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Schleswig-Holstein schiebt sich, von der Unterelbe und der Trave her, breit gegen Norden aus der norddeutschen Tiefebene vor; eine von wenigen Inseln begleitete, buchtenreiche Küste im Westen an der Nordsee, an der Ostsee nur zwei weit geschwungene Meerbusen, der Lübecker und der Kieler, zwischen ihnen die Halbinsel Wagrien und dieser vorgelagert die Insel Fehmarn. Dann folgt nördlich die Einschnürung zwischen der Bucht von Husum und der von Eckernförde; das Festland bleibt kaum halb so breit wie im Süden, ihm sind an beiden Seiten, zumal im Westen, Inseln vorgebaut, von den winzigen Halligen bis zu dem gehörnten und geschwänzten Sylt, von den kleinen Eilanden vor der Schleimündung bis zu dem wuchtigen Alsen. Die Lage zwischen den beiden Meeren schafft ein weiches, ziemlich gleichmäßig feuchtes Klima, sehr viel Wolkenbildungen von eigenem Reiz. Gleichlaufend den beiden Küsten durchzieht der norddeutsche Landrücken die flache Landschaft, fast genau in der Mitte, so daß der Provinzialwitz gern von dem Schweinerücken spricht, von dem rechts und links die Speckschwarten herabhangen. Mit den Hüttener Bergen nahe Eckernförde, dem Bungsberg in Holstein erreicht der Rücken für das Land ganz ansehnliche, weiten Ausblick gewährende Erhebungen.
Sehr verschieden sind die Landschaften, die östlich und westlich der Hochfläche sich dehnen. Im Westen die tiefe Marsch, gräbendurchzogen, eingedeicht, die einzelnen Höfe auf hohen Wurten oder Werften gegen Wasser geschützt; nördlich der majestätisch breit zum Meere strömenden Elbe flache, waldlose Gebiete, über die der Blick des Deichwanderers bis in blauferne Unerreichbarkeiten schweift. Unablässig wechseln Ebbe und Flut und verändern das Antlitz der Landschaft bis tief in die Ströme und Flüsse des Landes hinein. Das Wattenmeer, dem Strande vorgelagert, von langen Prielen gerillt, erhöht den Eindruck großartiger, fast farbloser Einförmigkeit, in die dann Flut und Sturm einfallen, jähe Umwälzungen in der kleinen Inselwelt der Nordseeküste hervorzuzaubern. Graue Städte an grauem Meer, keine zu größerem Umfang, keine zu großstädtischem Leben herangewachsen; und erst zwölf Meilen landeinwärts, an der den Südrand bildenden Elbe, Altona, trotz seinem ganz holsteinischen, ja, in manchem Betracht ein klein wenig dänischen Charakter doch undenkbar ohne das benachbarte Hamburg, auf das das ganze Schleswig-Holstein der Nordsee schaut. 16
Ganz anders sieht das Land östlich des Rückens aus. Hier liegt hinter dem Vorgeschiebe der Ostseeküste die Geest, wenig fruchtbares Land, viel Sandboden. Aber dazwischen erstreckt sich das Seengebiet von der Trave bis zur Schlei, eine fast ununterbrochene, reich gegliederte Kette blauer Wasserspiegel, um die grüne Buchenhaine sich dehnen. Und die Wälder setzen sich fort und begleiten fast die ganze Ostseeküste, die hier nichts von der wilden Größe Rügens oder des Samlands und der Kurischen Nehrung hat; lieblich geschwungene, oft wochenlang von jedem Wellengang gemiedene Buchten, ein breiter Strand, auf den die hohen Buchen ihre Schatten werfen. Im Schutze weit eingeschnittener Häfen große Städte, Flensburg, Kiel, Lübeck, Handelsplätze und sichere Stützpunkte der Kriegsflotte, die nun nicht mehr die Fahrt um die Spitze der Halbinsel braucht, um vom Baltischen zum Deutschen Meer zu gelangen, sondern im sichern Fahrwasser des Kaiser-Wilhelm-Kanals von der Holtenauer Schleuse bei Kiel den Brunsbütteler Hafen der Elbe erreicht.
Nicht nur die Spitze, sondern der größere Teil der ganzen Halbinsel gehört als Jütland zum Königreich Dänemark und ist von dem stammverwandten nordgermanischen Volk bewohnt, das auch im nördlichen Schleswig noch ein paar Tausend ihm nach Sprache und Art zugehöriger Einwohner zählt. Auch innerhalb des deutschen Landes gehen noch politische Grenzen durch: die Hauptmasse ist preußische Provinz, aber Hamburg und mehr noch Lübeck haben ländliches Staatsgebiet, und an der Ostsee liegt das schöne Fürstentum Lübeck mit Eutin, oldenburgische Herrschaft. Das Herzogtum Lauenburg, ganz in der Südostecke, von dem der prachtvolle Ratzeburger Dom wiederum Mecklenburg-Strelitz zugehört, ist noch nicht lange ganz mit der Provinz verbunden, seit der große Deutsche es für Preußen gewann, der hier in dem weiten Bereich des Sachsenwaldes seine Spättage verlebte. Der Sachsenwald war einst nach dem Vertrag von Verdun als Limes Saxonicus Grenzwald zwischen germanischer und slawischer Bevölkerung; ganz Wagrien war slawisch, von den Wagriern bewohnt; der Westen friesisch, einem Stamm zugehörig, der die Nordsee entlang und auf ihren Inseln seßhaft war; die Dithmarscher aber an der Unterelbe sind Sachsen. Und weiter nördlich saßen die Skandinavier. So trug die Landschaft früh Markencharakter. Mit Glück und mit Recht hat der Geschichtsschreiber der Deutschen Hanse die Ostsee dem Mittelländischen Meer verglichen: dann aber wird man ohne Künstelei Schleswig-Holstein etwa die Stelle der Peloponnes einräumen dürfen: beide ewig durchkämpft, mit eisern harten 17 Kleinrepubliken als Spitzen politischer Macht – vor allem erscheinen da die Dithmarschen als eine zähe Bauernrepublik von wildem Drang zu Freiheit und Selbstbehauptung, immer wieder siegreich gegenüber den Dänen wie den Holsteinern, bis endlich 1559 eine furchtbare Schlacht der dreihundertjährigen Freiheit ein Ende macht. Aber die Kämpfe auf der Halbinsel hören nicht auf, bis im Jahrhundert der nationalen Einigung zerteilter Völker das deutsche Schleswig-Holstein der dänischen Fremdherrschaft entrissen und als unablösbares Gut dem deutschen Staat zugeführt wird.
Es hatte, da es hinüber kam, auch einen reichen Schatz künstlerischer, literarischer, wissenschaftlicher Leistungen als Eingebrachtes aufzuweisen. Noch fehlt uns der Literarhistoriker, der einmal entwicklungsgeschichtlich darstellte, inwiefern dem Schrifttum der deutschen Marken eine Sonderart innewohnt: wie immer wieder von Österreich, von Ostpreußen, von der Schweiz, von da, wo deutsche Kultur mit fremder zusammenstößt, neue Töne in die Binnenheimat hineindringen. Dann würde Schleswig-Holstein ein sehr eigentümlicher Platz angewiesen werden müssen. Sein eigentlicher breiterer Einfluß beginnt im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts, zugleich mit der Befreiung des Landes vom ewigen Waffengang zwischen den das Land beherrschenden Fürstenhäusern. Längst waren die tapfern Grafen von Schauenburg ausgestorben; nun verzichtete der in Rußland regierende Zweig des Hauses Holstein-Gottorf auf Holstein, der letzte Sproß der alten Glücksburger Linie starb, und 1773 waren die Herzogtümer Schleswig und Holstein einem einzigen, freilich einem dänischen Landesherrn deutschen Blutes unterworfen, der sie von Kopenhagen aus beherrschte, aber für Holstein Mitglied des Deutschen Reiches, später des Bundes war. Nur das Fürstentum Lübeck blieb selbständig, und hier entfaltete sich zuerst ein eigenartiges geistiges Leben. Unter einem kunstsinnigen Herzog war Regierungspräsident in Eutin Graf Friedrich Leopold von Stolberg (1750–1819), aus Bramstedt gebürtig, ein Dichter von Rang, dem jungen Goethe nahestehend, später in die Romantik hineingeraten; mit ihm lebte und schuf sein Bruder, Graf Christian (1748–1821). Ihnen gesellt sich neben dem Mecklenburger Johann Heinrich Voß der erste große Lyriker des Landes, der erste wirkliche Lyriker unserer neuen Sprache: Matthias Claudius, 1740 in Reinfeld geboren. Von ihm geht deutlich ein Strang der neuen Kunst zum Göttinger Dichterbund, zum Hain hinüber, dessen Haupt wiederum ein Dithmarscher, Heinrich Christian Boie (1744–1806) ist. In Altona liegt der Tonderner Heinrich Wilhelm von 18 Gerstenberg (1737–1823) begraben, der einflußreiche Dramatiker in Sturm und Drang. Ein Mitglied des holsteinischen Fürstenhauses, der Herzog Friedrich Christian von Augustenburg, greift segensreich in Schillers Geschick ein und empfängt als dauerhafte Gegengabe die Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts.
Es war die Rückkehr zur Natur, zum einfachen Ausdruck schlichter Empfängnis, was Matthias Claudius von Holstein aus den Deutschen schenkte – im neunzehnten Jahrhundert bot das Land der Nation andere, tiefere Gaben: 1813 wird zu Wesselburen in Dithmarschen Friedrich Hebbel geboren, 1819 wenige Meilen davon, in Heide, der Erwecker des Niederdeutschen, Klaus Groth, ein Lyriker ersten Ranges, dem auf dem plattdeutschen Gebiet die bescheidene Sophie Dethlefs (1809–1864) vorangegangen war. 1817 erblickt in dem schleswigschen Husum Theodor Storm das Licht der Welt, im Gegensatz zu Hebbel und Groth ein Nachkomme patrizischer Häuser, und erobert mit den beiden Landsleuten das deutsche Leben – kein Landesteil hat dem großen deutschen Realismus drei Meister von solch weiter Wirkung gegeben, als deren radikales Gegenstück der rastlose poetische und politische Friese Harro Harring aus Ibenhof im Amt Husum (1798–1870) gelten mag. Und fast gleichzeitig treten aus dem meerumschlungenen Lande, das jetzt bewußt um Deutschtum und ungeteilte Einheit zu kämpfen beginnt, ins weitere Vaterland zwei Gruppen von je drei jungen Männern, jeweils ein Dichter und zwei Dichtung liebende und künstlerisch begabte Gelehrte. Von der Nordsee kommen mit Storm die Brüder Theodor und Tycho Mommsen aus Garding, von der Ostsee mit dem 1815 geborenen Emanuel Geibel Ernst und Georg Curtius aus Lübeck; jene leidenschaftlich, groß, Storm voll tiefer, durch die Kunstform atmender Leidenschaft, Theodor Mommsen ein politischer Kämpfer, bezwingend in der Kraft seiner geschichtlichen Darstellung, alle rechte Söhne des Sturmlandes – diese gehalten, maßvoll, früher abgeklärt, Kinder der farbenreichen Ostseeküste und darum auf den ägäischen Inseln rasch daheim. Wie durch den Eutiner Carl Maria von Weber die Musik zur Zeit der Romantik unsterbliche Gaben empfängt, so wirken im Laufe des Jahrhunderts die Söhne der Landschaft in der Kampfzeit und über sie hinaus auf alle Lebensgebiete: Asmus Jacob Carstens, der früh verstorbene, auf Zeichnung und malerische Stoffwahl; Wolf Graf Baudissin auf die Verbreitung Shakespeares, dessen Übertragung durch die Romantiker zum guten Teil sein Werk ist; Klaus Harms übt tiefe Wirkung als Kanzelredner; Georg Waitz wie Andreas Ludwig Jakob Michelsen und 19 Wilhelm Wattenbach als Geschichtsschreiber; Friedrich Adolf Trendelenburg als Philosoph und Philologe; Otto Jahn in der Archäologie; Lorenz Stein als Volkswirtschaftler; Friedrich Esmarch als Chirurg, und zwei gleich gerichtete Forscher, Carl Gustav Andresen und Karl Müllenhoff weisen große Leistungen auf dem Felde germanischer Sprach- und Altertumskunde auf. In der Dichtung wiederum schließt sich Theodor Storm die jüngere, weniger geschlossene Begabung Wilhelm Jensens (aus Heiligenhafen, 1839–1911) an, und er steht schon in der Mitte zwischen dem älteren realistischen und dem jüngeren Geschlechte, dem Detlev von Liliencron zugehört.
Die Familie von Liliencron, mit den Geschicken Schleswig-Holsteins und den alten Geschlechtern des Landes mannigfach verknüpft, ist doch nicht von altadeliger Herkunft. Der erste Träger des Namens ist Andreas Pauli; er empfing als junger Politiker von Gaben und Schliff auf dem Reichstag zu Regensburg am 2. Mai 1654 den Reichsadel mit dem Prädikat von Liliencron; am 4. Dezember 1665 wurde der Adel von Dänemark bestätigt, am 5. Juni 1673 gab Kaiser Leopold der Erste zu Laxenburg den Reichsfreiherrnstand hinzu. Das Wappen zeigt oben und unten silberne Balken, die mit silbernen Doppellilien belegt und von einer goldenen Königskrone überhöht sind; rechts und links prangt in Gold je ein gekrönter schwarzer Adler mit roter Zunge. 1707 nahm die sehr stolze schleswig-holsteinische Ritterschaft die neue Familie förmlich auf. Der erste Liliencron war mit Elisabeth van de Wiele vermählt, die ihm zu seinen Gütern Putlos und Storhammer noch Wulfshagen, Hütten und Mariagerkloster zubrachte.
Andreas Pauli war kein Verwandter des alten bremischen Patriziergeschlechts; er war der Sohn des begüterten Kaufmanns Paul Martens und seiner Ehefrau Margarete, geborenen Brechling, zu Bretstedt bei Husum, hatte die Rechte studiert und trat später, recht ein Kind des damals territorial zerrissenen Heimatlandes, in schwedische Dienste. Das brachte ihn in Todesgefahr; denn nach der Übergabe der schwedischen Armee im Feldzug gegen die Dänen 1659 sollte er als Bekämpfer seines rechtmäßigen Landesherrn geköpft werden – Bretstedt gehörte nämlich zum dänischen Anteil. Andreas gelangte aber, als vielgewandter und brauchbarer Mann, trotz alledem unter dem dänischen Herrn zu neuen Ehren, wurde Ministerresident am Kaiserlichen Hof in Wien und starb im Range eines Staatsministers am 22. August 1700. Seine Gruft lag ganz nahe der seines Nachkommens Detlev, im alten Hamburger Dom. Sein Grundbesitz machte mannigfache Wandlungen durch – er erweiterte sich rasch und bedeutend, ging dann aber 20 wieder bis auf knappe Reste zurück, zum Teil durch die Verschwendungssucht eines seiner Söhne, Andreas des Jüngeren auf Sehestedt, der mit einem Fräulein von Thienen verheiratet war; durch andere Heiraten waren die Liliencrons auch mit den Pogwisch verwandt, deren eine Goethes Schwiegertochter wurde. Andreas der Jüngere hielt in geradezu glänzenden Formen auf seinem Besitz Sehestedt Hof, und sein Sohn Friedrich Christian (1745 geboren) verfiel, nicht ohne Schuld des angehäuften Sorgenerbteils, in Irrsinn, wollte seine Frau, wiederum eine Thienen, töten lassen, wurde dann als Geisteskranker nach königlichem Geheiß auf die Insel Munkholm gebracht und ist wahrscheinlich 1803 gestorben. Als seine beiden Söhne die Erbschaft antraten, bestand sie nur noch aus dem Schwartenbecker und dem Ehrencronschen Fideikommiß und einer Geldsumme.
Diese beiden Liliencron, Urenkel des Gründers der Adelsfamilie, müssen sehr verschiedene Männer gewesen sein. Der jüngere, Ludwig Carl Christoph, mit einer Gräfin Luckner verheiratet, war ein sicherstelliger, in allen Stürmen der Zeit von 1800–1814 ruhig fortschreitender Offizier, der schließlich Oberstleutnant, Generalland- und Seekriegskommissar wurde. Von seinen Söhnen haben zwei nahe Beziehungen zur Kunst: der älteste, Friedrich (1806–1893), war Intendant des Altenburger Hoftheaters, der jüngere, Rochus (1820–1912), hat sich um die deutsche Volksliedforschung unsterbliche Verdienste erworben und lange Zeit die Allgemeine Deutsche Biographie meisterhaft geleitet; er war auch ein anmutig plaudernder Novellist. Ludwig Carl Christophs älterer Bruder hatte ein anfangs glänzendes, dann aber wandelbares Geschick; er, Andreas Ernst Christian (geboren 1774), saß zuerst als Erbe auf dem Schwartenbecker Familienbesitz, seit 1794 vermählt mit einer schönen und flotten Komteß Claretia Dorthe von Brockdorff; sie ließ sich aber, nach der Geburt der zweiten Tochter, 1798 von ihm scheiden und ward dem Landgrafen Friedrich von Hessen-Kassel, zu dem sie wohl schon früher Beziehungen unterhalten hatte, zur linken Hand angetraut – jenem Prinzen, dessen Adjutant, peinlich genug, ihr Schwager Ludwig Carl Christoph von Liliencron war. Andreas Ernst Christian, der als Kapitän (Hauptmann) und Oberkriegskommissar den Abschied genommen hatte, heiratete etwa 1800 zum zweitenmal, und zwar Anna Margarethe Friederica Griis oder Griese, eine Tochter des leibeigenen Kornschreibers Zacharias Griis zu Perdöhl und seiner Frau (geborenen Horsten). Aus dieser Ehe stammt Louis Ernst von Liliencron, und sein Sohn ist Detlev. 21
Die Heirat mit Friederike Griis (1774 geboren) war für den äußeren Wohlstand und die gesellschaftliche Stellung Andreas Ernsts und der Seinen sehr nachteilig; denn die Kinder dieser Ehe hatten keinen Anspruch auf die Familienfideikommisse, wie auf die ritterschaftlichen Rechte; überdies hatte Andreas Ernst mit dem freien Vermögen auch schlecht gewirtschaftet. Schon einmal war ein ähnlicher Fall in der Familie dagewesen: ein Liliencron hatte eine Apfelhökerin geheiratet und war als Sprachlehrer in Sachsen in kümmerlichen Verhältnissen gestorben. Damals hatte der Inhaber des Fideikommisses verfügt:
»Ich verstehe unter Ehelichen Leibeserben solche, die aus einer rechtmäßigen, nicht allzu ungleichen Ehe erzeugt werden . .«
alle andern sollten von diesem (Schwartenbecker) Fideikommiß ausgeschlossen sein. Die Ehe Andreas Ernsts mit Friederike Griis war nun »allzu ungleich«, sogar der Adel wurde am 30. Oktober 1829 den Kindern erst von Dänemark neu bestätigt und das Wappen etwas geändert; trotzdem aber war diese Heirat ein Segen für dies Liliencronsche Haus. Denn abgesehen davon, daß nach alter Erfahrung eine solche Blutauffrischung gut auszuschlagen pflegt, muß Friederike von Liliencron eine ausgezeichnete Frau gewesen sein – ihre Energie bewies das schöne Mädchen schon dadurch, daß sie durch einen Kniefall vor dem König ihren Herrn zur Heirat zwang. Sie erzog ihre Kinder gut, hing an ihnen und dem Gatten mit wärmster Treue und adelte Erinnerungstage – Taufe, Konfirmation – durch Dichterworte, die sie in einem offenbar empfänglichen Herzen festhielt und für den Hausgebrauch niederschrieb. »Fritze«, wie sie in der Familie genannt wurde, fand immer das rechte Wort. Wenn einmal der Weihnachtsabend froh mit dem Gatten und den vier Kindern, Louis, Andreas, Sophie und Hilda, verlebt worden ist, müssen alle sich in der Mutter Taschenbuch eintragen; der Vater schreibt: »Weihnachtsabend waren wir vergnügt miteinander, Hygum, den 24. December 1821«; und der älteste Sohn vermerkt darunter:
Leid aus Glück und Glück aus Leid
Gab die gute, graue Zeit;
Graue Zeit wird wieder jung,
Zukunft bringt Erinnerung.
Fritze aber klebt einen Blumengruß von Andreas und einen von Louis darunter; und auf der Rückseite nimmt in dänischer Sprache der 22 Hauslehrer an dem Familienidyll teil. Viel trüber klingt es ein paar Jahre später, nachdem Andreas, der Vater, 1823 abberufen worden war:
»Ich habe abgerechnet mit dem Schicksal, ich habe das Teil Glückseligkeit, das mir in diesem Leben beschieden war, empfangen, und in die Nacht gehüllt fließt nun mein Dasein dahin bis zum letzten Atemzug.
(10. März 1825.)«
Und mit Schillers Versen:
Das süßeste Glück für die trauernde Brust,
Nach der schönen Liebe verschwundener Lust
Sind der Liebe Schmerzen und Klagen.
Endlich spricht für Friederike die taktvolle und feine Anzeige des Todes ihres Gatten:
Nach fast zweijährigem Kränkeln starb am 17. März, um 3 Uhr Nachmittags, mein geliebter Mann, Baron Andreas von Liliencron, im noch nicht vollendeten 50. Jahre; tief betrübt stehe ich an seinem Sarge mit meinen vier noch unversorgten Kindern; auch bin ich fest überzeugt, daß seine beiden Töchter erster Ehe nebst Schwiegersohn innig diesen herben Verlust mit uns fühlen werden. Den Verwandten und Freunden des theuern Verewigten sey diese Anzeige gewidmet, überzeugt von ihrer aufrichtigen Theilnahme über meynen herben Verlust ohne Versicherung des Beileids.
Hygum, den 20sten März 1823.
Friederike, Baronesse von Liliencron,
geborene Griis.
Friederike ist erst 1862 gestorben, ihr zweiter Sohn, Andreas (1804–1856), gelangte nach der Schweiz, wo ein Teil seiner Nachkommen in Fabrikantentätigkeit lebt; eine seiner Töchter, Antonie, wanderte in den siebziger Jahren nach Amerika aus, dort Krankenpflege zu üben, andere Kinder des Zweiges sind nach Omaha und Nebraska verschlagen worden, haben in deutsch-amerikanische Familien geheiratet. Louis Ernst aber, Friederikes ältester Sohn, blieb in Holstein. Am 19. Juni 1802 war er in Kiel geboren worden und hat dort die Rechte studiert. Er war Mitglied des 1818 gegründeten Korps Holsatia. Bei Abschluß seines Studiums erwarb er in der Prüfung nur den dritten Grad, so daß seine Aussichten auf 23 Verwendung mit dem Titel eines Cand. jur. sehr gering waren. Er ward Schreiber bei dem Amtmann in Travendahl, nahm also eine Stellung ein, die ungefähr der eines heutigen Kreissekretärs entsprochen hätte und bei der damals noch üblichen wenig scharfen Scheidung zwischen den höheren und mittleren Beamten keinen Herabstieg bedeutete. Dann aber trat er, um bessere Aussichten auf Beförderung zu haben, in den königlich dänischen Zolldienst über und ward in Kiel selbst angestellt, wo er es bis zum Zollkontrolleur brachte. Der wesentliche Grund für das Ergreifen einer neuen Laufbahn war seine Heirat mit Adeline Sylvestra von Harten, die am 27. März 1808 in Philadelphia geboren war. Ihr Vater war ein amerikanischer Offizier deutscher Herkunft, aus dem Adel des Herzogtums Verden, der General von Harten; er hatte noch spät George Washington nahe gestanden. Schon 1781 vor der entscheidenden Übergabe von Yorktown nahm Harten an den Kämpfen gegen die Engländer teil, zeichnete sich dann 1790 bei den Zügen gegen die Indianer aus und lieferte ihnen, in Auswetzung früheren Waffenunglücks, am 21. Oktober ein blutiges Gefecht, nahe dem Ohio. Seine Gattin, um vieles jünger als er, stammte aus portugiesischem Herzogsblut; bei Adelines Geburt zählte sie erst dreizehn Jahre. Nach Hartens Tode heiratete sie einen amerikanischen Diplomaten und ist in Wien während des Kongresses gestorben, dessen schönste Frau nach dem Urteil eines fürstlichen Kenners sie gewesen sein soll.
Adeline war nach des Vaters frühem Tode bei Verwandten in England erzogen worden. Dort hatte sie auch die Familie Burt auf Coltenhouse in der Grafschaft Stafford kennen gelernt; als nicht mehr ganz junges Mädchen nach Holstein gekommen, setzte sie diese Beziehungen fort, die dann gegenüber der um achtzehn Jahre jüngeren Maria Burt besonders innig wurden und auch erhalten blieben, als diese im Jahr 1843 die Gattin des Majors Helmuth von Moltke geworden war. Adelina Sylvestra war zur selben Zeit, da die Mutter Louis von Liliencrons dort lebte, zu Altona in einer Pension, sie verlobten sich und heirateten am 19. Oktober 1841; und diesem Ehepaar ward am 3. Juni 1844 in der Lerchenstraße zu Kiel ein Sohn geboren, der am 20. Juli in der Taufe die Vornamen Friedrich Adolf Axel empfing. Der Vorname Detlev fehlt sowohl hier wie in allen späteren amtlichen Zeugnissen, auch das Kirchenbuch der Nikolaikirche kennt ihn nicht. Taufpaten waren der nahverwandte Kammerherr von Warnstedt, Frau Doktorin Weber, geborene von Rosenkranz, und, seltsam genug, der Landgraf Friedrich von Hessen, dessen Haus mit diesem 24 Liliencronschen Zweige einst in so trübe Beziehungen getreten war. In dieser fürstlichen Patenschaft lag zugleich eine volle Anerkennung der Nachkommen von Friederike Griis; und es sei erlaubt, in der geistlichen Verwandtschaft mit einem Nachkommen des Prinzen Friedrich von Homburg, Kleistschen Gedenkens, schon einen zarten Strahl der geistigen Wahlverwandtschaft zu sehn, die den Täufling später mit dem unsterblichen Verherrlicher des Patengeschlechts verband. 25