Heinrich Spiero
Detlev von Liliencron
Heinrich Spiero

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30.
Tod und Nachleben.

Als Liliencron von der philosophischen Fakultät zu Kiel den Doktortitel empfing, rüstete er schon zu einer Fahrt an den Rhein und auf die Schlachtfelder Lothringens. Nicht allein, sondern mit Weib und Kindern wollte er diesen Weg noch einmal gehn, freilich nicht so frisch, wie er gehofft hatte. Schmerzen plagten ihn, die er auf Rheumatismus zurückführte. In Wirklichkeit rührten sie von einer Blutstockung her, denn im Laufe des Mai hatte er einen kleinen Schlaganfall erlitten, dessen Folgen aber rasch überwunden wurden.

Mit Eduard Rudowsky, der an der Mosel auf eigenem Weingut saß, verabredete Liliencron die geplante Reise bis ins einzelne hinein. Am 30. Juni abends um halb sechs traf er in Mainz ein und stieg mit Frau Anna, Abel und Wulff im Rheinischen Hof ab. Wohl hatte sich auch in der alten Kurfürsten- und Erzkanzlerstadt vieles verändert – dennoch erkannte Liliencron auf Schritt und Tritt die alten Wege, die er gewandelt war, die Kirchen, deren Weihe ihn berauscht, deren Kunstwerke den jungen Offizier gefesselt hatten. An unvergeßliche Jugendtage gemahnte alles, der Strom und die Stadt. Am andern Morgen kam Adolph Tormin mit seiner Gattin von Wiesbaden herüber, herzliches Wiedersehen ward gefeiert; im Wagen führte Liliencron die Seinen und die Freunde zu der alten Wohnung und begrüßte jubelnd die Akazie, die noch immer stand, wie er sie im Jahre 1896 wiedergefunden hatte. Unermüdlich erzählte er, heiter beglückt, aus den so lange verflossenen Mainzer Jahren.

Letzte Aufnahme, 1909

Am 2. Juli fuhren die Reisenden weiter, zunächst auf dem bequemen Dampfschiff rheinabwärts. Liliencron wies den Seinen das Germaniadenkmal – für die Schöpfung, die es verbildlicht, hatte auch er den letzten Hauch eingesetzt; er zeigte ihnen die Pfalz bei Caub und erinnerte an Blüchers nächtlichen Rheinübergang. In Koblenz ward die Eisenbahn bestiegen, und abends nahmen zu Pünderich im Moseltal Rudowsky und seine Frau die ungeduldig erwarteten Besucher in Empfang. Am andern Tage ward die Reise mit den Freunden gemeinsam fortgesetzt und zunächst in Metz gerastet. Von den Höhen, die einst verheerende Geschosse auf die Belagerer hinabsandten, grüßten nun deutsche Festungswerke, und auf der prachtvoll über der Mosel liegenden Esplanade traf der alte Kämpfer Offiziere aus Nord- und Süddeutschland, sah er die das Leben ringsum überragenden Erzbilder seiner Heerführer, des alten Kaisers und Friedrich Karls. Ungeduldig aber strebte Liliencron weiter, den 465 Schlachtgefilden zu. Nun überstürzten sich die Erinnerungen, als Ladonchamps und Maizières auftauchten, als unzählige, weit verstreute Gräbermale, Erinnerungskreuze, Denkmäler ernst und prunklos die größten Taten der neueren deutschen Geschichte anzeigten. Tief bewegt und tief beglückt zeigte Liliencron der geliebten Frau, der Tochter, dem Sohn und Namenserben diese Stätten, die er in Wachen und Traum neununddreißig Jahre hindurch so unzählige Male vor sich gesehn hatte; er sprach von den Erlebnissen, denen keiner wie er den letzten Dichterhauch abgewann, von toten und lebenden Kameraden. Bei einer Wanderung über den Abschnitt Charly-Rupigny trafen Liliencron und Rudowsky eine alte französische Frau, die auf die erste Anfrage hin ins lebhafteste Erzählen kam und von den 1870 bei ihr einquartiert gewesenen Einundachtzigern berichtete; sogar einzelne Namen kannte Frau Gobert noch. Das war so recht ein Erlebnis nach dem Herzen des Dichters der Kriegsnovellen. Und alles fügte sich zu einem vollen Kranz – die neu belebte Vergangenheit, die sorgenfreie Gegenwart voll erkämpften Friedens, die lebendige Zukunft in Gestalt der lieben Kinder.

Letzter Brief, einen Tag vor seinem Heimgang an seinen Verleger geschrieben

Dann aber drängte Liliencron nach Hause; er hatte sich auf der Fahrt erkältet und kehrte am 9. Juli nicht ganz frisch nach Alt-Rahlstedt zurück. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Haus sagte er in einem merkwürdig verhaltenen Ton: »Es ist mir, als wenn dieses meine letzte größere Reise gewesen wäre.« Die Schmerzen wurden stärker und stärker. Eine Lungenentzündung trat hinzu, und Liliencron mußte sich zu Bett legen. Er nahm Dantes »Göttliche Komödie« vor und las darin, bis das Fieber es ihm verbot. Er schrieb noch ein paar Zeilen, die letzten, an seinen Verleger Richard Schuster, er traf bei einem Erstickungsanfall, von Todesgedanken berührt, eine Anordnung über Gedichte: »Wenn es zu Ende geht, in der Schreibtischschublade liegt ein Band Gedichte, der soll Gute Nacht heißen«, rief er hastig seiner Frau zu. Die schmerzstillenden Mittel des Arztes beruhigten ihn wieder, bis Fieberphantasien den Leidenden auf die alten Kampfplätze führten: »Warum laßt ihr mich auf dem Schlachtfelde allein liegen?« schrie er plötzlich. Immer gleich blieb seine Freundlichkeit, seine Herzenshöflichkeit gegen die Seinen, den Arzt, die herbeigeholte Krankenschwester. Erregt sprach er dann wieder von Vortragsreisen für den nächsten Winter, von dem Januardiner, zu dem er schon mehrmals gebeten hatte. Oder er sagte auf einmal zur Baronin: »Ich habe eben eine Novelle geschrieben. Furchtbar schnell schreibe ich jetzt Novellen.« Dankbar leuchtete sein Auge auf, als Frau Anna 466 ihm in der Nacht vom 21. zum 22. den Hohenfriedeberger spielte. »O wer tut mir das zu Liebe?« Und in aller Herzensangst überwand die aufrechte Frau sich, dem Kranken auch die andern Lieblingsmärsche aus dem »Letzten Geleit«, vor allem den »Kurfürstlichen Reitermarsch«, zu spielen.

Immer hatte Liliencron sich gewünscht, wenn er schon den Strohtod sterben sollte, ohne lange, lähmende, schmerzhafte Krankheit dahinzugehn. Es ward ihm, was er ersehnt: nach wenigen Leidenstagen, den Schmerzen durch ärztliche Kunst immer wieder enthoben, schlief Detlev von Liliencron am Donnerstag, den 22. Juli, vormittags gegen elf Uhr ganz sanft ein.

Totenmaske
abgenommen von Richard Luksch

Durch den Fernsprecher gerufen und durch eine Karte von der Erkrankung Liliencrons benachrichtigt, zufällig in der Nähe des Hauptbahnhofs, traf ich, kaum eine Stunde nach dem Tode, als erster in dem Hause ein; Bekannte am Bahnhof in Alt-Rahlstedt wußten auch nur, daß es dem Freunde schlecht ginge. Im tiefsten Frieden, so schön, wie ich ihn im Leben nie gesehn, lag er in den Kissen, das Haupt leicht zur Seite geneigt, die Züge ganz unentstellt, auf den Wangen einen Hauch der Frische, die ihm immer eignete, die steile Stirn mit der Säbelnarbe unverzogen. Am Kopfende des Bettes stand der Degen, und von der Wand grüßten die Bilder der Kameraden, zwischen denen gerade in der Mitte der schmächtige, zarte Unteroffizier von Liliencron stand. Draußen schien die Sonne, und linde Luft zog mit einem Aufrauschen der Bäume durch die geöffneten Fenster.

Der Eindruck der ganz unerwarteten Todeskunde war ungeheuer, nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland, nicht nur bei den mit den nächsten Zügen eintreffenden, tief erschütterten Freunden, sondern weithin, wo immer man Liliencrons Kunst, wo immer man den Mann kannte und liebte. Unzählig waren die Zeichen echter, warmer Teilnahme. Mit dem Kaiser, der den »gottbegnadeten Dichter« pries, der Kaiserin, dem Reichskanzler und dem Fürsten Bülow, dessen Gast im Jenischpark an der Elbchaussee Liliencron im Jahre 1908 gewesen war, vereinte sich eine unzählbare Schar teilnehmender Menschen. Aus tiefer Erschütterung heraus schrieb Wilhelm Raabe:

»Hochgeehrte gnädige Frau!

Erst vor zwei Wintern hatte ich die Ehre und Freude, Ihrem Herrn Gemahl auch persönlich zu begegnen. In voller Daseinsfrische und Kraft saß er mir an einem schönen Abend gegenüber, und nun ist 467 er auch vor mir, dem Achtundsiebzigjährigen, hinweggegangen! Eben erst mein lieber Freund Hans Hoffmann, vor kurzem Ernst von Wildenbruch, und nun auch unser lebenstapferer Streiter und Sänger Detlev von Liliencron! Wer von den Neuen ersetzt uns Alten diese drei Charakterköpfe und Menschen? Teure Frau, der Name Ihres Gemahls wird bis in fernste Zeit in unserm Volk seinen guten Klang behalten und sein Werk seine Wirkung tun.

Mit herzlicher Teilnahme an Ihrem und der Ihrigen Schmerz, in Ergebenheit

Wilh. Raabe.«

An diesem Sarge gab es keine Unterschiede literarischer Richtungen mehr, keinen Unterschied von Jung und Alt, von Hoch und Niedrig, hier sprach eine tiefe und echte Trauer in echten und wahren Tönen.

Es war ein regnerischer Sommer. Aber am 25. Juli, einem Sonntage, strahlte die Sonne vom blauen Himmel, während Liliencron zu Grabe getragen wurde. Den Sarg, der im Erdgeschoß des Hauses stand, schmückten Kränze des Hamburger Senats, der Regimenter, der Stadt Altona, der Gemeinde Alt-Rahlstedt, des Nietzsche-Archivs, der Freunde, bescheidene Spenden von Volksschulklassen, von Kampfgenossen, von Verehrern allüberall. Nur die wenigsten von nah und fern gekommenen Trauernden konnten die kleinen Räume des Hauses betreten, und draußen in dem von Kränzen und Blumen erfüllten Garten drängte sich Kopf an Kopf. Der Probst Chalybäus trat an den Sarg und sprach im Anschluß an 1. Kor. 13 Worte des Trostes und der Liebe: »die Liebe höret nimmer auf.« Dann ward durch die dichten Reihen der Sarg hinausgetragen, den eine Regimentskapelle mit des Großen Kurfürsten Reitermarsch empfing. Die Fahnen der Kriegervereine wehten im Sommerwind, und von der Gartenpforte bis zum Kirchhof hin standen die Schüler aller Schulen Alt-Rahlstedts und der Nachbardörfer in langen Reihen, Knaben und Mädchen. Hinter dem Sarg trug Hauptmann Kloß vom Einundachtzigsten Regiment die Kriegsorden des toten Kameraden, dann folgten die Witwe und die Kinder, die Freunde, der ganze lange Zug mit den Abordnungen der Truppenteile, der Stadt Altona, der Gemeinde Alt-Rahlstedt, mit den Kriegsveteranen und ungezählten andern. Auf einem weiten Platz des Alt-Rahlstedter Kirchhofs war die Gruft ausgehoben. Wieder ertönte des Großen Kurfürsten Reitermarsch, während der Sarg hinabsank. Und dann sprach Richard Dehmel mit einer von Schmerz durchzitterten Stimme folgende Worte: 468

»Liebe Freunde und ihr Mitfühlenden alle! Wir müssen nun Abschied nehmen von diesem Toten, dessen Leben uns unsäglich beglückt hat. Es würde nicht in seinem Geist sein, hier viele Worte darüber zu machen, was wir an ihm verloren haben. Es würde erst recht nicht in seinem Geist sein, hier unsern Schmerz in die Welt zu rufen und einander das Herz noch schwerer zu machen. Wenn er jetzt unter uns treten könnte, er würde sagen: ›Kopf hoch, Leute!‹ Er würde es sagen, laut oder leise, mit seinem hellen trotzigen Lachen oder mit stillem gütigen Lächeln. Wir wenigen, die ihm die Nächsten waren, und die wir es anfangs kaum fassen konnten, als er so jäh uns entrissen wurde, Er, dessen Jugendkraft unverwüstlich schien, plötzlich vernichtet durch einen Hauch, durch nichts als einen tückischen Windhauch – nein, wir können es immer noch nicht fassen. Aber nicht wir Nächsten allein stehen hier um die Grube versammelt, in die feine sichtbare Gestalt jetzt versenkt wird; wir stehen hier mitten in einer Gemeinde, die weit über diesen Friedhof hinausreicht, grenzenlos weit ins Leben hinaus, vereint durch sein unsichtbares Bild, das uns der Tod nicht entreißen kann. An solchem Grab wollen wir nicht trauern, wir wollen unsre Herzen erheben! Wenn wir weinen müssen, ist es nicht bloß aus Schmerz; es ist aus überströmender Dankbarkeit, daß wir so Unendliches mitfühlen können. Des Dichters unvergängliches Werk, des Menschen unvergeßliches Wesen: ich weiß nicht, wodurch er uns mehr erhebt. Er war einer von den herrlich Gefügten, deren Leben und Dichten gleich kühn emporsteigt aus ihrer unverbrüchlichen Seele, so vollkommen gleich in freier Schwebe wie der herrliche doppelte Regenbogen, der sich gestern, nachdem wir in seinem Hause den Sarg über ihm geschlossen hatten, über den ganzen Himmel Hamburgs spannte, eine überirdische Ehrenpforte. Der Freiherr von Poggfred, so steht er vor uns, hoch über allem Standes- und Sittenzwang, aber treu jeder selbstgewählten Pflicht bis tiefst hinab ins Selbstlose, in das wir alle verkettet sind. Helm und Degen liegen auf seinem Sarg; so hat er's verdient, der alte Soldat, der mit Leib wie Seele für uns gekämpft hat, für uns Deutsche und für uns Menschen. Helm und Degen wird er nun immer tragen, und einen unverwelklichen Blumenkranz, wenn er im Geist vor uns aufersteht, nicht mehr nun der alte Soldat, sondern der immer junge Held, der uns entzückt von Kampfplatz zu Kampfplatz führt, wie zu einem hinreißenden Tanz. Denn so ist er in Wahrheit durchs Dasein getanzt, noch bis zu seiner letzten Reise, die er mit Weib und Kind unternahm, um den liebsten Menschen, die er hatte, seine geliebten Schlachtfelder zu zeigen. Dort hat ihn der feindliche Lufthauch 469 getroffen, der die tödliche Entzündung entfachte; und dann ist er dem Wink des Todes gefolgt, wie er den Winken des Lebens zu folgen pflegte, rasch dahin, ohne langes Gefackel. Ganz geschlossen ist das Spiel seines Lebens, wunderbar ganz in sich geschlossen, trotz aller Kreuz- und Querzügigkeit; vollkommen vollendet auch noch sein letztes Gedichtbuch, auf das er den Titel ›Gute Nacht‹ gesetzt hat, als ob er den Schlaf schon nahen fühlte, auf den er gefaßt war wie wenige, ohne Furcht vor der ewigen Nacht, ohne Hoffnung auf einen jüngsten Tag, sondern mit reiner ruhiger Ehrfurcht vor der unerfaßlich unerschöpflichen Macht, die uns leben und sterben läßt. Nein, er war nicht bloß der kindhafte Spielmann, nicht der harmlose Junker Übermut, der liebenswürdig leichtsinnige, für den ihn viele gehalten haben, die sich nur an der bunten Oberfläche seiner reichen Einbildungskraft vergnügten, oder die sich ärgerten an der allzeit offnen Hand des armen Schuldenmachers der Wirklichkeit. Er war auch der Mann der schweren Stunden, der einsamen Fragen und Gedanken, der auf Jesus mit den Worten wies: ›Nach innen sah ich seine Schmerzen weinen‹. Er hat nur deshalb das menschliche Leben in ein launisches Spiel der Natur umgedichtet, weil er den furchtbaren Ernst unsres Lebens aus innerster Erfahrung begriff, weil er sich frei davon machen wollte, frei von der grausigen Notwendigkeit und notwendigen Grausamkeit, vor der sein empfindliches Gewissen immerfort in Entsetzen geriet. Er hat sich ja nicht als Jüngling zum Dichter geschult, sondern als Mann erst, der vom Schicksal geprüft war, der auf Schlachtfeldern und in fremden Ländern die Menschen hatte ringen sehen. Das ist das Wunder an seinem gereiften Geist, daß beides innigst in ihm vereint blieb: der trotzige Jüngling, der unbedenkliche, und der gütige Mann, der nachdenkliche. Daher sein starkes, herzbefreiendes Lachen, das niemals zerrissen geklungen hat, und zu dem sein feines huschendes Lächeln wie ein gedämpftes Echo stimmte. Daher das herzgewinnende Plaudern des mitteilsamen Menschenfreundes, aber zugleich auch der lauschend verschleierte Blick des tief verschwiegenen Menschenkenners. Daher der edelmännische Zauber seiner ganzen Haltung und Zurückhaltung, diese seltsame Liebenswürdigkeit, der niemand sich entziehen konnte, diese unwillkürliche Umgänglichkeit, selbst wo er haßte oder verachtete, diese wohlbedachte Leutseligkeit, der nur seine nächsten Freunde anmerkten, wieviel zarte und harte Menschenscheu sich darunter in einsamer Tiefe verbarg. Und daher auch die Zauberkraft des Dichters, der selbst seine trübsten und leidvollsten Einsamkeiten in helle Lust für uns alle verwandelt hat, dieser große Unverkümmerte, der uns nun mit seiner 470 verklärten Stirn auch über den Abschiedsschmerz noch hinweghilft, auf seinem Regenbogen dahintanzend über dem irdischen Getümmel. Habe Dank, du wundervolle Seele! Ich höre Deine eigenen Worte: ›Der Himmel lächelt seinem Sonntagskinde‹. Ruhe nun aus vom Menschenelend, du tapferes, mildes, adliges Herz.«

Nach Dehmel brachte Hauptmann Otto vom Einundachtzigsten Regiment, dessen Vater mit Liliencron den Feldzug mitgemacht hatte, einen letzten Gruß: »Dem ritterlichen, unvergeßlichen Kameraden, in Erinnerung an das goldene Mainz, in Erinnerung an die Schlachtfelder von Metz und St. Quentin.« Jakob Loewenberg trat an die Gruft mit einem Nachruf im Namen der Literarischen Gesellschaft; er erinnerte an viele gemeinsame gute Stunden, er sprach davon, wie in dem kleinen Städtchen, in dem ihn die Trauerkunde traf, wildfremde Menschen einander auf der Straße zugerufen hätten. »Liliencron ist tot«. Im Namen der Hamburger Kunstgesellschaft legte ich mit Worten des Gedächtnisses einen Kranz von Lorbeer und Rosen an die Gruft. Dr. Friedrich Trefz sprach im Namen des Hamburger Journalisten- und Schriftstellervereins, des Hamburger Fremdenblatts und der Münchener Jugend, und der Veteran Zehle warf für alte Kampfgenossen einen Lorbeerzweig ins Grab. Während der Geistliche den Segen sprach, hallten drei Salven über den Kirchhof.

Peinlich geordnet fand sich der Nachlaß. Alle Papiere lagen am gehörigen Ort, über alles Wichtige war in eigenhändigem letzten Willen verfügt.

Richard Dehmel konnte, letztwillig dazu bestimmt, alsbald den Gedichtband »Gute Nacht« vorlegen. Er brachte noch eine Anzahl kräftiger, schöner Balladen und ein heißes Liebesgedicht »Arger Morgen«, das ausklingt:

Wolken, deckt die Sonne zu,
Daß sie mir die Glut nicht neidet!

Und er brachte nun das genau vor dreißig Jahren im Todesmonat zuerst niedergeschriebene Gedicht »Begräbnis« in geläuterter Form:

Wenn letzter Donner fern verrollt
Nach dunkler Sommerstunde:
Schon winkt ein erstes Wolkengold
Dem regensatten Grunde: 471

Die Sonne küßt die Gräber wach,
Die lieben Lerchen singen,
Es trägt der Wind den blauen Tag
Empor auf kühlen Schwingen:

In solcher Stunde senkt mich ein,
Viel Müh ist nicht vonnöten,
Es wird die Erde hinterdrein
Mir rasch den Sarg verlöten.

Streut Rosen, Rosen in das Grab,
Und spielt Trompetenstücke;
Dann brecht mir meinen Wanderstab
Mit fester Hand in Stücke!

Es fiel ein Blatt vom Baum, es fiel
Durch fruchtbeschwerte Aeste.
Nun geht zu euerm eignen Ziel,
Ihr meine letzten Gäste!

Zum eignen Ziel geht spielbereit,
Schwenkt hoch die Trauerfahnen,
Froh, daß ihr noch auf Erden seid
Und nicht bei euern Ahnen!

Auch ein Band Erzählungen »Letzte Ernte« ward von Dehmel zusammengestellt. In ihm erschien jene »Soldatenphantasie«, die aus dem Drama »Sturmflut« hervorgewachsene Geschichte »Der blanke Hans«, und in den andern Stücken tauchten alte Motive noch einmal empor: die Schuldennot, und in der kleinen Geschichte »Der gelbe Kasten« sogar die seltsame Todesart der kleinen Schwester Emma, die von einem Schwan geschlagen worden war. Das kriegerische Element in Liliencron klingt wie in letzter Verklärung noch einmal durch die Erzählung vom alten Wachtmeister des Dragonerregiments Anspach-Bayreuth, der einst von Friedrich dem Großen persönlich bei Leuthen befördert worden ist. Jetzt sitzt er uralt auf seinem Lehnstuhl vor dem Haidehäuschen, an ihm reiten während einer großen Rekognoszierung Napoleon und Blücher vorbei, und beide sprechen mit dem alten Soldaten. Napoleon läßt sich von dem alten Fritz erzählen, Blücher läßt ihm den Hohenfriedberger vorblasen. Am andern Tag aber 472 kommt Friedrich Wilhelm der Dritte vorüber und findet den Alten in voller Uniform tot im Lehnstuhl.

Richard Dehmel übernahm auch die Herausgabe von Liliencrons Gesammelten Werken und legte sie in acht schönen Bänden vor, deren erster im Jahre 1911 erschien. In dieser Überschau des großen Lebenswerks vereinte er am Schluß feinfühlig all die kurzen Prosastücke, die Liliencron zwischen seine Novellen und Gedichte zu schieben pflegte. Jetzt erst zeigten sie sich in ihrer eigentümlichen Knappheit und der Eigenart ihrer Stimmung, in der männlichen Kraft, die Conrad Ferdinand Meyer so lieb gewesen war.

Fest begründet steht Liliencrons Lebenswerk in seinem Volk. Immer neues Leben wächst aus seinem Werk, während draußen auf dem stillen Kirchhof in Alt-Rahlstedt – er liegt der Bahnlinie fast so nah wie Bismarcks Grab – die Haide, das rote Band der Erika immer fester, immer farbiger zusammenwächst. 473

 


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