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Der Gegenstand der ersten ernsthaften Unterredung, zu welcher die wiedervereinigten Gatten nicht vor dem Frühstück des nächsten Morgens gelangten, war natürlich das väterliche Projekt. Astolf war höchlichst erstaunt und wollte es anfangs gar nicht glauben, daß Baby, die ihn noch eben so vergnügt aus den blauen Augen angelacht und ihm, vor Vergnügen krähend, die Aermchen entgegengestreckt hatte, »mit den Lungen nicht ganz in Ordnung sei«. »Was die Aerzte nicht alles redeten! Er habe eine Lunge wie ein Bär; sein Vater habe eine für zwei Bären gehabt; nun solle Baby plötzlich nur eine halbe haben? Unsinn!« Aber sein Vertrauen zu der Bärenhaftigkeit der Vachtaschen Lungen hielt vor Susis mütterlicher Beredsamkeit nicht stand. Nach fünf Minuten gab er kleinlaut zu, daß mit dem verflixten Dinge, dem Stethoskop, nicht zu spaßen und, wenn die Sachen so lägen, wenigstens an eine Winterreise zum Großpapa mit Baby nicht zu denken sei. Womit dann selbstverständlich auch der ganze Plan einer Übersiedelung nach Ostpreußen vorläufig fallen gelassen wurde. Baby gehe vor – das werde er dem Papa klar machen, notabene mündlich! Brieflich schicke sich das nicht; dazu habe sich die Idee bei dem Papa schon zu fest gesetzt. Er werde also in vierzehn Tagen wieder hinrasseln müssen, um so mehr, als dann da oben ein Termin stattfände, bei dem es sich um den Ankauf eines Nachbargutes handle, auf welches der Papa seit Jahren spekuliert habe – ein hochwichtiges, voraussichtlich sehr lukratives Geschäft, das nur er zu einem günstigen Abschluß bringen könne.
Susi war mit diesem Resultat ganz zufrieden. Sie umarmte ihr großes Baby, das immer Vernunft mit sich reden lasse. Übrigens werde sich keiner über diese Lösung aufrichtiger freuen, als der Herzog. Sie habe ihm, um ihn doch auf die Eventualität vorzubereiten, das Projekt mitteilen zu sollen geglaubt und sich damit seine allerhöchste, für ihr großes Baby allerdings mehr als schmeichelhafte Ungnade zugezogen.
So suchte denn Astolf am folgenden Tage halb leichten, halb schweren Herzens um eine Audienz bei seinem fürstlichen Freunde nach, die ihm sofort bewilligt wurde. Er war über das Aussehen des Mannes erschrocken: die sonst so frische Gesichtsfarbe fahl und grau; mit eingesunkenen, glanzlosen Augen; schlaffen, nervös zuckenden Lippen; richtige Falten von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln herab – als wären nicht vierzehn Tage, sondern ebensoviele Jahre hingegangen, seitdem er ihn zum letztenmal gesehen.
Aber der Herzog wollte nichts von Kranksein hören. Er sei nicht krank, nicht einmal unwohl, nur verärgert, schwer verärgert! Da möge der Kuckuck sich nicht ärgern! Dieser Landtag! Dieser Nagel zu seinem Sarge! In der letzten Session sei es schon schlimm gewesen, in dieser werde es noch schlimmer werden; bei dem schändlichen Ausfall der drei Nachwahlen habe die biedere Opposition vollends Wasser auf ihrer Mühle. Und wenn er, wie jetzt mit Sicherheit vorauszusehen, in der Domänenfrage abermals nicht zu seinem guten Recht komme, so sei er positiv ein ruinierter Mann und könne bei den Residenzspießern und den Bauern auf dem Walde betteln gehen. Und zu dem landesväterlichen Ärger nun noch der private! Der Haupttrumpf der Opposition sei bekanntlich von Anfang an gewesen, daß er mit dem Gelde nicht umzugehen wisse, es zum Fenster hinauswerfe für seine Jagden, seine Maitressen! Seine Jagden! Ja, wolle man ihm nun auch noch das Jägerhandwerk legen, ihm, dem Herrn des Waldes, dem Nachkommen so und so vieler Generationen von Herren des Waldes? Und seine Maitressen! Daß Gott erbarm! Dies eine armselige Verhältnis! Gut! Er habe der biederen Opposition auch dies Opfer bringen wollen; der Reinerz einen Wink zukommen lassen, sie möge sich in Zukunft schlechterdings nur als Hofopernsängerin betrachten und eine Privatwohnung in der Stadt nehmen, wie sie sich für ihre Verhältnisse schicke. Er müsse lügen, wolle er sagen, diese gründliche Operation habe ihm Schmerzen gemacht. Aber das sei eine Sache für sich und gehe die öden Spießer nichts an. Was sei der Dank dieser überaus braven, tugendsamen Leute für seine Kondescenz? ›Ob man jemals von solcher Undankbarkeit gehört habe? Ein Wesen, das einem alles geopfert‹ – bei Gott, Astolf, ›alles geopfert!‹ Die Reinerz! ist es nicht zum Todlachen? ›aufs Pflaster zu setzen? aufs nackte Pflaster!‹ – So der Bericht Brenkens, der es ja natürlich wissen müsse!
Astolf hatte den Lavastrom sich ergießen lassen, im stillen erwägend, wie überaus seltsam dies doch sei. Derselbe, der die Domänenfrage stets auf die leichteste Achsel genommen, plötzlich unter ihrer Wucht zusammenbrechend! sich von der Geliebten, die ihn noch vor wenigen Wochen völlig zu beherrschen schien, Knall und Fall trennend! Er mußte krank sein; es gab keine andre Erklärung. Und doch sollte es noch seltsamer kommen.
Er hatte kaum angefangen, die Klagen des Herzogs in vorsichtiger Weise auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen, als dieser, der mit ungleichen Schritten vor ihm in dem Kabinett auf und ab ging, sich auf den Hacken wendend, stehen blieb und rief:
»Ich weiß alles, was du sagen willst. Nur eines wirst du nicht sagen: daß du im Grunde an der ganzen Kalamität schuld bist. Es ist wahr, ich wollte anfänglich nichts davon wissen, daß du in den Staatsdienst tratst; wollte wenigstens einen freien Menschen um mich haben, auf den ich mich verlassen konnte; hatte dich auch zu lieb, dir eine solche Kette ans Bein zu hängen. Aber du bist ein Jahr älter als ich; warst immer mein Mentor; du durftest deinen Telemach nicht wild laufen lassen, hättest ihn eines Besseren belehren sollen. Warum hast du als Student gebüffelt, rite deine Examina gemacht, an dem preußischen Staatskarren, obgleich sie da doch wahrhaftig Leute genug haben, nach Kräften mitgezogen? Das war doch, mit deiner gütigen Erlaubnis, die reine Felonie, der offenbare Verrat an mir, deinem Freunde und Landesherrn. Der sich unterdessen mit einem solchen Esel von Minister, wie unser guter Rörlach ist, begnügen mußte! Wer hat mich denn in diese miserable Domänenfrage so tief hineingeritten? Er! nur er! Wer kann mich aus dem Sumpf wieder aufs Trockne bringen? Du! nur du! Ja, reiße nur die Augen auf! Ich habe mir während dieser Tage alles überlegt, alles überdacht. Ich brauche durchaus einen Mann, der Kenntnisse hat, nicht bloß allgemeine, theoretische, am grünen Tisch vom Nachbar rechts, vom Nachbar links zusammengeborgte – die kann jeder haben; die sind so billig wie Brombeeren – nein, wirkliche, individuelle, wie du sie hast, der Land und Leute und die Verhältnisse hier so gründlich aus praktischer Erfahrung kennt. Und einen, der nicht zu allem ja sagt wie dieses knickerige Rohr von Rörlach – Rohr von Rörlach ist gut! ich werde ihn unter diesem Namen in den Grafenstand erheben – sondern der steifnackig ist, wie du, und den Spießern, Ackerbürgern und dem Advokaten- und Winkelkonsulentengesindel im Landtag die Zähne zeigen kann. Das ist mein fester Entschluß. Und wäre er es noch nicht gewesen, was mir deine Frau da neulich erzählt hat von dem famosen ostpreußischen Projekt – du hast ja vorhin freilich angedeutet, die Sache sei wenigstens aufgeschoben. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ich wette Kopf und Kragen: nach ein paar Monaten fängt die Litanei von neuem an. Das kann ich und will ich nicht dulden. Ich kann und will dich nicht missen. Du bleibst mein Freund – das versteht sich von selbst – aber mein Minister mußt du ebenfalls werden. Du hast dich immer beklagt, daß du hier brach liegst. Es ist auch wahr, und ich bin überzeugt, was dich mehr als alles nach dem Barbarenland zieht, ist, daß du da einen Wirkungskreis en gros zu finden hoffst. Nun, groß ist mein Herzogtum leider Gottes nicht; aber eine ostpreußische Grafschaft wiegt es am Ende doch noch auf. Sage ja, Alter, und die Sache ist abgemacht!«
Astolf wußte nicht, was er ihm, der bei den letzten Worten seine beiden Schultern wie krampfhaft gefaßt hatte, unter andern Umständen geantwortet haben würde; aber dem so dringenden Wunsche des aufgeregten Mannes, der doch auch sein Fürst war, durfte er kein schroffes Nein entgegensetzen. Er sprach in bewegten Worten, die ihm aus dem Herzen kamen, seinen Dank aus für einen so großartigen Beweis des Vertrauens, und fügte nur die Bitte hinzu, Hoheit möge verstatten, daß sie zu einer Stunde, wo sie wohl beide ruhiger sein würden, als in diesem Augenblick, das Projekt noch einmal ausführlich besprächen. Davon wollte der Herzog anfänglich nichts hören. Aber, da Astolf fest blieb, mußte er schließlich nachgeben, und Astolf eilte zu seiner Susi, ihr die große Neuigkeit mitzuteilen.
»Du hast recht gethan,« sagte Susi, »nicht sofort zuzugreifen. Die Sache will überlegt sein.«
Sie überlegte die Sache mit ihrem Astolf an diesem und an den folgenden Tagen, wobei es zu der Entscheidung kam, daß der Herzog die Konzession machen müsse, die Sache bis zu Astolfs Rückkehr von seiner zweiten Reise nach Ostpreußen in suspenso zu lassen. Erweise sich der demnächst zusammentretende Landtag in der Domänenfrage gefügig – und dafür spräche doch so manches – sei Astolfs Ministerium im Grunde gegenstandslos, und der Herzog könne in Gottes Namen mit dem alten Rörlach ruhig weiter regieren. Dazu erfordere die Rücksicht auf den Papa, daß man ihm nicht mit einem fait accompli entgegenträte, welches die Hoffnungen, in denen er sich wiege, so grausam zerstöre und nicht, wie die Rücksicht auf Babys Zustand, sich selbst rechtfertige, vielmehr Astolf von dem Enttäuschten als purer Ehrgeiz ausgelegt werden würde.
Susi hatte ihre sehr gewichtigen Gründe, der Angelegenheit diese Wendung zu geben. Der Herzog mußte durchaus in der Furcht, sie auch wieder verlieren zu können, erhalten, immer daran erinnert werden, daß trotz alledem zwischen Lipp' und Kelchesrand ein Abgrund schwebe, den sie, und sie allein auszufüllen vermöge, wenn sie wolle, und der – wiederum, wenn sie wolle, – unüberbrückbar sei. Andrerseits durfte Astolf nicht ahnen, daß sie gern hier bliebe, irgend etwas andres sie halte, als die mütterliche Sorge für Baby. Es bedeutete eine Sicherung ihrer Position nach zwei Seiten; dafür mußte sie freilich eine dritte freigeben, für die sie von Anfang an gefürchtet hatte: Herr von Brenken war offizieller Mitwisser des Geheimnisses geworden. Es hatte sich nicht anders machen lassen. Sollte der Verkehr des Paares nicht auf die Begegnungen beschränkt bleiben, welche größere und kleinere Hoffestlichkeiten vermittelten, und den von hundert Späheraugen und -Ohren überwachten Austausch verstohlener Blicke und in der Hast geflüsterten Worte; sollte der Herzog sich nicht in ungestillter wilder Leidenschaft vollends verzehren, mußte ein sicherer Ort für ungestörte Zusammenkünfte ausfindig gemacht werden. Es gab nur einen, auf den der Herzog auch sofort verfallen war, und den Susi aus einem sehr triftigen Grunde refüsiert hatte: es dünkte ihr ein böses Omen, ihren fürstlichen Geliebten da zu empfangen, wo sich die Erinnerung von Geschehnissen nicht abweisen ließ, an die sie nicht erinnert sein wollte, an die er sich nicht erinnern durfte, wenn er »seine Königin« anbetete. Der Weg zu einem goldenen Sessel neben dem Herzogsstuhl führte nicht über die Schwelle, welche der Fuß einer Pauline Reinerz so oft betreten hatte.
Aber wie sehr sie auch ihre feinen Sinne vor einem Schritte warnten, der nicht in die Höhe, sondern entschieden abwärts führte, – hier stand alles auf dem Spiel.
Es war eine schlimme Stunde für Susi, als sie wenige Tage nach Astolfs Heimkehr, während dieser nach Vachta hinausgefahren war, Brenken zum erstenmal in der Angelegenheit empfangen mußte. Aber sie fand – heut mit ganz besonderer Genugthuung –, daß kein Spiel so bös war, für das der Mann nicht eine gute Miene gehabt, und keine Sache so uneben, die er nicht glatt gemacht hätte. ›Die Moral sei eine Erfindung von Spießbürgern für Spießbürger, und in diesem Falle würde selbst das tugendsamste Spießbürgerauge keine Unmoralität entdecken können. Auch nicht die Spur davon. Daß ein geistvoller Mann, wie der Herzog, sich zu einer nicht minder geistvollen Frau hingezogen fühle; dieser Zug – nicht der Sinne, auch nicht einmal des Herzens – wer denke denn daran! – sondern eben nur des nach seiner legitimen Nahrung hungrigen Geistes, der, wie alles in der Welt, auf Gegenseitigkeit beruhe – das sei ein Naturgesetz, von Goethe in den Wahlverwandtschaften sanktioniert. In den Wahlverwandtschaften erleichtere das gleiche gesellschaftliche Niveau, auf welchem die Herrschaften verkehrten, den Austausch der gleichgestimmten Seelen, dem sich an einem Hofe allerlei lästige Hindernisse entgegentürmten, die aus dem Wege zu räumen, ebenso notwendig wie legitim sei. Nun biete sich die nahe und doch abgelegene Villa im Park wie von selbst zu einem ungestörten behaglichen Plauderstündchen, das er wahrlich dem von Geschäften überbürdeten, verärgerten Herzog herzlich gönne, und nicht minder der gnädigen Frau, die gewiß auch ihre hausmütterlichen Sorgen die Hülle und Fülle habe. Er höre, daß Astolf übermorgen zu einem Termin nach Schwanfelde fahre, von dem er erst am nächsten Tage zurückkommen werde. Wenn die gnädige Frau, den langweiligen einsamen Abend zu kürzen – vielleicht um neun Uhr – eine Tasse Thee bei einem einfachen Junggesellen, wie er, in der Villa annehmen wolle, und zu der möglicherweise auch der Herzog auf ein halbes Stündchen erscheinen würde, glaube er, Hoheit durch ihre Zusage eine angenehme Ueberraschung bereiten zu können. Apropos! die gnädige Frau wisse doch, daß der Herzog die große Gnade gehabt habe, ihm die Villa zu schenken, die er freilich erst im Frühjahr beziehen könne, da ihn die Intendanturgeschäfte während des Winters leider in seiner schrecklichen Stadtwohnung festgebannt hielten.‹
Susi hatte noch einige Einwendungen und Bedenken, die Herr von Brenken sehr zart, aber – mit ihrer gütigen Erlaubnis – ebenso thöricht fand, worauf er sich mit einem respektvollen Handkuß verabschiedete, der durchaus nicht an die heißen Küsse mahnte, welche er in der letzten Minute der Fahrt nach dem Rosenstein auf dieselbe kleine Hand gedrückt hatte.
War Susi mit der diplomatischen Haltung des Mannes in der delikaten Sache hoch zufrieden – er selbst war es in einem noch viel höheren Grade. Wenn er auch die Liebe zu den andern Vorurteilen zählte, die er längst über Bord geworfen, gerieten seine Nerven in Zittern, so oft er nur in die Nähe des reizendes Weibes kam; und er hatte die erstaunliche Großmut, sie dem Herzog zuzuführen! Aber wenn man etwas, das man gern haben möchte, aus der ersten Hand nicht haben soll – was kann ein kluger Mann thun, als geduldig seine Stunde abwarten, sicher, daß sie einmal kommen wird!
Und nun diese Scene mit Pauline, als er ihr ankündigte, daß sie die Villa binnen vierundzwanzig Stunden räumen müsse! Ihm klangen noch die Ohren davon! Paulines üble Gewohnheit, leicht in Zorn zu geraten, und, wenn sie in Zorn geriet, im Ausdruck und auch sonst keine Schranke zu respektieren! Auf den Herzog pfeife sie! Sie habe längst gewußt, daß er sich just so viel aus ihr mache, wie sie sich immer aus ihm gemacht habe. Aber weshalb deshalb aus der Villa? Und noch einmal weshalb, wenn es denn wirklich wahr sei, daß sie jetzt ihm gehöre? Dann habe sie doch doppelt und dreifach das Recht, wohnen zu bleiben, da sie schon einmal offiziell für seine Geliebte gelte, und er doch nicht werde in Abrede stellen wollen, daß sie nicht erst seit heute und gestern seine Geliebte sei. Ob der Herr Intendant – sie gratuliere übrigens zum Avancement – mehr Rücksicht auf die Dehors zu nehmen habe, als der mit der Führung der Intendanturgeschäfte interimistisch betraute Kammerherr, müsse sie bezweifeln. Uebrigens wisse sie – auch nicht erst seit heute und gestern –, daß er lüge wie gedruckt. Mit dem Intendanten werde es wohl seine Richtigkeit haben, denn es sei im Theater angeschlagen, abgesehen davon, daß es in der Landeszeitung stehe. Aber an die geschenkte Villa glaube sie nicht. Oder aber die Villa und der Intendant seien ihm geschenkt für gewisse Dienste, die er in bekannter Weise einem gewissen Herrn zu leisten, freilich der Rechte sei. Und sie werde schon herausbringen, was, vielmehr wer dahinter stecke. Sie habe schon genug munkeln hören, um auf die rechte Fährte zu kommen.
Von dem Panzer der Menschen- und Selbstverachtung, den Brenken längst Sommer und Winter, Tag und Nacht trug, waren schon schärfere Pfeile machtlos abgeprallt; und so hatte die Wütende wohl die Genugthuung, ihrem Chef und Liebhaber gründlich die Wahrheit gesagt zu haben; aber die Villa mußte sie in der vorgeschriebenen Zeit mit einer nicht einmal besondern komfortablen Stadtwohnung vertauschen. Daß es sich in dieser komplizierten Angelegenheit einfach um eine neue Liebschaft des Herzogs handle, darüber war die vielerfahrene Dame nicht einen Augenblick in Zweifel gewesen. Schon die nächsten Tage bestätigten ihre Voraussetzung. Binnen vierundzwanzig Stunden war das alte Mobiliar der Villa mit einem neuen, höchst kostbaren vertauscht worden, das ein ihr bekannter Tapezierer und Dekorateur der Stadt geliefert hatte. Solchen Luxus konnte sich nur der Herzog verstatten, und nur auf seinen Befehl so schnell gearbeitet werden. Ebenso wenig durfte das frühere Dienstpersonal bleiben: ein andres, selbstverständlich in Eid und Pflicht tieffster Verschwiegenheit genommenes, war eingezogen.
Wiederum vierundzwanzig Stunden später wußte Pauline, daß sie nicht minder in der hauptsächlichen: der Personenfrage ahnenden Gemütes das Rechte und die Rechte getroffen.
Die Bestätigung wurde ihr durch den Sohn des Hofgärtners, der seine Wohnung zweihundert Schritte von der Villa tiefer im Park hatte: einem hübschen, drallen, intelligenten Burschen von neunzehn Jahren, ihr aus mancherlei Gründen mit Leib und Seele zugethan. Bernhard hatte den Auftrag von seiner Gebieterin, die Villa Tag und Nacht zu überwachen und ihr sofort von allem, was da etwa Verdächtiges passiere, Nachricht zu geben. Am dritten Tage, als sie bereits zur Ruhe gehen wollte – sie hatte am Abend wieder einmal die Elvira im Don Juan gesungen, und die Hofloge war leer gewesen – wurde an der Thür ihrer Wohnung geschellt und das Mädchen fragte herein, ob das gnädige Fräulein für Bernhard Müller noch einen Augenblick zu sprechen sei? Pauline war freilich schon in etwas tiefem Negligé; aber vor dem lieben Jungen brauchte sie sich nicht zu genieren.
Der liebe atemlose Junge, nachdem sie ihn durch ein Glas Madeira gestärkt hatte, berichtete:
Er sei heute abend wieder – unter dem Vorwand, im großen Gewächshaus nach der Feuerung sehen zu müssen – zur Villa geschlichen und habe sich in einem Boskett, von dem er sowohl die Hauptthür als auch das Seitenpförtchen gut beobachten konnte, auf die Lauer gelegt, sicher, daß heute abend etwas passieren werde, denn durch die roten Vorhänge des großen Salons eine Treppe hoch nach vorn habe zum erstenmal Licht geschimmert. Es sei bitter kalt gewesen, woraus er sich nichts gemacht habe; aber mit jeder Minute sei es dunkler geworden und zuletzt habe es sogar angefangen zu schneien. Gott sei Dank seien seine Augen scharf, und so habe er denn kurz vor neun die in Mäntel gehüllten Gestalten von zwei Herren gesehen, von denen der eine der Größe und dem Gange nach unbedingt Hoheit gewesen. Die Herren seien durch die vordere Thür eingetreten. Er habe sich nun – warum wisse er eigentlich nicht – vorsichtig weiter nach der Seitenpforte geschlichen, und richtig, nach etwa zehn Minuten sei plötzlich aus der Allee zur Stadt eine ganz schwarz gekleidete, nicht große Dame aufgetaucht und sehr schnell auf das Pförtchen zugeschritten, das sich, noch als sie mehrere Meter davon entfernt gewesen, vor ihr geöffnet habe, und in dem sie dann auch verschwunden sei. Wieder nach etwa zehn Minuten habe er die Hauptthür gehen hören und einer von den beiden Herren sei an ihm vorübergekommen – diesmal so nahe, daß er Herrn von Brenken deutlich erkannt habe.
»Ich blieb nun ruhig jetzt abermals der Hauptthür gegenüber sitzen,« fuhr Bernhard fort, »und würde die ganze Nacht da gehockt haben, mochte Vater hinterher noch so bös schelten. Es sollte nicht lange dauern – höchstens eine Stunde. Dann kamen Hoheit und die Dame. Sie gingen keine fünf Schritt an mir vorbei; aber das half mir nichts: die Dame war dick verschleiert. Dann bin ich hinter ihnen her gewesen – immer von Baum zu Baum, gnädiges Fräulein – die halbe Allee, bis wo der Seitenweg nach dem Schloß führt. Da ist Hoheit rechts – denn Hoheit ist es gewesen – gnädiges Fräulein, das will ich beschwören – ja, da ist Hoheit rechts abgebogen und die Dame geradeaus weiter nach der Stadt gegangen. Na, gnädiges Fräulein, von da bis zur Stadt ist nimmer weit; ich konnte mich auch jetzt, besonders als wir erst richtig zwischen den Häusern waren, näher an sie machen, was auch ganz gut war, weil uns doch manchmal Leute begegneten, hinter denen sie mir vielleicht aus den Augen gekommen wäre.«
»Aber schließlich,« rief Pauline ungeduldig, »es war die Baronin Vachta?«
»Wird es wohl gewesen sein,« sagte Bernhard; »sie ging wenigstens in das Vachtasche Haus.«
»Es ist gut,« sagte Pauline; »und nun gute Nacht, lieber Junge, du wirst müde sein.«
»Gar nicht,« sagte der Bursch mit blitzenden Augen, während die weißen Zähne zwischen den roten Lippen schimmerten.
»So magst du noch ein halbes Stündchen bleiben,« sagte Pauline; »aber ich bitte mir aus, daß du heute artig bist.« –
Als Astolf am Morgen nach der Rückkehr von Schwanfelde die inzwischen eingelaufenen Briefe öffnete, traf er auf einen in offenbar verstellter Hand ohne Unterschrift. Dergleichen war in der Stadt, wo man jahraus jahrein an Klatsch und Verleumdung Unglaubliches selbst in der sogenannten besten Gesellschaft leistete, nichts Ungewöhnliches. Er wußte nicht, weshalb er von seiner Gepflogenheit, solche Schandbriefe nicht zu lesen, diesmal abging.
Der Brief lautete:
»Ein guter Hirt läßt sein Leben für seine Schafe. Wie kommt es denn, daß Sie das einzige, das Sie haben – noch dazu ein so goldiges – wild laufen lassen? Oder meinen Sie, es gibt hier zu Lande keine Wölfe? Das sollten Sie, als Landeskind, doch besser wissen. Ich rate Ihnen: machen Sie Ihre Augen auf, und Sie werden einiges entdecken, was für den Ehemann gerade nicht erfreulich, immerhin recht lehrreich ist! Goethe sagt: ›das Schweigen ziemt allen Geweihten genau‹. Da Sie nun einmal zu dieser illusteren Gesellschaft gehören, so schweigen Sie, aber – handeln Sie! Den Schauplatz dazu finden Sie in einer gewissen Villa im Park, in welcher der Landesvater nur seine besonders geliebten Kinder zu empfangen pflegt.«
Astolf zerriß gelassen den Brief von oben bis unten und warf die Fetzen in das gerade morgendlich hell brennende Ofenfeuer.
Zwei Tage später kam er abends aus dem adeligen Kasino, in welchem er gelegentlich eine Partie Whist zu spielen pflegte. Obgleich es bereits stark auf zehn ging, war die Hauptstraße noch ziemlich belebt. Ein schneidend scharfer Wind wehte ihm entgegen; er hatte sich dicht in seinen Pelz gehüllt. Plötzlich war eine hochgewachsene Dame neben ihm, deren Gesicht mit einem schwarzen Schleier verhüllt war. Er machte noch ein paar Schritte, blieb dann stehen und fragte höflich: »Kann ich mit etwas dienen, Madame?« – »Ja,« erwiderte die Verschleierte mit dumpfer Stimme, »aber nicht mir, sondern Ihnen selbst, wenn Sie dies hier nehmen und benutzen.« – Damit hatte sie ihm einen Schlüssel in die Hand gedrückt und war mit langen Schritten in dem Seitengäßchen, aus dem sie aufgetaucht war, verschwunden.
Astolf besah im Licht der nächsten Laterne das sonderbare Geschenk: offenbar ein, übrigens auffallend sauber gearbeiteter Hausschlüssel. Er wollte eben das Ding wegwerfen, als er Schritte hinter sich hörte und, sich wendend, zwei Bekannte erblickte, die, ebenso wie er, aus dem Kasino kamen. Wenn sie die Scene mit der Dame auch nicht beobachtet hatten, in ihrer Gegenwart konnte er den Schlüssel nicht auf das Trottoir klirren lassen.
So ließ er ihn in die Tasche seines Pelzes gleiten.