Friedrich Spielhagen
Susi
Friedrich Spielhagen

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Zehntes Kapitel.

Seit dem Besuch auf Burg Rosenstein waren zweimal vierundzwanzig Stunden vergangen.

Jahre, bevor sie lange Kleider getragen, war Susis ständiger Traum gewesen, daß dereinst ein Prinz kommen und sie zur Prinzessin machen werde. Der Prinz war gekommen; aber zur Prinzessin hatte er sie vorläufig noch nicht gemacht. Das war ein böser Fleck auf dem glänzenden Bilde. Ihn zu tilgen würde nicht leicht sein. Die erste Bedingung dazu war, sich der Liebe ihres Liebhabers versichert zu halten, und nach dieser Seite durfte sie sich vorläufig aller Sorge entschlagen.

Seine Liebe grenzte an Raserei, war Raserei. Er weinte Thränen der Wonne in ihren Armen, was ihr einigermaßen lächerlich dünkte. Als sie ihn auf seine flehentlichen Bitten zum erstenmal Du genannt und seinen stolzen Namen Heinrich in ein kosendes Heinz umgewandelt hatte, war er vor Freude außer sich gewesen und hatte ihr in stürmischer Dankbarkeit die Füße geküßt. Er war ihr Sklave, rühmte sich dessen, wollte nichts andres sein. Er schwur, daß mit der Liebe zu ihr sein Leben begannen habe, um in dieser Liebe auch seinen Abschluß zu finden; ihm eine Zukunft ohne sie als Chaos erscheine, Trennung von ihr und Tod dasselbe bedeute.

Und dann der ewige Refrain: »Ich beanspruche nicht, Engel, daß du mich liebst, wie ich dich liebe. Es wäre unmöglich. Sage mir nur noch ein einziges Mal, daß du mich ein ganz klein wenig liebst!«

Susi sagte es ihm. Und daß sie, bevor sie ihn gekannt, nicht gewußt habe, was Liebe sei. Auch schlechterdings nicht wisse, warum sie ihn liebe, wenn sie denn doch wirklich das närrische Gefühl, das sich da in ihrem Herzen für ihn rege, als Liebe deuten müsse. Worauf sie ihn dann von den Knieen, auf denen er vor ihr lag, an ihren Busen zog und, die Augen schließend, ihr lächelndes Gesicht von seinen Küssen bedecken ließ.

Reue empfand sie nicht. Weshalb sollte sie? Wie sie darüber dachte, war ihre Ehe – die ersten sechs Wochen vielleicht ausgenommen, die sie mit Astolf auf der Hochzeitsreise in der Schweiz und Italien zugebracht hatte – eine Wüste manchmal kaum erträglicher Langweiligkeit gewesen. Tausendmal hatte sie sich gefragt, warum sie von all den Männern, die sie hätte heiraten können, sich gerade diesen ausgesucht habe, der mit seinem Primanerenthusiasmus, seinen absurden Schwärmereien für alle möglichen idealen Luftschlösser so gar nicht für sie passe, und dessen brüske Manieren sie tagtäglich beleidigten. Dazu seine stürmische Zärtlichkeit! Und seine Stupidität, niemals zu merken, daß sie nicht erwidert wurde! Liebe war ja überhaupt Unsinn! Aber die für einen solchen Mann wäre der Unsinn des Unsinns gewesen.

Dafür hatte sie in ihrem Verhältnis zum Herzog eine unerschöpfliche Quelle von Amüsement gefunden! Es hatte anfänglich das Aussehen einer Flirtation gehabt, wie sie sie während ihrer wenigen Mädchenjahre schon einige Dutzendmal durchgemacht. Aber die Physiognomie war bald eine andre geworden. Durch die Höhlen der höflich lächelnden Maske hatte sie in ein Paar heiße, verlangende Augen geblickt, und sie hatte den Blick gelegentlich so weit erwidert, als ihr nötig schien, um die Flamme nur noch heißer, noch verlangender auflodern zu machen. Die Vorsicht, die hier geboten war, die Heimlichkeit, in der es getrieben werden mußte, hatten das reizende Spiel nur noch reizender gemacht. Und sie war auch nicht einen Augenblick darüber in Zweifel gewesen, daß dies des Spieles Ende sein würde. Weshalb also darüber Reue empfinden? Es wäre ihr das ebenso kindisch erschienen, als sich darüber zu grämen, daß sie, nach der Versicherung der Männer, von allen Frauen der Welt die schönsten Augen besäße, und daß ihrem Lächeln keiner widerstehen könne.

Für sie handelte es sich jetzt nur um eines: war das Geheimnis vor aller Welt sicher? Für den Moment unbedingt, darüber hatte sie der Herzog beruhigt. Es verhielt sich buchstäblich, wie er ihr bei allem, was ihm heilig, geschworen: niemand wußte um den Weg aus seinem Zimmer zu ihrem Schlafgemach als er allein. Die Anlage rührte in der That von seinem Urgroßvater Heinrich Eberhard III. her, der sich so den Genuß der Liebe seiner schönen Gabriele gesichert hatte, und bestand im wesentlichen aus einer engen, schräg geführten Wendeltreppe, die, von seinem Schlafkabinett in dem unteren Stock ausgehend, oben in einem kleinen, zwischen Susis Gemach und einem daranstoßenden ausgesparten Raum endete, der kein Licht und keinen zweiten Ausgang bot, als die für jedes uneingeweihte Auge von innen nicht entdeckbare Tapetenthür. Dem ehrbaren Nachfolger des galanten Herrn war die Sache ein solcher Greuel gewesen, daß er, ohne die schmachvolle Treppe jemals bestiegen oder einen Fuß in die anrüchigen Zimmer oben gesetzt zu haben, die untere Thür einfach hatte zumauern lassen. Der ihm succedierende Regent kannte noch die Sage von der Treppe, während bereits bei der Generation nach ihm jede Spur einer Erinnerung daran verloren war. Und verloren geblieben wäre, hätte nicht ein uralter pensionierter Kastellan, der in einem stillen Winkel des Schlosses sein Gnadenbrot aß und an dessen Geschichten der Herzog als Knabe und Jüngling großes Ergötzen fand, eines Tages dem Hochaufhorchenden die Aventüren seines vergnüglichen Vorfahren und der mitleidigen Gabriele erzählt, genau so, wie er sie, als er selbst noch ein junger Mensch war, von seinem Vorgänger im Amt gehört.

Susis Liebhaber schwur, daß er aus keinem andern Grunde als purer Neugier bald nach seinem Regierungsantritt vor vier Jahren eine Untersuchung angestellt habe, die dann auch mühelos zu dem erwarteten Resultate führte. Die Untersuchung hatte ein junger Architekt geleitet, den er zum unbedingten Schweigen verpflichtet hatte und der überdies inzwischen gestorben war. Die zum Durchbrechen der vermauerten Thür und für die sonstigen geringfügigen Arbeiten erforderlichen wenigen Handwerker – lauter fremde Leute, von denen keiner auch nur eine Ahnung davon hatte, um was es sich hier handelte. Der Schlüssel zu der Thür unten kam nie aus seinen Händen; und selbst wer an die obere Thür gelangt wäre, ohne eine gewisse verborgene Feder zu kennen, die nur auf einen dreimaligen Druck reagierte, hätte sie nicht zu öffnen gewußt.

Susi hatte sich von ihrem Liebhaber alle Details der ingeniösen Erfindung nicht bloß erklären, sondern zeigen lassen, wobei sie denn zu beiderseitigem größten Ergötzen sogar die enge Wendeltreppe hinabgeklettert waren, um die Expedition in dem Schlafkabinett des Herzogs zu enden. Sie mußten lachen, so oft sie an das nächtliche allerliebste Abenteuer dachten.

Das waren Stunden, für die der Herzog seine ewige Seligkeit verkauft hätte; aber auch für ihn war die Sonne, in deren Glanz er schwelgte, nicht fleckenlos. Seltsamerweise kam ihm die Verdunkelung seines Glückes von einer Seite, an die seine Geliebte kaum dachte. Für sie war ihre Liebschaft mit dem Herzog eine Art Rache für den Ueberdruß, den sie in ihrer Ehe empfand, mit einer persönlichen Spitze gegen Astolf; für den Herzog war die Erinnerung an den Freund seiner Jugend bis zur Peinlichkeit unbehaglich. Er hatte ihn in seiner Weise lieb gehabt, hatte ihn noch lieb; und was viel schlimmer war, Astolf war der einzige Mensch, vor dem er innerlich Respekt empfand. Der Genosse seiner Knaben- und Jünglingsjahre war nie ein Pedant, ein Kopfhänger gewesen, nie ein Spielverderber, mochte der Streich, der ausgeführt werden sollte, noch so toll sein. Aber ein schlechter Streich, einer, der nur an einen solchen grenzte, hatte es nicht sein dürfen. Dann hatten keine Schmeicheleien und kein Aufbrausen seinerseits genützt – mit ruhiger Festigkeit hatte der andre nein gesagt: er, der sie alle, wie sie da waren, wenn es darauf ankam, unter den Tisch trank; mit dem die famosesten Schläger und ärgsten Raufbolde nicht mehr anzubinden wagten, weil er jeden mit ein paar Blutigen abführte; und der ein wildes Pferd zwischen den Schenkeln zusammendrücken konnte, daß es stöhnend seinen Meister in ihm erkannte.

Dann hatte er den gutmütigsten aller Menschen einmal – ein einziges Mal – im Zorn gesehen. Das war furchtbar gewesen. Als hätte sie gestern stattgefunden, stand die Scene vor seiner Seele: auf einer Inkognitofußwanderung durch die Berge. Ein Mensch auf der Landstraße hatte einen Ziehhund mißhandelt, Astolf ihm die Ungebühr verboten, der Mensch höhnend geantwortet, seine Mißhandlungen des unglücklichen Tieres in nur noch schändlicherer Weise fortsetzend. Da war Astolf auf ihn eingesprungen; »Willst du es lassen, oder nicht?« Zur Antwort hatte der Mensch sein Messer gezogen. Es war ein baumstarker Kerl gewesen. Im nächsten Moment hatte er im Chausseestaub gelegen; Astolf hatte auf seiner Brust gekniet, und um das Leben des Elenden war es geschehen, wenn er selbst nicht dazwischen gesprungen wäre, um für seine Intervention beinahe so schlimm zu fahren wie der Missethäter selbst.

Von solchen unerfreulichen Erinnerungen blieb er wohl in Susis bestrickender Nähe verschont; aber sie kamen ihm nur zu oft, sobald er sich von ihr trennen mußte. Dann beschloß er mit dem Mut der Feigheit, daß er die Zauberin, koste es ihn, was es wolle, zum letztenmal gesehen haben müsse, um die Stunden und Minuten zu zählen, bis er sie wieder hatte, wieder zu ihren Füßen liegen und betteln durfte: »Sag mir nur noch ein einziges Mal, daß du mich ein ganz klein wenig liebst!«

Er nannte sie oft seine Königin, und es war für ihn mehr als ein Kosewort. Die tiefe Kluft, die er sonst zwischen sich und allen nicht fürstlichen Menschen aufgethan sah, sie war nicht mehr vorhanden, wenn er in ihre Augen blickte, auf ihre kleine weiße Hand seine huldigenden Küsse drückte. Er schämte sich allen Ernstes seiner früheren Liebschaften. Wie war es möglich gewesen, daß er sich an diese Kreaturen hatte wegwerfen können? Hier war endlich eine seiner würdige Liebe: die Liebe zu einer wahrhaften Dame, für die kein Thron der Erde zu stolz und hoch gewesen wäre. Und zu der er doch in stiller Nacht auf einer Hintertreppe schleichen mußte! Und deren Gatte nach vier Tagen heimkehrte, um als sein Eigentum zurückzufordern, wofür er freudig sein Herzblut hingegeben haben würde!

So wenigstens sagte und klagte er ihr.

Und sie berieten stundenlang, was in dieser Not zu thun sei.

Jenem letzten Briefe, in welchem Astolf zum erstenmal von dem Wunsche des Grafen, die Kinder bei sich zu haben, gesprochen hatte, war schnell ein zweiter gefolgt, der das Projekt beinahe schon als eine beschlossene Sache hinstellte. Das Drängen des Vaters sei rührend lebhaft. Auch halte er es für seine Pflicht, Susi zu gestehen, daß nach Aussage des Arztes, der die schmerzliche Mitteilung wiederum für seine Pflicht gehalten, das Leben des Vaters an einem Faden hänge, der bei einem zweiten Schlaganfall reißen könne, und so weit die Wissenschaft vorauszusehen vermöge, reißen werde. Gott wolle geben, die Wissenschaft irre sich in diesem Falle, wie in so vielen andern. Immerhin hätten unter solchen Umständen ausgesprochene Wünsche etwas besonders Feierliches, das er für seine Person aufs tiefste empfinde, und ganz gewiß nicht minder tief das zarte Gemüt seiner Susi.

Der Herzog gestand seine Ratlosigkeit gegenüber dem hereindrohenden Schlage. Susi strich ihm sanft das Haar aus der sorgenvollen Stirn und sagte lächelnd:

»Und wann wüßtet ihr Männer euch denn zu raten und zu helfen! Die Sache ist nicht annähernd so schlimm, geliebter Heinz, wie du sie ansiehst mit deinen prächtigen Augen, die ich notwendig erst einmal küssen muß, bevor ich sie dir öffne. Sie ist nämlich einfach die: Ich fahre morgen nach Vachta hinaus und finde, daß Baby sehr schlecht aussieht; übermorgen dito, nur daß ich die Notwendigkeit, sie aus dem feuchten Hause in die warme Stadtwohnung zu nehmen, konstatiere. In diesen Tagen hierher überzusiedeln, war, wie du weißt, so wie so meine Absicht. Es sollte nur eine Aufmerksamkeit für Astolf sein; jetzt bekommt es einen andern Anstrich: es war um Babys willen geboten. Unser alter Geheimrat wird auf meinen Wunsch plötzlich entdecken – besonders wenn du die Güte haben wolltest, ihm einen darauf bezüglichen Wink zu geben, – daß Babys Lungen zu wünschen lassen, und von einer Reise mit ihr hundert Meilen weit bei diesem rauhen Wetter in ein so gefährliches Klima gar nicht die Rede sein könne. Ich muß natürlich bleiben, wo Baby ist. Das heißt hier – bei dir. Quod erat – wie sagt ihr Männer doch gleich in solchem Falle?«

»Demonstrandum!« rief der Herzog, die auf seinen Knieen Sitzende leidenschaftlich an sich pressend. »O, du Kluge! Du Einzige! Ja, so geht's! geht's vortrefflich. – Aber,« fügte er traurig hinzu, »ich verliere dich so womöglich noch einen Tag früher.«

»Wenn du mich dafür mindestens den ganzen Winter behältst?«

»Wie soll es nur werden? Wie soll es nur werden?« klagte der Herzog.

Es war der ewige Refrain ihrer Liebesgespräche: wie sollte es werden, wenn Susi wieder bei ihrem Manne war und den Liebenden, sich zu sehen, keine andre Gelegenheit blieb, als die, welche das gesellschaftliche Leben ihnen bieten würde – die flüchtige, banale Gelegenheit, die jetzt nach so vielen, im trautesten Beieinander hingebrachten entzückenden Stunden der bare Hohn schien?

Hier war auch Susi um Rat verlegen, oder hielt es doch für zweckmäßiger, mit ihrer Erfindsamkeit zurückzuhalten und den geängsteten Liebhaber sich selber helfen zu lassen.

»Ich komme immer wieder darauf zurück,« sagte der Herzog.

»Aber es ist mir ein schrecklicher Gedanke, Heinz,« erwiderte Susi, das schöne Köpfchen mißmutig schüttelnd.

»Glaubst du denn, geliebte Seele, daß ich dir das nicht nachfühle? und mir selber dabei etwa wohl zu Mute wäre? Nur ich finde nichts andres und gewiß nichts Praktischeres und Sichereres. Du kannst in zehn, in sieben Minuten dort sein; auf den einsamen Parkwegen begegnet dir kein Mensch, nicht einmal bei Tage, geschweige denn an einem Winterabend. Die Person – es ist gräßlich, daß ich von ihr sprechen muß; aber du hast es mir verziehen, hast mir ja alles verziehen – sie muß natürlich fort. Sämtliche Möbel werden verändert – das versteht sich von selbst. Neue Leute kommen hinein; sagen wir: deine Lisette hier, die dir so ergeben ist, und ihre Mutter, eine alte, halbblinde Frau; und ein junger Förster vom Walde, auf den ich mich unbedingt verlassen kann.«

»Und die Klotilde, oder Pauline, oder wie sie heißt, wolltest du wirklich wegschicken?«

»Das geht freilich nicht,« erwiderte der Herzog verlegen; »wenigstens für den Augenblick nicht. Es würde ein widerwärtiges Gerede geben. Auch ließe sich in der That in absehbarer Zeit gerade jetzt, wo alle diese Personen ihr festes Engagement mindestens für die Wintersaison haben, kaum ein Ersatz für sie finden. Ich müßte beinahe die Oper schließen, worüber denn meine guten Spießbürger – ich kenne das Gesindel – Zeter und Mordio schreien würden. Darin muß ich Brenken recht geben.«

»Und Brenken?«

»Wie so: Brenken?«

»Ihm sollte auch nur vierundzwanzig Stunden verborgen bleiben, weshalb dies alles geschieht? Ach, Heinz, geliebter Mann, heute ist unsre Liebe unser süßes Geheimnis. Weiß Brenken darum, kennt es in acht Tagen die ganze Stadt.«

»Brenken ist ein Kavalier und mein Freund, will sagen: mir auf Tod und Leben ergeben.«

»Bist du dessen so ganz gewiß?«

Sie wußte, daß er sich nur den Anschein gab, Brenken völlig zu vertrauen. Von den sehr gewichtigen Gründen, die sie selbst hatte, am allerletzten den Mann zum Mitwisser des Geheimnisses zu machen, wollte sie lieber nicht sprechen.

»Ja, Susi, weißt du denn etwas Besseres?« sagte der Herzog ungeduldig.

»Ich wüßte schon etwas Besseres,« erwiderte Susi; »etwas viel, viel Besseres. Aber das kann uns nur die Zukunft bringen.«

Ihre Blicke waren sich begegnet, um sich schon im nächsten Moment voneinander abzuwenden. Sie thaten es jedesmal, wenn die Unterredung bis zu diesem Punkte gelangt war. Beide erwogen in der Heimlichkeit ihres Herzens eine gewisse Eventualität, die bei der notorischen Kränklichkeit der Herzogin schon in wenigen Wochen eintreten konnte, und freilich, trat sie ein, den verbrecherischen Weg von dem Haupthindernis mit einem Schlage frei gemacht hätte; aber ein Rest von Scham verbot dem Herzog und Susi die Klugheit, offen davon zu sprechen.

Dafür entwickelte sie in der Ausführung des so weit zwischen ihnen festgestellten Programmes eine Leistungsfähigkeit, die niemand der zarten Gestalt zugetraut hatte. Während der Herzog zwischen dem Frühstück und der Mittagstafel sich zu einem bleiernen Schlaf auf Stunden zurückzog, die in dem täglichen Bulletin der offiziellen Zeitung unter der Rubrik »Seine Hoheit arbeiteten dann in Ihrem Kabinett allein« registriert wurden, kutschierte sie nach Vachta hinaus, traf dort die zur Uebersiedelung nötigen Anordnungen; fuhr wieder in die Stadt, inspizierte sämtliche Räume des Hauses; befahl diese oder jene wünschenswerte Veränderung; legte beim Arrangement der Nippes und Kunstgegenstände, das ihr keiner zu Dank machte, selbst die letzte Hand an. Dann erschien sie an der Mittagstafel, einer weißen Rose gleich, über die ein sanftrötlicher Schimmer gehaucht ist, munter, gesprächig, witzig, geistreich, der Neid und das Entzücken der befohlenen Damen und Herren, das Staunen des Herzogs, der nur mit Hilfe gegen seine sonstige Gewohnheit reichlich genossenen Weines den Anschein seines sprichwörtlichen lebhaften Naturells eben aufrecht zu erhalten vermochte. Vor der Tafel aber hatte sie sicher bereits ein Plauderstündchen mit der Herzogin gehabt, die auf Wunsch der Aerzte ihre Zimmer jetzt nicht mehr verließ und für den Besuch ihres »Lieblings« jedesmal eine Dankbarkeit an den Tag legte, die beweglichere Herzen gerührt haben würde.

Eine Folge dieser Dankbarkeit im besonderen und der unerschöpflichen Herzensgüte der hohen Frau im allgemeinen war es, daß etwas geschah, was Susi – durfte sie es sich auch nicht merken lassen – ungeheuer spaßhaft fand, während es den Zorn des Herzogs in hellen Flammen auflodern ließ.

Susis Porträt war in drei schließlichen Sitzungen fertiggestellt worden, nicht ohne daß der junge Künstler dabei mehr oder weniger deutlich vernehmbare Lamentationen und Verwünschungen unter dem modisch aufgekämmten Schnurrbart gemurmelt hätte. ›Die gnädige Frau habe sich während der letzten Tage im Ausdruck so seltsam verändert; erst sei es ein Carlo Dolce-Gesicht gewesen, nun der reine Tizian – himmlische oder irdische Liebe, oder so was. Da möge ein andrer durchfinden.‹ Er habe die größte Lust, ›die Sache schießen zu lassen.‹ Das hatte er nun freilich nicht gethan, vielmehr mit brennendem Eifer weiter gemalt, um schließlich zu erklären: ›wenn die Herrschaften die Stümperei als Bild gelten lassen wollten – er sei mit seinem Latein zu Ende.‹ Dann war er abgereist, nachdem er Susi feierlich gebeten, ›nie wieder einem Maler sitzen zu wollen. Nachdem er – Fritz Sommer – sich vergeblich an ihrem Engelsangesicht abgequält, sei der Fall hoffnungslos.‹

Das Bild hatte ein Geburtstagsgeschenk für die Herzogin sein sollen. Aber die hohe Frau sagte: »Der liebe Gott allein wisse, ob sie den Fünfzehnten noch erleben werde.« Ihre Bitte, ihr das Werk zu zeigen, war so dringend gewesen; man hatte sie erfüllen müssen, wie schwer es dem Herzog ankam, der nicht daran dachte, das Konterfei der Geliebten in den Händen der Gemahlin zu lassen, sondern es bereits in seinem Kabinett über dem Schreibtisch hängen sah.

Da nun war das Entsetzliche geschehen. Die hohe Frau hatte das in einem prachtvollen Rahmen vor ihr aufgebaute Kunstwerk mit gefalteten Händen lange andächtig angeschaut, war dann plötzlich in Thränen ausgebrochen und hatte, Susi zu sich winkend und sie umarmend, unter Schluchzen gerufen: »Nein, mein Kind, das ist viel zu gut, viel zu schön für mich. Das gehört dem, der Ihnen, nächst Gott, das Liebste in der Welt ist. Das gehört Ihrem lieben Mann.«

Hätte die Scene nur in seiner und Susis Gegenwart stattgefunden, sie und er würden alles daran gesetzt haben, der Herzogin den lächerlichen Gedanken auszureden, und dann voraussichtlich mit Erfolg. Aber die Uebergabe hatte nicht ohne eine gewisse Feierlichkeit geschehen sollen: der halbe Hofstaat – die beiden Excellenzen Bartenstein an der Spitze – war Zeuge der rührenden Scene. Das schuldige Paar sah sich nach ein paar schwächlichen Remonstrationen des Herzogs dazu verurteilt, das Unabwendbare schweigend über sich ergehen lassen zu müssen. Hier lebhaft, bis zur Weigerung, widersprechen, wäre einer Preisgebung ihres Geheimnisses fast gleichgekommen.

So sollte er denn mit der Geliebten selbst auch noch ihr holdes Bildnis, den einzigen schwachen Trost in seiner Verzweiflung, dem Menschen ausliefern, den er am liebsten vom Angesicht der Erde hätte vertilgen mögen. Aber die Zeiten, wo man in einem solchen Falle dem heimkehrenden Gatten an dem einsamen Orte, den er passieren mußte, einen Hinterhalt gelegt und so mit ihm aufgeräumt hätte, waren leider nicht mehr. Hier erlahmte die fürstliche Macht; der Herr über Leben und Tod – hier war er hilflos wie der letzte seiner Unterthanen.

Und die mitleidlosen Stunden rollten dahin. Morgen abend sollte Astolf kommen; morgen vormittag spätestens mußte Susi aus dem Schloß in ihr Haus übersiedeln. Es war eine furchtbare Nacht, die ihr Geliebter fast nur mit Weinen verbrachte, Susi in den Bemühungen, dem völlig Verzweifelten Trost einzusprechen. Aber woher angesichts des Entsetzlichen, das hereindrohte, den nehmen, wenn der Herzog für ihre heiligsten Versicherungen, daß sie ihm treu bleiben werde mit Seele und Leib, nur ein trauriges Kopfschütteln hatte, und ihre zärtlichsten Liebkosungen mit neuen Thränenergüssen beantwortete! Ein paarmal regte sich dabei in ihr etwas, das sie für Mitleid zu halten geneigt war; den Gesamteindruck seines Betragens faßte sie dahin zusammen, daß er doch ein gut Teil langweiliger sei als sie irgend gedacht. Auf alle Fälle dankte sie dem Himmel, als endlich der letzte Abschiedskuß gegeben und erwidert war, seinerseits mit dem ihm abgeschmeichelten Versprechen, um neun Uhr nach einem entfernten Revier auf die Jagd zu fahren und vor übermorgen nicht zurückzukommen.

So hatte sie ihn wenigstens für den bevorstehenden Empfang Astolfs aus dem Wege. Das dünkte ihr eine große Erleichterung und ließ sie die noch nötigen Vorbereitungen mit Heiterkeit treffen. Es blieb wenig mehr zu thun. Das Haus war in völliger Ordnung, zum Willkommen des heimkehrenden Gatten aufs beste geschmückt. Als pièce de résistance thronte in seinem Arbeitszimmer auf einer bekränzten Staffelei ihr Bild, für dessen günstige Beleuchtung am Abend sie peinliche Sorge getragen hatte. Baby mit Frau Poltrok waren schon am Tage vorher installiert; der geheime Hof- und Sanitätsrat von Vogelein hatte bereits die traurige Entdeckung gemacht, daß für Babys nicht eigentlich kranke, aber überzarte Lungen die äußerste Vorsicht in diätetischer und jeder sonstigen Beziehung geboten sei. Sonst war nur noch eine Abschiedsaudienz bei der Herzogin auszustehen, Fräulein von Merbach unter vielen Danksagungen und Austausch von Versicherungen ewiger unveränderlicher Freundschaft zu umarmen, bei der Oberhofmarschallin und einigen andern Damen des Hofes, die nicht im Schloß wohnten, vorzufahren, schließlich um neun Uhr Astolf vom Bahnhof abzuholen.

Da gab es denn einen überaus herzlichen Empfang, dem zuzusehen selbst den Bahnhofsbeamten, die alle den langen Herrn Baron kannten und gern hatten, wohlthat. Es war vielleicht etwas Neufundländermäßiges in dem Ausdruck von Astolfs Wiedersehensfreude; aber Susi, die sonst streng auf Etikette hielt, hatte heute für seine Ueberschwenglichkeiten nicht die kleinste Reprimande. Sie ließ sich herzhaft vor allen Leuten abküssen und hing sich, als sie die Halle verließen, vertraulich in den Arm des Riesen, seine sich überstürzenden zärtlichen Fragen mit zu ihm aufgeschlagenen glänzenden Augen in ihrer sanften Sprechweise freundlich beantwortend.

Das auf allen Fluren, Treppen und Korridoren, in allen Zimmern festlich erleuchtete Haus lachte dem Heimkehrenden entgegen. Von der großen Ueberraschung hatte Susi nichts gesagt. Als sie Astolf vor das Bild geführt hatte, das von dem Glanzlicht einer großen Reverbèrelampe überstrahlt war, stand er starr vor entzücktem Staunen; brach dann, als er hörte, daß es sein eigen sein und bleiben solle, in einen Jubelruf aus; hob seine kleine Frau, seine geliebte Susi vom Boden auf, tanzte mit ihr im Zimmer herum; setzte sie auf ihr flehentliches Bitten endlich nieder und sagte, mehr vor Freude als vor Anstrengung keuchend: »Susi, wenn mir jetzt nicht auf das Wohl der besten aller Herzoginnen eine Flasche Sekt trinken, sind wir nicht wert, daß uns die Erde trägt!«

Die Flasche Sekt wurde bei dem kleinen ausgesuchten Abendessen, das Susi in ihrem lauschigen Boudoir hatte servieren lassen, getrunken – wirklich nur eine. Astolf erklärte, daß er so schon vor Freude wirbelig sei.

Einem, der vor Freude wirbelig ist, muß man manche Freiheiten gewähren.

Susi war dieser Ansicht.

Und daß man gewisse vor vierundzwanzig Stunden gegebene feierliche Versprechungen unter Umständen nicht zu halten brauche.

Ende des ersten Bandes.


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