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13.

» S o, nun geben Sie nur her!« sagte Clärchen, als sie Bella von dem Versehen, das sie begangen, unterrichtet hatte; »ich komme damit schneller zu Stande, wenn Sie mich allein arbeiten lassen, und ich weiß, dies Dämmerlicht ist nichts für Ihre Augen.«

Tante Bella ließ nach einigem Widerstreben den Canevas los, nahm die Brille ab, lehnte sich, der Ruhe bedürftig, in ihren Stuhl zurück und betrachtete mit Vergnügen die junge Frau ihr gegenüber, die mit wundersamer Geschicklichkeit die Nadel führte und nur von Zeit zu Zeit mit treuen, guten Augen zu der älteren Freundin aufschaute.

Clärchen Münzer war ein erklärter Liebling Tante Bella's; und es gab überhaupt wenige Leute, welche die stille bescheidene Frau nicht gern gehabt hatten. Darin zwar kamen Alle überein, daß sie gar nicht hübsch sei – sehr hübsch gewachsen allerdings, mittelgroß und schlank, – aber darauf und auf eine schlanke, feine Hand und einen schmalen, zierlichen Fuß – Clärchen war mit diesen Vorzügen bedacht – sehen die Leute weniger, als auf volles, glänzendes Haar, große, feurige oder schmachtende Augen, regelmäßige Züge, schöne Farben – und von all diesen Vorzügen konnte sich Clärchen keines einzigen rühmen. Ihr Haar war dunkel, aber nicht eben voll, ganz schlicht, und sie trug es in anspruchslosen Zöpfen gepflochten; ihre grauen Augen blickten lieb und verständig, aber konnten schwerlich einen Poeten zu einem Gedicht begeistern; ihre Züge waren nichts weniger als regelmäßig, obgleich sie, wohl in Folge der inneren Harmonie, diesen Eindruck machten; und was die Farben anbetraf, so konnte selbst Tante Bella nicht leugnen, daß dieselben besser gewesen sein würden, wenn Clärchen's Gesicht etwas weniger Sommersprossen gezeigt hätte. »Das ist ja aber Alles dummes Zeug,« sagte Tante Bella, »ich bin leidlich hübsch gewesen in meinen jungen Tagen, und was hat's mir denn geholfen? Die Hauptsache ist, daß man das Herz auf dem rechten Flecke hat, und Clärchen Münzer hat das Herz auf dem rechten Flecke, und ich wollte nur, daß ich von gewissen Leuten dasselbe sagen könnte.«

»Wie Ihnen das von der Hand geht, Clärchen!« sagte Tante Bella.

»Dabei ist nichts zu verwundern,« erwiderte Clärchen, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken, »ich verstehe ja auch nichts weiter; aber müssen denn die Schuhe noch heute Abend fertig werden?«

»Ach, liebes Clärchen,« sagte Tante Bella, »Sie wissen ja, dieser abscheuliche Waisenhaus-Verein! In einer Woche sollen wieder ein Dutzend Kinder entlassen werden, und ich habe dummer Weise ein halbes Dutzend Schuhe übernommen, die heute Abend fertig sein und abgeschickt werden müssen. Gerade jetzt, wo ich so alle Hände voll habe! Ich werde nicht klug werden.«

»Hat Peter denn geschrieben?« fragte Clärchen, um dem Gespräch eine für Tante Bella etwas weniger peinliche Wendung zu geben.

»Ja; habe ich das Ihnen noch nicht gesagt? Er kommt morgen früh mit dem Sechs-Uhr-Zuge. Die ganze Nacht durch zu fahren, das ist wieder einer von Peter's tollen Streichen. Ich habe mich schon halb todt darüber geängstigt. Sie wissen ja, wie gräßlich unvorsichtig er ist. Wir können nur froh sein, daß er nicht auch unter die Räder der Maschinen gerathen ist, wie der arme, arme Eugen …«

Hier füllten sich Tante Bella's Augen mit Thränen; aber sie hatte schon so viel über den Tod des Bruders geweint, daß ihr der Entschluß, diesmal sich nicht von ihrer Rührung überwältigen zu lassen, wirklich gelang.

»Und die arme Ottilie,« fuhr sie fort, »ich habe sie nun seit zehn Jahren nicht gesehen; wie die sich wohl verändert hat, das gute Ding! Ich glaube, ich würde sie gar nicht wieder erkennen, wenn ich ihr auf der Straße begegnete. Ach, Clärchen, ich will das arme Geschöpf auch recht hegen und pflegen; sie soll, was das anbetrifft, nichts verloren haben; Vater und Mutter zusammen hätten sie nicht mehr lieben können, als ich sie lieben will. Glauben Sie das nicht?«

»Gewiß glaube ich es,« sagte Clärchen und blickte von ihrer Arbeit auf; »ich glaube es nicht nur, ich weiß es; und ich weiß auch, daß die hübsche Ottilie das häßliche Clärchen bei Tante Bella verdrängen wird, und so sollte ich mich eigentlich gar nicht über Ottilie's Ankunft freuen.«

»Pfui, schämen Sie sich, Clärchen, solche Reden zu führen!« sagte Bella, »ich habe in meinem Leben noch keinen Menschen verlassen, wenn er mich nicht zuvor verrathen hat, und selbst meistens dann noch nicht, und besonders habe ich Niemand verlassen, der meiner bedurfte und der – na, Clärchen, glücklich sind Sie nicht, obgleich Sie immer in Hitze gerathen, wenn ich 'mal ein Wort darüber sage.«

Clärchen hatte die Arbeit wieder vorgenommen und nähte emsig, den Kopf tiefer als vorher niederbeugend. Nach einer Pause sagte sie leise und ohne aufzublicken:

»Doch, Tante Bella, ich bin ganz glücklich; bitte, sagen Sie nicht wieder, daß ich nicht glücklich bin.«

»Ach was, Clärchen, Wahrheit ist ein Zeug, das man waschen kann, wie man will, und das doch Farbe hält. Wenn ich Sie dadurch glücklich machen könnte, daß ich den Mund hielte, ich würde ihn wahrhaftig nicht aufthun, aber im Gegentheil: ich meine, wenn man gerade heraus sagt, wie es ist, das ist das Allerbeste, und wenn Sie Ihrem Manne einmal die Wahrheit sagen wollten, so könnte das, däucht mir, auch nicht schaden.«

»Aber, um Gotteswillen, Tante Bella, was sollte ich ihm denn sagen?« rief die junge Frau in sichtbarer Verlegenheit.

»Das sollten Sie ihm sagen,« erwiderte Tante Bella eifrig, »daß man deshalb, weil man ein paar Bücher geschrieben hat, noch nicht zu thun braucht, als wäre man nun ein Wesen aus besserem Stoff, als unser Einer. Sie sollten ihm sagen, daß er sich glücklich schätzen könnte, eine solche gute kleine Frau zu haben, wie Sie sind, Clärchen, und so herzige Kinder, als Eure Kleinen; – nein, lassen Sie mich ausreden, – und dann sagen Sie ihm auch noch bei der Gelegenheit, daß von Volksbeglückung und Volkswohl, und Gott weiß, von welchen Heldenthaten, immer den Mund voll nehmen, gar keine Kunst sei, sondern daß Jeder wohl daran thäte, erst einmal vor seiner Thür zu fegen, und daß ich nicht soviel auf all seine Volksbeglückerei gebe, wenn er seine liebe kleine Frau nicht glücklich machen kann.«

Clärchen Münzer war bei dieser Rede bald blaß, bald roth geworden und hatte nur mit größter Anstrengung die Thränen zurückgehalten. Jetzt, nachdem Bella ausgeredet hatte, blickte sie mit ihren thränenfeuchten Augen auf und sagte mit ihrer sanften, vor Erregung zitternden Stimme:

»Tante Bella, Sie wissen, wie lieb ich Sie habe, wie hoch ich Sie schätze, wie Sie meine einzige Freundin sind, und wie viel Werth ich auf Ihre Freundschaft und Liebe lege, aber gerade deshalb sprechen Sie nicht so über Bernhard; ich kann, ich darf es nicht anhören; und wenn es wirklich wahr wäre, daß ich nicht glücklich bin, wollen Sie mir auch noch den Umgang mit Ihnen rauben?«

»Na, na!« sagte Tante Bella begütigend, »so schlimm war es nicht gemeint; man darf unter Freunden nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, sonst ist's mit der Unterhaltung bald zu Ende; und Sie wissen, daß ich auf Münzer große Stücke halte, und er verdient es ja auch, aber gerade deshalb muß er in dem Hauptpunkte Farbe halten, sonst hilft ihm, wie gesagt, all seine Gelehrsamkeit und Tüchtigkeit und Talent und Gott weiß, was sonst noch, nichts – rein gar nichts,« sagte Tante Bella, und dabei strich sie mehrmals hastig mit der Fläche der rechten Hand über die der linken.

»Aber was wollen Sie nur von Bernhard?« rief Clärchen, »ist er nicht gut gegen mich, sehr gut, viel mehr, als so ein unbedeutendes Geschöpf, wie ich, es verdient? Ist er nicht die Liebe selbst gegen die Kinder? Arbeitet er nicht für uns Tag und Nacht –«

Tante Bella zuckte die Achseln. »Er arbeitet nur zu oft auch für Andere,« sagte sie, »und was schlimmer ist, für Andere, die ihn gar nichts angehen, und was das Schlimmste ist, ihn hinterher für seine Gutmüthigkeit auslachen. Wie viel verschenkt er jährlich an unglückliche Genies, die ihn anbetteln, und nun gar in dieser letzten Zeit! Ich wollte nichts sagen, wenn er ein reicher Mann wäre, aber so –«

»Bernhard muß das thun,« sagte Clärchen mit großer Bestimmtheit, »er ist das seiner Stellung schuldig; er weist auch Viele ab, weil er nicht allen helfen kann; es möchte ja Niemand mehr, daß er's könnte, als ich.«

»Na, lassen Sie's gut sein, Clärchen,« sagte Tante Bella, »ich weiß, was ich weiß, und was ich mit meinen eignen Augen sehe, das lasse ich mir nicht ausreden. Ich will nur wünschen, daß Ihr Mann, ebenso wie mein Bruder, nicht noch einmal das Opfer ihrer ›Ueberzeugungen‹, wie sie es nennen, werden. Wie war's denn heute in der Stadt?«

»Ganz ruhig, und ich dachte deshalb, ob Bernhard nicht vielleicht, wenn er auf der Redaction fertig ist, mit mir einen Spaziergang durch die Stadt machen wollte; ich bin so lange nicht heraus gewesen.«

»Ich will einmal hinunterschicken,« sagte Tante Bella.

Clärchen wollte das nicht, aber Bella ließ sich nicht abhalten. Das Dienstmädchen brachte eine Empfehlung vom Dr. Münzer und er hätte gerade heute Abend sehr viel zu thun; Frau Doctor möchte doch allein nach Hause gehen, aber bald; es würde heute Abend wahrscheinlich etwas unruhig in der Stadt werden.

»Wieder einmal!« sagte Tante Bella, die Hände zusammenschlagend, »können die Menschen denn keinen Frieden halten? Was wollen sie denn eigentlich? Der gute König hat ja Alles gewährt. Kommen Sie, Clärchen, ich will Sie nach Hause bringen; ich muß doch noch der Schuhe wegen aus. Fräulein Blad hat sie mir zu besorgen versprochen; das liegt ganz auf Ihrem Wege. Warten Sie einen Augenblick, Clärchen; ich muß mich nur ein wenig anziehen; ich sehe ja aus wie ein Waldteufel.«

Tante Bella verschwand in einem Gemache nebenan, und Clärchen hörte während der nächsten fünf Minuten ein Dutzend Kasten auf und zu schieben, zwischendurch höchst energisches Schlüsselgerassel, denn Tante Bella war, obgleich für ihre Person von einer peinlichen Gewissenhaftigkeit und Redlichkeit, voller Mißtrauen gegen Andere, zumal gegen die Dienstboten, und verließ ihre Zimmer nie, ohne sich versichert zu haben, daß jedes der beinahe unzähligen Schubfächer, in welchen sie die Gegenstände ihres altjüngferlichen Kleinkrams aufbewahrte, dem frechen Eingriff unbefugter Hände fest verschlossen sei.

In dem Augenblicke, wo Tante Bella, den Kopf mit einem verschollenen, breitkrämpigen Hut bedeckt, in der Thür ihres Schlafgemachs erschien, brachte das Dienstmädchen einen Brief von Peter's Hand: »Wir kommen schon Freitag Abend mit dem Sieben-Uhr-Zuge. Beide wohl. Münzer sagen lassen. Au revoir! P.«

»Na, da haben wir's!« rief Bella. »Ich wußte doch, daß mir heute Alles in die Quere geht! Wenn Peter's Stube nur trocken wäre! Aber auch das nicht einmal! Ich kann nicht mit, Clärchen. Gehen Sie allein, Clärchen, und halten Sie sich nirgends unterwegs auf, und wenn Sie bei Fräulein Blad vorbeikommen, geben Sie das Packet nur eben in den Laden hinein und sagen: es käme von mir. Fräulein Blad weiß schon von Allem Bescheid. Adieu, liebes Clärchen! Lassen Sie sich ja morgen sehen! Adieu, liebes Kind!« Und damit drängte Tante Bella die Freundin beinahe zur Thür hinaus, denn das Geschäft von Fräulein Blad wurde um halb acht Uhr geschlossen. Tante Bella würde es sich nie vergeben haben, wenn die bewußte vornehme Dame ein einziges Mal den Ablieferungstermin nicht eingehalten hätte.

Clärchen Münzer hatte kaum das eine Ende der Ufergasse erreicht, als von der andern Seite eine Droschke heranfuhr und vor dem Giebelhause mit den vorspringenden Stockwerken still hielt. Ein kleiner untersetzter, grauhaariger Mann in dem Anfang der vierziger Jahre sprang aus dem Wagen, warf einen schnellen prüfenden Blick auf das Haus, als wolle er sich versichern, daß noch Alles beim Alten sei, und half dann einer jungen Dame aus dem Wagen, deren Schönheit die Magd, welche eben aus der Hausthür trat, die Sachen in Empfang zu nehmen, so in Erstaunen setzte, daß sie auf des Herrn Frage: »wo zum Kukuk denn Fräulein Bella sei?« gar keine Antwort gab.

Fünf Minuten später drang die Nachricht von der Ankunft des Herrn und des »jungen Fräuleins« auch in Peter's Zimmer, in welchem Bella eben unter Beihülfe des schieläugigen Lehrjungen Fritz und der gutmüthigen Köchin Priscilla die durch das Scheuerfest gestörte Ordnung mit Aufbietung aller ihrer Kräfte herzustellen bemüht war. Tante Bella gab den Staubbesen, mit welchem sie eben handirte, dem Lehrjungen (der ein fürchterliches Gesicht hinter ihr her schnitt, als sie zur Thür hinaus war) und eilte die enge Treppe hinab in das Wohnzimmer. Die Thür aufreißen, die liebliche Ottilie in ihren Trauerkleidern sehen, in Thränen ausbrechen, das schöne Kind unter Thränen wieder und wieder küssen, war für die gute, warmherzige Tante Bella das Werk weniger Augenblicke.

»Na, laß es gut sein, Bella,« sagte Peter abwehrend, als nach einiger Zeit auch an ihn die Reihe kam, umarmt zu werden; »laß es gut sein! Hilf Ottilie aus ihren Reisekleidern und mach' es ihr behaglich. Ich muß in die Redaction hinunter.«

Peter Schmitz streichelte der schönen Ottilie noch einmal mit väterlicher Zärtlichkeit die Wangen und eilte in die Redaction hinab. Peter Schmitz hatte keine Zeit, es sich behaglich zu machen, wenn er von einer Reise nach Hause kam.



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