Heinrich Sohnrey
Hütte und Schloß
Heinrich Sohnrey

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel.

Vom sanften Christophvetter.

Kantor Träuber saß in seiner Stube am Fenster, legte das Buch »Lienhard und Gertrud« von Pestalozzi, in dem er nach langer Zeit wieder einmal gelesen hatte, zur Seite, schob die Brille vor die Stirn und sah durchs Fenster in den Garten.

Es hatte drei Tage dichter Nebel geherrscht, der nun in die wunderbarsten Reisgebilde verzaubert war und die Büsche und Bäume auch ganz zauberhaft verwandelt hatte. Als eine Schwarzamsel durch die Büsche flog, risselten die feinen Krystalle zu Boden, daß es sprühte und klirrte.

Der Alte grübelte, zog plötzlich Christinchens Brief aus dem Schubfache und sagte zu seiner Frau, die strickend im Stuhl am Ofen saß: »Das heilige Weihnachtsfest rückt näher und näher, und wir haben immer noch nicht die rechte Adresse zu dem Briefe.« 187

Die Frau lächelte. »Ich meine immer, der liebe Gott hätte doch den Brief gewiß schon gelesen, ihn auch seinen Engeln zu lesen gegeben; – was brauchen wir da noch eine Adresse?«

Der Kantor lächelte nun auch. »Ich versteh' dich wohl, Frau, und weiß, daß auch du unter den Engeln Gottes sein wirst, wenn der heilige Christ kommt. Aber ich meine: so ein Korb, wie du ihn füllen kannst, reicht jetzt nicht mehr für die Not und Trübsal in der Lindenhütte. Da muß schon ein Wagen kommen. Frau, wir müssen einen reichen Mann finden, dem Gott mit dem Briefe einmal ans Herz klopft!«

Die Frau nickte und sann.

Auf einmal sprang der Kantor auf. »Was meinst du, Amalie, wenn ich den Brief jetzt auf der Stelle zu Klingebiel brächte?«

Frau Amalie warf die Hand und schüttelte den Kopf. »An den sanften Christophvetter habe ich wohl auch schon gedacht,« sagte sie. »Ich glaube aber, ebensogut könntest du den Brief unserm Birnbaum bringen, der immer so schöne Blätter, doch fast nie mehr Birnen hat. Ja, wenn dem Stiefherrn sein Herz ebenso freundlich aussähe und so weich wäre wie sein Gesicht!«

»Aber wenn einer nicht anklopft, kann der andere nicht Herein sagen!« rief der Kantor und 188 stand ganz aufgeregt da, legte die Brille hin und zog sich sogleich und in aller Eile seinen großen, dicken Rock an. »Ha, ich will doch einmal sehen, ob so ein Mensch so einen Brief lesen kann, ohne nicht weich zu werden wie eine Birne von unserm Butterbirnbaum, wenn mal eine draufsitzt. Ha, ich will doch einmal sehen! Und jedenfalls soll der Speckbauch am jüngsten Tage nicht sagen können, er hätte von dem Christinchenbriefe an den heil'gen Christ nichts gewußt.«

Er steckte den Brief sorglich in die Tasche, knöpfte den Rock zu, rief »es wird nicht lange dauern, Amalie,« und stapfte sogleich davon.

Sie sah ihm nach, wie er an der Kirchhofsmauer ging, und schüttelte leise den Kopf. »Er ist immer noch ein bißchen ein Kind im Glauben an die Menschen,« seufzte sie. Als er um die Kirchhofsecke gebogen war und sie ihn nicht mehr sah, ging sie mit leisem Seufzen an den wohligen Ofen zurück.

Es gibt Leute auf der Welt, die nur 's Maul aufzumachen brauchen, – um sofort eine gebratene Taube zwischen den Zähnen zu haben, Leute, die nichts tun und doch allezeit einen gesunden Schlaf haben, ja, nach dem Erwachen noch einen Wagen voll Glück vor der Tür halten sehen. 189

Zu diesen Leuten gehörte Christoph Klingebiel, oder wie die Leute ihn nannten, der sanfte Christophvetter. Er hatte nämlich ein so sanftes Gesicht, daß er manchmal fast für einen Heiligen Gottes durchgehen konnte; darum nannten sie ihn schon in Raßdorf – denn er stammte aus Raßdorf – den sanften Christoph, und die Leute in den Nachbardörfern sagten: Der sanfte Christoph von Raßdorf; als er älter wurde, hängten sie noch den »Vetter« daran.

Als nun »oben« Ilsens Witwe zu Hilgenthal sich wieder zu »verändern« dachte, meinte sie, hinter einem sanften Gesichte müsse ohne Zweifel auch eine sanfte Seele sein, – als ob hinter schönen Gardinen auch immer lauter schöne Leute wohnen müßten!

Ihre Wahl fiel also auf den sanften Christoph zu Raßdorf. Es wäre ja nicht um ihrethalben, sagte sie in ihrer ersten verschämten Verlegenheit zu den Leuten, sondern um den Hof, der zu groß wäre und ohne einen ordentlichen Mann zurückgehen müsse. Sie selbst könne es nicht allein zwingen, so lange die Kinder noch klein wären, und auf fremde Menschen wäre einmal kein rechter Verlaß.

Leute aber, die in Raßdorf Bekannte hatten, schüttelten die Köpfe und sagten: »Lot 190 mant, Fieke, döu kriegst doch noch ennen Mann.«Laß nur, Sophie, du kriegst doch noch einen Mann! Sprichwörtliche Redensart.

»Sanft« möchte ja der Raßdorfer schon sein, insofern nämlich, als man die Sanftheit eines Mannes nach den Hieben bemesse, die er austeilt oder nicht austeilt. So viel man wisse, hätte sich der sanfte Christoph noch mit niemand »geklopft«, aber nicht, fügte man boshaft hinzu, weil er zu sanft, sondern weil er zu – bequem dazu wäre.

Empört dachte die heiratslustige Frau: »Wo Heirat ist, da fehlt es auch an bösem Beirat nicht.« Und da sie ihren Sinn einmal ganz und gar auf den sanften Christoph gesetzt hatte, so band sie sich ein Tuch um die Ohren, daß sie nichts mehr hörte und hielt, so rasch es ging, Hochzeit.

Na ja, und so saß nun der sanfte Christoph auf dem stattlichen Hofe, der aber auch nach seinem Einzuge im Hilgenthaler Leutemunde immer »oben Ilsens« Hof blieb.

Noch war das Gras seit der Hochzeit keinen Finger lang gewachsen, als sich's schon offenbarte, wie recht die Leute gehabt hatten: Der Christophvetter war so sanft, daß er sich nicht 191 nur mit niemand »klopfte«, sondern überhaupt nicht einmal eine Peitsche oder einen Forkenstiel, einen Bindestock oder Sensenbaum in die Hand nahm. Er lehnte den ganzen schönen Sommertag im Fenster, das nach der Straße hinausging, und ließ sich Gottes liebe Sonne ins Maul scheinen. Ja, wenn andere Hofherren, die sich's gut hätten leisten können, die Straße vorüber aufs Feld zogen, stützte er die Ellenbogen noch ordentlich breit in die Ecken des Fensterrahmens, als wunder, wie gut das aussähe, legte das immer »wuppeliger« und kleinäugiger werdende Gesicht in die aufgeständerten breiten Hände und sah in sanfter, süßer Selbstgenügsamkeit den rastlos dahineilenden Menschen und Tieren nach, regungslos wie ein Bild.

Die vorübergehenden Leute pflegten zu sagen: Da wäre doch endlich einmal einer auf der Welt, dem es so recht nach dem »Dümeken« ginge; solch ein Bild müsse man eigentlich noch in einem ganz besondern Rahmen aufhängen.

Nur wenn die Sperlinge in die grünen Erbsenschoten geflogen kamen, ging plötzlich eine Wallung über das Bild, dann streckte und reckte es sich, dann öffnete sich wohl auch das Fenster zu einem ärgerlichen »Küsch! küsch!«, denn die grünen Erbsen aß er für sein Leben gern, der 192 Christophvetter, zumal mit jungen Tauben oder jungen Hühnern gekocht, an denen der Hof schier so reich war wie eine amerikanische Wildnis an prächtigen Wildtauben.

Eines Tages aber kam dem Glücklichen etwas ganz anderes in die Schoten, – der Knochenmann mit der Hippe.

Der sanfte Christophvetter erschrak, daß ihm alle Glieder am Leibe schlotterten, und stob aus dem Fenster zurück; doch der Knochenmann gab ihm ein beruhigendes Zeichen und sagte: »Mit dir hat's noch gute Wege, denn der im Himmel und der in der Hölle streiten sich noch um dich, und mir läufst du nicht weg. Aber mach mir Platz zu deinem Weibe!«

Der sanfte Christoph wischte sich den Angstschweiß von der Stirn, denn wie ein Dolchstoß durchzuckte ihn der Gedanke, daß nach dem Tode der Frau der schöne, große Hof ja nicht ihm, sondern den beiden Kindern gehöre, daß ihm dann gesetzmäßig nicht einmal mehr eine Taube, ja nicht eine einzige Erbsenschote mehr zukäme, kurzum, daß mit dem Leben seiner Frau auch seine ganze Herrlichkeit aus wäre.

Nun stützte er auf einmal nicht mehr die Ellenbogen in die Fensterecken, sondern trottete in Angst und Unruhe durchs Haus her und hin, 193 streichelte die Pferde, sah nach den Kühen und Schafen, tat überaus liebevoll mit den Kindern und trieb Gesinde und Tagelöhner, daß nur ja alles seine richtige Ordnung bekäme.

Mit keuchendem Atem und schwitzender Stirn hastete er dazwischen an das Bett der todkranken Frau, klagte, wie es ihm sauer werde, versicherte aber hinterdrein immer wieder, daß er sich nichts verdrießen lasse, wenn nur sie, seine liebe, herzensgute Sophie, wieder besser würde. Zugleich hob er an, zu fragen und zu klagen, wie es nun werden solle, wenn sie einmal stürbe? Man könne ja nie sagen, wie's käme, und auf die Kinder wäre doch kein Verlaß, und alle Last fiele auf ihn; aber ein Recht auf den Hof hätte er nicht, und wenn er sich müde und matt gerackert hätte und alt geworden wäre, würden die Kinder wohl sagen: Sie brauchten ihn nicht mehr, und er müsse dann sehen, wo er bleibe.

Auf solche Art vermochte der sanfte, wollte diesmal sagen der schlaue Christophvetter dem Tode durch die Hecke zu schlüpfen und die Sterbende zu rühren und zu bewegen, daß sie noch ein besonderes Testament machte, darin sie dem ihr vor Gott anvertrauten Ehemanne das obere Stockwerk des Wohnhauses nebst einer reichen Alimentation für Lebenszeit verschrieb, darunter 194 ein fettes Schwein, das nicht unter 300 Pfund wiegen durfte. –

Als die Frau gestorben und begraben war, lag Christoph nach wie vor auf seinen beiden Ellenbogen im Fenster, um auf die Sperlinge oder die vorüberkommenden Menschen zu passen. Er drehte sich nur um, wenn die Großmagd das Essen auf den Tisch brachte; dann aber konnte er meistens recht flink sein, besonders wenn etwas recht Gutes gekocht war.

Kamen die andern, Kinder, Gesinde und Tagelöhner, hatte er sich gewöhnlich immer schon das Oberste abgefüllt.

»Wir müssen die schwere Arbeit tun, und der Stiefherr schöpft das Fett ab!« grollte der Großknecht; die andern dachten natürlich gerade so, und durch heimliches Pflücken und Naschen suchte sich jeder nach Kräften zu rächen und schadlos zu halten. Da sich das junge Volk auch sonst nach dem Beispiele des Stiefherrn – »Stiefherr« nannte das Gesinde ihn – richtete und die Kinder die Ungehörigkeiten lustig mitmachten, als geschähe alles nur zum Tort und Schaden des Stiefvaters, so läßt sich schon denken, daß der stattliche Hof mehr zurück als vorwärts ging.

Als der junge Ilse endlich zur Vernunft kam, sah er ein, daß er schon eine gute Partie machen 195 müsse, wenn er den Hof halten wolle. Doch überall, wo es für ihn gepaßt hätte, bekam er einen Korb, weil der Stiefherr wie ein Alp auf dem Hofe säße, nicht »'runter und nicht raus« zu kriegen wäre und allem Anschein nach ein so zähes Leben hätte, daß er alle Hilgenthaler überleben würde.

Der junge Ilse sah ein, daß er eine passende Partie nicht fand und den Stiefvater durch kein Kunststück unterm Dache fortbringen könne; also machte er einen Verzweiflungssprung, verkaufte den Hof an den Thikrüger und Posthöfer, zahlte seiner Schwester von dem geringen Erlös die Hälfte und ging zu den Kürassieren. Es sei gleich hinzugefügt, daß er zwei Jahre darauf in der Schlacht bei Langensalza den Heldentod starb.

Ein stolzes altes Bauerngeschlecht war dahin; – aber der Stiefherr war noch da und ließ sich's in seinem einsamen Horste noch lange, lange Jahre wohl sein, wohler, als es die beiden Käufer des Hofes, Thikrüger und Posthöfer, sich wünschen konnten. Sie hatten natürlich mit dem Hofe die Verpflichtung übernehmen müssen, den Stiefherrn so zu alimentieren, wie es im Testamente geschrieben stand. Sie teilten sich in die Ländereien und Scheunenräume und teilten sich auch in diese Pflichtleistungen. In dem einen Jahre 196 lieferte der Thikrüger das fette Schwein, in dem andern kam Posthöfer daran; ebenso hielten sie es mit allen übrigen Naturallieferungen, die so beträchtlich waren, daß die ganze Lindenhüttenfamilie mitsamt der Friedesinchenpate davon herrlich und in Freuden hätte leben können, ohne daß der Christophvetter sich deshalb etwas hätte abzuknappen brauchen. Dazu aber kam alljährlich noch eine erkleckliche Summe baren Geldes, die den beiden Käufern noch am schwersten abging.

Wie der Thikrüger gelegentlich seinen vertrauten Gästen gestand, hatten sie bei dem Kaufe des Hofes diese Verpflichtungen, die alle anderen Käufer abgeschreckt hatten, falsch eingesetzt, indem sie darauf spekulierten, daß der Speckbauch in seinem Specke bald ersticken würde.

Der Speckbauch lebte, blieb leben und wurde in zehn Jahren nicht um ein Haar grauer; es war, wie die Leute sagten, kein »Vergang« an ihm. Einsam wie der Adler oder vielmehr der Geier im Horste hauste er droben im Stockwerke des gänzlich verödeten Ilseschen Hauses, und um ihn herum häuften sich Berge von Vorräten aller Art, und in seiner schweren Eichenlade häufte sich Silber und Gold. Es war also eigentlich mehr ein Dachsbau als ein Geierhorst. 197

Schritt man am Hause entlang, sah man oben hinter vergitterten Fenstern unzählige Würste baumeln; daneben manchen Schinken und manche Seite Speck; wendete sich der Blick über den Zaun abwärts ins Kellerloch, glänzten und dufteten von den großen Strohlagern die allerschönsten Äpfel und Birnen herauf, und man sah nicht, daß es droben oder drunten weniger wurde. Kaum war ein Schinken verzehrt, hing auch schon wieder ein neuer an der Stelle. Das eine kam immer zum anderen, und stellte das neue Jahr mit seinem neuen Tribute sich ein, wußte der Christophvetter gewöhnlich nicht, wie er Platz schaffen sollte.

So einem armen hungrigen Holzhauer ein ordentliches Mettwurstende abzuschneiden, wie die Friedesinchenpate ihm einmal riet, oder einem vorbeikommenden Lindenhüttenkinde die Tasche voll Aepfel zu stecken, – dieses war ihm noch nie und niemals in die Gedanken gekommen. Sonst hätte er sich das Leben wahrhaftig etwas bequemer und leichter machen können.

Übrigens waren ihm mit der Zeit noch manche andere Bauersleute zu Hilgenthal tributpflichtig geworden. War einer in Geldverlegenheit und wußte er sich nicht anders zu helfen, so ging er in der Abenddämmerung oder noch später, daß ihn niemand sah, zum Stiefherrn 198 oder sanften Christophvetter. Konnte er genügende Sicherheit bieten, gelobte er gute Zinsen, versprach er dazu noch alle menschenmöglichen Gefälligkeiten, so konnte er's haben. Hatte er's dann, durfte er natürlich kein Schlachtefest anstiften, keine Kindtaufe halten, ohne den Christophvetter einzuladen. Ja, er rechnete darauf, daß er auch unter der Zeit 'mal zu einem guten Mittagessen eingeladen wurde. Hatte er zufällig da oder dort etwas Gutes gerochen, kam er ohne langes Besinnen ungeladen zu Gaste; und fragte man notgedrungen, ob er mitessen wolle, wußte jeder schon, daß seine Antwort lautete: »Jo, dat is'n Ding, dat lätt seck dauen!«Ja, das ist ein Ding, das läßt sich tun. Und dann strich er sich über die breiten Bummelbacken und füllte auf, daß er vor dem andern Tage kein Mittagessen wieder brauchte. Ja, und so schonte er das Seine, wo und wie er konnte, und es bekam ihm alles gut, also daß seine Äugelein und seine Bummelbacken immerdar vor Freud' und Wonne glänzten.

Seht, Kinder, das war der Stiefherr oder der sanfte Christophvetter, der zu jenen Leuten gehörte, die in das Leben wie in einen großen Schlaraffenberg gekommen sind und gelegentlich nur die eine Sorge haben, – ob der Himmel 199 wohl auch so ein Schlaraffenberg für sie sein werde. – –

Doch nun hatte unser Herr Kantor bereits die Pforte aufgeklinkt, einen ganzen Schwarm feister Ratten aufgeschreckt und mit Mühe die stark eingeschneite Haustür geöffnet.

Dunkel und dumpf war die Luft auf der großen, leeren Diele; aber ein fast wohliger Schmurgelgeruch drang ihm entgegen, als er die knarrende Treppe hinaufstieg.

Der sanfte Christophvetter saß in seiner Stube breit vor dem offenen Ofen und hielt den Stiel der kleinen Bratpfanne in der Hand. Und in der Bratpfanne, die er jetzt aus dem Ofen zog, brodelten und brutzelten vier blanke Spiegeleier zwischen dicken Mettwurstscheiben und Schinkenschnitten.

»Ei, nun kuck aber, unser Herr Kanter!« rief der Brutzelmann und stellte die würzig dampfende und noch lustig fortbrutzelnde Mahlzeit in die untere Ofenpfanne, wo sie nun selbständig weiter schmorte.

»Ei, nun kuck aber, unser Herr Kanter!« rief er noch einmal und reichte ihm die speckige Hand, rückte ihm einen Stuhl hin und rieb sich vor lauter freudigem Behagen die wuppeligen Bummelbacken. »Ist das aber recht, Herr Kantor, daß 200 Sie mich auch mal besuchen. Ist man so 'n ganzen Tag für sich allein, so freut man sich ordentlich, mal 'n Menschen zu sehen. Und nun gar 'n Herrn Kantor!«

Der Kantor lächelte, bedauerte, daß die Spiegeleier kalt werden könnten, sprach noch so von diesem und jenem und zog auf einmal ganz unvermittelt den Brief an den heil'gen Christ aus 201 der Tasche. »Klingebiel, ich muß Ihnen doch da mal einen merkwürdigen Brief vorlesen, den das kleine Lindenhüttenchristinchen an den heil'gen Christ geschrieben hat!« sagte er.

»An den heil'gen Christ?« rief der sanfte Christophvetter verwundert und lachte und rieb sich wieder beide Bummelbacken, denn er freute sich offenbar, daß der Kantor ihm so 'ne Ehre antat und zu ihm kam, um ihm so 'n Brief vorzulesen; in der Unschuld seines Herzens dachte er natürlich an nichts Arges, und seine kleinen, von Fettwülsten umlagerten Äugelein glänzten ordentlich vor Vergnügen, als der Kantor nun den Brief las.

»Nun kuck aber bloß mal einer an!« rief der sanfte Christophvetter und schlug sich mit beiden Händen auf beide Knie, »und das hat das kleine Lindenhüttenmädchen geschrieben? Nu kuck aber bloß mal an; was in so 'ne kleinen lörkschen Mädchen für 'ne Gewitztheit steckt! Und wie's das nur so zurecht gekriegt hat, und wie's nur darauf gekommen ist! 'n Brief an 'n heil'gen Christ! Na nu kriegste aber! – Ja und nu sagen Sie man bloß mal, Herr Kanter, was ist das für 'n Winter? Der Schnee geht rein gar nicht mehr weg, und da kann einer denn am Ende bloß froh sein, wenn er was im Hause hat und nicht 'raus zu gehen braucht.« 202

»Ja, mein Bester, das Wetter ist nun mal so, wie's ist,« ließ sich darauf der Kantor etwas unwillig vernehmen; »wohl dem, der da was hat, und gegönnt sei's ihm gern, gedenkt er auch derjenigen, die nichts haben und nichts kriegen, so lange und so tief sie auch im Schnee herum suchen, wie zum Beispiel unsere lieben armen Lindenhüttenleute. Der Brief sagt uns ja genug davon.«

»Ja, der Brief ist gut, das ist wahr,« bekräftigte Klingebiel, während er schluckend nach der Spiegeleierpfanne guckte; »den soll mal erst 'n anderer schreiben. Da sieht man aber auch, wo 'n ordentlicher Lehrer ist und wo nicht. Und wenn wir nicht so 'n tüchtigen Kanter hätten« . . .

Der Kantor stand erregt auf. »Essen Sie nur erst Ihre Spiegeleier!« sagte er verzweifelt und doch noch in einiger Hoffnung auf die gute Wirkung der Mahlzeit.

»Ja, es ist bloß, daß die paar Eier nicht so zusammenrösten,« erwiderte der Bummelbackenmann, indem er auf den Ofen loswackelte und gleich aus der Pfanne heraus aß.

Während er nun kaute und schluckte, war es ganz naheliegend, daß er statt von dem Briefe an den heil'gen Christ von seinem diesjährigen Schlachteschwein anfing. 203

»Dies Jahr ist wieder der Thikrüger an der Reihe,« sagte er, »aber ich weiß nicht, seine Schweine bringen immer gleich so 'n Stich ins Ranzige mit; ich glaube, der führt mich an.«

»Ich wüßte ein Mittel gegen das Ranzigwerden, Klingebiel.«

»I, Herr Kanter, das sollte mich aber freuen!«

»Lassen Sie das Schwein in der Lindenhütte räuchern,« sagte der Kantor, worauf der Christophvetter in ein wahrhaft herzliches Lachen ausbrach. »Aber Herr Kantor, so 'n Spaß!« Er mußte sich ordentlich eine Lachträne aus dem linken Auge wischen.

»Es ist mir durchaus kein Spaß, Klingebiel,« entgegnete der Kantor ärgerlich, »aber wirklich durchaus nicht, wie Sie das schon aus Christinchens Briefe an den heil'gen Christ entnehmen könnten. Oder meinen Sie wirklich, ich hätte Ihnen den Brief nur zum Spaß vorgelesen? Mensch, merken Sie denn ganz und gar nicht, warum ich mit dem Briefe zu Ihnen gekommen bin? Fühlen Sie wirklich nicht, wieviel der Brief Sie angeht?«

»Mich?« rief Klingebiel mit gedehntem Erstaunen.

»Ja,« nickte der Kantor, »fühlen Sie wirklich nicht, wie viel der Brief gerade Sie angeht? 204 Merken Sie wirklich nicht, daß er direkt an Ihre Adresse gerichtet ist? Daß es in Wirklichkeit und vor Gottes Auge nicht heißen soll: ›an den heil'gen Christ‹, sondern: ›an den reichen Christophvetter‹, der nicht weiß, wo er all seinen Überfluß lassen soll?«

»Ha, chachacha!« lachte der Christophvetter in seiner unverwüstlichen Gutmütigkeit und Ahnungslosigkeit und spießte ein Stück Brot an die Gabel, um damit in der Pfanne herumzufahren.

Nein, er fühlte wirklich nichts, schmeckte aber um so besser, wie man an den schnalzenden und schmatzenden Lauten merken konnte, die seine Mahlzeit begleiteten.

Kaum daß der Kantor noch seine tiefe Entrüstung bemeistern konnte; er hielt mit Gewalt an sich, schwieg eine Weile ganz und sah nach den Fenstern, vor denen schon wieder die Schneeflocken tanzten.

Jetzt war die Pfanne blank. Der Christophvetter hängte sie an den Haken hinterm Ofen, rieb sich in einer urwohligen Behaglichkeit die Hände und die Bummelbacken und rief: »Nu kucken Sie aber bloß 'mal, Herr Kanter, wie das schon wieder vom Himmel 'runter fliegt! Nein, wo bloß all der Schnee herkommt in diesem Winter! – Was sagen Sie man bloß zu dem 205 neuen Klosterhofpächter, Herr Kanter? Ob der's wohl machen kann? Ob er wohl sicher ist?«

»Klingebiel, ich möchte lieber mal fragen, was sagen Sie zu den armen Lindenhüttenleuten? Ob die's wohl machen können, ob die wohl sicher durch den Winter kommen? Sie wissen doch . . .«

»O jawohl, jawohl, Herr Kantor, freilich, die Leute können einem leid tun. Das Menschenkind hätte sich aber auch besser vorsehen sollen. Ich nehme 'mal den Fall, – worauf soll einer nun so Leuten was leihen, nicht wahr? – Nä, aber nu kucken Sie man bloß mal, wie das da draußen wieder um und um geht!«

»Ich meine,« fing der Kantor, dessen Stirn in tiefen Falten lag, wieder an, »der heil'ge Christ brauchte wohl nicht zu fragen, ob die Leute sicher sind, oder worauf er ihnen was leihen solle.«

»Ja, chachacha! Der heil'ge Christ hat das auch nicht nötig,« erwiderte der Christophvetter mit seinem unschuldigen Lachen und ließ die beiden dicken Daumen zur Abwechslung vor dem runden Bauche mit einander spielen.

Mit einem Ruck stand der Kantor auf.

»Aber wollen Sie denn schon gehen, Herr Kanter! Das war ja nur 'n kurzer Besuch.« 206

»Ich sehe, daß ich mich doch in der Adresse ganz und gar geirrt habe,« sagte der Kantor, indem er der Tür zuschritt. Schon hatte er auf die Türklinke gefaßt, als er noch einmal zurückging: »Klingebiel, wie alt sind Sie nun schon?«

»O, ich werde nun so bei kleinem an die 70 kommen,« erwiderte Klingebiel mit wichtiger Miene.

Der Kantor nickte bedächtig und sagte in tiefem Ernste: »Unser Leben währet 70 Jahre, und wenn's hoch kommt, sind's 80 Jahre, und wenn's köstlich gewesen ist, so ist's Mühe und Arbeit gewesen.«

»Aber ich kann wohl sagen,« wandte Klingebiel eifrig ein, »ich fühle mich noch wie so'n Fünfziger, jawohl! 's hat mir – Gott sei Dank! – niemals was gefehlt.« Bei dem Texte war ihm sichtlich ein wenig unbehaglich geworden.

Der Kantor ging wieder zur Tür. »Klingebiel, einmal wird's doch ein Ende nehmen; wollen Sie dann all die Mettwürste und Schinken und Speckseiten, die Sie nicht allein verzehren können, und all das viele Geld, das Sie in den vielen Jahren angesammelt haben, mit hinüber nehmen? Würd's Ihnen nicht so schwer werden, daß Sie damit die Himmelsleiter gar nicht herauf kommen könnten? Klingebiel, wollen Sie sich's nicht bei Zeiten leichter machen? Der Brief, den ich Ihnen 207 vorgelesen habe, ist eine Stimme aus der Lindenhütte und eine Stimme aus dem Himmel an Ihr Herz, – und, Klingebiel, wenn Sie kein – – Schweineherz in der Brust haben, so zeigen Sie's, indem Sie am heiligen Weihnachtsabend mit einem Teile ihres Überflusses in die Lindenhütte kommen, wo Sie dann auch mich treffen werden.«

Nun hatte er's endlich begriffen, der Christophvetter; sein Gesicht war lang und starr, und die Gutmütigkeit, die ihm sonst aus allen Poren leuchtete, war wie weggewischt, als der Kantor die Tür kräftig hinter sich zumachte. 208


 << zurück weiter >>