Bildern,
Die lautlos auferschienen und entschwebten sachte.
Und alle Bilder leuchteten, doch keines lachte.

«Dank euch, getreue liebe Jugendfreunde mein!
Ich sag euch: euer holder Augensternenschein
Wärmt inniger als auf dem sonnigen Ehrenfeld
Des Volkes Jubeltoben und der Ruhm der Welt.
Wo aber bleibt denn, sagt mir, Freunde, gebt Bescheid,
Wo bleibt in seinem bittern Harm und Herzeleid
Mein armes Hündlein? Ists noch immer unversöhnt?
Hat es des alten Grolles sich noch nicht entwöhnt?
Eh daß des Hündleins Urteilsspruch mir nicht verziehn,
Ist meines Ehrentages Glück nicht voll gediehn.»

Und während er noch sprach, so fühlt um seine Knie
Er etwas Weiches, das liebwinselte und schrie
Und immer gegen sein Gesicht sprang ohne Ende,
Und eine Zunge leckte zärtlich seine Hände.
«So kannst du wirklich denn – o Heil und Auferleben! –
Dem Mörder deiner Kindlein seine Tat vergeben?»

Das Hündlein schluchzte: «Deine Herrin ist gekommen,
Hat meine toten Kindlein auf den Arm genommen
Und, vor der Landesmark auf einen Hügel steigend,
Hat sie, mit Kinn und Augen nach dem Schloßberg zeigend,
Sie aufgeschaukelt und ermuntert: «Hört ihrs? Kennt,
Kennt ihr den Namen, den das Jubeljauchzen nennt?»
Die Ohren spitzend, haben sie sich wachgestaunt
Und vor sich hin den prahlenden Gesang geraunt:
«Hei, Hochmut! Also sind wir, unfreiwillig zwar,
Dank unserm Tod des Ruhmes mitgenössig gar?»
Still! Hörst du nicht vom Tal den Sang, den reinen, schönen,
Aus meiner Kindlein Grabe dir Versöhnung tönen?»

Und wahrlich! Ja! Vom Heimattal herüber klang
Ein wundersamer, feierlicher Grabgesang.
Immer derselbe Ton, allein langatmig wie
Des Windes und des Meeres große Melodie,
Ohn Ende rauschend, sonder Unterbruch und rein
Und fest wie Glockenhallen durch den Frühlingshain.
Ha, Übergriff! Jetzt aus des Tales Höhlen schritt
Der Ton ins Freie, nahm der Wälder Schweigen mit,
Die ihren Atem hauchten in den seinen. Drauf
Beständig weiter überland im Schwebelauf.
Und wohinaus er reiste, diente seinem Oden
Das Erdgeländ zum Schallbrett und Verstärkungboden.
Dies Vorspiel hörend, zündete mit einem Mal
Aus allen Enden auf ein wogender Choral,
Von abertausend unsichtbaren Geisterzungen
In wonnesamem Einklang durch die Nacht gesungen.
Ein Psalm der Narbenglättung, Heilung und Versöhnung
Und aller ausgestandnen Nöte Nachverschönung.
Und eine Stimme rief aus des Chorales Grunde:
«'s ist Erntezeit, Prometheus, dies ist deine Stunde!
Aus ungezählten Nöten ists der süße Saft,
Die Frucht des Weinbergs, die dein treuer Fleiß geschafft.
Schlürf ihn, den Trunk der Seligkeit, bis auf die Neige!
Laß rauschen deinen Geist! Und deine Demut schweige!»
Bis nach und nach das weihevolle hohe Lied
Verscholl und all der holde Augenspuk verschied.
Worauf er, Selbstbesinnung und Entschluß gerafft,
Zum nahen Taleseingang trieb die Wanderschaft.

 

Schon hatt er, noch im Nachhall des Gesangs versonnen,
Den letzten Anstutz vor dem Felsentor gewonnen,
Und in das altvertraute heimische Sträßlein schwenkte
Sein Schritt, der Rückerinnrung folgend, die ihn lenkte,
Da prallt er rückwärts, jäh von Wonneschreck betroffen.
Sie selber! Dicht vor Augen! Keine Flucht zu hoffen.
Allein Erstaunen: kenn ich meine Göttin wieder?
Wo ist des Hauptes Strahlenschein, der Glanz der Glieder,
Der harsche Blick der stolzen königlichen Augen,
Die zum Befehlen einzig, kaum zur Gnade taugen?
Demütig und ergeben, eine Büßerin,
Trat sie, die Augen niederschlagend, vor ihn hin.

«Hier steh ich», sprach sie, «daß du meine Taten richtest,
Verwünschung mir, wenn ichs verdient, und Fluch entrichtest.»
Mit diesen Worten ließ sie schlaff die Arme hangen
Und bog den Nacken, seine Strafe zu empfangen.

«O du, der meines Atems jeder Hauch gehört,
O welche Reden! welch Ansinnen unerhört!
Ich? und ein Richterurteil fällen über dich?
Mich fragst du, ob ich dich verwünsche? Fragst das mich?
Eh mich zu heißen, solchen Spruch herauszunehmen,
Sag erst, in welchen Winkel, um mich totzuschämen.
Ach Spott! Nur Dankesstammeln hab ich im Bereich.
Das jauchzt: Wie hast du mich begnadet überreich!
Ob ich nach außen spähe, ob nach innen schau:
's ist alles dein Geschenk, du benedeite Frau!
Die Köstlichkeiten dieser Erde? Keine fehlen
In meiner Hand. Ists nötig, dir sie aufzuzählen?
Der Menschheit Lob und Preis, vom Dankesblick befeuchtet,
Mein Name, der mein Bild den fernsten Zeiten leuchtet,
Die Selberruhe, die da ist der Leistung Lohn –
Nenn einen Berg, von dem ich nicht erstieg den Thron!
Du meinst, weil oftmal ich geseufzt, gejammert gar?
Gewiß, ich hab nach Glück gehungert manches Jahr,
Und schwarze Stunden kannt ich, trost- und hoffnunglos.

Doch ohne dich, wärs anders? Das ist Menschenlos.
Eins, ja! Entsagung hast du gründlich mich gelehrt;
Doch nachbesehn: was hab im Grund ich denn entbehrt?
Der Näschereien und der Schleckereien Menge,
Die niemand sättigen noch laben auf die Länge.
Geh doch und frag die ‹Glücklichen›, die nie entsagt,
Wie ihnen der Genüsse Nachgeschmack behagt!
Wie spricht der Mensch, wenn Schnee auf seinen müden Scheitel
Die Jahre streuen? «Alles Erdenglück ist eitel.»
Und ähnlich wie den andern ward auch mir geschickt,
Hätt ich dein benedeites Antlitz nie erblickt.
Wer war ich ohne deine strenge Herrschaft wohl?
Wie stand ich einsam heute und wie leer und hohl!
«Entsagung!» Schmach der Lüge! Gabst du mir nicht mehr,
Als du mir nahmst, in tausendfacher Vielheit her?
War denn in deinem Dienst mein langes Dulden nicht
Ein einziger Odem, ein erhabenes Gedicht?
War jede Träne, die mein töricht Herz vergossen,
Nicht wie mit Balsamduft und Segenshauch umflossen?
Und wenn das Blut in Tropfen aus den Wunden quoll,
War es nicht andachttriefend, purpurweihevoll?
Ja, selbst der schwachen Stunden ächzendes Gestöhn,
Wie war das alles heilig und wie war das schön!
Hier ist, nimm hin, der Urteilsspruch aus meinem Munde:
Ich preise dich aus meinem tiefsten Herzensgrunde!
Hab Dank für all mein Glück der seelenvollen Leiden!»

«Wohlan! Ists also, können wir in Eintracht scheiden.
Und da wir fortan wandeln auf getrennten Wegen,
Knie nieder und empfange meinen Abschiedsegen.»
Und dunklen Tons, erbarmungsvoll die Rede wägend,
Begann sie, ihm die Hände auf den Scheitel legend:
«Mein Freund, mein edler Freund, mein allzeit treuer Knecht,
Du schreitest nun in eines andern Herren Recht.
Auch du, du Einziger, mußt vergehen und verderben,
Und nach dem heldenmütigen Leben gehts ans Sterben.
All deine Größe kann dir nicht dawider nützen,
Und ich, ich habe keine Waffe, dich zu schützen.
Weltfern, jenseits der Schöpfung, wohnt mein Königreich.
Du aber stehst in eines Ungotts Machtbereich
Mit Namen ‹Fühllos›. Dessen unvernünftgen Krallen,
Was Saft und Atem hat, ist rettungslos verfallen.
Doch unverzagt! Was die Myriaden von Getier
Und Menschen können müssen, das getrau ich dir.
Ich segne dich mit meinem Glauben, daß der Mut
Und die Geduld, die allzeit zäh und ebengut
In meinem Dienste du betätigt sonder Schwäche,
Dir auch im Pfuhl des Marterkissens nicht gebreche.
Ich segne dich mit meiner Hoffnung, daß der Glanz
Der tapfern Brautschaftjahre und der Hochzeittanz,
Den heute wir gejauchzt im Siegessonnenschein,
Durchs Fenster leuchte in dein sterbend Aug hinein.
Auf denn, an deine Arbeit ohne Säumen nun!
Die Schaufel wartet, und das Sterben gibt zu tun.
Ich aber will zu unsres Bundes Nachgesang
Auf deinen Spuren murmeln einen Pilgergang.
Und wo ich weiß ein Menschenkind, das einst, zur Zeit
Des Lebenshungers und der Glaubensmattigkeit,
Sei es ein freundlich Wort aus Güte dir vergabt,
Sei es mit einem Tröpflein Liebe dich gelabt,
Dem will aus deinem Danke ich zum Angedenken
Ein junges Blütenreis in seinen Garten senken.
Und dieses ist das Blütenreis: ein unvergänglich
Glückselig lispelnd Lächeln, leuchtend lebenslänglich;
Und mag hinfort ihm jedes Leid das Schicksal bringen,
Das Lächeln auszulöschen soll ihm nicht gelingen.»

Nach diesem Segensspruche neigte sie sich nieder
Und küßt ihn auf die Stirn. Und also dreimal wieder.
Dann sprach sie: «Daß die herbe Trennung Hoheit halte,
Laß uns zusammen beten! Deine Hände falte
Und aus des Körpers Gegenwart enthebe dich!»
Hernach mit lauter Stimme sprach sie feierlich:

«Ich, deren Namen Menschensprachen nicht erzählen,
Ich, Königin des Heimatlandes Allerseelen,
Als Fürsprech der Geschöpfe gegen Unbekannt,
Als jedem Wesen, das da leidet, einverwandt,
Entbiete meinen ehrerbietigen Gruß und Frieden
Der ganzen Kreatur, verwaist im Weltall nieden.
Friede mit allem, was lebendigen Atem ächzt,
Friede mit jedem, der nach einem Helfer lechzt.
Ob gut, ob böse, gleichviel! Ich erles euch nicht;
Habt sämtlich doch dasselbe Marterangesicht.
Zwar euch zu retten, Freunde, hab ich nicht die Macht,
Denn zwischen Herz und Stein gewinnt der Stein die Schlacht.
Mit Klagen einzig kann ich, nicht mit Händ und Armen,
Ihr heiligen Dulder, euch bekunden mein Erbarmen.
Allein am jüngsten Tage, der geschehen mag,
Am Tage des Gerichts, am Allerseelentag,
Wenn durch den Schöpfungsgraus der Schrei ‹Erlösung› läutet,
Die Pest des Daseins heilt, die kranke Welt sich häutet,
Daß Sonne, Mond und Sterne wie die Scharlachschuppen
Vom Himmel hageldicht zur Hölle schnuppen
Und rings im ungeheuren Raum, von Weltstoff rein,
Nichts übrigblieben als der Schöpfer Gott allein –
Dann werd ich alle Seelen, die auf Erden je
Gelitten Leibeslebensnot und Todes weh,
Um mich versammeln und in langen Reihenschnüren
Vor ihres Peinigers erbleichend Antlitz führen:
‹Halt da! Jetzt stehst du Rede! Flucht wird dir nicht glücken!›
Und werd am Arm ihn packen und zu Boden drücken:
‹Sieh da die Opfer deiner Schöpfung! Siehe sie
Gekommen, dich zu richten. Erstens auf die Knie!›
Dann zu den Seelen ruf ich: ‹Euer Urteil weist!
So grüßt doch euren Schöpfer! Dankt ihm! jubelt! preist!›
Doch siehe da, die Seelen sich im Kreise wenden,
Den Weltraum mit den Augen prüfen aller Enden,
Und wenn kein Leben mehr zu schauen um und um,
Nichts als der körperlose Luftraum, tot und stumm –
Vermag ein schaurig Murren, grollend aus den Reihen,
Zu dem am Boden: ‹Geh und ziehe! Wir verzeihen›.»

So betete die Seele. Das Gebet zu Ende,
Hob sie von seinem Scheitel sacht die Segenshände.
Und schwarze Finsternis, die ihm vor Augen stand,
Verriet ihm, daß die Herrin seines Lebens schwand.
Doch weder Tränen noch die heftigen Ungebärden,
Die sonst dem schwachen Fleischgeborenen auf Erden,
Wenn es nach lebenslanger Freundschaft scheiden heißt,
Der allzu scharfe übermächtige Schmerz entreißt,
Beleidigten der heiligen Stunde Hoheit. Stille
Und unbeweglich duldete sein starker Wille
Die bittre Pein der Trennung. Und im Nachgebete
Die Schwermut läuternd, hielt er auf der Stelle State,
Weltfern im Geist, die Selbstgefühle ausgeschaltet,
Bis daß der Weihestunde Widerschein veraltet.

Jetzt, sich zusammenlesend, Herz und Mut empor,
Zog er in seine Heimat ein durchs Felsentor.


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