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I

Entscheidung

Und über dem im zwölften Jahr, als schon zum Winter neigete der Herbst, da kam die Zeit, daß sich der Engel Gottes wähle einen aus der Menschen Schar und setze ihn zum König über alles Land an seiner Stelle.

Und drang ein dumpf Geräusch von dieser Nachricht in das Volk, und mit geheimnisvoller Miene teilt es jeder seinem Nächsten mit, und der bezweifelt es, bekämpfte es – und trug es zweifelnd weiter.

 

Und während diese also ungewissen Geistes sich erregeten und schon vor unbestimmter Ungeduld erwachete das ganze Volk, nach Neuigkeit begierig,

Da schritt der Engel Gottes eines Morgens aus der reichverzierten Pforte seines Schlosses, zog geraden Weges zu des Himmels höchster Spitze, hinter ihm der Diener große Schar in ehrerbietigem Gefolge.

Und als er über eine Zeit des langen Wandelns nun gekommen zu der luftgen Warte, die da überragete das ganze Himmelreich, wo sich die kalten Winde heftig stritten, wo von Adlern, wo von Falken tönt ein zorniges Geschrei und tief in wolkenhafter Ferne lagen all die Täler und die Berge rings umher, da trat der Engel ans Geländer, spähte oberflächlich in die Runde über all das unermeßliche Gebiet – und als er alles richtig wohl erfand und nirgends eine Neuigkeit, davor sein Blick erstaunete, da wandt er sich mit vorgefaßter Absicht nach der dunklen Seite, wo die Ewigkeit mit ihren schwarzen Schatten rührte an das luftumgrenzte, lichtbestrahlte Dasein.

Und schaute nach dem finstern Berge, wo die Tage aus dem ewgen Grunde langsam, kleinen Schrittes einer nach dem andern klommen in die Höh, gebognen Knies, den Kopf geneigt, den Trägern gleich, wenn sie vom sommerlichen Tal zum schneebedeckten Gipfel führen des bequemen Städters umfangreiches, lastendes Gepäck – und keiner sang, und keiner sprach ein Wort, und auch nicht einer lachte aus der großen Schar, doch ab und zu geschah es, daß ein einzelner sich tiefer beugte, mit den Händen sein Gesicht bedeckte, schluchzend, daß vor seines Atems heftgen Stößen zuckten seine Schultern, sich erschütterte sein Rücken.

Und also schlichen traurig sie des Wegs auf dem gekrümmten Pfad, und wenn der erste endlich nun gekommen auf des Berges Gipfel zu dem Walde, der sie trennte von der Erde Land, da hielt er eine Weile still und sträubte sich, dem Lamme gleich, das spüret Blutgeruch, und über dem, da zog er durch das Waldestor in düsterer Ergebung.

Und dieses war das Schauspiel, das mit aufmerksamem Geist der Engel eine lange Zeit betrachtete, und nicht umsonst und nicht von ungefähr und nicht wie einer, der da schauet um Genuß, so daß im Anschaun sein Bewußtsein ganz und gar enthalten,

Doch mit bestimmtem Willen sah er hin und fragete und maß mit seinem Geist, berechnete, verglich mit den Gedanken, was sein Blick ihm wiederbrachte aus der tiefen Ferne.

Und eine lange Zeit verfolgt er diesen Brauch, da wurde endlich sicher und entschlossen seine Art, und über dem, da rafft er sich zusammen, wandte sich, gebot und sprach zu seinen Dienern, die da unbeweglich standen hinter ihm in ehrerbietiger Erwartung: «Zum Erdenlande ziehet hin und zu der Menschen Volk, auf daß von Dorf zu Dorf in meinem Namen ihr verkündet dies Befehlen: ‹Ich habe bei mir selbst beschlossen, daß ich einen König wähle über euch, damit auf Erden einer wohne, der an meiner Statt das Gottesreich verwalte, also daß es nimmer Schaden leide in der Zeit, da mich Geschäfte rufen über Land, und daß er es beschütze, wenn dereinst vielleicht mich Krankheit überfällt und lähmt auf eine Weile meine Kraft und hemmet meinen Willen.

Und drum, wenn siebenmal der Morgen wiederum erschienen überm Tal, so sollt ihr insgesamt verlassen euer Tagewerk, auf daß ihr schmücket alles Land zu des Erwählten würdigem Empfang und rüstet ihm ein Fest zu seiner fröhlichen Begrüßung.

Und vierzig Tage sollt ihr üben diesen Brauch, und über dem, da soll ein jeder wiederum nach Hause ziehn und Buße tun und mit Gebet und Andacht waschen seine Seele sieben Tage lang, auf daß am achten Morgen ihr erscheinet auf der allgemeinen Wiese vor der Stadt, da ich euch selbst aus meinem eignen Mund verkünden will den Auserwählten meines Urteils.›»

Und sprachs, und eilends stürzten jene auseinander, eifrig zu vollziehen den Befehl; er selber aber weilte gerne länger auf der luftgen Warte, schritt zur Seite nach der Stelle, wo aus weißem, glänzendem Gestein ein wuchtger Tisch errichtet stand, und allda, sitzend auf der breiten Bank, den Rücken stützend an die schwere Tafel, schaut er mit gelaßnem Wesen unter dem Geländer abwärts in die Tiefe nach dem grün und blauen Gau und nach dem wolkigen Gebirg und nach den Adlern, nach den Falken, die den Fels umschrien in ihrem aufgeregten Mute.

 

Und also, wie der Gott befohlen, so geschahs, und als der achte Tag erschien, da ließ das Volk dahinten seine Sorgen, eilete zu Hauf und schmückete mit Kränzen und mit bunten Wimpeln so die Stadt als all die Täler und die Berge und den ganzen flachen Gau, und ward ein reges Leben und ein fröhliches Getümmel überall, und Alt und Jung und Mann und Weib wetteiferten in munterer, willkommner, farbger Arbeit.

Und also taten sie die lange Zeit, bis vierzigmal die Sonne sich versenkte hinterm hohen Wald, und über dem, da zogen sie nach Haus, auf daß sie nunmehr rüsteten den eignen Geist und machten sich zurecht in andachtvoller, heiliger Erbauung.

 

Und jetzt erschienen sieben ernste Tage überm Land, da ward kein Laut gehört, und auch kein Lüftchen regte sich im Raum, und ruhig stieg vom Berg der Rauch empor, und in den niedern Gründen lagerte geheimnisvoll ein weicher, duftger Nebel.

 

Und an der sieben Tage Samstag wars, da wandelte Prometheus sinnend auf und nieder in dem Garten seines Hauses, blickte ruhend durch die Nebel, während unter seinen Schritten raschelten die welken Blätter.

Und schon, vom langen Herbst beraubt, war arm des Gartens Pracht, und spärlich hing an Busch und Baum das goldne Laub, und wenge dunkelrote Blumen schauten aus dem Nebelmeer hervor – doch eine reiche, ahnungsschwere Stille brütete ob alle dem, die ward geheiliget durch einer Amsel leises Zwitschern, wenn sie, träumend von des Sommers hingeschwundner Lust und Wonne, huschte durchs verlassene Gehölz – und schien ein jedes Leben ausgestorben rund umher, und nirgends tat sich eine Regung kund, als nur ein einzger Sonnenstrahl, der spielte auf dem grünen Rasen, jagte um sich selbst mit kindlichem Gemüt, verschwand und kehrte wieder, schlüpfte durch den Zaun und zitterte am Blatt und haftete am Boden.

 

Und während er so ruhig wandelte und schön und heiter, wie von innerm Frieden, leuchtete sein Angesicht und sinnend weilte auf dem Sonnenstrahl sein Blick, indes in weiter Ferne schweiften die Gedanken,

Da trat der Engel Gottes zu Prometheus unversehenen Geschehns und redete und sprach zu ihm mit Ernst die schweren Worte:

«Prometheus, kühner Fremdling aus der Menschen Landen!

Ich habe dich gemerkt seit langer Zeit und habe wohl beachtet deines Geistes Kraft, und nicht ist mir entgangen deines Wesens ungemeiner Reichtum!

Jedoch bei alle dem: verworfen wirst du sein am Tag des Ruhms um deiner Seele willen, die da kennet keinen Gott und achtet kein Gesetz, und nichts ist ihrem Hochmut heilig, so im Himmel als auf Erden.

Und drum so höre meinen Rat und trenne dich von ihr, und ein Gewissen geb ich dir an ihrer Statt, das wird dich lehren ‹Heit› und ‹Keit› und wird dich sicher leiten auf geraden Wegen.»

Und es erwiderte und sprach Prometheus mutigen Entschlusses: «Erhabner Herr! der du verteilest Ruhm und Schande in der Menschen Volk mit eigenwilligem Beschließen!

In Wahrheit habe Dank, denn mild ist deiner Rede Sinn, und eines Freundes Meinung spür ich wohl verborgen unter deinen Worten. Jedoch nicht stehts bei mir, zu richten über meiner Seele Angesicht, denn siehe, meine Herrin ists, und ist mein Gott in Freud und Leid, und was ich immer bin, von ihr hab ichs zu eigen.

Und drum so will mit ihr ich teilen meinen Ruhm, und wenn es muß geschehn, wohlan so mag ich ihn entbehren.»

 

Und über diesem Wort, da wurde finsterer des andern Stirn, und er begann und warnete und sprach – und mehr verkündete sein Blick als seines Mundes Rede:

«Prometheus! allzukeck ist dein Gemüt, und allzuschnell bereitet sich dein Mund zum Widerstreben!

Jedoch ein Wichtiges bestehet zwischen dir und mir, und deines ganzen Lebens Schicksal lieget unter deiner Zunge!

Und drum zum andern Male achte wohl auf meinen Rat: es wird geschehn, wenn du es nicht vermagst und dich befreist von deiner Seele ungerechter Art, so ist dahin für dich der vielen Jahre großer Lohn und deines Herzens Glück und all die Früchte deines vielgestalten Geistes.»

 

Und wiederum beharrete und sprach Prometheus festen Mutes: «Erhabner Herr! der du der Erde Lust bewahrst in deinem Schatz und fern von deiner Gnade hat kein Glück Bestand in eines Menschen Herzen!

Vielleicht du kennst das Märchen aus der Menschen Land: Es war ein Mann, zu dem gerieten seine Freunde ängstlichen Gemüts: «Ein schlechtes Weib, und sieh, zu Tod und Sünde wird sie dich verführen.»

Und ruhig lächelte der Mann: «Wohlan, so seis zum Tod und seis zur Sünde.»

Und also ists mit mir, und nicht in Freud und Leid vermag ich zu entbehren ihr geliebtes Flüstern.»

Und über dem Bescheid, da wandte sich der Engel, grüßete und schied.

Und langsam zog er durch des Tales Schlucht und setzte Schritt vor Schritt mit zögerndem Verweilen;

Und an des Tales innerstem Verschluß, da hielt er gänzlich still und stand und wartete, wie wer da glaubt an Widerruf und wer da hofft auf seines Freundes spätes endliches Bedenken.

 

Doch Epimetheus überm Bach vom nahen Hause hatte wohl vernommen jegliches Geschelm und wohl verstanden alle ihre Worte. Und da er nunmehr sah den Engel wartend stehen an des Tales Mark, da kam ein Geist der Klugheit über ihn, und heimlich schlich er aus dem Haus und duckte sich und eilte auf verstecktem Pfad, bis daß er war gekommen vor des Engels Antlitz;

Und allda fiel er auf die Knie und betete und sprach mit demutsvollem Herzen:

«Mein Herr, mein Gott! im Irrtum wandelt ich bis jetzt, gefangen durch des ältern Bruders Wort und Beispiel;

Doch nun so ist nach Wahrheit mein Begehr, und siehe, meine Seele liegt in deiner Hand, und so es dir gefällt, so gib mir ein Gewissen, das mich lehre ‹Heit› und ‹Keit› und jegliches gerechte Wesen.»

Und also sprechend, überreicht er ihm ein Kästchen, reich geschmückt mit Gold und köstlichen Gesteinen.

Und mit geneigtem Willen hörete der Engel sein Gebet und nahm das Opfer an und tat nach seinem Wunsch und schenkt ihm ein Gewissen gnädiger Gewährung;

Und über dem, da machte er sich auf und war verschwunden in des Tales Falten.

 

Und es geschah, da Epimetheus sich erhob, da spürt er größer seinen Wuchs und fester seinen Mut, und all sein Wesen war geeint, und all sein Fühlen war gesund von kräftgem Wohlbehagen. Und also kehrt er sichern Schrittes durch das Tal, geraden Wegs, wie wer da niemand scheut, und offnen Blicks, wie wen beseelt des eignen Rechttuns Angedenken.

Doch als er nun gekommen vor des Bruders Haus, da redete und sprach zu ihm Prometheus bittern Grußes:

«Von wannen kommest du? und was erglänzet wie vom Rechttun dein Gesicht, und was verklärt sich von Verrat dein Auge?

Und wahrlich lieber wäre mir, daß ich dich sähe auf dem Schandgerüst, verspottet von des Pöbels roher Schar, als daß du also hast zerrissen unsern Bund und hast um ‹Heit› und ‹Keit› verhandelt deine freie Seele.»

Und sprachs und wandte sich und wechselte in Bosheit alle seine Freundschaft.

Wahl

Und stille ward es wiederum im Tal, und träge schlich die Zeit durchs neblichte Gefild, und schläfrig dämmerte der Tag zum Abend.

Doch als nun Mitternacht ertönete vom Turm, da nahete mit leisem Tritt der königliche Tag und setzte sich auf Gottes unsichtbaren Thron, und ihm zu Füßen stellten sich die Diener ehrerbiet gen Schweigens.

Und unbeweglich saß er da und schauete geduldig auf das nachtumhüllte Land, bis daß der Morgen kam und sich entschleierten die Berge und die Täler.

Doch bei des Morgens erstem Schein, da winkte er und fassete den goldnen Stift: und eifrig naheten die Diener, neigten sich und hielten ihm bereit die schweren, erzbeschlagnen Tafeln.

 

Und als nun bei des Morgens vollerm Licht erwachete der Menschen Volk und schauete das heilge Haupt, da rafften sie sich auf und schmückten sich mit Hast und eileten in dichten Haufen von den Bergen zu der Stadt und von der Stadt zur allgemeinen Wiese vor des Engels Thron, zu hören ihres Herren Wahl und Urteil.

 

Und an des Tages vorberaumter Stunde kamen zu dem Engel die bestellten Boten, meldeten und sprachen: «Wohlan, es ist bereit, und sieh, es harret dein das Volk in schweigender Versammlung.» Und über diesem Wort, da sprang der Engel auf und nahm sein Schwert und gürtete sein Kleid und trat die Reise an zum tiefen Lande.

Und durch des Himmels farbenfrohe Gassen schritt er festumstrahlt und zu der schlanken Mauer an des Himmels Rand und zu der schöngebauten Felsenstraße, die da herrlich führte überm jähen Grunde. Und allda stieg er heitern Blicks hinab, dieweil zu seinen Füßen ruhete das buntgeschmückte Land in weitem Kreise.

 

Und unten an der Erde Tor, da standen sein gewärtig die Erlesnen aus der Menschen Schar und schlössen sich an ihn und führten ihn zu seinem Thron und zu des Volkes großer, schweigender Versammlung.

Und es begann und redete und sprach der Engel zu dem Volk mit lauter Stimme:

«Mein Volk! mein Trost und meiner Mühen höchstes Ziel und meiner Sorgen einzger Inhalt!

Ich habe stille Schau gehalten über euch und habe ausgeschieden, die da ragen aus der großen Schar, und habe sie gemerkt und einzeln alle wohl geprüft und einen jeden wiederum verglichen mit den andern.

Und zwei vor allen taten sich hervor, und lange habe ich geschwankt und hab es ewig nicht vermocht ob ihres Geistes gleichgemeßner Kraft und ihres Wesens Hoheit.

Jedoch in letzter Stunde fand ich Rat, und also traf ich meine Wahl und habe weggetan, der sich zu seinem eignen Gott gemacht in seines Hochmuts unheilbarer sündiger Verblendung,

Auf daß es lerne alles Volk und es ein Sprichwort bleibe in die fernsten Zeiten:

‹Es soll geschehn, wer immer sich erkühnt, daß er verachtet mein Gebot und ist sich selbst Gesetz und beuget nicht die Seele vor den ewigen Begriffen,

Verworfen soll er sein, und eitel Unkraut sei für ihn das reiche Wachstum aller seiner Kräfte.›»

Und über dem, da wandte sich der Engel zu den Auserlesnen unter seinem Thron und meldete und sprach mit klarer Stimme dieses Urteil:

«Wohlauf! so machet euch bereit! und ziehet hin zu Epimetheus, der da wohnt im stillen Tal, und grüßet ihn und schaffet ihn vor meinen Thron, jedoch das achtet wohl, daß ihr mit Vorsicht schützet seinen Leib, denn euer König ists, und unser aller Hoffnung liegt auf ihm, und einen zweiten hab ich keineswegs an seiner Stelle.»

Und über dieses Namens Laut, da ward ein ungemeßner Jubel in dem Volk, und auf des Engels Wink ertöneten mit einem Schlag die Glocken von des Tempels Höh und kündeten aus ihrem schönen Mund die frohe Botschaft über Stadt und Land; und Antwort wards vom Berg, und Antwort kams vom Tal, und mit der Erde tieferem Gesang vereinten sich des Himmels helle, silberreine Klänge.

 

Und um dieselbe Stunde weilte Epimetheus vor dem Haus und schritt geschäftig hin und her, dieweil da öfters lauschete sein Ohr und heimlich in die Ferne spähten seine Bücke.

Und als nun plötzlich bebete die Luft, erschüttert von der Glocken tausendstimmigem Gewühl, da stellt er eine Leiter an das Haus und pflückete die Trauben von den goldnen Reben.

Und es erwiderte und sprach Prometheus überm Bach vom Fenster: «Was pflückest du, mein Bruder, heuchlerischen Tuns? und wohl nach einer andern Ernte sucht dein Blick, und eine süßre Frucht, so scheint mir, seh ich hangen über deinem Munde.

Jedoch das eine wünsch ich dir – du aber achte wohl auf meinen Rat – dies eine wünsch ich dir: daß niemals sie dir gäre.»

Doch jener hörte nicht auf seinen Rat und las und sammelte mit Fleiß und wandte dann und wann sein Haupt und ließ die Blicke gleiten übern Berg zum Wege, der da führete vorn weiten Lande. Und eben färbte sich das Tal, und blauer ward die Luft, und durch die lichtern Nebel schien die Mittagssonne klar und warm herein, und auf dem goldnen Laube wiegte sich der Sonne Freund, der dunkle pelzverbrämte Falter –

Da nahten Schritte von dem Weg, und Stimmen wurden laut und riefen Epimetheus' Namen.

Und ob der Stimmen großer Zahl und seines eignen Namens sonderbarem Klang, da wandte Epimetheus sein Gesicht mit Staunen. Und als er nun erblickete die Ältesten des Volks im Festgewand, wie sie mit ehrerbietgem Gruß sich neigten wider ihn, da stammelt er und rief und sprach mit mächtigem Entsetzen:

«Was wollet ihr von mir? und wohl ein Irrtum ists, daß ihr begehret meinen Namen.»

Sie aber wiederholeten den Gruß und neigten sich und meldeten des Gottes Auftrag.

Und über dem, da schrie und sprach der andre heftigen Gebärdens: «Was denket ihr von mir? Denn siehe, allzugroß ist dieses Amt und allzuschwer die Last, und wahrlich nicht Vermögens meine Kräfte.

Und drum so lasset ab von mir und gehet hin zu suchen einen bessern Mann, zu solchem Amt geschicket.»

Sie aber hielten fest, erwiderten und sprachen:

«Nach unsres Gottes Wahl, und einen andern hat er keineswegs an deiner Stelle.»

Und über eine Zeit des langen Kampfs, da sie beharreten in ihrer Art und gaben nimmer nach und wollten nimmer hören,

Da siegete in ihm die Pflicht, und also stieg er von der Leiter demutvollen Sinns und ging hinein und machte sich bereit, und jene führten ihn von dannen.

 

Und während sie so zogen in dem engen Grund, da schwebte eine Wolke überm Tal und schiffte langsam durch den blauen See hinüber zu dem dunklen Walde.

Und es begann und redete und sprach zu sich die Wolke:

«Was ist das für ein Ziehn im tiefen Tal, und ists vielleicht der ausgewählte König, den da preisen übers weite Land die Glockentöne?»

Und also sprechend, stellte sie den Lauf und wechselte die Bahn und folgete dem Zug, zu seinen Häupten stets sich haltend in der blauen Ferne.

Und als sies nunmehr gänzlich wohl erkannt, da hub sie an und redete und sprach zu ihrem Schatten, der da unnütz ruhete am Bergesgipfel:

«Hinab! und wecke mir das Tal! ermuntre es! erschrecke es! auf daß du also zu ihm sprechest die erwünschten Worte:

‹Wach auf! wach auf! du glücklich Tal! Denn sieh, aus deinen Falten strömt das Licht, und Ruhm und Ehre steigt empor aus deinen Tiefen!

Und wirst hinfort nicht heißen das bescheidne Tal, denn sieh, geadelt bleibest du von heut, und wenn dereinst der Wandrer nahet deinem Haus, so wird er stillestehn und reinigen sein Herz und sammeln seinen Geist, auf daß er andachtsvoll vernehme deiner Wälder Hauch und betend grüße die geweihte Stätte!›»

Und jener tat nach dem Befehl und schwang sich auf und stürzte sich hinab, ermunterte, erschreckte jedes Ding und meldete und sprach den frohen Auftrag.

Und wenn nun Epimetheus schritt vorbei, da standen wohlbekannte Gegenstände allerorts am Weg und grüßeten und sprachen wehmutsvoll die Abschiedsworte:

«Zur Hochzeit ziehst du nun, und was die Erde Herrliches enthält, du wirsts genießen.

Und über dem so wirst du wohl vergessen deiner armen Freunde im entlegnen Tale!»

Und es erwiderte und sprach der andre feuchten Auges:

«In Wahrheit sag ich euch, ob auch auf Gold und Silber wandele mein Fuß und ob des Südens Wollust mich umdufte:

So werdet ihr mir unvergeßlich sein, und öfters wird ein sehnsuchtsvoller Traum mir wiederbringen euer holdes Antlitz.»

Und an des Tales Ausgang standen zwölf berittne Boten, warteten des Zuges.

Und elf, des Preises eingedenk, beharrten auf dem Weg, und hielten jeglicher sein Tier zurück, auf daß vielleicht zuerst er melde die ersehnte Ankunft.

Jedoch der zwölfte, kühnern Mutes, ritt voraus und wagte weithin sich ins Tal, und wo am Weg ein Hügel stand, da führte er sein Tier hinan, und allda, ruhend auf den kurzen Bügeln, richtet er sich auf und spähete mit vorgebeugtem Körper, scharfen Auges.

Und als nun über eine Zeit vom Wege her erglänzete der Auserlesnen buntes, wohlbekanntes Kleid, da wandte er sein Pferd und grüßte es, und jenes stürmete zum Weg und auf dem Weg zurückgebognen Hauptes nach des Tales Ausgang.

Und vor ihm wandten sich die elf und jageten voraus, des Vorsprungs froh, den Preis erwägend.

Doch über kurze Zeit, da hatt er sie erreicht, und als nun freier ward das Feld, da sauste er vorbei und schwang sich spielend auf des Pferdes Leib, und also stehend jauchzte er und schwenkte seinen Hut, indem ob seiner Stimme sich ermunterte das Tier zu Sturmeseile.

Und schon aus weiter Ferne schaute ihn das Volk, begriff der Botschaft Sinn, und gleich dem Strom, der seinen Damm zerreißt und bricht mit Donnerstimme übers niedre Land und kennet kein Gesetz und ist für ihn kein Halt und nichts vermag zu widerstehen seinem Anlauf,

So lösten sie die Reihen, drängten sich und überstürzten sich und fluteten gewaltsam nach der großen Straße, zu erwarten ihren Freund und König.

Und lange harrten sie umsonst, doch als er endlich nun erschien mit schwankem Tritt, verstörten Angesichts, da ward von tausendstimmgem Jubelruf ein unermeßliches Geschrei, und heftgen Grußes stürzten sie sich wider ihn, umringten ihn und herzten ihn und wurden außer sich und überboten sich, und fast erdrückte ihn das ungestüme Drängen ihrer Liebe.

Und gleich wie wenn ein Käfer arglos wandert durch das Gras, und plötzlich überfällt ihn eine wilde Schar, ergreift ihn, läßt ihn nimmer los und stößt und zerrt ihn hin und her und wälzt ihn mit sich fort, und unter ihrer großen Menge bleibt sein Leib verborgen,

So schleppten sie ihn jetzt hinweg, und öfters staute sich vor seinem Fuß das Volk und sperrte seinen Weg, und mühsam nur entwirrte sich der dichte Knäuel.

Und also ungebärdgen Eifers nahten sie dem Thron – da schwieg mit einemmal der Glocken fröhlicher Gesang, und andachtvoll verstummte jeder Ruf, und ehrerbietig wich das Volk zur Seite, fügte sich und reihte sich und stellte sich zum Kreis nach hergebrachtem Brauch und Sitte.

Und ging ein banges Schweigen um und um in der gewaltigen Versammlung.

Der Engel aber grüßete mit Huld den Auserkornen seiner Wahl und faßte seine Hand und stellt ihn neben sich auf seinen Thron und legt ihm feierlicherweise um die Schultern seinen eignen golddurchwirkten Rock und wog ihm dar das richterliche Schwert und also fort das Zepter und die Krone und die andern Würden.

Und also zeigt er ihn dem Volk und redete und sprach zu der Gemeinde mit erhobner Stimme:

«Schaut an den auserwählten König, euern Herrn!

Und nun so ehret ihn und wachet über ihn und schützet ihn und tut in allem, was er euch gebietet!

Denn sehet, euer aller bester ists, und wenn dereinst er fehlt, wohlan, so wird er fehlen mit den besten Fehlern!»

Und über dem, da wandte er sein Haupt und redete und sprach zu Epimetheus diese Worte:

«Und siehe da dein Volk! und nun in deinen Händen ruht sein Glück, und alle seine Hoffnung liegt in dir verpfändet!

Und drum erbarme dich darob und seinem Dienste weihe deines Lebens jeden Tag und seinem Heile opfre deines Geistes alle Kraft, auf daß dereinst sie mögen lehren ihre Kinder segnen deinen Namen.»

Und über diesem Wort, da nahm er ihn hinweg und führt ihn zu der Feste, die da lag auf hohem Hügel vor der Stadt und hieß ihn wohnen in dem schöngebauten Schloß und zeigt ihm alles vor und gab ihm die gewichtgen Schlüssel.

Und als er reiflich alles wohl vollbracht und schon zum Abschied schien sein Mut bereit, da ändert er mit einem Male seine Art und wurde ernst und streng und hieß ihn folgen stummen Winkes.

Und mit geheimnisvoller Miene schritt er durch des Schlosses Hof und zu der Burg, die an des Berges höchstem Gipfel über mächtgen Felsen sich erhob, und wo am festesten erschien der Bau, mit Stein und Eisen wohl beschirmt, da stieg er jetzt mit ihm empor, bis wo im hohen Turm sich endete die steile, dunkle Treppe.

Und allda hielt er plötzlich still und wandte sich und redete und sprach zu seinem Freund mit feierlicher Stimme:

«Und hier in dieser Kammer schlafen meine Kinder, meines Herzens Trost und unsres Reiches Zukunft.»

Und also sprechend öffnet er geheimen Schlüssels das verborgne Schloß und trat hinein mit andachtsvollem Schritt, wie wessen Fuß berührt des Tempels heiliges Gestein, und wo im rosgen Zwielicht ruhte seiner Kinder Leib, da neigt er jetzt sich vor und küßte sie in ihrem Schlaf mit leichtem Kusse.

Und über dem, da kehrt er sachte wiederum zurück und schloß mit Vorsicht die gewaltge Tür und redete und sprach zu seinem Freund mit Tränen:

«Und diesen Schlüssel geb ich dir anheim, daß du ihn wohl bewahrest bis zu deinem letzten Atem.»

Und über dem, da stieg er wiederum hinab und grüßete und wandte sich und zog von dannen.

Und jener gab ihm das Geleit, bis daß er war gekommen vor des Schlosses Schwelle.

 

Inzwischen hatte sich das Volk versammelt vor dem Berg und rief nach seinem König stürmischen Verlangens.

Und mild gestimmten Sinns willfahrte der und trat zu wiederholten Malen vor das Haus, bis daß ermüdete ihr Mund vom stets erneuten Jauchzen.

Doch ob auch müde ward ihr Mund, noch dürstete ihr Herz, und also machten sie ein Lager unterm Schloß und rüsteten daselbst ein Fest, auf daß sie immerdar genössen ihres Königs vielgeliebte Nähe. Und echt und ungezwungen war das Fest, von Glück beseelt, von Frohsinn angehaucht, und jedes Antlitz war verschönt von unbefangner, heitrer Freude.

Und war an diesem Fest kein Neid noch Ehrgeiz unter all dem vielen Volk, und auch kein strenges Urteil trübete die Lust, und Brüdern gleich, gemütlichen Vereines nahmen sie einander an, und war willkommen jedes Wort, und jeglicher Gesang gefiel, und jegliches Geräusch erhöhete die allgemeine Stimmung.

Und während diese also kindlich sich gebärdeten mit Sang und Klang und Jubelruf und Lärmen,

Da zog des Volkes Adel langen Zuges nach dem Schloß, auf daß sie huldigten mit höfischem Gebrauch und sich bestrahlten mit der Krone Glänzen.

Und vor des Schlosses reich verzierter Pforte stand der Zug und staute sich und wuchs und schwoll, und war von all der auserlesnen, schöngeschmückten Schar ein prächtger, farbenheller Anblick.

Und es geschah, ob diesem Anblick ward dem Auge kund und offenbar der große Wert und Reichtum dieser Erde,

Denn was von Mannesstolz und Frauenschönheit träumt des Bildners durstiges Gemüt, da war es Wirklichkeit in unverhoffter Zahl und ungeahnter Kraft und Fülle.

Und paar- und gruppenweise traten sie nun ein und neigten sich und huldigten, Geschenke bietend, Blumen streuend zu des Königs Füßen;

Und jener dankete mit schlichtem Sinn und gab mit Demut wieder jeden Gruß, und manchen Mann verband er sich mit seinem Wort, und mancher schöne Blick vergaß sich an den männlich edlen Formen seines Wuchses.

Und bis zum Abend strömte ein und aus die ritterliche Schar; doch als nun Dämmerung umfing das Land, da fand der König Urlaub endlichen Geschehns; und über dem, da zog er in sein Zimmer, schloß sich ein, auf daß in Einsamkeit er ordne die Gedanken, dämme seines Herzens überflutende Gefühle.

Und fiel auf seine Knie, zerknirschte sich und machte sich gering und ließ des Tages Bilder wieder gleiten über seinen Geist, vereinte sie, verglich und prüfte sie, erfragte den verborgnen Inhalt.

Und lange übt er diesen Brauch, und vor dem großen Reichtum wüßt er nimmermehr ein End; da tat sich sein Gewissen auf in ihm und tröstete und sprach mit kräftigem Ermahnen:

«Was grämst du dich? und was zerplagst du deinen Geist mit unfruchtbarem Mühen?

Jedoch so tue einfach recht von Tag zu Tag, und über dem: das andre Gott befohlen!»

Und es geschah ob diesem Wort, da wurde herzlich müd und ruhig sein Gemüt, und schwerer ward ihm seines Körpers Last, und nicht gehorchten weiter seine Glieder.

Und über dem, da legt er sich zu ruhn in kräftiger Erschöpfung.

 

Doch vor des Schlosses Füßen unterm Berge weilte noch das Volk, vom Dunkel ungestört, und füllete die Luft mit seinem Jubel.

Und als nun gänzlich schwarz erschien die Nacht und nur die Sterne glitzerten am Firmament, da blitzten plötzlich tausend bunte Feuer übers Land, und über ihrem Glanz verjüngte sich das Fest, und wärmer ward ein jedes Herz und fröhlicher die allgemeine Stimmung.

Und also blieben sie beisammen seligen Gemüts, bei Sang und Klang und Tanz und Spiel und trauten Reden bis zum blassen Morgen.

 

Und an demselben Tage, während also Fest und Jubel waltete im Menschenland und alle Sorgen sich versöhnten in der allgemeinen Freude,

Da stieg Prometheus grollend auf der Berge Höhn, den Blick gesenkt, das Angesicht von Scham durchglüht und all sein Fühlen wund von tödlicher Beschimpfung.

 

Und eine lange Stunde stieg er schon hinan, und schon lag unter ihm in tiefer Ferne seiner Heimat Tal, und klein erschien der Erde Land, und steiler ward der Pfad, und drohender erhob sich das Gebirg zu seinen Häupten,

Doch immer vorwärts, vorwärts trieb es ihn, hinweg von dem verhaßten Jubel.

Und also unstet treibend kam er auf des Berges Grat, und allda sei es von der stillern Luft, da auch kein Laut sich regete im Raum, und sei es von des Ortes Heiligkeit, da einem Dome gleich sich ordneten die Tannen –

Da macht er jetzt ein Ende seinem Weg und ruhete und wandelte mit gleichgemeßnen Schritten auf und nieder auf dem weichen Plan, und nicht verdroß ihn seiner eignen Spuren ewge Wiederholung.

Und viele Stunden hatt er so getan, und schon entschwand der Tag, und düster ward die Luft, und Dämmerung umhüllte Feld und Wald, und ein Geheimnis zog herauf aus allen Tälern:

Da regte sichs am Himmelszelt, und tausend graue Schatten glitten sachte durch den dichtumwölkten Raum und fielen flockenweise lautlos nieder auf die dunkle Erde.

Und einzeln erst und spärlich taute es herab, bedächtigen Geschehns, doch über kurzem mehrt es sich, und gleich wie wenn die Stare zahllos fliegen übers Feld, und gleich den Schafen, wenn sie herdenweise wandern nach der hohen Alp, so mengte sich und kreuzte sich der Schwarm, und bald begrub sich alles Land mit weicher, weißer Decke.

Und bis zum dunkeln Abend eiferte und stürmete der Schnee, doch als nun Nacht erschien, da ließ er plötzlich nach, und wenge Flocken fielen träge nur herab, und scharf umrissen stand der weiß und schwarze Wald, und an dem braunen Himmel glitzerten die Sterne.

Und es geschah um diese Zeit, da wurde heftiger Prometheus' Gang, und scheu und schreckhaft ward sein ganzes Wesen.

Und öfters weilte er und setzte springend seinen Tritt, und öfters wieder stand er plötzlich still und horchete und spähete und starrte nach des Waldes Tor in grausender Erwartung.

Wie wenn im Nordenland ein Schlitten gleitet über das gefrorne Moor und jählings stockt das Pferd und stutzt und wirft den Kopf zur Seite, spitzt das Ohr, dieweil es schaudernd spürt des Wolfes Nähe,

So war von Furcht entsetzt Prometheus' Angesicht, so zitterte und bebete vor Schreck sein ganzer Körper.

Und während er so seitwärts lauschete und hielt als wie zur Flucht bereit den Leib zurück und vor den schwarzen Tannen grauste seinem Auge,

Da stiegen wundersame Farben aus dem Schnee empor, und unter jedem Baum bewegten sich die Gräser, neigten sich zur Seite, wogten heftig hin und her als wie vom Sturm erregt und gleich als wie gesengt von eines unsichtbaren Feuers Lohe.

Und bunter immer ward das Farbenspiel, und immer stürmischer bewegte sich das Gras – da plötzlich leuchtet es vom Wald wie Sonnenschein, und siehe da ein Weib von überirdischer Gestalt in ihrer Gottheit Glanz und in der Schönheit Pracht und Herrlichkeit.

Und es geschah ob diesem Bild, da tobete in Todesangst Prometheus' Blut, und all sein Leben jagte Rettung suchend auf und ab, bestürmte hilfeflehend seinen Geist und raste wiedrum hin und her und also fort, bis daß es zitternd regungslos sich duckte im geheimsten Herzen.

Und gerne wär er selbst entflohn, doch ob dem herrischen Gebieten ihrer Augen stand er wie gebannt, dem Vogel gleich, wenn er erblickt der Schlange Angesicht und mühet sich umsonst und alle seine Glieder sind gelähmt von seines Feindes starkem Willen.

Und jene kam daher mit königlichem Schritt, und näher, immer näher rückte ihre himmlische Gestalt, und schon berührt ihn ihrer Schönheit Hauch, und schon umfingen ihn die Zauber ihres Angesichts, und all sein Fühlen ward betört, verblendet von dem wunderbaren Wohllaut ihrer Glieder,

Da faßt er plötzlich sich ein Herz und sammelte des Willens ganze Kraft, bekreuzte sich und betete und wandte sich zu fliehen.

Doch sieh, da fand er sich von einem Feuerkreis umringt, der trotzte jeglichem Gebet und allen seinen frommen Sprüchen.

Und über dem ergab er sich und hielt Bestand und harrte ihrer Ankunft mit erzwungnem Mut und mit verstellter Ruhe.

Und war ein schweres Werk, und mühsam nur gelang es ihm, und über dem, da war zu Ende seine Kraft und reichte drüber nicht hinaus: zur Abwehr nicht und nicht zum Gruß, und unvernünftig gleich dem Stein und gleich dem Bilde stand er da, und all sein Geist und all sein Wille war, daß er nicht wanke.

Und jene trat auf ihn herzu und legt ihm grüßend ihre beiden Hände auf die Schultern, neigete ihr Haupt, und Blick in Blick und Aug in Aug versenkend, schaute sie ihn an, und es geschah, ob ihrem Schauen starb und auferstand sein Leben, siedete, erstarrte wiederum sein Blut, und all sein Fühlen ward ihr untertan in schrankenloser, sinnverlaßner Liebe.

Und über eine Zeit des stummen Schauns, da öffnete die Göttin ihren Mund, begann und sprach – und seltsam, wie im Zwielicht, schimmerte ihr Blick, und falsch und rätselhaft gerieten ihre Mienen:

«Prometheus, du mein Freund! ich hatte dich gewarnt, da du mich grüßtest auf dem Wiesengrund, am Bache, bei der Blumen Leuchten.

Und hatte dich gewarnt und hatte dir gesagt: ‹Ein Gott des Frevels bin ich, der dich abseits führet auf den ungebahnten Pfaden.›

Du aber hattest nicht gehört, und nun so ist nach meinen Worten dir geschehn, und also haben sie dir weggestohlen deines Namens Ruhm und deines Lebens Glück um meinetwillen.»

Und es geschah ob ihrer Stimme Ton und auch zumeist von ihres Mundes Hauch, damit sie immerfort berührete sein Angesicht, da fing er an zu taumeln, einem Trunknen gleich, und plötzlich stürzt er jetzt zur Erde, rang die Hände, rief und seufzete zu ihr empor inbrünstigen Gebetes:

 

«Du, meine Göttin, meines Lebens Licht! du, meine Seligkeit, du, meines Herzens Wonne!

Gesegnet sei der Tag, da ich zuerst geschaut in deiner Augen Nacht! gebenedeit der Ort, da sich mir offenbarte deiner Stimme Wohlgesang! und alle Tage will ich gehn und küssen, küssen den geweihten Boden!

Und ob sie alles mir geraubt, so bleib ich über alle Maßen reich, solange einzig du mir bleibst und nennest mich ‹mein Freund› aus deinem süßen Mund und blickest auf mich nieder aus dem stolzen gnadenreichen Antlitz.»

Und während er sich so gebärdete in seines Eifers Ungestüm, da spielt ein seltsam Zucken ihr um Mund und Angesicht, und immerwährend blinkten ihre Lider, schlugen hastig auf und zu, und hinter ihren weichen, feinbehaarten Wimpern lauert es und drohete und schlich umher, dem Feuer gleich, das tückisch im Verborgenen durchzieht ein Haus, und gleich dem Tiger, der sich windet unter dem Gebüsch und aus den dunklen Blättern leuchtet ab und zu sein gelber, buntgefleckter Körper.

Doch über eine Zeit, da wurde wiedrum starr und unbeweglich ihre Art, und nochmals hub sie an, versuchte ihn, erprobte ihn, begann und sprach verstellter Stimme:

«Und jetzt, so ists zu spät und frommt dir keine Reue mehr, und Rückkehr ist dir nimmermehr erlaubt: und bleibest mir ein Knecht und mußt mir dienen ohne Lohn, was immer ich befehle.»

Und es erwiderte und sprach Prometheus heißen Blicks mit Knirschen:

«Wohlan, so fleht zu dir dein Knecht: in Bande schnüre mich! in Eisen schmiede mich! und feßle mich mit Ketten an das holde Dasein deines Wesens!

Auf daß dein Antlitz ewig leuchte über mir, und werde mir zum süßen Lohn dein strenger Wille, den du mir befiehlst aus deinem wonnevollen Munde.»

Und wieder blinkten ihre Lider, schillerte ihr Aug – da plötzlich, wie mit Löwensprung und Donnerschlag, da war in schrankenlosen Hochmut umgewandelt ihre ganze Art, und Haß verzerrete ihr Angesicht, und Wut entstellte ihre schönen Züge.

Und krampfhaft, weit gesperrten Auges, hub sie an, mit bleichem Mund, und vor der leidenschaftlichen Erregung bebten ihre Lippen: «Prometheus! stehe auf! vernimm, was ich dir biete!»

Und grausend schaute der das fürchterliche Bild, und zitternd richtet er sich auf, mit Mühe nur gehorchend ihren Worten.

Und langsam, wichtigen Gebarens trat sie vor und heischte stummen Winkes seine Rechte, faßte sie und zog sie aufwärts wider sich und gab sie wieder los; und jener folgete, gehorsam ihrem Willen.

Und über dem, da nahm sie einen Ring von ihrer Hand, betrachtet ihn und weiht ihn mit Gebet und Zauberspruch und führt ihn an ihr Herz und bracht ihn segnend an die Lippen.

Und abermals ergreifend seine Rechte, streifte sie ihn langsam über seinen Finger feierlichen Amtes.

Und als sie es vollbracht, da trat sie wiederum zurück, begann, erklärete und sprach mit zornerstickter Stimme:

«Ich habe alles wohl gehört, was ihr verhandelt im geheimen Grund, beim Sonnenstrahl am stillen Tag, da du mein Angesicht bekannt und hast von mir gesagt: ‹mein Herr›, ‹mein Gott› und hast Vernichtung, Schimpf und Schande nicht gescheut um meinetwillen.

Und hab es alles wohl gehört und habe bei mir selbst geschworen: ‹Wohl! nicht solls dich reuen!›

Und nun, da also ihr Belieben, daß sie dich verleugnet diesen Tag, am Tag des Ruhms, am Tag der Wahl, wohlan, so hab ich selbst dich auserwählt, auf daß du seist mein Bräutigam und bleibest mir verlobt, bis daß ich wiederum gelöst den Ring und dir bereitet einen Hochzeittag, da ich mit Wucher dir erstatte, was um meinetwillen sie dir heut entwendet.

Und dieses biet ich zum Entgelt; doch nun vernimm den Segen, unserm Bund zum Angebinde.»

 

Und außer sich vor Glück und Seligkeit und trunken vor Entzücken sank er auf die Knie und schaute durstig in ihr Angesicht und hing mit Innigkeit an ihrem Blick, und all sein Wesen strahlete von Glauben.

Sie aber legt ihm betend ihre Hände auf das Haupt, begann und segnete und sprach mit klarer, lauter Stimme:

«Verflucht sei all dein Tun! verflucht bei Tag und Nacht dein ganz Gefühl! verflucht dein Hoffen!

Und Menschenglück und -freude soll dir nicht geschehn, doch was da heißet ‹Herzeleid› im Menschenland, das werde reichlich dir zuteil: Entbehrung, Kränkung und die ungelöschte Gier und das erstickte Würgen in den stummen Nächten.

Und also soll in ewiger Verdammnis dir geschehen Tag für Tag und Jahr um Jahr, und soll dir weder Ruh, noch Sonntag sein, und glücklich sollst du preisen jedes Tier, das sich zermüht und schläft, und das da liebt und stirbt natürlichen Geschickes.

Und dieses ist mein Preis, und also sollst du um mich werben.

Doch hinter allem diesem naht der hohe Tag, der Tag des Ruhms, der Tag der Lust, da will ich deinem Blick enthüllen meinen Leib und deiner Sehnsucht öffnen meinen Schoß und will mich dir ergeben Herz an Herz und Glied in Glied und Aug in Auge.

Und eine einzge Stunde wohne ich dir bei, jedoch um diese eine Stunde sollen dich beneiden alle künftigen Geschlechter.»

Und sprachs, doch jener weilte noch zu Boden tief ergriffenen Gemüts, umfaßte dankend ihre Knie, bedeckt ihr Hand und Fuß mit heißen Küssen.

Und eine Weile bot sie ihm Gewähr, doch über dem, da hub sie an, ermahnte ihn und redete und sprach zu ihm mit Milde:

«Und nun, so scheide ich von dir, denn siehe, meiner harrt ein großes Werk, ein Werk gewaltger Arbeit voll, und viele Eile tuet not, damit ich es vollende.»

Und also sprechend schaffte sie sich los und machte sich bereit zu ziehen.

 

Doch über ihrem Tun, da loderte die Liebe hoch in ihm empor und brach sich Bahn, eröffnete gewaltsam seiner Stimme Tor, begehrete und sprach mit stürmischem Verlangen:

 

«So willst du also schon verlassen deinen Freund! und sieh, mein Dasein nimmst du mit dir fort, und Tod und Nichtsein bleibet mir zurück, wenn du geschieden!

Und ob auch Eile sei dein Ziel, wohlan, es ist der Herren Art, daß sie gewähren einen letzten Gruß und einen äußersten Befehl!

Und nun, so üb auch du an deinem Knecht denselben Brauch, auf daß du noch verziehest eine kleine Zeit und gönnest mir noch einmal deines Mundes Rede!

Denn sieh, von deinem Angesicht ein Augenblick ist Ewigkeit! und deiner Worte kleinstes bleibet mir ein unvergängliches Geschenk, daran mein Herz sich labe in der Zeit der großen Wüste!»

Und über seiner Bitten Ungestüm erweichte sich der Göttin Herz, und also hub sie an und wandte sich zurück und redete und sprach zu ihm mit Huld die inhaltreichen Worte:

«Wohlan, dies ist mein letzter Gruß und dies mein jüngster Wille: Ich weiß, zwei Tiere wohnen dir in deinem Haus und viele Kleine.

Und jene Tiere kennen nicht mein Angesicht, und jene Kleinen wollen dich verführen.

Und drum, wenn du von hinnen bist gekommen in das heimatliche Tal, so sollst du schlachten jene Kleinen mir zum Gruß, und über dem, so werden ohne Mühe selbst die Älteren verderben.

Und also sollst du tun, und also tuend sollst du preisen meinen Namen.»

Und über dem, da wandte sie sich wiedrum weg und machte sich bereit zu reisen.

 

Und wieder hielt der andre an und flehete und sprach verwegenen Versuchens:

«In Wahrheit überreichlich hast du mich beschenkt, und wenig ziemt sich mir, daß ich zum andern Male dich versuche;

Jedoch es ist der Welt Gebrauch, daß in der seltnen Stunde unerschöpflich fließt der Gnade Born und ungemessen bietet sich das Glück dem Mann, den es erwählet.

Und drum so wende dich ein letztes Mal zurück und sprich: wann werd ich wieder schauen deiner Glieder Pracht und deinen süßen Mund und dein geliebtes Auge?»

Und nochmals hemmte sie den Schritt, und nach dem nahen Berge zeigend hub sie an und redete und sprach das rätselhafte Wort mit gleißnerischen Mienen:

«Vom Berg zum Berge ists ein naher Blick, und was verschlägt das Tal? und also wird dir nahe sein mein Wiedersehen.»

Und sprachs und grüßete und war verschwunden bei den dunklen Tannen.

 

Und über dem, da wars, als wenn ein Licht hinweggetan, und kalt erschien die Luft und finster Wald und Feld und leer die ganze Erde.

Und eine Weile hing es noch an Busch und Baum wie Zauberschein und Farbenspiel, und bunte Fäden strichen durch die finstre Luft, und aus des Waldes schwarzen Höhlen schaut es wie mit Traumesaugen.

Und langsam nur verzog es sich, wie wenn die Sonne längst verborgen unterm Horizont, doch duftges Rot verschönt den Berg und weicht und kehrt zurück und will nicht scheiden von den eisgen Zacken;

Doch als nun endlich ganz und gar verschwunden jeder Hauch und nur der Welten Hefe blieb zurück gemeinen Daseins,

Da machte sich Prometheus auf und schritt von dannen mit begeistertem Gemüt, wie wem ein großes Glück geschehn und wem ein überreich Geschenk geworden wider sein Vermuten.

 

Und wieder tönete zu ihm herauf des Volkes Jubelruf, und hell vom Fest erglänzete das ganze Land im weiten Kreise,

Doch alt und wie in fremder Zeit erschien ihm das, und ob dem jüngsten Kummer lächelte sein Herz mit überlegnem Fühlen.

 

Und als nun über eine lange Zeit nach vielem Irren durch Gestrüpp und Wald er endlich wiederum gekommen in das heimatliche Tal und eine einzge Biegung nur verdeckte noch das Haus, und schon erschienen überm Wegesrand die dunklen Wipfel seines Gartens,

Da kam durch Nacht und Finsternis ein Hündchen auf ihn zugeeilt, begrüßte ihn und herzte ihn und witterte und schnupperte, begann und sprach mit Staunen:

«Von wannen kommest du? und welche Hand hat dich berühret? Und wahrlich, einer Gottheit Odem spüre ich an dir, und nun so habt ihr meiner auch gedacht in euren Reden?»

Und es erwiderte und sprach Prometheus trüben Blickes:

«In Wahrheit haben deiner wir gedacht; jedoch, so rat ich: laß das Danken.»

Und über dem, da heischte er die Kindlein, die da schliefen in dem warmen Nest, und würgte sie getreu dem göttlichen Beschlusse.

Und all die Zeit, da er sie schlachtete, da küßte jener seine Hand und schaute in sein Angesicht mit trauriger Ergebung.

Doch als der Kindlein letztes nun erschien, da flehete und sprach das Hündchen mit bescheidenem Verlangen:

«Vielleicht, daß du das letzte mir gewährst, so will ichs abseits hinterm Wald verstecken, daß du nimmer spürest seine Gegenwart, und gänzlich gleich mit seinem Tode soll sein Leben dir erscheinen.» Und nicht vermochte jener zu versagen dies Gebet und schonete das Kind und zog dahin im Frieden.

Und als er nun gekommen vor das Haus, da stand ein Löwe in der Tür und schaut ihn forschend an und heischete und sprach mit Strenge: «Wohlan, was bringst du zum Geschenk? denn siehe, eine Göttin sah ich schreiten durch den Wald und sah sie folgen deiner Spur und sah euch handeln auf des Berges schneeumhülltem Gipfel.» Und es erwiderte und sprach Prometheus mit verlegnen Blicken: «In Wahrheit bring ich ein Geschenk; jedoch, so fürcht ich: wenig wirst du jubeln.»

Und also sprechend trat er in das Haus, auf daß er es vollende nach der Göttin Auftrag.

Und als ers nun vollbracht und nur das letzte blieb zurück, da redete und sprach Prometheus gnädigen Erlaubens:

«Vielleicht, so dir es angenehm, so will ich dir verschonen deiner Kinder letztes.»

Der Löwe aber warf sich heftgen Sprungs auf seines Kindes Leib, zerriß, zerfleischte ihn, und über dem, da kehrt er um und trat vor seinen Herrn mit blutgem Maul und redete und sprach zu ihm mit wilden Blicken:

«Wohlan, vernimm den Dank, den ich dir gönne, deiner Tat zu Gruß und Antwort:

Es soll geschehn seit diesem Tag, so will ich hassen, hassen deinen Leib, und glaube nimmer, daß du mich versöhnest.

Und all die Weile, da an deiner Hand bestehet dieser Ring, so ists mir zwar verwehrt und habe keinerlei Erlaubnis wider dich, und sicher wirst du wohnen neben mir, trotz allem meinem grimmen Hasse;

Doch wenn umsonst du mirs getan, und wenn dereinst an deiner Hand der Ring zerspringt, und wenn ein Sterben vor der Hochzeit dich erreicht und ohne Ruhm und Namen du vermeinst zu enden,

Wohlan, so will ich dir verdoppeln deinen Tod und dich zerreißen, Wollust schlürfend aus der ausgesuchten Qual und Menge deiner Schmerzen.

Und dieses merke wohl, und bleibt mein letztes Wort, und hoffe nimmer, daß ichs jemals wende.»

 

Und also dankte er; Prometheus aber segnete der fernen Göttin Mund und Angesicht, und über dem, da brach er auf und legte sich zu ruhen von des Tages mannigfaltgem abenteuerlichen Schicksal.

 

Und seinen Schritten folgten seine beiden Tiere, legten gleichfalls sich zu ruhn, das Hündchen vor des Zimmers Tür, und rollte schluchzend sich zusammen, schloß die Lider, barg den Kopf, doch nirgends lag es recht, und immer wieder stand es auf, verbesserte sein Bett und legte sich von einer anderen Seite hin, jedoch von keiner Seite wollt ihm heut ein Schlaf gelingen.

Und also schluchzte dieses weinend vor der Tür; der Löwe aber zog in seines Meisters eigenes Gemach und schaffte sich ein Lager vor Prometheus' Bett, und allda, auf dem Bauche liegend, zwischen den gewaltgen Tatzen seinen Kopf vergrabend, schaut er immerfort hinüber in Prometheus' Angesicht, und bis in seinen tiefsten Schlaf verspürte dieser der verhaßten Augen finstres böses Glühen.

Schluß

Und um die mitternächtge Stunde stieg der königliche Tag von seinem Thron und barg den Stift und überreichte seinen Dienern die beschriebnen Tafeln, gürtete sein Kleid und machte sich bereit zu reisen nach der fernen bodenlosen Tiefe hinterm andern Berge.

Und still auf luftgen Pfaden zog er durch den nachtumhüllten Gau und hinter seinen Füßen die Apostel, gleichen Schritts je vier in einer Reihe aufgestellt und immer sechse tretend in dieselbe Spur; doch als er nun gekommen zu dem festumglänzten Berge, wo des Volkes vielgestalte, laute Fröhlichkeit belebete die Luft, da stand er still und dachte eine Weile nach, und plötzlich schwenkt er einsam ab, verschmähend jegliches Gefolg, und stellte sich vor Epimetheus' Schloß und blickte aufmerksamen Geistes durch die dunklen Fenster;

Und weilte eine kleine Stunde da, und über dem, da bog er nochmals seitwärts, wanderte mit wichtigem Gebaren vor Prometheus' Haus und übete denselben Brauch und schaute in des stillen Dulders Schlafgemach – und während er so schaute, blickt er oftmals wiederum herüber zu dem lichtumstrahlten Schlosse.

Und blieb daselbst, bis daß von einem klaren, aber langgesponnenen Gedanken lächelte sein Aug, und über dem, da kehrt er zum Gefolge wiederum zurück und zog mit ihnen leisen Trittes über Wald und Feld und über Berg und Tal hinunter nach dem fernen, ewgen, grenzenlosen Ziele.

Aussicht

Und also schied der hohe Tag, und über dem, da herrschte wiederum auf Erden der gewohnte Mut, und nüchtern, gelben Scheines leuchtete die Sonne von dem blassern Himmel.

Und überall im ganzen Lande nahmen sie hervor ihr Alltagskleid und mühten sich und plagten sich und sorgeten und werkelten nach Menschenart, ein jeder für sich selbst und seines Weibes Kinder.

Epimetheus

Doch also nicht der König auf dem schön gebauten Schloß, denn seines Volkes allgemeine Sorge nahm er auf an Kindesstatt, und nur auf fremdes Wohlergehen war gerichtet sein Bemühen.

Und also hub er an und redete und sprach zu dem Gewissen unter Angst und Zittern:

«Wohlan! als echten Freund beweise dich hinfort, daß du mich strafest ohne Furcht und meistrest all mein Tun und nehmest nimmer Rücksicht auf des Herzens Schwäche;

Denn sieh, an meine Hände ist gebunden meines Volkes Heil, und was ich immer tue, Schatten wird es werfen über alle Zeit und alle Lande.»

Und über dem, da machte er sich auf und ging hinunter in das Reich und schlichtete den Streit und wehrete dem bösen Brauch und wußte immer Rat und schaffte Ordnung überall und heilte viele Not mit seines Mundes Trost und mit der Hände reichen Spenden.

Und also tat er Jahr und Tag und kannte keine Müdigkeit, und keine Bitte war ihm unbequem, und niemals weigert er Gehör, wer immer nahe seinem Antlitz.

Und über Jahr und Tag, so wurden offenbar die Früchte seiner Hand, und wenn des Abends seine Blicke schweiften durch den weiten Gau, da war kein Dorf so klein, daß nicht daraus ihn grüße seines Wirkens Widerklang, und wenn er zog des Morgens über Feld, so folgte seinen Füßen vieles Volk mit Lob und Dank und mit der Liebe ungeheuchelten Gebärden.

Und also groß war seiner Tugend Kraft und also eingestimmt zu seinen Gunsten jegliches Gemüt, daß, wenn auf seinem Wege zwei sich stritten mit des Hasses schlimmstem Grimm, so wichen sie zur Seite mit verschämtem Blick und neigten sich vereint und brachten ihm zum Opfer ihre lange Feindschaft;

Und wenn am bösen Pfahl der Missetäter litt das peinliche Gericht, so lästert er Gesetz und Recht, doch Epimetheus' Namen lobte er mit ehrfurchtvollem Schweigen.

 

Und von des Himmels hoher Warte schauete der Engel auf den Auserkornen seiner Wahl und prüfete sein Tun mit scharfem Auge.

Und als er nun vernahm des Volkes Dank und sah das Gottesreich gedeihen unter des Erwählten Hand, da bebete in ihm sein Geist, und seufzend hub er an und betete und sprach den Segen mit bewegter Stimme:

 

«Wohlauf, mein Segen, Maja, schwebe hin zum Erdental, auf daß du wohnest in des Königs Haus und dienest ihm bei Tag und Nacht, bis daß sein Herz sich dehnt und daß sein Auge leuchtet ob der Fülle seines Glückes.»

Und sprachs; und jene eilete hinweg mit leichtem Flug und schwebte einem duftgen Schatten gleich hinunter nach der Erde farbigen Geländen.

Und allda ward verdichtet ihres Körpers Form, und einem irdschen Mädchen sah sie gleich, in dem noch schlummert die geheimnisvolle Kraft und unbefangen ruht der jugendliche Leib auf schlanken Gliedern.

Und da sie also sich erblickte auf dem blumgen Hain, der Sonne ausgesetzt und war ihr einzig Kleid des Weibes Anmut,

Da färbt ein sanftes Rot ihr Angesicht, und einen Augenblick, so hielt sie sich versteckt, zur Seite sich verbergend in des Waldes Schatten;

Doch über kurze Zeit, des Zieles eingedenk, da knüpfte sie mit rascher Hand zurecht ihr Haar, vom schnellen Flug gelöst, und trocknete auf ihrer Stirn den Himmelstau und schüttelte den Sonnenstaub von ihren weißen Schultern,

Und über dem, da machte sie sich auf und sah sich nochmals um und wandelte mit leichten Tritten ungesehen zu des Königs Schloß, und allda hub sie an zu dienen wundersamen Schaffens.

 

Und wenn nun Epimetheus weilete daheim, da war sie stets um ihn, und wo er stand und ging, berührte ihn ihr Atem;

Und wenn er ausgezogen in das Reich, da tat sie auf die Fenster, klatschte dreimal mit der Hand, und über diesem Zeichen eileten herbei der Sonne muntre, zartgebaute Töchter, stiegen übern Sims und huben an zu spielen und zu jagen in dem weiten Haus, bis daß der Abend kam und wiederholten Rufes mahnete die Mutter von dem fernen Berge.

Und wenn nun Nacht erfüllete die Welt, da machte sie die Runde durch das Haus, besichtigte der Türen Schlösser, schob die Riegel, löschte das vergeßne Licht, und wenn sie alles dieses wohl bestellt, so schlich sie sich auf rosgen Zehen zu des Königs Bett und hielt ihm betend ihre heilgen Hände über seine Augen.

Und es geschah, ob ihrer Hände Schatten wurde müd sein Geist und tief sein Schlaf, und wenn von Zeit zu Zeit ihr zarter Finger streifte seine Stirn, so strömete von ihrer Jugend in sein Blut, daß er gesundete in seinem Schlaf von allen seinen Mühen.

Und um die mitternächtge Zeit, so ging sie selbst zu ruhn und suchte sich ein Lager mit bescheidnem Wunsch, es sei auf samtnen Matten in dem reichen Saal und sei auf hartem Boden unterm Dach und auch des Sommers in des Gartens lauschigen Verließen.

Und war ihr einzig Kissen ihres Armes weiche, weiße Rundung. Und wenge Stunden nur genügten ihrem Schlaf, und noch bei Nacht, da stand sie auf und ging zum Brunnen, badete das klare Aug, hernach zum Garten, weckete die Knospen, öffnete der Blumen Mund mit ihrer Lippen Kosen,

Und über dem, so kehrte sie zurück und machte sich zu schaffen in dem Haus: und ordnete ein jedes Ding und blies den Staub hinweg mit ihrem reinen Odem.

Doch wenn sie nun gekommen zu dem Zauberschrein, in dem von wunderbaren Tönen ruhte ein verschlossen Paradies, da war zu mächtig ihre Lust, und sachte legte sie die Finger auf die weiß und schwarzen Stäbe, zählte drei und fünf und acht – und leis ertönete ein Wohlgesang von unsichtbaren, gleichbeseelten Stimmen.

Und lange lauschte sie dem süßen Laut, doch endlich, ihrer Pflicht gedenk, so schalt sie sich und trat hinweg und hub von neuem an: und schaffte Ordnung überall, mit Hand und Mund und mit des eignen Daseins zauberhaften seelenvollen Kräften.

 

Und also tat sie Tag für Tag, und über kurze Zeit, so wurde heilig dieses Haus, und wenn der Weltengeist nun kam gezogen durch das abendliche Land, den fernen Schöpfer suchend:

So zog er mitten durch das Schloß, und es vernahm des Königs Ohr das schauerliche Rauschen;

Und wenn des Lebens unterirdscher Strom des Morgens sich ergoß und teilte sich und sickerte durch Berg und Tal und speisete des Daseins Wurzeln:

Da sammelt er sich wieder unter Epimetheus' Haus und wand sich dreifach um den Berg in schön gewundnem Bogen.

Und überall auf Erden herrschte Zwischenzeit; doch in des Königs Hause thronete die Gegenwart in ihrer vollsten Wahrheit.

Prometheus

Und während dieser so genas durch seines Amtes Fruchtbarkeit und seines Schicksals Hoheit,

Da kroch aus dunklem Grab zur Mitternacht ein Wurm hervor und richtete sich auf und witterte und spürete und drehte sich im Kreis und wendete den Kopf nach allen Seiten;

Und plötzlich machte er sich auf und zwang sich festen Willens durch das Feld und von dem Feld zum Weg und auf dem Weg mit sicherm Urteil stetig nach derselben Richtung.

Und mühsam war sein Gang und weit entfernt sein Ziel, und öfters hielt er ein, erschöpften Atems;

Doch rüstig hub er immer wieder an und dehnte sich und krümmte sich und schob und zog den glatten Leib hinweg – und also vor dem Morgengrauen kam er zu Prometheus' Haus, und allda kroch er durch die Tür und schaffte sich ein Nest und wohnete daselbst behaglichen Vergnügens.

Und wenn Prometheus schritt des Morgens an sein Tagewerk, so legte sich der Wurm um seine Hand, und wenn mit Trank und Speis er stärkte seinen Leib, so trank er aus demselben Glas und aß mit ihm von einer jeden Schüssel.

Und blieb ein treuer Gast und teilte mit Prometheus jede Müh und jegliches Beginnen.

 

Und vor des Wurmes Atem floh der Friede aus dem Haus, doch Ungeduld und Zwiespalt kehrten ein, und also ward Prometheus uneins mit sich selbst und ward sein eigner Feind, und nur zu seiner eignen Qual gebraucht er seines Geistes reiche, vielgestalte Gaben.

 

Doch über alle dem nicht kannte Reu noch Umkehr sein Gemüt, und es geschah, wenn er von ferne schaute seinen Bruder, wie er wandelte im menschenreichen Land, umgeben von des Volkes Jubelruf und von des Himmels Segen überstrahlet,

Da fiel er auf sein Angesicht und betete und sprach verstockten Sinns die trotzge Rede:

«Ein Gott der Güte bist du, meine Seele, reich an Gnade!

Und drum, wenn am verfluchten Tag es soll geschehn, daß ich vor deinem Angesichte sündige nach Menschenart: wohlan, so schände meinen Namen, töte meinen Leib; und jede Buße sei mir recht, und alle andren Strafen heiße ich von dir willkommen.

Doch dieses eine tue mir nicht an, – um meiner treuen Liebe willen, da ich dir gedient so manches Jahr – dies eine tue mir nicht an: Nicht laß mich werden gleich wie dieser.»


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