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III. Sexualpolitischer Teil.


Was in diesem besonderen Teile des Werkes, der eine Art Schlußwort bilden soll, folgt, kann man im doppelten Sinne Sexualpolitik nennen.

Erstens weil es aufs engste mit der Politik im eigentlichen Sinne verknüpft ist. Wenn heute nach dem Abschluß des Weltkrieges immer noch zwei Mächtegruppen um die gedankliche Beherrschung der Welt ringen, der Bolschewismus und die englische Demokratie, so denkt man kaum daran, daß sie zugleich auch um das Schicksal der Frau ringen. Und es ist gut, daß man dieses Phänomen noch nicht durchschaut hat, sonst würde in diesem Ringen um die wirtschaftliche und politische Zukunft der Menschheit vielleicht die Stellungnahme manches Menschen durch seinen erotischen Instinkt bedingt. Wie klein erscheint gegenüber dieser Eingliederung der menschlichen Sexualität in die Gesamtheit der menschlichen Schicksale und Wunschvorstellungen nicht jenes Treiben derer, die sich selbst als Sexualreformer bezeichnen.

Nicht Reform gibt es hier, sondern nur Politik.

Und zweitens fordert der Gedanke an die Zukunft des Sexuallebens, daß man Politik treibt, weil nämlich auch die »Sexualreform« eine Kunst des Möglichen ist. Die Sexualpolitik erfordert ein beständiges Abwägen ihrer Ziele, an deren Begleiterscheinungen. Wie es in der Politik unmöglich ist, sich irgendein Ziel zu setzen und geradeswegs darauf loszuarbeiten, ohne dabei an die Verflechtung mit der gesamten Weltpolitik zu denken, so kann man auch nicht schlechthin die Abschaffung der Prostitution erstreben. In der Politik muß man sich über die großen treibenden Kräfte klar werden und den Sinn der Ereignisse zu deuten, suchen. Denn die Ereignisse sind es, welche die großen Fragen stellen, lange bevor es die Menschen tun.

Suchen wir nach diesen Prinzipien der Politik die Zukunft des menschlichen Liebeslebens zu deuten, so müssen wir auf dessen Wurzeln: das Seelenleben und das Wirtschaftsleben zurückgehen. Die Psyche der Frau wird auch in Zukunft für Liebe und Prostituierung zugängig sein. Solange wir vom Menschen etwas wissen, sind die Frauen in diesem innersten Kern ihres Wesens immer gleich geblieben. Und es ist nicht zu erwarten, daß die Frauen in der Zukunft sich ändern.

Die Entscheidung liegt also in den wirtschaftlichen Momenten. Werden die Männer den Besitz der wirtschaftlichen Mittel behalten, oder werden die wirtschaftlichen Gegensätze sich so ausgleichen, daß die Voraussetzungen für den Frauenkauf fallen? Wird das kommunistische Ideal des gegenwärtigen Rußland oder das Ideal des gegenwärtigen England siegen, mag man es nun ein demokratisches oder plutokratisches nennen? Diese Frage zu beantworten ist hier kaum der Platz. Niemand kann zweifeln, daß das englische Gesellschaftsprinzip Herr über alle Wirtschaftskörper der Erde zu werden die größten Voraussetzungen besitzt. Aber es ist ebenso zweifelsfrei, daß die Ideen der russischen Revolution nicht aus der Welt ausgerottet werden können. Die russische Revolution setzt das Prinzip an die Stelle des Zufalls, die Produktion löst die Spekulation ab, und die natürliche Sympathie, nicht die Berechnung regelt die Beziehungen der Menschen. Daß diese Revolutionsideale so wenig Wirklichkeit werden konnten, daran trägt die Hauptschuld der zusammenbrechende Gesellschaftskörper, an dem sie sich darstellen sollten. Der Idee nach bereitet die kommunistische Wirtschaft jedem Menschen ein auskömmliches Dasein und beseitigt damit für die Frau den Anreiz zur Prostitution, besonders da zugleich der Luxus des Lebens, wie ihn die große Kokotte kannte, beseitigt wird. Wer also ernsthaft die Beseitigung der Prostitution wünscht, muß das kommunistische Gesellschaftsideal sich zu eigen machen. Und wer meint, daß die Prostitution auf dem Aussterbeetat steht, kann dafür höchstens den einen Grund anführen: Dem Kommunismus gehöre die Zukunft.

Denn in jeder privatwirtschaftlichen Gesellschaftsform wird die Prostitution blühen und gedeihen. Und Ironie des Schicksals: gerade die Gegner der Dirne (Iwan Bloch, Helene Stöcker usw.) haben das englische Gesellschaftsideal vor Augen. Sie lassen sich dadurch täuschen, daß die nivellierende Form der demokratischen Gesellschaft die Auswüchse der Prostitution beseitigt. Die Prostitution als solche verschwindet darum aber keineswegs; sie ergreift nur immer weitere Kreise, und Prostituierung wird mehr und mehr fast jede Hingabe der Frau, da der Gesichtspunkt des Profits das Motiv für alle Handlungen wird.

Man kann heute noch nicht sagen, ob die russische Revolution in sich selbst zusammenbrechen und nichts als einen Trümmerhaufen hinterlassen wird, oder ob sie sich zu einer Revolution »europäischen Stils« gestaltet. Dazu braucht der extreme Bolschewismus keineswegs fortzubestehen. Es brauchen nur seine Hauptideen in das Bewußtsein der europäischen Menschheit überzugehen. Und wenn es auch nur die Idee wäre, daß die Konsumtionsmöglichkeiten des Menschen nicht von irgendwelchen zufälligen Profiten, sondern von dem Werte seiner Produktion abhängen müssen, und daß jeder Mensch ein Recht auf sein Existenzminimum besitzt, und daß die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beseitigt wird.

Wenn aber die russische Revolution eine Revolution europäischen Stils wird, so muß sie auch die Prostitution – eine Form der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen – in den Ländern der Zivilisation beseitigen.

Hier bitte ich alle Recken, die so heiß gegen die Prostitution gekämpft haben, zwischen dem demokratischen und dem bolschewistischen Staatsideal zu wählen.

Man erkennt, wie niedrig im Grunde ein Gesichtspunkt liegt, der sich ein Schlagwort »Kampf gegen die Prostitution« herausgreift. Gewiß, es gibt einen Kampf gegen die Prostitution, aber die bisher dieses Schlachtgeschrei anstimmten, wußten wohl kaum, welche Geister sie damit gerufen.

Die Prostitution ist als Gesamterscheinung kein erotisches Phänomen. Erotische Phänomene sind Liebe und Prostituierung. Die Liebe ist in allen ihren Erscheinungen Weiberherrschaft, wenn auch in noch so verschleierter Form, und ihr letztes Ideal bleibt die Monogamie. Die Liebe ist zeitlos und ihre Erscheinungsformen haben sich, solange es Menschen gibt, nicht verändert.

Die Prostitution ist eine wirtschaftliche Erscheinung und nur durch gewisse psychologische Voraussetzungen bedingt. In der Geschichte der Menschheit kennen wir sie in der privatwirtschaftlichen Periode der menschlichen Vergesellschaftung. Sie hat ihren Anfang, ihre Geschichte und ihr Ende, womit nicht gesagt ist, daß dieses Ende ein Verschwinden für immer ist, da die Prostitution vielleicht unter neuen uns einstweilen unvorstellbaren Wirtschaftsprinzipien und Gesellschaftszuständen eine Auferstehung finden kann, genau so, wie wir noch ganz unklar sehen, ob und wie sie eigentlich ihr Ende finden soll.

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