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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Asmodi

Es waren Monate vergangen; Dammartin hatte wieder den Dienst in den Tuilerien. Der Konsul ließ ihn rufen. Viktor erschien unbefangen vor dem Machthaber, der mit ziemlich verdrießlicher Miene auf und ab schritt, sich dann plötzlich vor ihn hinstellte, ihm scharf ins Gesicht sah und sprach:

»Ich habe mich nach der Marquise du Pin erkundigt. Sie steht in allen Registern schwarz angeschrieben. Sie ist eine Intrigantin, von der ich nichts weiter hören will, und welche Sie ferner zu protegieren unterlassen dürften. Auf alle Fälle wird die Dame wohltun, sich den Grenzen Frankreichs nicht zu nähern, viel weniger sie zu überschreiten. Ich hasse den Terrorismus jeder Partei: weibliche Terroristen jedoch sind mir aufs Höchste zuwider.«

Viktor, der sich einer brüsken Zurechtweisung nicht versehen hatte und sich gar wohl bewußt war, wie sehr er durch seine Gastfreundschaft gegen Gabriele das Vertrauen mißkannte, welches der Konsul ihm geschenkt, verstummte mit einer verlegenen Verbeugung und wartete noch der ferneren Befehle seines Herrn.

Dieser stand mit verschränkten Armen und düsterem Gesicht am Fenster, schaute eine Weile sinnend hinaus, ging dann rasch auf die Tür los, die in das Kabinett des Sekretärs führte, zog dieselbe zu und fuhr hierauf zu Viktor gewendet fort: »Wie ist's mit Ihnen, Dammartin? Lesen Sie Journale? Sind Sie auf der Höhe der gegenwärtigen Ereignisse und der europäischen Politik?«

»Wie wär' es möglich, General, in Ihrer Nähe Europas Schicksale und Hoffnungen aus den Augen zu verlieren! Sie machen die Geschichte unseres Weltteils. Wir lesen sie staunend Tag für Tag nach. In die Zukunft und Ihre weiteren Pläne zu dringen, ist freilich nicht jedem Geist gegeben und ich bin kein Diplomat.«

»Sie haben die beste Anlage dazu,« sagte der Konsul und ein leichtes Lächeln erheiterte sein Gesicht, »zum klugen Hofmann wenigstens. Sie haben mir eine Schmeichelei gesagt, wie Ludwig XIV. sie gerne hörte. Ich mache die Geschichte Europas? Fragen Sie lieber in England nach. Dort modellieren sie das Schicksal des Kontinents. Der Graf von Artois ist nicht müßig. Er sinnt darauf, dem schönen Frankreich einen neuen Chef zu geben.«

Ein bitterer Spott lagerte sich um den Mund des Konsuls, der nach einer kurzen Weile, immer geschwinder redend, fortfuhr: »Sie haben unstreitig von den Umtrieben gehört, zu deren Schauplatz Paris selbst zu wählen sich die Verschwörer nicht gescheut haben? Von der Entdeckung jenes Komplotts, welches eine verbesserte Edition der Höllenmaschine werden sollte?«

»Ganz Frankreich hat diese betrübenden Nachrichten mit dem Unwillen aufgenommen, den sie verdienen und sieht mit Begier der Entwicklung dieser schaudervollen Verschwörung entgegen.«

Der Konsul rieb sich heftig die Hände, verschränkte dann wieder die Arme und sagte höhnisch: »Ja, so sind die großen Männer. Die Namen Pichegru und Moreau – die Namen republikanischer Helden – in solche Infamie verwickelt! Moreau, den man ein Muster aller militärischen und bürgerlichen Tugenden nannte! Moreau, der einst seine Pflicht zu tun wußte, als Pichegru das Vaterland verraten wollte! Dieser Mann steht nun mit demselben Pichegru im Bunde, gefesselt an ihn wie ein Galeerensklave an den andern, besoldet von meinen Feinden, um mir das Leben zu rauben; – mir, der ich nur Freundschaft und Bewunderung für ihn hatte! Es ist die Frage, ob die Mühe zu regieren wohl den Kummer wert sei, den uns solche Enttäuschungen bereiten. – Was hält die Armee von Moreaus Verhaftung?«

»General, sie zählt auf Moreaus Unschuld und Ihre Gerechtigkeit.«

»Wir wollen sehen; die Gerechtigkeit allein soll ihren Lauf behalten. – Wie sich jedoch die Dinge wenden mögen, so glaube ich doch nicht, daß die jetzige Ordnung in Frankreich fortbestehen könne. Allenthalben Parteien; der Faktionsgeist überall und nirgends umfassende und genügende Gesetze. Ich glaubte am achtzehnten Brumaire einen guten Teil des Augiasstalles ausgemistet zu haben. Nun, ich habe mich getäuscht. Ich bin kein Herkules; ich bin der ewigen Händel und Neckereien müde. Die Anarchie ist vor der Tür und Frankreichs Zügel werden von zu vielen Kutschern gehalten. Man sagt mir wohl, daß alles nur nach meinem Willen geschehe. Eitle Lüge. Weil man dieses Land eine Republik nennt, glaubt ein jeder berufen zu sein, ein Ruder an der Galeere zu führen, oder eine Verschwörung anzuzetteln, wenn man den Ungeschickten auf die Finger klopft. Was die Jakobiner und Dummköpfe Frankreichs im Innern brüten, unterstützen von außen die Emigranten durch ihre Hetzereien und England durch sein Gold. Sie rechnen auf meine Milde, sündigen auf meine Langmut. Die Menschen werden nie etwas lernen. Weder meine Gnade, noch die Greuel der Vendée und von Quiberon öffneten ihnen die Augen. Die Unvernünftigen reizen den schlafenden Löwen.«

»Ganz Frankreich wird dem erwachenden Leuen zum Schilde dienen.«

Der Konsul lachte, zupfte den Adjutanten beim Ohr und versetzte: »Sie sind schlecht unterrichtet. Fouchés Rapporte klingen anders. Die Kanaille in Frankreich ist nur zu zahlreich. Es schmerzt mich, daß Männer, die man bis jetzt für ehrenwert erachtete, sich in die Reihen des Gesindels stellen mögen. Unsere Feinde und Überläufer kennen die Umstände nicht besser, aber Franzosen, deren Erziehung die Revolution gemacht hat, sollten billig anders denken.«

Viktor erwiderte mit Freimütigkeit: »Vielleicht sind diese nur Getäuschte, mein General. Es gibt auch fanatische Republikaner und manchmal glaubt man einer Sache aufzuhelfen, während man ihr gerade den Todesstoß versetzt.«

»Recht, mein Lieber. Diese Unsinnigen sind es, welche die Freiheit ermorden. Sie werden sehen, daß Frankreichs innere Eintracht nur durch einen Einzigen hergestellt werden kann, der alle Fäden der Gewalt und die imposanteste Macht in seinen Händen vereinigt. Die Franzosen mögen diesen Diktator, Fürsten oder wie man ihn zu nennen belieben wird, hernehmen, woher sie wollen, gleichviel. Nur ein solcher vermag die erhabene Bestimmung unseres Vaterlandes durchzuführen.«

»Und wäre dieser Mann nicht schon gefunden?« rief Viktor mit überströmendem Gefühl. »Wem sollte Frankreich in solchen Bedrängnissen, von der Unmöglichkeit, sich als Republik zu erhalten, überzeugt, bereitwilliger gehorchen, als dem Helden, der an den Ufern des Nils wie in den Gefilden Italiens der Sieger und der Friedensstifter war! Das Heer, General, ist Ihre Familie und besteht aus dem Kern der französischen Bürger. Einstimmig wird es Sie auf den Schild erheben, der Sie Frankreichs Befreier und Wiederhersteller waren.«

»Es handelt sich nicht hiervon,« erwiderte der Konsul trocken, obgleich ein Strahl von Freundlichkeit aus seinem Auge brach. »Noch ein Wort über das vorher Besprochene. Die Polizei will wissen, daß der berüchtigte Georges zu Paris sei und an der Spitze derjenigen stehe, die nach meinem Leben trachten. Kennen Sie diesen Mann?«

»Ich sah ihn ein einziges Mal, als er nach der Pazifikation der Vendée Ihnen hier im Schlosse vorgestellt wurde. Kaum, daß ich mich seiner noch erinnere.«

Der Konsul schlug mit den Fingern auf seine Dose, nickte ein paarmal rasch mit dem Kopf und sagte mit dem Ton der tiefsten Überzeugung: »Sehen Sie, der ist ein Mann, wie es wenige gibt. Ein Eisenkopf, ein Muster von Anhänglichkeit. Welche Anträge habe ich damals dem Menschen gemacht! Den kleinsten davon hätten tausend verwitterte Hofleute mit Dank angenommen. Er verwarf einen jeden und ging nach England zu seinem Herrn, der nicht ein Zwölfteil so viel wert ist als dieser rohe Chouan. Ich sage Ihnen, in dem Mann steckt ein antiker Geist, und noch jetzt, wenn man mir ihn gefangen brächte, – wer weiß, ob ich ihm nicht alle Strafe erließe und ihm meine Gnade schenkte, wenn er seine Treue dagegen austauschen wollte? Das wäre ich zu tun imstande gegen einen Mann, der an der Spitze der Meuchelmörder steht, die –«

Das Gesicht des Konsuls wurde plötzlich wieder finster und hart. – Viktor hoffte verabschiedet zu werden, aber Bonaparte gab noch immer nicht das Zeichen dazu. Mit immer heftiger werdender Aufregung stieß er mit gepreßter Stimme folgende Reden aus: »Ha, diese Bourbons! Diese Leute, die sich im Ausland noch Könige Frankreichs nennen! Deren Eitelkeit nur von der Lächerlichkeit ausgewogen wird, womit sie sich umgeben! Wissen Sie schon? Der Graf von Artois, diese Null unter den politischen Zahlen, rühmt sich laut, daß er sechzig Meuchelmörder in Paris unterhalte, die mich aus dem Weg räumen sollen. Wohlan, Ihro königliche Hoheit, ich will diese Leute näher kennen lernen, und wehe ihnen und allen, die meine Geduld zu Ende treiben! Wenn ihnen mein Leben nicht heilig ist, so sollen sie erfahren –«

Hier unterbrach er sich schnell, bekämpfte sichtlich den lautausbrechenden Grimm und fragte alsdann wie hingeworfen: »Sagten Sie mir nicht einmal, daß Sie mit dem jungen Condé erzogen wurden?«

Viktor antwortete: »Mit dem Herzog von Enghien, dem Sohn des Herzogs von Bourbon. Der Vater war mein Wohltäter und der Sohn ein freundlicher Jugendgespiele.«

»Wie alt ist der junge Mann?« fragte der Konsul weiter.

»Ich vermute, daß er mit mir in gleichem Alter steht.«

»Wie sieht er aus?«

»Er muß ein hübscher Mann sein, mit blauen Augen, soviel ich mich erinnere, mit braunen Haaren und der Gesichtsbildung, die den Bourbonen eigen ist.«

»Recht,« versetzte der Konsul mit falschem Lächeln. »Die Leute sehen sich alle gleich, im Äußern wie im Innern. Ein Glück für sie, daß ihre Weiber von jeher ihre Schwüre besser hielten als sie selbst. Ein verfaulter Stamm, dessen jüngste Zweige nichts taugen: gewissenlos, rebellisch gegen das Vaterland und untergegangen in der feudalistischen Erbärmlichkeit.«

Viktor nahm mit einiger Bekümmernis das Wort und sagte: »Ich wage, den Abkömmling des tapferen Zweiges Condé vor Ihrem gerechten Groll in Schutz zu nehmen. Als Knabe schon war er ein Muster von Freimütigkeit, von guten und edlen Sitten. Der Mann soll nicht anders geworden sein, als der Knabe war.«

»Woher wissen Sie das?« fragte der Konsul barsch und auffahrend: »stehen Sie noch in Verbindung mit dem Herzog? Hat Ihnen eine fortgesetzte Korrespondenz jene Aufschlüsse gegeben? Reden Sie.«

»Meine Papiere stehen jeden Augenblick zur Durchsicht bereit,« erwiderte Viktor gekränkt: »ich will kein Mann von Ehre sein, wenn ich nur einen Buchstaben an den Prinzen schrieb oder von ihm erhielt.«

»Das läßt sich hören,« antwortete der Konsul milder, »das Gerücht hat Ihnen also den Prinzen wie er ist geschildert? Man muß nie dem Gerücht blindlings trauen. Ich sage Ihnen, daß er im Solde von England steht und ein Feind seines Vaterlandes ist, indem er gegen dasselbe die Waffen trägt. Da betrachten Sie einmal den Herzog von Chartres. Der hat wohl für die Republik gefochten, aber nie gegen dieselbe. So handelt ein ehrlicher Mann im Unglück. Guten Morgen, Dammartin.«

Viktor war leichten Herzens, als er das Gemach des Konsuls und bald nachher das Schloß verließ. Zum ersten Male hatte er heute in dem Helden, den er so aufrichtig verehrte, ein gewisses dämonisches Wesen bemerkt, welches einen furchtbaren Eindruck zurückließ. Ein Gewittersturm schien in der Seele des großen Mannes zu kämpfen: Licht und Nacht wechselten blitzschnell und oft, wie auf seinem Antlitz, so in seinem Gemüt, und von dem Zwiespalt in der Brust seines hohen Vorbildes fühlte der staunende Schüler sein eigenes Herz zerrissen. Er kam verstimmt zu Hause an und hoffte aus dem süßen Blick seiner Adele Beruhigung und Heiterkeit zu schöpfen. Dem war nicht also. Er fand seine Gattin bereit, auszufahren, und gewahrte schnell Verdüsterung auf ihrer Stirn und Tränenspuren in ihren Augen.

Mit der sorglichen Freundlichkeit, welche Viktor stets an den Tag legte, wenn es galt, einen Kummer des geliebten Weibes zu beseitigen, umfing er Adelens Leib und fragte nach der Ursache Ihres ernsten Empfanges.

Nach einigem Sträuben brach Adele wieder in Tränen und dann in die Worte aus: »Ach, Viktor, ich sehe, daß die wenigen Jahre unserer Ehe die Gefühle verändert haben, welche du einstens für mich hegtest. Seit unserer Vermählung und dem heutigen Tag, – welch' eine Kluft hat sich zwischen uns aufgerissen! Damals empfingst du mich mit aufrichtigem Entzücken; heute umarmst du mich, weil mein Schmerz das Unglück hat, sich zu verraten, – mit erheuchelten Liebesworten, die nicht aus einer lautern Seele kommen. – Wie? Deine Blicke scheinen nach dem Sinn meiner Rede zu forschen? Dein Gesicht nimmt einen Ausdruck an, als ob ich in Rätseln spräche? Unseliger Augenblick, an dem ich mit deiner Liebe zugleich dein Vertrauen verlor!«

»Du scheinst das deinige zu mir verloren zu haben,« sagte Viktor mit ernster Sorge. »Schon seit mehreren Tagen bemerkte ich eine Unruhe, einen Zwang auf deinem Gesicht, die mich den bangsten Zweifeln hingaben. Brich das Siegel vollends und vertraue mir, was dich quält.«

Adele sah ihn lang und forschend an; dann schüttelte sie schmerzhaft das Haupt und erwiderte: »Ist das die Sprache eines freien Mannes? Das die Rede eines wackern Soldaten? Mit solcher Hinterlist denkst du fortwährend mein Herz und meinen Geist zu umgarnen? Ich soll dir ein Geheimnis lösen, während ich selbst nach der Lösung derjenigen Rätsel schmachte, von denen ich umgeben bin? Welch' eine Lage für ein gefühlvolles Weib ist diejenige, worin ich mich befinde? Seit einigen Monaten fühle ich mich zu Boden gedrückt von allem dem, was ich um mich sehe. Du weichst mir häufig aus, betrachtest mich zu andern Zeiten mit seltsam wehmütigen Blicken, brichst plötzlich in der Unterredung, wie von einem unheimlichen Gefühl befangen, ab und wechselst in deinen Liebkosungen mit düsteren und gezwungen heiteren Bildern. Sans-Regret, der fast täglich zu meiner Qual in diesem Haus erscheint, foltert mich nicht minder durch seine trüben Blicke, durch die einsilbigen Reden, die er an mich richtet, und meine Base, hin und wieder von allzu großer Lustigkeit, wird manchmal schauerlich rätselhaft, kalt, abstoßend und hart gegen mich, während ich nur die freundschaftlichsten Gesinnungen für sie hege. Willst du vielleicht noch nach der Deutung dieser traurigen Erscheinungen fragen? Ein Geheimnis ist es, ein trauriges, was mir Unheil droht. Du hast mir deine Liebe entrissen und ein anderer Gegenstand herrscht in deinem Herzen. Der Invalide, dein geliebter Freund, weiß um den neuen Bund und gibt sich die Miene, als ob er mich bedauerte, während er mich treulich zu verraten hilft. Gabriele endlich – warum muß ich es aussprechen? – Gabriele ist die böse Fee, die meine Gastfreundschaft mit ihrem Fluch vergilt, die meinen Gatten berückt hat und mich wie ein Kind verachtet, während du mich nur mit Mühe noch zu dulden scheinst.«

»Adele, wo denkst du hin?« rief Viktor außer sich, die Hände zusammenschlagend.

Adele fuhr aber mit der Lebhaftigkeit ihres Geschlechts fort: »Du wirst mich eine Eifersüchtige nennen, deinen Witz auf Kosten dieser lächerlichen Leidenschaft üben. Ich leugne nicht, daß ich eifersüchtig bin, und du dürftest dich dessen rühmen, weil noch nie ein Herz so voll von Liebe und Anhänglichkeit für dich klopfte. Ich bin ein unglückliches Weib und sehne mich danach, mein Unglück deutlich kennen zu lernen, weil der Zweifel, die Furcht, die meine Brust unerbittlich zerreißen, eine härtere Qual sind als die klare Erkenntnis meines Jammers. – Ich will keine Beteuerung, ich bedarf keiner Widerlegung. Ich kann deinen Worten nicht mehr glauben, denn wer, wie du, mir Ereignisse vorenthält, die mich nahe berühren, von denen ich unterrichtet sein müßte, der ist auch imstande, ein Mehreres zu tun. Soeben erfahre ich durch die Maronnier, daß mein Vater vor einiger Zeit hier gewesen, daß er, um sein Kommando in der Schweiz zu rechtfertigen, vor dem Konsul erschienen, daß er dich gesehen, gesprochen und bald darauf wieder Paris verlassen. Welcher Grund konnte vorhanden sein, daß du mir diesen Besuch verschwiegen? Ich denke, der Tochter wie der Gattin hätte ein unbedingteres Vertrauen gebührt; eine Mitteilung, die so natürlich und für den Gatten eine heilige Pflicht ist.«

Viktor schwieg etwas betreten vor dieser Anklage, die ihn unvermutet traf und nur dann, als Adele, nachdem sie einige Sekunden lang vergebens auf Antwort gewartet, sich von ihm losriß, um nach der Tür zu eilen, rief er schmerzlich, sie zurückhaltend: »Wie verwundest du meine Seele, grausames Weib! Danken solltest du mir, daß ich jene Zusammenkunft dir verheimlichte. Ich fühle mich noch nicht stark genug, dir ihren Inhalt mitzuteilen und werde es nur dann, wenn du mir es befiehlst; obgleich mit wehmütig bewegter Brust.«

Soeben öffnete Gabriele die Türe des Gemachs und Adele trennte sich rasch mit vernichtendem Blick von dem Gatten und verließ, ohne Gabriele zu begrüßen, den Salon.

Viktor war von dem vorhergehenden Auftritt so erschüttert, daß ihn erst das Geräusch des davonrollenden Wagens zur Besinnung brachte. Er näherte sich mit verlegener Höflichkeit der Marquise und grüßte sie mit zerstreutem Wesen. Gabriele ließ lange ihren Blick auf ihm ruhen, ergriff dann, wie von Mitgefühl bewegt, seine Hand und sprach: »Ich fürchte, hier gestört zu haben. War es aber eine unangenehme Szene, wie ich fast vermute, die ich unterbrach, so bin ich doch zufrieden, sie Ihnen wenn auch nur auf einige Augenblicke abgekürzt zu haben.«

»Wie meinen Sie das?« fragte Viktor, zerstreut wie oben.

»Die Freundschaft sei vor allem aufrichtig,« bemerkte die Marquise mit weichem Ton. »Ich bewohne seit einigen Monaten dieses Haus und habe Gelegenheit gehabt, mit bitterem Gefühl zu entdecken, daß Sie, der Sie das Glück so sehr verdienen, dennoch nicht glücklich sind.«

»Madame!« rief Viktor betroffen; die Marquise fuhr aber unbeirrt fort:

»Lassen Sie mich ausreden. Sie haben Ursache, mit all' Ihren Verhältnissen unzufrieden zu sein. Sie sind im Besitz einer Frau, welche, obgleich gutartig und unverdorben, dennoch Ihre Liebe nicht versteht. Sie ist ein verwöhntes Kind, verwöhnt durch Ihre Zärtlichkeit. Zudem ist das Gefühl, welches Sie für Adele im Busen tragen, nicht das Einzige in Ihrer Lage, welches sie nicht begreift. Von Jugend auf mehr an Mangel als an Überfluß gewöhnt, sieht sie in diesem Haus das Füllhorn des Lebens vor sich ausgeschüttet. Doch – genügt dieses ihren Wünschen, ihrem Ehrgeiz? Nein; ich darf's beschwören. Ich habe aus den mancherlei Vertraulichkeiten, die sie mir als ihrer Freundin und Verwandten machte, erraten, daß Ihre Stellung im Staat, bester Dammartin, Ihrer Gattin noch zu unbedeutend ist. In der Tat ist es auch auffallend, wie ein Mann von Ihren Verdiensten und Ihrer Tapferkeit im Verlauf der letzten Jahre noch so sehr zurückbleiben konnte, während andere von weniger Auszeichnung und Mut schon den Gipfel der militärischen Würdestaffeln erklommen haben. Adele sieht diese Zurücksetzung mit Schmerz und weil sie die Zeit der sogenannten Freiheit, der sie mit ganzer Seele anhängt, nicht tadeln kann, so berührt ihr bitterer Tadel statt der Zeit immer nur Personen.«

»Wär' es möglich? Adele, die glühende Republikanerin, sollte sich grämen, weil mir noch einige Stufen in der militärischen Hierarchie zu ersteigen übrig sind, um meinen Kameraden gleich zu stehen? Dieses, Madame, ist mir unglaublich, unfaßlich.«

»Das mag sein; Sie sind verliebt und folglich verblendet. Indessen behaupte ich doch die Wahrheit meiner Voraussetzung. Nicht Ihre Gattin allein, alle Ihre Bekannte begreifen nicht, welch' ungünstiges Geschick Sie verfolgt. Sie haben doch alles für die neue Ordnung der Dinge hingeworfen: das Höchste, Ihren Namen, Ihren Rang. Was hat Ihnen aber diese neue Ordnung gegeben? Den magern Titel eines Bataillonschefs, ein Einkommen, welches Ihnen nirgends zureichen würde, wenn nicht das Kriegsglück sie begünstigt hätte, und endlich den sehr verzeihlichen Mißmut, den Sie empfinden müssen, wenn Sie an all dieses zurückdenken. Sie sollten schon längst General sein, wenn Gerechtigkeit die Richtschnur in diesem Lande wäre. Sie sollten längst nicht mehr der letzte unter den Adjutanten des Konsuls sein, der, selbst dem Pöbel entsprossen, nur den Pöbel begünstigt und Leute von Rang und Familie mit Gewalt im Staube hält.«

Der Bediente brachte ein Billett herein, dessen Aufschrift an Viktor gerichtet war. Da es keiner Antwort zu bedürfen schien, legte es Viktor uneröffnet neben sich hin und sagte zu der Marquise, als sich der Bediente wieder entfernt hatte: »Lassen Sie sich nicht stören, Madame. Ihre Bemerkungen interessieren mich.«

»O, daß sie mehr als ein flüchtiges Interesse in Ihnen erregten!« rief Gabriele mit aufglimmendem Feuer in ihren Augen: »daß Sie einsehen lernten, wie unsere Könige das Verdienst besser zu belohnen verstanden. Der legitime Monarch, hoch über allen Parteistürmen und niederen Leidenschaften stehend, kennt selbst keinen Haß, keine Eifersucht. Darum ist die Wage der Gerechtigkeit in seinen Händen und ihre Schalen steigen oder fallen nach dem unabänderlichen Gesetze des Rechts. Ein zweiter Quell des Heils, der dem legitimen Thron entspringt, ist des Fürsten Gnade. Sie gefällt sich darin, um den Thron her Glück zu verbreiten; der König hat mit der Sonne gleiches Bedürfnis zu glänzen, zu erleuchten und zu beleben. Wo nicht das Glück ist, fehlt auch der Glanz; darum schmückt die Gnade des Monarchen mit Vorliebe diejenigen, die seinem Sitz am nächsten stehen, und die Stützen desselben, die ihn umkreisenden Planeten, zugleich die ersten im Volke sind. Ihre Geburt, Herr Vicomte, bestimmte Ihnen ein solches Los. Sie werden sagen, daß die Verhältnisse des Staats all' diese Aussichten vernichtet haben. Mit Nichten jedoch; war auch der Thron herabgewürdigt, konnte auch der König, selbst ein armer Gefangener, nicht die Treue belohnen, wie er es gerne gewünscht, so war doch Ihre Stelle dort, wo das weiße Panier der Bourbonen unverletzt weht: an der Seite der königlichen Brüder, in den Reihen der Heldenschar, die man nach dem großen Condé nennt. Wo die Oriflamme steht, wo der weiße Helmbusch der Enkel Heinrichs IV. flattert, dort ist das Lager, die Hofstatt des Königs von Frankreich, und Sie wissen, daß dieser König nie stirbt. Sie hätten es dort wenigstens zum Maréchal de Camp gebracht, der Ludwigsorden wäre Ihnen nicht entgangen; – aber Sie selbst wollten es anders. Mochten Sie es auch. Der Traum Ihrer Jugend ist vorüber. Sie sehen, wie er sich verwirklicht. Aber die Zukunft birgt noch vieles in ihrem Schoße. Sie muß dem vertriebenen Herrscherstamme wieder günstig werden, denn seine Sache ist die des Herrn, von dem er sein Recht auf die Krone empfing. Glücklich werden alsdann diejenigen sein, die entweder treu an der gefallenen Größe gehangen oder sich ihr bereuend wieder zugewendet. Im Stillen sammelt sich unter den Franzosen die getreue Herde aufs Neue. Schon mancher gehört dazu, der den Feldherrnstab schwingt und dem Konsul innig ergeben scheint. Ich würde es nicht ungerne sehen, wenn auch Sie, mein Freund, da es noch Zeit ist, Ihre Maßregeln träfen und durch ein loyales Entgegenkommen dem milden König es leichter machten, das Geschehene zu vergessen und die in der Zukunft zu leistenden Dienste schon jetzt zu belohnen.«

Viktor unterbrach sie hier mit ruhigem Ernst, aber mit steigender Strenge des Ausdrucks, indem er entgegnete: »Sie haben mehr als genug gesagt, Madame. Erwarten Sie keine Widerlegung Ihrer Worte. Ich habe vielleicht mich über die Zeit zu beschweren, ich bin vielleicht zurückgesetzt worden; aber einen Schritt, wie Sie mir ihn anraten, werde ich darum nie tun. Sie sprechen von einem Könige Frankreichs? Das Vaterland weiß nichts von ihm. Das Herz Frankreichs wäre da, wo der Bourbonen weißer Helmbusch flattert? Frankreich wäre zu Mietau, wo Ludwig einen lächerlichen Hof hält, statt durch Resignation die Achtung seiner Zeitgenossen zu erringen? Oder zu Edinburg, wo der Graf von Artois bald im Schuldgefängnisse liegt, bald seine Dolche gegen Frankreich wetzt? Versuchen Sie nicht mehr, Madame, einen Mann mit solchen Täuschungen zu höhnen. Frankreich hat seinen Fürsten ausgestoßen und sein Glück auf die Schulter eines einzigen Mannes geladen. Diesem Manne treu sein, heißt dem Vaterland seine Schwüre halten. Er hat mich nie vorgezogen, er hat mich gering befördert, und das Ordenskreuz, das er gestiftet, ist an meiner Brust vorübergegangen. Dennoch ist er der Stern, dem ich mit Zuversicht von ganzer Seele folge. Noch trübt kein Schatten den blanken Schild seines Ruhmes, und seine Klugheit wie seine Mäßigung gleicht seiner Tapferkeit und seiner Kraft. Er ist aus dem Volk, auf seiner Wiege lagen nicht Ritterketten, nicht Pfründbriefe. Man hat ihn nicht zu Parforcejagden erzogen; ihn nicht gelehrt, offene Tafel oder offenes Spiel halten; nicht Mätressen, noch Schmeichler, noch Frömmler haben den Keim seines Lebens vergiftet und den scharfen Blick seines Auges getrübt. Lassen Sie ihn also uns gefallen und über der frohen Gegenwart die schmähliche Vergangenheit vergessen.«

Die Marquise biß sich in die Lippen und suchte die Schamröte zu verbergen, die auf ihre Wangen stieg.

Viktor, dessen Mißtrauen gegen die falsche Hausgenossin rege geworden war, benützte ihr Schweigen, um mit einem letzten Streich das ganze Verhältnis, das sie beide verknüpfte, zu trennen. Er fuhr mit gemäßigter Stimme und so schonend als möglich fort: »Der erste Konsul hat mir aufgetragen, Ihnen zu melden, wie er es noch nicht für passend finde, Ihnen den Zutritt zum Vaterlande wieder zu erlauben. Der Konsul ahnt nicht Ihre Gegenwart in Paris und wünscht, daß Sie sich den französischen Grenzen nicht zu sehr nähern möchten. Sie werden mir nicht zürnen, wenn ich somit die Gastfreundschaft aufkündige, die meine Adele Ihnen bewilligt hat. Sie sehen ein, daß meine Verantwortlichkeit meiner Stellung gemäß allzu groß ist. Ich werde Sorge tragen, Sie trotz den schwierigen Zeitläuften glücklich aus Paris zu bringen. Mehr vermag ich nicht, vertraue jedoch in dieser Sache ganz Ihrer Diskretion, so wie Sie mir zutrauen mögen, daß ich alles tun werde, in der Folge jedem Ihrer Wünsche förderlich zu sein. Adele und Sans-Regret ausgenommen, der ja schon einmal das Leben für Sie wagte, weiß niemand in diesem Hause, welche Person sich unter dem Namen der Frau von St. Alban hier verbirgt. Rechnen Sie auf das unverbrüchlichste Schweigen auch ferner; nur überheben Sie mich einer Verlegenheit, die jetzt nicht einmal mehr einen Zweck hätte, sobald als möglich.«

Der Streich kam der Marquise unerwartet. Sie stand wie niedergedonnert da und wußte sich kaum zu fassen. Gedankenlos spielte sie mit dem Papagei in der Ecke des Salons, während Viktor, sein eigenes Mißbehagen zu verbergen, das neben ihm liegende Billett eröffnete und flüchtig überlas. Es enthielt nur wenige Zeilen, von einer weiblichen Hand geschrieben, und diese Zeilen lauteten wie folgt: »Wenn auch von Ihnen nicht gekannt, teile ich Ihnen schnell mit, daß Sie, wahrscheinlich unbewußt, am Rande Ihres Verderbens stehen. Sie beherbergen eine Verschwörerin in Ihrem Hause. Die Marquise Du Pin ist als eine Mitschuldige der Polignac und Pichegru signalisiert. Ich besorge, daß spätestens morgen der furchtbare Polizeikommissär Cominges von dem Geheimnis unterrichtet sein dürfte. Nehmen Sie daher Ihre Maßregeln, ich zittere für Sie.«

Vergebens suchte Viktors Blick nach einer Unterschrift, aber wütend und an allen Gliedern vor Zorn bebend, sprang er empor und hielt der erbleichenden Marquise den unheilbringenden Zettel mit zitternder Hand vor die Augen.

»Unselige!« flüsterte er ihr mit unterdrückter Stimme zu; »lies diesen Zettel, und wenn es wahr ist, was er behauptet – die Totenblässe deiner Wangen bestätigen ihn –, so vergehe vor Scham und Reue, denn du hast uns, deine Freunde, deine Wohltäter, in die größte Gefahr gestürzt. Zum Lohne für unsere Leichtgläubigkeit brachtest du Unfrieden in mein Haus, streutest du den Keim der Treulosigkeit darin aus und stürztest uns, Grausame, unter das Blutbeil, welches dem Hochverrate droht. – Du vermagst nicht zu antworten? Du bist schuldig! Sollte ich dich nicht, um mein Haupt und das der Meinigen zu retten, den Gerichten zur Stelle ausliefern? Freue dich, daß mein Herz vor solcher Untat zurückbebt. Doch kann die Sorge für meine Sicherheit dir nur einen geringen Aufschub geben. Fliehe aus meinem Hause; ehe zwei Stunden vergehen, mußt du es verlassen haben. Ich will nicht Zeuge deines Abschiedes sein, kehre ich aber zurück und finde dich noch hier, so verhafte ich dich selbst im Namen der Gesetze. Geh' schnell und reinige dies Haus von deiner Gegenwart. Bedarfst du Geld, so will ich es dir hinsenden, wohin du wünschest, aber fliehe; mehr kann ich nicht für dich tun. Für die unglückliche Emigrantin hätte ich vielleicht einen Geleitsbrief erwirkt; für die Mitschuldige der Rivière und Pichegru würde ich zittern, nur ein Wort zu verlieren.«


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