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Walter traf Herrn von Sonnenstein, als dieser eben eine Depesche, in welcher Leo aufgefordert wurde, ungesäumt zu kommen, nach der Residenz expedirt hatte. Es war ihm nicht leicht geworden, diesen Entschluß zu fassen, und seine Nerven hatten sich noch nicht ganz beruhigt, als Walter gemeldet wurde. Er fuhr sich mit der Hand schnell über die dunklen Augenbrauen und streckte die Rechte mit dem freundlichsten Lächeln seinem Besucher entgegen. Er sei eben im Begriffe gewesen, Herrn Gutmann um eine Unterredung bitten zu lassen; es sei so liebenswürdig von Herrn Gutmann, daß er ihm zuvorgekommen sei. Ob Herr Gutmann schon gefrühstückt habe? Ob Herrn Gutmann eine Cigarre gefällig sei?
Walter lehnte diese Anerbietungen ab; er trug kein Verlangen nach Beweisen der Gastfreundschaft von Seiten des neuen Herrn.
Ja, es war ein neuer Herr jetzt auf Schloß Tuchheim; und in Walter's Herz regte sich eine Bitterkeit, als er den schmächtigen Mann mit den dunklen Brauen, den unruhig blickenden Augen und den lebhaften Gesticulationen verglich mit der hohen, stattlichen Gestalt des verstorbenen Freiherrn, wie er hier in diesem Saale dem Knaben, dem Jüngling so oft in freundlicher Würde entgegengetreten war. Zwischen den Beiden hatte jahrelang ein Kampf stattgefunden, der jetzt entschieden war – entschieden zu Gunsten des schlechteren Mannes; und der schlechtere Mann reckte sich jetzt behaglich in dem Lehnsessel, und der Gegner schlief auf dem Kirchhofe den Todesschlaf, die Hände gekreuzt über der Stelle, wo die tödtliche Kugel in seine Brust geschlagen war.
Nicht ohne Mühe gelang es Walter, diese trüben Gedanken so weit zu verscheuchen, um den Auseinandersetzungen des Bankiers, der jetzt von den Geschäften zu sprechen angefangen hatte, folgen zu können.
Herr von Sonnenstein gab Walter eine Uebersicht des Verhältnisses, welches anfänglich zwischen ihm und dem Freiherrn bestanden hatte, um dann im Laufe der Jahre die verschiedensten Phasen durchzumachen und sich schließlich so zu gestalten, wie es in dem Momente war, als der Freiherr aus der Compagnonschaft und zugleich aus dem Leben schied. Es war eine lange Auseinandersetzung mit sehr viel mehr großen Zahlen, als Walter zu behalten und im Kopfe zu verrechnen irgend im Stande war.
Sie sehen, sagte der Bankier, wie sehr, wie ganz ich während dieser Jahre in meinem Rechte war, ja, welch große, unter andern Umständen unmögliche und unter allen Umständen sehr ungeschäftsmäßige Langmuth ich gehabt habe. Fern sei es von mir, dem Verstorbenen auch nur ein liebloses Wort in das Grab nachzurufen. Aber der gänzliche, ich kann wohl sagen, tragische Mangel an geschäftlicher Einsicht, der alle seine Maßnahmen kennzeichnet, ist zu evident, um sich nicht selbst anzuklagen. Es ist wahrlich nicht meine Schuld, wenn Alles nun so gekommen ist.
Ich habe das nicht behauptet, Herr von Sonnenstein, erwiederte Walter, wie es denn auch eigentlich nicht meine Absicht war, unsere Unterredung sich über Dinge verbreiten zu lassen, die Sie mit unserem Anwalt gewiß zu Ihrer viel größeren Zufriedenheit und in viel kürzerer Frist erledigen würden. Was mich zu Ihnen führt, ist ein ganz bestimmter Auftrag, von dem Fräulein Charlotte wohl nicht ohne Grund annimmt, daß ich denselben besser ausrichten würde, als ein Geschäftsmann.
Und worin bestände derselbe? sagte Herr von Sonnenstein; seien Sie überzeugt, daß, was in meinen Kräften steht, den Damen zu dienen, von Herzen gern geschehen soll.
Verzeihen Sie, sagte Walter, es handelt sich um keine Bitte, es ist vielmehr ein Anerbieten, das ich Ihnen von Seiten meiner Auftraggeberin zu machen habe. Sie haben sich geneigt erklärt, wenn Fräulein Amélie zurücktritt, Henri von Tuchheim die Erbschaft antreten zu lassen, das heißt, wenn ich nicht irre, Henri durch Ihr Geld in den Stand zu setzen, die Gläubiger seines Vaters zu befriedigen. Unser Anwalt räth uns, diesen Weg, als den kürzesten, nebenbei auch billigsten, einzuschlagen; Sie würden später, meinte er, mit den Gläubigern accordiren, und wie der Accord ausfalle, sei ja dann Ihre und der Gläubiger Sache. Fräulein Charlotte nun ist im Ganzen mit dem Arrangement einverstanden –
Und sie darf es sein, unterbrach Herr von Sonnenstein eifrig. Auch Amélie darf es sein und Sie selbst, mein werther Herr! Sie haben dann mit der ganzen leidigen Geschichte nichts weiter zu thun, und das hübsche kleine Vermögen meiner Schwägerin bleibt Ihnen unter allen Umständen.
Gerade dieses Vermögens wegen bin ich hier, sagte Walter. Fräulein Charlotte ist nicht im Stande, dieses Vermögen als das ihre zu betrachten, so lange noch Schulden ihres verstorbenen Bruders abzutragen sind. Sie beklagt nur, daß sie selbst durch Hingabe dieses Vermögens nicht im Stande sein wird, alle Schulden bis auf den letzten Rest zu tilgen; unter allen Umständen wünscht sie, daß dasselbe den Gläubigern zugute komme.
Herr von Sonnenstein blickte Walter mit einer Miene an, die deutlich verrieth, daß er seinen Ohren nicht recht traue.
Mein werther Herr, sagte er langsam. Sie überraschen mich auf das Aeußerste. Doch bitte, sprechen Sie aus. Sie wollten hinzufügen, daß Sie, als der künftige Gemahl der voraussichtlichen Erbin Fräulein Charlotten's –
Der Ansicht Fräulein Charlotten's bin.
In der That? sagte Herr von Sonnenstein.
Bis auf einen Punkt.
Und der wäre?
Mein Vater hat noch wenige Tage vor dem Ableben des Freiherrn, um diesem eine durch die Verluste bei dem Kohlenbergwerk nöthig gewordene Abzahlung von circa zehntausend Thalern zu ermöglichen, sein Vermögen in etwa diesem Betrage liquidirt und ohne Wissen des Freiherrn für Rechnung desselben an den Anwalt Hellfeld ausgezahlt. Mein Vater hat nie auf Rückerstattung des Geldes gehofft und würde es nur auf den ganz bestimmten Wunsch des Fräuleins, und auch dann nur mit schwerem Herzen, sich zurückerstatten lassen. Ich stimme in dieser Sache vollkommen meinem Vater bei; aber Fräulein Charlotte ist anderer Ansicht und besteht darauf, daß ich an des Vaters Stelle das Geld annehme. Ich habe mich, weil ich mich überzeugte, daß eine Weigerung meinerseits die von mir so hochverehrte Dame auf's Tiefste betrüben würde – ich muß es aussprechen: mit einem innerlichen Widerstreben, das ich zu unterdrücken bis jetzt wenigstens nicht im Stande war – zur Annahme desselben bereit erklärt.
Um des Bankiers Lippen zuckte jetzt, als Walter nach seinem Hute griff, ein blitzschnelles Lächeln. Der Entschluß Charlotten's war ihm als eine ungeheure Extravaganz erschienen, der Opfermuth des Försters als eine Donquixoterie, die Zurücknahme der letzten zehntausend Thaler war ihm ein erstes Symptom, daß er es nicht mit lauter Verrückten zu thun, daß wenigstens Walter in dieser Gesellschaft thörichter Menschen sich einen Rest gesunden Menschenverstandes bewahrt habe. Daß der Gedanke, sich und seiner zukünftigen Gattin dieses Geld zu retten, von Walter ausgegangen, und der Widerwille, mit welchem er sich dem Wunsche Charlotten's fügte, nur eine Maske sei – daran zweifelte Herr von Sonnenstein natürlich keinen Augenblick.
Wann gedenken sie abzureisen? fragte er, als er Walter mit großer Höflichkeit bis an die Thür begleitet hatte.
Heute Abend noch.
O, das ist ja schade! Ich komme dann um das Vergnügen, Sie mit Ihrem Herrn Vetter zusammen bei mir zu sehen. Ich erwarte ihn heute, spätestens morgen. Wir haben wichtige Geschäfte mit einander abzumachen, sagte Herr von Sonnenstein, die Frage, die auf Walter's Gesicht geschrieben stand, vorweg beantwortend.
In diesem Falle würde ich meine Abreise noch einen Tag aufschieben, sagte Walter; auch ich wünschte mit meinem Vetter in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen; mein erster Gang in der Residenz würde ihm gegolten haben.
Das trifft sich ja herrlich, sagte der Bankier; also auf Wiedersehen!
Als Walter aus dem Schlosse trat, sah er Emma noch immer unter der Buche sitzen. Sie mußte ihn erwartet haben, denn er hatte sich kaum blicken lassen, als sie sich auch bereits erhob und, schon von ferne mit dem Sonnenschirm winkend, auf ihn zukam.
Ich habe Ihrer mit Sehnsucht geharrt, rief sie, Sie müssen mir noch ein paar Augenblicke schenken; ich bin in Verzweiflung.
Weswegen? fragte Walter, für den die Aussicht auf eine abermalige lange Unterredung mit Fräulein von Sonnenstein nichts Anziehendes hatte.
Sie sind ein Dichter, fuhr Emma sehr erregt fort; Ihr Dichter seid geneigt, die gewöhnlichsten Ereignisse des Lebens in einem phantastischen Dämmerlichte zu sehen; wie muß ich nun vorhin Ihnen in der Ueberraschung, mit welcher mich Ihre Nachrichten erfüllten, erschienen sein? Ich schaudere, wenn ich denke, welche abenteuerliche Auslegung Ihre Dichterphantasie meinem Benehmen geben wird.
Walter wußte allerdings nicht, wie er es verstehen sollte, daß man Emma über Leo's Schicksal bis auf diesen Augenblick in Unkenntniß gelassen hatte. Wenn sie sich, wie aus Allem hervorging, so lebhaft für ihn interessirte, wie konnte man ihn denn hierher einladen? Aber er hatte keine Lust, sich mit diesen Fragen den Kopf zu beschweren, und er begnügte sich deshalb, zu antworten, daß er sich bemühen werde, das Einfachste und Schicklichste anzunehmen.
Emma war damit nicht zufrieden; das sei eine diplomatische Phrase, die sie dem Dichter nicht zugetraut hätte. Giebt es denn keine Treue, keinen Glauben! rief sie; keine Seelenreinheit und Herzenseinfalt, selbst bei Euch Dichtern nicht! Und doch wollte ich Sie gerade bitten, einen Auftrag von mir an Ihren Herrn Vetter mitzunehmen, den ich allerdings nur dem Dichter anvertrauen könnte.
Ich fühle tief die Ehre, die Sie mir erweisen, entgegnete Walter, indessen bedarf es, so viel ich sehen kann, zwischen Ihnen und meinem Vetter eines Vermittlers ganz und gar nicht, da Leo, wenn ich Ihren Herrn Vater recht verstanden habe, heute oder spätestens morgen hier eintreffen wird.
Walter zog den Hut, verbeugte sich und ging, Emma in maßlosem Erstaunen zurücklassend.
Herr von Sonnenstein überlegte eben, wie er wohl Emma am schicklichsten auf Leo's Besuch vorbereiten könnte, als diese, in Thränen aufgelöst, in den Salon stürzte und sich ihm gegenüber in einen der Fauteuils warf. Der Bankier war äußerst erschrocken, seine Tochter in diesem Zustande zu sehen, und bemühte sich, die Ursache zu erfahren. Es dauerte indessen ziemlich lange, bis er aus Emma's Schluchzen und abgebrochenen Klagen heraushörte, was sie so fassungslos gemacht hatte. Ihr habt mich verrathen! rief sie. Ihr habt mir meine erste Liebe gestohlen; Ihr habt mir meinen Liebesfrühling gestohlen!
Aber, Emma, sei doch nicht albern! rief Herr von Sonnenstein, Du hast schon zehnmal auf dem Punkte gestanden, zu heirathen, bevor es Dir einfiel, Dich in den Doctor zu verlieben.
Du bist grausam, Papa! Du bist ein Barbar, Papa! schluchzte Emma.
Der Bankier war in einer peinlichen Lage; er hatte nicht gedacht, daß Emma so schwer über die Sache wegkommen werde; er hatte geglaubt, daß sie Henri, wenn auch nicht eben liebe, so doch gern habe, und daß sie in ihrer Weise glücklich mit ihm sein werde.
Ich schwöre Dir, Emma, rief er, daß ich, als Du Dich mit Henri verlobtest, von dem, was dem Doctor bevorstand, keine Ahnung gehabt habe.
Aber Henri hat es gewußt, rief Emma.
Das weiß ich nicht, ich glaube es nicht, sagte der Bankier.
Ich glaube es aber; ich weiß es aber! rief Emma; denkt Ihr denn, daß ich blind bin? Walter hat mir gesagt, daß Leo noch am Abend desselben Tages bei dem General gewesen ist; und ich weiß doch, daß der General kurz vorher, ehe Henri zu mir auf's Zimmer kam, bei Dir war und mit Henri in Deinem Zimmer allein gesprochen hat. Worüber hat er mit ihm gesprochen?
Der Bankier zuckte die Achseln; er hatte nicht den Muth, Henri in Schutz zu nehmen; er selbst hielt es jetzt für sehr wahrscheinlich, daß Henri von dem General eine Andeutung in Betreff Leo's erhalten und diesen günstigen Moment mit Klugheit und Muth für seine Zwecke ausgebeutet habe. Das ganze Manöver war zu sehr in Henri's Geist und Charakter: und warum sollte Jemand eine glückliche Conjunctur nicht benutzen, um ein wichtiges Geschäft abzuschließen?
Aber ich will nicht seine Frau werden! rief Emma; ich werde es ihm sagen, wenn er kommt, in Leo's Gegenwart werde ich es ihm sagen; ja, in Leo's Gegenwart, den er noch im letzten Augenblicke verleumdet hat.
Herr von Sonnenstein fing an zu fürchten, daß Emma in ihrer Aufregung wirklich die Thorheit, die sie in Aussicht stellte, begehen könnte. Er nahm ihren Arm und führte die noch immer Weinende langsam in dem großen Gemache auf und ab, ihr dabei mit dem freundlichen Ernst, den er für die Gelegenheit passend hielt, zuredend.
Sieh', liebes Kind, sagte er. Du verkennst mich in diesem Augenblick, verkennst mich ganz und gar. Du hältst mich für einen harten Egoisten, der nichts nach dem Glücke seiner Kinder fragt. Gerade das Gegentheil ist der Fall. Für wen arbeite ich, für wen sorge ich, für wen liege ich des Nachts stundenlang schlaflos in meinem Bett, rechnend und rechnend – wenn nicht für Euch, meine Kinder? Sieh', Emma, es ist jetzt gerade hundert Jahre her, da wanderte eines Morgens an einem Herbsttage in das Thor hinein ein armer Jude, der nichts sein nannte, als das Bündelchen, das er auf dem Rücken trug. Der arme Jude, Emma, war Dein Urgroßvater. Er war bis zum Tode erschöpft von der langen Wanderschaft, und so hatte er sich auf den Eckstein vor dem Wachlocal gesetzt, während der Unterofficier seine Papiere revidirte und die Soldaten und die Straßenjungen um ihn her standen und ihn hänselten. Auf den Stein, auf dem er saß, schien gerade die Sonne, so daß derselbe sich ordentlich warm anfühlte. Das that dem armen Juden wohl, und er dachte: Der Stein ist barmherziger, als die Menschen; nun willst Du aber auch so hart sein wie dieser Stein und von Deiner Wärme nur geben, wer es verdient. Das Wort hat er sich gehalten, der arme Jude, und er ist hernach ein wohlhabender Jude geworden und hat sich in Erinnerung jener Stunde Sonnenstein genannt, da er früher Manasse hieß. – Warum ich Dir die Geschichte jetzt erzähle, mein Kind? Damit Du weißt, was meine Handlungsweise im Leben bestimmt hat und noch bestimmt: der Wunsch, daß die Kindeskinder jenes armen Juden so reich und mächtig seien, als er selber in jenem Augenblicke, wo er gebrochen auf dem Eckstein saß und die Straßenjungen ihn verhöhnten, arm und ohnmächtig gewesen ist. Ist mein Wunsch nicht zum größten Theil in Erfüllung gegangen? Mein Vater war bereits ein reicher Mann, als er Christ wurde und der König ihn adelte; aber ein getaufter und geadelter Jude ist noch immer ein Gegenstand des Spottes, und so ist es mein Vater gewesen, trotz seines Christenthums und des Wappens auf der Wagenthür. Wenn man sein Geld brauchte, machte man ihm Reverenzen und sagte ihm die schönsten Dinge; hinter seinem Rücken aber zuckte man die Achseln, und auf der Gasse riefen die Jungen ihr Hep! Hep! hinter ihm her! Ich hab's selbst noch gehört mit diesen meinen Ohren und habe mir den Schwur des Großvaters erneuert. Das hat mir Segen gebracht und Euch. Ich bin noch einmal so reich, als mein Vater war, den verschiedenen Werth des Geldes von damals und heute mitgerechnet; und ein Freiherr hat mir seine Tochter zur Frau gegeben. Ihr habt altadeliges Blut in Euren Adern, Eure Stellung in der Gesellschaft ist eine ganz andere als die meine war. Ich habe von Jugend auf in dem Comptoir meines Vaters gesessen und gearbeitet, wie ich jetzt noch arbeite; Alfred weiß nicht, was Arbeit ist; es ist mein Stolz, daß er's nicht zu wissen braucht, daß er seinem Vergnügen leben kann, wie irgend ein Cavalier. Ich habe nie eine Karte in der Hand gehabt, Alfred hat schon mehr im Spiel verloren, als zehn solcher adeligen Hungerleider zusammengenommen werth sind. Es ist mein Stolz!
Nun kommst Du, meine Emma, meine kluge, schöne Tochter! Dir hatte ich von vornherein eine vornehme Heirath zugedacht, aber ich habe Dich nie gedrängt, ich wollte, daß Deine Wünsche mit den meinen zusammenfielen. Darum, als Du Dich mit Henri verlobtest, habe ich Ja und Amen gesagt. Nein, laß mich ausreden, meine Tochter. Henri ist ein Mann, wie wir ihn brauchen. Besser und älter als sein Adel ist keiner im Lande, und Henri ist klug und energisch. Er kann es noch weit bringen, aber nicht ohne uns; wohin er auch kommt, er muß uns mitnehmen, und wenn er es bis zum Ministerpräsidenten bringt – und ich möchte schwören, daß er es dahin bringt – nun, meine Tochter, so bist Du doch die Frau Ministerpräsidentin, und ich bin Finanzminister. Ich sage Dir, meine Tochter, es ist ein gut Geschäft mit dem Adel zu machen, wie die Sachen jetzt liegen; ich will eine Million in dem Papier anlegen.
Warum aber hast Du denn den Leo so protegirt? fragte Emma, die schon lange nicht mehr weinte.
Des Bankiers Augenbrauen zogen sich zusammen. Ich habe es mit dem Leo gehalten, sagte er, wie mit einem geistreichen Erfinder. Der Mann wird vielleicht, oder sehr wahrscheinlich nichts Gescheidtes zu Stande bringen, aber, Gott, weshalb soll man ihn nicht unterstützen, wenn man ein reicher Mann ist?
Aber Walter sagt ja, daß er jetzt höher und fester steht, als je vorher; und daß Du ihn hierher eingeladen hast, ist ja der beste Beweis dafür.
Hm! sagte der Bankier, daß er höher steht, ist nicht zu leugnen, aber fester? Ich sehe nichts von Festigkeit, im Gegentheil, mir scheint, daß er sehr leicht viel tiefer fallen kann, als er hoch gestiegen ist. Das aber kann mich nicht hindern, eine glückliche Conjunctur auszubeuten. Verlaß Dich auf mich, mein Kind, wie ich mich auf Dich verlasse. Auch Henri wird einsehen, daß ich richtig calculire, wenn ich die Hand, die mir der Doctor bietet, nicht zurückweise. Sieht er es nicht ein, nun, meine Tochter! Alles, was Du hier erblickst, ist jetzt mein, so gut wie mein. Henri von Tuchheim ist jetzt nicht mehr Herr in diesem Hause, ich bin der Herr, und Henri wird sich glücklich schätzen, wenn er es mit dieser allerliebsten kleinen Frau zurückerhält.
Herr von Sonnenstein lächelte und küßte seiner Tochter galant die Hand; Emma lächelte ebenfalls. Die Rede des Vaters, besonders die Geschichte von dem Urgroßvater auf dem Stein, hatte einen großen Eindruck auf sie gemacht. Sie fand die Geschichte sehr poetisch; auf der anderen Seite war ihr die praktische Moral, die der Vater daraus gezogen, durchaus verständlich gewesen. Besonders freute es sie aber, von ihrem Vater bestätigt zu hören, daß sie die Herrin auf Schloß Tuchheim sei. War sie die Herrin, nun gut, so durfte sie es auch gelegentlich fühlen lassen, und behielt sie das im Auge, so war ein Zusammentreffen der Nebenbuhler, von denen der Eine nun ihr erklärter Bräutigam war, und der Andere vielleicht ihr bevorzugter Freund werden konnte, im Grunde mehr ergötzlich als tragisch.
Emma kam über diese Betrachtungen in die beste Laune. Von dem gestohlenen Liebesfrühling war im weiteren Verlaufe der Unterhaltung nicht mehr die Rede. Eine Viertelstunde später ging sie mit der alten Haushälterin nach dem oberen Stock, um sich selbst zu überzeugen, daß die Zimmer für die erwarteten Herren in Bereitschaft seien.
Noblesse oblige, sagte sich Emma dabei, wenn man einmal châtelaine ist, muß man es ganz sein. In der Stadt kann man dergleichen den Leuten überlassen; hier auf dem Lande muß man selbst nach dem Rechten sehen.
Sie stand an einem der hohen Flurfenster und blickte auf die Bäume des Parkes, deren junges Laub in der Mittagssonne glänzte, und über den Parkweg in die liebliche Landschaft. In diesem Augenblicke fuhr ein Wagen schnell vor dem Schlosse vor. Emma hatte nicht mehr sehen können, wer darin saß. Sollte es schon Leo sein? Ihr Herz fing heftig an zu schlagen; sie lauschte mit verhaltenem Athem in das Haus hinein, wo jetzt auf dem unteren Flur Männerstimmen ertönten.
Emma athmete tief auf, und die Enttäuschung prägte sich deutlich auf ihrem Gesichte aus.
Es ist nur Henri und Alfred, sagte sie; die man am wenigsten will, kommen immer zuerst.