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4. Das Mittelalter.

Die mittelalterliche Kultur ruht auf drei Grundpfeilern, dem Christentum, der Antike und dem Germanentum. In der Entwicklung der Geschichte der christlichen Sexualethik lassen sich die Kämpfe dieser drei divergierenden Richtungen nachweisen. Das Urchristentum ruht auf jüdischer Basis, und das Judentum bejaht die Sexualität. »Seid fruchtbar und mehret euch.« Auch von Jesus kann kein einziger Ausspruch beigebracht werden, der auf die Abstinenz abzielt. Der Ausspruch Jesu in der Bergpredigt über das sechste Gebot: »Jeder, der ein Weib ansieht, um sie zu begehren, der hat schon mit ihr in seinem Herzen Ehebruch getrieben,« bezieht sich meiner Ansicht nach ausschließlich auf die Begierde gegenüber verheirateten Frauen, denn es läßt sich sonst keine einzige Bemerkung beibringen, in der Jesus den Geschlechtsverkehr, geschweige denn die geschlechtliche Begierde zwischen Unverheirateten verdammt und die Stelle, die eine logische Vertiefung des sechsten Gebotes darstellen soll, mußte nicht nur das Faktum des Ehebruchs, sondern auch den Gedanken an den Ehebruch verurteilen; diese Vertiefung hat aber schlechterdings nichts mit der Ächtung der geschlechtlichen Begierden überhaupt zu tun. Jesus steht offenbar den geschlechtlichen Begierden und dem gesamten sexuellen Leben uninteressiert gegenüber. So ist auch seine Auffassung von der Prostitution eine freie und rein menschliche. Er sieht stets nur die Not, das Unglück, aber er sucht nie darin ein Unrecht Über die große Sünderin sagt Jesus: »Ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt.«

Den asketischen Einschlag empfing das Christentum von der spätgriechischen Philosophie der abstinenten Richtung des Neuplatonismus und der Medizin, die ich im vorigen Kapitel eingehend dargestellt habe. Dort führte ich auch die Gründe an, warum sie durchzudringen vermochte. Während sich parallel mit der Ausbreitung über das römische Weltreich eine vollständige Hellenisierung der ursprünglich jüdischen Anschauungen vollzog, die bei Paulus beginnt und bei Augustinus endet. Es wurde von der Antike ihren sexuellen Auffassungen gemäß die Misogynie, die Askese und die Ächtung des geschlechtlichen Elements, sowie die Legalisierung und Reglementierung der Prostitution übernommen. Die Sexualethik des Christentums ist also wesentlich antik, nicht spezifisch christlich, und jedenfalls ist das Christentum als solches auf diesem Gebiete an allem unschuldig. Diese Richtung empfing die christliche Theologie durch Paulus, der dem Christentum den Anschluß an die kosmopolitische Kultur schaffte und mit seiner ausdrücklichen Empfehlung der Virginität und der Askese schlechthin alles verneinte, was zum Geschlechtsleben gehört. »Es ist dem Menschen gut, daß er kein Weib berühre,« darin gipfeln seine Auffassungen. Und »nur um der Hurerei willen habe jeglicher sein eigen Weib und jegliche ihren eigenen Mann«, das ist die niedrigste Form der Sexualität, ist jene Sorte von Liebe, die ihre eigenen Schweinereien verachten muß.

Die spätere Zeit hat diese Richtung zum System ausgebildet, und in der Fixierung der christlichen Dogmen vom 2. bis zum 4. Jahrhundert tritt diese Tendenz immer deutlicher hervor. Die Kirchenväter von Cyprian bis auf Tertullian und die gesamten Gnostiker bezeichnen durchweg die fleischliche Liebe als teuflisch und erklären allein die rein geistige Liebe zu Gott für erlaubt. In der Prostituierten erblickt nun das Christentum ursprünglich, nämlich so lange, wie es noch nicht die staatliche und gesellschaftliche Macht hat, das schlechthin Schrankenlose der Geschlechtsvermischung. In der Offenbarung St. Johannis steht für sie das Symbol der hurerischen Stadt Babylon, des Tieres mit den sieben Häuptern und den zehn Hörnern, das als Gipfel der Unzucht mit allen Farben des Abscheus gemalt wird. »Und ich sehe das Weib sitzen auf einem rosafarbenen Tier, das war voll Namen der Lästerung und hatte sieben Häupter und zehn Hörner. Und das Weib war bekleidet mit Scharlach und Rosenfarbe und übergoldet mit Gold und edlen Steinen und Perlen und hatte einen goldenen Becher in der Hand von Greuls und Unsauberkeit ihrer Hurerei. Und an ihrer Stirn geschrieben den Namen des Geheimnis; die große Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Greuel auf Erden.«

Nachdem das Christentum die Macht bekommen hat, wird jedes Anschneiden des Themas der Prostitution ängstlich vermieden. Die Kirche begnügt sich sehr oberflächlich damit, das Sinnenleben schlechthin zu ächten und das Leben der Christen als ein reines und heiliges, das heißt von allen sinnlichen Erregungen freies hinzustellen. Dafür einige Beispiele.

Alle Kirchenväter aus jener Zeit protestierten mit derselben Energie gegen die Gerüchte, durch die man die Christen in der öffentlichen Achtung herabzuwürdigen versuchte. Die Liebe zur Keuschheit hat soviel Gewalt über sie, sagt der heilige Justin in seinen Dialogen, daß man viele unter ihnen findet, die ihr ganzes Leben ohne jeden fleischlichen Verkehr bleiben und die noch im Alter von sechzig Jahren jungfräulich sind, ohne daß ihr Temperament oder das Klima ihres Landes diese Zurückhaltung erklärlich machte.

St. Cyprian, St. Clemens von Alexandrien, Gregorianus, Basilius und alle die griechischen und lateinischen Kirchenväter haben uns erbauliche Schilderungen von den christlichen Sitten hinterlassen, während der Lebenswandel der Heiden ihrer Schilderung nach mit allen Lastern befleckt ist. St. Cyprian widmete dem Lob der Keuschheit sogar ein ganzes Buch: »Die Christen wissen,« so sagt er, »daß die fleischlichen Vergnügungen mit der Hoffnung auf dauernde Freuden beginnen und immer mit Enttäuschungen endigen. Sie stürzen uns in allerhand Aufregungen, verführen uns zu Verbrechen und treiben uns nur gar zu häufig über die Grenze hinaus, die die Natur selbst gesteckt hat. St. Gregorianus beruft sich sogar auf das Zeugnis der Heiden selbst, um die rühmliche Keuschheit der Christen zu beweisen. »Sie begnügen sich nicht allein keusch zu sein in Werken durch die Abtötung aller fleischlichen Regungen, sondern sie halten sich auch rein in ihrem Geiste, denn sie wissen, daß die wahrhafte Keuschheit sich von allen Sünden fernhalten muß. Aus Furcht, ihren Geist zu verunreinigen, verschließen sie ihre Augen vor jedem unkeuschen Schauspiel, sie wohnen niemals Theater und Aufführungen bei, die der heilige Cyprian als Schule der Unkeuschheit kennzeichnet; von ihren frugalen Tafeln verbannten sie jene gefährlichen Stoffe, die die Sinne erregen, sie vermieden den Gebrauch des Parfüms, das für sie nichts anderes als ein Reizmittel der Sinnlichkeit darstellte; bei ihren Banketten, bei denen sie sich immer, wie sie sagten, im heiligen Geiste zusammenfanden, gestatteten sie weder Lieder noch Tanz, noch lautes Lachen, noch Trunkenheit, noch Völlerei. In seiner Pädagogik geht der heilige Clemens von Alexandrien sogar auf intime Einzelheiten dieser Keuschheit ein, die den Stolz der Gläubigen und die Schule der Ungläubigen seiner Meinung nach ausmachte. Er weist auf den Unterschied zwischen der heidnischen und der christlichen Ehe hin. Die Heiden sahen darin nichts anderes, als ein Mittel zur Befriedigung ihrer Sinnlichkeit, während die Christen von ihr nur eine sichere Verbindung mit ihrem Gotte erwarteten: »Die Christen wollen, daß die Frauen ihren Gatten durch die Reinheit ihrer Sitten und nicht durch die Schönheit gefallen, sie wollen auch nicht, daß die Männer ihre Frauen als eine Beute ihrer Sinne betrachten, denn die Natur hat uns die Ehe gegeben wie die Nahrungsmittel, deren Gebrauch, nicht aber deren Mißbrauch uns erlaubt ist.« Derselbe Kirchenvater gibt uns ein wunderliches Gemälde von der Zurückhaltung der christlichen Ehen: »Die christlichen Ehegatten legen auch in ihren Ehebetten die Schamhaftigkeit nicht ab, die sie vor aller Öffentlichkeit zu beachten pflegen, denn sie fürchten jener Penelope zu gleichen, die während der Nacht immer wieder zerstörte, was sie am Tage gewebt hatte. Diese Zurückhaltung ist für sie ein Zeichen, daß sie ihre Begehrlichkeit zu unterdrücken verstehen, und selbst dort, wo sie das Recht hätten, sich zu begehren, denn wenn das göttliche Gebot ihnen erlaubt hat, sich zu verheiraten, so hat es ihnen damit doch nicht die Erlaubnis zur Genußsucht gegeben.« An einer anderen Stelle sprach sich der heilige Clemens über die christlichen Ehen noch mit folgenden Worten bezeichnend aus: »Der einzige Zweck der Vereinigung beider Geschlechter ist die Erzeugung von Kindern, die man zu guten Menschen erziehen will. Es heißt also gegen die Vernunft und gegen die Gesetze sündigen, wenn man in der Ehe nichts anderes sucht als das Vergnügen. Aber ebensowenig darf man sich ihrer enthalten aus Furcht Kinder zu bekommen. Die Natur verbietet gleichmäßig, in der Kindheit und im Greisenalter, den Verkehr der beiden Geschlechter, diejenigen aber, denen die Ehe diese Beziehungen erlaubt, sollen sich immer vor Augen halten, daß sie vor Gott stehen und sollen ihre von ihm geschaffenen Körper achten, indem sie sich vor jeder Unkeuschheit bewahren.«

Augustinus schloß endlich die christlichen Lehren des Altertums zu einem System zusammen, auf dem der Kern der mittelalterlichen Lebensauffassung basiert. Das Diesseits ist ein Jammerdasein, und alle Freuden und alles Große gibt es erst im Jenseits. So wird das Leben in der Welt zu einer Vorbereitung auf das jenseitige Leben. Man sieht, wie hier die Religion einsetzt, um über die wirtschaftliche Not der Zeit hinwegzusetzen, weil die Zeit schlecht ist, vermag die Religion der Öde des Lebens Inhalt zu verleihen, die Religion wird zur Freude. Diese Vorbedingungen fallen jedoch bei jeder Besserung der wirtschaftlichen Lage hinweg, und dem religiösen System ist alsdann das Fundament entzogen. Augustin, der Erfüller der Scholastik, ist auch der Begründer des Systems der mittelalterlichen Sexualethik. Die katholische Kirche, und nach ihr die protestantische Kirche, bauen ihre Sexualethik auf seine Lehren auf. Der psychologische Wert des Liebeslebens als Lustmoment wird nicht anerkannt, man hat im Jenseits keinen Platz für die Unzucht, und darum will man sie auch im Diesseits nicht dulden. So fügt sich die mittelalterliche Sexualauffassung restlos in die mittelalterliche Weltauffassung ein. Der Priester hatte in diesen Dingen das einzige und letzte Wort zu sprechen, nachdem er seine Diagnose in der Beichte gestellt. Ein wissenschaftlicher Betrieb war bei dieser Auffassungsart naturgemäß undenkbar, wenn auch anzuerkennen ist, daß die psychologische Einzelbetrachtung an verschiedenen Stellen bis ins tiefste drang. Über die Prostitution urteilt Augustinus relativ milde, einerseits weil es darauf ankam, die Sexualethik auf die staatlichen Fundamente zu setzen und die Prostitution zu den Fundamenten dieses Staates gehörte, andererseits weil es ihm hauptsächlich darauf ankam, die Sinnlichkeit aus dem geistigen Leben zu verbannen und die Prostitution immerhin die kürzeste und das geistige Leben am wenigsten in Anspruch nehmende Detumeszenzmöglichkeit bietet. Er will die Prostitution ins Bordell bannen, damit es ihr unmöglich gemacht wird, Unschuldige zu verführen, und um die Dirne von der anständigen Welt zu trennen.

Mit Augustin sind die christlichen Faktoren mittelalterlicher Sexualauffassungen und die christlichen Komponenten für die Gestaltung des mittelalterlichen Lebens, die auf der Antike basieren, erschöpft, und es blieben als dritte Komponente germanische Sitten, die einem ganz anderen Auffassungskreise entstammen.

Die Beurteilung der sexuellen Zustände der alten Germanen ist außerordentlich schwierig. Man hat die hohe Stellung, welche die Frau bei den alten Deutschen einnahm, auf mutterrechtliche Zustände zurückgeführt. Aber diese Annahme ist falsch und wird auch von der modernen Forschung ziemlich einstimmig verworfen. Da jedoch diese Verhältnisse der allgemeinen Kenntnis nicht so nahe gerückt sind, will ich diesmal zuerst das gesellschaftliche Phänomen schildern, ehe ich seine sexualpsychologische Deutung gebe.

Die Berichte über die alten Germanen lassen erkennen, daß bei ihnen der Mann voll Sehnsucht um die Frau warb, während das Weib in der Regel die Kühle, sich Sträubende spielte. Der Mann ordnete sich ihr freiwillig unter; hielt ihr aus freien Stücken die Treue und sah in ihrer Hingabe eine Gnade. Im Kriege nahm der Mann seine Gattin mit sich. Die Ehre der Frau war durch drakonische Gesetze geschützt. Die Gesetzsammlung des Königs Dagobert (638) bestrafte den Mann, der die Hand einer Frau berührt, mit 600 Denaren. Wer den Arm einer Frau berührte, mußte 1200 Denaren zahlen, und die Berührung des Busens kostete sogar 2400 Denaren. Die Prostitution war ihnen von Natur fremd. Durch die starke wirtschaftliche Not war die Spannung minimal. Kuppelei und Prostitution wurde nach der lex Ripuariorum (7. Jahrhundert) mit dem Tode bestraft. In der Lex Visigothorum (900) spricht sich die Ethik Reccareths (526-601 n. Chr.) wie folgt aus: Jede Prostituierte wird des Landes verwiesen, aber vor ihrer Abschaffung öffentlich mit 300 Peitschenhieben bestraft. Jede rückfällige Dirne erhält 300 Peitschenhiebe und wird dann einem Armen als Sklavin geschenkt, der ihr Verhalten zu überwachen hat. Eltern, die ihre Töchter zur Unzucht anreizen, erhalten tausend Hiebe. Dienstboten, die sich für Geld hingeben, werden mit 400 Streichen bestraft und müssen von ihren Herren entlassen werden. Dienstgeber, die solche Personen dulden, erhalten dreihundertmal die Peitsche, ebenso oft, wenn sie aus der Prostitution ihrer Untergebenen Nutzen gezogen haben. Richter, die Nachsicht mit den Dirnen übten, die Strafe nicht in ihrer ganzen Strenge vollziehen ließen, wurden dreihundertmal gestrichen und mußten ein hohes Strafgeld erlegen.

Die Annahme eines mutterrechtlichen Zustandes ist nach diesen Angaben kaum möglich. Wir haben hier eben den Zustand, daß das Liebesleben sich auf der Umwertung aufbaut, hinübergerettet aus der Kulturepoche des Mutterrechtes in die des Vater- und des Besitzrechtes. Die Möglichkeit dazu bietet die ethnographisch bewiesene Abneigung der Germanen gegen die Prostitution des Weibes, eine Erscheinung, die sich als Parallelerscheinungen des Lehnswesen auch in vielen anderen Kulturmilieus, z. B. in Japan findet. Die Psychologie des Vorgangs, das ovidische Moment der Freude an der freiwilligen Unterordnung ist eben in beiden Fällen das gleiche. Bei der psychologischen Begründung des Minnedienstes, der auf der gleichen Wurzel beruht, sage ich noch mehr zur Aufklärung dieser Erscheinung.

Für die Monogamie der Germanen sind auch wirtschaftliche Momente von wesentlicher Bedeutung. Als die Völkerwanderungen begannen und Tausende von Menschen sich in Bewegung setzten, um weit ab von der väterlichen Scholle günstigere Daseinsbedingungen aufzusuchen, mußte selbst der auf die Polygamie verzichten, der in der Heimat in diesem Zustande leben konnte. Jede Belastung des Trosses mußte ebenso vermieden werden wie alles, was die Unterhaltslast solch großer Menschenmasse vermehren konnte. Der Besitzer mehrerer Frauen hätte, da auf diesen Zügen die Wirtschaftsform wesentlich kommunistisch war, das Gemeinwesen übermäßig belastet. So drängten ökonomische Motive zur Monogamie.

Der Prostitution waren natürlich diese Lebensbedingungen ebenfalls durchaus nicht günstig. Bei diesen Wanderungen hatten Prostituierte einfach keinen Platz. Weil bei den Wanderungen die Zahl der Frauen nach Möglichkeit eingeschränkt wurde, duldete man keine stammesfremden Frauen, und es fehlen einige wichtige Vorbedingungen für die Prostitution.

Die kulturelle Vermittlerrolle der Franken hat sie instand gesetzt, die Brücke zwischen der antiken christlichen Weltauffassung und dem Germanentum zu schlagen. Die fränkischen Zustände sind dann die Grundlage der deutschen Kultur des Mittelalters geworden. Staatsleben, Kirche, Bildung, wirtschaftliche und soziale Gliederung der mittelalterlichen Deutschen knüpften an das Reich der Franken an. Die Romanisierung und Kultivierung der Franken erstreckte sich vornehmlich auf die gesellschaftliche Kultur, trotz der anfänglich starken Abneigung der Römer gegen die Barbaren war allmählich eine Assimilierung vor sich gegangen. Die Merowingische Kultur, die wesentlich eine Mischkultur ist, hatte sich im öffentlichen Leben und in der gesellschaftlichen Ordnung ganz den fortgeschrittenen römischen Zuständen angepaßt. Die sozialen Unterschiede waren gemäß der Neuordnung der Verhältnisse verschärft worden, und es hatte sich die Staatsbildung durchaus verändert, obwohl hier germanische Grundgedanken tätig geblieben waren. Aber das Volk war aus seiner ausschlaggebenden Stellung verdrängt.

Mit all diesen Veränderungen war auch eine durchaus geänderte Auffassung von der Stellung der Frau verbunden. Je mehr das Lehnswesen einer strafferen staatlichen Ordnung wich, um so mehr wuchs auch der männliche Kollektivwillen zur Verknechtung des Weibes. Damit war auch der Platz für die Prostitution geschaffen. Der wirtschaftliche Aufstieg einzelner Klassen, der mit der Dissoziierung der Klassen in der Regel verbunden ist, begünstigt weiter die Prostitution. So kam es, daß gerade auf dem Gebiete der Sexualität römische Verhältnisse ohne weiteres übernommen wurden, wenn auch schon sehr bald die Abneigung der Germanen im Verein mit der christlichen antiken Misogynie sich in radikalen Verboten des Prostitutionsbetriebes Bahn brechen. Karl der Große löste bekanntlich das Problem, die disparaten Komponenten zu verschweißen und ihnen die gemeinsame Gestaltung zu geben, die wir als typisches Mittelalter betrachten. Schon daß er sein Reich zu einer Theokratischen Monarchie gestaltete und dem öffentlich rechtlichen Leben die römische Basis beließ, zeigt, daß in der Vereinigung der drei Komponenten die zweite antichristliche die Richtung der Entwicklung bestimmte.

Übernommen wurde auch aus dem Altertum das Vaterrecht in seiner extremsten Form und damit alles, was notwendig und gesetzmäßig mit ihm zusammenhängt, das heißt die Prostitution und die doppelte Moral. Die immer noch bestehende wirtschaftliche Baisse begünstigte außerdem die Auffassung von der Minderwertigkeit des Liebeslebens.

Die sexuelle Entwicklung des Mittelalters läßt sich an der Hand von Wirtschaft und Gesetzgebung verfolgen, aber das gegebene Material reicht nicht aus, um ein völlig klares, alle Gegensätze überbrückendes Bild zu schaffen, und trotz der zahlreichen Forschungen bleibt wenigstens in dieser Hinsicht die Folgezeit bis zu einem gewissen Grade immer noch das dunkle Mittelalter. Schuld mag mit daran sein, daß die zu überbrückenden Gegensätze hier mit einer Macht aufeinander stießen, wie wir sie später nicht wiederfinden.

Zur Eindämmung der germanischen starken sexuellen Naturkraft, die sich bei der Berührung mit der römischen Kultur sehr ungebunden zu entladen begann, diente zweifellos die ökonomische Not. Im Mittelalter assimilierte ein harter Lebenskampf alle Kräfte des Daseins, und da Liebe ihrem Prinzip nach Verschwendung ist, gab es für sie keinen Platz. Es ist eine typische Erscheinung des Mittelalters, daß aus Sparsamkeit auf das Liebesleben verzichtet wird. So stellen, wirtschaftlich betrachtet, die Mönchs- und Nonnenklöster eine Sparsamkeit dar, indem man um einer billigen Form der Lebensführung willen auf die Freuden des Geschlechtsverkehrs verzichtet, und auf Sparsamkeit könnte man auch die Einschränkung des Liebeslebens deuten, die auf eine Ächtung der Spielarten der Liebe hinauszielen. Diese Ächtung der Spielarten der Liebe war überdies natürlich durchaus im Sinne der augustinischen Lebensauffassung, die dem Liebesleben, das als rein animalische Notwendigkeit nicht vollkommen entbehrt werden konnte, so wenig Raum wie möglich gestatten wollte.

Durch die ökonomische Not trat auch die Prostitution als Faktor des öffentlichen Liebeslebens mehr in den Hintergrund. So wird die Prostitution in der ersten Hälfte des Mittelalters notorisch totgeschwiegen.

Es ist offenbar, daß man für die gesetzliche Ordnung der Prostitution die römische Praxis ohne weiteres übernahm. Die Germanen kannten in ihrem Rechtsleben den Begriff der Prostitution nicht, und man übernahm darum, was man vorfand. Überdies ist ja das Rechtswesen in dem Staate Karls des Großen wesentlich das jus romanum. Man suchte die Prostitution im Bordell zu organisieren, oder man ließ, wie in den alten Römerstädten, die vorhandenen Bordelle einfach fortbestehen.

Einen der ältesten mittelalterlichen Versuche der staatlichen Regulierung der Prostitutionsverhältnisse stellt das Kapitulare Karls des Großen aus dem Jahre 805 dar, in dem den Personen beiderlei Geschlechts Ehebruch, Hurerei, Sodomie und andere Sünden gegen die Ehe schlechthin verboten waren. Zur Begründung des Gesetzes wird angeführt, daß viele Völker, die Ehebruch und Unzucht, Sodomie und Verkehr mit Dirnen reichlich gehabt haben, nicht gesund geblieben seien und den kriegerischen Mut verloren hätten. Die verbotene Ausschweifung wurde mit Verlust des Landes und mit Gefängnis bestraft. Das Kapitulare Karls des Großen, das sich mit den Bestimmungen Justinians vergleichen läßt, stellt den Versuch dar, die christlichen Lehren radikal in die Wirklichkeit umzusetzen und gleichzeitig die urgermanische Abneigung gegen die Prostitution zu konservieren.

In der ersten Hälfte des Mittelalters sind noch öfters derartig radikale Bestimmungen gegen die Prostitution erlassen worden, in den späteren wird angeordnet, daß eine der Prostitution überführte Frau bestraft werden soll, daß sie 40 Tage lang nackt vom Kopf bis zum Gürtel umhergehen muß und ein Täfelchen an der Stirn tragen soll, das die Art ihres Verschuldens angibt. Im großen und ganzen wird jedoch die Prostitution nur sehr wenig erwähnt, und es ist sehr wahrscheinlich, daß die angeführten Bestimmungen in nur bescheidenem Umfange durchgeführt worden sind. Zu allen Zeiten wurden auf dem Gebiete des Liebeslebens die Gesetze nur an einzelnen exemplifiziert.

Stärker als alle Gesetze wirkten Beichtstuhl und Kanzel. Die Pfaffen des früheren Mittelalters verstanden es bekanntlich sehr gut, mit der Erwartung des tausendjährigen Reiches die Gläubigen ungefähr ein Jahrhundert lang in Atem zu halten. Man war damals nicht so gottlos, vor dem Ende noch den Rest des Lebens genießen zu wollen, man kasteiete sich vielmehr zur Vorbereitung auf das Jenseits. Als alle Mathematik nicht mehr die Lehre vom tausendjährigen Reich zu stützen vermochte, suchte die Kirche bekanntlich in den Kreuzzügen einen neuen Machtfaktor, womit nicht gesagt werden soll, daß die Kreuzzüge eine Privatunternehmung der Kirche darstellten. Für das sexuelle Leben waren diese Ritterzüge nach dem Orient keineswegs bedeutungslos, weil sie den Westen wiederum in ursprüngliche Berührung mit dem Osten brachten. Die Eröffnung neuer kultureller und wirtschaftlicher Beziehungen brachte eine völlige Umgestaltung des sexuellen Lebens – oder wenigstens der sexuellen Bewertung des öffentlichen Lebens, die sich in dem Minnedienst und in der Legalisierung und Reglementierung der Prostitution bekundet.

Diese Umgestaltung scheidet die Sittengeschichte des Mittelalters in zwei voneinander durchaus verschiedene Epochen. Über die Geschichte der Prostitution in dieser zweiten Hälfte mittelalterlicher Kultur fließen die Quellen wesentlich reichlicher, und ich werde die Verhältnisse und die gesetzliche Regelung der Prostitution in dieser Zeit eingehender darstellen und gleichzeitig noch auf die Verhältnisse der älteren Epoche zurückgreifen, nachdem ich die aus dem Orient stammenden Einflüsse und das allgemeine sexuelle Niveau dieser Zeit klargelegt habe.

Die Kreuzheere wurden von Dirnenscharen begleitet. Über den ersten Kreuzzug wird erzählt, daß unter Führung des Wüstlings Wilhelm 3000 Dirnen in das heilige Land zogen. Gottfried von Bouillon hatte 2000 Dirnen in seinem Gefolge. Vor Antiochia waren anno 1207 umfangreiche Maßregeln gegen die Prostitution nötig. Im zweiten Kreuzzuge war der Dirnentroß besonders in dem Heere Ludwigs VII. lästig.

Barbarossa nahm beim 3. Kreuzzuge nicht weniger als 500 Dirnen mit. Und als sich die Dirnen bei der Belagerung Akkons sehr mißliebig machten, wurden sie auf eine vor der Stadt gelegene Insel transportiert. Derartige umfangreiche Angaben über die Dirnen, eine so offensichtliche Duldung, lassen sich aus der früheren Zeit nicht beibringen. Insofern bilden die Kreuzzüge eben die erste Erscheinungsform einer allgemeinen Umgestaltung des sexuellen Empfindens, die Prostitution wird eine selbstverständliche Erscheinung.

Eine andere, in dieser prägnanten Form erkenntliche Veränderung des sexuellen Lebens dieser Zeit ist der Minnedienst. Ich habe bereits den Minnedienst erwähnt, als ich das Problem von der Stellung der Frau bei den Germanen berührte und habe seinerzeit darauf hingewiesen, daß sich die hohe Stellung der Frau aus der Gesellschaftsform des Lehnswesens erklären läßt. Der Minnedienst ist nichts anderes, als die Übertragung des Verhältnisses von Lehnsmann und Vasallen auf das Gebiet des Liebeslebens. Die psychologischen Komplexe beider Erscheinungen sind durchaus die gleichen, hier wie dort die freiwillige Unterordnung, die unentwegte Treue, die Gnade der Gewährung, das Verfügen über Leib und Seele. Es ist also eine dem germanischen Denksystem angehörende Erscheinung, die hier bei der Überwindung des asketischen Elementes wieder in die Erscheinung des Volkslebens tritt.

Während der Kreuzzüge haben wir es unter dem Druck des wirtschaftlichen Aufschwungs mit einer völligen Umbildung der Kultur zu tun. Die ursprünglich geistliche Kultur, die mit ihrer ungeheuren Arbeitsleistung in den auf dem Prinzip der Sparsamkeit ruhenden Klöstern gewiß durchaus nicht unterschätzt werden darf, ist der ritterlichen Kultur gewichen. Daß die Kirche die kulturelle Herrschaft nicht ohne weiteres abgetreten hat, zeigt ihr Verteidigungskampf gegen die Verweltlichung, der den Kern der Cluniacensischen Bewegung bildet, die die urmittelalterlichen Tendenzen auf Abtötung des Fleisches und letzten Grades den Kampf gegen das Weib erstrebte. Die Ächtung der Sinnlichkeit im Mittelalter bringt es mit sich, daß die Detumeszenzen auf masochistischer Basis damals kulminierten. Daher erleben wir die Blütezeit des Flagellantismus, Hexenwahns und der Sodomie. Wenn die Unzucht mit Tieren, die sogenannte Bestialität, im Mittelalter viel verbreiteter war als heute, so haben wir es wohl mit einer mangelnden ästhetischen Orientierung des Geschlechtslebens zu tun, für die auch die Anthropophyteia massenhaft Beispiele gibt. Daß jedoch auch schon damals die Bestialität vielfach auf einem äußerst verzwickten psychologischen Komplex ruhte, zeigen Gedichte der früheren Renaissancezeit, die sie verherrlichen. Hier lagen Erscheinungen vor, die sich psychologisch ähnlich ausdeuten lassen wie der sogenannte Masochismus, als Perzeption von Schmerz als Lust. Eine Detumeszenz infolge Schmerzperzeption ist die Flagellomanie, die nicht nur als erotische Stimulans diente, sondern auch vom Sünder als Detumeszenz ersehnt wurde. Daher der Wert, den man der Geißel gegen die Fleischeslust beimaß und der sich durchaus auf reale psychologische Beobachtung aufbaute. Man detumeszierte »masochistisch«.

Nicht minder real ist in anderen Fällen die erotische Stimulanz. Tausende von Priestern konnten bezeugen, welch außerordentliche Erfolge bei der Liebeswerbung die Geißel verschafft hat. Sie hatten die Möglichkeit, unter dem Deckmantel der Religion ihre erotische Neugier auf das raffinierteste zu befriedigen, indem sie die verordneten Züchtigungen selbst erteilten. Die Phantasie des Mittelalters ging in dieser Hinsicht weit genug. Philander von Sittewald kennt Weibernarren, die begehren, »das Brett aus dem geheimen Kabinett zu sein, auf daß ihnen die Tränen aus der Geliebten Gesäß in das offene Maul fallen«. Daß die von der Cluniazensischen Bewegung propagierten Kreuzzüge sehr wenig zu ihrem Vorteil dienten, zeigt schon die Gestaltung des Dirnenlebens in den Kreuzzügen. Die Entwicklung der Geschichte läßt sich eben nicht aufhalten. Für die Gestaltung der Prostitution sind die Kreuzzüge insofern aber von grundlegender Bedeutung, als durch die Berührung mit der Sexualethik des Orients die gesellschaftliche und staatliche Anerkennung der Prostitution in dem Kulturkomplex des Mittelalters vollzogen wird.

Die orientalische Sexualethik ruhte wesentlich auf antiker Basis. Das oströmisch-byzantische Reich, das die reine Antike in das Mittelalter hinüberrettete, hat auch die Prostitution in ihrer antiken Erscheinungsform bewahrt. Hinzu kam, daß die gesamte Kultur des östlichen Mittelmeers die Vorbedingungen für eine starke Ausbreitung der Prostitution in viel höherem Maß besaß, als die westlichen Mittelmeerländer. Hier war eine entwickelte städtische Kultur, Großstädte mit über einer Million Einwohner, Konstantinopel und Antiochia, in denen die Organisation der Prostitution durchaus antik war. Diese Organisation vererbte das Byzantinische Reich an die Araber, die die sexualethischen Anschauungen der späten Antike übernahmen. Obwohl Mohammed zwar keine naive Sinnenfreude kannte, bejahte er doch die Sexualität mit einer glühenden Sinnlichkeit. Trotzdem haben die antiken Kultureinflüsse die Lebensauffassung der Araber bestimmt. So finden wir im Koran das Verbot der Prostitution und die Infamierung der Dirne.

Die glänzenden wirtschaftlichen Verhältnisse des arabischen Reichs gaben jedoch keinen Boden für sexuelle Abstinenz, und so schuf die entschieden vaterrechtliche Kultur eine sehr umfangreiche Prostitution. Die Frau ist nach arabischer Auffassung nichts als das Lustobjekt des Mannes, und sie ist auch Sklavin in der Ehe.

Neben der heterosexuellen Prostitution kannte der Orient auch eine sehr umfangreiche homosexuelle Prostitution, und auch hier wurde das griechische Vorbild übernommen. Die männlichen Prostituierten des arabischen Reiches, die Mumis, ähneln in ihrer Erscheinung durchaus den griechischen, auch sie verstanden Tanz und Musik. Auch die Beurteilung der gleichgeschlechtlichen Liebe, die ausschließliche Verachtung des Pathikus, des Al Matul, und das hohe Ansehen des aktiven Päderasten, Al Fail, sind Erbteil der Antike.

Wie die Überlegenheit der orientalischen Kultur allgemein für die Menschen des Okzidents etwas Bestrickendes hatte, wie die Durchbildung staatlicher Ordnung und besonders die Entwicklung des Genußlebens die Abendländer faszinierte und zur Nachahmung reizte, so organisierte man auch die Prostitution nach orientalischem Muster. Die Zahl der Dirnen schnellte mit einem Male in die Höhe, was nicht zum mindesten auch auf das Anwachsen der Städte unter den gebesserten wirtschaftlichen Verhältnissen zurückzuführen ist. Aber der Staat gibt nach, er erkennt, daß die Prostitution doch nicht mehr zu unterdrücken ist, und er zieht die Konsequenz daraus, daß er diese Erscheinung staatlich ordnen und staatlich nutzbar machen muß, d. h. er reglementiert und er besteuert sie. Damit trägt er nur der Umgestaltung der allgemeinen kulturellen Verhältnisse Rechnung, die die ursprünglich geistliche Kultur zu einer Laienkultur gewandelt hat.

Ludwig IX. versuchte zum letzten Male, diese fortschreitende Entwicklung aufzuhalten und die drakonischen Gesetze germanischer Sexualauffassung durchzusetzen. Das Scheitern dieses Versuches ist einer von den vielen Beweisen, daß der Mensch nicht die Moral machen kann, die Moral macht sich selber.

Die Reglementierung der Prostitution wurde zuerst in Frankreich und England eingeführt. Die Zustände in Frankreich wurden geradezu vorbildlich für die übrigen europäischen Länder.

In Frankreich hat Philipp August den wichtigsten Schritt für die Reglementierung getan, indem er den Rex Ribaldorum, den Ribaud als obersten Agenten der Prostitution, schuf. Diese Ribauds hatten die Überwachung der Prostituierten zu besorgen und waren auch für die Eintreibung des Hurenzinses verantwortlich. Sie hatten auch die Verantwortung, daß die Zahl der Prostituierten das richtige Maß innehielt und daß die Prostituierten in besondere Häuser, Bordelle, gebannt blieben.

Die Gesamttendenz der mittelalterlichen Prostitutionsorganisation beruht darauf, die Prostitution von dem bürgerlichen Leben zu scheiden, um ihre Ausbreitung zu verhindern. Die wirtschaftliche Lage der Prostitution wird nicht beachtet, man will sie nur in einem gesonderten, in sich geschlossenen Kreis zusammenhalten. Zu diesem Zwecke besteht die gesellschaftliche Infamierung, der Bordellzwang und die Kleidervorschriften, die die Prostituierte und die sogenannte anständige Frau sofort erkenntlich machten. Bis zum 14. und 16. Jahrhundert drangen die Bordelle bis in die kleinsten Städte, ja viele, wie Colmar, haben ihren Namen geradezu von ihrem Bordell, dem Colombarium (Taubenhaus) bekommen. Man sah eben im Bordell eine Staats-Notwendigkeit, und das öffentliche Haus wurde darum von der Stadtverwaltung oder von dem Landesherrn selbst errichtet. Diese Bordelle mußten zunächst an der Peripherie der Stadt angelegt werden, da die Tendenz bestand, alle unehrlichen Leute aus dem Stadtinnern vor die Tore zu drängen. Nur in den Städten, die schon ganz alte Bordelle hatten, liegt in der Nähe des Marktes eine Bordellstraße. Verboten wurde die Anlage von Bordellen in der Nähe von Kirchen, Kirchhöfen und Klöstern. Als besonderes Kennzeichen erhielten sie bunte Laternen vor den Fenstern.

Vor den Kreuzzügen waren die Bordelle, soweit es überhaupt solche gab, von freien Unternehmern geleitet. Das spätere Mittelalter zeigt die Tendenz, die Unzucht zu verstaatlichen. Man muß dafür das richtige Verständnis haben. Geld war seinerzeit für die Fürsten so selten, daß sie nicht danach fragen konnten, woher es kam, und die Landesherren wußten, wo das Portemonnaie am weitesten offen war. Der Bordellbetrieb wurde an Pächter vergeben. Aus diesem Grunde wurde die freie Prostitution und die Kuppelei allgemein bekämpft, weil sich hier eine Konkurrenz gegenüber den staatlichen Unternehmungen bildete. Bis zur Renaissance wurde die naive Auffassung des ganzen Bordellbetriebes immer allgemeiner, und die schönen Frauen erfreuten sich von Seiten der Stadtverwaltung eines ganz besonderen Ansehens. Vielfach wurde später das Bordell nicht mehr verpachtet, sondern durch städtische Beamte in eigener Regie der Stadt geleitet. Die Überwachung wurde dann von Ratsknechten, oft aber auch von dem Scharfrichter, dem Stocker besorgt. In Hamburg unterschied sich der städtische Aufseher in seiner sozialen Stellung ganz bedeutend von dem Pächter, dem Frauenwirt, der nur die ökonomische Leitung hatte.

In Frankreich wurde die Aufsicht über die Bordelle durch König Heinrich II. geschaffen, und zwar bereits in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts. Dieser Heinrich II., der englische König, der die Normandie als französisches Lehen besaß, setzte einen gewissen Bakderik als Aufseher über das Frauenhaus in Rouen ein und gab ihm gleichzeitig den Titel eines Hofmarschalls. Diese ursprünglich englische Einrichtung wurde dann nach der Schlacht bei Bouvines von den Franzosen übernommen, und man schuf den Roy des Ribauds, der sich ursprünglich nur am königlichen Hofe befand; später wurde jedoch dieser Titel auch dem Aufseher der städtischen Bordelle übertragen. Am Hofe hatte er wohl ursprünglich die Aufsicht über das fahrende Gesinde und über das Palastbordell.

Zur Zeit der Renaissance sinkt die Bedeutung des Ribaud. 1558 wird er zum letzten Male erwähnt. Ein solcher Ribaud nach französischem Muster wird auch in Spanien und Deutschland als Aufseher der städtischen Bordelle eingesetzt. Als Aufseher für die Bordelle hat er besonders Sorge zu tragen, daß die von der Stadt erlassenen Frauenhausordnungen durchgeführt wurden. Er hatte dafür zu sorgen, daß nur stadtfremde Frauen in das Bordell aufgenommen wurden, daß nicht verheiratete Personen es besuchten und daß ebenfalls Juden, Kleriker und Kinder ihm fernblieben. Außerdem mußte er für Ruhe und Ordnung im Hause sorgen und darauf achten, daß die Mädchen nicht von dem Bordellhalter ausgebeutet wurden. Für diesen Schutz, den die Dirnen erfuhren, ist die Frauenhausordnung »der von Ulm« sehr charakteristisch. Ich lasse sie hier folgen, um zu zeigen, in welcher Weise man damals für die Hygiene zu sorgen pflegte:

»Zum ersten soll ein jeder (Frauenwirt) schwören, seinem Herrn Bürgermeister und dem Rat und ihren Nachkommen mit seinem eigenen Leib zu allen ihren Geschäften und Sachen, wozu auch, wann und zu welcher Zeit ein Bürgermeister oder einer der Fünf (der geheime Rat bestand aus fünf Mitgliedern) ihrer bedürfen, es sei tags oder bei Nacht, gehorsam und gewärtig zu sein und sich keinerlei Sache zu widersetzen, sondern die Zeit seines Dienstes und solange er ihnen dienstbar sei, dieser meiner Herren gemeinsamen Stadt und ihrer Nachkommen Ehre, Nutz und Frommen zu fördern und ihnen Schaden und Unehre hintanzuhalten und abzuwenden, auch schädliche und beargwöhnte Leute, wo die zu ihm in das Haus kämen, oder wo er bei bösem Spiel, da es gefährlich zuginge, oder sonst dabei wäre, daß man frommer Leute Kind betrüge, einstoßen oder begaunern wolle oder würde, es wäre im Spiel oder anderwegen, oder ob er hörte oder vernähme, daß Gott gelästert, zugetrunken oder sonst irgendwie wahrnähme, was der Stadt oder ihren Bürgern oder den Ihren schädlich wäre, und besonders, ob etwas gut sei oder verdächtig in seinem Haus, daß er dann das alles und jedes meinem Bürgermeister, so zurzeit sein wird, förderlich und unverweilt zu wissen zu tun habe, sondern, diese arglistige und schädlichen Leut, die Gotteslästerer und Zutrinker getreulich rügen und anzeigen solle. Und wenn man ihm befehlen würde, diese festzuhalten, so viel er könnte und vermöchte, und dieses im geheimen zu tun oder dies verschwiegen zu halten, er dieses auch zu befolgen habe.

Zum andern soll er schwören, das Frauenhaus ordentlich zu halten, dasselbe mit taugentlichen, sauberen und gesunden Frauen nach Notdurft und Gestalt des Wesens, hie zu Ulm zu versehen, und zu keiner Zeit unter vierzehn Frauen nit zu haben, es begebe sich denn, daß eine oder mehrere Krankheiten oder Ursachen halber aus dem Hause kommen. Diese soll er dann in einem Monat, dem darauffolgenden, mit anderen, geschickten, sauberen und gesunden Frauen ersetzen und erstattet, schuldig und verpflichtet sein, damit an der obbemeldeten Anzahl der vierzehn Frauen nicht Mangel oder Abgang werde.

Zum dritten soll er schwören, die Frauen in nachgeschriebener Weise und Art zu halten und sie mit Essen, Trinken und sonstigen Sachen nicht zu bedrängen und zu beschweren, sondern deshalb die nachstehende Ordnung unverbrüchlich, auch aufrecht und redlich ihnen zu halten. Nämlich also: So soll er einer jeden im Hause wohnenden Frau das Mahl um sechs Pfennige geben und sie damit nicht höher steigern, ihnen aber jedes Mal, wenn man Fleisch essen darf, geben zwei Gerichte oder Trachten von Fleisch, mit Namen Suppe und Fleisch, und Rüben oder Kraut und Fleisch, das er dann nach Gestalt und Gelegenheit der Zeit füglich und am besten halten mag. Aber am Sonntag, Aftertag und am Donnerstag zu Nacht, wo man also Fleisch ißt, für das obgemeldete Gericht oder Tracht ein gebratenes, wenn er das gebratene nicht zu verwinden vermag, ein gebackenes. Wenn man aber nit Fleisch essen darf, so soll er in der Fasten einer jeden Frau für jedesmal geben einen Hering und dazu zwei Gerichte, und außerhalb der Fasten ein paar Eier oder ein Gebackenes zu bekommen vermag, oder er in den Gerichten sonst abzuwechseln willens ist, so mag er ihnen für Eier oder Hering Fische geben und ihnen diese sieden oder backen lassen und allewegs Körner oder Weißbrot dazu geben. Wenn sie aber einmal nicht essen wollte, so soll er ihr, was ihr nach ihrer Zahlung von sechs Pfennigen zugehört, geben, wenn sie dessen begehrt, namentlich soll der Wirt schuldig sein, den Frauen um ihr Geld Wein, was ihnen beliebt und sie begehren, holen zu lassen. Und wenn eine schwanger würde, so soll er sie, sobald er es gewahr wird, aus dem Hause weisen.

Zum vierten: Eine jede Frau, so nachts einen Mann bei sich hat, soll dem Wirt zu Schlafgeld geben einen Kreuzer und nicht darüber, und was ihr über dasselbige von dem Mann, bei dem sie geschlafen hat, wird, das soll auf ihren Nutzen kommen und sie nicht schuldig sein, dasselbige in die Lad zu stoßen, sondern mag sie ihrem Willen und Gefallen gemäß damit handeln, desgleichen so soll die Frau des Nachts um ein ganzes Licht einen Heller, und der Mann, so bei ihr liegt oder liegen will, ob derselbige ein Licht nimmt, einen Pfennig geben, was aber jede Frau in dem Tag oder dazwischen alles darneben gewinnt, das soll sie alles in die Lad stoßen und dem Wirt drei Pfennig voraus verabfolgen, das übrige soll der Frau von der Schuld, so sie ihm zu zahlen hat, abgezogen werden, und damit auch mithin demselben keine Gewalt geschehe, so sollen drei Schlösser an die Lad gemacht werden, und der Wirt zu dem einen Schloß einen Schlüssel haben, die Lohnsetzerin zu dem andern und eine Frau, so dazu den Frauen genommen und erkießt würde, den dritten Schlüssel, und wenn am Samstag diese Lad geöffnet wird, so sollen von geheimen Frauen zwei verordnet werden, die mitsamt dem Wirt und der Lohnsetzerin dasselbige tun und dabei seien, daß einer jeden Frau das, so ihr über das, so dem Wirt wie obstehend zugehört, zur Verfügung steht, an ihrer Schuld abgezogen und damit kein Mißbrauch getrieben werde, und ob eine Frau von ihrem lieben Mann oder sonst einem guten Gesell allerhand Kram oder sonst gegeben, alles geschenkt würde, es sei an Schuhen, Kleidern, Schleiern, Secklen oder anderem, was oder woran das wäre, dasselbige alles und jedes soll ihr sein und sie dem Wirt noch jemand anderm davon nichts zu geben schuldig noch verbunden sein.

Zum fünften so sollen auch weder Wirt noch Wirtin keiner Frau Kleider, Schleier oder anderes verkaufen, außer mit der Bettelherren Willen oder Wissen, die zurzeit im Amt sind.

Zum sechsten so soll der Wirt für die Frauen eine Köchin oder Kochmagd halten ohne ihren Schaden (d. h. ohne daß die Mädchen diese selbst zahlen müssen).

Zum siebenten ob sich füge, daß dem Wirt eine Frau oder Dirne wider ihren Willen versetzt wird und sie oder ihr Freund sie wiederum aus dem Hause begehren, so soll der Wirt diese Frau oder Dirne unverhindert und ohne das Geld, um das sie ihm verpfändet wurde, aus dem Hause geben.

Zum achten wann oder welcher Zeit es sich zuträgt, daß von den Frauen eine einen eigenen Gulden hat oder erhält, wie oder wie oft sich das machte und sie begehrte, von ihrem offenkundigen Leben zu lassen und aus dem Haus zu kommen. Wenn dann diese Frau, so sie das begehrt, dem Wirt den Gulden gibt, so soll er sie damit frei, ledig und unverhindert von sich und männiglich aus dem Hause kommen lassen in derselben Bekleidung, in der sie ins Haus gekommen ist, oder wenn sie diese Kleidung nicht mehr hat, in demselben Anzug, in dem sie gewöhnlich Montags bekleidet gewesen ist, und sie hätte ferner und weiter nicht das geringste zu tun oder zu geben. Es wäre denn, daß sie über kurz oder lang danach wiederum oder anderswo in ein offenes Haus käme, alsdann so mag der Wirt seine Schuld, die er ihr also nachgelassen hat, wieder bei ihr suchen, und soll ihm solch ein Nachlassen alsdann keinen Schaden an seiner Schuld gegen sie bringen und erstehen, keineswegs. Ebenso soll es mit einer jeden Frau gehalten werden.

Zum neunten so soll eine jede Frau an jeglichem Montag einen Pfennig und der Wirt zwei in die Büchse geben und von diesem Geld unsrer lieben Frau zu Lob und Ehre und allen christgläubigen Seelen zum Trost an dem Sonntagabend in unserer Liebfrauenpfarrkirche hier eine Kerze gebrannt werden, und ob eine oder mehrere Frauen mit Siechtum oder Krankheit geplagt werden oder in anderer Ursache ihres Leibes Nahrung nicht erlangen mögen, sollen diese davon oder daraus mit Speise und anderem auch versehen werden. Damit diese auch desto besser verwahrt werde und die Sache desto aufrechter zugehe, so wollen die Bettelherren, so zurzeit sind, einen Schlüssel und der Wirt den andern Schlüssel dazu haben.

Zum zehnten soll eine jede Frau des Tags über zwei Spindeln Garn dem Wirt spinnen oder ihm für jede Spindel drei Heller zu geben schuldig sein ohne Widerrede. Item der Wirt soll auch an allen Samstagen und auch allen Unser Frauen und Zwölf-Boten nachts nach der Vesper an allen unseren Frauentagen und in der Karwoche ganz durchaus das Haus schließen und zu den Sünden nicht öffnen.

Zum elften so soll der Wirt schwören, wenn er Spruch oder Forderungen erhielte zu meinem Herrn, einem Ehrbaren Rat oder ihren Bürgern, daß er sie dann wolle belieben lassen bei Recht, laut ihrer Freiheit Spruch, und sie nicht weiter umtreiben noch belästigen in keiner Art.

Item zum zwölften wenn der Wirt gegen einen oder mehr Artikel verstößt oder sich sonst hält, daß er meinem Herren nicht nach Gefallen sein würde, so sollen meine Herren die Macht haben, ihn jederzeit zu beurlauben und ihn wegzuweisen.

Zum dreizehnten so sollen die Bettelherren bei ihrem Eid kraft ihres Amtes von Ratswegen alle Quatember einmal eine durchgehende Nachforschung in jedem Frauenhause halten, auch sonst die Sachen wie obenstehend behandeln und namentlich den Frauen diese Ordnung jedes Mal vorlesen, und welchen Mangel sie in den Frauenhäusern finden, diesen meinem Herrn, einem Ehrbaren Rat, anzeigen, damit er abgestellt werde.

Zum vierzehnten wer in den Frauenhäusern frevelt, es sei mit Worten oder Werken, der soll zweifacher Buße verfallen sein. Auch der Wirt, Wirtin, Knecht oder Frauen diese rügen und zu rügen schuldig und verhalten sein. Actum Montags, vor unserer lieben Frau Tag.

Visitationes Anno decimo (wahrscheinlich 1510) …

Im Hurenhaus war die junge »Dirn« neben der alten »Vettel«. Es wird vielfach darüber geklagt, daß die Mädchen zu jung sind, »also, daß sie weder Büst noch anderes hätten, das so zugehört«. Die Greisinnen waren natürlich nicht beliebter, und deren gab es eine ganze Masse. Das Verzeichnis der Frauenhausdirnen in Mainz erwähnt drei »Jungfern« im Alter von 60-70 Jahren. Diese Prostituierten waren zum Teil 30-40 Jahre im Frauenhaus gewesen, wodurch der Beweis geliefert wird, daß es mit der Ausbeutung durch die Bordellhalter nicht so schlimm gewesen sein kann.

Der Bordellhalter wurde im späteren Mittelalter auch Ruffian genannt. Die Ableitung des Wortes Ruffian ist stark umstritten. Jedenfalls kommt es aus dem Italienischen, wo die »Ruffiani« zuerst genannt werden, von dort aus gewinnt das Wort dann eine internationale Bedeutung, und zwar wird es sowohl für den Bordellhalter, wie überhaupt für alle Arten liederlicher Männer angewandt, auch für Zuhälter und allerhand Zutreiber und Mädchenhändler. Dieser Bordellhalter oder Ruffian spielt wegen der überwiegenden Bedeutung, die im Mittelalter für die Prostitution das Bordell hatte, in der Literatur dieser Kreise eine sehr bedeutende Rolle. Den Ruffian traf die gleiche gesellschaftliche Ächtung wie die Dirne. Die Frauen-Wirtinnen stammten wohl vielfach direkt aus den Kreisen der Prostitution. Die Pächter sollen vielfach verlotterte Studenten gewesen sein. Die Kirche verbot ihnen die Sakramente und ließ sie auf dem Schindanger begraben. Der Konflikt des Ruffians mit der Polizei ist ein viel variiertes Thema. Besondere Schwierigkeiten machten ihm die Mädchen, die sich wegen schlechter Behandlung beim Büttel beschwerten. Auf den Schutz dieser Nymphen beschränkt sich darum auch das Eingreifen der Behörden. In Nürnberg und Basel wurde der Anteil des Bordellhalters an den Einnahmen der Mädchen gesetzlich geregelt und ihm nur ein Drittel der Einnahmen gestattet. Außerdem wurde ihm verboten, die Mädchen dazu zu zwingen, im Bordell zu bleiben, wenn sie fortwollten.

Trotzdem waren im Mittelalter mit einem Bordell sehr gute Geschäfte zu machen, und erst die Entdeckung der Syphilis hat den Zulauf eingeschränkt. Damals freilich ging es Ruffianen und Mädchen übel. Die Ruffiane machten vielfach Bankrott und gingen auf und davon. Dann zogen auch vielfach die Dirnen scharenweise aus dem Orte heraus, um irgendwo ein besseres Unterkommen zu finden. Die Zimmersche Chronik erzählt aus dem kleinen Meßkirch, daß die »armen Huren im Frauenhaus sich nit mer erneren künden, sondern haben ir Haus samt der muetter verlassen und haben, wie man sagt, ein Fatenetlin (Taschentuch) an ein stecken gebunden, damit sein sie mit fliegendem Fendlein außer der statt gezogen«.

Die Bordelle monopolisierten im Mittelalter fast die ganze Prostitution. Sehr ähnlich dem Bordellbetrieb war das Leben in vielen Gasthäusern, die eigentlich auch nichts waren als verkappte Bordelle, besonders in Italien und Frankreich die Tavernen und Kabaretts. Diese Tavernen und ihr Betrieb spielten besonders in der Zeit vor den Kreuzzügen, als die Bordelle noch nicht konzessioniert waren, eine bedeutende Rolle. Sie waren die Sprößlinge der römischen Animierkneipen; Horswitha von Gandersheim bringt in ihrem »Abraham« eine solche Kneipe auf die Bühne.

Als die Prostitution staatlich geregelt wurde, setzte gleichzeitig eine Bewegung gegen die Animierkneipen ein, weil sich hier die Prostitution staatlicher Organisation und staatlicher Besteuerung entzog. Ein englisches Gesetz bestrafte die in den Wirtshäusern angetroffenen Frauen mit Gefängnis.

Der Hauptsammelpunkt der nicht kasernierten Prostitution wurde nun noch das Bad. Das Bad war ja im Mittelalter und bis in die Renaissance hinein der öffentliche Spielplatz der Erwachsenen. Die Liebhaberei des Badens war im klassischen Altertum stark, sie war es nicht minder bei den alten Germanen, die der Ansicht waren, daß häufiges und langes Baden zur Erhaltung der Gesundheit unbedingt notwendig sei. Daß beide Geschlechter gemeinsam badeten, war jedenfalls uralte Sitte. Für eine sehr mangelhafte Bekleidung sprachen in gleicher Weise Erotik und Hygiene, die selten einer Meinung sind. Der übermäßig langausgedehnte Aufenthalt im Bade führte zu einer Art Hautausschlag; die Haut sprang auf, so daß das Tragen eines Badegewandes äußerst schmerzhaft war. Diesen Hautausschlag gerade aber sah man als gesund an und suchte ihn zu fördern. Im Bade trug der Mann nur einen knappen Lendenschurz, die »Niederwandt«, später sogar nicht einmal diese, sondern er hatte nur in der Hand einen Reisigbüschel, den sogenannten Wedel, den er, wenn er aus dem Bade stieg, vor die Geschlechtsteile halten und wegnehmen konnte. Die Frau trug die sogenannte »Badehr«, einen Schurz, der in der Regel nur das bedeckte, was sowieso nicht zu sehen war. Zeichner und Chronisten berichten mit gleicher Deutlichkeit, daß die Frauen es durch eine sehr elegante Frisur verstanden, noch ausgezogener als nackt zu gehen. Im 13. und 14. Jahrhundert, dieser Zeit des erotischen Aufschwungs, war das gemeinsame Baden ganz allgemein. Erst mit der beginnenden Renaissance machte man Front; es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß der Verkehr der Geschlechter im Bad wesentlich galanter Natur wurde. Es war überhaupt das Bad im Mittelalter die ungenierteste und beste Gelegenheit zur Galanterie in allen Formen. Das Bad durfte bei nichts, was mit Geschlechtsverkehr zusammenhing, fehlen, sogar bei der Hochzeit war das Hochzeitsbad unerläßlich.

Es lag somit nahe, daß Badehaus und Frauenhaus sich assoziierten. Gleichbedeutend wurden Badehaus und Frauenhaus allerdings erst zur Zeit der Renaissance, als der staatliche Reglementierungszwang nachließ. Im Mittelalter jedoch finden sich schon Ansätze zur Entwickelung einer Badeprostitution: die Bademagd, die Reiberin, die die Männer abtrocknete und von ihnen prostituiert wurde. Die Frauen konnten aus naheliegenden Gründen nur von einem Reiber abgetrocknet werden. Die Kleidung der Bademagd, die oft selbst ins Wasser steigen mußte, bestand stets nur aus einem offenen Hemde, vielfach aus durchsichtigen Stoffen. In der Renaissancezeit, die das Nackte kultivierte, fiel auch dies Hemd noch fort. Im späteren Mittelalter wurde die Bademagd durchaus mit der Dirne identisch.

Die englische Bordellprostitution beschränkte sich ursprünglich völlig auf das Badeleben in den sogenannten Bagnios. In Deutschland und Frankreich waren die Bäder hauptsächlich die Pflanzstätten der Gelegenheitsprostitution. In England wurden sie geradezu als Bordelle organisiert. Diese Organisation geschah unter der Regierung Heinrichs II. (1154-1189). Diese Bäderbordelle befanden sich fast ausschließlich in dem Stadtviertel Southwark, am rechten Ufer der Themse, also in einer Gegend, die erst 1550 eingemeindet wurde. Es war ein trauriges Viertel von alten, baufälligen Häusern, die zum Teil nicht bewohnt wurden. In der späteren Zeit verbreiteten sich diese Rothouses oder Bagnios über die ganze Stadt.

Das wichtigste Gesetz für die mittelalterliche Badeprostitution in England sind die Parlaments-Akte aus dem Jahre 1161, die vom Unter- und Oberhause gemeinsam beschlossen und von Heinrich II. sanktioniert wurden. Die wichtigsten Bestimmungen dieses Gesetzes sind folgende: Kein Bademeister (Inhaber eines öffentlichen Bades) oder seine Frau darf ein Mädchen frei kommen oder gehen lassen, er darf eine Frau nicht bei sich beköstigen, sondern muß sie auswärts sich beliebig beköstigen lassen. Er soll für das Zimmer einer Frau nicht mehr als 14 Pence wöchentlich nehmen, er soll an den Feiertagen nicht die Türen offenhalten. Keine Frau soll gegen ihren Willen zurückgehalten werden, wenn sie ihrer Bürde gern ledig sein möchte. Keine Frau soll von einem Manne für den Beischlaf Geld nehmen, wenn sie nicht die ganze Nacht bis zum Morgen mit ihm zusammen ist. Kein Bademeister soll ein Weib behalten, das mit der gefährlichen Krankheit des Verbrennens behaftet ist.

Man sieht also aus dieser letzten Bestimmung, daß dem Mittelalter der Tripper offenbar bekannt war. Heinrich VII. ließ 1506 die Bagnios, die sich in Southwark befanden, unter die Obhut und Oberaufsicht des Bischofs von Winchester stellen. Im Jahre 1508 gehörten sämtliche Häuser einem gewissen William Walworth, einem Fischhändler und Maire von London. 1351 erließ die Munizipalbehörde der City eine Verordnung über die Kleidertracht und bestimmte, daß jedes Mädchen seine eigenen Kleider haben sollte. Die Mehrzahl der englischen Prostituierten stammte damals schon aus Flandern.

Auch in den übrigen europäischen Ländern gewinnt das Bad mit dem ausgehenden Mittelalter an Bedeutung, für die Prostitution. Zahlreiche Sprichwörter bestätigen die oft sehr heilsame Wirkung des Badebesuchs: »Für unfruchtbare Frauen ist das Bad das beste, was das Bad nicht macht, das tuen die Gäste.« Oft meint es das Bad scheinbar aber auch gar zu gut: »Das Bad und die Kur war allen gesund, denn schwanger ward Mutter, Tochter, Magd und Hund.«

Der große Unterschied zwischen der Prostitution der Neuzeit und des Mittelalters besteht darin, daß im Mittelalter die Prostitution noch nicht auf der Straße lag. Erst im Ausgange des Mittelalters, im Schluß des 14. Jahrhunderts, setzte sich eine Straßenprostitution in einzelnen Gegenden von Paris durch. In der früheren Zeit bestand die vagierende Prostitution ausschließlich aus den Fahrenden, die, wie im klassischen Altertum, in enger Beziehung zu der fahrenden Mimik standen. Der Kampf gegen die Weiber, die »nit wollent huren sien«, ist besonders seit dem 12. Jahrhundert bis zur Renaissance geführt worden. Die Renaissance, die mit ihrem Kurtisanentypus der freien Prostitution als höherem Typus den Sieg verschaffte, hat erst den mittelalterlichen Auffassungen den Garaus gemacht und die deutschen Gesetze beeinflußt.

Sehr wesentlich war ja für den Sieg der freien Prostitution die Entdeckung der Syphilis, die Bordell- und Badehausdirnen als Hauptträger der Ansteckung am meisten fürchten ließ. Natürlich hatten auch diese Kurtisanen ihre Absteigequartiere und Sammelpunkte, zu denen außer den Badestuben und Tavernen auch die Barbierläden, Mühlen und Keller gehörten. Für die enge Beziehung von Prostitution und Mühle geben ja viele deutsche Volkslieder deutlich Kunde. Diese fahrenden Dirnen durften sich nämlich nicht in den Städten niederlassen und waren darum auf Absteigequartiere angewiesen. Sie zogen von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf und wählten besonders diejenigen Orte, die noch kein Bordell besaßen. Im späteren Mittelalter fing man an, gegen ihre Seßhaftigkeit nachsichtiger zu werden. Schon Kaiser Friedrich II., dessen Staat durch eine moderne Organisation eine wesentlich eingehendere Besteuerung gestattete, duldete auch die Straßenprostitution und bestimmte, daß sie an jedem Sonnabend einen Groschen Hurensteuer abliefern sollte. Die straffere staatliche Organisation gestattet auch in Frankreich die Zulassung der Straßenprostitution. Jedenfalls wurde schon 1367 endgültig die Rue Chapon in Paris den Dirnen zur Verfügung gestellt. Man beschränkte sich von dieser Zeit an in Paris darauf, die Prostitution von einzelnen Straßen auszuschließen und ihnen andere zu gestatten. Überhaupt war es außerordentlich schwer, die Dirnen aus Straßen, in denen sie sich einmal festgesetzt hatten, wiederum zu vertreiben. Schon 1381 wurden ihnen sieben Straßen zur Verfügung gestellt. So setzte sich von den beiden Zentren Unteritalien und Paris aus der Kampf gegen den Bordellzwang bis zur Renaissancezeit allmählich in ganz Europa durch.

Das hauptsächlichste staatliche Bedenken gegen die freie Prostitution war eben die Unmöglichkeit, sie in der eingehenden Weise zu besteuern, wie man es mit den Bordellen machte. Denn die Hurensteuer des Mittelalters, über die wir ziemlich eingehend unterrichtet sind, bildete eine bedeutende Einnahmequelle für den Staat.

Die Hurensteuer erstreckte sich hauptsächlich auf diejenigen Bordelle, die nicht in städtischer oder landesherrlicher Regie waren und deren Ertrag als ein landesherrliches Regal oder als Lehen eines weltlichen oder geistlichen Dynasten galt. Die Summe vom Hurenzins und den Einnahmen aus städtischen Bordellen bildete einen sehr wesentlichen Faktor in der Finanzierung des städtischen Budgets. In Altenburg kam jeden Montag nach der ältesten Stadtrechnung von 1437/38 eine Abgabe von zwei Groschen ein. Im Jahre 1449 erscheinen Beträge von einem Groschen sechs Pfennige bis zwei Groschen zwölf Pfennige. Die Einnahme aus dem Rotschilte betrug ursprünglich sehr wenig, schließlich wurde sie jedoch 1464 mit 28 Groschen veranlagt, ging jedoch wieder einige Jahre später auf zehn Groschen herunter, da es oft »vacuieret«. In den nächsten Jahren zahlte die Wirtin wieder mehr, und in der Zeit von 1476 bis 1480 erhielt der Rat insgesamt ein Schock dreißig Groschen. In den französischen Städten wurde der Ertrag aus dem Frauenhaus von der Hurensteuer getrennt. In den italienischen Städten verband man mit der Hurensteuer zugleich die Gerichtsbarkeit und die Spielsteuer. Die Verwaltung der Dirnensteuer wurde so kompliziert, daß in Neapel ein besonderes Gebäude für sie eingerichtet wurde. Es war die Tendenz der mittelalterlichen Steuerpolitik, auch die fahrenden Dirnen zur Steuer heranzuziehen. Friedrich II. gelang es; an anderen Orten stieß der Versuch auf Schwierigkeiten. In Frankfurt am Main mußten die einzelnwohnenden Dirnen einen Schilling und die freien einen Gulden pro Woche dem Stocker entrichten. Sehr oft wurde die Gerechtsame am Hurenzins verliehen; so wurde dem Götz von Berlichingen und dem Graf von Castell in einem Lehnsbriefe im Jahre 1488 unter anderem jährlich auch »eine schöne Frau« verliehen.

Ganz besonders haben die Bordelle in Rom geblüht. Am Ende des 15. Jahrhunderts, doch noch vor der Entdeckung der Syphilis, sackte Papst Sixtus VI. jährlich 20 000 Dukaten als Mietzins für die von ihm begründeten Bordelle ein. Während die Prostitution und ihr Betrieb der gesellschaftlichen Infamierung verfielen, hatte die Nutznießung der Prostitution in der späteren Zeit durchaus nichts Anrüchiges an sich.

Das »Beedbuch« von 1388 aus Frankfurt am Main führte das Frauenhaus an der Mainzerpforte als Eigentum des St. Leonhardtstiftes an und außerdem noch ein zweites: »Daz alde Hurenhaus, ist der pfaffen zu sante Lenharte.« Die Steuerbücher der Stadt Paris geben weitere wichtige Auskünfte über die Summe, die aus der Hurensteuer sich erzielen ließ. Das Steuerbuch aus dem Jahre 1292 enthält noch keine direkte Angabe über die Hurensteuer, dagegen findet man einzelne Stellen, an denen sich unter einem Decknamen Beträge verbergen, die möglicherweise mit der Prostitution in Zusammenhang stehen. Viele von den Frauen, die in der Nähe oder in den verrufenen Straßen wohnen, sind gleichmäßig zu dem Satze von 12 Deniers veranlagt. In anderen Straßen wiederum haben Frauen unter allerhand Decknamen, wie Johanna aus der Normandie oder Yseau l'Espinete, zwei, drei oder fünf Sous zu zahlen. In den verrufensten Bordellstraßen gab es Männer und Frauen, offenbar Bordellhalter, die sogar 22 bis 38 Sous Steuer beitrugen.

Diese steuerzahlenden Glieder der menschlichen Gesellschaft gelten offiziös als Bodensatz der Gesellschaft. 1470 wurde im Eichstätter Bistum dekrediert: »Das sacrament ist verboten allen den, dy ein verläumts leben fueren als gauklern, zauberern, scholdreren, glückshäfnern, lottern, gemainen frawen, spillesten und frawenwirten und den, dy in einem solchen hausen.« Sogar der Kirchhof war ihnen versagt. In Frankfurt am Main mußten die »gemeinen Metzen, so mit Tod abgehen, auf des Vasenmeister Kant begraben werden«. So waren die Deklassierten von den ehrbaren Männern und Frauen durch eine Kluft geschieden, die sie auch dann nicht zu überbrücken vermochten, wenn sie ihrem Berufe entsagten. Wenn ein ehrlicher Mann eine Dirne zur Frau nahm, so durfte die Dirne trotzdem nicht mit anderen ehrbaren Frauen verkehren. Dies wurde gesetzliche Bestimmung, allerdings nur in Hamburg, wo man immer sehr scheinheilig war. Man hatte eben aus dem Altertum die Vorstellung übernommen, daß die Dirne ein Ding ist, das man verkaufen, ja sogar verlosen kann. Bei einem Pfingsten 1229 von den Patriziern zu Magdeburg veranstalteten Turnier, zu dem die Geschlechter der Nachbarstädte feierlich eingeladen waren, gab es ein hübsches Mädchen als ersten Turniergang. Die Fahrende hatte Glück. Ein alter Kaufmann aus Goslar gewann sie und gab ihr, nachdem er sie »tugentliche durchgezogen«, die Aussteuer zu einer ehrlichen Heirat.

In Süddeutschland dachte man überhaupt über die Prostitution weniger streng, und die Infamierung schwand in der Regel, sowie das Mädchen ihren Beruf aufgegeben hatte.

Auch vor Gericht wurde die Dirne zurückgesetzt. Die mittelalterlichen Strafverfahren liefen bekanntlich darauf hinaus, dem Volke die Vergnügungen zu schaffen, die christliche Sittlichkeit und Humanität eigentlich nicht mehr zuließen. Den Dirnen gegenüber konnte man grausamen Instinkten freien Lauf lassen. In der deutschen Kaiserzeit wurden nackte Dirnen auf dem Pranger der Roheit des Pöbels preisgegeben, der Unrat, faules Obst und stinkende Eier auf die Ausgestellten warf. In Norddeutschland trugen die an die Schandsäule geketteten Weiber ein rotes Kopfschild, auf dem über der Angabe ihres Verbrechens eine geöffnete Schere als eindeutiges Symbol ihres Gewerbes stand. Mit Vorliebe schwemmte man sie auch, d. h. sie wurden an ein Seil gebunden, von einer Brücke ins Wasser geworfen und stromabwärts wieder aufgefischt, wobei man mehr Sorgfalt daran wandte, sie hineinzuwerfen als wieder herauszuholen.

An den nicht im Bordell gehaltenen Dirnen entlud sich der Geschlechtstrieb der Zahlungsfähigen in Grausamkeit. In Sachsen machte man mit den willfährigen Frauen kurzen Prozeß; »welche Magd oder Weib in Unzucht ergriffen wurde, der schnitt man die Kleider unter dem Gürtel ab, geißelte sie und verwies sie, indem man sie, verkehrt auf einem Esel sitzend, unter Trommeln und Pfeifen auf Nimmerwiedersehen zum Stadttore hinausführte. Noch größer war der Auflauf, wenn eine Frau ausgepeitscht wurde, weil sie rückfällig war, und sie gebrandmarkt oder ihr die Ohren abgeschnitten wurden, damit sich die Männer vor losen Vetteln hüten können.«

Ein Lübecker Patrizier entdeckte einmal ein Rostocker Brandmal in der Brautnacht auf seiner lieben Ehefrau, als Lübecker machte er natürlich sofort Schluß, aber man zog eine Lehre aus diesem Vorfall, und damit züchtige Bräutigame in Zukunft nicht mehr von den bösen Weibern genarrt werden können, brannte man sie lieber gleich auf die Stirn. Nur vereinzelte Fälle erinnern an die gesellschaftliche Stellung, die die Dirne im Altertum hatte. In Altenburg holte man die willfährigen Frauen zu Ratsmahlzeiten und Hochzeiten. In Rothenburg durften die Damen des Frauenhauses bei keiner Hochzeit unter den Gratulanten fehlen. In Nürnberg war es immer drei Freudenmädchen erlaubt, sich von einem Balkon aus die Hochzeitstänze anzusehen. Bei den Tänzen im Rathaus und auf dem Plerrer an der Pegnitzbrücke waren sie bis 1496 ständige Gäste. Immerhin stehen diese Fälle der gesellschaftlichen Duldung vereinzelt da. Die völlige Deklassierung zeigt sich besonders deutlich in den Kleidergesetzen.

Die mittelalterliche Prostituierte war eben Persönlichkeit und Paria in einer Person, sie war unentbehrlich und doch geächtet. Die wachsende Dissoziierung der allgemeinen Weltauffassung des Mittelalters, die steigende Diskrepanz zwischen christlicher Lehre und weltlichen Auffassungen, verursachte diese Unlogik in der Beurteilung der Prostituierten, es war das Nebeneinander von zwei Richtungen. Das frühere Mittelalter mit seiner wesentlich geschlossenen Lebensauffassung, mit christlich katholischer Grundlage, hatte folgerichtig die Prostitution abgelehnt. Das spätere Mittelalter schwankte zwischen der kirchlichen Ablehnung und der Organisation der Dirnen zu einer gewerblichen Zunft. Die Prostitution wird mehr und mehr zu einer öffentlichen Institution. Die alten christlichen Auffassungen kommen im 16. Jahrhundert wieder zum Durchbruch, mit einem medizinischen Mäntelchen aufdrappiert, bewirkt durch die Entdeckung der Syphilis, die die Sinnenfreudigkeit der Renaissance als Massenerscheinung jäh beendete. Diese Infamierung äußerte sich in der Gesetzgebung in mehrfacher Weise. Das mittelalterliche Recht lehnt es im allgemeinen ab, daß an der Dirne Notzucht begangen werden kann, nur die vom »Sachsenspiegel« abhängigen Rechtsbücher vertreten die Auffassung, daß es bei der Beurteilung der Notzucht nicht auf die Bescholtenheit oder Unbescholtenheit des Weibes ankommt, sondern auf das vom Manne angewandte Maß brutaler Gewalt. Im allgemeinen sind die städtischen Prostituierten vom allgemeinen Bürgerrecht ausgeschlossen. Erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts haben einzelne Dirnen und Kuppler das Bürgerrecht erworben, so 1559 Gerhardt Eisner aus dem Frauenhaus in Frankfurt am Main.

Die mittelalterliche Kleidergesetzgebung für Dirnen, die geradezu sprichwörtlich geworden ist, war ein Gemisch von Prüderie und Schikane. Man schrieb den Dirnen in der Regel einzelne Farben vor, die von den bürgerlichen Frauen gemieden wurden. Sie mußten vielfach gelbe und rote Kappen tragen, und vor allem entzog man ihnen jede Möglichkeit, mit luxuriösen Schmuckgegenständen in der Öffentlichkeit zu prunken. Das Hamburger Stadtbuch aus dem Ende des 13. Jahrhunderts verbietet ihnen Korallen, Schnüre und Geschmeide. Im 14. Jahrhundert mußten die Prostituierten ein Zeichen öffentlich an der Schulter tragen. Pelz und Schmuck waren ihnen verboten. In einzelnen Städten hielt man es für opportun, sie in lächerliche und entstellende Kleider zu zwingen. In Zürich wurde 1319 bestimmt, daß die Dirnen auf der Straße ein rotes »Käppli« tragen sollten, in Leipzig verordnete der Rat, daß sie Mäntel auf den Häuptern tragen sollen, »wo sie auf die Gasse gingen«. Das gleiche wurde 1486 durch den Kurfürsten Johann Cicero in Berlin verordnet. Gelbe wurden ihnen mit Vorliebe verordnet, weil jeder anständige Mensch im Mittelalter die »gele farve« mied, nur die Juden mußten sie tragen. Die Dirnen umgingen natürlich ständig die Kleider- und Abzeichen-Verordnungen, denn im Gewände der Ehrbarkeit macht die Liebeshändlerin immer bessere Geschäfte. Vielfach nahmen sie auch bei gutem Wetter große Regentücher um, so daß man nichts Gelbes sehen konnte und sie als unschuldiges, verführtes Mädchen dem Manne viel mehr abnehmen konnten.

Über die Preise der mittelalterlichen Prostituierten sind wir nicht so eingehend unterrichtet, wie bei der Prostitution des Altertums. Jedenfalls war der Eintrittspreis in die Bordelle ein so geringer, daß auch die Männer der niederen Stände sich dort einen regelmäßigen Besuch leisten konnten. In alten Predigten findet sich eine »Helbeling« oder ein Pfennig als Lohn für die Hingabe angegeben. 1420 findet sich in der Chronik von Saint Thiebaut die Angabe, daß der Verkehr mit vier Prostituierten nur so viel kostete wie ein einziges Ei. Die gesetzlichen Ordnungen zeigen darum eher die Tendenz, den Preis in die Höhe zu schrauben, und dort, wo die Prostitution einer genauen Kontrolle unterlag, wurde dieser Zweck offenbar auch erreicht. Sonst hätte in Nürnberg nicht die Polizeiverordnung existieren können, daß die Prostituierte einen Pfennig von dem Honorare jedes Kunden an den Bordellhalter abzuführen hatte, wenn einer die ganze Nacht bei ihr blieb, drei Pfennige. War die Nachfrage nach Liebe groß, so stiegen die Preise. Auf dem Konzil zu Konstanz soll eine Dirne 800 Goldgulden verdient haben.

Von den spärlichen Angaben über die Bordellwirtschaft ist die Mitteilung über ein venezianisches Bordell besonders eigenartig. Es wird erzählt, daß hier eine Art kommunistischer Wirtschaft herrschte. Die Matrone verwaltete nur die Einnahmen und verteilte sie am Ende des Monats nach Abzug ihrer Rente an die einzelnen Dirnen.

Da die Bordellprostitution das Hauptangebot an käuflicher Liebe bestritt, mußte logischerweise der Mädchenhandel im Mittelalter besonders umfangreich sein, besonders da für die Requirierung der Frauenhäuser der Grundsatz herrschte: Nur stadtfremde Dirnen werden aufgenommen. Hinzu kam, daß schon im achten bis zehnten Jahrhundert die Hälfte der Bevölkerung leibeigen und der Sinn für persönliche Freiheit durchaus nicht entwickelt war.

Viel wird von einem internationalen Mädchenhandel zwischen Orient und Okzident erzählt, der sich vom Altertum durch das ganze Mittelalter verfolgen ließe. So werden besonders die Langobarden in dem früheren Mittelalter als die eigentlichen Sklavenhändler bezeichnet, und Venedig bleibt auch noch später das eigentliche Zentrum des italienischen Mädchenhandels, als es längst, wie gerichtsnotorisch festgestellt, keinen mehr gab. Natürlich suchten die einzelnen Städte von sich aus, namentlich in späterer Zeit, gegen den Mädchenhandel vorzugehen. Aber in Deutschland machte man relativ spät gegen diese Form der mittelalterlichen Sklaverei Front, und während in Ungarn bereits im 11. und 12. Jahrhundert der Mädchenhandel allgemein verboten wurde, stoßen wir in Deutschland erst im 15. Jahrhundert auf eine energische Bekämpfung. Schwaben war das Zentrum des deutschen Mädchenhandels, teils weil die Schwabenmädchen besonders beliebt gewesen zu sein scheinen, teils weil bei dem bunten Kartenbild die Gesetze nur einen sehr kurzen Arm hatten. »Schwaben allein könnte ganz Deutschland reichlich mit Buhlerinnen versorgen, wie Franken mit Räubern und Bettlern, Böhmen mit Ketzern, Bayern mit Dieben, die Schweiz mit Henkern und Kupplern, Sachsen mit Säufern, Friesland und Westfalen mit Meineidigen und Rheinland mit Fressern«, darüber war man sich schon Anno 1300 einig.

Im Jahre 1333 wird in einer Verkaufsurkunde des Conrad von Urach bezeugt, daß man damals zwei Weiber für etwa vier Mark kaufen konnte. Eine Konkurrenz entstand Schwaben später in Flandern, das für die englischen und französischen Bordelle produzierte. Damals wußten die Menschen übrigens, daß die Mädchenhändler große Don Juans sind, die Geschäft mit Vergnügen verbinden, Mädchen entführen und, wenn sie ihnen selbst lästig sind, sie an ein Bordell verkaufen.

Das bevorzugte Produktionsfeld für weiße Sklavinnen ist und bleibt natürlich der Orient. Besonders beliebt waren dort auf dem Markte die schönen Mischlinge Vorderasiens und von der türkischen Nordostgrenze, die ja wegen ihrer hervorragenden Schönheit in früher Jugend auch heute im höchsten Rufe stehen. Rein orientalisch war der Knabenhandel, der ungeheuer einträglich gewesen sein soll. Der viel höhere Reichtum und Luxus des Orients ermöglicht es, für Sklaven ganz andere Preise zu zahlen. Auf einem großen Sklavenmarkt wie in Bagdad standen Knaben und Mädchen aus allen Teilen der Welt, aus dem Abendland und China zum Verkauf, und dort sollen auch Preise von 80 bis 100 000 Goldstücken erzielt worden sein.

Das Zuhältertum hatte im Mittelalter eine große Bedeutung, weil die Mehrzahl der Prostituierten kaserniert war. Man suchte im Mittelalter den »lieben Männern« das Leben nach Kräften sauer zu machen. In Augsburg spedierte man die Damen, die ihre Einkünfte in so freigebiger Weise verschwendeten, kurzerhand über die Grenze. Die Zünfte suchten ihrerseits alle Elemente fernzuhalten, die sich an der Ausplünderung der Frauen bereicherten. Eine Baseler Verordnung von 1415 bedroht jeden Zuhälter mit Stadtverweisung, wenn er sich nicht einer entehrenden Strafe unterzog. Er mußte etwa vierzehn Tage lang einen gelben Kugelhut ohne Zipfel tragen. In Nürnberg mußte ein Kerl auf drei Jahre aus der Stadt, weil er das mit Sünde verdiente Geld von Dirnen verzehrte. Natürlich fand man damals unter ihnen schon allerhand gelehrte Männer. Die Abbés sollen eine besondere Vorliebe für diese Art der Arbeit gehabt haben. Die abolitionistischen Ideen lassen sich das ganze Mittelalter hindurch verfolgen. Sie spiegeln sich in den strengen Verordnungen Karls des Großen und der frühmittelalterlichen Herrscher wieder, sie setzten sich auch in vereinzelten gesetzgeberischen Akten bis in die spätere mittelalterliche Zeit fort.

Einen besonderen Markstein in dieser Entwicklung stellt die Regierung Ludwigs des Heiligen dar, der das Übel zum letzten Male mit der Wurzel auszurotten versuchte. Ludwig IX. regierte bekanntlich in der Mitte des 13. Jahrhunderts, in der Zeit, als die verschiedenen hier aufgeführten Momente einen Aufschwung der Prostitution verursacht hatten. An dem Kampfe Ludwigs IX. beteiligte sich auch der Erzbischof von Paris, Wilhelm von Saligny. Ludwig IX. mußte bald merken, daß ein radikales Verbot der Prostitution nicht durchschlagen konnte, und er suchte darum den Männern auf eine sehr nachdrückliche Weise die echte Liebe eines Christenmenschen beizubringen. Ludwig ging gegen Offiziere und Lehnsmänner, die sich der Prostitution bedienten, in rigorosester Weise vor. Joinville erzählt, daß ein Offizier, der sich im Kreuzzuge mit einer Dirne abgegeben hatte, von ihm vor die Wahl gestellt wurde, auf seine Stellung zu verzichten oder sich durch das ganze Lager von der Dirne am Strick führen zu lassen. Als Ludwig merkte, daß an den Männern nicht viel zu ändern ist, setzte er bei den Frauen ein und sorgte zunächst für die ganz heruntergekommenen »reuigen« Dirnen. Auf ihn geht die mittelalterliche Institution der Magdalenen-Häuser zur systematischen Bekämpfung der Prostitution zurück. Natürlich gelang es Ludwig IX. nicht, die Entwicklung aufzuhalten, und wie die Prostitution sich später dem Moralsystem einfügte, ist mehr als einmal in diesem Werke dargestellt worden. Durchgesetzt hat sich von seiner Reform nur die Einrichtung der Magdalenenhäuser, in der man in der späteren mittelalterlichen Zeit ein wirksames Mittel zur Bekämpfung des Dirnentums gesehen hat. Ob mit Recht, mag sich jeder selbst sagen. Die Kirche sträubte sich anfangs gegen die harmlose Fürsorge.

Besonders den Mönchen behagten diese neuen Kolleginnen durchaus nicht. So ist es nicht weiter wunderlich, daß sich die von den Mönchen in der Predigt erregte Leidenschaft des Volkes gegen die Einrichtung dieser »Reuehäuser« wandte. In Wien wandelte Herzog Albrecht III. 1384 das Kloster St. Cyprianus in ein Büßerinnenheim um. Die deutschen Städte folgten sehr bald nach. Eine Bulle Gregors IX. von 1246 machte dem Widerstand gegen den Bau von Magdalenenhäusern in kirchlichen Kreisen ein Ende und ermächtigte die Büßerinnen, Klöster zu errichten. Innozenz IV. bestätigte ihnen das Recht Almosen zu sammeln, und so sehen wir am Ende des 13. Jahrhunderts, daß überall für das Alter der lieben Frauen glänzend gesorgt ist.

In späterer Zeit, als man den Wert der Arbeit erkannt hatte, d. h. seit dem Anfange des 14. Jahrhunderts, wurden auch Besserungsanstalten errichtet, in denen man besonders jüngere Prostituierte zu einem sozialen Leben erziehen wollte. Es dominierte aber auch dort in ihrem Leben die Buße für die begangenen Sünden. Sie trugen Röcke und Mäntel aus Sackleinwand, um Rückfälle zu vermeiden. Immerhin haben diese Beghinenhäuser ein weltlicheres Treiben als die Magdalenenhäuser. In den Versuchen für die Heilung der Prostituierten ging die Kirche sogar so weit, daß sie entgegen den ursprünglich staatsrechtlichen Auffassungen die Ehe mit Prostituierten als Gott gefälliges Werk hinstellte und den Männern, die eine Dirne heirateten, vollkommenen Ablaß erteilten. Daß mit diesem Bußetun viel Unfug getrieben wurde, bedarf keiner Erwähnung. In allen Zeiten bediente sich ja freche Bettelei eines religiösen Mäntelchens.

Es wäre jetzt noch am Platze einige Worte über die homosexuelle Prostitution des Mittelalters zu sagen. Den Germanen war bekanntlich der homosexuelle Verkehr ein Greuel, eine Auffassung, die ja heute noch in den Strafgesetzbüchern der germanischen Reiche ihre Spuren zurückläßt. Auf welche psychologischen Faktoren diese Auffassungen zurückgehen, will ich hier nicht untersuchen. Selbstverständlich gab es auch im christlichen Mittelalter Homosexuelle, da es sich ja hier um eine anthropologische Erscheinung handelt, die nicht historisch entwickelt ist. Im Verhältnis zum Altertum traten jedoch die homosexuellen Akte im öffentlichen Leben wesentlich zurück. Nach dem, was ich über die Bedeutung der Assoziationen und Rechtsauffassungen im Liebesleben gesagt habe, ist das bei der gemein germanischen Auffassung der Homosexualität nicht weiter verwunderlich. Da es sich nun bei der Prostitution hauptsächlich nur um eine Erscheinung des öffentlichen Lebens handelt, kann man verstehen, daß diese im Mittelalter für Homosexuelle eigentlich gar nicht existiert. Die Homosexuellen versteckten sich eben.

Gegen die Pathici gingen Gesetz und Gesellschaft besonders scharf vor: die corpore infames aus der Germania des Tacitus, die galales aus den Kapitularen Karls des Großen und die argen Männer der Edda blieben nicht zum Vergnügen in ihrer Verborgenheit. Die verschiedenen Beichtbücher des Mittelalters beweisen, daß dem kanonischen Recht die Existenz einer homosexuellen Prostitution durchaus bekannt war. Ich glaube jedoch, daß sich diese Prostitution hauptsächlich auf Italien beschränkt hat. Bei Dante und Bocaccio finden sich Andeutungen auf die sehr große Verbreitung homosexueller »Leiden«, doch hier war bereits die beginnende Renaissance am Werke.

In Rom und Venedig wird eine umfangreiche männliche Prostitution durch zahlreiche Verordnungen, die gegen sie erlassen wurden, bestätigt. Ich glaube jedoch, daß in der Regel auf diesem Gebiete viel übertrieben wird, und ich kenne für Deutschland, Frankreich und England keinerlei Belege, die für das Mittelalter berechtigen von einer homosexuellen Prostitution als einem integrierenden Bestandteil der Sexualphysiognomie zu sprechen. Die gleichgeschlechtliche Liebe bleibt eben vor allem geheim, sie flüchtete sich besonders in die Klöster, wo die günstigsten Bedingungen für gleichgeschlechtliche Akte gegeben waren, aber von hier drangen sie nur selten in die Öffentlichkeit, wie in dem großen Templerprozeß, der mit der Auflösung des Ordens endete. Selbstverständlich gaben sich einzelne Männer für Geld hin, in Köln werden zwei Pathici verurteilt, aber das bleibt belanglos für das Gesamtbild des Sexuallebens.

Ganz anders stand es natürlich im Orient, wo die gleichgeschlechtliche Liebe zu allen Zeiten eine viel größere Rolle gespielt hat. Hier finden wir die eigentlichen Lustknaben, die scharenweise auf den Strich gehen. Hier wird aber auch die Betätigung gleichgeschlechtlicher Liebe als notwendige Ingredienz der männlichen Geschlechtsempfindungen bewertet. Das beweist schon die orientalische Poesie. Reiche Anknüpfungspunkte fanden sich in den luxuriösen Lokalen der Großstädte. Der Saphi, der jugendliche Weinschenk, ist für den Lustknaben typisch. Über die lesbische Prostitution beginnen die Quellen eigentlich erst mit der Renaissance zu fließen. Erst eine gehobene Zivilisation schenkte ihr Aufmerksamkeit.


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