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Während in der Mittel-Etage des Schlosses diese Unterredung zwischen Leo und dem Könige stattfand, saß in dem vorderen Zimmer von Tante Sara's Wohnung fast über ihren Häuptern der General mit seiner alten Freundin. Sie hatten schon über eine halbe Stunde mit leisen Stimmen verhandelt, ohne sich einigen zu können; des Generals Kraft war erschöpft; er sank in die Sophaecke zurück und murmelte: Dann ist Alles aus; der Mensch hat mir die Pistole auf die Brust gesetzt; Ihr Eigensinn wird uns in's Verderben stürzen.
Sagen Sie lieber, Ihre Feigheit, erwiederte Tante Sara. Wären Sie dem Lippert nur Einmal entgegen getreten wie ein Mann, er würde sich wohl hüten, mit Ihnen anzubinden. Fünftausend Thaler nach den fünftausend, die ich Ihnen vor Ihrer Reise gab! Glauben Sie denn, daß ich das Geld aus den Aermeln schüttele? Da kann ich Ihnen ja lieber gleich mein ganzes Vermögen geben.
Und hätte ich Sie nun – wenn wir nun verheirathet wären, wie wir es so oft geplant haben in Zeiten, als Sie mich noch liebten – Sie würden dies Opfer, wenn Sie damit meine – unsere Ruhe erkaufen könnten, für nicht zu groß erachten.
Tante Sara lächelte höhnisch. Wenn wir verheirathet wären! Ei, mein guter Mann, mein Zuckermann, warum sind wir's denn nicht? Es kam ja wohl immer etwas dazwischen? Erst sollte der alte König sterben, und das dauerte so sehr lange; hernach kamen die unruhigen Zeiten, wir mußten Minister spielen, und so ging das fort bis auf den heutigen Tag. Nein, liebste Excellenz, das kennen wir. Ich bin nie so dumm gewesen, zu glauben, Sie würden die Sara vom Försterhause zur gnädigen Frau machen, niemals!
Der General richtete sich wieder auf und sagte lebhaft:
Ich gebe meine Tochter Ihrem Neffen – ist das nicht auch eine Vergeltung? Sara, sehen Sie denn nicht, daß unsere Interessen mehr als je identisch sind? Daß, wenn Sie für mich nichts thun wollen, Sie es für Leo und Josephe müssen? Weshalb suche ich auch nur der Möglichkeit eines Skandals vorzubeugen, wenn nicht für diese Beiden? Mein Gott, ich glaubte schon gewonnen zu haben, jetzt stellen Sie Alles wieder in Frage. Ich verstehe Sie nicht.
Dann will ich noch deutlicher sein, ganz deutlich sein! nun hören Sie aber ordentlich zu, daß ich nicht wie gewöhnlich zehnmal dasselbe sagen muß.
Sara warf einen scheuen Blick nach der Thür, die in die inneren Zimmer führte, und fuhr mit leisem, ärgerlichem Tone fort: Ich habe kein Vertrauen mehr; ich denke, es wird mit der ganzen Herrlichkeit wohl bald vorbei sein. Was der Leo dem Könige vorschwatzt, das ist ja Alles albernes Zeug. Ich kenne meinen König; er läßt sich so etwas eine Zeit lang gefallen, das heißt: so lange es ihn amüsirt, und das pflegt eben nicht lange zu sein. Ich sage Ihnen, er hat die Geschichte nun satt, und eines schönen Tages wird es heißen: der Mensch bringt ja nichts Neues mehr, immer das alte, abgedroschene Zeug, ich mag den Menschen nicht wieder sehen. Ja, blicken Sie mich nur nicht so verwundert an! Ich sage Ihnen: das wird das Ende vom Liede sein.
Und damit kommen Sie mir heute erst? stammelte der General.
Sara lächelte. Ich habe Sie oft genug zur Vorsicht ermahnt, aber Sie waren ja Ihrer Sache so ungeheuer sicher, und übrigens sind meine Beobachtungen noch nicht von so altem Datum. Der König ist ganz verändert zurückgekommen; er sieht jämmerlich aus, und ich glaube jetzt selber, er treibt es nicht lange mehr. Nun, mir soll es gleich sein; ich habe mich lange genug mit ihm gequält, und ich will ganz zufrieden sein, wenn er mich auf meine alten Tage in Ruhe läßt.
In der Rococo-Uhr auf dem Kamin fing es an zu schnarren und zu klingen; das elfenbeinerne Gerippe trat hervor und winkte mit der Sense. Sara schaute hin und sagte durch die zusammengekniffenen Zähne: Der Narr! Die Uhr hat er mir geschenkt, damit ich mich darüber ärgern sollte. Ich denke, der Sensenmann wird wohl für ihn früher kommen, als für mich.
Der General war über die letzten Mittheilungen Sara's so erschrocken, daß er nicht zu sprechen, ja kaum sich zu regen vermochte. Sara hatte so oft die schlagendsten Proben ihres durchdringenden Scharfsinns abgelegt, und vor Allem hatte sie aus dem König ein Studium gemacht, und wenn es Jemanden gab, der mit dem unberechenbaren Charakter desselben zu rechnen verstand, so war gewiß sie es. Aber auf der andern Seite: Leo's Sicherheit und. Ueberlegenheit, die Gunstbezeigungen, mit denen ihn der König überhäufte – noch heute Morgen, in dieser schwierigen Lage der Dinge, die Privat-Audienz, aus der, wie die Sachen nun einmal lagen, Leo sehr leicht als Minister hervorgehen konnte – es war ja unmöglich! Sie werden sich geirrt haben: bedenken Sie doch nur, daß der König morgen Abend in unsere Gesellschaft kommen wird. Dies und tausend Anderes will denn doch auch in Anschlag gebracht sein. Und dann: Haben Sie mir nicht gesagt – der General warf hier ebenfalls einen Blick nach der Thür und senkte seine Stimme noch tiefer – daß der König in Ihre junge Freundin leidenschaftlich verliebt ist, daß sie, wenn sie wollte, ihn zu Allem und Jedem bewegen könnte? Das ist denn doch eine Bürgschaft, die bei dem so überaus edlen, entsagungsfähigen, opferfreudigen Charakter der jungen Dame sicher ist, ganz sicher ist.
Meinen Sie? sagte Tante Sara trocken.
Ja, Beste, meinen Sie denn nicht?
Nein, Bester, ich meine es nicht, ganz und gar nicht. Was sie könnte, wenn sie wollte, geht uns gar nichts an; es fragt sich, was sie will, und ich sage Ihnen: sie will nichts mehr; sie hat es gemacht wie alle Andern auch: erst die Großmüthige gespielt und hernach gefunden, daß ihr die Großmuth denn doch ein Bischen zu theuer zu stehen kommt. Ich ärgere mich nur, daß ich so dumm sein konnte, mit Euch Andern eine Zeit lang dumm zu sein! Nun, es hat, Gott sei Dank, nicht lange gedauert!
Aber woraus schließen Sie das? fragte der General, hat sie sich denn darüber ausgesprochen? Klagt sie denn?
Ausgesprochen! klagen! Als ob das nöthig wäre, rief Sara ärgerlich; man braucht sie nur anzusehen, um zu wissen, wie es mit ihr steht. Ich sage Ihnen: die scheinheilige Maske ist gefallen, und es ist ein recht hübsches Gesicht, das nun zu Tage gekommen, ein recht hübsches Gesicht mit starren verweinten Augen und einem langweiligen verweinten Munde. Der König findet das jetzt noch interessant; er wird es nächstens abscheulich finden. Und denken Sie doch nicht, daß sie sich jetzt noch für Leo interessirt und ihm das Wort beim Könige redet, wie sonst! Gestern hat sie ihn nur von ihrem Bruder unterhalten und sich versprechen lassen, daß der König ihn sofort begnadigen soll; ich glaube, sie hatte ihm schon vorher davon geschrieben, wenigstens schien es mir so. Ich bekomme nichts mehr zu wissen, ich bin abgesetzt.
Aber, liebste Freundin, Sie müssen auch Geduld haben, sagte der General; wenn Sie dem armen Mädchen nun noch schroff begegnen, dann muß es ja zum Bruch kommen!
Und je eher, je besser, rief Sara. Sie oder ich! zusammen geht es nicht mehr! Was? soll ich mich Eurethalben von diesem Fräulein Hochmuth über die Achseln ansehen und hofmeistern lassen? soll vom Morgen bis zum Abend in gehobener Stimmung sein? und meinen besten Freunden den Stuhl vor die Thür setzen, Prinzessin Tugendsam zu gefallen? Ich will lieber Waschfrau werden, ehe ich das thue. Und wollte ich es thun, es würde doch nichts helfen Sie hat das Leben mit mir genau so satt, wie ich das Leben mit ihr habe. Verwünscht der Tag, der dies zimperliche Ideal über meine Schwelle brachte!
Tante Sara hatte sich in hellen Zorn hinein gesprochen; die welken Hände, mit denen sie den Stock, der in ihrem Schoße lag, umfaßt hielt, zitterten.
Seit dem Tage, fuhr sie fort, habe ich keine ruhige Stunde wieder gehabt, nun muß Ihr Herr Sohn auch noch dazwischen kommen, als ob ich nicht an Euch Andern schon genug hätte. Mich wundert nur, daß ich nicht vor Schreck gestorben bin. Und dann die Möglichkeit, daß der Bursche wiederkommt. Ja, ich bin überzeugt, daß er wiederkommt, wenn ich sie nicht bald los werde; ich bin ferner überzeugt, daß der reizende Artikel in der gestrigen Abendnummer von ihm, oder von Henri, oder von beiden ausgeht, und ich finde es allerliebst, daß meine Stellung hier von Ihrem Sohne compromittirt werden muß. Und wie lange kann es dauern, so erfährt sie, daß ich ihr die Briefe von dem Fräulein von Tuchheim unterschlagen habe. Das hatte nur einen Sinn, so lange wir hoffen konnten, sie zu halten – jetzt ist es einfach gefährlich, und ich will aus dieser Misere heraus – ich will, sage ich Ihnen, und nun lassen Sie mich zufrieden, ich habe mich für einen Vormittag genug geärgert.
Sara fuhr aus ihrer Ecke empor, stieß den Stock auf den Boden und hinkte schnell davon, ohne den General auch nur wieder anzusehen. Der General blickte ihr mit bekümmerter Miene nach und murmelte: Sie ist unzähmbar; und das Geld hat sie ganz vergessen, oder giebt sich den Anschein; ich muß mich an jemand Anderen wenden, aber an wen? Meine Ressourcen sind total erschöpft.
Als der General auf den Schloßhof trat, sah er aus dem Portal, das zu dem Flügel führte, in welchem die Gemächer des Königs lagen, Leo kommen, der seinerseits den General kaum erblickt hatte, als er, schon von ferne die Hand erhebend, ihm entgegen eilte. Sein Gesicht war sehr bleich, seine Augen glühten, und seine Stimme bebte. Er faßte seinen Schwiegervater unter den Arm, zog ihn mit sich fort und sagte hastig: Ich treffe Sie zur rechten Stunde.
Was ist geschehen, lieber Leo?
Etwas, das uns endlich zum Ziele führen wird. Wo haben Sie Ihren Wagen? Fahren Sie mich zu Urban; ich will es Ihnen unterwegs sagen.
Im Wagen, während der Fahrt durch die heute ziemlich öden Straßen erzählte Leo dem General die Unterredung mit dem Könige, die sein ausgezeichnetes Gedächtniß fast wörtlich behalten hatte. Sie sehen, schloß er, jetzt gilt es zu handeln, jetzt gilt es bereit zu sein. Das ist die Stunde, die ich so lange herbeigesehnt habe.
Leo ließ das Wagenfenster herab, es wurde ihm zu eng in dem kleinen, geschlossenen Raum.
Der General saß still in seiner Ecke, er wußte nicht, was er sagen, was er denken sollte. Wie stimmte dies zu den Nachrichten, die er soeben von Sara gehört hatte? Wer war im Irrthum? Die alte, vorsichtige schlaue Sara? Oder dieser junge leidenschaftliche Mann? Sara konnte sich vielleicht in so große Verhältnisse nicht hinein denken; aber es war doch auch eben so möglich, daß Leo das Opfer einer seltsamen Verblendung war. Und er sollte sich hier entscheiden, er sollte einen Entschluß fassen, Partei ergreifen, in seinen alten Tagen die ungeheuerste Last auf die Schultern nehmen?
Nun, sagte Leo ungeduldig, Sie antworten mir nicht? Ich bitte, ich beschwöre Sie, lassen Sie die Bedenken fahren, für die es jetzt unter allen Umständen zu spät ist. Er wird uns nicht verrathen, wenn wir uns selbst nicht verrathen; aber das ist gewiß, ein Schimmer von Zweifel, von Unentschlossenheit in unsern Augen, und Alles ist verloren. An die drei Tage, die er sich ausbedungen hat, glaube ich nicht. Die Zeit drängt, er wird noch heute, spätestens morgen, mich oder Sie, wahrscheinlich uns Beide, und vermuthlich auch Urban rufen lassen. Ich will den Pfaffen jetzt zurechtstutzen; er ist ehrgeizig wie Satan, er wird auf Alles eingehen, was Erfolg verspricht und Erfolg verbürgt. Das Beste ist, Sie kommen gleich mit.
Ich weiß nicht, sagte der General, ich meine: Urban wird zugänglicher sein, wenn Sie mit ihm allein sind. Wir können ja hernach zusammen conferiren. Ueberdies habe ich für den Augenblick unaufschiebbare Geschäfte, lieber Leo, Geldgeschäfte; es müßte denn sein, daß Sie mir aus einer augenblicklichen Verlegenheit helfen können.
Und ich wollte eben Sie fragen, ob Sie ein größeres Capital disponibel haben, oder schnell flüssig machen können. Wie viel brauchen Sie?
Fünftausend Thaler mindestens.
Gut, ich werde sie Ihnen verschaffen. Im schlimmsten Falle sind Sie bereit, von mir acceptirte Wechsel zu giriren? Nicht wahr?
Wenn es nicht anders sein kann.
Vortrefflich. Diese Lumpereien dürfen uns nicht auf unserm Wege aufhalten. Sie bleiben heute zu Hause. Auf Wiedersehen.
Der Wagen hielt, Leo drückte dem General die Hand und sprang heraus.
Dieser Mensch ist wie ein Orkan, murmelte der General, indem er sich in die Kissen zurücklehnte; ich fürchte, er wird uns noch Alle in den Abgrund schleudern.