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Der letzte entscheidende Schriftenkampf war einem Manne vorbehalten, der mit einem durchdringenden Verstande und einer nicht sowohl in die Tiefe des Geistes als aufs Praktische gehenden philosophischen Bildung ein für alles Gute offenes Herz und einen unerschütterlichen Mut verband.
Christian Thomasius Vgl. Karl Biedermann, Deutschland im 18. Jahrhundert, 2. Auflage, Leipzig 1880, Bd. III, S. 348-383, und D ernburg, Thomasius und die Stiftung der Universität Halle; Halle 1865. Ernst Landsberg in der Allgem. Deutschen Biographie, 38. Bd., S. 93., 1655 in Leipzig als Sohn des Philosophen Jacob Thomasius geboren, ist in mannigfacher Beziehung ein Reformator seiner Zeit geworden; hätte er aber auch nur das eine Verdienst, wesentlich dazu mitgewirkt zu haben, daß, wie Friedrich II. sagte, die Weiber fortan in Sicherheit alt werden und sterben könnten Oeuvres, Tom. I, p. 367., so würde schon darum sein Name unsterblich sein. Freilich stand er hierbei auf den Schultern seiner Vorgänger und wirkte auf einem Boden, der schon für die bessere Saat empfänglich war; aber wie stark der zu bekämpfende Feind noch immer war, erhellt am deutlichsten aus dem eigenen Leben des Mannes.
Schon hatte Thomasius die Cartesianische Philosophie studiert, schon eigene philosophische Vorträge gehalten, schon bei verschiedenen Händeln die Partei des Fortschrittes verfochten, und noch immer war er an der Rechtmäßigkeit des Hexenprozesses so wenig irre geworden, daß er einst als Referent in der Juristenfakultät auf die Folterung einer Angeklagten antrug. Es ward ihm die Beschämung, von seinen Kollegen, die in diesem konkreten Falle anders dachten, überstimmt zu werden, und dies gab ihm den ersten Anstoß zu tieferer Prüfung des ganzen Gegenstandes und zu seiner offenen Bestreitung, sobald die bessere Überzeugung gewonnen war.
Hören wir seinen eigenen naiven Bericht, wie er »die Augen des Geistes schloß, damit nicht der Blitzstrahl menschlicher Autorität sie blende« Biedermann, S. 349.:
»Dieser gegenwärtige Casus« – schreibt er über den zweiundzwanzigsten seiner juristischen Händel, – »wurde auch Anno 1694 in unsere Fakultät geschickt im Monat September, und war ich damals mit der gemeinen Meinung von dem Hexenwesen so eingenommen, daß ich dafür geschworen hätte, die in des Carpzovii Praxi criminali befindlichen Aussagen der armen gemarterten, oder mit der Marter doch bedroheten Hexen bewiesen den mit den armen Leuten pacta machenden und mit den Menschen buhlenden, auch mit den Hexen Elben zeugenden und sie durch die Luft auf den Blockersberg führenden Teufel überflüssig, und könnte kein vernünftiger Mensch an der Wahrheit dieses Vorgebens zweifeln. Warum? Ich hatte es so gehöret und gelesen und der Sache nicht ferner nachgedacht, auch keine große Gelegenheit gehabt, der Sache weiter nachzudenken. Dieses waren die ersten Hexenakten, die mir Zeitlebens waren unter die Hände gekommen, und also excerpirte ich dieselben mit desto größerem Fleiß und Attention.«
Es folgt hierauf ein Aktenauszug aus dem Prozesse einer in der ganz gewöhnlichen, nichtssagenden Weise indizierten Angeklagten aus Cöslin; dann fährt Thomasius fort:
»Nachdem ich den bisher erzählten Extrakt ex actis ad referendum verfertigt, bemühte ich mich zu Überlegung und Abfassung meines Voti, des Carpzovii criminalia, ingleichen den Malleum maleficarum, Torreblancam, Bodinum, Delrio, und was ich für Autores de magie mehr in meiner wenigen Bibliothek antraf, zu consuliren, und da fiel nun freilich nach dieser Männer ihren Lehren der Ausschlag dahin, daß die Inquisitin, wo nicht mit der Schärfe, doch zum wenigsten mit mäßiger Pein wegen der beschuldigten Hexerei anzugreifen wäre. Und dachte ich dannenhero mit diesem meinem voto in der Fakultät Ehre einzulegen. Aber meine Herren Kollegen waren ganz anderer Meinung, und mußte ich dannenhero das Conclusum Facultatis auf folgende Art entwerfen:
»Daß wider Barbaren Labarentzin in Ermangelung anderer Indizien ferner nichts vorzunehmen, sondern sie ist nunmehro nach geleisteten Urpheden der gefänglichen Haft zu erlassen, jedoch seynd diese Acta wohl zu verwahren, und ist auf ihr Leben und Wandel fleißig Acht zu geben. Sie ist auch die auf diesen Prozeß ergangenen Unkosten nach vorhergegangener Liquidation und richterlicher Ermäßigung zu erstatten schuldig. V. R. W.«
»Nun verdrosse es mich aber nicht wenig, daß bei diesem ersten mir unter die Hände gerathenen Hexenprozeß mein votum nicht hatte wollen attendiret werden; aber dieser Verdruß war nicht sowohl gegen den damaligen Herrn Ordinarium und meine übrigen Herren Collegen, als wider mich selbst gerichtet. Denn da ich allbereit in der Ausarbeitung meiner deutschen Logik gelehret hatte, daß ein weiser Mann die beiden Haupt-Praejudicia menschlicher Auctorität und der Übereilung meiden müßte, verdroß es mich auf mich selbst, daß mein votum auf nichts als die Auctorität obiger, und zwar offenbar größtentheils parteiischer, unvernünftiger Männer und auf deren übereilte und unzulängliche rationes sich gründete, fürnehmlich darauf, daß die justifizirte Hexe es der Inquisitin in die Augen gesagt, daß sie von ihr hexen lernen und umgetauft worden, auch bei ihrer Aussage bis in ihren Tod beständig verharret wäre. Ja, es verdroß mich noch mehr auf mich, daß ich, sobald ich die rationes contrarias meiner Herren Collegen nur hörte, alsbald von deren Wichtigkeit convinciret wurde und nichts darauf antworten konnte.«
Versetzen wir uns um sieben Jahre von dieser beschämenden Lektion weiter, so erblicken wir den bekehrten Thomasius in vollem Kampfe mit den Hexenverfolgern. Er hatte mittlerweile Weyer, die Cautio criminalis, van Dale und Balthasar Bekker kennen gelernt, war darüber erstaunt, daß solche Intelligenzen keinen besseren Erfolg errungen hatten, und gesellte sich ihnen mit raschem Entschlusse als Bundesgenossen zu. Die »kurzen Lehrsätze vom Laster der Zauberei«, durch deren Verteidigung 1701 Johann Reiche unter Thomasius' Präsidium die juristische Lizentiatenwürde erlangte, sind eigentlich von Thomasius selbst verfaßt und in der Folge auch unter dessen eigenem Namen erschienen Theses inaugurales de crimine magiae, quas in Academia regia Fridericiana praeside D. Ch. Thomasio – – – solemni eruditorum disquisitioni submittit M. Joannes Reiche, 12. d. Novemb. 1701. Halae Magdeb. – Hauber, Bibl. mag., Bd. II, S. 308 f. – Reiche, »Herrn D. Chr. Thomasii kurze Lehrsätze von dem Laster der Zauberei, nach dem wahren Verstande des lateinischen Exemplars in's Teutsche übersetzet etc.«, 1704. – » Christ. Tomasii, Kurtze Lehrsätze von dem Laster der Zauberey, aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzet und mit des Authoris Vertheidigung vermehrt«, 1706..
Thomasius wählte sich einen anderen Punkt des Angriffs als seine Vorgänger. Unter diesen hatte Weyer die Zauberei zugegeben, aber die Hexerei und das Teufelsbündnis, auf das sich diese gründen soll, geleugnet; Spee hatte die Möglichkeit der Hexerei eingeräumt, aber durch seine prozessualischen Beschränkungen einen Weg abzumarken gesucht, auf dem man in den einzelnen Fällen niemals zur Überzeugung von ihrer Wirklichkeit käme. Bekker hatte, wo nicht den Teufel selbst, doch dessen Macht und Einfluß auf den Menschen in Frage gestellt. Weyer beging den Fehler der Inkonsequenz, Spees Buch litt an Prinziplosigkeit, und Bekker kam mit seinem Prinzip zu früh, um eine vollständige Wirkung zu machen. Zwar ist es, wie Thomasius bemerkt, vollkommen wahr, daß das Bekkersche Prinzip bei den Anhängern der damals nicht wenig verbreiteten Corpuscular- und mechanischen Philosophie vernünftigerweise keinen Anstoß erregen durfte; aber ebenso gewiß ist die Tatsache, daß die Orthodoxen den ehrlichen Bekker und seine Anhänger zu Atheisten machten und hiermit die Einwirkung seiner Lehre auf die Abstellung des Hexenprozesses wesentlich lähmten.
Thomasius schlug einen Mittelweg ein. Er begriff, daß die Theologen den Teufel nicht fallen lassen würden, ja er selbst glaubte an ihn, schränkte aber die landläufigen Vorstellungen von dessen Wesen und Wirksamkeit ein und wußte die Unhaltbarkeit der gangbaren Hexentheorien vom Standpunkte der historischen Kritik einleuchtend zu machen. »Ich aber, – sagt er, – der ich der uralten Geisterphilosophie (philosophiae spirituali) ergeben bin, glaube nicht allein, sondern verstehe auch einigermaßen, daß der Teufel der Herr der Finsterniß und der Fürst der Luft, d. i. ein geistliches (geistiges) oder unsichtbares Wesen sei, das auf eine geistliche oder unsichtbare Weise vermittelst der Luft oder auch wässeriger und irdener Körperchen in den gottlosen Menschen seine Wirkung hat.« (§ 7.) »Ich leugne aber hinwiederum, daß Hexen und Zauberer gewisse Verträge mit dem Teufel aufrichten sollten, und bin vielmehr gewiß, daß alles, was dießfalls geglaubet wird, nichts anderes als eine Fabel sei, so aus dem Juden-, Heiden- und Papstthum zusammengelesen, durch höchst unbillige Hexenprozesse aber, die sogar bei den Protestirenden eine Zeithero gebräuchlich gewesen, bestätigt worden.« Hierauf werden die von Juristen und Theologen für die Existenz der Zauberei vorgebrachten Gründe durchgemustert und ins Absurde geführt. Für jene muß Carpzov, für diese Spizelius herhalten. Es wird nachgewiesen, wie die Bibel und das römische Recht zwar Wahrsager, Sterndeuter, Giftmischer, Gaukler, Götzendiener u. dgl. kennen und mit Strafen bedrohen, keineswegs aber solche Verbrechen, die unter den Begriff der auf dem Teufelspaktum beruhenden Zauberei oder Hexerei fallen. Die jüdisch-römischen Strafbestimmungen habe man später auf die Hexerei angewendet, ohne für deren Wirklichkeit und ihre Kongruenz mit den dort bedrohten Vergehen irgendeinen haltbaren Grund beizubringen.
Merkwürdig ist die Schärfe, womit der blinde Autoritätsglaube der Juristen gerügt wird. »Carpzovius hätte sich schämen sollen, daß er in einer Sache, worauf das Hauptwerk der ganzen Frage beruht, nichts anders vorbringt, als die Zeugnisse der päpstlichen Scribenten Bodinus, Remigius, Chirlandus u. a., die ihre Bücher theils mit alten Weiber- und Mönchsfratzen, theils mit melancholischer Leute, theils mit ausgefolterten und ausgemarterten Aussagungen anzufüllen pflegen, dadurch freilich die Leute alles dasjenige, warum sie gefragt werden, gestehen müssen. Gewiß, hätten bisher unsere Rechtsgelehrten Andere, und vornehmlich die Päpstler, nicht ohne Verstand abgeschrieben, sondern ein jeder sowohl die natürlichen, als moralischen Sachen, wovon die Gesetze disponiren, nach ihrer Natur und Beschaffenheit fein nach seiner eigenen Vernunft untersucht, so würde unsere Jurisprudenz auch vorlängst für eine Disziplin von den Gelehrten sein gehalten worden, die auch zu der wahren Gelehrsamkeit gehöre. Da aber bis dato noch immer einer den andern ohne Nachsinnen ausschreibet und sich noch dazu einbildet, Wunder was er gefunden, wenn er diesen oder jenen casum, diese oder jene Frage in terminis terminantibus angetroffen hat, so darf man es denen Gelehrten nicht verargen, wenn sie bei Nennung eines Juristen sich von demselben in terminis terminantibus keinen andern Conzept machen, als von einem Zungendrescher und Legulejo.« (§ 21.) Teophil Spizelius, ein geborener Steiermärker, Senior des geistlichen Ministeriums zu Augsburg († 1691) aber, der das Leugnen der Hexerei für Ketzerei und Atheismus erklärte und sich auf Thomas Aquinas, Bonaventura und Torquemada berufen hatte, wird in folgender Weise abgefertigt: »Wenn Thomas de Aquino, Bonaventura und Johannes de Turrecremata noch am Leben wären, würden sie sich nicht auch der lutherischen Lehre widersetzen? Vermutlich aber würde Spizelius sich durch derselben graues Ansehen nicht bewegen lassen, daß er ihnen Glauben zustellte. Hierbei sehe ich auch nicht, wie die Meinung derjenigen, die das Laster der Zauberei nicht für wahr halten, den Weg zur Atheisterei bahnen solle. Vielmehr halte ich dafür, daß diejenigen Geistlichen und Prediger, die anstatt der seligmachenden Lehre auf der Kanzel und in ihren Schriften lauter alte Weiber-Lehren und abergläubische Mährlein erzählen, schuldig sind, daß viele Leute, die noch ein wenig Verstand und etwas von ihren fünf Sinnen übrig haben und sich gerne von dem Schandfleck des Aberglaubens reinigen wollen, endlich in die äußerste Gefahr der Atheisterei verfallen.« (§ 26.)
In dem Folgenden weist Thomasius nach, wie man im Christentum dazu gekommen sei, den Teufel, der doch niemals einen Leib angenommen habe und einen solchen überhaupt nicht annehmen könne, sich in Körpergestalt und körperlichen Funktionen vorzustellen. Die Kirchenväter, großenteils dem platonischen oder dem stoischen Systeme zugetan, hätten aus diesen und dem Pharisäismus ihre dämonologischen Vorstellungen gezogen und diese in die Bibel hineingetragen. So hätten sie die verführende Schlange im Paradiese, die Verbindung der Kinder Gottes mit den Töchtern der Menschen, den Fall des Luzifer, die Versuchungsgeschichte Jesu und anderes auf ihren persönlichen und körperlichen Teufel gedeutet; die Scholastiker, obgleich Aristoteliker, hätten dies weiter ausgebildet, und so sei der Wahn von Teufelspakten, Inkuben und Sukkuben verbreitet worden und habe sich, begünstigt vom Klerus, am Ende den Schein zu geben gewußt, als sei er direkt aus der biblischen Lehre hervorgegangen. Weil nun aber die Juristen unter theologischen Einflüssen aufgewachsen, so hätten sie auch in dem justinianeischen Rechte, obgleich dieses von einem Teufelsbunde nichts wisse, die Zaubervorstellungen ihrer Zeit wiederzufinden geglaubt; Melanchthons Einfluß auf die Wiederherstellung des Scholastizismus, das Beispiel Augusts von Sachsen, der eine geschärfte Bestimmung in seinen Strafkodex aufnahm, und die blinde Nachbeterei der Rechtslehrer hätten das Übel auch unter den Protestanten verbreitet. Übrigens erkennt der Verfasser an, daß die Hexenverfolgungen bereits abgenommen haben und auf den Universitäten durch den Einfluß der Cartesianischen Philosophie, die jedoch in der Lehre von den Geistern allzusehr in das andere Extrem gefallen, eine dankenswerte Verminderung des Aberglaubens herbeigeführt sei, die zu den besten Hoffnungen berechtige. Eine scharfsinnige Kritik der in der Karolina angeführten Indizien der Zauberei schließt das Ganze. –
Auch gegen Thomasius brauste der Sturm los. Er hatte die Juristen in Carpzov, die Theologen in Spizelius beleidigt und dem Teufel, was er ihm mit der einen Hand gegeben, mit der andern wieder genommen. Schon das hallische Weihnachtsprogramm von 1701, von Buddeus herausgegeben, suchte die beiden Sätze zu schützen, daß Jesus vom Satan in leiblicher Gestalt versucht worden, und daß die verführende Schlange im Paradiese der Teufel gewesen sei. Thomasius wird zwar in dieser Schrift nicht genannt, auch bezeigten nur wenige Lust, in offenen Streitschriften seine Lehrsätze direkt anzugreifen; desto häufiger aber waren die gelegentlichen Ausfälle und die verketzernden Deklamationen.
»Als der berühmte Herr Thomasius« – schreibt einer seiner Anhänger Gründliche Abfertigung der unpartheyischen Gedancken eines ungenandten Auctoris, die er von der Lehre de crimine magiae des hochberühmten Herrn D. Christiani Thomasii neulichst herausgegeben, gestellet von Hieronymo a Sancta Fide. Frankfurt 1703. – »sich dem protestantischen Papsttum und denen Pedanten eifrigst widersetzet, so hat man ihn für den ärgsten Atheisten, Quaker, Socinianer, und ich weiß nicht für was, in der ganzen Welt ausgeschrieen; sogar daß die Meisten noch jetzo seine raisonnablen Lehren für seelenschädliche Irrthümer auszugeben sich nicht scheuen. Sonderlich hat die neulich unter ihm gehaltene Disputation wider das Laster der Zauberei von neuem in das Wespennest gestöret weil die Antistites regni tenebrarum wohl gesehen, daß hiemit zugleich viele falsche Einbildungen vom Teufel als ihrem Knecht Ruprecht vor die Hunde gehen würden. Wie sich aber bisher Niemand unterfangen ex professo wider diese Disputation zu schreiben, so hat doch ein curieuses Membrum nicht nur etlichemal in seinen Unterredungen von der magia, sondern auch in einer aparten Scharteke seine unparteiischen Gedanken von des Herrn Thomasii Lehre in puncto der Zauberei ausgefertigt, darinnen er die Unzulänglichkeit derselben zeigen wollen.«
Dergleichen »curieuse Membra«, deren bald noch mehrere auftraten Petri Goldschmidts (Pastors zu Starup) Verworfener Hexen- und Zauber-Advokat, d. i. wohlgegründete Vernichtung des thörichten Vorhabens Herrn Christiani Thomasii, J. U. D. et Prof. Halens., und aller derer, welche durch ihre superklugen Phantasiegrillen dem teufelischen Hexengeschmeiß das Wort reden wollen, in dem gegen dieselben aus dem unwidersprechlichen göttlichen Worte und der täglich lehrenden Erfahrung das Gegentheil zur Genüge angewiesen und bestätigt wird, daß in der That eine teufelische Hexerei und Zauberei sei und dannenhero eine christliche Obrigkeit gehalten, diese abgesagten Feinde Gottes, schadenfrohe Menschen- und Viehmörder aus der christlichen Gemeinde zu schaffen und dieselben zur wohlverdienten Strafe zu ziehen. 1705., zu widerlegen, überließ nun Thomasius hauptsächlich seinen Schülern; er selbst antwortete nur gelegentlich, z. B. in der Erinnerung wegen der künftigen Winterlektionen 1702. Hier räumt er ein, daß es verborgene Mittel zur Beschädigung von Menschen und Tieren, auch Krankheiten gebe, die mutmaßlich vom Teufel herkommen, bekämpft jedoch von neuem die sichtbaren Erscheinungen des Teufels und dessen Verkehr mit den Menschen.
Zudem gab Johann Reiche, um das Publikum nach und nach auf den richtigen Standpunkt zu führen, in Halle 1703 und 1704 seine »Unterschiedlichen Schriften vom Unfug des Hexenprozesses« heraus. Man findet darin unter anderem einen Abdruck der Cautio criminalis, einen Malleus judicum, eine Geschichte der Teufel zu Loudun, die Apologie des Naudäus, einen Bericht über den Priester Gaufridy und verschiedene Aktenabdrücke von Hexenprozessen, worin Betrügerei und Einfältigkeit die erste Rolle spielen. Später wurden auch unter Thomasius' Leitung Übersetzungen der Schriften von Webster (Halle 1719), Wagstaff John Wagstaff, gründlich ausgeführte Materie von der Hexerei, Deutsch, Halle 1711. und Hutchinson Franz Hutchinsons historischer Versuch von der Hexerei etc. Deutsch von Th. Arnold, mit einer Vorrede von Thomasius. Leipzig 1726. besorgt. Thomasius selbst nahm erst 1712 den Gegenstand wieder auf, indem er unter seinem Präsidium die Abhandlung über den Ursprung und Fortgang des Inquisitionsprozesses gegen die Hexen öffentlich verteidigen ließ Disputatio juris canonici de origine et progressu processus inquisitorii contra sagas, quam ... praeside Chr. Thomasio ... examini subjicit J. P. Ipsen, Halle 1712. Thomasius, Vorrede zur Übersetzung des Webster, S. 18.. Auch über diese Schrift gab es noch gelegentliches Murren und Schmähen, aber niemand wagte mehr eine förmliche Bestreitung. Gegen den Gebrauch der Folter ist Thomasius gleichfalls aufgetreten, indem er einen seiner Schüler »über die Notwendigkeit, die Folter aus den christlichen Gerichtshöfen zu entfernen«, disputieren ließ. Allein mit Unrecht ist Thomasius als unbedingter Gegner der Folter bezeichnet worden. Biedermann macht in der Schrift »Deutschland im achtzehnten Jahrhundert«, B. II, S. 374 auf einen an ebendiesen Schüler gerichteten und auf die erwähnte Disputation bezüglichen Brief aufmerksam, worin er zwar dessen Vorhaben nicht mißbilligt, aber doch das Bedenken äußert, daß es nicht ratsam sein dürfte, den Lenkern christlicher Staaten die Nachahmung der Engländer und anderer Völker in Abschaffung der Folter schlechthin anzuempfehlen, – weil es zweifelhaft sei, ob nicht, so lange es noch so viele andere Mißstände in der Rechtspflege gebe, die plötzliche Abschaffung der Folter größere Nachteile haben möchte als ihre Beibehaltung.
Um Thomasius in der Würdigung seines Verdienstes nicht zu viel und nicht zu wenig zu tun, müssen wir ihn in seiner Stellung zu seiner Zeit betrachten. Als er auftrat, waren die Hexenbrände schon bei weitem seltener als um die Mitte des Jahrhunderts, das Überhastete des Verfahrens war einem an festbestimmte Förmlichkeiten gebundenen Prozesse gewichen, eine Menge der früher als unbezweifelt betrachteten Indizien war in Mißkredit geraten, und manche der gröbsten Auswüchse des Hexenglaubens selbst, wie die Leiblichkeit der Blocksbergfahrten, die Lykanthropie u. dgl. fanden unter den Gebildetern wie vor Gericht keinen rechten Glauben mehr. Insofern, schien es, mußte der Bekämpfer des Hexenprozesses leichteres Spiel haben. Aber gerade eine Beschränkung und förmlichere Gestaltung war, weil sie schon an sich als eine Art von Reformation erschien, der durchgreifenden Abstellung des Ganzen für den Augenblick nicht günstig. War man doch einsichtig genug, gar vieles Unsinnige beiseite zu werfen, warum hätte man nicht von der Vernunftmäßigkeit des Beibehaltenen überzeugt sein sollen? Urteile aus jener Zeit, z. B. Responsa der Juristenfakultät zu Gießen aus dem Jahre 1700, beweisen, wie man förmlich und gemäßigt sein und dabei dennoch Hexen zum Scheiterhaufen verurteilen kann Hertii Consilia et responsa. Francof. 1729.. – So flatterte die Aufklärung ohne Schwerpunkt zwischen Himmel und Erde.
Hier durfte also nicht mehr gegen einzelnes geplänkelt, sondern es mußte das Prinzip angegriffen werden. Aber der Kampf der fortschreitenden Philosophie mit dem Dogmatismus der Juristen, teilweise auch der Theologen, war im Ganzen noch lange nicht seiner Entscheidung nahe. Derjenige Prinzipienangriff also, der auf dem Boden des Hexenwesens geschah, konnte, obgleich nur ein einzelner Teil der ganzen Bewegung, nicht von der Operationsbasis eines bereits anerkannten allgemeineren Prinzips ausgehen, sondern mußte selbständig sich Bahn brechen. Bekker und Thomasius haben dieses versucht: jener mit gründlicher Kritik und Konsequenz, eben darum aber auch mehr zum Entsetzen als zur augenblicklichen Überzeugung des in der Macht der Autoritäten befangenen Publikums; dieser dadurch, daß er an allen wesentlichen Konsequenzen des Bekkerschen Prinzips festhielt, während er in der Aufstellung des Grundsatzes selbst der alten Dämonologie noch Konzessionen machte. Durch die letzteren fand er sich mit einem Teile der Theologen ab und milderte die Schroffheit des Übergangs. Bekker war ein schärferer Denker als Thomasius, dieser ein gewandterer Kämpfer; jener bewaffnete das Angriffsheer, dieser wählte die einzelnen Truppen aus und führte sie an. Bekker stellte sich dem ersten, frischen Grimme der Altgläubigen bloß, dem er auch unterlag; Thomasius fand sein Publikum schon vorbereiteter und wirkte unter einem König, der stolz darauf war, seine neue Universität Halle im Vordertreffen des großen Kampfs für Licht und Recht zu erblicken.
Bekker und Thomasius waren die Wortführer des Geistes einer neuen Zeit, die die Völker aus dem blindesten und blutigsten Autoritätsglauben aufschreckte. Ihre Stimme mußte gehört werden, weil sie die Ergebnisse einer fortgeschrittenen philosophischen und naturwissenschaftlichen Bildung mit den Forderungen der Religion und Humanität in Einklang brachten. Aber die Herrschaft über die Geister wußte der Aberglaube noch immer zu behaupten.
Im Jahre 1713 erteilte die Tübinger Juristenfakultät ein Prozeß-Gutachten. Der junge Sohn eines alten Generals war krank geworden, und die Ärzte hatten seinen Zustand für nicht natürlich erklärt; auch erinnerte sich der General, in seiner Jugend öfters vom Alp gedrückt worden zu sein. Dies alles schrieb man einer armen alten Frau zu, die man auch sofort vor Gericht stellte. Die Akten zeigen, daß man das alte System noch nicht verlernt hatte. Der Teufelsbund, die Verschreibung mit Blut, die Unzucht, der Hexentanz, die Schändung der Hostie, die Beschädigung von Menschen und Tieren – dies alles findet sich hier vor. Michael Graß, der Verfasser des Responsums, kennt Thomasius' Schriften und verwirft sie. Nach dem Spruche der Fakultät wurde die Inquisitin zum Scheiterhaufen geführt. Consilia Michaelis Crassi, in den Consil. Juridicorum Tubingensium, Tom. V, p. 705 f., ed. 1733. Zehn Jahre nach Thomasius hatte Petrus Tornowius, Consiliarius Serenissimi Ducis Mecklenburgensis et Consul Güstrowiensis noch den traurigen Mut, im zweiten Teil seines Buches De Feudis Mecklenburgicis (Güstrow 1711) Seite 236 ff. für die Hexenprozesse einzutreten, trotzdem er die Werke Weyers, die Cautio criminales von Spee und die Schriften von Thomasius kannte. Er verwirft 1. die Bezichtigung durch Hexen, da aus ihnen nur die Eingebung des Satans spricht, 2. die Luftfahrten, die Satansbuhlschaften, das Wettermachen und die Hexensabbate, 3. die Wasserprobe, 4. den Werwolf. Hingegen hält er an den Hexenmalen fest. Er läßt als gültige Indizien zu: 1. daß die persona inquisita des Criminis Veneficii berüchtigt sei, 2. auch sonst ein anrüchiges Leben geführt, 3. von berüchtigten Eltern stamme, 4. mindestens durch zwei Zeugen belastet sei, 5. gestehe.
Es dauerte eben lange, bis die Gedanken eines Thomasius bei den Rechtsgelehrten und in der Gesetzgebung zur Geltung kamen. Der Professor der Rechte Augustin v. Leyser (zu Helmstädt und Wittenberg, † 1752) teilt in seinen umfangreichen Meditationes ad Pandectas spec. 608, Nr. 19 folgendes mit: Das Kollegium der Helmstädter Rechtsgelehrten hatte im Monat Februar 1714 einen frechen und des Raubes beinahe überführten, aber leugnenden Dieb zur Folter verurteilt. Auf diese geworfen, gab er kein Zeichen von Empfindung und war endlich gar sanft eingeschlafen. Der Richter schickte die Akten nach Helmstädt zurück und fragte an, was ferner zu tun sei. Wir berieten uns lange und zweifelten, was für ein Gutachten zu geben sei. Zwar war die Sache nicht neu, sondern hatte sich oft vorher zugetragen und trägt sich auch heute hier und da zu. Schurigius erzählt in der Spermatologie Kap. VII, S. 327, daß ein Verbrecher Pillen verschluckt und nachher sogar in dem sogenannten höchsten Grade der Tortur, obwohl ihm einigemal unterworfen, nichts gestanden habe. Auch lassen wir verschiedenes, was Damhouderus, Carpzov, Brunnemann u. a. an Mitteln angegeben haben, und es erschien unter allem das Abscheren der Haare über dem ganzen Leibe als das unschuldigste. Einer von unseren Amtsgenossen zwar war dagegen und wendete ein, daß ein solches Gutachten, das keineswegs in der gesunden Vernunft gegründet sei, nach dem Aberwitz alter Weiber schmecke und der guten Sitte sowie der Klugheit zuwider sein würde J. A. Scholtz, Über den Glauben an Zauberei in den letztverflossenen vier Jahrhunderten. (Breslau, 1830), S. 115.. Die tägliche Erfahrung lehrt jedoch, daß viele Dinge in Gebrauch sind, deren Ursache jedoch nicht angegeben werden kann, und die dennoch einen glücklichen Erfolg haben. Deshalb antworteten wir wie folgt: »daß Inquisit zuförderst durch Abnehmung der Haare und andere zulässige Mittel, welche die Scharfrichter angeben werden(!), zur Empfindlichkeit zubringen, nachgehends die Tortur auf die im vorigen Urteil vorgeschriebene Art an ihm wieder von neuem anzufangen und zu vollstrecken sei.«
Wir hören hier also die Juristen-Fakultät zu Helmstädt im Jahre 1714, mit dem Gutachten der Tübinger Juristen-Fakultät von 1713 ganz übereinstimmend, sich gutachtlich so aussprechen, daß sie dabei von dem alten Aberglauben und von dessen juristischen Vertretern aus früherer Zeit vollständig abhängig und beherrscht erscheint.
Daher kann es nicht allzusehr auffallen, wenn ein Jahrzehnt später der Professor der Rechte Johann Gottlieb Heineccius zu Halle († 1741) in seinen Elementa iuris civilis secundum ordinum institutionum (Lib. IV, Tit. 18, § 1358) schlankweg lehrt: »Zauberer, die durch Gemurmel und Zauberformeln Schaden angerichtet haben, werden mit dem Schwerte hingerichtet, diejenigen aber, die ausdrücklich ein Bündnis mit dem Teufel eingegangen sind, werden lebendig verbrannt.« Doch setzt er hinzu: »Der Richtermuß aber, wenn in irgendeiner, so gewiß in dieser mit so vielen Irrtümern der Menge verflochtenen Sache nicht zu leichtgläubig sein.« Scholtz, S. 118.
Derartige Äußerungen konnte man aus dem Munde von Autoritäten der Rechtswissenschaft sogar noch kurz vor der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hören, bis es endlich der Direktor der Universität zu Frankfurt a. O. Jos. Sam. Friedr. Böhmer 1758 in seinen Bemerkungen zu Carpzovs Schriften der Welt verkünden konnte, daß das Licht der Vernunft obgesiegt habe und der Hexenglaube der Verachtung preisgegeben sei. Scholtz, S. 119.
Die Stellung der neueren evangelischen Theologie zu Teufels- und Hexenglauben entschied sich damals in der lebhaften Diskussion, die über die Dämonischen zur Zeit Christi geführt ward. Noch im achtzehnten Jahrhundert erschien eine Reihe von Schriften (Hermann, Wittenb. 1738; Gronau, de daemoniacis, Bremen 1743; Zeibich, Beweis, daß die Besessenen nicht natürliche Kranke gewesen, Schleitz, 1776 u. a.), in denen der Versuch gemacht wurde, die traditionelle Meinung, daß die Dämonischen wirklich von Teufeln und Dämonen Besessene gewesen wären, neu zu stützen, bis Semler in Halle im Jahre 1760 mit seiner epochemachenden Abhandlung De Daemoniacis, quorum in Nov. Test, fit mentio hervortrat, der die Dämonischen als physisch Leidende hinstellte – weil eine andere Auffassung gar nicht möglich sei –, worauf alsbald eine Reihe von Schriftstellern auftrat wie Gruner, de daemoniacis, Jena 1775; Farmar, Versuch über die Dämonischen, Bremen 1776; Cäsar, Bedenken von den Besessenen, München 1790; Kirchner, Dämonologie der Hebräer, Erlangen, 1798 u. a., die den Dämonenglauben aus der Theologie der Zeit vollständig verscheuchten.
Die ersten erfreulichen Wirkungen seiner Tätigkeit sah Thomasius im preußischen Staate. Friedrich I. zog schon1701 einen märkischen Gerichtsherrn wegen einer Hinrichtung zur Rechenschaft. Auf den Münchowschen Gütern in der Uckermark war nämlich ein fünfzehnjähriges Mädchen wegen fleischlicher Vermischung mit dem Teufel enthauptet worden, und zwar nach einem von der Universität Greifswald eingeholten Erkenntnisse. Eine Revision der Akten ergab, daß weder die nötigen Zeugen verhört noch die Angeklagte ordnungsgemäß verteidigt worden war. Nach dem Gutachten des Hoffiskals hätte diese, als eine mit Melancholie behaftete Person, dem Arzte übergeben werden sollen. Die Sache blieb übrigens auf sich beruhen, weil der Gutsherr sich damit entschuldigte, daß er während des Falles gerade abwesend gewesen sei, auch keine jura verstehe Märkische Forschung I., S. 261. Ferner beschränkte der König 1706 die Hexenprozesse in Pommern. Märkische Forschung I., S. 264.
Sächsische Behörden beschäftigten sich noch 1715 mit der Frage, ob der unter besonderen Umständen erfolgte Tod zweier Bauern bei Jena, die mit einem Studenten einen Schatz heben wollten, dem Teufel zuzuschreiben sei oder nicht. Die Akten wurden zuletzt nach Leipzig geschickt, wo die theologische, die juristische und medizinische Fakultät einstimmig erklärten, daß der Tod auf natürliche Weise erfolgt sei. Thomasius in der Vorrede zu Webster, S. 32. Ernst Borkowski, Das alte Jena, Jena 1908, S. 84 f.
In Frankreich hatte es der einsichtsvolle Oratorianer Nicole Malebranche (1638–1715) seinen Zeitgenossen von den Prinzipien der Cartesianischen Philosophie aus klar gemacht, daß neben der Allwirksamkeit Gottes ein teuflisches Hexenwerk gar nicht zu denken sei. Er hatte auch darauf hingewiesen, daß, seitdem einige Parlamente die Hexenverbrennungen eingestellt, die Hexen in diesen Bezirken seltener geworden wären, was ihm Veranlassung gegeben, in der allmählichen und allgemeinen Verbreitung des Hexenglaubens, namentlich der Lykanthropie, die ansteckende Macht der Einbildungskraft nachzuweisen. Späterhin fand die Stellung der öffentlichen Meinung in Frankreich zu den Hexenprozessen in der spöttischen Bemerkung Voltaires Ausdruck, daß, seitdem es in Frankreich Philosophen gebe, die Hexen zu verschwinden beginnen. Im Jahre 1672 wies daher Colbert die Magistrate an, Klagen auf Zauberei nicht mehr anzunehmen und verwandelte in einer Anzahl von Fällen die Todesstrafe in Verbannung. Allerdings eiferten die Klerikalen teilweise noch immer für die Ausrottung des Teufelswerks, und selbst das Parlament zu Rouen stellte in einer Adresse dem König vor, daß die den Unholden gewährte Schonung gegen Gottes Wort und gegen alle Überlieferungen der Kirche sei. Garinett, S. 337, 344 Allein die Verfolgung und Verbrennung der Hexen wurde doch immer seltener.
Schweden war bald nach dem Prozesse von Mora zur Besonnenheit zurückgekehrt und hatte gesetzliche Beschränkungen der Hexenverfolgung gegeben; die Todesstrafe wurde jedoch erst 1779 ausdrücklich aufgehoben, nachdem sie längst nicht mehr zur Anwendung gekommen war. Horst, Z. B., Bd. IV, S. 367
Es fanden immerhin im achtzehnten Jahrhundert noch drei Hexenprozesse statt, nämlich 1720, 1742 und 1757 bis 1763. Der letzte, der sich in Dalarne gegen dreizehn von einem überspannten und bösartigen Burschen verdächtigte Frauen abspielte, ließ noch einmal alle Greuel des Inquisitionsverfahrens aufleben. Zum Glück fanden die Frauen in dem Landeshauptmann einen vernünftigen Richter, der sie trotz ihrer auf der Folter erpreßten Aussagen in Schutz nahm und ihren Angeber zu schwerer Leib- und Geldstrafe verurteilte. Doch der Bischof Troilus des Dalarner Stiftes sorgte »in seinem christlichen Eifer« dafür, daß hiermit der Prozeß erst recht begann. »Gott erbarme dich unserer kaltsinnigen und freidenkenden Zeit!« rief er in seinem Anklageschreiben gegen die »Hexen«. Das Hofgericht nahm sich der Sache an und entschied nach langem Prozessieren, in dem die Geistlichkeit immer wieder gegen die Frauen schürte, zugunsten der Angeklagten und verurteilte den Richter, der sie foltern ließ, und den Gefängniswärter, der sie mißhandelt hatte, zu Gefängnis und Geldbußen. Da sich der Richter dem Schadenersatz durch die Flucht entzogen hatte, zahlte der Staat den Frauen 3000 Taler aus. Nyström, S. 287.
Sogar das weltentrückte Island hatte seinen Hexenbrand. Im Jahre 1685 wurde Haldorr Finnbogason wegen Zauberei eingeäschert; 1690 jedoch ein wegen desselben Deliktes verurteilter Mann, namens Clemens, begnadigt. Maurer, Isländische Volkssagen, 107.
Holland war von dem Hexenwahn längst frei; daß seine Stadtwage zu Oudewater noch zuweilen gebraucht wurde, geschah nur infolge einer wohltätigen Akkommodation, die den Angeklagten des Auslands zugute kam.
In England hatte sich zuerst in den Arbeiten des Sir Thomas Browne das Aufdämmern einer von dem traditionellen Aberglauben sich abwendenden Zeit bemerklich gemacht. Derselbe Thomas Browne nämlich, der um 1633 seine Apologie des Aberglaubens unter dem Titel einer Religio medici geschrieben, hatte schon zwölf oder dreizehn Jahre später eine Schrift über »gemeine und weitverbreitete Irrtümer« Inquiries into vulgar and common errors, 1646 (Works of Sir Thom. Browne, II, Seite 163) veröffentlicht, worin er, wenigstens indirekt, dem Hexenglauben geradezu allen Boden entzog. Indessen willigte doch Browne selbst noch 1664 in die Hinrichtung von Hexen ein, und noch im folgenden Jahrzehnt erschien in England das Volksbewußtsein von dem Glauben an Hexerei vollständig umnachtet. Namentlich war dieses in Schottland der Fall. »Es gab kein protestantisches Volk, das in dieser Beziehung der katholischen Nation Spaniens so ähnlich war wie das schottische.« Buckle, Geschichte der Zivilisation in England, II, S. 152 ff. u. 357 ff. Aber rasch machte auch hier die Aufklärung des folgenden Jahrhunderts der Herrschaft des Aberglaubens ein Ende.
Im Jahre 1690 übergab der gefeierte Richard Baxter die von Cotton Mather († 1728) verfaßte Geschichte der ältesten Hexenprozesse in Massachusetts dem englischen Publikum mit dem im Vorwort ausgesprochenen Bemerken, »der Mensch müsse ein sehr verstockter Sadducäer sein, der ihr keinen Glauben schenke«, und im folgenden Jahre 1691 stellte Baxter zur Rechtfertigung des Glaubens an Zauberei in einer eigenen Schrift über »die Gewißheit der Geisterwelt« eine grandiose Zahl von Berichten über entdeckte Zauberer und Hexen zusammen. Von da bis zum Jahre 1718 (wo Hutchinson sein Buch schrieb), erschienen in England nicht weniger als fünfundzwanzig Schriften zur Verteidigung des Hexenglaubens; aber dennoch war er im genannten Jahre bei fast allen Gebildeten vergessen. – Ein letzter Hexenprozeß war gleichwohl noch 1712 gegen eine gewisse Johanna Wenham in Herfordshire vorgekommen. Allein aus dem ganzen Verfahren war zu ersehen, daß man zur Hexenverfolgung nicht mehr den früheren Mut hatte. Der Richter, der an die Hexerei nicht recht glaubte, erbat sogar in einer Ansprache an die Geschworenen die Entlastung der Angeklagten, und behandelte den Ortspfarrer, der auf seinen Eid erklärte, daß sie eine Hexe sei, mit auffallender Mißachtung. Nun sprachen allerdings die Geschworenen über die Angeklagte »Schuldig« aus; allein der Richter setzte es doch durch, daß das Urteil gemildert ward.
Dieses Vorkommnis hatte einen lebhaften Schriftenwechsel zur Folge, in dem die bei dem Prozesse beteiligt gewesenen Geistlichen feierlichst erklärten, daß die Verurteilte eine Hexe sei, und daß das Verfahren des Richters eine Rüge verdiene« Hartpole-Lecky, S. 93-95 Allein die Zeit der Hexenprozesse war doch abgelaufen.
In Schottland erfolgte die letzte Hinrichtung im Jahre 1722. Hugo Arnots, Collection of criminal trials in Scotland, Edinb. 1785, auch Hartpole-Lecky, S. 105.
Kurz nachher, 1736, wurde das Statut Jakobs I. durch eine Parlamentsakte förmlich aufgehoben, nachdem der Pöbel noch ein altes Mütterchen in der Wasserprobe umgebracht hatte. W. Scott, Br. über Däm , Teil II, S. 112. Hauber, Bibl. mag., Teil II, S. 3.
In Polen verbot der Reichstag von 1776 alle Prozesse gegen Zauberei. Wachsmuth, Zeitalter der Revolution, I, 132.
Im neunzehnten Jahrhundert war in Europa nur noch ein Hexengesetz übrig, nämlich das irländische Statut. Dieses ist erst im Jahr 1821 aufgehoben worden. Hartpole-Lecky , S. 36, Anmerkung.
Dem Beispiele Preußens ahmte auch das übrige protestantische Deutschland mehr oder weniger bereitwillig nach. Wer von Bekker und Thomasius nicht gleich anfangs überzeugt worden war, der schrie eine Zeitlang, bis er entweder zu ihrer Fahne überging, oder wenigstens der immer mächtiger werdenden Stimme der Vernunft gegenüber verstummte. So starb die alte Generation ab, mit ihr der Glaube und mit dem Glauben auch die Praxis des Hexenprozesses, wenn gleich noch der Buchstabe im Strafkodex blieb. Bis auf die jüngste Zeit herab hat dieser Buchstabe, als Artikel 109 der Karolina, im gemeinen deutschen Strafrecht unschädlich fortgelebt, und man sollte ihn, in Quadratklammern eingefaßt, in die neuen Strafbücher mit hinübernehmen, als ein Denkzeichen, daß für den Richter einer künftigen Zeit die Aufgabe sich wiederholen könnte, die der Richter des achtzehnten Jahrhunderts gelöst hat, nämlich da, wo der Gesetzgeber hinter dem Geist der Zeit zurückbleibt, den Buchstaben stehen zu lassen und mit dem Genius der Humanität fortzuschreiten.