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Die Dame Arroy machte ein glänzendes Haus, und die glänzendsten Zimmer darin waren ihren Freunden geöffnet, die sie größtenteils aus der Klasse der Repräsentanten gewählt hatte. Mirabeau war an dem Morgen dieses Sonntags früh in Paris erschienen und hatte sich gegen drei Uhr nachmittags zu seiner Freundin begeben, um im Verein mit mehreren seiner Bekannten ein Ambigu einzunehmen. Die Herren waren schon recht lustig geworden, als sich Legendre mit seinen Gefangenen dem Hause näherte. Desmoulins, einer der Gäste, hatte einige Stellen aus Voltaires Mohammed zitiert und der ältere Lameth die Äußerung hingeworfen, daß es nur an einem tüchtigen Seïde fehle, um plötzlich allen Verhältnissen des Königreichs eine andere Wendung zu geben. Mirabeau hatte lächelnd zu dieser Äußerung mit dem Kopfe genickt und gemeint, daß der Himmel einen solchen senden werde, wenn die Not am höchsten sei; daß die Geschichte schon mehrere Beispiele aufweise, wo unter den Prätorianern des Tyrannen selbst sein Mörder erstanden, und daß man nicht wisse, ob nicht schon am nächsten Tage, ob nicht vielleicht in der nächsten Stunde der Arm sich darbiete, der bestimmt sei, Frankreichs und Europas Geschick von Grund aus zu ändern. Die Herzensergüsse der ganzen Versammlung stimmten und klangen in einen Toast zusammen, als der Türsteher des Hauses mit bleichem Gesicht hereintrat und meldete, daß ein Haufe Volks die Pforte eingenommen und soeben nach dem Tafelzimmer dringe. Madame Arroy fuhr erschreckt von Mirabeaus Schoß auf und schrie nach Hilfe. Mirabeau, der soeben süße Fraternität mit seiner lieblichen Wirtin geschlossen hatte, entwickelte seine ganze Würde, indem er die gewichtigen Worte sprach: »Beruhigen Sie sich, meine Liebe. Was das Volk auch von Ihnen begehrt, ich werde für Sie eintreten. Das Volk ist in seinen Kräften noch unbestimmt; es weiß nicht, was es will. Seine Zügel sind in meinen Händen; morgen wird es, so Gott will, eine andere Richtung nehmen und Frankreichs Schulden auf einmal tilgen.«
In diesem Augenblick stürmte Legendre mit den Seinigen herein. Das Volk blieb ehrerbietig unter der Saaltüre stehen, als sich Mirabeau erhob und ihm in die Ohren donnerte: »Was soll das freche Kinderspiel? Verletzt man also das Haus einer Bürgerin? Habt ihr nicht in den Zeitungen die Erklärung der Menschenrechte gelesen? Wenn auch der König sie nicht unterschrieb, so haben wir sie geheiligt, und wir wollen den Monarchen schon zur Unterschrift zwingen, damit dergleichen erbärmliche Meutereien nicht ungestraft bleiben. Sucht ihr einen Feind, so geht nach Versailles. Das Haus, worin ich mich befinde, ist unverletzlich. Wenn einige von euch etwas vorzubringen haben, so mögen sie reden. Aber der Rest des Gesindels packe sich, oder wehe ihm!«
Das Volk gehorchte bestürzt, Treppen und Gänge wurden leer, der Portier schloß das Haus, und nur Legendre samt dem Distriktsvorsteher und einigen anderen Bürgern blieb nebst Viktor und Sans-Regret zurück. Mirabeaus Miene wurde freundlicher, und er sagte: »Ihr seid brave Bürger. Wenn ich nicht irre, ist dieser hier der wackere Legendre? Und dieser der ehrliche Weinhändler Cricq? Und dieser hier der biedere Schuhmacher Chalandon? Was wollt ihr guten Leute? Warum haltet ihr diesen Invaliden und den jungen Mann, dessen Gesicht mir bekannt ist, ob ich gleich nicht genau weiß, wo ich ihn gesehen?«
»Da seht ihr's,« rief Legendre seinen Gefährten zu, »daß der Narr aus Marseille uns angelogen hat! Vater Mirabeau, dieser junge Mensch soll Ihr Vetter sein. Ist er's, lassen wir ihn los; ist er's nicht, hängen wir ihn auf, denn er ist ein Garde du Corps und folglich des Volkes Feind und des Todes schuldig ohne weiteres.«
Mirabeau näherte sich dem trotzig schweigenden Viktor, nahm ihn bei der Hand, führte ihn zu dem Stuhl, den die Frau vom Hause gerade verlassen, und sagte zu ihm: »Ich kenne Sie nun, Herr Vicomte. Muß ich gleich auf die Ehre verzichten, Ihr Verwandter zu sein, so schmeichelt es mir doch ungemein, daß Sie mich einen Augenblick dafür hielten. Wenn ich nicht irre, so zählen Sie unter diesen Herren einen Freund: den eifrigen Desmoulins, und obendrein einen wirklichen Vetter: den Herrn von Espremenil, dessen Muhme die niedliche Gräfin zu Versailles ist.«
Camille umarmte den Garde du Corps leidenschaftlich und rief exzentrisch, wie er immer war, den Bürgern zu: »Meine Freunde, ich, ein Patriot, bürge für diesen Mann. Er hat nicht auf euer Verderben getrunken bei jenem abscheulichen Feste, er hat eure Kokarde nicht mit Füßen getreten. Sein Vater ist für die Freiheit gestorben, und ich selbst habe für ihn einen Prozeß gegen eine aristokratische Großmutter geführt, die ihm sein schwaches Erbteil vorenthalten wollte. Er sei frei und jener Invalide auch, der mit seinem Vater in Amerika gekämpft und demselben die Augen zugedrückt hat!«
Espremenil, ein langer, trockener Kreole, fügte einige Worte in Desmoulins' Sinne bei, und die Bürger, die dazumal in dem feurigen Parlamentsrat noch eine Stütze ihrer Rechte verehrten, gaben endlich allen Anspruch auf Sans-Regret und Viktor auf und entfernten sich, bis auf Legendre und Charandon, mit denen der Marquis von St. Huruge in einem Seitenzimmer lange und geheimnisvoll verkehrte. Viktor und sein Freund wurden indessen eingeladen, an dem Mahle teilzunehmen und die Unannehmlichkeit des Tages zu vergessen. Viktor sah sich mit Erstaunen in der Mitte von Leuten, die er bisher größtenteils nur dem Namen nach gekannt und nie verehrt hatte. Espremenil, einer der Lameths, Camille und Mirabeau machten sich viel mit ihm zu schaffen, während Sans-Regret auf der anderen Seite von dem zweiten Lameth in Beschlag genommen wurde. »Mußte ein solcher Zufall mir erst das Vergnügen verschaffen,« sagte der Oberst zu dem Invaliden, »den wackeren Sans-Regret kennenzulernen, der zu etwas Besserem bestimmt wäre, als in dem Invalidenhause zu verkümmern? Unstreitig hat nur der Wille des Despoten Sie in jenes Hotel gesperrt, oder die tyrannischen Forderungen Ihrer Familie, die einen leichtsinnigen Jugendstreich zum Vorwand genommen hat, Ihnen alle Hilfsmittel zu entziehen und Ihr Erbe sich anzueignen. Die Zeit wäre da, wo Sie alle Ihre Rechte geltend machen könnten. Es werden und müssen große Veränderungen vorgehen; die Vormundschaft, die von den Großen über das Volk ausgeübt wird, wird in Trümmer fallen. Um dieses leichter zu bewerkstelligen, muß der Wille aller freien Männer sich verbinden. Jeder muß in seiner Sphäre wirken. Ich weiß, welch' ein Ansehen Sie unter Ihren Kameraden genießen. Ihr aller Los wird sehr zweifelhaft werden, wenn sie nicht, als die Veteranen des Heeres, im Namen desselben bei der Nationalversammlung Schritte tun, die ihre Zukunft zu befestigen vermögen. Ihre Vorgesetzten haben sich schändliche Ungerechtigkeiten zuschulden kommen lassen. Der alte Sombreuil ist ein tyrannischer Geizhals, der das Invalidenhaus bestiehlt, um sich zu bereichern, ein elsässischer Dickkopf, der nur mit dem Stock hantieren möchte und es gern sähe, wenn alle seine Untergebenen verhungerten. Er ist eine Kreatur des Hofs, darum hält er auch zu ihm und wird gegen seine Invaliden zum Verräter.«
Sans-Regret hatte mit anscheinender Ruhe zugehört und vor sich hin auf die unberührten Speisen gestarrt. Nun drehte er aber seine Falkenaugen gegen den Oberst und sagte schnell und beißend: » Cap de bious, Herr Oberst, wenn unser Alter ein Kind des Hofes ist, so tut er ja besser daran, an der Mutter zu hängen, als derjenige, der ihre Wohltaten vergißt, sie mißhandelt und dadurch seiner Ehre den empfindlichsten Rippenstoß gibt, der nur in der Escrime vorkommt.«
Der Oberst wurde rot und öffnete verlegen den ersten Knopf seiner Uniform und strich seinen Jabot. Dann versuchte er zu lächeln und erwiderte aufstehend: »Sie haben es hinter den Ohren, Sans-Regret, wie alle Ihre Landsleute. Sollte, aber der Fechterstoß auf mich gehen, so versichere ich Ihnen, daß ich und meine Brüder uns glücklich schätzen, die eigennützigen Wohltaten einer verhaßten Königin zu vergessen, um nur dem Wohl der Nation zu dienen.«
Ohne dagegen eine Silbe zu erwidern, erhob sich Sans-Regret und machte dem weggehenden Oberoffizier seinen militärischen Gruß. Viktor kam auf ihn zu, warf sich neben ihm auf einen Stuhl und flüsterte ihm ins Ohr: »Unter welche Menschen hat uns die verfluchte Begebenheit geführt? Es kommt mir vor, als ob in Frankreich der Mord zur Losung werden sollte. Es sind kaum vierundzwanzig Stunden her, als man mir zu Versailles vorschlug, den Grafen aus dem Wege zu räumen, und hier macht man mir mit dürren Worten den Antrag, das heiligste Haupt, welches in Frankreich lebt, zum Ziel meines Degens zu wählen. Sage mir doch, wer sind die Leute alle? Ferner, wie entkommen wir ihnen? Ich möchte die Schicklichkeit nicht vollends hintansetzen, weil wir denn doch einmal, leider, den Menschen eine Verbindlichkeit schuldig sind.«
Der Invalide zog ihn in eine Ecke und sagte, indem er die Mitglieder der Gesellschaft mit dem Finger bezeichnete: »Ich kenne selbst nicht alle von diesen Herren. Der blatternarbige Löwe, der wie ein Monarch unter seinen Vasallen steht, ist Ihnen bekannt. Mirabeau verrät sich allenthalben, selbst wenn man seinen Namen nicht wüßte. Der ungeheure Mensch neben ihm, mit den Formen eines Athleten, mit der polternden Stimme und dem braunen Doggenangesicht unter den weißgepuderten Taubenflügeln, ist der Advokat Danton. Der Mensch wird einen großen Weg machen, glaub' ich. Die suffisanten drei Gesichter in Uniform sind die Gebrüder Lameth, von denen ich Ihnen schon erzählte. Der magere Espremenil, der schwarze und ungeheuerlich aussehende Desmoulins sind Ihnen alte Bekannte. Der Mensch, der im Vorzimmer mit dem Schuster und dem Fleischer, zwei ausgemachten Bastillestürmern, konversiert, ist der liederliche Marquis von St. Huruge. Der düstere Mann, der sich mit Espremenil unterhält, wird Lechapelier genannt und ist der Präsident der vierten Augustnacht gewesen. Den jungen Mann, unfern von ihnen, mit dem kecken Gesicht und dem gellenden Organ, hörte ich von dem Obersten Lameth St. Just nennen, und den Kerl endlich, der gerade wie ein schmutziger Iltis in das Zimmer schleicht, habe ich einmal, wenn ich nicht irre, in den Ställen des Grafen von Artois gesehen. Seinen Namen weiß ich nicht, wie auch nicht den der drei oder vier übrigen Gesellschafter, von denen ich nur glaube, daß sie in dem Hause des Herzogs von Orleans angestellt sind oder waren.«
Der Mann, von welchem Sans-Regret zuletzt gesprochen hatte, war übrigens in seiner Erscheinung merkwürdig genug, um für einen Augenblick Viktors Aufmerksamkeit zu fesseln. Er war klein und sein Kopf, sehr groß, platt, mit einem abscheulichen Antlitz, stand im schlechtesten Verhältnis zu seinem kleinen Körper. Die Physiognomie des Menschen hatte etwas unbeschreiblich Widerliches, etwas, welches dem Auge und dem Gefühl zugleich wehe tat. Von der flachen Stirn, beschattet von glatt anliegenden schwarzen Haaren, wie aus den langgespaltenen, kleinen Schweinsaugen sprach die niedrigste Leidenschaft, die niedrigste Kriecherei, und aus dem ungeheuren Munde, dessen Lippen larvenmäßig aufgezogen waren, eine Unverschämtheit sondergleichen, ein blutiger Spaß, die gemeinste Liederlichkeit. Die Kleidung des Individuums trug das ihrige dazu bei, die Erscheinung zu einer ekelhaft verworfenen zu machen. Ein schwarzer, langer Frack, abgeschabt und unsauber, deckte den mißgestalteten Leib. Schmutzige Halbstiefel bekleideten den Fuß; gelbe, lederne, schlechte Beinkleider, eine schmutzige, weißtaffetne Weste, eine unsaubere, hängende Halsbinde, unordentliche Wäsche, die nur weiß zu nennen war, weil sie über die gelbe Haut des Menschen gehängt war, Manschetten, von Schnupftabak besudelt, und ein elender Hut vollendeten das Äußere dieses schauerlichen Phantoms. Eine dicke Rolle Papier stak in seiner Tasche und auch die mit ansehnlichen Klauen versehenen Finger trugen einen Pack von Zeitungen.
Der Eintritt dieses widerlichen Mannes verursachte große Bewegung in der Gesellschaft. Camille rief ihm entgegen: »Sieh' da, Doktor, Ihr laßt Euch lang erwarten!« »Die Pressen mußten schwitzen, bis alles vollendet war,« entgegnete der Mensch und warf seine lauernden Blicke in dem Gemach umher, bis sie mißbilligend und erstaunt auf den beiden Fremden hafteten, die er nicht kannte. Sein Mund schloß sich vorsichtig, und eine Gebärde deutete an, daß er sich scheue, vor den unerwarteten Zeugen weiterzureden. Mirabeau gab seinem Nachbar Danton einen Wink und sagte zu ihm: »Treten Sie mit dem Menschen ab, ich mag mich mit dem Auswurf nicht einlassen. Untersuchen Sie, ob seine neueste Nummer die Aufsätze enthalte, die wir begehrt haben. Sie müssen hübsch toll und übertrieben sein, so wie der Schlingel von Marat sie gewöhnlich schreibt; endlich fordern Sie ihn auf, morgen auf dem Platze zu sein und all' seinen Einfluß anzuwenden, um den Pöbel zum äußersten zu reizen.«
»Gut,« antwortete Danton kurz und barsch. »Die Hyäne wird Geld brauchen, das ist Marats tägliches Lied. Soll ihr Gold in die Kehle gegossen werden, oder sind ein paar Taler genug, um den Quacksalber in den gehörigen Rausch zu versetzen? Wenn wir das Ungeheuer nicht so nötig brauchten, so möcht' ich es lieber mit einem Fußtritt zermalmen, als mich nur durch ein Wort mit ihm zu besudeln.«
Mirabeau zog einen Beutel aus der Tasche und gab ihn lächelnd an Danton. »Diese Tage«, sprach er, »werden unserm dicken Papa ein unsägliches Geld kosten. Wenn die Explosion nur recht heftig wird! Nur keine halben Maßregeln! Jagen Sie den Charlatan recht in den Harnisch; Sie verstehen es. St. Huruge hat schon mit Legendre und Chalandon alles abgemacht. Marat soll mit ihnen vereint handeln.«
Danton winkte dem Journalisten und ging ihm voran in das Kabinett. Mit der Überlegenheit, die einem kräftigen Mann gegen einen kränklichen, schleichenden Bösewicht zusteht, wendete er sich zu dem Doktor und sprach kurz und verächtlich: »Frisch, Marat! Sind die befohlenen Diatriben abgefaßt? Sind sie mit deiner gewöhnlichen Pöbelhaftigkeit getränkt? Werden sie wirken?«
Marat entgegnete mit heimtückischer Niederträchtigkeit: »Ich schmeichle mir, mich diesmal selbst übertroffen zu haben. Die Zeilen meiner nächsten Nummer sind mit drakonischer Schrift geschrieben. Wenn diese Arznei nicht durchschlägt, will ich ein erbärmlicher Pfuscher heißen.«
»Du verstehst dich auf Pferdekuren,« spottete Danton, »und da das Volk wie ein Pferd behandelt sein will, so magst du deine saubere Medizin bei ihm anwenden. Wenn sie nicht hilft, so zertrete ich dich. Das Volk muß morgen nach Versailles, mit Feuer und Schwert, sag' ich dir. Es ist Zeit, daß einmal etwas geschehe. Du wirst Geld brauchen; da hast du welches. Spende es unter die Kanaille aus, die dein Journal liest. Hetze, treibe an. Drohe mit der schrecklichsten Hungersnot; prophezeie die Zerstörung von Paris; schreie allenthalben aus, daß die verfluchten Schweizer und Gardes du Corps selbst das Kind im Mutterleibe nicht schonen werden. Wähle einige Mörder aus, die als Anführer dienen können; Leute, die vor Blut nicht zurückschrecken. Du mußt dergleichen kennen. In den Kneipen, die du besuchst, findet sich das Gesindel zusammen; entlaufene Galeerensklaven etwa oder gebrandmarkte Diebe. Es muß morgen Blut setzen, und wenn es das Blut einer Königin wäre. Verstehst du mich?«
Marat nickte mit dem Kopf. Ein grausames Lächeln verklärte seine Züge. Er rieb sich die Hände und antwortete: »Ich habe schon, was wir brauchen. Da ist zuerst der Bastillestürmer Maillard, den ich schon bestellt habe und der seiner Rolle gewachsen ist; ferner der resolute Jourdan, der das Metzgerhandwerk methodisch erlernt hat und nach der Reihe Contrebandier, Deserteur und Kneipenwirt gewesen ist, bis er vor kurzem Bankerott machte. Er hat dem Foulon und dem Berthier das Herz aus dem Leibe gerissen, dem Major der Bastille den Kopf abgeschnitten, und wird vor einigen elenden Gardes du Corps und vor der österreichischen Furie nicht zittern. Noch einiger anderen zu geschweigen, die ich nur zu requirieren brauche, um ihren Arm zu bewaffnen. Sie sollen sehen, daß morgen eine furchtbare Armee auf den Beinen sein soll. Aus den Vorstädten, aus den Hallen, aus den Bordellen und Spielhäusern werden Rekruten zu Tausenden herbeiströmen.«
»So geh' denn hin und tue deine Pflicht, König der Halunken, Orakel der Fischweiber und Gassendirnen!« sagte ihm Danton mit barbarischem Spott, wendete ihm dann den Rücken und ging in die Gesellschaft zurück. Er zog Mirabeau beiseite und sagte ihm: »Der Schuft ist expediert. Sagen Sie mir aber nur, was mit dem jungen Offizier und dem Invaliden werden soll, die auf eine so überraschende Weise Gäste bei diesem Mahle geworden sind. Der Gardist scheint nicht dumm. Der Marseiller scheint sogar pfiffig. Wenn diese Leute erraten hätten, was hier unter uns verhandelt wurde? Der Gardist darf nun einmal nicht nach Versailles zurück, bis der große Streich ausgeführt ist. Er könnte zu früh Alarm schlagen. Das Unheil muß, wie das Donnerwetter, schnell und unvorhergesehen die Tyrannen treffen. Müßte ich den Vicomte hier an der Tafel mit der Faust totschlagen, er dürfte nicht fort.«
»Seien Sie ruhig,« erwiderte Mirabeau; »ich habe für alles gesorgt. Der Abend bricht herein, aber der Vicomte will erst morgen Paris verlassen, um nach Versailles zurückzukehren. Desmoulins wird ihm im Hotel de Provence heute nacht Gesellschaft leisten und die Besorgnisse zu zerstreuen suchen, die auf Camilles unvorsichtige Eröffnung hin in der Seele des jungen Mannes aufgestiegen sein könnten. St. Huruge ist bereits nach Sèvres abgegangen. Er hat den Auftrag, die Gemeinden auf der Straße nach Versailles in Bewegung zu setzen und den Wagen des Vicomte morgen unter irgendeinem Vorwand aufzuhalten, wie überhaupt alle Kuriere, die nach der Residenz abgeschickt werden möchten. Der Vicomte wird, besonders wenn der Lärm bereits ausgebrochen ist, sich hüten, von einer Zusammenkunft mit den Häuptern des Aufruhrs zu sprechen; er kann uns dagegen auf einer andern Seite von größtem Nutzen sein, weil er mit der Espremenil vertraut ist, die im Hofstaat der Königin ein großes Wort führt. Einem unbesonnenen jungen Offizier sind die geheimen Sünden des Hofs bald zu entlocken und werden ebensoviele Waffen in unserer Hand. Wer weiß übrigens, ob nicht Dammartin gerade einst der Seïde wird, von dessen Notwendigkeit wir sprachen.«
Danton lächelte ungläubig und arglistig, indem er mit seinen starren Augen Mirabeaus Gesicht beinahe durchbohrte und beifügte: »Wer weiß vielmehr, wozu der Vicomte etwa zu brauchen wäre, wenn der Graf von Mirabeau Lust bekäme, sich mit dem Hofe zu versöhnen und Antoinettens Vermittlung bedürfte?«
Mirabeau maß überrascht den unverhohlenen Gegner, fühlte sich vielleicht durchschaut, erwiderte jedoch mit der ihm eigenen kalten Geistesgegenwart nur: »Sie sind ein Elefant, Danton. Wo Ihre Pfote hinschlägt, zermalmt sie allenfalls, aber Ihr Kopf muß listiger werden, wenn er mir imponieren soll. Merken Sie sich das und lassen Sie uns Abschied nehmen. Ich werde alsobald nach Versailles zurückkehren und zähle auf Ihren Beistand.«
Sie wendeten sich zur Versammlung zurück, und Viktor, der sich vergebens aus Espremenils und Camilles Gesellschaft hinweg und ins Freie gewünscht hatte, war zufrieden, als er Mirabeaus Absicht, abzureisen und somit die Gesellschaft aufzuheben, vernahm. Der junge Mann fühlte seine Brust belastet in einer Umgebung, deren zügellose Sprache ihm fremd war, und glaubte sogar seine Pflichten verletzt zu haben, indem er so lange geblieben. Sans-Regret hatte ihm zugeschworen, ihn nicht zu verlassen, bis ihnen vergönnt sein würde, aus dem Hause der Arroy zu gehen; der Invalide hatte sich hierauf mit dem Obersten Lameth abermals in eine Unterhaltung eingelassen, bis die Brüder von der Versammlung Abschied nahmen, um sich heimzubegeben. Camille führte den jungen St. Just, der gleich Desmoulins etwas von den Weinen der Tafel begeistert schien, zu Mirabeau und sagte zu demselben: »Ehe Sie scheiden, Held der Nationalversammlung, so erlauben Sie, daß dieser junge Mann, der aus seiner Provinz herbeigeeilt ist, um Sie als Redner und Retter des Vaterlandes zu bewundern, ein Gedicht, das er zu Ihrem Lobe gemacht hat, vortragen möge. Wir alle machen dann den Refrain.«
Mirabeau ließ sich wieder in seinen Sessel nieder. An seiner Seite saß noch immer Viktor und die Dame des Hauses, die bald an den Zügen Ihres Freundes, bald an denen des jungen Gardisten mit den Blicken hing; dem Grafen gegenüber stand St. Just, bereit, das Loblied anzuheben; Espremenil, Lechapelier, Danton und Camille reihten sich um den Tisch; am Ende desselben lehnte Marat, gefräßig über einen Teller voll Dessert gebeugt und das Burgunderglas in der Hand. Sans-Regrets hohe Figur bückte sich über den Stuhl seines jungen Freundes und seine Augen starrten, wie in sich selbst verloren, in die Kerzen, oder schweiften, wie Blitze, über die Tafel. St. Just sang, und jeder Vers zum Lobe Mirabeaus wurde mit Enthusiasmus beklatscht, jeder Refrain mit Begeisterung wiederholt. Da sagte plötzlich Sans-Regret, mit einer Stimme, die von innerer Angst bewegt zu sein schien, leise zu dem Vicomte: »Um Gottes willen, Dammartin, lassen Sie uns gehen. Der Teufel fängt an, sein Spiel zu haben, oder ich werde in der Tat verrückt.«
Viktor drehte sich lächelnd gegen den Invaliden, erschrak aber vor dessen langgezogenem, leichenblassem Gesicht. Die Dame des Hauses bemerkte soeben dasselbe, sprang mitleidig auf und rief, den Gesang unterbrechend:
»Was fehlt dem armen Mann? Ist Euch nicht wohl? Nehmt einen Stuhl!«
Viktor eilte, seinen Freund auf seinen Sessel niederzuziehen, und Sans-Regret saß in demselben eine Weile, die Hände vor das Gesicht gedrückt. Die Gäste erwarteten schweigend die Auflösung der sonderbaren Szene, die aber noch seltsamer wurde, als der Invalide, nachdem er langsam die Hände vom Gesicht weggezogen und die Augen aufgeschlagen, mit einem Schrei zusammenfuhr und wieder in die vorige Stellung verfiel.
»Was ist? Was habt Ihr?« riefen nun alle Anwesenden, und mehr als ein Blick wendete sich scheu nach hinten in die dunklen Ecken des Gemachs. Sans-Regret aber ächzte mit jammervollen Tönen: »O mein Dammartin, bringen Sie mich weg von hier! Warum sind wir hierhergekommen, um mit Leichen am Tische zu sitzen? Und mit welchen Leichen? Sind wir denn auf einem Blutgerüste, daß allen die Köpfe fehlen, uns und den Grafen ausgenommen? Deckt doch mit dem weißen Tischtuche die blutigen Hälse der übrigen zu! Werft doch das Ungeheuer in seine Grube, das dort am Ende der Tafel sitzt, seinen Kopf in der Hand hält und ihm aus seinem Glase Blut in den Schlund gießt!«
Er deutete auf Marat, der soeben einen Burgunderkelch hinunterstürzte. Erbleicht wie Sans-Regret stierten sich die Anwesenden an, und der lärmende Scherz verwandelte sich in eine grauenvolle Grabesstille, als der Invalide nach einigen Minuten wieder zu sich kam und beteuerte, er habe alle Gäste mit abgeschlagenen Köpfen am Tische sitzen gesehen, Mirabeau ausgenommen, der wie eine blasse Leiche in seinem Stuhle gesessen. Unheimliches Grauen durchschauerte die Herren samt und sonders: die Dame des Hauses fiel in Krämpfe, und unwirsch und unzufrieden trennte sich die Gesellschaft. Viktor begleitete seinen Freund nach dem Hotel der Invaliden; Camille ging schweigend neben ihnen her. »Schlafe wohl, armer Sans-Regret,« sagte Viktor mitleidig zu demselben, »verträume den schauerlichen Spuk, den dir wieder einmal dein armer Kopf vorgemacht hat. Gib mir bald Nachricht von dir und lebe wohl.«
Sans-Regret erwiderte, und seine Stimme verriet, daß er seine Seelenangst noch nicht überwunden hatte: »Wenn die furchtbare Gesellschaft nur nicht wiederkommt! Der Gouverneur läßt mich gewiß in die Disziplinstube sperren, weil ich den Zapfenstreich überhört habe; und dort ist es so einsam, und mein Kopf wird so viel Muße haben, in dem finsteren Nest seine Hirngespinste auszubrüten! Wenn ich nur nicht krank werde! Ich möchte so gerne gesund bleiben um Ihretwillen, Herr Vicomte. Es ist eine Zeit, wo man einen guten Arm nötiger braucht als einen guten Kopf. Sorgen Sie, daß man mich nicht nach Bicètre zu den Wahnsinnigen sperrt. Gute Nacht; beten Sie für mich, wenn es sich für einen Soldaten schickt, und – wenn Sie es vermeiden können, gehen Sie nicht mehr nach Versailles!«
Er riß sich los von Dammartin und lief schnell wie ein Vogel auf das Hotel der Invaliden zu. Camille und der Vicomte wendeten sich, noch immer verstört und schweigend wie Karthäuser, dem Seinefluß und seinen Brücken zu, um das Hotel de Provence zu erreichen.