Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.
Der Zug über die Loire

Es standen mehrere Hunderte von Gefangenen in dem Hofe des Arresthauses zu Chatillon beisammen, um sich an den Strahlen der herbstlichen Mittagssonne zu erwärmen. Alle Provinzen Frankreichs hatten ihr Kontingent hierher geliefert. Die Dialekte des Südens und des Nordens mischten sich hier brüderlich mit dem Patois des östlichen Lothringens, des Juradepartements und dem Deutschfranzösisch des Elsasses, mit dem Jargon der westlichen, navarresischen und baskischen Distrikte. Die Manieren und Kleidungen der Gefangenen boten ebenso eine Musterkarte dar. Der zierlichste Muskadin stand mit dem schmutzigsten Jakobiner im Gespräche, die Uniform neben dem seidenen Rock und der Zwillichjacke des gemeinen Mannes. Einige Gruppen waren mit Spielen beschäftigt; andere schlenderten auf und nieder; wieder andere hielten in einem einsamen Winkel eifrige und heimliche Gespräche; die Lustigen sangen patriotische Lieder, die Traurigen verhandelten bekümmert unter sich ihre Zweifel und Besorgnisse. Unter diesen letzteren machte sich ein alter Krieger, dessen weiße Haare Ehrfurcht geboten, besonders bemerklich. Er erzählte den jüngeren Leuten, die ihn lauschend umgaben, von dem ersten Emporglimmen der revolutionären Flamme, von den Hoffnungen, welche damals alle Herzen erfüllt, und von dem schnöden Lohne, der den sich aufopfernden Vaterlandsfreunden werde. »Man wird mir nimmer einreden können,« sprach er unwillig, »daß es eine Vorsehung gäbe und Einen, der alles leitet. Für eine heiligere Sache, als die der Freiheit, ist nie gekämpft worden, und doch – welchen Ausgang nimmt der Kampf? Seht, meine Freunde: wie ich hier sitze, habe ich bereits vor vierzig Jahren die Waffen getragen. Ich habe unter dem Marschall d'Estrées in Deutschland gefochten, mehr als einmal die Wache vordem Quartier des Prinzen Soubise bezogen, der ein tapferer Mann war, obschon ein schlechter General. Es ist nicht meine Schuld, daß ich nicht unter Rochambeaus Fahnen mit in die neue Welt zog und meine Zeit in einem Grenzort in den Pyrenäen zubringen mußte. Ein elender Kontrebandier schoß mir den linken Arm durch, daß er passabel steif wurde, und mein Kommandant brachte mich durch seine Fürsprache ins Invalidenhaus. Waren nun gleich Kopf und Beine alt geworden, so schlug mein Herz doch ewig jung, und mehr als die Erinnerung verjüngte mich der Sturm auf die Bastille. Ich war dabei; ich sollte auf das Volk schießen, aber nichts da! Meine Kameraden und ich streckten das Gewehr und begaben uns lieber in die Gefahr, von unseren gereizten Landsleuten umgebracht zu werden, als daß wir sie umgebracht hätten.«

»Bravo! Bravo! Ehre dem wackern Veteranen!« riefen Beifall klatschend die Umstehenden. Der Alte fuhr fort: »Es war schier um uns geschehen; aber der brave Hullin hat uns mit Gefahr seines eigenen Kopfes gerettet. Doch war es von nun an mir nicht mehr möglich, im Hotel ruhig zu verbleiben. Das Kommißbrot schmeckte mir nicht mehr; die Ruhe behagte mir nicht mehr, und so dacht' ich eines schönen Tages, daß mein linker Arm noch nicht zu steif sei, eine Muskete zu tragen und trat als Freiwilliger zu dem Bataillon unserer Sektion. Wir waren unserer zwei, die an einem Tage das Hotel verließen; ich und ein Teufelskerl von Marseille, den man mit seinem Feldnamen Sans-Regret rief. Das Schicksal hat mich an den Rhein, dann wieder unter das Kommando des alten Generals Dagobert und gegen die Spanier geführt, und leider Gottes endlich gegen diese Hunde von Vendéern, die uns totschießen lassen werden, ehe wir's uns versehen. Meinem guten Sans-Regret ist es besser ergangen als mir, und ich wollte, ich wäre an seiner Stelle.«

Es klopfte jemand dem Sprecher auf die Schulter, er sah sich um und erkannte staunend den jungen Offizier, den man vor einigen Wochen in das Gefängnis gebracht und bis auf den heutigen Tag allein eingesperrt gehalten hatte. Der Veteran stellte sich in Positur, die einem Militär gegen seinen Chef zukommt und fragte mit Besonnenheit: »Was steht zu Befehl, mein Offizier?«

»Ihr spracht von Sans-Regret, von dem Invaliden Sans-Regret?« sagte der Offizier dringend und lebhaft. »Wißt Ihr näheres von ihm? Es geht ihm gut? Ihr begreift nicht, daß Ihr mein Wohltäter geworden seid durch diese Worte. Ihr vernichtet damit einen Kummer, der schwer auf mir lastet.«

»Sehr angenehm, mein Offizier,« erwiderte der Alte lächelnd. »Wenn es nur dem armen Sans-Regret etwas nützte! Daß er besser daran ist als ich, das ist richtig. Er ist nicht kriegsgefangen, er muß nicht vor der Kaprice dieser Königlichen zittern, denen es von einem Augenblick zum andern einfallen kann, uns eine Kugel vor den Kopf zu jagen. Er leidet nicht mehr Hunger und Durst im Feld und im Kerker, er friert nicht wie wir in unseren zerrissenen Uniformen und im abscheulichen Herbstfrost. Aber dafür ist er auch tot, maustot, und noch obendrein gestorben für die heilige Freiheit.«

Der Offizier trat verdüstert einen Schritt zurück und wiederholte mit finsterem Unwillen: »Tot also, tot! Lieber Freund, ich hoffte andere Nachrichten zu erhalten. Ihr habt mir nichts Neues gesagt. Schon längst wußte ich um seinen Fall, beweinte in ihm den teuersten Freund und beklagte ihn, daß er in einem elenden Auflauf zugrunde gehen mußte, er, der schon den wichtigsten Gefechten entgangen war.«

»Den Teufel auch, mein Leutnant!« versetzte der Veteran und hob sich an seinem Stabe ein paar Zoll höher. »Es war nicht von einem elenden Auflauf die Rede, nicht von einem Gezänke wie zwischen den Fuhrleuten in der Straße St. Antoine und an den Bäckerläden der Straße St. Denis. Er fiel an jenem Tage, wo Capets Untergang vom Volke beschlossen wurde, ehe ihn noch der Konvent absetzte. Sans-Regret war mit unter den Patrioten, die, den heldenmütigen Danton an der Spitze, auf dem Marsfelde, auf dem Altar des Vaterlandes selbst die Akte unterzeichneten, welche der Tyrannei den Hals brechen mußte. Da kamen aber der Verräter Lafayette und die Bataillone der aristokratischen Sektionen von Paris herbei, und der niederträchtige Bailly unterstand sich, die rote Fahne zu entfalten, worauf die Aristokraten schossen und viele Bürger in ihrem Blute dahinstreckten. Ich saß gerade dazumal mit einem guten dummen Teufel von Schweizer in einer Schenke, unfern von der Kaserne von Courbevoie. Kommt ein Grenadier herein, ein Nationalgardist. Seine Stirne blutete und seine Bärenmütze hing ihm zerfetzt um den Kopf her, denn eine Kugel hatte sie zerrissen und die Stirne stark gestreift. Wir kannten uns und er erzählte fluchend, was sich auf dem Marsfelde begeben und daß Sans-Regret einer von den Toten sei. Ich erschrak heftig und mußte dem Menschen glauben, weil er der Sohn eines Türstehers im Hotel war und den wackern Sans-Regret gar wohl kannte. Ich lief, was ich konnte, dem traurigen Schlachtfeld zu und fand die Leiche meines Kameraden zwar nicht mehr, aber dafür eine Menge von dienstfertigen Leuten, welche die toten Körper teils verscharrten, teils in die Seine warfen. Ich fragte einen von den Burschen: ›He da, du langer Kerl! wo hast du meinen Korporal hingetan?‹ Der Mensch antwortete und lachte dabei wie ein Affe: ›Dort, mein Alter, dort wird er von den Fischen gefressen!‹ Er zeigte nach der Seite des Flusses. Ich, nicht faul, falle über ihn her und kriege ihn bei den Ohren. Was nun ferner geschah, will ich überspringen. Genug; ich fand mich am nächsten Morgen in der Wachtstube wieder und die Leute behaupteten, ich hätte einen kleinen Rausch gehabt und mich übel aufgeführt. Dem sei nun, wie ihm wolle, – mein armer Sans-Regret war hin und niemand von seinem Bataillon konnte mir sagen, wo sein zerschossener Leib hingekommen.«

Viktor, der Offizier, wendete sich traurig von dem Erzähler ab, verschränkte die Arme und ging nachsinnend im Hof auf und nieder. Die um den Invaliden versammelte Gruppe sah ihm neugierig nach und der Alte meinte, daß es doch auffallend sei, einen republikanischen Offizier an diesem Orte zu finden. »Die Royalisten haben nicht viel von diesem Wildpret eingefangen,« sagte er; »ein braver Sansculottenoffizier erschießt oder ersticht sich lieber, eh' er in die Hände der Tyrannen fällt. Mit uns Gemeinen nimmt man's schon nicht so genau. Und am Ende kommt's auch auf eines heraus. Ob man auf dem Schlachtfelde oder vor dem Sandhaufen für die Republik sein Leben läßt, das ist gleichviel. Meine Wonne ist nur, daß die seidenen Herren dort mit uns daran glauben müssen, weil man sie für versteckte Republikaner hält. So muß den Schuften von Schuften der Lohn werden. Ich für meinen Teil gehe gern zur Exekution, wenn die Burschen dabei sind. In großer Gesellschaft trägt sich jedes Übel leicht, und wir fallen doch ehrlicher als der Verräter von Custine, dem die heilige Guillotine zu Paris das Fazit zog.«

Da fingen die Glocken von Chatillon an, langsam und dumpf zusammenzuschlagen, und mitten durch ihre dröhnenden Schwingungen, denen alle Gefangenen lauschten, vernahm man das hohle Wirbeln der Lärmtrommeln vom Marktplatz. Die Unterredungen waren abgebrochen, die Spiele verlassen; die patriotischen Lieder schwiegen plötzlich und die Blässe ängstlicher Ahnung überzog alle Gesichter, das des Veteranen nicht ausgenommen, obschon er noch vor einem Augenblick den Tod mutig in die Schranken gefordert. »Das ist das Signal; gebt acht, man führt uns zum Erschießen!« flüsterte es durch die unbeweglichen Reihen, und die schauerliche Vorahnung schien sich zu bestätigen, indem sich die Tore öffneten, ein starker Trupp von Bewaffneten durch dieselben quoll und mehrere Geistliche in ihrem Ornat aus der Mitte der Soldaten traten.

Einer der Priester, ausgezeichnet durch Figur und Würde des Angesichts, ging mit schnellen Schritten auf die Gefangenen zu, von denen ein großer Teil auf die Knie fiel, selbst nicht wissend, ob hier noch Gnade zu erstehen oder die letzte Absolution zu empfangen sei. Ehemalige Handlungsdiener, Schreiber und Studenten, welche noch nicht die im väterlichen Hause gebräuchlichen Andachtsübungen vergessen hatten, stotterten Gebete und Bußpsalmen; die Verdächtigen in den seidenen Röcken umarmten sich weinend und klagend; die Sansculotten jedoch riefen mit rauhen Stimmen dem auf sie zueilenden Priester zu: »Weg mit der Kalotte! Müssen wir sterben, so geschieht es für die Freiheit! Die Kugel ist die eigentliche letzte Ölung des Soldaten!«

»Fürchtet euch nicht, meine Söhne!« erwiderte der Priester mit ruhiger, gelassener Stimme; »wir kommen nicht, euch zum Tod abzuholen. Der oberste Kriegsrat hatte euch im Namen des Königs dazu verdammt, aber im Namen Gottes und der Menschlichkeit haben wir für euch gebeten und die edelsten Frauen dieser Stadt ihre Fürbitte mit der unsrigen vereint. Verdient jedoch die Wohltat, die euch der barmherzige Gott erwiesen, ob ihr gleich verirrte Schafe seid, die seinen Segen verschmähen. Folget ruhig und ohne Widersetzlichkeit diesen Männern, die euch weiter zu führen haben. Bedenkt, daß jeder Widerstand den schnellsten Tod zur Folge haben würde und daß jeder einzelne für das Leben aller zu bürgen hat.«

Die Gefangenen sahen den Redner verwundert an. Hatten jedoch seine ersten Worte die aufstrebende Todesangst der Armen niedergekämpft, so stieg jetzt ein neuer Verdacht in ihren Herzen empor. »Wir sind unglücklich, verloren und dahin, wenn wir den gleißnerischen Worten des Pfaffen folgen!« riefen viele Stimmen in dem Haufen der Gefangenen. »Denkt an die Guichets der Conciergerie und der Abtei! Sobald wir den Hof verlassen, metzeln uns die Königlichen nieder!«

Und bei diesen Worten erblaßte unter den Gefangenen mancher wilde Septembermörder, beschlichen von der bangen Furcht vor Vergeltung.

Viktor trat mutig aus den Reihen. Er warf einen bedauernden Blick auf die Zagenden, sah mit festem Auge in des Priesters Gesicht, faßte dessen Hand und sprach: »Sie werden uns nicht täuschen, mein Herr. Meine Gefährten fürchten sich vor Hinterlist. Sind unsere Meinungen gleich verschieden, so baue ich doch in aller Namen auf die Ehre der königlichen Armee. Lassen Sie uns aufbrechen und mein Beispiel wird Früchte tragen, wohin uns auch das Schicksal zu gehen befiehlt!«

Seine Erwartung täuschte ihn nicht. Die gefangenen Soldaten, die einen ihrer Offiziere voranschreiten sahen, folgten ihm mechanisch und unwillkürlich; ebenso trat der übrige Troß in die Fußstapfen der Vorgänger. Von fünf zu fünf Rotten gingen zwei bewaffnete Royalisten mit gespanntem Hahn, die Augen sorgsam nach den Gefangenen gewendet. Vor der Tür des Hofes gähnten mehrere Kanonenschlünde den Transport an. Die Bestürzung in demselben erneute sich, aber die Gefaßteren darunter erkannten zugleich mit Verwunderung, daß die Verwirrung um sie her noch größer war. Platz und Straßen von Chatillon waren bedeckt von marschierenden bewaffneten Korps, von eilenden Volksgruppen. Geschütz rasselte über das Pflaster, der Wagen unzählige Menge versperrte die Kreuzstraßen. Aber nicht zum Siege eilten die Soldaten und kamen nicht vom Siege. Das Volk strömte ihnen nicht freudig entgegen, sondern alles folgte dem schleunigen Rückzug. Häuser wurden geschlossen, Fuhrwerke bepackt; auf flüchtigen Pferden stürmten die Mitglieder des obersten Kriegsrats zum Tor hinaus und ihrem Beispiel folgten die wohlhabenden Familien der Stadt im bunten Gemisch der Stände, des Alters und der Equipagen. Karren, mit Akten und anderen Papieren bepackt, zogen schwerfällig dahin und hemmten den Lauf der emsig fortströmenden Menge. Daneben wurden auf Tragbahren die Heiligtümer der Kirche weggeschafft, untereinander geworfen wie altes Gerümpel, und um sie her ächzte der Troß der Kirchendiener. Betrunkene Bauern, die nur durch das Kreuz am Arm oder auf der Mütze ihren Zusammenhang mit der königlichen Armee verrieten, taumelten aus den verlassenen Kellern der Stadt auf und brüllten: »Die Hunde der Republik werden bald hier sein! Aber ihnen zum Trotz lebe der König hoch!«

Mütter schrien nach verlaufenen Kindern, fliehende Bäuerinnen nach der auseinander springenden Herde; die königlichen Offiziere vermochten kaum, mit der heiseren Stimme ihre Soldaten bei der Pflicht zu erhalten, und über all' dieses Toben und Lärmen hinaus wimmerten die Glocken, dröhnten die Trommeln, und wenn diese einen Augenblick schwiegen, vernahm man aus der Ferne deutlich den Knall der Kanonen.

Ein Blick in diese Verwirrung gab den gefangenen Republikanern neue Spannkraft unter den Bajonetten ihrer Wächter. Es war klar: ihre Brüder hatten gesiegt, geschlagen waren die Vendéer und der Sitz der königlichen Regierung sollte den Siegern preisgegeben werden. Die ungebändigten Söhne der Republik stimmten die wilde Carmagnole an, um selbst in Fesseln die Feinde zu höhnen. Die Eskorte versuchte zwar, der Begeisterung mit Kolbenstößen Einhalt zu tun, aber der Zwang reichte nicht aus in dem allgemeinen Tumult, der vor den Toren der Stadt noch ärger wurde denn zuvor. Es war, als ob das ganze Land auf der Flucht begriffen wäre. Hinter jedem Gestrüpp, aus allen Niederungen hervor quollen laufende Menschenhaufen. Von allen Seiten schleppten sich lange Züge von Fuhrwerken fort. Ringsum war das Land mit Leuten von jedem Alter und Geschlecht bedeckt, die ihre in der Ferne brennenden Dörfer oder die einzeln stehenden Häuser verlassen hatten, um sich und ihre Habe in Sicherheit zu bringen. Der allgemeine Andrang des Volks richtete sich gegen Chollet und Mortagne zu. Wo die Gefangenen durchzogen, wurden sie von Verwünschungen aller Art begrüßt. Die vorüberjagenden Bauern hieben auf sie los mit ihren Peitschen, die Weiber ergossen über sie die ärgsten Schimpfreden, die Kinder warfen sie mit Steinen und Kot. Nur eine einzige Bewegung der Widersetzlichkeit wäre hinreichend gewesen, alle Republikaner ums Leben zu bringen; sie duldeten gelassen und riefen sich ermunternd zu: »Seid ruhig, laßt die Dummköpfe gewähren. In diesem Augenblick rächen unsere Brüder unsere Schmach, und der Konvent, der geschworen hat, die ganze Vendée zu Pulver zu zerreiben, wird fürchterlich Wort halten!«

Der Enthusiasmus verminderte sich zwar, als plötzlich mehrere Kolonnen von Gefangenen zu ihnen stießen, aber die Neugierde und die Teilnahme traten in ihr Recht. »Woher, Kameraden? Was neues, Bürger? Willkommen, Unglücksgefährten!« schallte es von allen Seiten und hundertfältig kam die Antwort zurück: »Mut, Mut, ihr Freunde! Nieder mit den Tyrannen! Chalbos hat bei La Chataigneraye geschlagen und gesiegt. Westermann marschiert in diesem Augenblick auf Chatillon. Hatten wir gleich das Unglück, in die Hände der Feinde zu fallen, bevor der Kampf entschieden, so wissen wir doch nun gewiß, daß es mit dem Reich der Despoten aus ist!«

Freudetrunken umarmten sich die Republikaner und riefen sich ein herzlich Lebewohl zu, als sie der Ungestüm der Vendéer trennte. Sie hörten nicht mehr die Schimpfreden des Volks, sondern nur den revolutionären Trompetenmarsch, der in der Ferne erklang und das Anrücken des Westermannschen Vortrabs verkündigte.

Viktor wollte verzweifeln, da er wieder die wohlbekannten Töne hörte und doch gezwungen war, in einer andern Richtung fortzugehen und die Freunde zu fliehen, mit denen er sich so gerne vereinigt hätte. Stumm und in sich verschlossen marschierte er an der Spitze seiner Gefangenenkolonne, als plötzlich das Pferd eines vorübersprengenden Reiters dicht neben ihm niederstürzte und er mit Erstaunen den Herrn von Chabran in dem verunglückten Reiter erkannte. Der Marquis machte sich schnell wieder auf, reichte mit weinerlichem Lächeln dem wohlbekannten Viktor die Hand und bat ihn, daß er ihm erlaube, sich eine Weile lang auf ihn zu stützen.

»Mein Rappe hat den Lohn für seinen Koller dahin,« sagte er ferner. »Glauben Sie mir nebenbei, Vicomte, daß mein Arm, dessen Wunde noch nicht geheilt ist, fürchterlich schmerzt. Ich bin Tag und Nacht geritten; ich war bei dem Lescureschen Korps, als es von den Sansculotten geschlagen wurde. Verfluchtes Ding um die Subordination! Wäre ich an des Generals Platz gewesen, ich hätte Chatillon besser gedeckt. Da war aber nicht zu helfen. Es war, als ob man das ›Reißaus!‹ als Parole gegeben hätte. Stellen Sie sich jedoch mein Unglück vor, Vicomte. Gabriele war mein erster Gedanke. Ich wußte sie zu Chatillon. War es nicht meine Pflicht, ihren Rückzug zu decken, ihr Schutz und Hilfe zu verleihen? Nun raten Sie, wie sich alles machte. Ich komme an, renne nach ihrem Hause; es ist verschlossen und öde. Ich laufe zu dem Prinzen von Talmont; er hat sich bereits davongemacht. Ich sprenge mit verhängtem Zügel nach dem Schlosse der Marquise; sie hat den Weg nach Beaupréau eingeschlagen. Durfte ich einem andern Zuge folgen, als dem der Liebe? Da sprengt sich mein Hektor die Lunge entzwei oder irgend ein anderes Eingeweide, und ich muß hinken wie der alte, häßliche Vulkan. Haben Sie meine Gabriele nicht gesehen, bester Vicomte?«

Viktor erwiderte trocken: »Ich muß Sie bitten, mich mit dem Titel zu verschonen, den ich für immer ablegte, um den Gesetzen meines Vaterlandes zu gehorchen. Ich müßte ihn nur als einen Spott hinnehmen, und Spott ertrage ich selbst in Ketten nicht.«

Chabran sah ihn verwundert an, schüttelte den Kopf und entgegnete: »Sie werden sich noch sehr unglücklich machen; der Adel ist eingesetzt von Gott und Frankreichs Schutzpatrone sind die Nächsten am Throne des Herrn. Glauben Sie mir, die Zeit muß doch wiederkommen, wo der Konvent gestürzt und das Ordenskapitel des heiligen Michael wieder aufgerichtet sein wird. Wenn nun alle diejenigen herangerufen sind, die sich um das Königshaus verdient gemacht, und der berühmte Name Dammartin darunter nicht genannt würde, welche Vorwürfe müssen Sie sich alsdann machen!«

Viktor drehte ihm schweigend den Rücken zu. Chabran ließ sich nicht irremachen. »Sagen Sie mir,« fuhr er fort, »ob die Tugend in einer andern als in der vornehmen Sphäre einheimisch werden kann. Der Kavalier hat von der langen Reihe seiner Ahnen das Erbe alles Schönen empfangen. Die Erziehung vollendet, was das reine, unvermischte Blut begründet. Ehre und Freundschaft, Treue und Herablassung, Frömmigkeit und Barmherzigkeit sind das Eigentum eines edlen Geschlechts.«

Viktor drehte sich rasch wieder zu dem Sprecher und fragte: »Sagen Sie mir geschwinde, wo Ihr treuer Blaise geblieben?«

Chabran stutzte, stotterte und mußte endlich bekennen, daß er ihn in der Feinde Gewalt zurückgelassen.

Viktor sagte nun mit bitterem Vorwurf zu ihm: »Und Sie konnten die treue Seele vergessen, die sich ganz für Sie aufgeopfert hätte? Gehört eine solche Handlung in das Tugendregister Ihres Geschlechts?«

Chabran biß sich beschämt in die Lippen und murmelte zwischen den Zähnen mehrere Gemeinplätze von Tapferkeit, die nichts berücksichtige, und von blinder Kampfbegier, die in der Schlacht gar wohl eines Untergeordneten vergessen könne.

Da wurde plötzlich das Gedränge auf der Heerstraße und den Seitenwegen heftiger als zuvor: die ganze Flucht nahm eine schnellere Bewegung an und viele Stimmen riefen durcheinander: »Vorwärts, vorwärts! Rette sich, wer kann! Westermann ist schon in Chatillon eingebrochen! Seine Reiter sitzen uns auf den Fersen und die Königsmörder geben keinen Pardon!«

Durch die Dämmerung, welche sich bereits einstellte, sah Viktor, wie der heldenmütige Chabran totenbleich wurde. Der Marquis riß sich von ihm los, warf einen vorüberreitenden Bauern vom Pferde, schwang sich in dessen Sattel und klepperte frischweg voran, um der Gefahr zu entgehen.

Der niedergeworfene Bauer hob sich langsam empor, rieb schmerzhaft den Schenkel und schimpfte dem Kavalier derb nach: »Der ist auch höflicher gewesen, als er meiner gnädigen Frau den Hof machte und an ihrem Tisch speiste, der arme Landjunker! Damals sagte er mir immer freundlich: ›Bist ein braver Junge, Pierrot, und niemand wichst meine Stiefel besser als du.‹ Heute jedoch machen ihn die Sansculotten so grob. Hätt' er mir nur zu einer andern Zeit den Gaul genommen als gerade jetzt, wo ich für die Frau Marquise Kurier reiten soll.«

Die Kolonne der Gefangenen machte just Halt, weil eine Brücke eingebrochen war, die über einen Graben führte und wieder in Hast ausgebessert werden mußte.

Viktor benützte den Augenblick, um den schimpfenden und jammernden Pierrot zu fragen, wo sich die Marquise befinde. Adelens Bild war vor ihn getreten; er ahnte, daß ihr Schicksal mit dem ihrer Kusine eins seien müsse und beklagte ihr Los.

Pierrot deutete, ohne dem verhaßten Republikaner zu antworten, zurück. Einige Fackeln näherten sich; das Schnauben von Pferden wurde hörbar und die unzählige Menge der fliehenden Bauern, noch demütig im Unglück, machte einem Reisewagen Platz, der schnell daherfuhr, um an der zerbrochenen Brücke zu warten, wie alle übrigen. Weibliche Stimmen ließen sich aus der Chaise vernehmen. Mit einer Überraschung, die gleichviel Wehmut wie Freude mit sich führte, erkannte Viktor die Stimme des Mädchens, dessen er soeben gedacht.

Adele tröstete ihre jammernde Muhme. »Vertrauen Sie doch auf die Vorsehung,« sagte sie; »Sie taten sich ja sonst so viel zugut auf den besonderen Schutz des Himmels, der sich Ihnen geoffenbart. Hier ist die Zeit gekommen, die Frömmigkeit zu üben. Wenn der Himmel die Sache segnet, wofür Sie leiden, so läßt er Sie auch nicht untergehen.«

Hierauf ergoß sich die Marquise in Klagen über die Ungerechtigkeit der höheren Mächte und in Verwünschungen der Hindernisse, die sich einer schnellen Flucht in den Weg stellten.

Eine Männerstimme sprach dazwischen; die des Chevalier Bourdon, der, im Gefecht am Arm verwundet und von Gabriele in ihren Wagen aufgenommen worden war. Er schalt laut und heftig gegen die republikanischen Generale und heftiger noch gegen die Führer der königlichen Armee.

»Der unselige Charette ist unseres Unglücks Grund!« rief er. »Dieser Mensch, der englische Hilfe zu verschmähen schien, hat sich, wie wir hören, mit den Engländern eingelassen. Hätte er damals mit uns vereint den Feind verfolgt, wir wären nicht hier. Der Teufel hole ihn von Noirmoutiers, wo er sich, getrennt von der guten Sache, verschanzte wie ein Räuberchef.«

»Was steht die Kutsche hier im Weg?« schrie eine Bande von trunkenen Bauern, die seitwärts über die Felder dahergejagt kamen, wie vom Sturm getrieben. »Dort« – sie wiesen nach einem in der Ferne flammenden Dorfe – »dort sind die Republikaner eingefallen, dort brennt man unsere Häuser nieder und mordet unsere Kinder! Was sollen wir zu Fuß gehen, um das nackte Leben fortzubringen, während die Adeligen, die unser Elend verschuldet haben, in bequemen Wagen fahren!«

Mit diesen Worten machten sich die Wütenden daran, die Räder der Kutsche zu zerschlagen.

Mit einem Schrei des Entsetzens flüchteten sich die Frauenzimmer aus dem bedrohten Fuhrwerke. Bourdon, so verwundet er auch war, sprang mit gewohnter Lebhaftigkeit auf die Straße und warf sich den Trunkenen in den Weg, um die Damen vor Beleidigungen zu schützen.

Mitten unter diesem Toben und Schreien standen die Gefangenen wie eine Mauer zwischen den Waffen ihrer Führer und verengten beträchtlich die Straße.

Da schrie auf einmal eine Stimme vom Graben her: »Der Steg ist hergestellt! Wer herüber will, komme und lasse die Bagage zurück!«

Im Nu schob sich die dichte Masse vorwärts, Vendéer und Republikaner untereinander. Jeder wollte der erste jenseits der Brücke sein. Der schwache Steg brach jedoch unter der Last der vordersten wieder ein. Viktor, der in diesem Augenblick am Rand der Tiefe stand, vermochte nicht mehr, sich gegen den Drang zu halten; er glitt an der Böschung hernieder und fing in seinen Armen die Marquise und Adele auf, die denselben gefährlichen Sprung hatten machen müssen. Halb ohnmächtig sank Gabriele in dem niedrigen Wasser zusammen. Mit besonnener Kraft hob sie Viktor auf und trug sie auf seinem rechten Arm zum entgegengesetzten Ufer, das leicht zu erklimmen war; mit dem linken Arm hielt er die kräftig vorschreitende Adele umschlungen.

Noch wußten die beiden Damen nicht, wem sie die Hilfe in solcher Not schuldeten und ihr Dank war grenzenlos. Als nun aber die Fackelträger durch das Flüßchen wateten und es Licht wurde am Ufer, schlug Gabriele bestürzt die Hände vor das Gesicht, denn sie erkannte den abtrünnigen Vicomte.

Adele jauchzte dagegen laut auf und rief: »Ich danke den Heiligen, daß ich Sie wiedersehe, mein Herr! Hatte man uns doch schon Angst gemacht, indem man uns meldete, daß alle Gefangenen zu Chatillon niedergemacht worden seien! Sie können es glauben, ich habe um Sie geweint, so herzlich, wie ich mich jetzt Ihres Lebens freue!«

Gabriele ergriff unwillig die Hand der Kusine, sah die Freudige mit strafendem Blick an und sagte zu Viktor: »Der Dienst, den uns zu erweisen der Zufall Sie begünstigte, soll Ihnen nicht unvergolten bleiben. Wenn ich durch meine Fürsprache bei dem Kriegsrat Ihre Lage mildern kann, so sagen Sie es. Du jedoch, Adele, magst den unanständigen Ausbruch deiner Gefühle hemmen und dich erinnern, daß du deinem Geschlecht und deiner Familie Rücksichten schuldig bist.«

Viktor versetzte mit scharfer Betonung: »Ich habe von Ihnen, Madame, nichts zu erbitten, nichts zu begehren, was meine Person beträfe. Da Sie den Zufall Ihren Retter nannten, so danken Sie auch nur dem Zufall. Mein Platz ist bei meinen Kameraden, ihr Brot das meinige und ihr Geschick nicht minder. Was ich jedoch im Namen der Menschheit von Ihnen verlange, ist, daß Sie Ihrer Kusine kein Verbrechen aus dem Mitleid machen, das sie für einen Unglücklichen fühlt. Trage ich gleich die dreifarbige Kokarde, so habe ich doch Ihnen gegenüber immer noch so viel Stolz, zu glauben, daß sich Mademoiselle Adele nicht entehrt, wenn sie mir die Teilnahme gesteht, die sie für mich empfindet.«

»Vortrefflich!« spottete die Marquise; »das war noch ein Anklang aus der Zeit, wo Sie es nicht für unanständig hielten, ein Kavalier zu sein und den Namen Ihres würdigen Hauses zu tragen; aus der Zeit, wo es Ihnen gelingen konnte, in einer Gräfin Espremenil eine Gönnerin zu finden, in dem Herzen einer Sombreuil Interesse zu erregen.«

Der Pfeil hatte nicht übel getroffen. Adele schwieg wie erschrocken und Viktor nicht minder, nachdem er mit Befremden und mit ausbrechendem Schmerz den Namen Sombreuil wiederholt.

»Und wie ritterlich haben Sie Ihre Liebe zu Emilien bewährt!« fuhr die Marquise spottend und schonungslos fort. »Ihre Schwüre gegen das königliche Haus, Ihre Treue gegen den Gebieter, Ihre Ehre warfen Sie weg, um der Liebe ganz zu gehören. Wie undankbar zeigte sich Emilie gegen Sie! Das törichte Mädchen verschmähte, seinen Vorurteilen gehorchend, die Bewerbungen eines Mannes, der sich heldenmütig zum Untergang seines Vaterlandes bewaffnete! Unverzeihlich war dieses Betragen und hätte jeden andern vernichtet; Sie jedoch, mein Herr, zogen es vor, zu leben, in das rebellische Heer zu treten und die undankbare Geliebte allen Greueln zu überlassen, die Sie und Ihresgleichen verschuldeten. Warum mußte mein Geschick mich von Paris entfernen? Warum durfte ich nicht ein begeisterter Zeuge jener würdigen Septembertage sein, wo man wehrlose Gefangene schlachtete, wo gegen den edlen Sombreuil bereits das blutige Beil gezückt wurde, wo nur der Heldenmut seiner Tochter den dem Tod Verfallenen rettete! Wie muß Ihr Herz geklopft haben, da Sie durch Zeitungen oder mündliche Berichte diesen Zug kindlicher Liebe erfuhren? Welch' eine Gattin müßte nicht diese Tochter sein? – Aber« – setzte die Marquise ernst und scharf hinzu – »für den Verräter blüht kein Glück und wer an dem weißen Panier frevelte, hat die Hölle verdient.«

Die Marquise wies mit Heftigkeit Adele von dem Platz weg, den Vicomte unter den Händen seiner Wächter zurücklassend, die ihn fluchend und schreiend zu seiner Kolonne zurückschleppten.

»Versuch' es noch einmal, zu entwischen, und meine Kugel fegt dir das Gehirn aus dem Schädel!« rief ihm ein königlicher Soldat donnernd in das Ohr.

»Gib Feuer, Kamerad,« erwiderte Viktor mit stumpfer Gleichgültigkeit. »Ich hänge nicht an diesem elenden Dasein. Weil es dich jedoch ärgert, will ich mich sicherlich nicht mehr von meinen Gefährten entfernen.«

So tat er auch. Düster, in sich selbst versunken, den schmerzlichsten Erinnerungen nachhängend, folgte er mechanisch seinen Mitgefangenen, sah mit trockenem Auge das Elend dieses ungeheuren Rückzugs, hörte mit gleichgültigem Ohr die allgemach sich verbreitenden Gerüchte von den Siegen der näherrückenden Republikaner. Willenlos räumte er im Gefolge der Vendéer das Städtchen Mortagne, verließ er bald hierauf Chollet, um sich nach den Hügeln bringen zu lassen, die, von Gehölz bewachsen, die Felder von Chollet begrenzten.

Auf diesen Gefilden richtete sich indessen alles zur Schlacht. Kleber, Beaupuy, Chalbos und Westermann breiteten sich mit ihren Truppen darauf aus. Ihnen gegenüber stand die weit überlegene Heeresmacht der Vendéer. Die Mittagssonne schien erwärmend auf die grünlichen Fluten des Moineflüßchens, das Abendrot sollte sich in blutigen Wellen spiegeln. Um ein Uhr mittags begann der harte Kampf.

Viktor und seine Leidensgefährten waren am Saum eines Bergwaldes gelagert und sahen hinab in die Ebene auf abgemähte Felder, wo der Tod bald noch eine Ernte haben sollte, auf Chollets Schloß, aus dessen Fenstern die Trikolore wehte, auf das Städtchen, wo die Republikaner, obgleich schon zur Schlacht gehend, einen neuen Freiheitsbaum pflanzten, und auf die düsteren Menschenmassen mit blinkenden Gewehren, wehenden Fahnen, Federn und Schärpen, die sich langsam, Franzosen gegen Franzosen, näherten, um sich zu vernichten.

Endlich zuckten die ersten Blitze aus den ehernen Schlünden über das Blachfeld hin. Der Donner der Schlacht begann zu grollen und eisern umarmten sich die Kämpfer.

Der wütende Schlachtruf: »Es lebe der König!« überschrie die Carmagnole der Feinde und, von allen Seiten zusammenstürmend, wie eine sich zusammenringelnde Schlange, fielen die Royalisten in die Bataillone ihrer Gegner, faßten sie mit der an ihnen gefürchteten Wildheit und warfen sie zurück bis an die Ufer der Moine.

Unfern von Viktor hielten die Mitglieder des Vendée'schen Kriegsrats auf ihren Pferden. Ängstlich hatten sie den Kampf beschlossen, zu dem nur der mutige Bonchamp sie bestimmt hatte; übermütig, wie gewöhnlich, wurden sie, als der Streit ihnen günstig zu werden schien. Boten über Boten flogen heran, gesendet von den Führern der Schlacht.

»Wir siegen im Zentrum,« schrie der eine.

»Der General Beaupuy ist gefallen,« berichtete der andere.

»Haxo ist in voller Flucht!« meldete ein dritter.

»Laßt nicht nach! Vertilgt die Königsmörder!« hieß die Antwort des Prinzen von Talmont.

Und mit neuer Wut fiel die Reserve der Vendéer wie ein Gewitter durch die mit Rauch und Dampf gefüllte Ebene dringend, die Division des Chalbos an, die aus Chollet hervorrückte, um den Patrioten Hilfe zu bringen.

Die viertausend Mann, ein Korps der schlecht disziplinierten Armee von la Rochelle, liefen auseinander, wie sie die Feinde gewahrten. Der Augenblick war entscheidend, aber Kleber war der Lenker der Schlacht und Marceau, sein treuer Freund, betrat mit den Seinigen das Feld.

»Steht! kehrt zurück, ihr Schurken!« schrieen die beiden Generale den Flüchtigen wie Stimmen des jüngsten Gerichts in das Ohr; »eine schimpfliche Desertion nützt euch nicht; wer hier dem ehrlichen Soldatentod davonläuft, fällt hinter der Armee unter der Guillotine!«

Die Feldflüchtigen stutzten, aber größer wurde ihr Schrecken, als Marceau's Kolonnen sich öffneten und eine Reihe von Geschützen daraus hervorfuhr, die gähnenden Schlünde gegen Feind und Freund wendend, und als der tapfere Repräsentant Merlin, die brennende Lunte in der Hand, beteuerte, daß er nicht zögern werde, niederzuschießen, wer fortan seine Fahne verließe.

Die Republikaner sammelten sich aufs neue; das Beispiel der Division Vimeux, die noch immer standhaft in ihrer Position aushielt, erweckte wieder ihren Mut. Zu gleicher Zeit kam Beaupuy, dem drei Pferde unter dem Leibe erschossen worden waren und dessen Tod man ausgesprengt hatte, abermals zum Vorschein. Er trieb die Soldaten des Chalbos wie eine Avantgarde vorwärts in den Feind und Marceau's Kartätschenfeuer schmetterte mit jeder Salve Hunderte von Vedéern nieder.

Diese unglücklichen Leute, gegen welche die treulose Bellona so unvermutet feindlich das grinsende Antlitz kehrte, widerstanden kräftig. Zu wiederholten Malen schlossen sie wieder die Reihen und füllten die Breschen, welche die Kugeln der Gegner anrichteten. Endlich mußten sie dem Unglück unterliegen und in einem Nu war der schaudervolle Tag entschieden.

Alle Anführer der Königlichen waren, bereits in früheren Gefechten verwundet, ins Treffen gegangen. Nun ereilte der Tod unverhofft zwei der wichtigsten. D'Elbée stürzte tödlich verwundet vom Pferd und wurde aus der Schlacht gebracht. Der edle Bonchamp teilte mit dem Generalissimus dasselbe unglückliche Los. Er wurde von seinen treuen Soldaten auf die Straße von St. Florent getragen, wohin in wilder Unordnung die achtzigtausend Vendéer, so Männer als Weiber, die von der Schlacht zu Chollet entkamen, nachdrängten. Jede Stellung wurde verlassen, die allenfalls noch einigen Vorteil gewährt hätte.

Die Patrioten rückten in Beaupréau ein, ohne einen Schuß zu tun, und während sie behutsam ihre Vorposten gegen die Loire vorschoben, starb der Verteidiger der Vendée, Bonchamp, an seinen Wunden.

So wie sein Leben für die Sache der Königlichen eine schätzbare Stütze gewesen war, so schien auch noch sein Tod die Unglücklichen retten zu sollen. Er war der einzige von den Führern gewesen, der einen unglücklichen Ausgang des Treffens für möglich gehalten und daher ein Korps von viertausend Mann nach Varades beordert hatte, um den Rückzug über die Loire nach der Bretagne zu decken.

»Seinen Manen soll ein furchtbar herrliches Totenopfer gebracht werden!« schrie der Ritter d'Autichamp, seiner Wildheit den Zügel lassend. »Der blasphemierende Konvent hat beschlossen, daß die Vendée nicht mehr sei! So wollen auch wir ausrotten, was von dem rebellischen Geschlecht in unsere Hände fiel. Dort stehen fünftausend Gefangene und höhnen unser Unglück durch ihre triumphierenden Mienen. Schießt sie nieder, getreue Diener des Königs, als eine würdige Hekatombe für unsern sterbenden Freund, und auf dem Donner eurer rächenden Waffen entschwebe seine Seele zum Paradies.«

Wie ein elektrischer Schlag wirkte diese Rede auf die im Tiefsten erregten Gemüter der Menge. Wie von einem wütenden Taumel befallen lief alles zu den Waffen, luden alle ihre Büchsen; tausend Flinten waren in weitem Halbmond auf die verurteilten Republikaner angeschlagen, und diese erwarteten, während die Männer der Vendée ihnen fluchten und die gefühlvolleren Weiber sie bemitleideten, mit ruhiger Haltung den sichern Tod.

Da entdecken die bebenden Lippen der Gattin dem sterbenden Bonchamp, was sich in seiner Nähe begibt, und der Unwille, der gerechte Zorn fachte noch einmal die Lebensflamme des Helden an. Er strebt auf seinem Lager empor und winkt mit zitternder Hand diejenigen herbei, die er bis jetzt seine Freunde, seine Brüder genannt.

»Was habt ihr vor?« fragte er, mit dem bittersten Vorwurf in den bleichen, entstellten Zügen, »soll eine fluchwürdige Tat mein redliches Leben beschließen? Wenn ihr mich jemals geliebt, wenn ihr jemals treue Diener eures Königs gewesen, o, so erinnert euch des Beispiels, das ich immer gegeben, des Testaments, welches der Märtyrer Ludwig hinterließ! Vergebet und euch wird vergeben werden! Ich dank' euch nicht für all' den Ruhm, den ihr freigebig meinem Namen spendet, wollet ihr dabei beharren, mein Grab mit dem Blut dieser Tausende zu beflecken! Laßt ihnen das Leben; tut mehr: sendet sie zurück zu den Ihrigen, die unnütze, beschwerliche Last. Zeigt euren Feinden, wie die Ritter des Königs, wie katholische Kriegsleute handeln! Versprecht es in meine erstarrte Hand, damit ich euch jenseits wieder fröhlich begrüßen kann, wenn ihr, verblutet für die gute Sache, hinaufschwebt zu den Himmeln!«

Eine Stille wie die des Grabes hatte ringsum bei diesen Worten geherrscht. Nur in der weitesten Ferne knallten von Zeit zu Zeit dumpfe Kanonenschüsse, denjenigen gleich, die bei dem Leichenzug eines berühmten Kriegers von Minute zu Minute abgefeuert werden. Bleich und weinend umringten die Hauptleute das Lager des Sterbenden und die Tränen ihrer Augen, vermischt mit dem Blut ihrer Wunden, rannen traurig hernieder auf die roten Feldbinden.

Einen Augenblick lang schien die Antwort der Führer unschlüssig. Die Rache war ja so leicht, so süß. Ein Blick von Larochejaquelin, eine flehende Gebärde von der Gattin des sterbenden Helden und ein letztes, dringendes »Nun?« aus dessen blassem Munde gaben den Ausschlag.

Die Führer nickten mit dem Haupt und alle legten ihre Hand in die des scheidenden Freundes und ringsum flatterten weiße Tücher in die Luft, und unter dem tausendfältigen Ruf: »Pardon! Pardon den Gefangenen! Es lebe der König!« entschlummerte der treue Bonchamp, lächelnd, zufrieden, in dem Schoße seiner schluchzenden Gefährtin.

Sein Wort wurde heilig gehalten.

Für Viktor war das Leben und die Freiheit das mindere Geschenk, welches ihm das Schicksal zugeworfen. Aber so oft er es konnte, öffnete er ein Briefchen, das ihm Adele zugesteckt, als er an dem Wagen der Marquise vorbeigegangen war, unbemerkt von Gabriele, aber erwartet von Adele ...

Die wenigen Zeilen des mit Bleistift geschriebenen Billetts lauteten:

»Man schenkt Ihnen Leben und Freiheit; ich bin selig. Wir sehen uns nimmer wieder und gewiß finde ich den Tod in der Bretagne oder auf dem Meer, dem sich die Base anvertrauen will, um nach England zu fliehen. Grüßen Sie meinen Vater von seiner sterbenden Tochter und, ist Ihnen die Bitte eines armen Geschöpfes, wie ich bin, nicht gleichgültig, so versagen Sie Gabrielen nie Ihren Schutz, wenn ihr Schicksal sie in Gefahr bringen sollte. Adele.«

Während dieser Brief in den Händen Viktors lag, flüchtete die Schreiberin desselben mit der Marquise über die Furten zu Varades, ein fremdes Land betretend, wo der Bürgerkrieg erst erzeugt werden mußte.


 << zurück weiter >>