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Obwohl die gesellschaftliche Stellung der Prostitution in der antiken Welt eine ganz andere gewesen ist als bei uns, so nahm sie doch in ihren Erscheinungsformen bereits im Altertum die meisten bestimmenden Merkmale und den äußeren und inneren Typus an, der ihr heute eignet. Das besondere rechtliche Gepräge, das in ihrer staatlichen Anerkennung einerseits und ihrer gleichzeitigen legalen und sozialen Ächtung anderseits besteht, empfing sie durch die Sexualreform des Solon vom Jahre 594 v. Chr. Natürlich war diese Sexualreform, wie die gesamte Reform Solons, mehr ein rechtliches Normieren und »Sanieren« der gesellschaftlichen Umbildung, die sich im Anfange des 6. Jahrhunderts in Athen vollzogen hatte. Sie ist aber nicht etwa als eine willkürliche Gestaltung des Liebeslebens durch Solon aufzufassen. Denn der Gesetzgeber kann nichts als auf die Zeit lauschen.
In dem Athen des 6. Jahrhunderts tritt uns zum ersten Male ein Staat mit ähnlichen sozialen Fragen, wie sie der moderne Staat besitzt, entgegen, und zur Lösung des Prostitutionsproblems wurde Solon gewiß stark durch die freie Prostitution des damals in Athen sich bildenden Proletariats getrieben. Vor den solonischen Reformen hatte die Prostitution gewiß das Gepräge der religiösen und Gelegenheitsprostitution, wie sie bei der Darstellung der primitiven oft erwähnt wurde. Die religiöse Prostitution beschränkte sich in historischer Zeit auf den Aphroditekult, der nach Pausanias zur Zeit des Erechtheus nach Athen gekommen sein soll. Früher herrschte in Griechenland der Eroskult, von dem noch Lukians 2. Göttergespräch zeugt. Der neue Aphroditekultus brauchte gewiß längere Zeit, um sich durchzusetzen. Der neue Kultus kam aus dem Orient, wo man schon ähnliche religiöse Formen bei den Phöniziern, Babyloniern und Assyrern findet. Die Aphrodite wurde ursprünglich als Göttin der Fruchtbarkeit bezeichnet, aber das Element der Liebe und Wollust trat in dem Kultus mehr und mehr hervor und verdrängte den ursprünglichen Gedanken der Fruchtbarkeit so sehr, daß sie geradezu die Göttin des rein sinnlichen Geschlechtsverkehrs, des außerehelichen unfruchtbaren Liebesgenusses wurde. Die Fremden, besonders die reichen lüsternen Asiaten, die in Griechenland, wo sie Handel trieben, trotz ihres Geldes keine Frauen bekamen, führten Sklavinnen in den verkehrsreichen Handelsstädten ein. Diese Sklavinnen wurden von den Griechen gekauft und als Dienerinnen den Tempeln der Aphrodite geschenkt. Dieser neue Aphroditekultus ist besonders den Inseln und Hafenstädten und somit auch vor allem Athen eigentümlich, weil hier durch den Handel, die ständige Berührung mit orientalischen Personen und orientalischen Anschauungen die ursprünglich griechischen Ansichten wesentlich verändert wurden.
Die Erscheinungsform des Aphroditekultus differenzierte sich nach ihren sinnlichen und geistigen Elementen. Im Binnenlande wurde mehr die Aphrodite Urania verehrt, die spezifisch griechische Aphrodite, die jenen Trieb verkörperte, den Plato in seinem »Eros« zum Mittelpunkte seiner Philosophie machte. In den Hafenstädten dagegen setzte sich der Kultus der Pandemos durch, der allen Völkern gemeinsamen Aphrodite. Der Haupttempel der Aphrodite Pandemos stand allerdings nicht in Athen, sondern in Korinth, das ja durch seine Lage auf dem Isthmus einen besonders starken Fremdenverkehr hatte. Für Athen berichtet Athenäus (XIII c 25) von den Tempeln der Aphrodite Pandemos, die er auch Hetaira nennt, weil sich hier die Freunde und Freundinnen (ἑταῖρα) trafen. In allen von der spezifisch athenischen Kultur beeinflußten Seestädten finden wir ähnliche Kultusformen, so in Abydos den der Aphrodite Porne. Die Entwicklung ist wohl so zu denken, daß diese Tempelbordelle ursprünglich von den Asiaten besucht wurden, allmählich jedoch auch die Griechen dort ihre Abende verlebten, besonders da die ganze Entwicklung Athens wie die anderer Handelsstädte zu einem prostitutionsmäßigen Schnellverkehr drängte. Industrie und Handel, die Fabriken und Großbetriebe geschaffen hatten, schufen auch gleichzeitig das großstädtische Proletariat, zu dem die freien Bürger und Sklaven gehörten.
Die Beseitigung der Tempelprostitution einerseits und der Schutz der Ehe andererseits waren nun die Ziele der solonischen Sexualreform.
Solon schuf zwei Aufsichtsbehörden über die Frauen: Die Gynäkonomen (γυναικονόμοι, Frauen-Aufseher), die alle anständigen und ehrbaren Frauen zu kontrollieren hatten, und eine Art Sittenpolizei für die Prostituierten. Plutarch erzählt (Solon 21) von Solons Maßnahmen zum Schutz der athenischen Frauen: Er stellte durch ein besonderes Gesetz die bei den Reisen der Weiber, bei der Trauer und der Feier der Feste eingeschlichenen Unordnungen und Mißbräuche ab. So verordnete er, daß eine Frauensperson, wenn sie aus der Stadt ging, nicht mehr als drei Kleider bei sich haben, an Speise und Trank nicht mehr als für einen Obulus und keinen über eine Elle großen Korb mitnehmen und bei Nachtzeit nicht anders als auf einem Wagen unter Vortragung einer Leuchte reisen sollte.
Die eigentliche Sittenpolizei, die zur Überwachung der legalisierten Prostitution beauftragt war, hatte es hauptsächlich mit unfreien Frauen zu tun, d. h. mit landesfremden, die als Kriegsbeute oder durch den Sklavenhandel nach Athen gekommen waren. Die Tatsache, daß man bei der für die Folgezeit so wesentlichen Regelung der Prostitution es ausschließlich mit Sklavinnen zu tun hatte, diese Tatsache hat durch eine historische Unlogik auch für die moderne Prostitution wesentliche Bedeutung behalten. Solon wandte in seiner »Reglementierung« Mittel an, die ausschließlich für die Sklavinnen eine rechtliche Grundlage besitzen. Aber trotzdem hat man nach der Verkündigung der Menschenrechte das wesentlichste dieser Staatssklaverei beibehalten.
Solon ordnete die antike Prostitution durch die Einrichtung von Staatsbordellen, er übernahm also das bisher schon übliche Bordellsystem und beseitigte nur den sakralen Charakter. Solon richtete offenbar mehrere derartige Bordelle ein, die hauptsächlich für die geschlechtsreife Jugend, der durch die wirtschaftliche Lage die Ehe noch nicht möglich war, bestimmt sein sollten. In den Staatsbordellen standen die Sklavinnen nackt zur Schau, damit jeder Besucher nach Belieben wählen konnte. Die Sklavinnen mußten sich gegen einen bestimmten Preis jedem, der sie wählte, hingeben und hatten ihrerseits kein Recht zu einer individuellen Wahl.
Für den Staat suchte Solon diese Ordnung des Geschlechtsverkehrs insofern nutzbringend zu machen, als er den Dirnen die sogenannte Hurensteuer (πορνικὸν τέλοϛ) auferlegte, die sie zwang, einen Teil ihrer Einnahme an den Staat abzuführen. Die eigentliche Sittenpolizei, der die Prostitution unterstand, wurde von den Agoranomen ausgeübt. Agoranomen bestimmten auch den Einzelpreis, den jede Dirne nehmen durfte. Von den Einnahmen aus den Bordellen soll Solon nach einer Angabe des Nikander von Kolophon, einen Tempel der Venus Porne, erbaut haben.
Wenn die Sexualreform des Solon dem Geschlechtsleben der antiken Welt und vielleicht sogar dem der Neuzeit, bis zu unsern Tagen, den Stempel aufdrückte, so sind die Gründe für die außerordentlich nachhaltige Wirkung der Reform in der Geschicklichkeit zu suchen, mit der Solon an verschiedene Instinkte des griechischen Volkes und der Kulturvölker überhaupt anknüpfte und darin, daß bei den sozialen Differenzierungen eines Kulturvolkes von wesentlich industrieller Bevölkerung die von Solon gefundene Lösung eine sichere und bequeme ist. Daß die Gedanken des Solon in Athen durchaus nicht auf einen nennenswerten Widerstand stießen, liegt einfach daran, daß sie den »männlichen« Sexualinstinkten entgegenkamen. Man vergesse aber nie, daß die griechische Prostitution, besonders die Hetären, in dem gesellschaftlichen Leben der Antike eine geachtete Stellung einnahmen. Sie hatte für das Liebesleben des Mannes ein Wertmoment, das ihr heute fehlt. Die individuellen Beziehungen zu Frauen suchte der Mann eben außerhalb der Ehe bei den Hetären. »Der Name einer ehrbaren Frau«, sagt Plutarch, »muß wie sie selbst in ihrem Hause eingeschlossen sein.« Thukydides hatte denselben Gedanken lange vor ihm ausgesprochen: »Die beste Frau ist die, von der man weder Gutes noch Schlechtes hört.« Also verließ die gute athenische Hausfrau ihr Haus nicht, sie zeigte sich weder beim Spiele, noch im Theater. Sie erschien auf der Straße verschleiert und anständig gekleidet, sonst mußte sie eine Strafe von 100 Drachmen zahlen, und die Buße wurde an die Bäume des Keramikos angeheftet. Sie wußte nichts von vornehmer Gesittung oder Mode, und sie kannte nicht die einfachsten Sätze der Philosophie. Die Berührung mit der Zivilisation machte die Hetäre zu einem Wesen von gesellschaftlich höherem Rang. Das, was einer verheirateten Frau Schande brachte, machte den Zauber einer Hetäre aus, sie vertrat das Vergnügen, nicht die Pflicht. Sie war also dem Glauben des Mannes nach auch erotisch die Höherstehende.
Das athenische Rechtsbewußtsein verpflichtete den Ehemann nicht zur Treue. Das athenische Gesetz strafte und verbot nur den Ehebruch der verheirateten Frau, aber den Ehebruch des verheirateten Mannes mit einer unverheirateten Frau kannte es als rechtliches Delikt nicht.
Das Altertum kannte auch schon den Zug in die Großstadt, allerdings mit einem anderen psychologischen Einschlage, der durch die Geringschätzung der körperlichen Arbeit bedingt wird. Die Vorstellung, daß körperliche Arbeit schändet, war natürlich ein weiteres Moment, das die Prostitution zu fördern vermochte, indem sie die im Hause arbeitende Frau in den Augen des Mannes vor der im Genusse lebenden Dirne, deren körperliche Arbeit den Anstrich des Vergnügens hatte, herabsetzen mußte.
Die Gesetzgebung über die Prostitution fußt darauf, daß die antiken Dirnen Sklavinnen waren. Die Prostitution war für die Alten nur eine besondere Erscheinungsform der Sklaverei, und die gesetzgeberischen Maßnahmen zielten darauf hinaus, sie als solche zu erhalten und, wo es möglich war, die freien Individuen, die der Prostitution verfallen waren, aus der Gemeinschaft der Bürger auszuschließen und durch Einschreibung in die Liste der beaufsichtigten staatlichen Dirnen auch äußerlich zu Sklaven zu machen. Schon unter diesem Gesichtspunkte ist der freundliche Standpunkt, den die antiken Staatslehrer dem Dirnentum gegenüber einnahmen, verständlich, da sie sich ja sämtlich von der antiken Vorstellung des Sklavenstaates nicht freimachen konnten. Die Sittenpolizei, die Agoranomen, sorgte für die Durchführung der polizeilichen Bestimmungen zugleich mit den Steuerpächtern des Hurenzinses.
Die Hurensteuer wurde an Pächter vergeben und mußte von sämtlichen Prostituierten gezahlt werden. Aechines berichtet im »Timarch« über diese Sondersteuer, daß die Spekulanten, die die Erhebung übernahmen, gleichzeitig sich den Dirnen gegenüber bei Zahlung der Umlage verpflichteten, für ihre Duldung und ihren öffentlichen Schutz zu sorgen. Die Hurenzinspächter waren in den Kreisen der Dirnen verhaßt, weil sie in raffiniertester Weise verstanden, durch eine Menge Verordnungen die alten Geldstrafen zu häufen und neue zu schaffen. Erpressungen auf seiten der Steuerbehörde gehörten zu den Alltäglichkeiten, und die Steuerfinanz suchte ihrerseits die Zahl der Prostituierten nach Möglichkeit zu mehren.
Die Agoranomen setzten fest, wieviel jede Dirne zu nehmen habe, und nach diesem Preise richtete sich die Höhe der Steuereinschätzung. Zur Erhebung des Hurenzinses war die genaue Reglementierung notwendig.
Die Polizeiverordnungen, denen die Prostitution unterlag, waren streng. Die Dirnen galten rechtsphilosophisch als Staatssklavinnen und durften das Gebiet der Republik Athen nicht ohne besondere Erlaubnis verlassen. Athenaeus berichtet, daß die öffentlichen Weiber, wahrscheinlich jedoch nur deren unterste Klasse, die Dikteriaden, erst nach Sonnenuntergang ihre Wohnung verlassen durften. Diese Polizeiverordnung beschränkte sich jedoch auf Athen, und die außerhalb der Mauer am Piräus wohnenden Dirnen pflegten dort mittags und abends ihre Spaziergänge zu machen. Das Innere der Stadt war ihnen überhaupt verboten, und sie zogen sich eine Strafe zu, wenn sie dort angetroffen wurden.
Der Piräus hatte die typischen Charakteristika einer Hafenstadt: Fischerhütten, Kneipen, Bordelle, eine ewig wechselnde Bevölkerung von Wüstlingen, Spielern und Müßiggängern. Die Dirnen fanden in der Regel hier einen viel geeigneteren »Strich«, als in der kleinbürgerlichen Stadt Athen selbst. Im Laufe der Zeit, als die Zahl der Prostituierten im Piräus größer und größer wurde, zogen die großen »Kokotten« mehr in die Nähe der Stadt und promenierten abends vornehmlich auf dem Keramikos. Es war dies eine Vorstadt, die den Garten der Akademie und die Grabmäler der im Kampf gefallenen Bürger einschloß. Sie breitete sich längs der alten Stadtmauer an der Außenseite des Keramikos bis zum Tor Dipylon aus. Dies wurde mehr und mehr der Strich der Dirnen oberster Ordnung und der anerkannte Markt der eleganten Prostitution, der Hetären. Lukian, Alkiphron und Aristorius machen Andeutungen von einem seltsamen Brauch, der im Verkehr mit der Halbwelt dieser Gegend üblich gewesen sein kann. Wenn ein junger Athener sich einer Hetäre nähern wollte, schrieb er ihren Namen unter Hinzufügung einiger schmeichelhafter Worte an die Mauer. Die Kokotte wurde dann am nächsten Morgen sofort davon benachrichtigt und stellte sich in der Nähe der Inschrift auf, um ihren Liebhaber zu erwarten.
Die Dikteriaden versuchten naturgemäß auch bald, in das viel vorteilhaftere Gebiet des Keramikos zu kommen, und sie rückten schließlich sogar bis ins Innere der Stadt, da die Polizeiverordnung später weniger streng gehandhabt wurde. Im Piräus selbst und in den Häfen Phaleron und Skiron war nun das Hauptzentrum der ausländischen Prostitution, die sich besonders auf dem Hafenmarkt versammelte, wo Solon den Tempel der Venus Pandemos errichtet hatte.
In der Nähe des Tempels befand sich auch das große, von Solon errichtete Bordell, wie überhaupt die Hafenstadt die eigentliche Heimat und Heimstätte der athenischen Bordelle war. Im Piräus selbst gab es schon im 5. Jahrhundert Bordellstraßen, in denen vier Bordelle nebeneinander lagen. Außer eigentlichen Bordellen gab es dort auch eine größere Zahl von kleineren Häusern, die sich die Dirnen als Absteigequartiere mieteten und dort auch Tänze und Musikaufführungen gaben, zu denen sie sich den Eintritt sehr teuer bezahlen ließen. Als Absteigequartiere dienten auch vielfach die Speicher, hinter denen sich Kammern und Kabinette befanden, die ursprünglich zu Handelszwecken bestimmt, vielfach auch an Dirnen vermietet waren. Ein weiteres Prostitutionsviertel war die Pnyx, die mit ihren Treppen und Sitzen, Resten des alten Volksversammlungsplatzes, besonders für die vagierende Prostitution geeignet war. Vor allem beliebt war diese Gegend bei der männlichen Prostitution.
Die Preise der Prostituierten schwankten in Athen in einer auffallenden Weise. In einer griechischen Anthologie wird sehr lebhaft eine derartige Straßenszene geschildert:
»Grüße dich!« – »Grüße dich auch!«
»Wie nenn' ich dich?« – »Kümmert dich dieses?«
»Nicht so eilig!« – »Auch du sei es nicht!«
»Hast du schon wen?« – »Stets den, welcher mich liebt.«
»Willst du mit mir zu Abend speisen?« – »Sofern du willst.«
»Wohl, und wieviel ist der Preis?« – »Zahle mir nichts voraus.«
»Neu find' ich das!« – »Sondern so viel dir, wenn du geschlafen, bedünkt, zahle mir.«.
»Billig genug! Wo dann bist du?« – »Ich schicke.«
»Betracht' es dir.« – »Sage, wann kommst du?«
»Zu was Stunde du willst.« – »Will es sogleich.«
»Dann voran!«
Die vornehmen Hetären ließen das Geldgeschäft zum Teil durch eine Dienerin erledigen. Die Art und Weise, wie gerade die vornehmen Hetären ihre Liebhaber auszupressen verstanden, wird in der Literatur vielfach berichtet. Bei der Beurteilung der Preise muß man berücksichtigen, daß das Geld im gesamten Altertume einen viel höheren Wert hatte als heute, daß die Kaufkraft des Metalls, an Naturalien gemessen, sich weit über das Zehnfache ihrer Kaufkraft vor 1914 erhebt.
In dem Staatsbordell des Solon betrug der Eintrittspreis nur einen Obolus (gleich 13 Pfennige), dieses dürfte jedoch auch der niedrigste Satz gewesen sein, und selbst die niedere Prostitution hat sich unter 5-6 Obolus kaum hingegeben, besonders 6 Obolus (gleich eine Drachme – gleich 78 Pfennige) scheint ein Satz der niederen Prostitution gewesen zu sein. In den höheren Kreisen der Halbwelt, bei den Hetären, treffen wir auf eine vollkommen andersgeartete Bezahlung, da diese Prostituierten oft Tausende forderten. Bekannt ist das Erlebnis des Demosthenes mit der Sais, die von ihm ein Talent (gleich 4715 Mark) forderte. In den Hetärengesprächen des Lucian, die ja allerdings einer wesentlich späteren Zeit angehören, finden sich mannigfaltige Angaben über Dirnenpreise. »Nun Korinchen,« sagt im sechsten Gespräch Kobyle, »so hast du denn gelernt, daß es nichts so Erschreckliches ist, aus einer Jungfer eine Frau zu werden, wie du dir eingebildet hast. Der schöne junge Herr, der dich's gelehrt hat, hat dir zum Geschenk nicht weniger als eine Mine (4715 Mark) dagelassen, wofür ich dir auf der Stelle ein schönes Halsband kaufen will.« Daß die Summe von einer Mine für athenische Verhältnisse durchaus nichts Außerordentliches war, zeigt das neunte Gespräch, wo spaßend von einem reichen Kaufmanne erzählt wird, der eine ganze Mine bezahlt und für später noch viel mehr versprochen hatte.
Aus der Verschiedenheit der Preise erkennt man bereits, daß die Bewertung der einzelnen Gruppen von Dirnen ganz verschieden war. Aber auch im »gesellschaftlichen Rang« der Bordellprostitution, der Straßenprostitution, der Auletriden (Flötenspielerinnen) und der Hetären wurden offiziell Unterschiede gemacht. Es scheint, daß die Kunden der einzelnen Prostitutionsgruppen sich aus verschiedenen Bevölkerungsschichten zusammensetzten. Die Bordelle sollen nach einer Stelle bei Plautus besonders von Großkaufleuten frequentiert worden sein, man hatte für sie besondere Abonnementsmarken erfunden. Die Bordelldirnen und Pornai standen an den Türen der Häuser mehr oder weniger entblößt in fast durchsichtigen Gewändern. Die Mädchen in den billigen Bordellen waren die unsauberen Matrosendirnen. Die Dirne Thanistrata hatte von den Schiffern den Kosenamen Phtheiropyle bekommen, d. i. Lauseöffnung.
Sie und die Dikteriaden waren in der späteren Zeit die einzigen, die im eigentlichen Sinne des Wortes Sklavinnen waren, weil sie sich vornehmlich aus Asiatinnen rekrutierten. Ihr Kundenkreis setzte sich aus Matrosen und der Hefe des athenischen Volkes zusammen, die besonders auch die Animierkneipen besuchten, die aus Ägypten nach Athen gekommen sind.
Über die innere Einrichtung der griechischen Bordelle sind wir nur ganz oberflächlich unterrichtet, während die Einrichtung des römischen Bordells durch Schilderungen und Ausgrabungen sich vollständig rekonstruieren läßt. Durch die Reform des Solon wurde zunächst ein öffentliches Gebäude errichtet, in der späteren Zeit hat man es jedoch nur noch mit Privatgründungen zu tun. Es entwickelten sich zwei Arten von öffentlichen Häusern, die Lupanare und die besseren Freudenhäuser, die zugleich auch als Absteigequartiere für fremde Männer und Frauen dienten und einzelne Zimmer für »Unzuchtzwecke« auf Stunden und Tage vermieteten, ganz im modernen Sinn. Die Tür der Bordelle war die ganze Nacht geöffnet; es war nur ein Vorhang davor, durch den jeder unvermerkt eintreten konnte. Bei den größeren Bordellen, die in der Stadt großen Ruf besaßen, standen die Besucherinnen nicht vor der Tür, es konnte jeder im Innern nach Belieben wählen.
Da man im alten Athen Kabarettmusik und Frauen sich nicht erst nach der Gesellschaft zu Gemüt zog, sondern bei jedem Gast die zehnte Mühe mit auf dem Speisedivan liegen mußte, so schuf der Dandysmus sich damals jenes Gemisch von Schauspielerin und galanter Dame, welches die Alten Auletriden nannten. Die Flötenspielerinnen waren nicht Dirnen, die man kaufte, sondern galante Damen, deren Gunst man suchen und um deretwillen man sich ruinieren mußte. Man suchte sie nicht auf der Straße oder in öffentlichen Häusern, sie nahmen die »Banknoten« nicht für ihre Hingabe, sondern für ihre »Kunst«, nachdem sie auf den Herrenabenden der vornehmen athenischen Gesellschaft nicht nur auf das Ohr der Gäste ästhetisch eingewirkt hatten. Sie legten besonderen Wert darauf, daß sie Flötenspielerinnen und Künstlerinnen waren, schon um nicht der athenischen Sittenpolizei unterworfen zu werden. In den Kreisen der athenischen Lebewelt hatten sie übrigens einen besonderen Ruf, weil sie als Detaillistinnen der kleinen Künste offenbar am besten verstanden haben, in dem Manne die ihn selbst befriedigende Illusion wachzurufen, daß sein Weib mitgenießt. Sie waren so gute Flötenspielerinnen, daß sie selbst die alten Lüstlinge zu fesseln verstanden, die das Gebiet der asiatischen Ausschweifungen schon hinter sich hatten. Raffinement und Débauche waren ihre spezielle Domäne, und sie sind überdies in der glücklichen Lage, daß die Mediziner damals noch nicht die Psychopathia sexualis erfunden hatten. Wenn die Dichter über sie sprechen, beteuern sie immer, daß sie nichts von ihnen sagen wollen. »Ich habe auch von den schönen tanzenden Dirnen gesprochen, ich werde nichts mehr davon sagen, auch nichts mehr von jenen Flötenspielerinnen, welche, kaum mannbar, die stärksten Männer entnerven, wofür sie sich gut bezahlen lassen.«
Daß diese Flötenspielerinnen wirklich die Wogen der Leidenschaft bei den am Gastmahl teilnehmenden Männern aufs höchste zu steigern verstanden, beweist eine Bemerkung des Athenaeus, der erzählt, wie sich bei diesen Gastmählern oft regelrechte Faustkämpfe um den Besitz einer Flötenspielerin entwickelten.
Zur Demimonde gehörten auch alle Sorten von Schauspielerinnen und Theaterleuten, bei denen als Abkömmlingen der vagierenden Gaukler die Prostitution sozusagen traditionell war. In Athen galt jedes Weib, das die Bühne betrat, als der Prostitution verfallen, und auf diese Wechselwirkung ist es zurückzuführen, daß die weiblichen Künstlerinnen sich fast ausschließlich mit erotischen Kunststücken abgaben. Aus diesen Darstellungen bei den vornehmen Gastmählern ging das antike Kabarett hervor, das noch später bei der Darstellung der römischen Verhältnisse kurz erwähnt werden soll.
Die Auletriden gehören schon zu der vornehmen athenischen Halbwelt, die in den Hetären ihren Typus vervollkommnet hat. Der Humanismus der Auletriden und der Hetären ist nichts als eine Scheinbildung, und sie verstanden wohl nur durch das im weiblichen Sexualinstinkte liegende Eingehen auf die Interessen des Mannes, wahre Bildung vorzutäuschen. Zur Zeit des Lukian waren überdies auch die Hetären ihren Anschauungen und ihrem Bildungsgrade nach völlig auf das Dirnenniveau gesunken. Aber auch früher kann es mit ihren musischen Künsten nicht soweit her gewesen sein, da viele aus der untersten Straßenprostitution hervorgegangen sind, und wenn sie alt wurden, wiederum zu dieser zurückkehrten. Iwan Bloch gibt ein Verzeichnis der 155 Hetären, deren Namen uns überliefert sind und die größtenteils der attischen Demimonde angehören. Ich möchte mich darauf beschränken, hier einzelne Hetärenschicksale darzustellen.
Die zahlreichen Bemerkungen der antiken Dichter über den Dirnentypus, seine äußere Erscheinung und seinen Charakter ermöglichen es zu erkennen, daß die psychologischen Erscheinungen, die wir heute als Folge der Prostitution beobachten, schon damals sich bemerkbar machten. Die Kleidung der Dirnen war auffallend und ihr Gang wiegend und tänzelnd, gleichsam eine Nachahmung des Koitus. Die auffallende Kleidung wurde vielfach durch die Polizeiverordnungen der Städte begünstigt, die für die Prostitution eine besondere Kleiderordnung vorschrieben und eine bestimmte Farbe anordneten, um allgemeinen Argwohn auf ihre Person zu lenken. Auch hier ist Solon wahrscheinlich als erster vorgegangen, indem er die Dirnen ein grellfarbiges gestreiftes Kleid tragen ließ. Allerdings knüpfte er dadurch nur an eine historische Entwicklung an. Die Dirnen, die ursprünglich ausschließlich aus dem Orient kamen, kleideten sich in ihr farbenprächtiges Nationalkostüm. In den einzelnen Städten waren ihnen geblümte Kleider, in Syrakus bunte Kleider von schreiender Farbe vorgeschrieben, während die gleichen Farben den anständigen Frauen verboten waren. Goldener Schmuck war in Athen den Dirnen bei Strafe verboten, später wurde der Goldschmuck, auch wenn er auf Kleider gesetzt war, einfach beschlagnahmt. Besonders streng verboten waren goldene Diademe, die kurze Zeit in Mode gekommen waren. Im ganzen kamen jedoch auf diesem Gebiete Gesetz und Wunsch zusammen, denn ebenso wie es die Tendenz des Gesetzes war, die Dirne äußerlich von der nicht prostituierten Frau zu unterscheiden, war auch der Wunsch der Athener Prostitution, eine andere Erscheinung zu besitzen als die ehrbare im Hause sitzende Frau. Die Athenerinnen waren in schwere wallende Gewänder gekleidet, die niemals das sehen ließen, was einen Mann interessierte, wenn er eine Hetäre vor sich sah, die ihn zu fesseln suchte, indem sie oben und unten so »dekolletiert« wie möglich ging.
In der Kosmetik waren die Athener Hetären sehr erfahren. Die Alten sprechen oft von ihrer Politur und Gewandtheit, die eine »angeborene Schönheit« vortäusche, während die Athener Hausfrauen den Fragen der Schönheits- und Körperpflege – alias Sauberkeit – nicht das geringste Interesse entgegenbrachten. Im Altertum war die eine Tatsache noch viel augenfälliger als heute, daß die Mode von der Prostitution, von der Demimonde geschaffen wurde und später sich allmählich selbst in den hausbackenen Kreisen der Familienfrauen durchsetzte.
Die Prostituierte färbte in der Regel ihr von Natur schwarzes Haar mit Safrangelb blond. Das Blond ist wie im Altertum wie heute »die« Haarfarbe der Dirnen. Viele der Athener Prostituierten trugen auch blonde Perücken, besonders da der Kahlkopf bei ihnen offenbar noch häufiger war, als bei ihren Berliner Kolleginnen. Die besonderen Beziehungen des Kahlkopfes zur lesbischen Prostitution werden später gewürdigt werden.
Neben dem Blondfärben des Kopfhaares spielte eine bedeutende Rolle in der Haarpflege die Enthaarung des Körpers, besonders die Entfernung der Achsel- und Schamhaare. Auffallenderweise reagierte der antike Mann auf eine haarfreie Achsel- und Schamgegend. Das erotische Schönheitsideal der antiken Plastik hat sich nun heute, da die Behaarung der gleichen Körperteile als erotische Stimulanz empfunden wird, bis zu den modernsten Künstlern als ästhetisches Ideal erhalten, und man glaubt heute, daß der griechische Künstler, der erotischer wirken wollte, besonders »anständig« gewesen sei. Die Enthaarung wurde mit heißem Harz und Pechpflaster vorgenommen, oder die Haare wurden einzeln mit Zangen ausgerupft. Die wie »Kinder glatten« Dirnen wurden natürlich von den alten Männern besonders begehrt.
Im Schminken hatte man es damals noch nicht zu der Vollendung des Fettpuders gebracht, dafür waren jedoch die Quantitäten der Schminke, die jede der Nymphen auf dem Gesicht plazierte, um so beträchtlicher, was damals recht gut möglich war, da die Schminke noch nicht so teuer. Dafür waren auch die Schattierungen nicht so fein. Man hatte seine weiße Schminke, die aus Bleiweiß und Kreide zusammengesetzt, die rote, der Lackmus beigefügt war, hinzu kam das Untermalen der Augen mit verschiedenen schwarzen Tönungen und mit Gelb. Auch die Schönheitspflästerchen waren im Gebrauch. Das drastische Hervorheben gewisser steatopyger Reize war, weil im Sexualinstinkte liegend, bereits damals wohl bekannt.
Auch in der Psychologie der Kokotte läßt sich zeigen, wie die Verneinung der speziell weiblichen Geschlechtsinstinkte denjenigen seelischen Typus schafft, der ohne wesentliche Veränderungen zeitlos ist, ebenso wie der Sexualcharakter selbst. Die Mehrzahl der antiken Prostituierten stand auf einer sehr niedrigen Bildungs- und Lebensstufe, und in ihrer Charakterbildung traten die minderwertigen antisozialen Komponenten besonders hervor. Wie wir bei den Hetären gesehen haben, daß, die ihnen nachgerühmte philosophische Bildung in der Regel nur eine Scheinbildung war, so wußten auch die anderen Prostituierten durch eine gewisse Schlagfertigkeit, einen fesselnden Witz in ihrer Unterhaltung über den Tiefstand ihrer geistigen Bildung hinwegzutäuschen. Es sind uns viele gute Hetärenwitze aus dem Altertum überliefert.
Daß die Halbwelt in Athen auch in ihrem literarischen Geschmack nicht gerade spröde war, brauche ich nicht mehr ausdrücklich zu betonen. Die Prostitution schuf sich damals für sich und ihren Anhang eine besondere Literatur.
Es können zu dieser Gruppe natürlich nur die Schriften gerechnet werden, die besonders dazu verfaßt waren, erotische Vorstellungen wachzurufen. Als Schöpfer dieser Literatur gilt Sodades aus Maronea, der mit Vorliebe Verse dichtete, die erst von rückwärts gelesen eine Pointe enthielten. Sehr viele der stark erotischen Gedichte beziehen sich übrigens auf den gleichgeschlechtlichen Verkehr und enthalten Anspielungen auf die männliche Prostitution. Im engsten Sinne Hetärendichtung ist das berüchtigte Werk Leontions, der Hermisianax, in dem die zahlreichen bekannten Liebesabenteuer der bekannten Hetäre mit Dichtern und Philosophen erzählt werden. Zu dieser Art von Literatur sind auch noch die Bücher über die Liebeskunst zu rechnen, in denen die antiken Figurae veneris dargestellt werden. Die griechischen Werke dieser Art sind uns nicht erhalten, sie dürften sich größtenteils in der Richtung der Kamasutran gehalten haben. Dagegen besitzen wir die Liebeskunst des Ovid, die uns in die römischen Verhältnisse einführt und dort ihre Würdigung finden wird. Als spezifische Bordelliteratur können schließlich die pornographischen Inschriften gelten, die sich in den Schlafkabinetten, in den Bordellen, an Mauern und Felsen, in Priapustempeln und last not least in den Bedürfnisanstalten befinden. Sie verkünden in beredter Sprache, daß sich auch auf diesem Gebiete durch die Unwandelbarkeit des ursprünglichen Sexualinstinktes wenig geändert hat.
Eine Vorstellung von den Erzeugnissen dieser elften Muse geben die Verse des Martial auf die heimlichen Dichter, die ich nicht ins Deutsche übertragen möchte:
Nigri fornicis ebrium poetam
Qui carbone rudi putrique creta
Scribit carmina, quae legunt cacantes.
Neben der erotischen Literatur steht natürlich auch eine erotische Kunst, die durchweg ihre Beziehungen zum Hetärentum aufweist und namentlich in der späteren hellenistischen Zeit Illustrationen zu dem erotischen Leben liefert. Hetären- und Frauenbilder illustrierten das Milieu, Trink- und Tanzszenen werden dargestellt, die intimste Toilette und der Geschlechtsverkehr, mit besonderer Vorliebe die Päderastie und Paedicatio mulieris. Wenn die Lektüre Rückschlüsse auf die Persönlichkeit gestattet, sieht man schon, mit wem man es zu tun hat.
Was damals über den Kollektivcharakter der Dirne gesagt wurde, war ziemlich banal; man sprach besonders von ihrer Heuchelei und Lügenhaftigkeit sowie ihrer Habsucht und Geldgier. Auch ein gewisses Standesbewußtsein wird bereits betont, das wohl mehr ein Zusammenhalten gegenüber den nicht Prostituierten ist. Natürlich gab es auch Streikbrecher. Im ersten Hetärengespräche des Lukian erzählt die Klykera der Thais:
Klykera: Kannst du dir's vorstellen, Thais? Die schändliche Kreatur, die Gorgona, die sich stellte, als ob sie meine Freundin wäre.
Thais: Er hat dich also aufgegeben und Gorgona zu seiner Gesellschafterin gewählt.
Klykera: Leider, liebe Thais. Es hat mir nicht wenig weh getan, das kannst du mir glauben.
Thais: Es ist verdrießlich, aber nichts Befremdliches. So was begegnet ja bei Unsersgleichen alle Tage, und du solltest dich weder so sehr darum grämen, noch auf Gorgona so ungehalten sein. War doch Abrotonon mit dir im nämlichen Falle: sie war deine Freundin, und du nahmst ihr nichts destoweniger ihren Liebhaber weg, ohne daß sie dir gram wurde. Aber das wundert mich, was dem Hauptmann so sehr an ihr gefallen hat? Er muß, seitdem ich ihn gesehen habe, stockblind geworden sein, oder er hätte doch sehen sollen, daß sie beinahe kahl ist, und daß die paar Haare, die sie noch hat, eine halbe Elle weit von der Stirne abstehen; daß sie ganz bleifarbige leichenblasse Lippen und eine lange Nase hat, und daß man alle Adern an ihrem dürren Halse zählen kann. Das einzige muß man ihr lassen, sie ist wohl gewachsen, trägt sich schön gerade und hat in der Tat etwas Zauberisches in ihrem Lächeln.
Daß die vagierende Glücksucherin eine gewisse naive Frömmigkeit besaß und eine abergläubische Götterfurcht, wird nicht befremden. Klykera führte darum die Untreue des akarnanischen Hauptmannes auf eine Verhexung zurück.
Die antiken Schriftsteller waren zu gute Menschenkenner, als daß sie das Bild der Hetären ganz grau in grau gemalt hätten. Athenäus erwähnt eine, die ein goldenes Herz hatte und eine wahre Freundin sein konnte. Und im siebenten Gespräch finden wir die reizende Musarion, der die Lehren ihrer Mutter, wie man die Männer auspreßt, durchaus nicht eingehen wollte, und die noch immer sich den Glauben an die Liebe und die Rechtlichkeit der Männer erhalten hat. Die Mutter tadelt sie, daß sie von ihrem Liebhaber zu wenig Geld nehme, doch Musarion bewertet den Mann anders: »Aber dafür ist er schön und hat noch ein glattes Kinn und sagt mir mit heißen Tränen, daß er mich liebt und ist der Diomache und des Areopagiten Laches einziger Sohn und verspricht mich zu heiraten, und wir haben die größten Hoffnungen, sobald der Alte die Augen zumacht.«
Der Musarions gibt es viele: Else Jerusalem erzählt von den Nächten, wo die Mutter selig und froh war, wo man ihr am Morgen noch das Glück der vergangenen Nacht ansah.
Die Formen des Geschlechtsverkehrs mit den Prostituierten wurden in Griechenland stark differenziert. Iwan Bloch kritisiert denn auch gemäß seinem Gedankenkreise sehr scharf die griechische Prostitution als eine Zuchtstätte der Psychopathia sexualis. Nach dem, was ich in der Einleitung über das Liebesleben von Mann und Weib gesagt habe, brauche ich nicht noch ausdrücklich zu betonen, daß ich in der Differenzierung des Geschlechtsverkehrs mit der Prostitution im Altertum nur das eine zu erkennen vermag, daß die Dirnen ihr Metier gut verstanden. Der antike Mann, der seine Frau nur dazu hatte, um legitime Kinder zu erzeugen, suchte bei der Hetäre den echten erotischen Transzustand. Iwan Bloch, der als korrekter Forscher die gleichen psychopathischen Erscheinungen, die er bereits bei den Naturvölkern konstatierte, in dem Prostitutionsverkehr des Altertums wiederfand, windet sich hier wie ein getretener Regenwurm. »Was nun die eigentlichen sexuellen Perversitäten und Anomalien betrifft,« meint er, »so waren diese gewiß im Altertum nicht weniger verbreitet als in der Gegenwart; denn wenn auch zunächst die sexuellen Perversionen bei Griechen und Römern genau so als allgemein antropologische Erscheinungen aufzufassen sind, wie bei allen anderen Völkern, d. h. als solche, die überall und zu allen Zeiten zunächst unabhängig von der Kultur und Degeneration in einer gewissen Homogenität auftreten, so spielt doch die originelle antike Kultur die Rolle eines begünstigenden, modifizierenden, intensitätsteigernden Faktors, eine Kultur, die, wie wir schon erwähnten, in ihrer völligen Durchdringung mit dem geschlechtlichen Momente (phallische Kultur, spezifische Sexualgottheiten, ungeniertes Hervortreten des sexuellen Elements im gesellschaftlichen Leben, in Literatur und Kunst) etwas durchaus Eigentümliches hat, in ihrer Gestaltung der sozialen Verhältnisse (Großstadtwesen, Pauperismus, Wohnungselend usw.) aber so zahlreiche Analogien mit der modernen Kultur aufweist, daß sie geradezu als eine Vorläuferin der letzteren betrachtet worden ist.« Er wundert sich sehr über die Reichhaltigkeit der Verkehrsformen zwischen Mann und Weib und glaubt umständlich begründen zu müssen, warum in der antiken Welt das psychopathische Element in der Liebe sich besonders durchsetzen konnte. Die leidenschaftlichen Ausbrüche dieser elementaren Sinnlichkeit haben sich immer sehr wenig nach der allgemeinen Beurteilung gerichtet, und ich, der ich in all diesen Erscheinungen zeitlose Sexualcharaktere erkannt habe, gebe höchstens zu, daß es ziemlich viel ist, wenn man im Griechischen 70 Ausdrücke für die verschiedensten Stellungen beim Koitus hat, ohne mich besonders darüber zu wundern, da man ja damals von diesen Dingen mehr sprach und sich heute lieber schweigend betätigt. Der antike Mann liebte der Prostitution gegenüber die Variation der Figurae veneris, weil er mehr Zeit für die Dirne hatte und nicht in dem Maße des erotischen Talents entbehrte. Und die antike Kultur brauchte durchaus keinen steigenden Faktor darzustellen, da es erst dem Christentum und seiner Jesuitenmoral vorbehalten war, über diese ursprünglichen und durchaus natürlichen Dinge die Acht auszusprechen. Die Hauptausdrücke für den Geschlechtsverkehr waren: λεσιάζειν, φοινικίζειν, λακονίζειν usw., d. h. auf lesbische, phönizische, lakonische Art den Koitus ausführen. Einzelne Arten des Geschlechtsverkehrs wurden der Erfindung einzelner Prostituierten zugeschrieben, und man empfahl sich auch gegenseitig gewandte Damen. Die Hetäre Kyrene genoß den Ruf der Dodekamechanos, weil sie den Geschlechtsakt in zwölf verschiedenen Posen ausführen konnte. Iwan Bloch weist in seinem Werke über den Ursprung der Syphilis nach, daß alle sexuellen »Varietäten« in den antiken Schriftstellern überliefert sind. Zahlreich erwähnt findet sich der Koitus per os, das Irrumare, sowie der Kunnilingus; aber auch die Praktiken des sogenannten Fellare, des Koitus per anum werden reichlich erwähnt. Aus Aristophanes erkennt man auch, daß die sogenannten masochistischen Detumeszenzen in den Bordellen gesucht wurden. Daß fetichistische Instinkte den Griechen durchaus nicht fern lagen, zeigt ja bereits die Geschichte der Rhodope mit dem schönen Fuß, die durch ihren zierlichen Schuh den König so bezauberte, daß es ihm nicht eher Ruhe ließ, bis das Weib seine Gattin geworden war. Daß die Bordelle viel von Voyeurs besucht wurden, bedarf keines besonderen Hinweises. Wie die Beziehungen der Variationen zur Homosexualität zu beurteilen sind, habe ich im ersten Teil des Werkes klargelegt. Die Ansicht ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, daß die sexuelle Labilität der antiken Männer und auch der Frauen viel dazu beigetragen hat, bei ihnen trotz der Prostituierung des Weibes die Mannigfaltigkeit der Verkehrsformen zu erhalten. Gesetz und Sitte ächtete die Homosexuelle damals nicht, und so konnte sich eine gleichgeschlechtliche Prostitution im öffentlichen Leben mit der gleichen Wichtigkeit durchsetzen wie die homosexuelle. In die ganze Psychologie und die geschlechtliche Auffassung der antiken Prostituierten, die sicher sehr oft Männern wie Frauen diente, oder auch bei Frauen Befriedigung suchte, während sie sich von Männern benutzen ließ, führt das stilistisch meisterhafte fünfte Hetärengespräch des Lucian, das ich in der Übersetzung der Müllerschen Ausgabe, Band 3, Seite 147 hier vollständig abdrucke.
Klonarion: Man hört ja merkwürdige Dinge von dir, Leaina. Die reiche Megilla aus Lesbos soll dich wie ein Mann lieben, und ihr sollt, ich weiß nicht was, miteinander treiben, wenn ihr zusammen seid. Wie steht's damit? Du errötest? Sprich, verhält sich's so?
Leaina: Ja, es ist so, Klonarion; ich schäme mich aber, denn es ist etwas Widernatürliches.
Klonarion: Bei der Aphrodite, heraus mit der Sprache! Was ist's, oder was will das Weib? Was macht ihr, wenn ihr beisammen seid? Siehst du, du hast mich nicht lieb, sonst würdest du es mir nicht verbergen.
Leaina: Wenn irgendeine, so liebe ich dich. Diese Frau hat etwas außerordentliches Mannsmäßiges.
Klonarion: Ich verstehe nicht, was du meinst, wenn du nicht etwa sagen willst, daß sie eine Buhlerin ist, wie es deren auf Lesbos geben soll, so Mannweiber, die sich von den Männern nicht beikommen lassen, sondern mit Weibern nach Männerart Umgang pflegen.
Leaina: Ja, so was ist es.
Klonarion: Nun also! Das eben sollst du mir erzählen, Leaina, wie sie die Sache einfädelte, wie du dich überreden ließest usw.
Leaina: Sie und die Korintherin Demonassa, die ebenfalls reich ist und denselben Sport treibt wie Megilla, hielten ein Trinkgelage, mich zogen sie zu, damit ich ihnen auf der Zither vorspielte. Nachdem ich gespielt hatte und es schon spät und Schlafenzeit war, hatten sie einen in der Krone, und Megilla sagte zu mir: Komm, es ist bereits Zeit, sich zur Ruhe zu begeben, bleib also hier und schlafe zwischen uns beiden.
Klonarion: Und du tatest es? Und dann, was geschah dann weiter?
Leaina: Zuerst gaben sie mir Küsse, wie Männer, berührten nicht nur meine Lippen wie Männer, sondern steckten mir sogar die Zunge in den Mund, umarmten mich und drückten meine Brüste. Demonassa biß mich sogar beim Küssen mitten dazwischen. Ich konnte mir noch immer nicht denken, wo das hinaus sollte. Endlich nahm Megilla, der es schon etwas heiß war, ihre Koiffüre ab, die gar nicht zu erkennen war und wie angewachsen aussah, da sah man, daß sie sich das Haar ganz kurz geschoren hatte, wie es die mannhaften Athleten zu tun pflegten. Als ich dies sah, bekam ich's mit der Angst. Sie aber sagte: »Hast du schon einen so schönen Jüngling gesehen?« Ich sehe hier ja gar keinen Jüngling, gab ich zur Antwort, o Megilla. »Mache mich nicht zu einem Weibe,« erwiderte sie darauf, »denn ich heiße Megillos und habe vor langer Zeit diese Demonassa hier geheiratet, und sie ist meine Frau.« Da mußte ich lachen, Klonarion, und sagte: So war es uns also verborgen geblieben, Megillos, daß du ein Mann bist, just wie der Sage nach Achill unter dem Purpurgewand inmitten der Mädchen verborgen war. Hast du auch das, was den Mann ausmacht und tust damit der Demonassa, was die Männer zu tun pflegen? »Das habe ich nun zwar nicht, Leaina,« entgegnete sie, »ich bedarf seiner aber auch keineswegs: du wirst sehen, daß ich mich auf eine besondere und weit wollüstigere Art mit dir vergnüge.« Du bist doch nicht etwa ein Hermaphrodit, fragte ich, wie es deren viele geben soll, die mit den Merkmalen beider Geschlechter versehen sind? Denn noch immer wußte ich nicht, was los war, Klonarion. »O nein,« erwiderte sie, »ich bin ganz und gar Mann.« Ich hörte, fuhr ich fort, die böotische Flötenspielerin Ismenodora erzählen, was sich in ihrer Heimat begeben haben soll, daß nämlich in Thebea aus einem Weibe ein Mann geworden sei, der zugleich der beste Seher war, Tiresias, glaub' ich, hieß er. Ist es dir vielleicht auch so gegangen? »O nein, Leaina,« entgegnete sie, »geschaffen bin ich ebenso wie ihr anderen, mein Herz, meine Begierden und alles andere ist bei mir männlich.« Genügt dir denn die bloße Begierde? fragte ich. »Sei mir zu Willen, Leaina,« antwortete sie, »wenn du ungläubig bist, und du wirst erkennen, daß ich den Männern nichts nachgebe. Anstatt ihrer Waffe habe ich etwas anderes. Ergib dich mir also, und du wirst sehen.« Ich tat es, Klonarion, weil sie mich inständig darum bat und mir eine kostbare Halskette und einige von den leichten Schleiern schenkte. Hierauf umschlang ich sie wie einen Mann, sie küßte mich und machte, was du weist und atmete sehr schwer und schien mir eine übergroße Wollust zu empfinden.
Klonarion: Was oder wie machte sie es denn aber, Leaina, das mußt du mir vor allen Dingen sagen.
Leaina: Frage nicht so genau, es ist unanständig, deshalb schwöre ich dir bei der himmlischen Aphrodite, daß ich es nicht sagen werde.
Die lesbische Prostitution war jedenfalls im Altertum sehr verbreitet. Man hat vielfach vermutet, daß die Tribadie der Dirnen dem antiken Manne Ekel einflößte. Dies ist zum mindesten nicht bewiesen, jedenfalls aber unwahrscheinlich. Ich erinnere an die gegenwärtige gesellschaftliche Stellungnahme zur Freundschaft der Frauen. Außerdem deutet auch das hier abgedruckte Gespräch durchaus nicht darauf hin, daß die Männer sich so ablehnend gegen diese Art des Geschlechtsverkehrs verhielten. Besonders verbreitet war diese Art der Liebe scheinbar unter den Auletriden, die sich den Männern gegenüber prostituierten, doch stellt diese Art des Verkehrs keine eigentliche Prostitution dar, da sie ja sich aus innerer Neigung, nicht um des Gewinns willen, befriedigten. Wenn die lesbische Prostitution bei den Griechen nur einen geringeren Umfang annahm, so liegt die Erklärung für diese Erscheinungen darin, daß die Frau damals noch so an das Haus gefesselt war, daß sie selbst sich der Prostitution nicht bedienen konnte. Jedoch in Sparta, wo die Frau freier war, spielte die lesbische Prostitution im öffentlichen Leben eine viel größere Rolle.
Die Liebe zwischen Frauen, die man nach der Dichterin Sappho die lesbische nannte, war jedoch innerhalb des Kreises der athenischen Prostitution sehr verbreitet. Die Lesbierinnen sollen in Athen zu diesem Zwecke gewisse geheime Klubs gebildet haben, in denen sie der Liebe in religiösen Formen huldigten. Man verehrte die Androgyne Göttin Mise und die Demeter. Es ist ziemlich sicher, daß bei den Festen dieser Gottheiten zwischen den Frauen homosexuelle Praktiken vorkamen. Auch die Musikschulen auf Lesbos würden heute, einen Sittenskandal erregen. Von der im eigentlichen Sinne lesbischen Prostitution werde ich noch eingehend bei der Darlegung der römischen Verhältnisse reden, weil sie hier erst zu einer Erscheinung des öffentlichen Lebens geworden sind, und ich werde bei dieser Gelegenheit auch noch Genaueres über das sexuelle Empfinden der Tribaden sagen. Immerhin ist bezeichnend, daß man für den Kundenkreis der lesbischen Prostitution zu Platos Zeiten in Athen einen besonderen Namen hatte, man nannte sie Hetairistriai, ein Name, der zugleich darauf deutet, daß die Prostituierten mit den Hetären auf der gleichen Stufe standen, und daß es in Athen eine tiefstehende weibliche Straßen- und Bordellprostitution nicht gegeben hat.
Die Art des homosexuellen Verkehrs war entweder eine Nachahmung des Koitus, ein hüpfendes Sichaufeinanderbewegen, oder die Manusturbation mit dem Olisbos, der schon sehr früh erwähnt wurde. Diese Nachahmungen des männlichen Gliedes kamen hauptsächlich aus Chios. Erwähnt findet sich dieser Wollustapparat bei Aristophanes und im sechsten Mimiambos.
Die ausführlichen Mitteilungen über die Herstellung des Lederphallos, auch Baubon und Olisbos genannt, befindet sich in dem zitierten sechsten Mimiambos des Herondas aus dem dritten vorschriftlichen Jahrhundert, der den Titel führt: Die beiden Freundinnen oder das vertrauliche Gespräch. Bei der Frau des Ackerbürgers Korytto erkundigt sich ihre Freundin Metro nach dem Fabrikant eines scharlachroten Baubon, den, sie bei einer anderen Bekannten Nossis gesehen hat. Es stellte sich dann heraus, daß dieser »Tröster« der Korytto selbst gehörte und, ohne daß sie es wußte, von einer Frau zur andern gewandert war. Entrüstet ruft ihr Korytto entgegen:
O diese Weiber! Dies Weib bringt mich noch um!
Ich ließ mich durch ihr Bitten und Flehen erweichen,
Und gab ihn ihr, eh' ich ihn selber brauchte;
Doch sie, als ob sie auf der Gasse ihn gefunden hätte, verschenkt ihn auch an solche,
Die nicht dazu gehören. Eine Freundin
Von dieser Sorte kann mir gewogen bleiben;
Eine andere mag sie sich an unserer Statt
Als Freundin suchen. Gerade der Nossis ihn
Zu leih'n! Der werd' ich doch – vermeßner red' ich,
Als Weibern zusteht; mögst du mich nicht hören,
Adrasteia – hätt' ich tausend, gäb ich der
Nicht einen ab, und wenn er räudig wäre!
Nachdem Korytto sich beruhigt, teilt sie endlich mit, daß ein kahlköpfiger Schuster Kerdon aus Chios diese Baubonen herstellt, und sie rühmt die Selbstbefriediger mit den enthusiastischen Worten:
Ich wenigstens – mit zweien kann er nämlich
Wie ich sie erblickte, gingen mir vor Entzücken
Die Augen über. Unsern Männern hebt sich
– Wir sind ja unter uns – das Glied nicht so,
Und mehr noch – weich wie holder Schlaf, ist alles,
Und Wolle sind die Riemchen, keine Riemen;
Einen Schuster, der es mit uns Frauen besser
Als dieser meinte, kannst du lange suchen.
Man erkennt daraus, daß die lesbischen Frauen eine Art Geheimbund bildeten, und daß die Olisboi gemeinsam benutzt wurden. Daß der Lederphallos räudig sein soll, ist interessant für die Frage der Existenz der Syphilis im Altertum. In den Bordellen haben natürlich auch lesbische Akte die wollüstigen Voyeurs entzückt.
Die männliche homosexuelle Prostitution spielte im antiken Leben eine ungleich größere Rolle als die weibliche. Allerdings war nur ein geringer Teil in ähnlicher Weise reglementiert. Die älteste juristische Erwähnung der männlichen Prostitution findet sich in den Gesetzen des Zaleukos, nach denen den Männern verboten wird, vergoldete Ringe und Gewänder zu tragen, weil diese Kleidungsstücke der männlichen Prostitution vorbehalten bleiben sollen. Solon regelte in seiner Gesetzgebung auch die Verhältnisse auf diesem Gebiete. Er suchte gemäß der extrem vaterrechtlichen Tendenz seiner Gesetzgebung die gleichgeschlechtliche männliche Prostitution zu unterdrücken; er beschränkte sich jedoch darauf, die männlichen Prostituierten von den höchsten Staats- und Priesterämtern auszuschließen und die Eltern, die ihre Söhne prostituierten, von ihrem Anrecht auf Versorgung durch ihre Kinder auszuschließen.
Natürlich hinderte diese Gesetzgebung nicht, daß die prostituierten Männer auf der Straße alle auffallenden Lockmittel spielen ließen. So spricht Aristophanes in dem »Volke« von dem Herandrängen der »Strichjungen«, von »den Männern mit süßem Gegirr und Geflüster«. Im 4. Jahrhundert ging die Entwicklung noch bedeutend weiter. Die passiven Päderasten, bei denen man ja psychologisch am ersten von einer Prostitution sprechen kann, suchten sich äußerlich mehr und mehr den weiblichen Prostituierten gleichzumachen. Sie bildeten den Typus des Kinäden, des effeminierten Mannes heraus, der die kindlichen »weiblichen« Elemente in seinem Äußeren pflegte. Er bediente sich aller Toilettenkünste, des Blondfärbens des Haares und der Herstellung künstlicher Haartrachten, färbte die Augenbrauen mit feiner Schminke und Salbe. Je mehr der Abscheu vor dem Typus der »Tante« in der Gesellschaft schwand, um so mehr wurde die Gelegenheitsprostitution zu einem beliebten Nebenerwerb, während anfänglich Sklaven zu diesem Gewerbe mehr oder minder gezwungen herangezogen waren. Vielfach waren es offenbar Söhne aus guter Familie, die sich auf leichte Weise Geld zu ihren Vergnügungen schaffen wollten. Ein klares Bild davon gibt die Rede des Aeschines gegen Timarch:
»Was soll man sagen, wenn ein junger Mensch das väterliche Haus verläßt und die Nacht in fremden Häusern zubringt, dem Aussehen nach sich von andern unterscheidend, kostbare Mahlzeiten ohne Beitrag mitmacht und Flötenspielerinnen und die teuersten Freudenmädchen hat und Würfel spielt und nicht selbst bezahlt, sondern ein anderer für ihn? Bedarf dies noch einer Deutung? Ist es nicht offenbar, daß der, welcher solche Zumutungen andern macht, notwendigerweise auch selbst denen, die das Geld aufwenden, dafür gewisse Vergnügungen bereitet? Denn ich weiß beim olympischen Zeus nicht, wie ich dieses verächtliche Treiben schonender erwähnen soll … Er zeigte eine solche Geilheit gegen die Weiber von freien Männern, wie noch nie ein anderer … Er wurde überführt, von Leukonides, dem Schwager des Philotades, durch den Schauspieler Philemon zwanzig Minen empfangen zu haben, die er in kurzer Zeit mit dem Freudenmädchen Philoxene aufzehrte.« Bezeichnend sind die Worte auch für die antike Sexualmoral, die es als eines Freien unwürdig bezeichnete, sich wie ein Weib benutzen zu lassen.
Das Bestreben, jung zu erscheinen, machte sich bei den Knaben in noch höherem Maße geltend, als bei der weiblichen Prostitution. Wenn heute die filles galantes durch kurzen Rock und kindisches Wesen noch in den Dreißigern das siebzehnjährige Mädel vortäuschen wollen, so appellieren sie damit an dieselbe Vorliebe für die Jugend, die den erwachsenen Mann an den Knaben fesselt. Es ist durchaus erklärlich, daß die Kinäden über sechzehn Jahren, welche meist die obere Altersgrenze der antiken Knabenliebe überschritten hatten, sich durch mechanische Mittel ein jugendliches Äußeres zu erhalten suchten. Eine der wichtigsten Maßnahmen war die Enthaarung der Schamteile, deren Bedeutung für das antike Geschlechtsempfinden ich bereits klargelegt habe.
Das Gegirr der Buhlknaben erinnert den Berliner an die Tiergartenstraße, nur hatten damals Männlein und Weiblein den gleichen »Strich«. Doch noch eine Parallele zur Tiergartenstraße: die Kinäden warteten zahlreich an den abgelegenen Gegenden der Pnyx, wo man in das Dunkel verschwinden konnte. Bordelle gab es wenige. Die Buhlknaben standen dort vor der Tür und lockten die Kundschaft an, ebenfalls nackt oder dürftig gekleidet, und sie wurden von der Kundschaft, bevor man handelseinig wurde, genau untersucht. Über die wandernden, herumziehenden Bordelle unterrichtet eingehend eine Stelle in Lucians »Likios«, die ich ihrer glänzenden Schilderung wegen hier vollständig abdrucke. Es ist die Erzählung eines Esels:
»Wie wir bei der Herberge des Philebos (so nannte sich mein Käufer) ankamen, rief er gleich vor der Tür mit lauter Stimme: ›Heda, ihr Mädchen, ich habe euch einen schönen Sklaven, einen derben Kappadozier zu eurer Bedienung gekauft‹ – Diese Mädchen waren ein Trupp Lustknaben, die sich Philebos zu seinem Gewerbe beigesellt hatte. In der Meinung nun, daß der gekaufte Sklave ein wirklicher Mensch sei, erhoben sie allzumal ein lautes Freudengeschrei. Wie sie aber sahen, daß es nur ein Esel war, brachen sie in ein ebenso lautes Gelächter aus und hängten dem Philebos die losesten Reden an. ›Ei, ei, Mütterchen‹ sagten sie, ›meinst du, wir wollen nicht merken, daß du nicht einen Sklaven für uns, sondern einen Bräutigam für dich selbst gekauft, wo du ihn auch aufgegabelt haben magst? Viel Glück zu einer schönen Heirat, und möchtest du uns bald Füllen, die eines solchen Vaters würdig sind, zeugen!‹
Am folgenden Morgen schickten sie sich zur Arbeit, wie sie es nannten, an, putzten ihre Göttin heraus und setzten sie auf meinen Rücken. So oft wir nun zu einem Dorfe kamen, mußte ich als Träger der Göttin stillhalten, der Flötenspielerchor fing wie von Begeisterung ergriffen an zu blasen, die Diener der Göttin warfen aber ihre Turbane von sich, drehten sich mit gesenkten Köpfen im Kreise herum, schnitten sich mit ihren Schwertern in die Arme, streckten die Zunge zwischen den Zähnen hervor und durchbohrten sie ebenfalls, so daß in einem Augenblicke alles vom Blute dieser Weichlinge voll war. Indem ich so dastand und diesem seltsamen Schauspiel zum ersten Male zusah, war mir mächtig angst, die Göttin möchte Eselsblut vonnöten haben. Nachdem sie sich nun weidlich zerschnitten hatten, gingen sie bei den umstehenden Zuschauern herum und sammelten Obolen und Drachmen ein. Andere gaben ihnen Feigen oder einen Käse, einen Krug Wein, eine Metze Weizen und Gerste für ihren Esel. Dies waren die Einkünfte, wovon diese Gesellschaft sich nährte und die Göttin, die ich trug, in gehörigem Stand und Wesen erhielt.
Einmal, als wir in eines ihrer Dörfer einfielen, trieben sie einen großen Bauernkerl auf, den sie in die Herberge, wo sie sich installiert hatten, hineinzulocken wußten; zu welchem Gebrauch, werden diejenigen leicht erraten, welche wissen, was der gewöhnlichste und liebste Zeitvertreib dieser schändlichen Kinäden ist. Die Notwendigkeit, worin ich war, ein Augenzeuge solcher Bübereien zu sein, machte mir meine Verwandlung schmerzlicher als jemals und schien mir unerträglicher als alles, was ich bisher ihretwegen ausgestanden hatte; ich wollte in meinem gerechten Unwillen ausrufen: ›O du grausamer Zeus!‹ Aber die Worte blieben mir im Halse stecken, und statt ihrer kam nichts als ein ungeheures Eselsgeschrei heraus. Zufälligerweise gingen eben ein paar Bauern, die einen verlorenen Esel suchten, vorbei, und wie sie mich so gewaltig schreien hörten, kommen sie ohne weiteres herein, in der Meinung, es könnte wohl der ihrige sein, und werden unvermutet Augenzeugen der unnennbaren Dinge, die hier vorgingen. Sie kamen bald wieder mit großem Gelächter heraus und liefen im ganzen Dorfe herum, um das liederliche Leben der Priester bekanntzumachen. Diese schämten sich so sehr, daß solche Dinge von ihnen herausgekommen waren, daß sie sich in der nächsten Nacht in aller Stille davonmachten; aber wie sie weit genug von der Landstraße entfernt waren, ließen sie ihren Zorn an mir aus, daß ich ihre Mysterien verraten hatte. Sie nahmen die Göttin von mir herab und setzten sie auf die Erde, ziehen mir hierauf alle meine Becken ab, binden mich nackt an einen großen Baum und peitschten mit der verwünschten Art der Strickgeißel, die vorn mit bleiernen Würfeln besteckt ist, so grausam auf mich los, weil ich sie in so große Schande gestürzt und zum Dorfe hinausgetrieben, ehe sie noch was drin verdient hätten. Doch von diesem Vorhaben schreckte sie der Anblick der Göttin ab, die auf der Erde lag und ohne mich ihre Reise wohl hätte nicht fortsetzen können. Sie packten sie mir also, ehe ich noch meine Schläge verschmerzt hatte, wieder auf, und wir setzten unsere Reise fort.
Unser nächstes Nachtlager nahmen wir auf dem Gute eines reichen Mannes, der zum Glück selbst da war, die Göttin mit vielem Vergnügen in sein Haus nahm und ihr sogar Opfer schlachten ließ. Hier kam ich in eine Gefahr, die ich so bald nicht vergessen werde! Einer von den guten Freunden des Herrn vom Hause hatte ihm eine Keule von einem wilden Esel zum Präsent geschickt. Wie sie zubereitet werden soll, kommen durch Nachlässigkeit des Kochs Hunde in die Küche und laufen mit ihr davon. Der Koch, der sich der verlorenen Keule wegen auf die grausamste Bestrafung gefaßt machen konnte, geriet darüber in solche Verzweiflung, daß er sich erhängen wollte. Zur bösen Stunde für mich sagte seine Frau zu ihm: ›Rede nicht vom Sterben, lieber Mann, und überlasse dich keiner solchen Mutlosigkeit! Wenn du mir folgst, kann noch alles gut gehen. Führe den Esel der Kinäden hinaus an einen abgelegenen Ort, schlachte ihn, haue ihm eine Keule ab und bereite sie dem gnädigen Herrn zu; das übrige wirf in einen Abgrund hinab. Man wird glauben, der Esel sei davongelaufen und wird sich weiter keine Mühe um ihn geben. Er ist fleischig und fett, wie du siehst, und wird gewiß noch ein besseres Gericht abgeben wie der wilde.‹ Der Koch lobte den Einfall seiner Ehehälfte. ›Das ist ein guter Einfall, Weib,‹ sprach er, ›das ist das einzige Mittel, wie ich der Geißelung entgehen kann. Ich will sogleich Hand ans Werk legen.‹ Ich Armer stand ganz nahe dabei, als mein verwünschter Koch dieses schöne Gespräch mit seiner Gattin hielt. Die Gefahr war dringend, und es galt hier mich nicht lange besinnen, wenn ich dem Tode entgehen wollte. Ich riß mich also von dem Riemen los, an dem ich festgemacht war, brach in vollem Sprung in den Saal hinein, wo meine Kinäden mit dem Herrn des Hauses speisten, warf, indem ich so angesprungen kam, Leuchter und Tisch um und glaubte da einen feinen Einfall gehabt zu haben, mein Leben zu retten, weil ich nicht zweifelte, der Herr der Villa werde mich sogleich als einen wildgewordenen Esel einsperren und genau bewachen lassen. Aber der feine Einfall brachte mich in die ähnliche Gefahr, der ich dadurch zu entrinnen gehofft hatte. Denn weil sie mich für toll hielten, so waren in einem Augenblick eine Menge Schwerter, Spieße und große Prügel gegen mich aufgehoben, und sie würden mich, nach ihren Gebärden zu urteilen, auf der Stelle totgemacht haben, wenn ich mich nicht beim Anblick einer so großen Gefahr mit schnellen Sprüngen in den Saal gerettet hätte, der meinem Herrn zum Schlafgemach bestimmt war. Sobald sie mich nun drinnen sahen, verrammelten sie die Tür von außen, so gut sie konnten, und ich hatte diese Nacht nichts weiter zu besorgen.
Da man mich am folgenden Morgen wieder ganz zahm und ruhig fand, so setzte man mir die Göttin wieder auf den Rücken, ich zog mit den Landstreichern weiter, und wir kamen in einen großen und volkreichen Flecken, wo sie einen neuen Streich aufführten und den Einwohnern durch ihre Gaukelkünste weißmachten, die Göttin bliebe in keines Sterblichen Hause, sondern wolle in dem Tempel – ich weiß nicht mehr welcher Landesgöttin – wohnen, die in dieser Gegend in besonders hohen Ehren gehalten wurde. Die guten Leute bezeugten sich überaus willig, die fremde Göttin aufzunehmen und bei ihrer eigenen einzulogieren; uns aber wiesen sie ein Häuschen armer Leute zur Herberge an. Nachdem sich meine Herren viele Tage hier aufgehalten, beschlossen sie endlich, wieder weiter und nach einer benachbarten Stadt zu gehen; sie baten sich also ihre Göttin von den Einwohnern wieder aus, holten sie auch selbst aus dem Tempel, setzten sie auf meinen Rücken und zogen mit ihr davon. Aber die Bösewichter hatten, wie sie in den besagten Tempel hineinkamen, sich die Gelegenheit zunutze gemacht und eine demselben gestiftete goldene Schale gestohlen und unter den Kleidern ihrer Göttin wegpraktiziert. Die Leute im Dorfe wurden des Diebstahls bald gewahr, setzten ihnen zu Pferde nach, holten sie unterwegs ein, schalten sie gottlose Buben und Tempelräuber, forderten das gestohlene Weihgeschenk zurück und fanden es, nachdem sie alles durchstöbert hatten, endlich im Busen der Göttin versteckt. Sie banden hierauf die Weichlinge, brachten sie zurück und warfen sie ins Gefängnis, mir nahmen sie die Göttin ab, um sie einem anderen Tempel zu geben und stellten ihrer eigenen Göttin die goldene Schale wieder zu.«
Auch hier beachte man den engen Zusammenhang von Religion, Theater und Prostitution. –
Die Preise der männlichen Prostitution haben genau so geschwankt wie die der weiblichen. Der »jungfräuliche« Jüngling stand natürlich besonders hoch im Preise. Die eigentliche Hausse setzte jedoch erst in der römischen Kaiserzeit ein, wo den Päderasten keine Summe für ihre Buhlknaben zu hoch war. Eines der höchsten aus der athenischen Zeit überlieferten Honorare ist die Summe von 2000 Drachmen, für die sich Malanopos in der Blüte seiner Jahre verkauft haben soll. Auch die homosexuellen Prostituierten waren unter sich durch Standesunterschiede getrennt und gruppierten sich in ähnlicher Weise wie ihre weiblichen Kolleginnen. Von dem wandernden Possenreißer, der beim Gelage und auf den öffentlichen Plätzen durch die Vorführung erotischer Stücke und Tänze zu reizen suchte, hat Lucian bereits (sein lebhaftes Bild entworfen. Entsprechend den Dirnenschulen kennt das Altertum auch eine Heranbildung zur männlichen Prostitution, die jedoch geschäftsmäßig erst in der römischen Zeit betrieben worden ist. Die höhere Klasse der Lustsklaven war, wie die Auletriden und Hetären, musikalisch gebildet, sie betätigte sich als Zitherspieler, Tänzer und Komödianten. Die frei geborenen männlichen Prostituierten, die in der römischen Kaiserzeit eine bedeutende Rolle spielten, gab es in Athen nur in bescheidenem Umfang. Ein großer Teil, vielleicht der größte Teil der homosexuellen Prostitution, gab sich hin, ohne selbst homosexuell zu empfinden, und gerade in dieser Erscheinung liegt ja die oben nachgewiesene Parallele zwischen der homo- und der heterosexuellen Prostitution.
Die Bekanntschaften der Homosexuellen wurden außer auf dem Strich auch in den Barbierstuben, den Wechsel- und Spielbuden, besonders in Bädern, Schulen, im Theater und im Tempel angeknüpft.
Die homosexuelle Prostitution scheint sich in Griechenland nicht mit den Lustknaben, den Pathici, erschöpft zu haben. Es gab vielmehr auch eine Prostitution für die Pathici, die für Geld den Koitus per anum vornahmen. Diese Männer, die ein starkes homosexuelles Empfinden besaßen, waren in Athen weniger verachtet als die effeminierten Lustknaben, die man damals mit vielen Schmeichelnamen belegte, von denen ich hier einige folgen lasse: Gynaikias γυναικίας, Malthakos μάλθακος, Malacos μάλακος, Androgynos ἀνδρογύνος, Pathikos πάθοκος u. a. Die markanten homosexuellen Typen sind von den alten Schriftstellern häufig geschildert. Der virile Typus wird von Dion Chrysostomus in der 33. Rede beschrieben: »Einer von euren bedeutendsten Männern, sagt man, hatte sich eben das zur Aufgabe gemacht, wenn er in eine Stadt kam, sofort den Charakter eines jeden zu erkennen und seine Eigenschaften darzulegen; und er irrte sich nie, sondern wie wir ein Tier auf den ersten Blick erkennen, ob es z. B. ein Schaf, ein Hund, ein Pferd oder ein Rind ist, so wußte er auf den ersten Blick, was an einem Menschen war und konnte sagen: Der ist mutig, der ist feig, der ist ein Prahler, ein Übermütiger, ein Kinäde oder ein Ehebrecher. Er kam nun einmal in eine Stadt, wo er durch sein Auftreten Staunen erregte und nie sich täuschte. Da brachten sie ihm einen Menschen mit zusammengewachsenen Augenbrauen, schmutzig und unordentlich aussehend, mit Schwielen an den Händen, in schwärzlichem, grobem Gewand, bis an die Knöchel dicht behaart und mit unregelmäßigem Haarschnitt – und fragten ihn, was er von ihm halte. Lange betrachtete er ihn, endlich, weil er, wie ich glaube, Bedenken trug, seine Ansicht zu äußern, erklärte er, daß er es nicht zu sagen wisse und hieß den Menschen gehen. Im Fortgehen nießte dieser, da rief jener sofort: ›Das ist ein Mensch, der widernatürliche Unzucht treibt.‹«
Der Typus des Pathikus wird z. B. von Aristoteles und Polemon folgendermaßen geschildert:
»Ein gebrochenes Auge, einwärts gebogene Knie, Neigung des Kopfes auf die rechte Seite, die Handbewegungen schlaff und kraftlos und der Gang gleichsam doppelt, indem er die Hüfte sinken läßt und sie wieder hebt, häufiges Umherwenden der Augen. Der Androgyne hat einen schmachtenden Blick und verdreht die Augen und läßt sie umherschweifen, zuckt mit der Stirn und den Wangen, die Augenbrauen ziehen sich auf einen Fleck zusammen, der Hals wird gebogen, die Hüfte ist in beständiger Bewegung, alles zuckt, Knie und Hände scheinen zu knacken, wie ein Stier schaut er um sich und vor sich nieder. Er spricht mit feiner, aber krächzender und kreischender, sehr verdeckter und zitternder Stimme …« Die Erscheinung des Pathikus wird auch sonst als nervös und weibisch geschildert.
Selbstverständlich beruhen die Schilderungen vielfach auf Übertreibung. Es wird erzählt, daß sie sich in kostbare bunte Gewänder kleideten und goldenen Schmuck anlegten. Durch geputzte Oberkleider und weibliche Unterkleider suchten sie weibliche Erscheinung vorzutäuschen. Sie brauchten reichlich Parfüms und Schminken, besonders glänzten ihre Haare von schwarzer Salbe. Auch die Haare waren nach Frauenart frisiert und hingen langgelockt herunter oder waren kunstvoll geordnet. Dagegen waren die Schamhaare künstlich entfernt, um auf diese Weise den Anschein der Jugend zu erwecken und weil haarlose Schamteile für den antiken Mann eine Stimulanz darstellten. Die männlichen Prostituierten hatten Erkennungszeichen, die allgemein bekannt wurden und dazu dienten, jemanden als Pathikus zu kennzeichnen. Dahin gehörte vor allen Dingen das Hervorstrecken des Mittelfingers, das in der Weise symbolisch wurde, daß man durch das Zeigen mit dem Mittelfinger einen anderen als Kinäden bezeichnete. So galt besonders in dieser Zeit die Berührung des Kopfes mit dem Mittelfinger als eine unzüchtige Geste.
Die passiven Päderasten hatten vielfach gerade wie heute weibliche Spitznamen. Auch in dem Philebos riefen sich die Kinäden mit Weibernamen an.
Es ist bereits von mir in dem einleitenden Abschnitt über das Altertum hervorgehoben worden, daß die gesellschaftliche Bewertung der Prostitution damals eine wesentlich andere war, weil den Alten die Kenntnis der spezifischen Geschlechtskrankheiten, d. h. der Krankheiten, die im Koitus erworben und übertragen werden, fehlte. Iwan Bloch, der in seinem bekannten Werk über den Ursprung der Syphilis den Nachweis liefern zu können glaubte, daß im Altertum die Syphilis noch nicht existierte und erst aus Amerika eingeschleppt sei, meint aus diesem Grunde, die Prostitution habe im Altertum für das Gesundheitsniveau der Gesellschaft nur eine geringere Gefahr dargestellt. Die Meinung ist jedoch nicht stichhaltig. Denn wenn sich auch eine Beschreibung von Syphilisphänomenen in der antiken Literatur nicht zweifelsfrei nachweisen läßt, ist doch die Theorie von der amerikanischen Einschleppung widerlegbar; es dürfte daher Syphilis im Altertum gegeben haben, auch wenn man sie nicht kannte.
In den engeren Kreisen der antiken Lebewelt scheint jedoch schon damals die Vorstellung der Übertragbarkeit einiger lokaler Erkrankungen durch den Geschlechtsverkehr existiert zu haben, und wir werden später sehen, daß gerade aus diesen Kreisen, die sich um die Badstubenprostitution gruppierten, die Erkennung der Ansteckungsfähigkeit der Syphilis zuerst auftauchte. Soweit eine antike Hygiene der Prostitution bestand, ging diese nicht aus prophylaktischen Ideen gegen geschlechtliche Ansteckung hervor, sondern sie erfolgte nur aus einem rein ästhetischen Widerwillen gegen die Unreinlichkeit und gegen krankhaften Ausfluß der Geschlechtsorgane. Es mag eine klare Kenntnis der Geschlechtskrankheiten auch dadurch verhindert sein, daß man sowohl den Tripper wie die Lustseuche noch von anderen Krankheiten nicht klar zu scheiden vermochte, sondern den Tripper mit der Spermatorrhöe und die Syphilis mit der Lepra identifizierte. Gerade bei der Syphilis mußte ja die Ähnlichkeit mit dem Aussatz, der auch häufig die Geschlechtsorgane befällt, zu Irrtümern führen, besonders da das dreiwöchige Inkubationsstadium die Kenntnis von der Erwerbung der Krankheit durch den Koitus verschleiern mußte.
Die Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten wurde im Altertum durch zwei Faktoren wesentlich eingeschränkt: Durch die Waschungen post coitum und den Abscheu, gegen alle Ekzeme und Hautausschläge. Die antiken Mediziner haben allerdings in einwandfreier medizinischer Weise die Syphilis nie beschrieben. Offenbar wegen der Identifizierung mit dem Aussatz, dagegen finden sich vielfach Angaben über Feigwarzen, weichen Schanker und Gonorrhöe.
Zwei weitere Momente sprechen dafür, daß man die Übertragbarkeit der Geschlechtskrankheiten im Koitus nicht kannte. Nirgends wird über die Hygiene des Koitus geschrieben, und in den zahlreichen Angriffsschriften gegen die Prostitution wird nie die Gefahr der geschlechtlichen Ansteckungen gegen sie geltend gemacht.
Nun ist es auffallend, daß den Griechen gewisse Analaffektionen, die im Zusammenhang mit dem Akt der Pädikation entstanden, wohl bekannt gewesen sind. Es folgt dies aus einer von Sudhoff herausgegebenen Papyrusurkunde, die in deutscher Übersetzung ungefähr folgenden Wortlaut hat: Ein Päderast befahl seinen Freunden auf dem Sterbebette: »Verbrennt meine Gebeine und brecht und zerstoßt sie, damit sie denen, die am After ein Leiden haben, als Arznei dienen.« Ob diese Stelle auf Syphilis zu deuten ist, bleibt fraglich; die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit liegt natürlich vor, aber man kann ebensogut mit Iwan Bloch glauben, daß hier die bei Homosexuellen sehr häufig vorkommenden rein mechanischen Verletzungen bei dem oft gewaltsamen Eindringen des Gliedes in die Analöffnung oder durch Übertragung von lokalen örtlichen Leiden gemeint sind, wie weichem Schanker, Tripper, spitzen Kondylomen und die ansteckenden Formen der Balanites. Die Vorstellung, daß durch krankhaften Geschlechtsverkehr der ganze Körper ruiniert werden kann, lag jedoch den Alten offenbar völlig fern, und wenn sie von den schädigenden Folgen der Päderastie sprechen, so meinen sie damit entweder die direkten Affektionen der Regio analis oder des Mundes als Folge des Koitus in os, auf die besonders der üble Mundgeruch zurückgeführt wird. Sicher bekannt war den Alten die Übertragbarkeit der sogenannten Ficus, einer Art Feigwarzen, die sich nach Sudhoff als syphilitische Feigwarze oder breites Kondylom ausdeuten läßt, womit die Existenz der Syphilis im Altertum gesichert und erwiesen wäre, daß die Alten sie als solche gekannt und als spezifisches Genitalleiden identifiziert haben. Immerhin ist es trotz der relativ zahlreichen Erwähnungen auch möglich, daß die Ficus als Sammelbegriff für die mancherlei im Zusammenhang mit der Pädikation entstehenden Aftergeschwüre gebraucht wurde.
Von Wert ist auch in diesem Zusammenhange die Erwähnung des räudigen Olisbos in der Unterhaltung der beiden Frauen über den Selbstbefriediger, die oben zitiert ist. Es wird gewiß reichlich gezwungen sein, diese Stellen, die sich noch um eine große Zahl ähnlicher Fälle vermehren lassen, sämtlich hinwegdisputieren zu wollen, wie es Iwan Bloch unter Aufbietung eines starken philologischen Scharfsinns fertigzubringen vermag.
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Das spartanische Sexualleben trägt einen wesentlich anderen Charakter als das athenische. Es liegt dies in der völlig verschiedenen gesellschaftlichen Lage und der ganz anderen Lebensauffassung, die in der Stadt des Lykurgos herrschte. In Athen eine industrielle Bevölkerung, die Männer stehen im harten Lebenskampfe, da können wir auch in dem Sexualleben denjenigen Zug beobachten, den ich als die ökonomische Gestaltung des Liebeslebens bezeichnet habe. In höheren und niederen Kreisen die Tendenz bei den Männern, die Detumeszenz möglichst rasch zu erledigen, es fehlt die Neigung in der Gesamtheit, wirklich in der Umwerbung um die Frau aufzugehen und, wenn auch nur für eine Zeit, seine ganzen Lebenswerte einzusetzen. Im sexuellen Kampfe ermüdet der Mann rasch. Ganz anders in Sparta. Hier besteht noch nicht die Auffassung der Frau als Genußobjekt. Die Frau hatte zur Hälfte Anteil an dem Gottesdienst, an der Verwaltung des Hauses und der Kindererziehung, über die in Athen ausschließlich der Mann Bestimmungen traf.
Die Erziehung der heranwachsenden Mädchen ging denn von wesentlich anderen Grundsätzen aus. Wie die Frauen im Hause eine größere Freiheit genießen sollten, so wurden auch die Mädchen sofort zu einer größeren Selbständigkeit und höheren körperlichen Ausbildung erzogen. Während in Athen das Sittengesetz die Frauen zu einer ängstlichen Verhüllung alles dessen zwang, was dem »normalen« Mann interessieren kann, dachte man in Sparta über das Problem der Bekleidung wesentlich anders. Man nahm keinen Anstoß daran, daß die jungen Mädchen nackt turnten, und man veranstaltete Wettschwimmen unter den kräftigsten Mädchen. Wenn die Prostitution stets das Bestreben hat, sich von den sogenannten anständigen Frauen zu differenzieren, so sehen wir, daß in Sparta die Dirnen in schwere, goldgestickte Gewänder sich kleideten, weil man hier in der Frage der Entblößung ganz unbefangen dachte. Bordelle hat es in Sparta erst in der späteren Zeit gegeben, die Auletriden spielten durch die mangelnde Geselligkeit keine Rolle, und von Hetären sind uns nur zwei Namen überliefert: Kottine, die der Stadt die Bildsäule eines ehernen Ochsen stiftete, und Olympia, die Mutter des Sophisten Bion, eine intelligente Frau, die eben so schlagfertig gewesen sein soll, wie ihr philosophischer Sohn.
In Korinth waren die Prostitutionsverhältnisse ähnlich wie in Athen. Auch hier kannte man zunächst die aus dem Tempelkult hervorgegangene religiöse Prostitution, die hier sogar noch mehr blühte als in Athen. War doch in Korinth der Haupttempel der Aphrodite Pandemos, der in seiner Blütezeit so reich war, daß in ihm nach einer Angabe des Strabo über 1000 Mädchen »der Gottheit dienten«. Dies Milieu war jedenfalls die Hauptsehenswürdigkeit von Korinth.
Als in Athen die gesetzliche Regelung der Prostitution vorgenommen war, wurde in Korinth der gleiche Versuch gemacht. Es sind ja in der gesamten materiellen Kultur und in der Lebensweise in den beiden Haupthandelsstädten Griechenlands die gleichen Voraussetzungen für die Bewertung der Frau und des Geschlechtsverkehrs gegeben. Während nach der Einverleibung in das römische Weltreich Athen die Stadt von Kunst und Wissenschaft wurde, wo junge Studenten ihre Liebesabenteuer »erledigten«, blieb Korinth die Stadt des internationalen Fremdenverkehrs und selbst blühend und groß durch Handel und Verkehr. Bereits im 7. Jahrhundert war Korinth die größte Handelsstadt des Ostens, und Halbwelt gab es dort wie nirgends. Κορινθιάζειν wurde damals der Ausdruck für den Verkehr mit einer Dirne.
Die Trennung der Bürgerfrau von der Prostitution suchte man in Korinth den Athener Verhältnissen nachzubilden, sie trat besonders scharf bei der Feier des größten korinthischen Festes der Aphrodite hervor, wo die Hetären und die Ehefrauen völlig getrennt ihre Feste feierten. Wir sind über das Polizeireglement und die gesetzgeberischen Akte der Regierung für Korinth nicht so genau unterrichtet wie für Athen; doch deutet das meiste, was erhalten ist, darauf, daß die korinthischen Verhältnisse den athenischen genau nachgebildet sind.
Korinth bildete sich nach dem politischen Sturze Athens als die Hetärenstadt par excellence aus, und hier wurden die bedeutendsten Hetärenschulen aufgetan, die den Ruf der Korinthiai Korai (Κορινθιαι Κόραι) begründeten. Auch das Widerspiel der Dirne, der Zuhälter, der Hetärenjäger sieht Korinth als seine Heimat an. Er wird in verschiedenen antiken Komödien schlechthin als Korinthiastes bezeichnet.
Die bedeutendste Hetärenschule Korinths war die der Nikarete, jener schönen Frau, zu der die Männer von weither kamen. Demosthenes spricht über sie in seiner Rede gegen Neära: »Nikarete, eine Freigelassene des Eleers Charicius, Gattin seines Kochs Hippias, kaufte sieben Mädchen in zarter Kindheit, denn, sie hatten ein ausnehmendes Talent die Eigenschaften und Reize solcher Kleinen zu erforschen und war nicht weniger geschickt, sie zu erziehen und heranzubilden, indem sie dies förmlich als eine Kunst betrieb und von diesem Gewerbe ihren Unterhalt bezog.«
Der Hurenstrich in Korinth war ähnlich wie in Athen das Hafenviertel, wo auch die niedere Prostitution kaserniert war.
Es sind im ganzen zwölf Namen von Prostituierten aus Korinth überliefert worden, die zum großen Teil aus der Hetärenschule der Nikarete hervorgegangen sind, so z. B. Anthaes, die eine Freundin der berühmten Lais wurde. Lais war die Tochter der Hetäre Temandra, der Geliebten des Alkibiades aus Hykkara, die mit ihrer noch sehr jungen Tochter als Gefangene verkauft und nach dem Peloponnes gebracht wurde. Dort kaufte ein Korinther die siebenjährige Lais, um sie seiner Frau als Geschenk mitzubringen, trat sie jedoch dem Maler Apelles ab, der in ihr die geborene Hetäre erkannte und ihr die wichtige musische Vorbildung zuteil werden ließ; bald war sie eine der sehr teuren Hetären, was den Philosophen und Literaten ihrer Zeit, die gern mochten und nicht konnten, moralische Anregungen gab, deren hämischer Witz eine sehr deutliche Sprache redete. Von Demosthenes, der um ihretwillen von Athen nach Korinth gereist war, forderte sie 10 000 Drachmen, sonst nahm sie nicht so viel, aber der spinnenarmige Redner war ihr offenbar nicht besonders sympathisch. Demosthenes, von seiner Beredsamkeit verlassen, suchte seinen Ärger unter der zynischen Bemerkung zu verdecken: »Für Reue zahle ich nicht 10 000 Drachmen.« Eine große Liebe kam noch einmal über sie, als sie schon tief gesunken war. Eine Leidenschaft zu dem Thessalier Hippolochos, der ihre Liebe erwiderte und sie in seine Heimat mitnahm, wo sie glücklich an seiner Seite lebte. Er zwang sie nicht einmal, ihren Beruf ganz aufzugeben. Die thessalischen Frauen, die jedoch eifersüchtiger waren als der Gatte der Lais, waren mit dem Eindringen der schönen Korinthierin sehr wenig zufrieden, sie lockten ihre Rivalin, die ihren Männern den Kopf verdrehte, in den Tempel der Aphrodite und steinigten sie.
Die Lais hatte das Unglück, mit einer anderen Korinthischen Hetäre gleichen Namens verwechselt zu werden, die zwar auch sehr schön und sogar noch geistreicher gewesen ist, dafür aber eine von jenen Frauen war, an denen die Geldgier sich rächt. Die jüngere Lais fand noch, als sie herabzusinken begann, einen Mann, der sie liebte; die ältere Lais, die zuerst ebenso hohe Preise gefordert hatte, und der die Hartherzigkeit, mit der sie ihre Geldforderungen eintrieb, den Ehrennamen »Beil« eingebracht hatte, endete damit, daß sie sich den schmutzigsten und ekelhaftesten Männern hingab und ihren eigenen Ekel mit Wein wegzuschwemmen versuchte. Als sie noch schön war, hatte der Philosoph Aristippos, der viel mit ihr verkehrte, mit dem Hinweis auf ihre Schönheit darüber spotten können, daß man von Lais verlangte, daß sie die Männer liebt. Was kümmert mich, meinte Aristippos, ob Wein und Fisch mich lieben, wenn ich sie schwelgend genieße. Vom Tode der älteren Lais meldet kein Lied, kein Heldenbuch. Die Chronique scandaleuse spricht darüber ziemlich lakonisch. »Sie ist im Beruf gestorben,« sagen die einen. Die andere Überlieferung will wohl verschleiern: Die ältere Lais fand den Tod, indem sie an einem Olivenkern erstickte.
Von den athenischen Hetären wurde Neära besonders bekannt durch die Rede, in der Demosthenes sie angriff. Diese Neära war eine Art Demimondaine, die einen großen Teil ihres Lebens auf der »Eisenbahn« lag, in den weltstädtischen Straßen stets gute Freunde traf und überall gleich gekannt war. Sie machte sich besonders an die Literaten heran, was ich ihr sehr verüble. Die Dichter ihrer Zeit hatten bei der schönen Neära das meiste Glück. Sie erreichte damit wenigstens eins: Sie wurde später eine Art Typus, und in der römischen Zeit haben sich viele ihrer Nachfolgerinnen nach ihr genannt.