Heinrich Sohnrey
Hütte und Schloß
Heinrich Sohnrey

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Zum Geleit.

In »Friedesinchens Lebenslauf«, dem ersten Bande der »Leute aus der Lindenhütte«, war unvorsichtigerweise angedeutet, daß über Friedesinchens spätere Tage noch etwas zu erfahren sei in »Hütte und Schloß«, dem zweiten Buche der Lindenhüttenleute. Allein dies Buch war bereits seit einigen Jahren völlig vergriffen, und ich hatte durchaus nicht die Absicht, es neu herauszugeben. Glücklich, wer's überstanden hat; man soll ihn ruhen lassen, dachte ich. Aber so dachten viele andere Leute nicht, und so trafen im Laufe der letzten Jahre Hunderte von Briefen ein, in denen, oft zum dritten Male und dann vielfach mit einem ordentlichen Zorne, nach »Hütte und Schloß« gefragt wurde. Die lieben Leute bestanden auf ihren Schein, zumal da das Buch auch in zahlreichen achtbaren Volksschriftenverzeichnissen und in sonstigen Litteraturanzeigern aufgeführt sei. Natürlich geriet der Verleger allmählich auch in Wut, nicht über jene guten Leute, sondern über den abscheulichen Autor, der sich durchaus nicht zu einer neuen Auflage bequemen wollte.

Mancher wird denken, falls mancher dies Geleitswort überhaupt liest: Ein kurioser Schriftsteller, der sich so lange nötigen läßt.

Nun, es hat schon seinen guten Grund; wie alles, was er tut und was er nicht tut, seinen Grund hat, – wenn auch nicht gerade seinen guten.

Als ich das Buch, das ich im Anfang meiner noch sehr ungeklärten Zwanziger zu schreiben anfingEs erschien 1886, ein Jahr vor »Friedesinchens Lebenslauf«; doch bildet dies Buch inhaltlich den ersten Band der »Lindenleute«., zehn Jahre später wieder las, fühlte ich mich totunglücklich über die ihm anhaftende Jugendfrische, und wiederum ganz VI glücklich, als es endlich gänzlich vergriffen war. Es war mein fester Entschluß: nicht mit vier Pferden sollte man mich bewegen können, das unreife, ungestüm tendenziöse Jugendwerk aufs neue herauszugeben.

Und nun, im Jahre 1902 dennoch diese Auferstehung? Ja, denn heute sage ich: Was einen gesunden Kern zum Leben in sich hat, das hat auch ein Recht zu leben, und das soll leben. Und der Kern des Buches war gewiß gesund, »kerngesund«; mache ich doch jetzt die Entdeckung, daß das Buch in seiner jugendlichen Naivität bereits den vornehmsten Teil des großen ländlichen Wohlfahrtsprogrammes ausrollt, aus dem mir später meine bedeutsamste Lebensaufgabe erwachsen sollte und für das sich inzwischen zu meiner großen Genugtuung mit staatlicher Unterstützung der »Ausschuß für Wohlfahrtspflege auf dem Lande« bilden konnte, der von seiner Zentralstelle in Berlin aus bereits seit einigen Jahren in ganz Deutschland eine anregende Wirksamkeit zu Gunsten der »kleinen Leute« entfaltet.

So erklärt sich's denn auch, daß der junge Autor mit seinem ersten volksschriftstellerischen Ausfluge nicht einem bloßen Unterhaltungszwecke, sondern einer bedeutsamen sozialen Mission dienen wollte und in ihr den Hauptzweck der Volksschrift überhaupt erblickte.

»Mein guter Stern führte mich auf unser noch weit und breit im argen liegendes Volksschriftenwesen,« ließ er den Baron etwas pathetisch sagen. »Und wundersame Erfahrungen habe ich da gemacht. Eine echte, rechte, das Volksleben in seinen wahren Beziehungen zur Gesellschaft mit überzeugender Kraft darstellende Volksschrift ist ein gar nicht genug zu schätzendes Mittel, in den finstern Volksschichten Klarheit und Wahrheit, Verständigung und Wandel herbeizuführen. Sie wirkt in der Stille nach allen Richtungen, in die Tiefe und in die Höhe, umfaßt arm und reich, hoch und niedrig, alt und jung und setzt ihr Alles daran, um auf beiden Seiten eine lebendige tatenreiche Wechselwirkung hervorzurufen. Ja, diese wahre Volksschrift stellt alle Menschen ohne Ansehen der Person in den Dienst des großen weltversöhnenden Geistes und teilt dem Hohen wie dem Niedern von den Pflichten zu, deren Erfüllung VII die Bürgschaft gewährt für einen allgemeinen Volksfrieden, für eine wahrhafte Volksruhe.

Also muß das Vorurteil fallen, daß eine echte Volksschrift nur auf das ›Volk‹, das heißt gewöhnlich die unterste Menschenklasse, berechnet sei. Nein, sie will wie ein Heiland zu allen Menschen kommen! Keine Volksklasse darf sich ihrer Einwirkung entziehen! Die Reichen müssen die Willigkeit haben – und den Armen muß die Möglichkeit gegeben werden, in ihrem Heimwesen der Volksschrift eine Heimstätte zu bereiten.«

Man konnte unschwer erkennen, daß sich der Autor in seiner ›Volksschrift‹ »Hütte und Schloß« redlich bemühte, diesem Ideale möglichst nahe zu kommen. Daß er dabei hauptsächlich sein soziales und weniger sein künstlerisches Ideal im Sinne hatte, läßt uns schon der konsequente Gebrauch des Wortes ›Volksschrift‹, der jede Abwechslung vorsorglich vermied, erkennen. Immerhin mag die Unbestimmtheit dieses Wortes andeuten, daß es im Kopfe des jungen Autors zu einer klaren Unterscheidung und Auseinanderhaltung der beiden Ideale noch nicht gekommen war.

Na, Kinder, da fange ich ja wahrhaftig an, dem Literaturhistoriker des zwanzigsten Jahrhunderts vorzugreifen! So bequem soll der's aber doch nicht haben, und so bescheide ich mich denn und bemerke nur noch das Allernötigste, nämlich, daß das Buch in der vorliegenden Gestalt nicht mehr so ist, wie es war, daß aber trotz gründlicher Durchackerung und trotz der Eingliederung ganz neuer Ringlein der eigenartige Rahmen und Charakter des Jugendwerkes pietätvoll geschont wurde. Ich habe also getan, was unter solchen schwierigen Umständen zu tun möglich war, und wenn das Beste daran nur wäre, daß ich zahlreiche Wünsche erfüllte, so würde die mühevolle Arbeit doch nicht unnütz gewesen sein.

Steglitz-Berlin, im Oktober 1902.

Der Lindenhüttenmann.

 


 


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