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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Das plötzliche Verschwinden von Mister, oder wie man jetzt wohl sagen mußte: Lord Douglas-Glenmore und seiner schönen Frau fand im allgemeinen weniger Beachtung als man hätte denken sollen. Aber einmal war der Kaiser endlich eingetroffen, und das Hauptinteresse von Hoch und Niedrig konzentrierte sich selbstverständlich um den hohen Herrn, in der Frage gipfelnd, ob er heute eine Spazierfahrt machen werde und zu welcher Stunde. Sodann hatte der Regen die schöne Lady bereits seit Tagen von der Bildfläche verschwinden machen, wie die andern Damen auch. In der moralischen Depression, die sich aller Gemüter bemächtigt, wollte selbst das Gerücht nicht verfangen: der hagere Engländer, oder besser Schotte sei gar kein Lord gewesen, sondern ein Schwindler, der schon lange die Bäder und andre Plätze, an denen gespielt wurde, unsicher gemacht; und habe auch nicht Douglas geheißen, sondern Twain oder Klain oder etwas derart. Man führte dies Gerücht auf den Oberst Krell zurück. Aber die Aussage Krells, den man um Aufklärung anging, war nicht geeignet, das Dunkel zu lichten. Er habe allerdings vor zwei Jahren einen Schwindler, Namens Tain, in Paris zu seinem namhaften Schaden kennen gelernt und eine flüchtige Aehnlichkeit zwischen Lord Glenmore und jenem Mister Tain gleich an dem ersten Abend in Gegenwart einer größeren Gesellschaft, in der sich unter anderen auch Ossecks befanden, konstatiert. Allein die Aehnlichkeit sei eben sehr flüchtig gewesen, das Renkontre überdies zwei Jahre her, und auf eine flüchtige Aehnlichkeit hin könne man doch nicht einen Gentleman verdächtigen! Dennoch habe er – an einem Vormittage in den Anlagen – Gelegenheit genommen, Mister Douglas, dem er zufällig begegnet sei, zu einem längeren Gespräch zu veranlassen; und sich dann allerdings überzeugt, daß der Schotte ein sehr abenteuerliches Leben geführt zu haben scheine; aber zwischen einem derartigen Leben, wie es so viele junge Lordssöhne in Paris und sonst auf dem Kontinent vollführten, und einer Schwindlerlaufbahn, wie man sie dem Mann imputiere, sei denn doch ein großer Unterschied. Wenigstens habe er sich für sein Theil von der Identität des Mister Douglas mit dem Erben einer der ersten schottischen Pairien für überzeugt gehalten und halte sich überzeugt. Uebrigens solle man doch Osseck fragen; er wisse vielleicht mehr von dem Manne, mit dem er ja, nach Aussage des Wirts vom Angleterre, unmittelbar vor der Abreise desselben eine längere Entrevue gehabt habe; oder auch Wolfsberg, der soviel ihm bekannt, auch nicht ungerupft aus den Händen des Schotten gekommen sei.

Lassen Sie mich zufrieden! rief Udo; ich habe, mit Ihrer Erlaubnis, mehr zu thun, als müßige Fragen zu beantworten, bei denen ich mein Geld auf keinen Fall wieder kriege. Hol der Teufel das Geld! Ich habe wichtigere Dinge in den Kopf zu nehmen! Ich kann doch unbedingt auf Sie bei der Partie am Sonnabend rechnen?

Die Partie am Sonnabend nach der Iburg war bei Udo zur fixen Idee geworden, die, in anbetracht, daß es heute bereits Freitag war und noch immer zeitweise in Strömen regnete, das Barometer unveränderlich auf Sturm zeigte und das Hygrometer ebenso auf 99°, zu den nicht ganz ungefährlichen gerechnet werden durfte. So hatten denn auch seine ruhigsten Bekannten die Köpfe geschüttelt, wenn sie ihn während der letzten Tage viertelstundenlang an dem Obelisken mit den Witterungsmeßinstrumenten stehen sahen, oder ihn höhnend fragen hörten, warum man gegen die paar erfrischenden Tropfen Regen den Schirm aufspanne? Und war es nicht förmlich unheimlich, wenn er jede beliebige Wette darauf eingehen zu wollen erklärte, daß es am Sonnabend das schönste Wetter geben und alle Beteiligten sich auf der Partie nach der Iburg amüsieren würden wie noch nie.

Es schien aber, daß der Kreis der Beteiligten oder zur Beteiligung von ihm Aufgeforderten so ziemlich alle noch restierenden Badegäste von Distinktion umfaßte. Zum mindesten brauchte einer den andern nur zu fragen: Werden Sie am Sonnabend auch dabei sein? um sofort ein: »Ich weiß noch nicht«, oder »Wenn es möglich ist« als Antwort zu erhalten, meistens in Begleitung eines Achselzuckens oder ironischen Lächelns. Ja, es gab Boshafte, die, wenn sie von der Partie hörten: »Ach so: die Wasserfahrt!« sagten. Andere wollten wissen, daß, seitdem Herr von Wolfsberg die Expedition nach der Iburg aufs Tapet gebracht, die Nachfrage nach Schwimmgürteln in Baden nicht mehr gedeckt werden könne, und man bereits nach Hamburg und Bremen um weitere Ware telegraphiert habe.

Dies war ja nun der offenbare Spott; aber ernsthafte Leute mußten als Thatsachen einräumen, daß sämtliche voitures de remise zum Sonnabend mit Beschlag belegt seien; daß ein Galanteriewarenhändler in der Langen Straße die Lieferung von Laternen aus farbigem Papier – über die Anzahl der Dutzende variierten die Angaben – übernommen habe, und in einem leer stehenden Schuppen in der Kaiserstraße seit mehreren Tagen ein Oberfeuerwerker aus Rastadt unter Assistenz von ein paar hülsenklebenden, schwefelfädendrehenden Gehilfen sein geheimnisvolles Wesen treibe.

Die Wasserfahrt nach der Iburg war also wenigstens für Herrn von Wolfsberg eine beschlossene Sache – das war keine Frage. Aber eine recht wohl aufzuwerfende war, wovon er die Kosten der Expedition decken werde, die sehr bedeutend für den Arrangeur ausfallen mußten, wenn dieselbe zustandekam, und zweifellos kaum weniger schwer ins Geld liefen, falls sie, wie doch fast mit Sicherheit anzunehmen war, eben zu Wasser würde. Denn außer jenen Vorbereitungen wollte man noch von ganzen Lastwagen wissen, die in letzter Zeit mit Wein- und Eßkörben beladen, die verregneten Wege nach der Iburg hinaufgeknarrt seien; dazu von einem kolossalen, reichgeschmückten Zelt, das auf dem Schloßhof errichtet oder, wie einige wissen wollten, mit dem der Schloßhof überspannt werden sollte, und noch anderen viel großartigeren, den Festteilnehmern zugedachten Ueberraschungen.

Für diese bange Frage hatte indessen die weltkundige Fama bald eine die skeptischsten Gemüter zufriedenstellende Antwort gefunden. Herr von Wolfsberg war freilich der Erfinder der Idee, auch wohl der geschickte Arrangeur; die Deckung der Kosten aber garantierte der stille Teilhaber an dem Geschäft, Herr von Steinbach. Daß die beiden schon seit Tagen die Köpfe fortwährend zusammensteckten und, so zu sagen, unzertrennlich waren, konnte von einwandfreien Zeugen eidlich erhärtet werden.

Blieb bloß zu ergründen, welches Interesse der ruhig behagliche Großgrundbesitzer an der Donquichotterie des pfenniglosen Leutnants hatte?

Das, welches die Phantasie des letzteren beflügelte, war niemandem ein Geheimnis. Wenigstens nicht im Klub. Von dem Kammerherrn von Pustow, als ehrwürdigem Alterspräsidenten seit Menschengedenken, bis zu dem gestern engagierten Billardmarkeur wußten alle, daß das Ganze nichts war als eine letzte Attacke im großen Stil: ein Vorstoß der Armee in ihrer ganzen Front auf das Herz der dritten »Gleiche«, der, wenn er gelang, den jungen Helden zum Millionär, oder, nach seinem eignen verbürgten Ausdruck: »zu einem Gott« machen mußte; wenn er nicht gelang – daß Gott erbarm! Und: sein Urlaub ging am Montag definitiv zu Ende. Am Sonntag ruhte bekanntlich Alt- und Jung-England. Am Sonnabend mußte es sich also entscheiden: die Iburg-Expedition war sein Austerlitz oder Waterloo.

Freilich, wer so mit offenen Karten spielte, wie er, dem war es leicht ins Spiel zu sehen. Wer aber hatte einen Einblick in die Karten des vorsichtigen, zugeknöpften Herrn von Steinbach?

Nun, es war freilich schon einige Zeit her und viel Wasser zu Thal geflossen, seitdem er an einem sonnigen Vormittag auf der Estrade des Kur-Restaurants eine gewisse junge Dame für die Krone der zur Zeit in Baden anwesenden Damen erklärt und an demselben Abend die Champagnerfete im kleinen Saale gegeben. Auch hatte seit dem Tage keiner wieder den Namen der Dame über seine Lippen kommen hören. Aber der Name war darum nicht vergessen worden. Und daß Herr von Steinbach seitdem in der Familie der Dame aus und ein gehe, konnte der Major von Liebe nicht in Abrede stellen und leugnete es auch auf keine Weise. Nur daß er für alles übrige ein Schweiger war, der seinem großen früheren Chef alle Ehre machte und dadurch der Konjekturalkritik In der Editionstechnik jenes textkritische Verfahren, das auf zweifelhafte Textstellen angewendet wird, wobei Ergänzungen oder Ersetzungen wissenschaftlich plausibel gemacht werden müssen. – Hier im Text eine ironische Übertreibung, die soviel wie »Vermutungen« bedeutet. der Klub-Weisen den weitesten Spielraum eröffnete. Man vereinigte sich schließlich dahin, daß die Sache zwar nicht über allen Zweifel hinaus, aber doch im höchsten Grade wahrscheinlich sei, und daß Herr von Steinbach dann jedenfalls die besten Chancen habe, sintemal ein Mann, wie er, viel zu klug sei, um mit dem Aufwand von so und so viel tausend Mark für Wolfsberg die Kastanien aus dem Feuer zu holen und für sich selbst einen Korb in bengalischer Beleuchtung.

Davor bin ich allerdings sicher, sagte Herr von Steinbach brummend, als ihm Udo mit einem Lächeln, das nicht ganz frei war, diese Aussprüche der Klub-Weisen wiedererzählte – schon seit vorgestern.

Sie müssen die Sache auch nicht zu tragisch nehmen; tröstete Udo.

Sie haben gut reden, erwiderte der Gutsbesitzer. Erstens werden Sie reüssieren und zweitens, sollten Sie es wirklich nicht, nun, dann ist es eben eine andre. Ein alter Knabe, wie ich, macht dergleichen Dummheiten nicht zum zweitenmal.

Also eine Dummheit doch? sagte Udo melancholisch.

Für mich, respektive von mir sicherlich. Ich hätte das Terrain besser rekognoszieren sollen. Warum habe ich Sie nicht um Rat gefragt? Warum haben Sie mir nicht ungefragt einen Wink gegeben? Das war nicht freundschaftlich von Ihnen.

Und Herr von Steinbach schob Udo den Zigarrettenkasten hin.

Verzeihen Sie, sagte Udo; aber einmal war ich selbst in meiner eigenen Affaire zu sehr engagiert, als daß ich auf die Angelegenheiten andrer ein Auge hätte haben können –

Das weiß Gott, daß Sie Ihre hübschen Augen zu was anderem brauchen; Sie verstehen damit zu klappern trotz einem achtzehnjährigen Mädchen; brummte Herr von Steinbach.

Sodann, fuhr Udo fort, hätte ich beim besten Willen Ihnen keinen Sukkurs bringen können, da mir Damen von der Gemütsart Fräulein Koras spanisch sind, oder griechisch – wie Sie wollen, es kommt bei mir auf eines heraus. Daß ich für mein Teil eben so gut der Venus von Milo im Louvre eine Liebeserklärung machen könnte, weiß ich wohl; aber wie der Mann aussieht oder aussehen muß, den solche Mädchen lieben, das mag der Himmel wissen.

Nun, ich weiß es jetzt; sagte Herr von Steinbach.

Hat sie es gesagt? fragte Udo eifrig.

Sie wird sich hüten, erwiderte Herr von Steinbach ärgerlich lachend; und ich werde mich hüten, es Ihnen auf Ihre hübsche aristokratische Nase zu binden. Aber, um von was anderem zu reden: Wird Ihre Frau Schwester von der Partie sein? Und die Krellsche Sippe? Haben Sie bei Ossecks etwas ausgerichtet?

Es ist eine verteufelte Sache; sagte Udo. Meine Schwester und Krell sind ja eigentlich dagegen; müssen es auch sein, nachdem sie so ostentativ mit Ossecks gebrochen haben. Aber mein Schwager ist ein Bergfex, wie alle Stubenhocker, wenn sie einmal losgelassen werden, der selbst jetzt seine sechs bis acht Stunden umherrennt – Sie sehen, es liegt im Namen – und Poly, die keine zehn Schritte geht, wenn sie nicht muß, mit sich durch die nassen Berge schleppt, wenn's nicht gerade Bindfaden regnet. Poly ist schon beinahe wahnsinnig darüber geworden. Nun, und Renner, sobald er von der Partie gehört hatte, war nicht mehr zu halten. Als echter Berliner schwärmt er für Partien; er bedauert nur, daß wir hier keine Kremser haben. Was sollte Poly thun, als mich kommen lassen und bitten, zu versuchen, ob ich die Sache mit Ossecks nicht wieder ins Gleiche bringen kann, da es doch zu peinlich für sie sei – worin ich ihr recht gebe – in diesem gespannten Verhältnis mit Ossecks, was doch unvermeidlich sein würde, auf der Partie zusammen zu treffen. Und Krell! liebe Zeit, der Mann hat jetzt überhaupt keinen freien Willen. Rosa ist schon außer sich, daß sie mit Ossecks nicht verkehren soll und will die Partie mitmachen, oder sich scheiden lassen, wogegen ja Krell gar nichts hätte, wenn die Millionen nur bei ihm blieben. Papa und Mama Golde aber sekundieren Rosa in aller Stille und Entschiedenheit. Wozu sie einen Baron zum Schwiegersohn hätten, wenn sie nicht mit anderen Baronen umgehen sollten, sondern nach wie vor auf die Gesellschaft von – na, Sie wissen! – angewiesen blieben? Ergo mußte Krell in den sauren Apfel beißen und mich gestern en passant bitten, daß, wenn ich ihm bei einer Wiederannäherung an Ossecks meine guten Dienste leisten wollte, er mir aufrichtig verbunden sein würde. Für das Gesicht, mit dem er das vorbrachte, wäre unser alter Papa Döring Theodor Döring, eigentlich Johann Friedrich Wilhelm Theodor Hering, (1803-1878), deutscher Schauspieler; 1872 Träger des Iffland-Rings. seiner Zeit als Mephisto noch extra herausgerufen.

Nun; sagte Steinbach, und Ossecks? wie nahmen sie Ihre Doppel-Mission auf?

Ossecks? erwiderte Udo eifrig, wunderbar! Er beinahe noch besser als sie. Das heißt, sie wartete offenbar nur, bis er Ja gesagt hatte, um dann ihre ganze Liebenswürdigkeit zu entwickeln. Ach, es giebt nur eine Hilde!

Verräter, sagte Steinbach.

Gar nicht! rief Udo. Ich bin ein ehrlicher Kerl; ich habe es Kate gesagt. Sie ist vollkommen mit mir einverstanden. Sie schwärmt für ihre » dear Missis Osseck, her sweet gracious lady« mindestens so sehr als ich.

Für den Augenblick, sagte Steinbach; aber später –

Kommt Zeit, kommt Rat! rief Udo lachend. Darüber lasse ich mir keine grauen Haare wachsen. Aber, um Gotteswillen, hören Sie nur, wie das wieder regnet! Es ist ein wahres Glück, daß alles herunterkommt. Wir haben jetzt fünf Uhr; bis drei morgen nachmittag sind zweiundzwanzig Stunden. Wenn das zweiundzwanzig Stunden so fortgießt, muß ja der letzte Tropfen vom Himmel herunter und wäre er eine einzige Wasserbütte. Das heißt, ich will doch lieber vor Tisch noch einmal nach dem Hygrometer sehen. Es war, als ich vorhin kam, um einen halben Grad gestiegen. Ich habe gerade noch so viel Zeit,



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