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Endlich war die Weihnachtswoche angebrochen. Tiefer Schnee deckte noch immer Berg und Tal, und graues Flockengewimmel erfüllte die Luft.
Zwischen Hilgenthal und Volkerswalde wateten zwei zarte Kinder, die für diese harte Winterszeit auffallend dürftig gekleidet waren. Jedes trug einen leeren Leinenbeutel an der Seite. »Faß an meine Hand – fest,« sagte das eine, »ich halte dich schon noch über dem Schnee.«
»O, Christinchen, ich kann – ich kann nicht mehr!« stöhnte der Knabe.
»Ach, du lieber himmlischer Vater, hilf uns doch! Ach, Christel, so stirb doch nicht! O, lieber Gott, er kommt um!«
Der Knabe war niedergefallen. Das Mädchen umschlang ihn mit ihren zitternden Armen; 234 aber je heftiger sie an ihm rüttelte und zog, desto tiefer versanken sie im Schnee. Da blieben sie beide liegen. Der Knabe schloß die Augen und flüsterte nur noch einmal leise; das Mädchen rang die Hände und weinte und rief immerzu.
Es war hart am Walde; nicht gar weit fiel plötzlich ein Schuß. Mit der letzten Kraft sich aufrichtend, schüttelte Christinchen den Bruder und rief so laut sie konnte: »Wach auf, Christel, wach auf! Gewiß ist der junge Herr Graf auf der Jagd – o Gott im Himmel – steh' uns bei!« Und mit übermäßiger Anstrengung schleppte sie den erstarrenden Bruder bis an den Rand des Waldes. »Hilfe! Hilfe! – Lieber Gott!« schrie sie und fiel mit dem Knaben im Arme abermals nieder.
Da sprang ein Häslein vorüber; in wilden, taumelnden Sätzen floh es dahin. Ob es den Waldteufel witterte, der jetzt ganz nahe zwischen den Bäumen auftauchte?
Christinchen hatte sogleich die geduckt schleichende Gestalt erkannt, ohne aber das kalte Schaudern zu empfinden, das sie sonst allemal beim Anblicke dieses Mannes überfiel. In dieser grausigen Schneewüste, völlig abgeschnitten von menschlicher Hand und Hilfe, dem Umkommen nahe, vergaß das Kind allen Abscheu vor dem 235 Menschen; es streckte beide Hände nach ihm aus und rief mit durchdringender Stimme: »Ach, lieber, lieber Vater Bockler – wir können ja nicht mehr weiter!«
Einen Stein hätte die Stimme erweichen müssen; nur nicht des Holzvogts Herz. »Das ist euch gerade recht,« knirschte er, »was habt ihr hier herumzuschleichen? Denkt wohl, ich fände euch hier nicht – haha!« Mitten im Hohnlachen stockte und stutzte er plötzlich und machte sich, als wittere er sonst was, ohne noch weiter ein Wort zu verlieren, in gebückter Haltung auf und davon, mitten durch das engstehende Jungholz.
Es knackte und rauschte – dann war alles still. Verzweiflungsvollen Auges starrte Christinchen um sich. Nichts als Schnee und Wald, hoch hinauf und tief hinab – so weit das Auge reichte.
Sie meinte, der Holzvogt müsse wieder zurückkommen; es könne ja nicht möglich sein, daß er ihnen nicht helfen wolle. Eben gab's wieder ein Knacken und Rauschen zwischen den Fichten, als ob sich jemand einen Weg durch das Dickicht bahnte. Ein Windstoß war's – der Holzvogt kam nicht wieder.
Christinchen sah zum Himmel auf; aber statt des Himmels sah sie eine graue wirbelnde 236 Wolkenmasse, die bis auf die Erde herabhing und die Brudergestalt vor ihren Augen wegnahm. Noch ein verzweiflungsvoller Aufschrei – Christinchen sank über den Bruder hin, grub die Hände in den Schnee und wurde still und starr.
Und Frau Holle kam und deckte sie zu mit weißen Gewändern, deren eines noch feiner und funkelnder war als das andere.
Nach einer Weile sprang ein großer, starker Jagdhund ans dem Walde, und dicht hinter ihm rief eine weiche, helle Stimme: »Waldmann!« Hurtig lief der Hund zurück, und gleichzeitig erschien am Saume des Waldes eine hohe Jünglingsgestalt. Eine wundersam frohmachende Erscheinung in dieser winterlichen Einöde. Schnell mit einem schwungvollen Satze über einen Graben hinwegspringend, dessen Tiefe die Fülle des Schnees trügerisch verdeckte, gelangte er auf den Volkerswalder Feldweg, den er nun mit großer Eile entlang schritt. Er mußte dicht an den Kindern vorüber – und sah sie nicht.
Glühende Röte und Nässe leuchtete aus dem schönen Gesichte. Und doch war's, als ob tiefe Schatten darüber gingen, Schatten, die aus der Seele kämen.
Er schien schweren Gedanken nachzuhängen, der junge Graf, denn wie ein Seufzer kam 237 plötzlich der Ruf »Elfriede!« über seine Lippen. Elfriede hieß, wie wir wissen, seine herrliche Braut, die Baronstochter von Volkerswalde. Ja, wie sollte er nicht traurig sein! Ging er doch zu ihr, um Abschied zu nehmen, da er nach des Vaters plötzlichem Entschlusse schon am anderen Morgen ins Ausland reisen mußte.
Mit untrüglicher Deutlichkeit kam es ihm zum Bewußtsein, daß der Vater nach jenem Vorgange auf der Ruhestelle, als er die Lindenhüttenkinder gegen den Holzvogt schützte, plötzlich ganz anders, ganz düster und fremd gegen ihn aufgetreten war, ihm kein freundlich Wort mehr gegönnt, seine Schritte von Tag zu Tag mit zunehmendem Argwohn verfolgt hatte.
Der Graf hatte für die natürliche Art seines Sohnes bislang kein Auge gehabt; erst jener Vorgang hatte ihm die Augen geöffnet; und daß sie offen blieben, dafür sorgte der – Holzvogt. Nun erschien aber dem Grafen das natürliche Wesen seines Sohnes keineswegs als etwas Natürliches oder gar als etwas Angeborenes, sondern vielmehr als eine Entartung, die sich nach seiner fixen Meinung nur unter dem Einflusse des »plebejischen« Volkerswalder Barons vollzogen haben könne. Dieser Argwohn des verknöcherten alten Herrn hatte seinen zeitweilig 238 erstarrten Haß gegen den Baron wieder in Fluß gebracht und ihn ganz plötzlich auf den Einfall kommen lassen, seinen Sohn zu verbannen, um ihn so dem verderblichen Einfluß des Barons womöglich für alle Zeit zu entziehen. Es unterlag kaum noch einem Zweifel, daß der Graf die Auflösung des Verlöbnisses herbeiführen wollte. – Ja, der junge Graf hatte alle Ursache, traurig und verzagt zu sein.
Waldmann, der sich sonst immer in nächster Nähe seines Herrn hielt, blieb diesmal weit zurück. Als der Graf es bemerkte, wandte er sich und rief: »Waldmann! Waldmann!«
Der Ruf klang gepreßt und gedämpft.
Waldmann sprang herbei, blickte seinen Herrn klug an, winselte und wedelte ganz eigentümlich und lief eilends wieder zurück, wandte indes im Laufen den Kopf mehrmals nach seinem Herrn um, als wollte er sagen: »Komm!«
Das kam diesem höchst auffallend vor, und obwohl er bei dem kurzen Tage keine Zeit zu verlieren hatte, entschloß er sich doch, umzukehren, dem Hunde nachzufolgen und zu sehen, was er hatte.
Der Hund lief bis nahe vor den Wald, steckte auf einer etwas erhöht erscheinenden Stelle des Weges die Schnauze tief in den Schnee, fing 239 unter lautem Gebell an zu scharren und scharrte so eifrig, daß der Schnee nach allen Seiten aufwirbelte.
Klopfenden Herzens trat der Graf hinzu, prallte aber alsbald wieder zurück. »Gott im Himmel! Was ist das?« Er stand vor den beiden erstarrten Lindenhüttenkindern, die der kluge Waldmann bloßgescharrt hatte und jetzt eifrigst beschnupperte.
Schnell beugte er sich zu den Kindern hinab. Waren sie tot? Oder nur vom Frost erstarrt? Sein Herz krampfte sich zusammen. Geschwind warf er Flinte, Mantel und Tasche von sich, beugte sich abermals über die Kleinen und horchte. Da merkte er, daß noch ein feiner Atem in ihnen war, und nun erkannte er sie auch. »Großer 240 Gott, das sind ja die Kinder aus der Lindenhütte!« rief er und breitete rasch seinen Mantel aus und legte die Kinder behutsam hinein. Dann öffnete und weitete er, so rasch und gut es in der Geschwindigkeit gehen wollte, ihre Kleider und rieb die bräunlichen Gesichter, Hälse und Hände mit Schnee.
Sein Samariterwerk wurde rasch und herrlich belohnt. Zu seiner unbeschreiblichen Freude spürte er bald, daß die Lebenswärme in die zarten, kleinen Körper allmählich zurückkehrte. Da entfernte er den Schnee, trocknete die blassen Gesichter mit seinem Taschentuche, hüllte die zarten Körper ganz in seinen Mantel und flößte ihnen aus dem Weinfläschchen, das sich zum Glück in der Jagdtasche befand, vorsichtig einige Tropfen ein.
Das Leben regte sich mehr und mehr, wurde stärker und stärker – und als die Kinder die Augen aufschlugen, glaubten sie wahr und wirklich in den Himmel gekommen zu sein. Ihr Staunen war grenzenlos.
Daß man aber auch im Himmel noch von wütendem Hunger geplagt werden würde, wie sie ihn jetzt wieder spürten, das konnte doch wohl nicht denkbar sein. Und so brachte sie der unerbittliche Hunger zu der Erkenntnis, daß sie sich doch noch auf der Erde befanden. 241
Mittlerweile hatte der Graf auch schon seine Tasche ausgekramt und alles hervorgeholt, was er an Stärkungs- und Erfrischungsmitteln bei sich trug. Damit labte und erquickte er die Kinder. Wahrlich, eine Mutter kann ein verlorenes und wiedergefundenes Kind kaum eifriger und herzlicher pflegen, als es hier der vornehme Herr sich angelegen sein ließ.
Der köstliche Wein, das saftige Brot und Fleisch, gewürzt durch so manch liebevolles Wort, – dazu das wohlige Versteck in dem weiten, schweren Grafenmantel – ach, das genügte, um den Holzhauerkindern nach Stunden unsäglichster Qual und Not auf der kalten, winterlichen Erde einen Himmel zu bereiten, ein Dasein voll Seligkeitsgefühl.
Eine mächtige Freude schwellte des Jünglings Herz, leuchtete aus seinen Augen, die er unverwandt auf die lächelnd schmausenden Kinder gerichtet hielt.
Und er sagte sich, wie geringer Mittel es doch nur bedurfte, diese armen, lieben Kinder zu beleben und zu beglücken. Jawohl – gering waren die Mittel, aber groß und edel war das Herz, das sie darreichte.
Nun mußten sie ihrem Erretter erzählen, wie es denn eigentlich gekommen sei, daß er sie 242 in einer solch traurigen Lage habe finden müssen. »Gewiß habt ihr Holz lesen wollen und nichts finden können,« meinte er.
Christinchen geriet sichtlich in große Verlegenheit. »Ach nein, Herr Graf – – das nicht – wir haben – wir wollten – –« Tränen erstickten ihre Stimme.
Der junge Herr schüttelte den Kopf, deutete auf die Umhänge der Kinder und fragte: »Wozu tragt ihr denn den Beutel an der Seite?«
Christinchen blickte immer noch verlegen zu Boden, Christel aber antwortete freimütig: »Die hat Christinchen uns heimlich gemacht. Unser Vater und unsere Mutter und unsere Friedesinchenpate wissen nichts davon, daß wir betteln gegangen sind« – – –
»Betteln gegangen?!« Der Graf zuckte unwillkürlich zurück, und seine Augen vergrößerten sich.
Da nickte Christinchen und sagte: »Seit unser Vater nicht mehr ins Hilgenholz darf, geht es uns gar hart. Wir haben schon seit vielen Tagen gar kein Bröckchen Brot mehr im Hause. Und unser Ludwig liegt auf dem Sterbebette, und auch unsere gute Mutter, die sich die Nächte über bei unaufhörlichem Spinnen ganz übernommen hat, ist ganz elend geworden. Der Kummer brächte sie um, klagt sie. Und die 243 Friedesinchenpate, die sonst immer unser Trost war, ist auch noch nicht wieder ganz ordentlich und hat auch nichts mehr zu leben . . .«
Heftig weinend brach das Mädchen ab.
Der Graf mußte sich gewaltig zusammennehmen, als er die Kinder so bitterlich weinen sah. Nur mit Mühe konnte er seinen eigenen Tränen wehren. Er sagte: »Tröstet euch, Kinder, eure Not soll und muß ein Ende nehmen, und dann wird's auch mit eurem Mütterlein schon wieder besser werden. – Aber du bist noch nicht fertig, Christinchen. Gewiß haben euch die Volkerswalder Bauern fortgehetzt? Ach, warum seid ihr da nicht aufs Schloß gegangen? Wißt ihr denn nicht, daß meine Braut dort wohnt? Ei, die würde sich gefreut haben, zwei Hilgenthaler Kindern einmal so recht etwas Gutes tun zu können!«
»Wir sind in gar kein Haus gegangen, wir konnten's nicht!« sagte Christinchen, indem es sich die Tränen aus den Augen wischte. »Ich dachte es nicht, daß das Bettelngehen einem so hart fallen könnte. Als wir an die ersten Häuser kamen, empfingen uns große Hunde mit so wütendem Gebell, daß wir keinen Schritt weiter konnten. Die Bauersleute aber guckten durchs Fenster und lachten und schalten. Eine große Bauersfrau hörten wir zornig rufen: ›Sieh, da kommen 244 schon wieder Bettelkinder! Es ist doch ganz zu arg!‹ Da haben wir keinen Schritt mehr vorwärts tun können.«
»Ja, da sind wir gleich wieder umgekehrt,« ergänzte Christel, »und weil wir so hungrig waren, konnten wir zuletzt nicht mehr weiter.«
»Ach, ihr armen Kinder! Verlaßt euch darauf, ich sorge dafür, daß ihr das Betteln nicht wieder nötig haben sollt.«
Die Kinder bekamen leuchtende Augen, und es deuchte ihnen an der Zeit, für den Vater ein gutes Wort einzulegen. »Ach, wenn unser Vater nur wieder ins Hilgenholz dürfte!« rief Christinchen flehend aus.
Des Jünglings Gesicht verdüsterte sich. »Ja, Kinder, könnt' ich dazu etwas tun, euer wackerer Vater sollte wahrlich alsbald wieder der Erste im Walde sein. Aber so lange der schändliche Verdacht auf ihm ruht, daß er mit dem schwarzen Jerx einen heimlichen Umgang unterhält, bringe ich meinen Vater nicht dazu, daß er den Verstoßenen wieder annimmt. Doch wisset, Kinder: Jede Träne, die der boshafte Verleumder euch Armen auspreßt, und jeder Seufzer, den ihr um seinetwegen tun müßt, wird auf des Bösen Seele fallen, brennend wie unauslöschliche Feuersglut. Der Tag aber kommt gewiß, der eures Vaters 245 Rechtschaffenheit und des Holzvogts Ruchlosigkeit an das Licht bringt.«
Darauf erzählte Christinchen voll kindlicher Entrüstung als Beweis für Bocklers Lügenhaftigkeit von dem letzten Besuche des schwarzen Jerx in der Lindenhütte, und was er dem Vater alles geboten hätte, wenn er ihm angehören wolle, und wie der Vater dann auf einmal aufgestanden sei und die Türe aufgestoßen habe, als müsse eine ganze Armee hinausgeworfen werden. – –
Als der Graf das hörte, rief er: »Kinder, wer solch einen Vater hat, der ist nicht arm, muß er gleich eine Weile betteln gehen. Einen Stern möcht' ich vom Himmel holen und auf das Haupt eures Vaters setzen, daß mein Vater seine Heldengröße und seine Rechtschaffenheit sähe!«
Rascher schlug der Kinder Herz, heller leuchteten ihre Augen, als sie das begeisterte Wort aus solchem Munde hörten. Und immer neue Lebenskraft und Lebensglut durchströmte sie. Frisch und flink sprangen sie auf die Füße. Nun wollten sie schon heimkommen.
Das sah der Graf ihnen wohl an; doch trug er große Sorge, sie allein gehen zu lassen und entschloß sich darum, mit ihnen zu den Holzhauern zu eilen, die er in der Nähe wußte. 246 »Gern würde ich selbst bei euch bleiben und euch wiederum heimgeleiten – wie neulich – – wißt ihr's noch?« Die Kinder antworteten mit großer Lebhaftigkeit, worauf er lächelnd fortfuhr: »Allein ich muß ganz unfehlbar nach Volkerswalde hinüber und Abschied nehmen, denn es ist plötzlich gekommen, daß ich auf unser Gut in Ungarn reisen muß, um daselbst ein ganzes Jahr zu bleiben. Drum will ich auch euch beiden gleich Lebewohl sagen.«
Wo war die glühende Freude geblieben, die eben noch aus den Gesichtern der Kinder geleuchtet hatte? Der Schreck hatte sie weggenommen, der Schreck über die Nachricht, daß der Graf ins Ungarland reisen müsse.
»Ach, das sind ja hunderttausend Stunden von hier!« meinte Christel in kläglichstem Tone.
»Und da sollen lauter so schlimme Menschen wohnen!« fügte Christinchen hinzu. Sie hielten mit Mühe die Tränen zurück.
Der Gras lächelte ein wenig und beruhigte sie, während sie nun miteinander gingen.
Man hörte Axtschläge und ging in ihrer Richtung noch eine Strecke fort; man hörte das Hinkrachen eines Baumes und sah nun auch die ersten Holzhauergestalten. Der Graf rief und winkte, worauf ein junger Holzhauer herbeigeeilt 247 kam, in dem die Kinder zu ihrer hellen Freude sofort »Bonders Fritz« erkannten.
Der Graf wies ihn an, die Kinder heimzugeleiten, und drückte dem Erstaunten und Beglückten einen harten Taler in die Hand.
Auch Christinchen bekam einen Taler, und Christel, der mit großen starren Augen auf das für ihn schier wunderbare Geldstück sah, merkte es im ersten Augenblicke gar nicht einmal, daß er ebenfalls einen bekommen sollte; als er ihn dann wirklich bekam, griff er in der Verwirrung, die die jähe Freude vor seinen Augen anrichtete, stracks vorbei, so daß der schöne Taler ums Haar in den Schnee gefallen wäre.
»Doch nun macht, daß ihr heimkommt, Kinder,« mahnte der Graf. »Und seid mir nicht mehr so traurig; recht fröhlich müßt ihr ausschauen! Wartet – eh ihr's euch verseht, wird ein Engel in euer Häuslein fliegen, den garstigen Jammer herausholen und lauter Licht und Fröhlichkeit hineintragen. Vergeßt mir nicht, euern wackern Vater und eure Mutter zu grüßen. Na, und der Friedesinchenpate bestellt ihr natürlich auch einen Gruß.«
Die Kinder wollten ein Dankwort stammeln, brachen aber in ein wortloses Schluchzen aus. Und so gingen sie von ihrem edlen Retter hinweg. 248
Der blieb noch ein Weilchen stehen und sah seinen Schützlingen nach und freute sich, als er merkte, ein wie herzliches Verhältnis zwischen den Kindern und dem Holzhauer herrschte.
Frohen Herzens setzte der Graf seinen Weg nach Volkerswalde fort. Ihm war trotz der bevorstehenden schweren Scheidestunde so leicht, so wohl geworden, daß er ein helles Lied hätte anstimmen können. In der schmerzlichsten Stimmung, den schwermutsvollsten Gedanken hingegeben, war er durch den Wald daher gekommen, – sollte er doch nach des Vaters ausdrücklichem Willen nicht so viel Zeit übrig behalten, sich von seiner Braut verabschieden zu können. Er hatte einen Pirschgang vorschützen müssen, um den Abschiedsbesuch in Volkerswalde möglich zu machen, und darüber war er allmählich von so großer Bekümmernis befallen worden, daß er gemeint hatte, ein größeres Leid als das seinige gäbe es auf der ganzen Welt nicht.
Da sah er Christinchen und Christel erstarrt im Schnee liegen – und vergessen war alsbald das eigne Leid, abgeschüttelt die Schwermut in eifriger Hingabe an das Rettungswerk. Als er dann die schöne Tat vollbracht hatte, kehrte ihm der schwermutsvolle Gedanke, als trüge er das allergrößte Leid der Welt, nicht mehr 249 wieder. Ein wundersames Frohgefühl durchströmte ihn, ein neuer Mut beseelte ihn, zu handeln, wie sein Herz es ihm vorschrieb – und zu tragen, was zu tragen ihm auferlegt sei.
Ohne diesen bedeutsamen Zwischenfall, der sein schwermütiges Grübeln in herrlich belohntes Handeln umsetzte, wäre er sicher als ein völliger Kopfhänger vor sein holdseliges Mädchen hingetreten, und es würde ihm wie ihr der Abschied gewiß noch einmal so schwer geworden sein. Er schämte sich ordentlich seiner vorigen Weichmütigkeit und seines Kleinmuts. Stark und entschlossen sollte sein teures Mädchen ihn sehen, damit sie selbst durch ihn Stärke und Mut gewönne.
Freilich, als er dann das ihm so teuer gewordene Volkerswalder Schloß zwischen den verschneiten Bäumen, Hütten und Häusern emporsteigen sah, ging's ihm doch wie ein Stich durchs Herz. Aber ein neuer Gedanke kam und stärkte ihn. Er wollte seiner herzlieben Elfriede sagen: Die Trennung müsse gewiß von der Vorsehung beschlossen sein; habe sie sich doch schon als ein Werkzeug Gottes erwiesen. Denn wäre die Abreise nicht so plötzlich festgesetzt, so wäre er heute bei diesem greulichen Unwetter schwerlich diesen Weg gekommen. Und hätten dann nicht die 250 armen Lindenhüttenkinder im Schnee sterben und verderben müssen? Froh atmete er auf und dankte Gott, daß er ihn diesen Weg geführt hatte. Und das wußte er: Auch seine Elfriede würde Gott danken.
So ist er zum Schlosse emporgestiegen und hat Abschied genommen von seiner Braut. Ein schwerer Abschied ist's dennoch gewesen. 251