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3. Der psychologische Kern.

Es ist bekannt, daß in der Tierwelt die Form der Umwerbung dominiert. Das Männchen ist in der Paarungszeit mit der schönsten Farbenpracht ausgerüstet, um dem Weibchen zu gefallen.

Man muß heute erst daran erinnern, daß es auch im Genus Homo Männchen gibt, für die zum sexuellen Genuß die Umwerbung des Weibchens gehört. Sie werden vom Weibe fasziniert, sie wollen das Weib nicht vermöge ihrer physischen Kraft besitzen, der Genuß verlangt, daß auch das Weib genießt; man nennt das, populär gesprochen, leidenschaftlich. Auf der anderen Seite sehen wir Männer, für die die Frauen nichts anderes sind als ein Wollustapparat; sie wollen sich ihren männlichen Seelenfrieden nicht durch eine weibliche Leidenschaft stören lassen, wenn sie das Bedürfnis empfinden, ihre Ejakulationen »abzuladen«. Für sie sind die Frauen nicht anderes als dem Südslawen das Loch in der Zaunplanke. Und in der Ehe bestenfalls der Blumentopf, in den sie ihr köstliches Sperma zu gutem Gedeihen pflanzen.

Es ist selbstverständlich, daß es sich hier mehr darum handelt, zwei extreme Richtungen des männlichen Trieblebens zu fixieren, die beiden Möglichkeiten der Stellungnahme eines Mannes zum Weibe zu kennzeichnen, daß es aber niemals der Zweck dieser Scheidung sein kann, nun etwa den Herrn Ille oder den Herrn Iste in diese oder jene Rubrik einzureihen. Es handelt sich nur darum, zwei Möglichkeiten der Stellungnahme des Mannes zur Erotik aufzudecken, Möglichkeiten, die jedem Manne gegeben sind, und ich glaube, daß man von dieser oder jener natürlichen Veranlagung des Menschen kaum reden kann. Das individuelle Erlebnis entscheidet hier sehr viel. Man kennt ja genug Fälle, daß irgendein Lebesäugling, dem die Frauen nur noch ein Spielzeug waren, plötzlich von einem Weibe fasziniert wird, er ist »weg« wie ein Primarier. Es liegen psychologische Möglichkeiten vor, die gemeinsam in jedem Menschen schlummern.

Ich habe schon angedeutet, daß die Scheidung dieser Grundrichtungen in der Sexualität des Mannes für die Stellungnahme zur Prostitution von grundlegender Bedeutung ist. Ich werde noch viel von diesen beiden Triebrichtungen zu sprechen haben, und ich möchte darum für diese Erscheinungen zwei Formulierungen einführen, so unsympathisch mir an sich eine Etikettierung ist; ich betone jedoch ausdrücklich, es handelt sich hier nicht um Rubriken, in die man die Menschen einzureihen hat, sondern nur um Rubriken, nach denen man die Elemente der Empfindungsweise jedes einzelnen Menschen sondern kann. Man spricht mit Vorliebe von einer monogamen und einer polygamen Veranlagung des Menschen; diese sehr äußerliche Psychologie des Liebeslebens geht auf einen richtigen Kern zurück, es liegt ihr für den Mann und für die Frau allerdings ein wesentlich verschiedener psychologischer Zusammenhang zugrunde. Zunächst für den Mann: Der monogame Mann hängt meist mit Leidenschaft an den Frauen, jede Frau stellt für ihn eine Individualspannung dar, zu seiner Befriedigung sucht er nicht die Frauen schlechthin, sondern die eine Frau. Dieser »monogame« Mann braucht nicht etwa eine Liebe fürs ganze Leben zu kennen. Aber wenn er von einer Frau erfüllt ist, so erfüllt sie ihn ganz; sie erfüllt alle Fasern seiner Persönlichkeit; sie hat die Macht über ihn; er leidet an ihr; ein solcher Charakter ist Casanova gewesen. Ein solcher Mensch mag den Frauen gegenüber schwach sein, denn er betrachtet die Liebe einer Frau nicht als einen Besitzartikel, sondern als ein Geschenk, für das er der Frau dankbar sein muß und das ihn an sie bindet. In das kleinbürgerliche Milieu übertragen, in dem alle Leidenschaften ihrer Größe entkleidet werden, finden wir diesen gleichen Sexualcharakter in dem Zerrbilde des Pantoffelhelden. Der Pantoffelheld ist aber nur durch die kleinlichen Begleitumstände zu einer lächerlichen Figur geworden, bis zu einem gewissen Grunde liegt das Pantoffelheldentum in jeder männlichen »Leidenschaft«, weil eben der Mann der Frau gegenüber, die er liebt, sich nicht als Herrenmensch zu zeigen vermag. Einen derartigen Sexualcharakter finden wir im klassischen Altertum in Ovid, und ich möchte darum, wie es auch schon früher geschehen ist, von einer ovidischen sexuellen Veranlagung sprechen.

Ovid war die Frau das Wichtigste in der Welt, in der ihm nichts ohne Wichtigkeit war. Was er immer tat, war um eine Frau, was immer ihm geschah, geschah ihm um eine Frau. Er ermüdet nie, denn er ließ sich nie von Launen leiten, er suchte das Abenteuer nicht, um sich zu zerstreuen, sich damit zu rühmen, eines anderswo liegenden Erfolges willen, für ihn war die Frau nicht ein Mittel für andere Zwecke, sie bedeutete ihm das Ziel, zu dem alles andere in der Welt nur Weg und Mittel war. Die Liebe zu einer Frau weckte alle Energien in ihm, gab ihm das Äußerste seiner Kraft. Er suchte nicht die leichte Beute, der bloße schlechte Ruf einer Frau war für ihn kein Reizmittel, weil er, im Grunde gar nicht lüstern, nur seinen sicheren Instinkten folgte. Rausch und Ernüchterung lösten sich bei ihm nicht ab, denn er kannte das eine ebensowenig wie das andere. Er suchte und feierte die Frauen, deren Wollust aus dem Ganzen lebte, deren Leib und Seele ein Unteilbares sind und die ohne Reue dankbar sind. Er plünderte die Frauen nicht, er beschenkte sie, sie fluchen ihm nicht, sie sind ihm dankbar. Er vermochte das Leben jeder Frau durch seine Liebe um einige Grade zu steigern, es reicher und voller zu machen; für ihn war Liebe Leiden; er empfand die Liebe jeder Frau als ein Geschenk, für das er ihr dankbar war und auf das es gar kein Besitzrecht gibt; er witterte nicht in jeder Frau eine Hure, der er frech an die Ehre greifen darf, sondern er wußte, daß die Frauen, die viel geliebt haben, die zarten und feinen sind.

Ganz anders veranlagt ist der sogenannte polygame Mann, der Mann, der von Frau zu Frau geht, ohne eigentlich innere Anteilnahme. Der »polygame« Mann sucht unter allen Umständen die leichte Beute, die die billige Beute ist, an Zeit und Geld. Die Ökonomie der Zeit und der Portemonnaieinhalt bilden einen sehr wesentlichen Faktor für seine Liebeswahl; er macht sich eben nur an solche Dinge heran, die er auch rasch zu Ende führen kann, und gerade daß ihm nur die »leichten« Frauen, die Frauen ohne erotischen Instinkt zufallen, bestärkt ihn in seiner sehr niedrigen Auffassung von der Frau als Geschlechtswesen. Eine solche Persönlichkeit war Horaz, und ich möchte darum von einer horazischen sexuellen Veranlagung sprechen. Horaz, dieser kalte und vorsichtige Mann, beschränkte sich auf den Genuß der »käuflichen« Liebe, um in seiner Lebensruhe nicht gestört zu werden; um seinem physischen Bedürfnis zu genügen, prostituierte er die Frauen, aber er wollte freibleiben von der Leidenschaft, dem »Besessensein« von einer Frau, von der Umwerbung; so ist Horaz, der sexuelle Urtyp mancher Zeit, z. B. des spätrömischen Mannes, der nur das kalte Kalkül kennt, für den das Leben, die Höhe des Lebens, unter allen Umständen ungetrübte Herrschaft bedeutet. Ich brauche nicht darauf hinzuweisen, daß nur eine oberflächliche Philosophie im Menschen allein den Trieb der Selbsterhaltung, den Willen zur Macht und Herrschaft anerkennen kann, es lebt daneben, besonders im Manne, noch eine andere Macht, die auf Selbstvernichtung hinstrebt, eine Macht, die in der leidenschaftlichen Liebe am klarsten hervortritt. Auch die Zeitungen lehren, daß die Beziehungen zwischen Liebe und Selbstmord freundnachbarliche sind. Horaz war sehr einseitig nach der Seite der lebenserhaltenden Triebe orientiert, und er deckte sich insofern gewissermaßen mit dem, was man den männlichen römischen Volkscharakter nennt. Sehr bezeichnend, daß gerade durch diese Verhältnisse die Psyche der römischen Frau so in den Hintergrund gedrängt wird, daß es kaum möglich ist, von einem weiblichen römischen Volkscharakter zu sprechen. Die Gracchenmutter zeigt auf ihre Kinder, um sie als ihren schönsten Schmuck zu bezeichnen. Das ist nicht bezeichnend für den römischen Volkscharakter, sondern nur für die sexuelle Situation, in der sich die römische Frau befand, die Überwundene, Unterdrückte, um ihr Geschlechtsleben Betrogene. Der Charakter des Horaz zeigt auch in seinen feineren Nuancierungen noch typische Züge. Er verlor im Verkehr mit Frauen niemals die Besinnung und dachte stets in gleicher Weise an seine Gesundheit und sein Portemonnaie. Er hat in sich keine Schwinge der Seele, die ihm das Gefühl der Notwendigkeit der Treue gegenüber einer Frau gibt, dafür ist für ihn eine untreue Frau von vornherein unmöglich. Die Reinlichkeit ist das einzige Gesetz, dem sein Liebesleben unterliegt. Wird die Freundin in der Untreue ertappt, so fühlt er sich wie ein geretteter Schiffbrüchiger und hängt zum Dank für seine Rettung aus Seenot die feuchten Kleider opfernd im Tempel des Aesculapius auf. Zerstreuungen täuschen ihn rasch hinweg, bis er die nächste Geliebte gefunden hat; denn auch das ist für ihn charakteristisch, ganz »unbeweibt« mag er nicht bleiben. Dieser poëta laureatus hielt seine edle Liebe überdies für ein bedeutendes Geschenk und gerät, wo sie abgelehnt wird, in eine Entrüstung, die man nur als sittlich bezeichnen kann. Die Frau, die sich bestens für ihn bedankte, wird sofort seine Feindin, der er die böse Sieben an den Hals wünscht. Horaz bittet noch in aller Unschuld, Venus möge ihm bei der Rache behilflich sein: »Himmlische, die du das glückliche Zypern beherrschst und Memphis, das den sytonischen Schnee kennt, Königin, triff mit deiner erhabenen Geißel endlich einmal die anmaßende Chloe.« »Chloen arrogantem«, das ist die einzige Bezeichnung, die er für ein Mädchen hat, die einmal nicht will, wie er will. Horaz, der als Dichter ein überragendes Phänomen sein soll, ist als Mensch nichts als ein Zwischenfall ohne Folgen. Der Charakter des Horaz ist klar überliefert, und es wird seinem Ruhm keinen Abbruch tun, wenn ich von einer horazischen sexuellen Veranlagung spreche.

Ich scheine mit mir selbst im Widerspruch zu stehen, wenn ich zunächst betone, daß es sich bei der Einteilung der männlichen Liebespsychologie nicht um eine Rubrizierung der Persönlichkeiten handelt und doch nachher diese Rubriken nach einzelnen Persönlichkeiten benenne. Und es ist auch durchaus nicht meine Absicht, dem selig schlafenden Horaz oder Ovid, je nach der Auffassungsweise, nachträglich einen Lack anzuhängen, indem ich ihn zur Verkörperung eines sexuellen Mißtypus stemple. Das Problem liegt hier anders. Die Historie besitzt bekanntlich, namentlich was die Psychologie anbetrifft, eine ausgesprochene Tendenz zur Legendenbildung, sie erhebt den Einzelcharakter aus dem Gestrüpp der Persönlichkeit hinauf ins Typische. Die Menschen glauben, in dem Charakterbild prominenter Persönlichkeiten der Gegenwart oder Vergangenheit Hauptzüge zu entdecken, die über die übrigen dominieren. Und diese Hauptzüge werden in der Ideologie späterer Zeiten die einzigen. So erhebt sich der Charakter großer Staatsmänner, Kaiser und Feldherrn ins Typische, so erhebt sich aber auch der Charakter der erotischen Persönlichkeiten ins Typische. So entsteht das zeitlose sexuelle Motiv. Ich erinnere an das Salomemotiv und seine zahllosen künstlerischen Darstellungen. Ein solches erotisches Motiv, die Verkörperung einer erotischen Wunschvorstellung, ist daher auch Ovid. Ovid ist nicht eine geschlossene Persönlichkeit, sondern er ist ein Programm; er ist nach der Seite der Erotik hin eben ein Motiv, das mehrfach in der Geschichte erklingt. Ich erinnere an Ludwig XV., an Casanova.

Auch Horaz ist, wenn auch in geringerem Maße, eine sexuelle Type. Er ist in seiner Sexualität auf das gleiche Motiv gestimmt, das durch die Figur des Don Juan bezeichnet ist. Ich wählte für meine Nomenklatur absichtlich nicht die Gestalten des Don Juan oder Casanova, weil sie mit so viel begleitenden individuellen Vorstellungen belastet sind, daß oft äußere Momente ihre Anwendbarkeit unmöglich machen könnten. Auch in der Psyche der Frau ist eine zwiefache Einstellung der Sexualität gegenüber gegeben, zwei psychologische Möglichkeiten, die gleichzeitig ihr sexuelles Schicksal bestimmen und so die Erotik entweder zu einer Herrschaft oder einer Sklaverei der Weiber stempeln. Weiberherrschaft ist Liebe. In der Liebe herrscht die Frau, in der Liebe wird der Mann abhängig von der Frau, weil die Frau die Macht hat, ihm Lust zu geben und Lust zu versagen. Das Weib gewährt dem Manne ihre Liebe als ein freies Geschenk. Darum ordnet sich der Mann ihr frei unter, also umwirbt er sie, um ihr zu gefallen, damit sie ihm den Genuß schenkt, den er nur als ein Geschenk genießen kann. So wendet sich das Weib in der Liebe an das ovidische Element im Sexualcharakter des Mannes.

Nun besitzt aber die Frau aus den skizzierten psychologischen Gründen die Möglichkeit, den Mann bei eigener Kälte genießen zu lassen. Sie kann im Koitus den Mann den Lustgipfel erreichen lassen, ohne selbst in eine sexuelle Erregung, geschweige denn in Orgasmus zu geraten; denn der Mann vermag ohne vorangegangenes Liebesspiel den Lustgipfel zu erreichen, die Frau vermag es nicht. Die Frau kann um äußerer Vorteile willen dem Mann das geben, was in der Liebe nur ein Geschenk ist, nicht um selbst Genuß zu haben, gibt sie sich dem faszinierten Mann hin, sondern weil sie bezahlt wird, weil sie irgendeinen Vorteil hat, läßt sie sich benutzen, wenn dem Mann gerade die Lust ankommt. Auf diese Weise wird das Weib die Sklavin des Mannes; erotisch betrachtet sinkt sie tiefer, als der Mann je sinken kann; diese Form des Liebeslebens ist ein von der Weiberherrschaft grundsätzlich geschiedenes System, es ist das System der Weiberknechtschaft. Und in dieses System hinein gehört auch die Prostitution. Die Prostitution ist vielleicht die extremste Form in dem System der Weiberknechtschaft; es ist also die Unterscheidung des Systems von Weiberherrschaft und Weiberknechtschaft für das Verständnis des Wesens der Prostitution von grundlegender Bedeutung. In dem System der Weiberherrschaft ist der Mann der Sklave des Weibes; in dem System der Weiberknechtschaft ist der Mann der Herr des Weibes. Das Weib ist jedoch, psychologisch betrachtet, die Sklavin des Mannes in einer ganz anderen Weise, als der Mann im umgekehrten Falle ihr Sklave ist. Der Mann ordnet sich in der Liebe dem Weibe unter, er umwirbt sie, weil er selber nach dem Genuß sucht. Hier sind erotische Gründe maßgebend: die Unterordnung bedingt für ihn vielleicht erst die Genußmöglichkeit. In dem System der Weiberknechtschaft ordnet sich das Weib dem Manne unter, unabhängig von allen erotischen Werten, nicht um irgendeine Lust zu empfinden, sondern lediglich um außererotischer Lustwerte willen. Darum ist die Weiberknechtschaft der absolute erotische Nullpunkt vom Standpunkte der weiblichen Sexualpsychologie aus, darum ist die »Weiberknechtschaft« der tiefste erotische Zustand, den ein Weib zu erlangen vermag, die grundsätzliche Verleugnung der Erotik, und die absolute Dirne ist ein erotisch kaltes Wesen.

Der Begriff der absoluten Dirne tauchte bereits einmal, aber in völlig anderem Zusammenhange, in der Literatur auf, in dem Werk von Weininger: »Geschlecht und Charakter«. Die absolute Dirne steht bei Weininger nicht im Gegensatz zu dem Begriff des liebenden Weibes, sondern zu dem Begriff der absoluten Mutter. Weiningers Scheidung in die sexuellen Urtypen ist in mathematisch exakter Weise durchgeführt. Weininger redet nicht von Mann und Weib, sondern er redet von dem schlechthin Männlichen und dem schlechthin Weiblichen, dem M und W, die sich in dem empirischen Einzelmenschen niemals rein, sondern in den verschiedensten prozentualen Mischungen befinden. Auf die annähernde Gleichheit der Bestandteile von M und W führt Weininger dann die sexuellen Zwischenstufen zurück. Der Umschreibung der Komplexe M und W soll nun eigentlich sein Werk dienen. »Das Geistige im Weibe sind seine Anteile an M. Das M im Weibe ist das, was sich emanzipieren will; W ist nichts als Sexualität, M ist sexuell und noch etwas darüber. Bei W sind Denken und Fühlen geschieden, für M sind sie auseinanderzuhalten. In dem sexuellen Typus W kennt Weininger nun zwei verschiedene Grundrichtungen, die Dirne und die Mutter. Der absoluten Dirne liegt nur am Manne, der absoluten Mutter liegt nur am Kinde. In der Liebe projiziert der Mann seine Sehnsucht, das, was für ihn die höchste Vollendung bedeutet, in das Weib. Bei W sind die Wesenheiten der Liebe ganz verschieden; für die Mutter ist der Koitus Mittel zum Zweck; die Dirne nimmt insofern eine Sonderstellung zu ihm ein, als ihr der Koitus der Selbstzweck ist. In der Liebe projiziert der Mann sein Ideal eines absolut wertvollen Wesens, das er innerhalb seiner selbst nicht zu isolieren vermag, auf ein anderes menschliches Wesen, und das und nichts anderes bedeutet es, wenn er dieses Wesen liebt. Ganz anders das Empfinden der Frau; für sie ist das Bedürfnis, koitiert zu werden, das Heftigste, das ihr Seelenleben kennt; ja, der Wunsch, daß überhaupt koitiert werde, stellt den einzigen Inhalt ihres Wunschlebens dar. Im Koitus liegt die tiefste Heruntersetzung, in der »Liebe« die höchste Erhebung des Weibes. Daß das Weib den Koitus verlangt und nicht die Liebe, bedeutet, daß es heruntergesetzt und nicht erhöht werden will. Die letzte Gegnerin der Frauenemanzipation ist die Frau.«

Das Ziel der Untersuchung Weiningers ist also der Nachweis der Überlegenheit des Mannes über das Weib. Schöne Frauen lieben es nicht, die Basis für die »Projektion eines absolut wertvollen Wesens« seitens eines Mannes abzugeben, der »ein solches innerhalb seiner selbst nicht zu isolieren vermag«; ich kann es ihnen nicht verdenken, daß sie eine nachdrücklichere Projektion vorziehen. Wäre es Weininger wirklich auf eine Untersuchung der Sexualcharaktere angekommen, so wäre seine Methode als unfruchtbar zurückzuweisen. Das rein Mathematische und Abstrakte der Zerlegung jedes konkreten männlichen oder weiblichen Individualcharakters in M und W macht eine Kontrolle an der Wirklichkeit unmöglich, weil dann eine Untersuchung über abstrakte Begriffe, nicht über empirisch gegebene Charaktere zur Debatte steht. Das W ist in Weiningers Untersuchung nicht das Weibliche, sondern das Sexuelle schlechthin, das Sexuelle, das er bekämpft und aus der männlichen Psyche ausrotten will. Die Definition »W ist nichts als Sexualität, M ist sexuell und noch etwas darüber« – geht jedoch noch über die Identifizierung von W und Sexualität hinaus. Sie bedeutet die Verwerfung des Sexuellen, die dann der Leitstern für die weitere Untersuchung, die ethische Wertung des Liebeslebens wird. Ein weiterer unzweckmäßiger und unrichtiger Schritt in der Betrachtung ist die Trennung der W-Bestandteile in Dirne und Mutter. Diese Teilung mag an sich etwas Bestrickendes in sich tragen, sie ist aber nicht praktisch durchzuführen, denn die Begriffe der Dirne – in seinem Sinne der Frau als Geschlechtswesen –, und der Mutter – der Frau als mütterlichem Wesen – sind durchaus keine Gegensätze, weil Mutterschaft ja durchaus nicht geschlechtslos ist, sondern nur eine besondere Periode des weiblichen Sexuallebens ausmacht, die in sich die gleichen psychischen Werte zuläßt, wie das gesamte Sexualleben des Weibes überhaupt. Und das Sexualleben des Weibes läßt sich psychologisch gliedern in Hingabe unter eigener Befriedigung und Hingabe ohne eigene Befriedigung (meist aus äußerlichen Gründen). Bei einer solchen Einteilung ist allenfalls eine psychologische Bewertung der Frau als Sexualwesen möglich. In gleicher Weise gliedert sich dann auch die Mutterschaft nach demselben psychischen Gesichtspunkt. Dirne und Mutter im Weiningerschen Sinne sind also gar keine Gegensätze: es sind beides durchaus farblose Sammelbegriffe, die in sich gar keine psychische Einheit darstellen. Unter dem Begriff der absoluten Dirne kann man einordnen: das Weib, das sich prostituieren läßt und ebenfalls das geschlechtsstarke Weib, das aus eigenem Instinkt die Männer wählt, zwei Typen, die bei einer prinzipiellen Untersuchung die größten Gegensätze darstellen.

Die Kritik an seinem Begriff der Liebe setzte in dem Punkte ein, wo er dem Liebesbegriff alle sexuellen Momente entzieht. Weininger sagt ausdrücklich: »Es gibt eine platonische Liebe – ich möchte sogar sagen, es gibt nur platonische Liebe, denn was sonst noch Liebe genannt wird, gehört in das Reich der Säue«, und diese platonische Liebe besteht in der von ihm geschilderten Projektion des männlichen Ideals auf das weibliche. Diese Projektion ist aber nur entschuldbar, wo sie eine sexuelle Basis hat, sonst ist sie Schwäche. Diese Liebe soll nun nach Weininger das Weib erheben, wofür an keiner Stelle des gesamten Buches der Beweis geliefert wird. Man wird es gewiß den »Dirnen« nach wie vor nicht verdenken können, daß sie für diese Sorte von männlicher Liebe sehr wenig inklinieren. Worauf es hier vorwiegend ankommt, ist das: zu zeigen, daß auch bei Weininger der psychologische Begriff der »Prostitution« als einziges Moment für die Niedrigkeit des Weibes nicht erkannt ist, der Erniedrigung des Weibes durch liebelosen Geschlechtsverkehr. Der Wert des Buches liegt auf anderem Gebiete: in der inneren Geschlossenheit der Darstellung und in dem gedanklichen Kern, der in Wirklichkeit etwas ganz anderes will, als eine Untersuchung über sexuelle Typen. Das Buch versucht vielmehr, für das sexuelle Leben eine ethische Bewertung zu normieren. Weininger ist als Philosoph ein Schüler Platos. Er ist Neuplatoniker, und aus neuplatonischem Geiste ist sein Werk geboren, das nichts anderes als eine Sexualethik ist. Ich spreche von dieser Richtung der spätrömischen Kaiserzeit in dem historischen Teil des Werkes. Bis zu welchem Grade derartige Forschungen Daseinsberechtigung besitzen, mag einstweilen dahingestellt bleiben. Ich habe an anderen Orten Gelegenheit, darüber zu sprechen.


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