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Neblige Morgen und sonnige Tage. Eine Überfülle von Beerenobst und Pilzen hielt Eva in Atem. Das Sammeln, Eintragen und Aufbewahren war so recht nach ihrem Sinn.
Peter, von seinen eigenen Aufgaben in Anspruch genommen, duldete es, daß sie auch ohne ihn der Ernte nachging, während er den Spuren der Rehe und Wildziegen folgte. Felle mußte er bekommen, denn der Herbst konnte schon böse Kälte bringen. Was der junge Höhlenmensch an Eichhörnchen- und Vogelbälgen erbeutete, genügte ja noch lange nicht, ihn und Eva vor der Winterkälte zu schützen.
Noch war es ihm nicht gelungen, am Köderplatz jene »Katze« zu ertappen, von der Eva so viel Aufhebens gemacht hatte. Er glaubte nicht an das Vorhandensein von wilden Katzen im Heimlichen Grund.
Um so größer war sein Erstaunen, als er eines Spätnachmittags im Halbdunkel des Waldes unweit des Sonnsteins auf dem untersten Ast einer alten Fichte zwei grünleuchtende Punkte gewahrte und erkannte, daß sie einem dämmerungsfarbigen Tier gehörten, das lauernd auf dem Ast hingeschmiegt lag. Es konnte doch nur eine Katze sein. Ihr gekrümmter Rücken und der buschige Schwanz hoben sich deutlich vom Himmel ab, dessen Wolken von der sinkenden Sonne gelbrot durchleuchtet waren. So unheimlich, so feindselig schaute das Tier zu ihm herab, als rüste es sich zum Sprung. Peter legte einen Pfeil auf den Bogen.
Der Pfeil schwirrte ab; mit einem hohen Kreischen, das in markerschütterndes Miauen und dann in tiefe, rollende Kehltöne überging, sprang das Tier auf und stürzte zu Boden. Hier wälzte es sich zuckend vor Schmerz und bemühte sich vergebens, mit den Vorderpfoten den Pfeil aus der Wunde zu ziehen.
Näher trat der Jäger, da sprang das verwundete Raubtier auf ihn zu, sprang aber, vom Pfeil in seinem Hals behindert, zu kurz und empfing im nächsten Augenblick den erlösenden Schlag mit der Steinaxt; sonst hätte Peter seine Unvorsichtigkeit zu bereuen gehabt. Wahrhaftig, Eva hatte richtig gesehen: Eine Katze, eine Wildkatze war es!
Die Dämmerung nahm zu, Peter wollte nicht durch den Urwald nach Hause gehen, sondern lief über das Steinfeld dem Sonnstein zu. Als er mit seiner Beute ins Jungholz am Felsen trat, fiel es dem Erregten nicht auf, daß tiefgehende Wolkenmassen über den Grund hinfegten.
Unten war es schwül. Nur ein matter Windhauch von der Klamm her spielte mit dem Laub der Haseln, durch deren Gezweig Peter hinüberspähte zum Fels. Von der Insel unterhalb der alten Fichte schimmerte etwas Rötliches herüber. Jetzt bewegte sich's. Eine Rehgeiß äste dort; er kannte sie wohl. Der Wind kam aus ihrer Richtung, sie witterte nichts von der Nähe des Menschen.
Wenn er heute noch ein zweites Fell erbeuten könnte! Peter zitterte vor Jagdbegierde, ein Frösteln überlief seinen schweißbedeckten Leib. Noch stand er zu weit entfernt für einen wirksamen Pfeilschuß. Näherschleichen wollte er sich. Die Rehgeiß streckte den Kopf vor und ließ einen gequetschten Pfiff vernehmen: »Pii-pii, pie!« Da geschah etwas, das Peters Aufregung noch steigerte: Ein tiefes Bellen erschallte. Aus dem Gebüsch trat ein Rehbock, nur ein Gabler, aber kräftig gebaut; er stieß, bei der Ricke angekommen, sein »Bäö, bäö, bö!« aus. Unmittelbar darauf dröhnten von der Grableiten her die gleichen Laute, aber heftiger: Durch das knackende Gestrüpp kam ein zweiter Bock über den Bach herübergestürmt. Die reich beperlten dreizinkigen Geweihstangen gesenkt, stürzte er sich auf den Gabler. Der wich dem Stoß aus und suchte die Flanke des Angreifers zu gewinnen. Blitzschnell fuhr dieser herum, und im nächsten Augenblick schlugen die Gehörne der Nebenbuhler hart gegeneinander.
Peter wagte es nicht, einen Pfeil abzuschießen oder den Speer zu schleudern. Die Behendigkeit der Wendungen, die Wucht der Zusammenstöße ließen den Beobachter fast atemlos zuschauen. Plötzlich fuhr Peter geblendet zurück. Wie eine Feuerschlange glitt ein Blitz am Stamm der Wetterfichte nieder und peitschte das Wasser des Baches zu einer leuchtenden Sprühkugel auf. Fast gleichzeitig erfolgte ein schmetternder Schlag, der Boden erbebte, und ein Windstoß warf Peter rücklings ins Gras.
Da lag er und griff sich mit beiden Händen an den Kopf. Ihm war, als hätte er einen Hieb auf den Schädel erhalten, im Hinterkopf spürte er einen dumpfen Druck.
Mußte er jetzt sterben? Er befühlte seinen Kopf. Beruhigt versuchte er aufzustehen; es gelang ihm, auf die Knie zu kommen; seine Oberschenkel zitterten.
Vor seinen Augen war noch immer grelles Licht. Das konnte doch der Blitz nicht mehr sein?
Mit einem Ruck sprang Peter auf. Sein Blick fiel auf die Wetterfichte, die zersplittert und als lodernde Fackel zum Himmel ragte. Quer über den Bach lag ihre obere, vom Blitz abgeschlagene Hälfte. Lichterloh brannten die dürren Äste der abgestorbenen Seite, qualmend und puffend das grüne Gezweige der anderen.
Die beiden Rehböcke auf dem Rasen waren tot. Peter tat zaghaft einen Schritt vorwärts.
Vom prasselnden Feuer ging eine wohltuende Wärme aus. Peter trat mit weit ausgebreiteten Armen näher und zuckte zurück: Glühendheißer Wind nahm ihm fast den Atem. Rauch und fliegende Aschenteilchen beizten ihm die Augen. Er umging den Brandherd an der rechten Seite und zerrte die gefallenen Tiere aus dem Bereich der Glut.
Ihre noch unversehrten Felle waren die ersehnten Winterkleider!
Oh, wenn sie doch in den Höhlen daheim auch ein wärmendes Feuer hätten!
Halb unbewußt brach Peter einen angebrannten Ast ab und lief, den Feuerbrand über dem Kopfe wirbelnd, auf dem Erntepfad bachaufwärts den Höhlen zu.
Er stürmte dahin; über ihm jagten die Gewitterwolken. Nur jetzt keinen Regen! Er wollte es doch heimbringen, das wohltuende Feuer, nähren wollte er es in der Höhle, daß es fortbrenne ohne Unterlaß. Doch sonderbar! Blitze zuckten von einer Wolke zur anderen, der Donner rollte ohne Unterlaß, aber kein Tropfen Regen fiel.
Und Peter begann zu hoffen. Vielleicht, daß der obere Wind die Wolken davontrieb, wie schon oft ... Es wurde ihm zu langwierig, auf dem schmalen Erntepfad durchs Gesträuch zu kriechen, dessen Zweige ihm von beiden Seiten ins Gesicht schlugen.
Er verließ den Pfad und begab sich ins Bachbett, watete durch das Wasser und freute sich über den rotflimmernden Widerschein seiner Fackel auf den unruhigen Wellen. Seine Füße schmerzten vom Gehen auf klobigem Geröll.
Juchzend betrat er das Ufer und entdeckte Eva, die im Rahmen der sanft geröteten Felsen aus ihrer Höhle sah.
In wenigen Augenblicken hatte er den neuen Steigbaum erklettert und stand in der unteren Höhle. Rasch zerbrach er den schwelenden Ast, riß aus seinem Lager trockenes Gras und Reisig, kauerte nieder und blies in die Glut, wie es die Ahnl beim Feuermachen getan hatte. Flackernde Flammenzungen entstiegen den knisternden Reisern, blauer Rauch kräuselte empor. Die Höhlenkinder knieten vor dem Feuer, sie haschten nach den Flammen und sahen mit Entzücken die Lichter und ihre eigenen Schatten über Wände und Decke des Höhlenraumes huschen. Jetzt erst merkten sie, daß die Höhle größer war, als sie geahnt hatten. Im Hintergrund, wo sie die Decke geschlossen wähnten, gähnte ein schwarzes Loch, und weiter rechts vor der schrägen Rinne, die sich zum Quellsee senkte, führte schmal und hoch ein anderer Gang ins Freie.
Jetzt fiel Peter die Wildkatze wieder ein, die er am Sonnstein gelassen hatte. Prahlend schilderte er, wie er das furchtbare Tier erlegt hatte. »Das Fell kriegst du, Eva. Das gibt einen warmen Brustlatz für den Winter.«
Hastig erzählte er auch von den Rehböcken. »Die hol' ich gleich.« Zuvor zertrümmerte er noch den alten, halbmorschen Steigbaum. Eva legte einige Scheite auf das zusammengesunkene Reisigfeuer, und dann eilten sie zum Sonnstein.
Sorglos gingen sie durch die Dämmerung – sie hatten ja das Feuer, das ihnen den Weg erhellte. Vom beizenden Rauch vertrieben, verließen Fledermäuse ihre Schlupfwinkel und flohen aus den Wohnungen der Höhlenmenschen, in die das leuchtende Feuer eingezogen war.