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5.

E ine Viertelstunde später waren die auf Rheinfelden zum Besuch Anwesenden in dem »großen Saal« des zweiten Stocks, wo die Mittagstafel gedeckt war, versammelt.

Der große Saal war ein prachtvoller Raum, der sich beinahe durch die ganze Tiefe des Schlosses erstreckte, denn die gewaltige, reich vergoldete Eingangsthür führte auf die Gallerie des Flures, und durch die beiden hohen Fensterthüren auf der andern Schmalseite trat man auf den großen steinernen Balkon, der, von vier Säulen getragen, über dem Park hing. An den Längsseiten gelangte man durch je zwei Thüren in die andern Räume. Von der hohen Stuck-Decke hingen drei ungeheure Kronenleuchter von böhmischem Krystall. Große Oelgemälde bedeckten die Wände. Auf den Simsen der beiden Kamine standen kostbare Vasen und andere Gefäße von Meißner- und Sevres-Porzellan. Wenn auch der gebildetere Geschmack der Jetztzeit an dieser Herrlichkeit aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts Vieles auszusetzen haben mochte; wenn die Schildereien auch meistens ziemlich roh und die dargestellten Scenen fast durchgängig höchst bedenklicher Natur, dazu die breiten vergoldeten Rahmen, eben so wie die Damastüberzüge der Meubel verschossen und von den Würmern arg mitgenommen waren, so machte das Ganze doch einen bedeutenden Eindruck, dem sich Niemand so leicht entziehen konnte.

Das war an den Physiognomieen der Anwesenden klar genug zu erkennen. Der Alp, der schon den ganzen Vormittag auf den Gemüthern Aller gelegen hatte, schien in dieser Umgebung noch schwerer zu drücken. Sie sprachen wenig und das Wenige nur in einem scheuen Flüsterton. Leise gingen sie über den parquettirten Fußboden, oder standen an den Wänden still und starrten auf die nackten Götter und Göttinnen und die dickbäuchigen chinesischen Pagoden, als ob sie Alles heute zum ersten Male sähen. Nur Camilla zeigte ein gefaßtes Gesicht, und wer die junge Dame genauer beobachtet hätte, wie sie jetzt, die eine Hand auf die hohe Lehne eines Stuhles stützend, dastand und die verstörten Armensündermienen der Andern musterte, würde in ihren braunen Augen ein triumphirendes Lächeln bemerkt haben. Sie hatte gegen Niemand, selbst gegen die Ihrigen nicht, die sonderbare Scene mit dem Großonkel erwähnt.

Excellenz Großonkel ließen lange auf sich warten. Der Präsident näherte sich dem Bruder und sagte, auf die Uhr sehend:

»Bereits drei; es wird spät werden. Du gehst doch auch heute Abend noch nach der Stadt zurück?«

»Ich und die Jungen auf jeden Fall,« brummte der Obrist; »man muß ja in dieser verdammten Zeit, wo alle Augenblicke Generalmarsch geschlagen wird, auf dem Posten sein. Ob Selma bleiben will, weiß ich nicht, glaub's aber kaum; sie ist schauderhaft verstimmt.«

»Das sind wir wohl Alle mehr oder weniger,« flüsterte der Präsident; »ich für mein Theil liebe diese Visiten auch nicht. A propos! Visiten! Gestern ist Arthur bei mir gewesen; ich habe mich natürlich verleugnen lassen.«

»Bei mir auch,« sagte der Obrist erstaunt; »ich war nicht zu Hause. Was kann das zu bedeuten haben?«

Der Präsident zuckte die Achseln. »Vielleicht Wahlangelegenheiten. Arthur ist ja jetzt im constitutionellen Verein der große Mann. Ich habe schon im Stillen bereut, daß ich ihn abgewiesen habe. Vielleicht wäre es in Anbetracht der Verhältnisse doch gerathen, wieder mit ihm anzuknüpfen. Man kann nicht wissen –«

»Natürlich,« höhnte der Obrist, »immer das Mäntelchen nach dem Winde gedreht! Glaubst Du denn, daß der tolle Schwindel Bestand hat?«

»Nein; aber man könnte ihn ja nachher wieder fallen lassen.«

»Thu', was Du willst!« sagte der Obrist grob; »ich will mit dem Lump nichts zu thun haben. – Da kommt der Alte.«

Die hohe Flügelthür wurde aufgestoßen und herein trat, rechts auf den Bedienten, links auf Frau Brigitte gestützt, die alte Excellenz in voller Uniform, mit der die weiten Filzstiefel an den Füßen einen lächerlichen Contrast bildeten.

So schlürfte er durch die Gesellschaft, die ihm mit Verbeugungen und Glückwünschen entgegentrat, nach rechts und links mit dem Kopfe nickend, ohne sich aufzuhalten, hindurch.

»Ah, bon jour, bon jour! Freut mir, die lieben Verwandten bei mich zu sehen. Setzt Euch, wo Ihr Plätze findet; die kleine Hexe da kann bei mich sitzen!«

Camilla, die auf diesen Befehl schon gewartet hatte, eilte herzu und half dem Alten in den Lehnstuhl hinein, um dann (mit bescheiden gesenkten Wimpern) an seiner Seite Platz zu nehmen. Dem General gegenüber hinter der Suppenterrine saß Brigitte, die Andern rangirten sich, wie es kam, um den Tisch.

Das Mahl auf Macbeth' Königsburg kann nicht viel trübseliger gewesen sein, als dies hier auf Schloß Hohenstein. Statt des einen ehrlichen Banquo-Geistes huschten wer weiß wie viele Gespenster in der Gesellschaft herum; vergifteten das Brod und den Wein, verdüsterten die Herzen und die Stirnen, lähmten die Zungen und fälschten die Rede, also daß es schier unbegreiflich schien, wie mit Vernunft begabte Wesen sich freiwillig einer solchen Qual aussetzen konnten. Der Alte war heute fürchterlicher als je; grob gegen die Männer, cynisch gegen die Frauen, voller Hohn gegen die ganze Sippe, Camilla selbst nicht ausgenommen, obgleich er dieser jungen Dame von Zeit zu Zeit in die Wangen kniff und sie »kleine, hübsche Hexe« nannte. Und durfte der alte Mann, der, schlecht wie er war, Verstandesschärfe und Menschenkenntniß genug besaß, eine Gesellschaft nicht verachten, die in ihrer Erbschleicherei durchbohrendem Gefühle es nicht wagte, auch nur mit einem Wort oder Blick sich gegen die schändliche Tyrannei aufzulehnen? Der Alte führte beinahe allein das Wort, erzählte aus seinen Kriegszügen lange, ausführliche Geschichten von Plünderung und andern Gräueln, deren bloße Erwähnung in einer Gesellschaft, in welcher Damen anwesend sind, jeder Gebildete gern vermeidet; kam dann auf die Zeit nach dem Kriege zu sprechen, wo er mit dem vom Vater ererbten Vermögen und reichen Beutegeldern Rheinfelden und die umliegenden Güter kaufte, zu derselben Zeit, als sein Bruder, der Vater der Geschwister Hohenstein, Oberpräsident der Provinz wurde. Und nun kam aus der Familiengeschichte das Capitel, das jeder der Anwesenden bereits auswendig wußte, so oft hatte es der Alte mit stets neuem Entzücken erzählt, das Capitel von dem immer wachsenden Reichthum des Generals und der allmäligen Verarmung des Oberpräsidenten.

»Und woher kam das, Nichte Selma? Will's Ihnen erzählen. Weil mein armer Teufel von Bruder ein ungeheuer hochadeliges, hochnäsiges Fräulein geheirathet hatte, das keinen rothen Dreier im Vermögen, dafür aber – können Sie sich denken, Nichte Clotilde. daß es wirklich solche Menschen giebt? – ein eminentes Talent besaß, das Geld unter die Leute zu bringen, und das ebenso bedenkliche, ihre Familie aus sich selbst zu rekrutiren, alle Jahr im Herbst eine neue Aushebung, ha, ha, ha! Wie viel waret Ihr doch in Allem, Philipp?«

»Acht,« flüsterte der Präsident.

»Und jetzt drei; und ich alter Kegel stehe noch immer da und werde auch wohl noch hoffentlich einen oder den andern neben mir umpurzeln sehen. Aber woher kommt das? Weil ich mir die Frauenzimmer vom Leibe gehalten habe, zum wenigsten nicht so dumm gewesen bin, eine zu nehmen, die ich nicht wieder wegschicken konnte, wenn sie mir unbequem wurde. Ha, ha, ha!«

In diesem Tone ging es weiter, bis eine gelegentliche Erwähnung der augenblicklichen politischen Zustände den Andern Gelegenheit gab, auch einmal zu Wort zu kommen; eine Gelegenheit, die vor Allem der Obrist gern ergriff, um seinem mit jeder Minute wachsenden Unmuth in den heftigsten Schmähungen gegen die »verdammten Demokraten und Communisten« Luft zu machen.

»Ich wollte, ich hätte nur einen Monat lang unbeschränkte Vollmacht,« rief er mit seiner heiseren ärgerlichen Stimme, »und von hier bis an die russische Grenze sollte das Gezücht nur noch in einzelnen Exemplaren vorkommen, die in ein Mauseloch kröchen, sobald sich ein Bajonnet blicken ließe. Aber anstatt das Gesindel mit Kartätschen zusammenzuschmeißen, fängt man an, mit ihnen zu unterhandeln und ›Versammlungen zur Vereinbarung der Verfassung‹ zu entriren. Am ersten Mai geht's los; mein Herr Bruder streitet sich mit einem abgesetzten Gymnasiallehrer, einem verlumpten Literaten – Dr. Münzer heißt der Kerl, glaube ich – um die Ehre, zu dieser ehrenwerthen Versammlung gewählt zu werden. Ist das nicht, um des Teufels zu werden.«

»Lieber Bruder,« flüsterte der Präsident, »wir werden uns –«

»Lauter!« schrie der General, »wer kann denn das Gewinsel verstehen?«

Der Präsident erröthete und fuhr mit etwas erhobener Stimme fort:

»Ich wollte nur bemerken, lieber Oheim, daß mein guter Bruder in seiner raschen soldatischen Weise den Zeitverhältnissen nicht die nöthige Rechnung trägt. Es kann ja Niemand dieser ganzen, widernatürlichen, von Frankreich importirten und bei uns von einigen wenigen unruhigen Köpfen künstlich unterhaltenen und emporgetriebenen Bewegung mehr gram sein, als ich; aber ich meine doch, daß es klüger ist, einem wildgewordenen Stier, der mit gesenkten Hörnern laut brüllend des Weges daher gestürzt kommt, aus dem Wege zu gehen, als ihn so geradezu bei den Hörnern zu fassen. Der Stier wird sich bald die Hörner an der nächsten Wand ablaufen, und wenn er dann von seinem Sturz betäubt da liegt, kann man die Bestie ja ruhig knebeln und in den Stall zurückführen. Genau so ist es meiner Ansicht nach mit dieser Bewegung. Eine parlamentarische Regierung ist ein Nonsens; Pöbel bleibt Pöbel und dem Proletariat ist nicht abzuhelfen trotz all der wüsten Theorieen unserer socialistischen und communistischen Volksbeglücker. Wenn die Leute sich müde geschrien und getobt haben, werden sie das ganz von selbst einsehen, womit ich gar nicht gesagt haben will,« – hier lächelte der Präsident – »daß es nicht gerathen sein möchte, dieser Einsicht gelegentlich mit einigen fühlbaren Argumenten ad hominem zu Hülfe zu kommen.«

»Was heißt gelegentlich?« rief der Obrist, »mir däucht, um für seinen König loszuschlagen, ist jeder nächste Augenblick die passendste Gelegenheit. Laßt Euch nur erst auf ›Vereinbarung‹, auf ›Verfassung‹ und wie der Schwindel sonst noch heißen mag, ein, und Ihr werdet sehen, welche Concessionen Ihr trotz all Eurer Weisheit werdet machen müssen.«

»Vielleicht liegt die Sache nicht ganz so schlimm, lieber Bruder,« erwiderte der Präsident; »wenn zwei Parteien sich über etwas vereinbaren wollen, so wird, wenn kein Schiedsrichter da ist, bei eintretenden Meinungsdifferenzen diejenige den Sieg davon tragen, welche die stärkere ist. Ein Convent – à la bonne heure! so etwas könnte, wenn auch nur vorübergehend, störend werden, aber dazu werden sich unsere guten Deutschen in Ewigkeit nicht aufraffen. Eine Vereinbarungsversammlung trägt den Keim des Todes schon von vorn herein in sich; glaubst Du denn, lieber Bruder, ich würde um die Ehre, in einer solchen Versammlung zu sitzen, mich bewerben, wenn ich davon nicht überzeugt wäre?«

»Und die Versammlung in Frankfurt?«

Der Präsident lächelte. »Dieser Traum der deutschen Einheit,« sagte er, »wie bald wird er ausgeträumt sein! Die Deutschen sind, trotz diverser Republikanerbärte, die das Gegentheil beweisen sollen, gut monarchisch gesinnt. Sie werden sich nicht an ihren Fürsten vergreifen; nun, und bis die Hohenzollern sich mit den Habsburgern, die Welfen mit den Wittelsbachern, und so weiter und alle sich untereinander über eine deutsche Verfassung vereinbart haben, bis dahin – wird's ja wohl beim guten Alten bleiben.«

»Na, und wie sieht's denn in der Stadt aus?« warf der General dazwischen.

»Dem Anschein nach trüb genug,« erwiderte der Präsident, »wir sind jetzt inmitten der erbittertsten Wahlkämpfe. In dem feindlichen Lager herrscht eine gräuliche Verwirrung. Sie wissen nicht, wen sie für Frankfurt und wen sie für die Residenz wählen sollen, um so weniger als es, wie Sie sich denken können, gar sehr an Capacitäten mangelt, und überdies die Führer in ihren Ansichten himmelweit auseinandergehen. An der Spitze der Radicalen, die am liebsten Alles mit Stumpf und Stiel ausrotten, um ihr Utopien auf eine tabula rasa zu bauen, steht mein sehr ehrenwerther Mitbewerber, der Dr. Münzer. Er ist Präsident des sogenannten demokratischen Vereins, und hat die Masse für sich, weil er, wenigstens dem Namen nach, Katholik und von Geburt ein Rheinländer ist – kein kleines Verdienst in den Augen eines Volkes, das uns Protestanten aus den östlichen Provinzen immer noch mit großem Mißtrauen betrachtet, besonders in neuester Zeit, wo die Geistlichen nach dieser Seite hin arg gewühlt haben. – Neben jenen demokratischen Ultra's besteht eine sogenannte constitutionelle Partei, in der sich Alles zusammenfindet, was nicht geradezu den Umsturz will, vom streng conservativen Royalisten bis zu dem liberalen Bourgeois, dessen drittes Wort Constitution ist. Ich gestehe, daß ich selbst im Interesse der guten Sache es für räthlich gehalten habe, für einige Zeit dem Namen nach zu dieser Partei, die sich ebenfalls in einem Vereine constituirt hat, zu gehören, obgleich man dabei allerdings mit Leuten in Berührung kommt, denen man sonst im Leben geflissentlich ausweicht.«

Während dieser Unterredung war der Nachtisch aufgetragen, und da der General ganz gegen seine Gewohnheit nicht nur durch sein Beispiel, sondern zuletzt sogar direkt zum Trinken aufgefordert hatte, so fing eben eine etwas bessere Stimmung Platz zu greifen an, als man während der letzten Worte des Präsidenten das dumpfe Rollen eines Wagens auf dem Schloßhof vernahm. Der General gab der ihm gegenübersitzenden Brigitte ein kaum merkliches Zeichen mit den buschigen Brauen, worauf die Haushälterin den Tisch verließ. Von den Uebrigen hatte Keiner auf diesen Vorgang geachtet, denn der General hatte alsbald, zum Präsidenten gewandt, die Frage aufgeworfen:

»Nun, und Dein Bruder Arthur? Ich lese ja in den Zeitungen, daß er in Deinem Vereine das große Wort führt.«

Der General hatte in den letzten Jahren sich niemals auch nur mit einem Worte nach diesem dritten Sohne seines Bruders erkundigt und schien gar nicht daran zu denken, daß derselbe noch unter den Lebenden weile. Es war also natürlich, daß die Erwähnung des so viel besprochenen »Onkel Arthur« die Aufmerksamkeit Aller, selbst der jüngeren Mitglieder der Gesellschaft erregte, zumal Excellenz die Frage in einem ganz besonders lauten Ton gestellt hatte.

»Das ist auch so eine der Berührungen, von denen ich vorhin sprach, lieber Onkel,« erwiderte der Präsident. »Sie wissen, wie weit meine politischen Ansichten von denen meines unglücklichen Bruders abweichen, wie ich – ebenso wie Gisbert– es meiner Stellung schuldig zu sein geglaubt habe, allen Umgang mit einem Manne abzubrechen, der sich nicht geschämt hat, eine Mamsel Schmitz zur Frau von Hohenstein zu machen, und dennoch« – der Präsident zuckte die Schultern – »die Sache ist eben nicht zu ändern; wollen wir uns nicht alles Einflusses auf das Volk berauben, müssen wir –«

»Uns mit Zöllnern und Sündern an einen Tisch setzen,« höhnte der General. »Warum nicht? Würden wir doch unsere Beine selbst unter des Teufels Tisch stecken, wenn was Erkleckliches dabei herauskäme. Nicht wahr, Herr Obrist?«

Der Obrist glaubte diese Zumuthung zurückweisen zu müssen, einmal als Soldat und sodann, weil seine Ansichten in diesem Punkte mit denen des Generals zusammenzufallen schienen.

»Keineswegs,« sagte er; »ich für meinen Theil würde meine persönliche Ueberzeugung niemals einem zu erreichenden Vortheil opfern. Arthur hat sich durch seine plebejische Heirath und seine demokratischen Tendenzen, die bei ihm, dem gewesenen Offizier, doppelt schimpflich sind, von uns losgesagt, nicht wir uns von ihm. Er hat es sich daher selbst zuzuschreiben, wenn wir ihm die Verachtung beweisen, die sein Betragen verdient.«

Der General hatte während dieser Worte so oft nach der Thür geblickt, und in so auffallender Weise mit den Augenbrauen gezuckt und den mächtigen weißen Schnurrbart hin und her geschoben, daß es außer dem Obristen Allen auffiel und Alle die Ahnung von etwas Außerordentlichem, das sich demnächst ereignen werde, überkam.

»Das ist mir ja höchst unangenehm zu hören,« schrie der General, »das setzt mir ja in die größte Verlegenheit! Ich dachte es recht gut zu machen, wenn ich Euch auf Eure alten Tage mal wieder zusammenbrächte; aber freilich, wenn die Sachen so stehen – ich fürchte nur, es ist jetzt schon zu spät – na! sage ich's nicht? da haben wir's!«

Die große Flügelthür sprang auf und herein traten ein stattlicher Herr, der eine schöne, blasse Dame am Arm führte und ein junger, hochgewachsener Mann, hinter dem, als er hereingetreten war, die Thüren von den Bedienten wieder geschlossen wurden.

Die Ankunft Onkel Arthurs, seiner Gattin und seines Sohnes, des Studenten Wolfgang, kam so unerwartet und war für die meisten Mitglieder der Familie so peinlich, daß sie sich wie elektrisirt von ihren Stühlen erhoben, unter ihnen, Alle noch um eines Hauptes Länge überragend, die alte Excellenz, die höhnisch schrie:

»Prosit Mahlzeit, Kinder! Laßt's Euch gut bekommen, Kinder! 's ist so hübsch, wenn Brüder einträchtiglich bei einander wohnen. Guten Tag, lieber Neffe Arthur! Das da ist Deine Frau, und das Dein Sohn? Freut mir, Euch kennen zu lernen. – Das hier sind Eure lieben Verwandten – Obristin von Hohenstein, geborne Gräfin von Düren-Lilienfelde –«

»Ich habe bereits die Ehre,« sagte die Obristin, die ganz blaß vor Zorn geworden war, indem sie sich mit erzwungener Höflichkeit verbeugte.

»So? hast bereits die Ehre? Freut mir, freut mir!« schrie der Alte, »ist ja mehr, als ich erwartet habe. Hast auch vielleicht schon die Ehre, Nichte Clotilde?«

»Gewiß, gewiß,« sagte die Präsidentin, »wir haben uns schon öfter von ferne gesehen; es freut mich ungemein, meine Schwägerin auch einmal persönlich kennen zu lernen; seien Sie mir herzlich gegrüßt!« und die Präsidentin trat auf die schöne, blasse, vor Aufregung zitternde Dame zu und schloß sie in die Arme. »Dies sind meine Töchter, Aurelie und Camilla. Liebe Kinder, dies ist Eure Tante –«

»Margarethe,« sagte die blasse Dame gutmüthig lächelnd, als die Präsidentin plötzlich in großer Verlegenheit inne hielt.

»Welch' schöner Name!« rief Camilla, die dargebotene Hand der Dame mit Enthusiasmus ergreifend.

Während unterdessen Arthur sich zu seinen Brüdern wandte, von denen der Präsident mit glatter Freundlichkeit, der Obrist hingegen mit kaltem Stolz seine verbindlichen Worte hinnahm, hatte Wolfgang nach einem Gruße, in den sich die ganze Gesellschaft theilen mußte, ruhig dagestanden, die schönen, ernsten Augen nur immer auf die Mutter gerichtet, als ob diese ganze Scene, nur in so weit sie die Mutter berührte, für ihn von Interesse und Bedeutung sei.

»Wie heißt denn Du?« schrie plötzlich der General vor den Jüngling hintretend und ihn in seiner rohen Weise vom Kopf bis zu den Füßen musternd.

»Wolfgang!« erwiderte der Jüngling, ohne sich im mindesten durch die stechenden Augen unter den zuckenden Haarbüscheln einschüchtern zu lassen.

»Wie alt bist Du?«

»Einundzwanzig Jahre.«

»Was treibst Du denn?«

»Ich studire Jura. Aber verzeihen Sie, ich sehe, daß die Mutter meiner bedarf.«

Damit wandte sich Wolfgang von Hohenstein mit einer leichten Verbeugung von dem General ab, der ihm erstaunt nachsah, trat an seine Mutter heran, und sagte: »Willst Du Dich nicht setzen, liebe Mutter?«

Er nahm die schöne Dame, die in der That von Minute zu Minute blasser geworden war, am Arm, führte sie einige Schritte aus dem sie umgebenden Kreise heraus nach einem Fauteuil, und sagte, indem er sich über sie beugte, leise: »Du bist sehr angegriffen, Mama; ruhe Dich erst etwas aus!«

»Aber was werden –«

»Die Leute denken? was sie wollen. Ich bleibe bei Dir.«

Excellenz hatte sich unterdessen an der von ihr so sinnreich arrangirten Familienscene hinreichend geweidet.

»Prosit Mahlzeit, Kinder!« rief er, »amüsirt Euch so gut Ihr könnt; ich muß Euch bis morgen Adieu sagen; oder ist vielleicht Jemand hier, der heute schon Abschied zu nehmen wünscht?«

Bei diesen Worten fixirte der gastfreundliche alte Mann scharf den Obristen und seine Familie.

Der Obrist hatte einige Augenblicke etwas abseits von der Gesellschaft leise und heftig mit seiner Frau und seinen Söhnen gesprochen. Er wollte augenblicklich fort, er wollte sich nicht länger zum Narren haben lassen. Selma, die, klug und berechnend, wie sie war, sah, wie die Sachen lagen, und daß hier nichts Anderes übrig bleibe, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, hätte jetzt gern eingelenkt, aber der Obrist blieb taub, und wenn die Obristin unter andern Umständen das Spiel auf eigene Rechnung und Gefahr weiter gespielt haben würde, so zwang sie jetzt Odo's noch immer unerledigte Angelegenheit mit dem erzürnten Gatten zugleich abzureisen. Die letzten nicht mißzuverstehenden Worte des Generals gaben den Ausschlag.

So traten sie denn auf ihn zu, der eben den Arm seines Dieners nahm, und der Obrist sagte:

»Ich muß leider um die Erlaubniß bitten, mich mit den Meinen sofort beurlauben zu dürfen; die Pflicht ruft mich nach der Stadt zurück.«

»Wollt schon fort? Na, reist mit Gott, Kinder, reist mit Gott!« sagte der Alte, und dabei nickte er mit dem kahlen Kopfe so eifrig und die Borsten über den Augen zuckten so schnell auf und nieder, daß die Freude über den gelungenen Streich nur zu ersichtlich war.

Auch der Präsident trat heran, um sich für seine Person zu empfehlen.

»Für Deine Person?« rief der General; habe nichts dagegen; aber Deine Frauenzimmer bleiben hier. Keine Widerrede! – Madame, geleiten Sie Frau Arthur von Hohenstein in ihre Zimmer. – Großneffe Wolfgang unterhalte die Damen, zeige, daß Du außer Deinem Jus noch was gelernt hast. Und Du, Neffe Arthur, gib mir Deinen Arm und bringe mich auf mein Zimmer, ich habe mit Dich zu sprechen.«



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