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Fünfundvierzigstes Capitel.

In einer der späteren Vormittagsstunden des folgenden Tages saß der Bankier in seinem Arbeitscabinet vor dem Kamin, in welchem ein Kohlenfeuer glühte. Er fühlte sich nach einer beinahe schlaflosen Nacht frostig, unbehaglich und verdrießlich; und nun mußte der rauhe, regnerische Tag ihm die Stimmung vollends verderben. Vom frühesten Morgen bis jetzt hatte er gearbeitet, und es war auch während der Zeit etwas besser geworden; nun aber war seine Kraft erschöpft, und da war sie auch wieder, wie er sie vorher und immerfort seit Alfred's Tode empfunden hatte: die seltsame, unheimliche Leere in seiner Brust und selbst in seinem Kopfe. Was nützte es am Ende jetzt noch, das Calculiren und Combiniren und Planen? wem nützte er damit? seine Tochter würde auch ohne das reich genug werden – seine Tochter und sein Schwiegersohn, den er jetzt halb und halb haßte, und die Kinder der Beiden, die noch nicht da waren. Also dafür hatte er es sich sein Lebenlang so sauer werden lassen! dafür! sein Alfred sollte von der Erde verschwunden sein, als hätte er nie gelebt, und die Barone von Tuchheim konnten sich nun breit und bequem an Alfred's Stelle setzen und den dummen Geizhals auslachen, der nur für sie das Geld von allen Enden der Welt herbeigeschafft hatte! Die Barone von Tuchheim! natürlich! sie durften nicht aussterben, und damit sie nicht ausstürben, mußte man ihnen auch noch die eigene Tochter geben, aus deren Schoße doch nur wieder Barone von Tuchheim geboren werden konnten, die wieder Barone von Tuchheim erzeugen würden, und so fort in alle Ewigkeit!

Der Bankier lächelte ingrimmig und schlug mit dem Schüreisen in die Kohlen, als wollte er die bösen Gedanken verscheuchen; aber die Funken waren noch nicht versprüht, als die bösen Gedanken sich schon wieder einstellten.

Wäre es nicht besser gewesen, er hätte seine Tochter irgend einem der vielen Geldmänner gegeben, die sich um sie beworben hatten? Dann wäre Geld zu Geld gekommen, Arbeit zu Arbeit; oder einem der nicht minder zahlreichen, wenn auch verschämteren Bewerber aus dem Künstler- und Gelehrtenstande, die für Emma geseufzt, gesungen, Clavier gespielt und Gedichte gemacht hatten? So ein armer Teufel wäre doch wenigstens dankbar und Emma schließlich nicht unglücklich gewesen, wie sie es jetzt war. Warum hatte er Henri von Anfang an protegirt? Doch nur um Alfred's willen, doch nur, damit Alfred an ihm eine Stütze habe und einen Führer auf seinem Wege durch die große Welt. Nun ist das Mittel zum Zweck geworden – der Zweck, für den ich arbeite und für den Emma geopfert ist. So sagt sie wenigstens und wird es mir noch wer weiß wie oft sagen. Das hat man nun auch noch davon!

Der eine der Procuristen trat herein, seinem Chef eine Sache zur Entscheidung vorzulegen. Es handelte sich darum, ob einem Geschäftsfreunde, dessen Verhältnisse schwankend schienen, noch länger Credit gewährt werden solle, oder nicht. Seine Angelegenheiten stehen nicht gut, sagte der Procurist, aber sie stehen auch nicht absolut schlecht; ja, ich bin der Meinung, daß er noch nicht einmal der Summe, die er wünscht, bedarf, um wieder ganz flott zu werden, und da dachte ich denn, weil er ein so alter Kunde von uns ist –

Der Bankier fuhr ärgerlich von seinem Sessel auf und rief: Was soll mir das Alles? wie kommen Sie dazu, mir dergleichen wunderliche Zumuthungen zu machen! Nur keine Sentimentalitäten, wenn ich bitten darf! Geschäft ist Geschäft. Mag er sehen, wo er Geld herbekommt – von mir bekommt er keines, keines – nicht einen Thaler! nicht einen Thaler!

Der Procurist sah seinen Chef verwundert an; die Aufregung, die Herr von Sonnenstein an den Tag legte, stand in gar keinem Verhältnisse mit der Geringfügigkeit des Objectes.

Haben Sie noch etwas? fragte der Bankier.

Nein, Herr von Sonnenstein, sagte der junge Mann.

Dann bitte, entschuldigen Sie mich, ich möchte heute Morgen, wenn es sein kann, nichts mehr von Geschäften hören.

Als sich der junge Mann mit einem gewissen Zögern entfernte, fiel dem Bankier ein, daß er auf einer Geschäftsreise einmal auf eine Stunde in dem Hause jenes Mannes gewesen war und derselbe ihm seine Familie vorgestellt hatte: eine hübsche, freundliche Frau und eine ganze Schaar von Kindern. – Er machte eine Bewegung in seinem Sessel; der Procurist, der den Griff der Thür schon in der Hand hatte, wartete noch ein paar Augenblicke, aber Herr von Sonnenstein wendete sich, ohne etwas zu sagen, nach dem Kamin, und Jener verließ das Gemach.

Pah! sagte Herr von Sonnenstein, warum hat er so viele Kinder! Kinder kosten Geld, man kann nicht gut Beides zu gleicher Zeit haben; er hat vier oder fünf Jungen, glaube ich – und kein Geld; ich habe Geld und keinen einzigen. Wir sind quitt.

Ein Diener kam und meldete den Baron von Tuchheim.

Ich will Niemanden sehen, sagte der Bankier; dann aber fiel ihm ein, daß Henri der Ueberbringer wichtiger politischer Nachrichten sein könne und daß er ihn also annehmen müsse.

Er hatte sich nicht geirrt; Henri hatte wichtige Nachrichten. Er kam soeben vom Prinzen, der ihn vor einer Stunde hatte rufen lassen. Der Prinz war in der größten Aufregung gewesen; geheime Depeschen, die heute Morgen eingetroffen waren, hatten nähere Details über die verlorene Schlacht gebracht, die sich immer mehr als eine vollständige Niederlage der befreundeten Armee herausstellte. Der Prinz hatte sofort eine Audienz beim König verlangt und erhalten. Der König, der nebenbei sehr hinfällig gewesen war, hatte wie gewöhnlich die größte Unentschiedenheit gezeigt, zuletzt aber doch, als der Prinz sehr bestimmt aufgetreten war, die Nothwendigkeit, aus der Neutralität herauszugehen, halb und halb zugegeben.

So stehen die Sachen, sagte Henri, der selbst ungewöhnlich erregt war; der Prinz ist voller Hoffnung, den König endlich in's Wasser zu bringen, wie er sagt, und ist der Krieg einmal erklärt, so wird Alles ganz von selbst gehen. Dem König werden die Wellen über den Kopf schlagen, und er wird Gott danken, wenn man ihm verstattet, sich irgendwie auf's Trockene zu retten. Dann, Onkel, ist unsere Zeit gekommen.

Deine Zeit wolltest Du sagen, erwiederte der Bankier.

Deine doch nicht minder! rief Henri; der Prinz rechnet mit Bestimmtheit auf Deine Mitwirkung; er ist noch heute wiederholt darauf zurückgekommen, daß Du die Finanzen übernehmen müssest. Ohne eine hervorragende Capacität auf diesem Felde können wir auch gar nicht fertig werden, und ich möchte doch wissen, an wen wir uns da wenden sollten, außer an Dich.

Henri begleitete diese Worte mit einem sehr verbindlichen Lächeln; der Bankier sah ihn mißtrauisch an; er hatte die Erfahrung gemacht, daß man sich vor Henri nie mehr in Acht zu nehmen habe, als wenn er sehr freundlich war. Und dann lauerte in Henri's Augen etwas, das mit dem Lächeln auf seinen Lippen gar nicht stimmte.

Und da wir doch eben vom Gelde sprechen, fuhr Henri fort, so möchte ich Dich fragen, ob Du für mich eine größere Summe – ich meine fünf- bis sechstausend Thaler – übrig hast.

Ich glaubte, Du hättest mir Deine Schulden sämmtlich declarirt, sagte der Bankier mit einem finstern Blick unter den buschigen Brauen hervor.

Ich gebe Dir mein Ehrenwort, daß es sich nicht um die Bezahlung von Schulden handelt.

Sondern?

Um eine Speculation, einen Staatsstreich, wenn Du willst.

Ich lege kein Geld in Staatsstreichen an, sagte der Bankier, seine Hände gegen das Kohlenfeuer kehrend.

Um Henri's Lippen zuckte es unmuthig, doch hielt er an sich und erwiederte so ruhig, als es ihm möglich war: Ich bin überzeugt, daß Du mir das Geld giebst, wenn ich Dir sage, daß es mir aller menschlichen Berechnung nach die Mittel gewährt, unsern gemeinschaftlichen und in diesem Augenblick doppelt gefährlichen Gegner hoffentlich für immer unschädlich zu machen. Ich spreche, wie Du Dir denken kannst, von Leo.

Der ist mit einer solchen Bagatelle nicht zu kaufen.

Das weiß ich wohl; aber vielleicht ein Anderer, der ihn uns an's Messer liefert.

Wir leben nicht in Italien; in Deutschland giebt es, keine Bravi.

Das weiß ich ebenfalls, und ich muß mich wundern, daß Du mir dergleichen Einwürfe machst, die mindestens kein Compliment für meinen Verstand sind. Ich kann Dir nicht mittheilen, um was es sich handelt, da die Sache ein Geheimniß ist, das vorderhand bei mir bleiben muß; aber ich stehe für den Erfolg, und überdies will ich das Geld gar nicht geschenkt, ich will es geliehen haben. Du kannst es mir ja von Emma's Aussteuer abrechnen.

Ich wünsche, daß Emma die ganze Aussteuer bekommt, die ich ihr ausgeworfen habe, und ich bin nach allen Seiten hin zu sehr engagirt, um auch nur einen Thaler für Ausgaben zu haben, deren Nothwendigkeit ich nicht einsehe.

Auch wenn ich mich mit meinem Worte als Edelmann dafür verbürge, daß ich das Geld nicht für mich haben will, sondern für den angegebenen Zweck?

Auch dann.

Nun, beim Himmel! rief Henri; heftig von seinem Sitze auffahrend; das ist stark. Ich beeile mich, Dir noch ein paar Stunden vor der Börse Nachrichten zu bringen, die Dir Hunderttausende eintragen können, und Du verweigerst mir eine Summe, die Du selbst eine Bagatelle nennst! Es kommt mir nicht auf das Geld an, das ich mir auch auf anderem Wege verschaffen kann, das mir der Prinz mit Vergnügen geben wird, wenn ich nur ein Wort sage. Was mich empört, ist, daß Du mir verweigerst, was Du jedem beliebigen Gardelieutenant ohne Weiteres gewähren würdest. Aber freilich gegen Verwandte braucht man keine Rücksichten zu nehmen, und gegen Schwiegersöhne nun vollends nicht!

Ich wüßte nicht, daß Du Dich durch Rücksichten gegen Deine Verwandten je besonders ausgezeichnet hättest, und was den Schwiegersohn betrifft, ich habe Dir Emma, so viel ich weiß, nicht aufgedrungen.

Die Männer standen sich gegenüber und blickten sich mit haßfunkelnden Augen an, jeder innerlich erschrocken, daß er sich so weit hatte hinreißen lassen, und doch wieder mit einem Gefühle der Genugthuung, weil endlich einmal von dem Gesicht des Andern die Maske gefallen, und man doch nun für alle Zukunft wußte, woran man war. Jetzt mußte sich zeigen, wer der Stärkere sei, und Henri fühlte, daß in diesem Augenblick er es sei. Der Onkel war augenscheinlich fassungslos, unfähig zu sprechen; er konnte sprechen und mußte sprechen.

Sein Hut stand neben ihm auf dem Tische, er nahm die Handschuhe heraus und sagte, indem er mit einer Sorgsamkeit, als befände er sich in einem Ballsaal, dieselben anzuziehen begann: Du meinst, ich hätte mich Euch aufgedrängt? Ich bin Dir sehr dankbar für Deine gute Meinung, sehr! Indessen die Sache verhält sich doch vielleicht nicht ganz so. Unser Vortheil ging eben Hand in Hand. Ich wollte meine Güter wieder haben und einiges baares Capital dazu; Du einen Schwiegersohn, mit dem die Firma Sonnenstein Staat machen konnte und der überdies dem Chef dieser Firma zu einem Ministerportefeuille verhelfen sollte. Ich dächte also, die Einzahlung wäre von beiden Seiten gleich groß gewesen. Es scheint, daß Du die Compagnonschaft sehr bald satt bekommen hast. Nun, Du bist ja alt genug, um zu wissen, was Du thust. Aber das laß Dir gesagt sein: Du wirst mit mir einen etwas schwereren Stand haben, als mit meinem Vater. Wenn Du daran zweifelst, so habe nur die Güte, mich auf die Probe zu stellen; ich werde Dir die Beweise dafür nicht schuldig bleiben. Bis dahin habe ich die Ehre, mich zu empfehlen.

Henri war endlich mit dem zweiten Knopf fertig geworden; er ergriff seinen Hut, verbeugte sich mit gesellschaftlicher Feinheit und hatte noch beim Hinausgehen die Freude, in einem Spiegel zu sehen, wie der Andere hinter seinem Rücken in seinen Stuhl zurücksank.

Aber die Thür hatte sich kaum hinter Henri geschlossen, als Herr von Sonnenstein wieder aufsprang und, einem Rasenden gleich, in dem Gemache hin und her zu wüthen begann. Er griff sich mit beiden Händen in das krause, ergrauende Haar, und dann schüttelte er wieder die geballten Fäuste und schlug sich gegen die Brust. Was hatte er von dem Buben hören müssen! Und dieser Bube hatte seinen Sohn in sein frühes Grab bringen helfen, ja, ja! Jetzt wußte er es! Und daß er so blind hatte sein können, um des Buben listiges Treiben nicht zu durchschauen, wenn er den armen Alfred zu allen möglichen Ausschweifungen verlockte und ihm einredete: das gehöre sich für einen Cavalier! – Verflucht die Cavalierschaft mit eines Vaters ingrimmigstem Fluche! Verflucht der Versucher! Er ist mir meinen Sohn schuldig, er soll mir meinen Sohn wiedergeben, meinen Alfred, meinen armen, unglücklichen Alfred!

Und wieder warf er sich in seinen Stuhl und drückte die Hände vor sein Gesicht.

So saß er lange Zeit – ein gebrochener Mann. Zum erstenmal in seinem Leben vermochte er nicht, so viel Mühe er sich auch gab, die sonst klaren Gedanken zu sammeln; wilde Phantasien drängten sich durch sein Gehirn; er sah den todten Sohn vor sich auf der Bahre, und dann sah er ihn wieder in's Zimmer treten mit dem Hut auf dem Kopfe und die Reitpeitsche in der Hand, die Wangen geröthet von dem raschen Ritt. Er stöhnte laut und fuhr entsetzt in die Höhe, als er dicht neben sich ein Seufzen und Weinen hörte.

Was willst Du, Emma? wie kommst Du hierher, Emma? rief er und strich sich mit der Hand über die buschigen Brauen und über die gerötheten Augen, um sich zu überzeugen, ob er wache oder träume, ob die Weinende da vor ihm wirklich seine Tochter Emma sei.

Was giebt's, Emma? fuhr er zu fragen fort, und dann setzte er, ohne ihre Antwort abzuwarten, mit einer Stimme, die heiser und ärgerlich klang, hinzu: Ich bin nicht Schuld daran; weshalb hast Du ihn geheirathet? Ich hätte Dich schon ein halbes Dutzend mal vorher weggegeben, wenn Du gewollt hättest; aber Du wolltest ja nicht; nun mußt Du sehen, wie Du fertig wirst; ich wasche meine Hände.

Emma fing an heftiger zu weinen; sie hatte Trost und Schutz bei dem Vater gesucht; der Vater hatte ihr gestern Abend noch versprochen, über sie zu wachen; jetzt war sie gekommen, um zu klagen, sie hatte Grund zu klagen und Grund zu weinen wie noch nie; und nun ließ sie auch noch der Vater fallen!

Was ist geschehen, Emma? fragte der Bankier ungeduldig.

Er ist so grausam gegen mich gewesen, sagte Emma schluchzend; er hat es mir in so harten Worten vorgeworfen, daß ich ihn nicht freundlicher empfangen hätte, und als ich ihm sagte, daß ich doch unmöglich so kurze Zeit nach Alfred's Tode fröhlich sein könne, ist er so bös geworden und hat gesagt, ich hätte mich um Alfred nie viel bekümmert, und er wüßte wohl, weshalb ich weinte. Ach, Papa, Papa, ich bin das unglücklichste Geschöpf auf der Welt!

Weiß er, daß Du hier bist? fragte der Bankier grollend.

Emma sah erschrocken auf. O, nein, nein! und er darf es auch nicht wissen; ich glaube, er würde mich tödten, wenn er es wüßte; ach, Papa, Du weißt nicht, wie hart und grausam er sein kann.

Der Bankier stöhnte; er wußte es nur zu gut! Also auch die Demüthigung, seine Tochter von dem Manne, den sie erst nach langem Zögern gewählt hatte, verachtet und mißhandelt zu sehen, sollte ihm nicht erspart bleiben.

Und hernach, fuhr Emma fort – und sie schluchzte stärker als vorher; hernach ist er fort gegangen und heute Morgen erst um vier Uhr nach Hause gekommen; und mein Mädchen, die es von seinem Diener weiß, hat mir erzählt, daß er gestern die ganze Nacht nicht zu Hause gewesen ist. Ach, Papa, wie soll das werden!

Der Bankier fuhr heftig auf: Wie das werden soll? Und das willst Du von mir wissen? Habe ich nicht genug mit mir selbst zu thun? Und müßt Ihr nun noch Alle kommen und mich quälen? Weshalb weißt Du ihm nicht zu imponiren? Weshalb hast Du Dir die Zügel so bald entreißen lassen? Ich habe Dir gestern Abend genug vorgepredigt, Du solltest das alberne Weinen lassen, das zu nichts in der Welt gut ist und ihn nur noch mehr erbittern würde. Weshalb bist Du meinem Rathe nicht gefolgt? Jetzt, anstatt ihm gegenüber eine Stütze an Dir zu haben, soll ich Dich auch noch stützen! Das hat man von Euch Frauen – nichts als Verlegenheiten und Unannehmlichkeiten. Herr des Himmels, Emma, laß Dein Weinen! ich kann es nicht länger ertragen!

Der Diener, der vergeblich zweimal geklopft hatte, kam zögernd zur Thür herein: Herr von Gutmann wünscht den Herrn in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen.

Lassen Sie mich zufrieden! rief der Bankier außer sich; ich will Niemanden sehen, Niemanden! Sie kommen um Ihren Dienst, wenn Sie mir heute noch irgend Jemand melden. Verstehen Sie?

Der Diener zog sich mit einem verwunderten Gesicht nach dem aufgebrachten Herrn und der weinenden, jungen gnädigen Frau zurück. Der Bankier hatte den Blick des Mannes wohl bemerkt; er sagte, sich zusammennehmend, mit leiser, zitternder Stimme:

Muß man sich noch vor seinen eigenen Leuten blamiren! Geh', Emma, und sag' dem Doctor, es thäte mir sehr leid, aber ich könne Niemand empfangen; geh', ich möchte ihn nicht gern vor den Kopf stoßen; aber ich kann ihn nicht sehen, geh', und hörst Du, Emma, wir sprechen ein andermal darüber, geh'!

Herr von Sonnenstein reichte Emma seine kalte, zitternde Hand. Emma, die, sobald sie Leo's Namen vernommen, zu weinen aufgehört hatte, entfernte sich schnell und traf Leo noch auf dem Flur, wie ihm der Diener eben die Antwort seines Herrn ausrichtete.

Leo trat ihr lebhaft entgegen. Emma rief: Liebster Herr Doctor, verzeihen Sie dem Papa, er ist so unwohl! Dann setzte sie leise auf französisch hinzu: Haben Sie zwei Minuten Zeit für mich? Ich muß Sie sprechen!

Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern eilte vor ihm her die ersten Stufen der breiten Marmortreppe hinauf, wendete sich dann aber um, seinen Arm zu nehmen. Oben in dem Salon angekommen, brach sie in Thränen aus und rief, indem sie seine beiden Hände ergriff: Ach, mein Freund, ich bin so unglücklich, so grenzenlos unglücklich! Warum haben Sie mir das nicht gesagt!

Dann ließ sie ihn los, um in dem Zimmer umher zu irren, die Sopha's und Stühle mit der Hand zu berühren und dabei zu weinen und zu klagen, wie glücklich sie hier gewesen sei, wie glücklich sie hier noch sein könnte; und daß dies Alles nun auf immer und immer verloren und sie Zeit ihres Lebens das unglücklichste Geschöpf auf Gottes weiter Welt sein solle.

Leo war weder in der Stimmung, noch hatte er auch nur die Zeit, um Emma's Jammer ein geduldiges Ohr zu leihen. Er ging deshalb zu ihr, die jetzt zusammengekauert auf einem der Sophas saß und in die bauschigen Trauerkleider und den vom Hut herabwallenden Schleier wie in eine schwarze Wolke gehüllt war, und sagte, sich zu ihr setzend: Sie bringen mich da in eine peinliche Lage, gnädige Frau, indem Sie mich zu dem Vertrauten eines Unglücks machen, das ich habe kommen sehen und das abzuwenden doch nicht in meiner Macht stand.

Warum nicht? schluchzte Emma; in wessen Macht hätte es sonst gestanden, wenn nicht in der Ihren? Hätten Sie mich nur ein klein wenig geliebt, ach, nur so wenig – ich wäre ja mit so Wenigem zufrieden gewesen, und hätten Sie es mich nur ein einzigesmal merken lassen – keine Macht der Welt hätte mich von Ihnen trennen sollen; ich würde Allem, Allem getrotzt haben und brauchte jetzt nicht seine Frau zu sein!

Es lag eine wahre und tiefe Empfindung in Emma's Worten, und sie weinte auch nicht mehr, als sie in dem Tone schmerzlicher Ueberzeugung fortfuhr: Aber, Leo, Sie haben mich nie geliebt; warum hätten Sie das auch gesollt? Ich sehe es ja jetzt, welch' thörichtes, albernes Mädchen ich gewesen bin, wie leicht man mich hat betrügen können. Aber Mitleid konnten Sie doch mit mir haben, ich habe es ja immer so gut mit Ihnen gemeint. Sie konnten ja darum noch immer Josephe heirathen.

Leo machte eine ungeduldige Bewegung, Emma achtete nicht darauf. Hier, sagte sie, in diesem Zimmer haben Sie sie zum erstenmale gesehen. Wissen Sie wohl noch? Wir fuhren nachher noch in ein Concert, und Sie waren eine Zeitlang allein mit ihr und erzählten mir hernach, daß Sie kein Wort miteinander gesprochen hätten. Sprechen Sie denn jetzt viel mit einander? Ich habe Josephe nie viel sprechen hören. Lieben Sie sie denn wirklich, Leo? Lieben Sie sie wirklich? Ach Gott, ich kann mir das nicht vorstellen; sie ist so kalt und stolz, und Sie thun auch immer so kalt und stolz; ach, und stolz sind Sie ja auch gewiß, aber ich glaube gar nicht, daß Sie so kalt sind; Sie geben sich nur den Anschein. Dann können Sie aber auch gar nicht glücklich mit ihr werden, Leo. Sind Sie glücklich, Leo?

Leo saß, in düstere Gedanken verloren, da. Mußte er heute auch aus diesem Munde hören, was er sich in der langen Fiebernacht tausendmal selbst gesagt hatte?

Sie sind nicht glücklich, Leo! rief Emma, ich sehe es Ihnen an. Sie sind nicht glücklich! Ach, dann heirathen Sie sie nicht, thun Sie es um Gottes willen nicht! Heirathen Sie lieber die arme, gute Silvia. Sie sagen ja Alle, daß Silvia Sie liebt und daß Sie sie dem Könige opfern wollen. Sie liebt Sie gewiß, und sie paßt gewiß viel besser für Sie, als Josephe. Seien Sie doch gut zu ihr, Leo; Sie können ja so freundlich sein, wenn Sie wollen. Soll ich mit Silvia sprechen? Soll ich zu ihr gehen? Lassen Sie mich zu ihr gehen, es kann noch Alles gut werden.

Nichts kann gut werden, nichts! rief Leo mit einer Leidenschaft, die so urplötzlich aus seiner Brust hervorbrach, wie ein Donnerschlag aus der schwülen Stille eines Sommertags.

Er sprang auf und that einige Schritte, dann kehrte er wieder um und sagte mit seiner gewöhnlichen Stimme: Was kann es helfen, liebe Emma, an seinen einmal gefaßten Entschlüssen zu drehen und zu deuteln, den Kindern gleich, die ihre Kartenhäuser umwerfen, wenn sie eben damit zu Stande gekommen sind; Sie kennen mich genug, um zu wissen, daß ich wohl meine Wege, aber sicherlich nicht meine Ziele wechsle, und meine Wege ebenfalls nicht, wenn ich, wie jetzt, schon so weit gegangen bin. Und nun lassen Sie uns diese Unterredung abbrechen. Die halbe Stunde, die ich für Ihren Vater hatte, ist vorüber, und ich muß zum Könige.

Emma erhob sich schnell. Mein Gott, rief sie, ich habe Ihnen ja noch gar nicht gesagt, was ich Ihnen sagen wollte. Henri ist so zornig auf Sie, er hat gestern Abend so wilde Reden geführt!

Das ist doch nichts Neues, erwiederte Leo verächtlich lachend.

Nein, aber ich glaube, daß er etwas Besonderes vorhat; er sagte, er wolle Ihnen schon einen Strich durch die Rechnung machen, und Sie sollten Josephe nicht heirathen, es würden nicht zwei Tage vergehen, dann wäre es aus mit Ihrer Herrlichkeit, sagte er, und noch viel mehr Derartiges. Ach, Leo, nehmen Sie sich doch ja recht in Acht, er ist so grausam und haßt Sie so furchtbar; er hatte ganz bleiche Lippen, und die Augen quollen ihm ordentlich aus dem Kopfe; er wird Ihnen ganz gewiß ein Leid anthun.

Fürchten Sie nichts, sagte Leo, Emma, die jetzt vor ihm stand, bei den Händen fassend und an sich ziehend; Sie sind ein gutes Kind und hätten ein besseres Loos verdient. Vielleicht kann ich Ihnen doch noch helfen, und wenn ich es kann, seien Sie überzeugt, daß ich es thue. Kommen Sie, liebe Emma, ich habe keinen Augenblick zu verlieren.

Emma konnte sich noch nicht von dem geliebten Manne trennen. Sie sah ihn mit thränenden Augen an und sagte: Wann werde ich Sie wiedersehen? Ach, mir ist, als sähe ich Sie nie wieder.

Leo lächelte. Wir müssen doch auf gutem Fuße miteinander leben, Emma! Das muß uns der Herr Gemahl nun schon wohl oder übel erlauben. Ich glaube nicht, daß er offen mit mir zu brechen wagt. Kommen Sie morgen zum General, er giebt eine große Gesellschaft, vielleicht daß auch der König kommt, es ist eine Art Familienfest, die officielle Feier unserer Verlobung. Da kann er sich nicht gut ausschließen. Man hätte Ihnen schon eine Einladungskarte geschickt, wenn wir gewußt hätten, daß Sie zurück wären.

Er wird nicht wollen, sagte Emma.

Lassen wir es darauf ankommen!

Sie hatten das Zimmer verlassen; Emma erzählte, während sie die Treppe hinab und zum Hause hinausgingen und jetzt unter dem Portale standen, von ihrer Reise, von Alfred's Tode und von der Veränderung, die seit der Zeit mit ihrem Vater vorgegangen sei. Ach, sagte sie, der Papa ist nicht wieder zu erkennen; er war vorhin ganz außer sich; es ist recht gut, daß Sie ihn nicht gesprochen haben. Sie hätten sich vielleicht auch mit ihm erzürnt. Ich muß heute Nachmittag wieder her; kann ich es nicht an ihn ausrichten? Was wollen Sie von ihm?

Was die Leute gewöhnlich von Ihrem Herrn Vater wollen – Geld.

Können Sie es sich nicht im Comptoir geben lassen?

Ich muß erst mit Ihrem Vater sprechen.

Gott! und Sie brauchen es vielleicht nothwendig, und er ist jetzt so böser Laune und macht Ihnen Schwierigkeiten. Nehmen Sie es von mir.

Leo lächelte. Ich fürchte, Sie würden mir beim besten Willen nicht helfen können; ich brauche etwas viel.

O, ich habe Geld, sagte Emma eifrig, Papa hat mir jedes Jahr ein paar Actien geschenkt, es sind, ich weiß nicht wie viele tausend Thaler. Wollen Sie sie haben?

Um keinen Preis! – Leben Sie wohl, Emma, man darf uns hier nicht so lange beisammen stehen sehen.

Leo drückte Emma die Hand und entfernte sich schnell. Emma sah ihm seufzend nach, sie fühlte sich so verloren, so verlassen hier auf der Schwelle ihres Vaterhauses, das für sie keine Heimath mehr war, und bei dem Gedanken an das Haus, in das sie nun zurückkehren mußte und von dem sie nur zu gut wußte, daß es niemals für sie eine Heimath werden würde.


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