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Siebentes Kapitel.
Die gefahrvolle Nacht

Maillard hatte während seiner Generalschaft noch nie die Last einer solchen Würde schwerer empfunden als zu Chaillot, wo sein rasendes Korps die von den Einwohnern verlassenen Häuser zum Teil erbrochen, zum Teil geplündert hatte. Der ehemalige Huissier bemerkte, daß eine Bande von siebentausend Furien nicht so lenkbar ist, wie zwei Pfändungsgehilfen. Er hatte alles versucht, die Ruhe leidlich herzustellen, hatte friedliche Reiter, die dem Zug entgegenkamen und nur das Unrecht hatten, schwarze Kokarden zu tragen, vor den drohendsten Mißhandlungen gerettet. Alle Unordnungen jedoch, die zu Chaillot vorgefallen waren, erneuerten sich in dem Dorfe Sèvres. Die an dem Regentage früh sich einstellende Dämmerung trug das ihrige bei, die Unverschämtheit der Weiber und ihrer Gehilfen zu vermehren. Häuser wurden aufgesprengt, Fenster zerschlagen, Wein und Brot allenthalben mit Gewalt genommen, die Einwohner geprügelt, die sich widersetzten, und der Aufstand allgemein proklamiert. In dieser Not versammelte der Anführer sein Volk unter dem Lärm der Trommeln und sagte ihm mit der Derbheit, die ihn charakterisierte: »Ihr nennt euch Bürger und freie Pariser? Ihr seid aber Lumpengesindel, das mit Kartätschen erschossen zu werden verdiente, weil ihr die Gesetze nicht achtet und das Eigentum nicht schont. Sowie ihr nicht Ruhe gebt, so laß ich euch im Stich und gehe zu Lafayette zurück, der schon mit der Miliz auf dem Wege sein muß. Dann hat euer letztes Stündlein geschlagen. Was des Königs Soldaten zu Versailles nicht totschießen, wird den Kugeln der Nationalgarden nicht entgehen.«

Diese Rede machte einigen Eindruck auf die trunkenen Gemüter. Während so Weiber als Männer unschlüssig umherstanden, rief Maillard die Nationalgardisten auf, die sich unter dem Haufen befanden. Ungefähr ein Dutzend solcher Leute war vorhanden. Maillard ermahnte sie, die Sorge für die Ordnung zu übernehmen, und gab ihnen Vollmacht, aus allen Häusern die Lebensmittel herbeizuholen, deren das Volk bedurfte, den Zug zu beschleunigen und für das Genommene Bons auszuteilen, die der Gemeinderat zu Paris einlösen würde. Er reichte einen der beiden Degen, die er bisher in der Hand getragen, dem Invaliden Sans-Regret hin, dessen Schmeichelei er in dankbarem Herzen aufbewahrt hatte, indem er sagte: »Ich ernenne dich zu meinem Generalleutnant, wackerer Veteran. Du wirst die Subordination erhalten, und ich will nicht versäumen, dich zur gehörigen Belohnung den Leuten zu empfehlen, die uns zu diesem Spaziergang engagiert haben.«

Sans-Regret nahm ohne Widerrede die dargebotene Würde an und durchstreifte mit seiner Patrouille die Häuser zu Sèvres; seine Leute suchten nach Lebensmitteln, er forschte nach Dammartin. Aus einem Hause unfern der Porzellanfabrik wurde ein Trupp von Menschen getrieben, die zum Teil mit Stricken gebunden waren. Es waren harmlose Wanderer, die schon am Morgen von den aufgestellten Wachen des Vater Adam aufgegriffen worden waren. Sie sollten jetzt mit nach Versailles geschleppt werden. Ein Mensch in Livrée, mit zerzauster Frisur und zerrissenem Jabot, fiel dem Invaliden auf. Mit einer Art freudiger Aufwallung schrie er den Domestiken an: »He da! Troc de Dieu! Bist du Jean, der Kutscher meines Vicomte?«

Der Diener richtete die Augen nach ihm und entgegnete: »Es lebe die Nation! Es ist ja nicht meine Schuld, daß ich einem Adeligen diene. Hätt' ich all' das voraus gewußt, ich wäre hübsch hinter meines Vaters Ochsen geblieben! Es lebe die Gleichheit und die verkehrte Welt! Mein Herr sitzt noch weit schlimmer als ich.«

Sans-Regret erschrak heftig und drang in den Burschen, sich zu erklären. Jean berichtete, daß, nachdem sie glücklich in Sèvres angekommen, ein wilder Volkshaufen ihren Wagen angehalten und sie gefangen genommen habe. Ihn habe man in einen Keller geworfen und seinen Herrn nach einem Hinterhause gebracht, wo er, nach den Reden des Volks, bleiben sollte, bis man ihn aufhängen würde.

Sans-Regret wurde fast toll bei dieser Nachricht. Er wendete sich an einige seiner Nationalgardisten und beschwor sie, einen Mann zu retten, der ein besseres Los verdiene, als mit den gewöhnlichen Aristokraten vermischt zu werden. Nach einigem Zaudern willigten die Männer ein und eilten, während Jean mit seinen Gefährten zum Hauptkorps gebracht wurde, in das bezeichnete Hintergebäude. Es schien ganz von Menschen verlassen. Stuben und Kammern waren leer. Eine einzige, verschlossene Tür hielt sie auf dem Rande der zweiten Treppe auf. Sans-Regret klopfte heftig an dieselbe und die Stimme eines Wütenden gab von innen die Antwort: »Seid ihr da, ihr Mörder? Kommt heran! Ich will euch mein Leben teuer verkaufen!«

»Viktor! Dammartin!« rief Sans-Regret mit ängstlicher Besorgnis. »Ich bin es ja, kennen Sie meine Stimme nicht? Wir kommen, Sie zu befreien!«

Er riß einem seiner Leute die Muskete aus der Hand und warf mit ein paar Kolbenstößen die Türe zusammen. In einer elenden Kammer, die mit vergitterten Fenstern versehen war, stand Viktor: blaß, verstört, aber mit funkelnden Augen und schwang wütend ein Scheit Holz in der Hand. Die Nationalgardisten richteten die Bajonette gegen ihn, aber es bedurfte nur eines Wortes von Sans-Regret, um den jungen Mann zu entwaffnen, der mit den heftigsten Verwünschungen seinem Freunde erzählte, wie man ihn mißhandelt habe. »Ich erwürge den elenden St. Huruge,« rief er, »der mich hier auf eine meinem Rang so schimpfliche Weise sequestrierte. Soviel ich ahne, ist das Leben meines Herrn in der dringendsten Gefahr, und knirschend mußte ich hier meinen Arm gefesselt sehen. Gib mir eine Waffe, Sans-Regret, und laß mich nach Versailles eilen, damit ich mit meinen Kameraden, deren Tod man geschworen hat, sterben kann!«

»Wir gehen alle dahin,« erwiderte Sans-Regret mit freundschaftlicher Besonnenheit; »fordern Sie jedoch keine Waffen von mir. Erlauben Sie statt dessen, daß ich Ihnen diesen Rock ausziehe, der Sie in den Augen des Volks verdächtigen würde. Nehmen Sie dafür mein schlechtes Kamisol, diese Mütze, die Ihnen freilich nicht so gut steht, wie der Federhut, und folgen Sie mir. Seien Sie ruhig und gelassen, denn die Dinge werden doch ihren Lauf haben. Ich und meine Begleiter hier werden für Sie sorgen, bis wir in Versailles angelangt sind, wo ich Ihnen dann die Sicherheit einer teuren Person anempfehlen will. Das Fräulein von Sombreuil ist auf eine sonderbare Weise in den heutigen Volksmarsch verflochten worden. Niemand wird besser als Sie derselben eine sichere Zufluchtsstätte verschaffen können.«

Auf diese Eröffnung hin schlug Viktor bestürzt die Hände zusammen; machte jedoch keine weiteren Umstände mehr und fügte sich in das Verlangen seines Freundes, der sich halb entkleidete, um seinen Viktor zu vermummen, und dessen blauen Überrock wie auch seine Börse an die beiden Nationalgarden gab, um sich ihres Schweigens zu versichern.

Indessen hatte das Volk einen weiten Vorsprung gewonnen. Die Dämmerung wurde immer dichter, und vergebens strengte sich Dammartin an, die Weiberkolonne zu erreichen, in welcher sich Emilie Sombreuil befand. Man kam nach Versailles. Die Zugänge zur Stadt waren von tumultuierenden Bürgerhaufen, von einzelnen Pikets der Nationalgarde und von den Banden des St. Huruge besetzt, der vorausgegangen war, um den Schrecken und den Aufstand zu verbreiten. Ein höllisches Jauchzen empfing die daherlärmende Pariserschar. Die Bewillkommten erwiderten das Geschrei. Wie ein Heuschreckenschwarm verbreiteten sie sich in den Gassen der Stadt. Auf dem Platze stand das Regiment Flandern aufgestellt, beordert, die Rebellen zurückzutreiben, von deren Ankunft man erst seit einer Viertelstunde unterrichtet war. Man hatte indessen solche Befehle im voraus geahnt und Maßregeln dagegen getroffen. Die hübschesten und unverschämtesten der Weiber liefen, Bacchantinnen ähnlich, in die Reihen der Soldaten und schrieen unter Gelächter und ausgelassenen Gebärden: »Ihr werdet uns doch kein Leid tun, ihr schönen Herren von Flandern? Wir sind ja eure lieben Freundinnen, und wenn ihr euer Kommißbrot mit uns teilen wollt, so versprechen wir euch Vergnügen und Freude, wie ihr sie in eurer Garnison gewiß noch nie gehabt.«

Auf der andern Seite versammelte eine stämmige Dirne in einem scharlachroten Überrock die Unteroffiziere und Trommelschläger eines Bataillons um sich und rief mit gellender Stimme: »Schämt ihr euch nicht, die Söldlinge eines römischen Nero zu sein? Euer wahrer Vater sitzt im Palais Royal oder speist gerade in Passy zu Mittag. Er und die Nation sind eins; die Nation belohnt ihre Freunde besser, als der Trunkenbold von König, dessen Geldkiste die Österreicherin lang ausgeleert hat, so viele neue Schlösser der Meister Ludwig auch davorlegte. Wer will, wer mag? Es lebe die Nation!«

Nach jedem solchen Ausruf griff das Weib in einen geräumigen Korb, der an ihrem Arm hing, und teilte daraus kleine Geldpakete im Überfluß an ihre Zuhörer aus. Der böse Wille der Soldaten wurde dadurch nicht gebessert. Sie nahmen das Geld, zerstreuten sich in Schenken oder blieben wie angewachsen auf ihrer Stelle, insultierten die Offiziere und ließen sich Flinten und Säbel von den Mänaden entwenden, die ihre Verführung mit Erfolg betrieben. Auf anderen Punkten des Platzes schrie die wütende Menge, heiser von Wein und Marsch, nach Brot. Es ward ihnen vom Rathause zuerst eine nichtssagende Antwort, dann eine unbedeutende Hilfe, die der Hungrigen Begierde nur steigerte. Zum Unglück sprengten einige Gardes du Corps daher. Sie versuchten mit harten und guten Worten, das Volk zu zerstreuen; keine Überredung half. Ihr Anblick machte die Menge wütender.

»Geht!« brüllte die berüchtigte Kurtisane Theroigne de Méricourt, die Geldausspenderin im Scharlachkleide, einem der Garden zu; »geht und sagt euern Kameraden, daß wir hier sind, um ihnen die Hälse abzuschneiden!«

Jauchzender Beifall folgte der brutalen Äußerung, welche den Stolz der Edelleute aufregte und zu einigem Wortwechsel Veranlassung gab. Da geschah es, daß ein betrunkener Bürgersoldat von Paris mit dem Säbel in der Faust zu wiederholten Malen die Reihe der Soldaten durchbrach.

»Haut den Burschen nieder!« schrie ein Offizier der Gardes du Corps den Soldaten von Flandern zu.

Soeben ergriff eine Faust den Zügel seines Pferdes. »Savonnières!« rief eine Stimme aus dem Gewühl. »Retten Sie sich! und gönnen Sie mir einen Platz in Ihrem Steigbügel, daß ich aus dem Gedränge komme!«

Savonnières mißkannte die Stimme Dammartins, ließ sein Pferd steigen und wollte mit der flachen Klinge auf die Hand herunterfahren, die seinen Zügel hielt. Zu gleicher Zeit ging aber in der Nähe ein Flintenschuß los, der dem Offizier die Schulter zerschmetterte. Er fiel in die Arme eines herbeisprengenden Kameraden. Dammartin hatte sein Pferd losgelassen, denn auch seine Arme umschlangen einen teuren Gegenstand, den der Schreck an seine Brust geworfen, den er im Pulverblitz einiger folgenden Schüsse erkannte.

»Mein Fräulein!« stammelte er voll Angst und Besorgnis, die Erschrockene fest an sich drückend. »So gewährt mir in diesem gräßlichen Moment das Schicksal die Wohltat, die ich von ihm so heiß erfleht!«

Emilie erhob die blauen Augen verwundert gegen ihn, erkannte seine Stimme und fragte schüchtern: »Sie hier? In diesem Aufzuge? Haben Sie Ihre Pflicht abgeschworen? Doch gleichviel; Sie sind mir ein lieber Freund, wenn Sie es möglich machen können, mich den Megären zu entreißen, die mich umgeben. Die gute Chabry ist mit ihren Begleiterinnen auf das Schloß zum Könige gegangen. Sie hat mich in diesem unseligen Gewirr allein zurückgelassen, wo ich meine Tante suche, die aber vielleicht schon tot vor Angst auf der Heerstraße zurückgeblieben ist.«

»Der Himmel wird sie schützen,« antwortete Viktor; »wohin befehlen Sie aber, daß ich Sie bringe?«

»Zu der Gräfin Tessé, Sie wohnt in der Nähe der königlichen Marställe, in der Straße ... mein Gott! das Entsetzen hat mein Gedächtnis stumpf gemacht ...«

»Beruhigen Sie sich. Ich kenne das Haus, und wenn wir erst diesem Pöbel entronnen sind, so bedürfen wir nur weniger Minuten, um an das Hotel zu gelangen. Wie aber geschwind diesem Getümmel entfliehen?«

Emilie, schnell besonnen, deutete nach einer Stelle hin, wo sich eine Lücke in dem dicht gedrängten Haufen ergab. Man bemerkte beim Schein der angezündeten Pechpfannen, daß einige Menschen von schlechtem Aussehen mit Ellenbogenstößen und Fußtritten einem dicken Mann in weitem Überrock und tief in die Augen gedrückten Hut Bahn durch den Tumult machten. Andere aus dem Volke bückten sich ehrfurchtsvoll vor dem fremden, dicken Mann, der zwar hin und wieder grüßte, hie und da aus seiner Westentasche Geld spendete, aber eine Verlegenheit und Befangenheit verriet, die sich sogar in den Worten aussprach, die er häufig und ängstlich wiederholte: »Meine lieben Freunde! Alles ist verloren, und es bleibt euch nur übrig, zu den Waffen zu greifen!«

Viktor und Emilie hatten sich in die Gasse geworfen, die sich vor dem Mann öffnete. Die Sombreuil war wie von einem elektrischen Schlag erschüttert, als sich der Unbekannte, während sie sich an ihm vorbeidrängte, nach ihr umdrehte. Er drückte den Hut schnell tiefer ins Auge und machte sich eiligst davon. Emilie zitterte immer noch wie Espenlaub, als sie sich mit ihrem Begleiter schon im Freien befand, und sagte empört zu Viktor: »Haben Sie ihn gesehen? Haben Sie ihn erkannt? Der Herzog war es, der niederträchtige Vetter des besten der Könige! Weh' uns, wenn seine Schandtat glückte und die Krone dann in seine Hände fiele!«

Viktor bebte ob dieser heftigen Äußerung, er war doppelt besorgt für die Sombreuil, die, aufgeregter als zuvor, weiter drang und ihren Führer zu eilen beschwor. Nachdem sie einige lärmende Volkshaufen durchschnitten, kamen sie in die stillere Gasse, wo sich das Haus der Gräfin Tessé befand. Das Hotel war öde; kein Licht darin zu sehen. Auf Viktors und Emiliens verzweiflungsvolles Klopfen antwortete endlich nur ein Türsteher durch die Spalte eines Fensterladens. Die Gräfin samt ihrer Familie hatte sich bei der ersten Kunde von dem hereinbrechenden Unheil mit Kurierpferden nach Rambouillet begeben. Auf diese Nachricht wurde Emiliens Bestürzung grenzenlos. Sie rang die Hände, schluchzte und nannte sich eine dem Verderben geweihte Unglückliche.

»Ich kenne niemand in Versailles als die Gräfin!« rief sie. »Da diese nun entflohen ist, was soll ich beginnen? Ich gehe unter den Teufeln, die mich hierher schleppten, zugrunde! Und meine Tante! die arme, gute Dame! Wenn ich sie wiedergefunden hätte, so wollte ich noch alles ertragen. Erbarmen Sie sich, Herr Vicomte, meines Schicksals!«

»Hier ist ein schneller Entschluß zu fassen,« antwortete Viktor; »die Ehre verlangt von mir, daß ich Sie in Sicherheit bringe; sie verlangt jedoch nicht minder, daß ich mich bei meinem Korps stelle. Da der feige Portier dieses Hauses Ihnen nicht einmal auf meine Bürgschaft hin ein Zimmerchen öffnen will, so folgen Sie mir zu meiner Verwandten, der Gräfin Espremenil. Ich stehe Ihnen dort für einen besseren Empfang.«

»Espremenil?« fragte Emilie stutzend. »Eine Verwandte des Parlamentsrats, der von seinem König abtrünnig geworden ist, um sich von dem Volk anbeten zu lassen? Verzeihen Sie; müßte ich in einer Kirche übernachten, eine Sombreuil schläft nicht mit dem Feinde ihres Herrn unter einem Dache.«

Viktor lächelte beinahe unwillkürlich. »Fassen Sie sich,« sagte er, Emilien wegführend; »die Gräfin Espremenil ist eine der wärmsten Freundinnen des Monarchen und seines erlauchten Hauses.«

In wenig Augenblicken standen sie vor dem Hause der Espremenil. Alle Kavaliere zweiten Ranges, die nicht das Vorrecht hatten, zu diesen gefährlichen Stunden in den Gemächern des Königs zu verweilen, hatten sich als eine galante Schutzwehr in dem Hotel Espremenil eingefunden, da die Gräfin, leicht unpäßlich, nicht hatte bei der Königin erscheinen können. Es wimmelte im Hause von Uniformen, prächtigen Hofkleidern und glühenden Degen.

Es gab einen allgemeinen Aufstand, als Viktor in Sans-Regrets Kamisol und Mütze und das Fräulein in übel zugerichteten Kleidern erschien.

Die Gräfin fuhr vom Sofa in die Höhe, wo sie mit einigen anderen Damen saß und schrie: »Um Gottes willen, Vetter, sind Sie es? Sie sehen ja aus wie ein Bastillestürmer! Sind Sie zur Opposition getreten? Folgen Sie dem Beispiel des edlen St. Huruge und kommen, uns hier zur Kapitulation aufzufordern? Es lebe die Nation! Nicht wahr, meine Herren und Damen? – Wenn wir nur unsere Köpfe behalten.«

Viktor verschmähte den unzeitigen Scherz, bedauerte, sich nicht darauf einlassen zu können, weil seine Pflicht ihn rufe, und bat schließlich die Gräfin um Schutz für seine Begleiterin.

Das Gesicht der Espremenil verzog sich in eifersüchtiges Staunen, als sie die schöne Tochter des Invalidengouverneurs sich vorgestellt sah.

Natürlicherweise wurde die aufsteigende Bitterkeit von dem höflichen Tone der Konvenienz unterdrückt und sie versicherte der schönen Traurigen ihren ganzen Beistand, ihre Hilfe. Sie konnte es dennoch nicht über sich gewinnen, ihren Vetter beim Weggehen nicht aufzuhalten und sagte zu ihm an der Tür des Vorzimmers mit halb spöttischem, halb gekränktem Ton: »Glauben Sie ja nicht, Dammartin, daß ich Ihnen jemals die Artigkeit vergesse, womit Sie gerade mir meine Nebenbuhlerin aufgedrungen haben.«

Viktor wollte schnell antworten, bezwang sich jedoch, zuckte die Achseln und eilte endlich, den Weg nach dem Schlosse einzuschlagen.

Trotz dem Regen und dem Sturm, der um die Schornsteine von Versailles wütete, stand der Schloßplatz voll von gaffenden und schreienden Menschen. Um größeres Unheil zu verhüten, hatten viele Privatpersonen der Stadt so viel Brot zusammengebracht, als man hatte auftreiben können, und der ermüdete Pöbel speiste und trank und war mitten im schlechten Wetter ziemlich guter Dinge. In einer Straße jedoch, die an den Platz stieß, war Lärm ausgebrochen; Viktors Weg führte dort vorbei. Er gewahrte eine ältliche Frau, die zum Tod erschöpft auf einer steinernen Bank lag und um welche mehrere Pariserinnen beschäftigt waren. Sie wollten ihr jedoch nicht beispringen in ihrem kläglichen Zustand, sondern sie der Effekten von Wert berauben, die sie an sich trug. Die arme Ohnmächtige wehrte sich heulend gegen die rohen Fäuste der Weiber, die ihr die kostbaren Gehänge mit Gewalt aus den Ohren reißen wollten. Mitten unter dem Haufen stand, für die Beraubte Partei nehmend, Sans-Regret, und sein Mund warf die Flut südlicher Verwünschungen geläufig um sich her, und seine lebhafte Gebärde schüchterte die Gegnerinnen ein. Aus einer Schenke stürzte jedoch ein Kerl mit einem Messer in der Faust daher, den eines der Weiber als ihren Galan zu Hilfe gerufen hatte.

»Was will der Hund von Marseille?« knirschte der Kerl im Dialekt der Normandie. »In der ganzen Provence gibt es nichts als Diebe und Galeerensklaven. Heraus mit der Fuchtel und lasse die Weiber ungeschoren!«

Mit einem Sprunge, wie man ihn etwa von einem italienischen Buffo ausführen sieht, fuhr Sans-Regret, in seiner Nationalität beleidigt, nach dem Degen, schon saß aber das Messer des Normands in seiner Hand. Das Blut lief, aber ebenso plötzlich hatte Viktor den elenden Meuchler niedergeworfen und mit Füßen getreten. Der Kerl war unschädlich gemacht; aber zehn harte Weiberfäuste packten Viktor beim Kragen und schrien nach der Wache, nach Hilfe. Vergebens wehrte sich Sans-Regret im Namen seines Freundes. Ein Detachement der Bürgergarde kam herbei und nahm ihn, Viktor und die bestohlene Frau in die Mitte.

» Par la cornette de notre Dame de la Garde!« rief Sans-Regret, indem er wütend sein Schnupftuch um die verwundete Hand schlang. »Postenkommandant, lassen Sie uns doch gehen! Es ist ja hier nur von einem betrunkenen Kerl die Rede, der mich und den nachher mein Freund gezeichnet hat. Das Lumpengesindel hat heute viele schlechte Streiche gemacht und ihr Milizen habt euch nicht drum umgesehen. Warum gerade bei uns honetten Leuten so strenge Polizei?«

Der Offizier lockerte mit hochmütiger Miene seinen Zopf, setzte den Hut martialisch in das schwammige Bäckergesicht und antwortete patzig: » Par la loi! Gerade weil ihr honette Leute seid. Nieder mit den Aristokraten! Die Vorposten unserer Kameraden, der Milizen von Paris, sind schon vor der Stadt; Lafayette soll sehen, daß wir auch den Dienst verstehen, wenn schon unser Kommandant eher an den Galgen gehört, als an die Spitze so tapferer Männer, wie wir sind. Fort auf die Wache! Dort wird sich alles finden.«

»Ich bin Garde du Corps,« sagte Viktor mit Stolz, »ich muß zum Dienst, haltet mich nicht auf.«

Der Bäcker schüttelte verlegen mit dem Kopf; sein Korporal indessen, ein Färber, wie seine blauen Hände auswiesen, gestikulierte lebhaft und meinte: »Mit dem Garde du Corps sei es ohnehin nicht richtig, und wer vollends die Uniform nicht trage, dürfe nicht berücksichtigt werden.«

Sein Veto wurde grimmig von einem andern Nationalgardisten unterstützt, der behauptete; »Der Prinz von Poix, einer der Kapitäne der Garden, sei ihm noch die Bezahlung von zwanzig Paar Reitstiefeln schuldig und folglich sei es an der Zeit, allen Gardisten den Garaus zu machen.«

Der furchtbare Bäcker kommandierte also ein wiederholtes: »Auf die Wache!«

»Wer? Auf die Wache? Mein Generalleutnant?« schrie Maillard, der mit seinem Stab von Fischweibern daher rannte; »untersteht euch, ihr Pequins! Das ist ein Patriot, für den ich bürge und nur die Nationalversammlung kann in seinem Prozeß entscheiden!«

Eine mißstimmige Musik näherte sich. Eine Bande von Kneipengeigern kratzte die erbärmlichsten Märsche, vor einem Zuge daherschreitend, der auf eine seltsame Weise das Würdigste von Frankreich mit dem Unwürdigsten gepaart hatte. Die Deputation der Weiber, die mit dem König und seiner Gemahlin auf die familiärste Weise geredet hatte, kam aus dem Schlosse zurück, wahnsinnig vor Freude über den Empfang, den ihnen der von der Jagd schnell zurückgekehrte Monarch hatte angedeihen lassen. Mit ihnen kamen zwölf Mitglieder der Nationalversammlung, den ehrwürdigen Präsidenten Mounier an ihrer Spitze und gemengt mit dem Janhagel, der durch die Reihen lief, tanzte und purzelbaumte.

Die Chabry und die Rollin, ihre Freundin, brachten ein Blatt Papier, worauf der König eigenhändig versichert hatte, daß er allen Beschwerden abhelfen werde. Mounier und seine Begleiter brachten die Antwort des Königs auf die Vorlegung der von der Nationalversammlung dekretierten Menschenrechte. Sie waren auf dem Wege zur Versammlung.

Dammartin wendete sich an den Präsidenten, unterrichtete ihn von der unwürdigen Lage, worin er sich befinde, wie von seinem Stande und bat ihn, zu befehlen, daß man ihn loslasse, wie den armen, verwundeten Sans-Regret.

»Was wollen Sie, daß ich tue?« antwortete Mounier achselzuckend, »sehen Sie nicht, daß die Hölle losgelassen ist? Mirabeau und seine Faktion haben heute den Sieg. Es wundert mich, daß die Bösewichter mich nicht in der Versammlung ermordet haben. Dem General Lafayette und seinen Adjutanten hat der Tod wiederholt gedroht. Ein Befehl von mir würde nichts fruchten. Geben Sie mir jedoch Ihren Arm und Ihr Begleiter halte sich an meinem Mantel. Ich hoffe, Sie die wenigen Schritte nach der Versammlung zu bringen, wo Sie allsobald sicher und frei sein werden.«

»Unterstützen Sie diese Dame, Herr Präsident,« erwiderte Sans-Regret, »die Tante des Fräuleins Sombreuil hat mehr Ansprüche auf Ihren Schutz, als ich armer Teufel.«

Viktor hatte nicht sobald den Namen des Frauenzimmers gehört, als er ihr schon seine Unterstützung anbot und sie, wie ein Sohn die Mutter, zur Versammlung geleitete.

Welch' ein Anblick tat sich ihm an den Schranken derselben auf? Es waren nicht sehr viele Mitglieder in der stürmisch drohenden Nacht beisammen geblieben. Die Bänke der Deputierten boten große Lücken dar, die indessen von einer Art von Beisitzern angefüllt waren, wie man sie noch nicht in diesem Saal gesehen hatte. Die erhitzten und betrunkenen Weiber hatten sich unter die Stellvertreter der Nation gemischt. Man hörte aus ihrem Munde die abscheulichsten Ausdrücke, die ungesittetsten Redensarten; viele der Abgeordneten hatten sich mit Verachtung von ihnen gewendet andere, wie Robespierre und seinesgleichen, hörten ihnen mit Freundlichkeit und Wohlwollen zu. Mirabeau hielt eine donnernde Rede, die er jedoch abkürzen mußte, um dem Pöbelgeschrei Raum zu geben. Sogar neben dem Vizepräsidenten, dem Bischof von Langres, hatten die Damen der Halle Platz genommen und spotteten und höhnten den Prälaten aus, der alles mit einer bewunderungswürdigen Ruhe ertrug. Was wäre aber zu tun gewesen? Die Versammlung war in der Gewalt der rebellischen Weiber. Ihre Kanonen standen vor dem Hause, ihre Mordgehilfen füllten die Galerien. Das Volk schmauste mit der ekelhaftesten Gefräßigkeit auf den Tischen der Versammlung, Tabaksqualm und Weindunst verpesteten den Saal.

»Das ist nur unser Vesperbrot,« schrien ein paar Furien, »wir wollen mit der Königin zu Nacht speisen, sie zwingen, ein Stück Schwarzbrot zu verschlingen, ihr dann den Hals umdrehen und ihr Herz zum Dessert verzehren.«

Die Agenten der Faktion Orleans steigerten noch durch ihre brutalen Schimpfworte die Wut der Rebellen und die Verwirrung war allgemein, als Mounier mit seinen Begleitern in den Saal trat.

»Wenn der Präsident keine befriedigende Antwort bringt,« schrien die Ungeheuer, »so ist nichts anderes mit ihm zu tun, als ihn am Kronleuchter aufzuhängen!«

Mouniers Rede, des Königs Versicherungen und der Jubel, womit die Weiberdeputation ihren Empfang schilderte, des Königs Handschrift vorwies und erklärte, sie werde in den Wagen des Königs selbst noch in dieser Nacht nach Paris zurückkehren, verwandelten die Stimmung des Volks in eine friedlichere.

Kurze Zeit nachher kam Lafayette mit seinem Stabe, die Abgeordneten der Nation zu begrüßen und die Hyänenstimme des Pöbels schwieg einen Augenblick vor den Waffen der Bürgersoldaten.

Mounier benützte den Umstand, um auf die Freilassung seiner Schutzbefohlenen anzutragen. Ein Wink Mirabeaus war hinreichend, dem Befehl des Präsidenten Kraft zu geben. Er hatte den jungen Garde du Corps an den Schranken erkannt, trat zu ihm und sagte ihm leise: »Sagen Sie Ihrer Kusine, daß der heutige Auftritt nur ein schwaches Vorspiel der Volksbewegungen ist, die sich entwickeln werden, wenn der Hof nicht Vernunft genug besitzt, den Arzt zu wählen, der allein helfen kann.«

Viktor sah den Grafen kaum an, antwortete ihm nicht und verließ mit der Tante Sombreuil und seinem Invaliden das Haus.

Als sie das Lager durchschritten, welches der Pöbel vor dem Sitzungssaale gebildet hatte und in der ruhiger gewordenen Straße standen, befahl Viktor seinem Freund, die Tante in der Espremenil Haus zu bringen. Dann sagte er seinem Sans-Regret Lebewohl, um nach dem Hotel der Garden zu eilen.

Der Invalide hielt ihn bekümmert noch einen Augenblick auf und sprach: »Sie glauben nicht, wie schmerzlich mir der Abschied heute von Ihnen wird; Sie werden sehen, daß morgen ein böser Tag ist. Lenkte doch der Himmel Ihr Herz, daß Sie eine Wahl ergreifen möchten, wie sie von der Zeit verlangt wird. Wär' es mir doch vergönnt, Ihnen ein Schutzengel werden zu dürfen! Aber ich bin nur ein armer Kerl, den der schurkische Cidersäufer heute völlig zum Krüppel gehauen hätte, wenn sein Messer tiefer gegangen wäre.«

Da er nun seufzte und mit einem weinerlichen: »Kommen Sie denn in Gottesnamen!« der Tante höflich den Arm reichte, so sagte auch Viktor gerührt im Scheiden:

»Wie der Himmel will, mein Alter. Sei das Leben verloren, nur nicht die Ehre! Sollte morgen auch meine Todesstunde schlagen, so denke mein in Liebe und Frieden; und Sie, gnädige Frau, versichern Sie Ihrer liebenswürdigen Nichte, daß sie mein letzter Gedanke gewesen auf Erden und daß es mir wohltut, vor meinem Scheiden etwas zu ihrer Zufriedenheit vermocht zu haben.«


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