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8

Es ging schon gegen Abend, als der einspännige kleine Wagen mit dem Braunen wieder vor dem kleinen Haus unter den Obstbäumen hielt. Im Galopp war er davongefahren, im Schritt kehrte er zurück. Der Rittmeister von Foucar hatte in zehrender Erwartung am Fenster gesessen, jetzt eilte er hinaus. Aber er kam ein wenig zu spät. Der Bursche, der wohl auf der Chaussee gestanden hatte, hielt den Gaul schon am Zügel. Seine Frau war elastisch vom Kutschersitz gesprungen und half einer alten Dame aus dem Wagen. Auch ohne daß es ihm gesagt wurde, wußte er, wer sie war. Er trat hinzu und küßte ihr mit ehrfürchtiger Verneigung die Hand.

»Willkommen, liebe Mutter! Treten Sie ein und nehmen Sie mit dem vorlieb, was wir Ihnen bieten können …«

Annemarie sah ihn erstaunt an, schwieg dann aber. In ihr liebes Gesicht trat wieder der abweisende Zug, mit dem sie ihn zuerst begrüßt hatte. An ihren geröteten Augen sah er, daß sie viel geweint hatte.

Sie gingen zu dritt ins Haus. In der behaglichen Wohnstube half Annemarie der alten Dame beim Ablegen und rückte ihr einen bequemen Lehnsessel an den Tisch.

»So! Jetzt entschuldige mich einen Augenblick! Ich bin gleich wieder da, sorge nur dafür, daß du einen kleinen Imbiß erhältst.« Sie eilte hinaus, ohne daß es Gaston gelungen wäre, einen Blick von ihr zu erhaschen.

Die alte Dame saß am Tische und blickte schweigend vor sich hin. Sie mußte einmal sehr schön gewesen sein, ihr Gesicht war von edlem Schnitt. Nur jetzt war es welk und verfallen, das dürftige Haar schneeweiß. Wie ein verschlagener Vogel kam sie ihm vor, der vor Sturm und Regen eine Unterkunft gefunden hatte, aber noch nicht sicher war, ob ihm das Unwetter nicht auch dahin folgte und ihn wieder weiter trieb …

In der Stube wurde es so still, daß man den leisen Laut vernahm, mit dem die von den Bäumen schwirrenden kleinen Falter draußen gegen die hell leuchtenden Fenster stießen. Immer neue Scharen kamen jede Nacht, solange das lockende Licht da drinnen brannte. Sie konnten es nicht erreichen, ein undurchdringliches Hindernis war davor, an dem sie sich den Staub von den Flügeln schlugen, bis sie ermattet zu Boden sanken, um im feuchten Nachttau zu sterben.

Gaston war mit leisen Schritten auf und ab gegangen, jetzt blieb er stehen und fragte halblaut:

»Verzeihen Sie, gnädige Frau – ehe Annemarie zurückkommt, und das könnte vielleicht manches klären –, kennen Sie eine gewisse Frau Rheinthaler? Oder, wie sie sich seit einiger Zeit wieder nennt, Baronin Nadanyi?«

Sie schüttelte schweigend den Kopf, er fragte weiter: »Oder vielleicht eine gewisse Ursula Blasitschek?«

Da belebten sich ihre Züge, sie hob die Augen.

»Ja, die kenne ich. Vor einem Jahr etwa stand in der ›Rigaer Zeitung‹ eine Annonce, eine distinguierte ältere Dame wurde zur Führung eines vornehmen Haushaltes gesucht. Darauf meldete ich mich; wir wechselten eine ganze Reihe von Briefen. Plötzlich ließ sie nichts mehr von sich hören, aus der Stellung wurde nichts.«

Er lachte ingrimmig auf.

»Na ja, natürlich! Die Alte hatte ihren Zweck ja erreicht! … Und verzeihen Sie, es ist nicht unziemliche Neugierde: wer hat Sie veranlaßt, jetzt hierher zu kommen?«

»Die Not«, antwortete sie tonlos. »Die bittere Not … sonst wäre ich geblieben, wo ich war. Auch die Sickenbergs rieten mir, abzureisen … weshalb, habe ich nicht recht begriffen. Einmal hieß es, es gäbe eine neue Revolution der Letten, dann wieder, Krieg … Pöbel zog durch die Straßen, in einigen deutschen Läden wurden die Scheiben zertrümmert. Da fuhr ich mit einem Nachtzuge ab. Es war aber wohl nur ein kleiner Pogrom. Auf dem Wege zum Bahnhof, in der Vorstadt, sah ich, wie ein paar Juden gehetzt wurden … einer, ein ganz alter Mann, lag am Boden, ein betrunkener Iswoschtschik kniete auf seiner Brust und riß ihm händeweis den langen Bart aus … schrecklich …« Sie brach ab und sank wieder in sich zusammen.

Annemarie kehrte mit dem Mädchen zurück. Sie brachten einen in der Eile bereiteten Imbiß, aber die alte Dame nahm nur einen kleinen Schluck Wein. Dann saßen sie zu dritt an dem Tische, auf dessen Mitte die Lampe einen hellen Kreis zeichnete. Alle drei mit vollem Herzen, aber niemand getraute sich, das erste Wort zu sprechen. Aus Bangigkeit und Zartgefühl, an alte oder frische Wunden zu rühren …

Endlich stand Annemarie auf.

»Liebes Mütterchen, darf ich dich jetzt zu Bett bringen?«

Die alte Dame folgte gehorsam, plötzlich aber begab sich in ihrem welken Gesicht ein seltsames Zucken, die glanzlosen Augen füllten sich mit Tränen. Und sie bat bescheiden: »Ich möchte doch zu gerne vorher noch deinen Jungen sehen! Oder darf ich das nicht?«

Da schluchzte Annemarie laut auf und führte sie aus der Stube. Der Rittmeister von Foucar aber blieb allein zurück, ein unsägliches Mitleid preßte ihm das Herz zusammen. Das zertrümmerte Menschenwrack da war einmal eine schöne und gefeierte Frau gewesen. Männer hatten ihr zu Füßen gelegen, die erloschenen Augen hatten strahlend gelächelt und die welken Lippen heiße Küsse getauscht. Wie war sie ihm geschildert worden, als er zum erstenmal von ihr vernahm? Als eine jener schwülen Schönheiten, in deren Gegenwart man unwillkürlich ein verrücktes Verlangen verspürte … Und das alles war vernichtet, morsch und schlaff; nicht vom langsam zehrenden Alter, das bei schönen Frauen nur mit schonender und milder Hand hier ein weniges fortnahm und dort, sondern von der harten Faust des Schicksals geschlagen, von Reue und Sorgen zermürbt und zerfressen. Wegen einer einzigen, in Rausch und Leidenschaft begangenen Verfehlung, an der der Mann, der die verwöhnte Frau vielleicht besser hätte hüten sollen, auch ein reichlich Teil Schuld trug. Die Strafe war zu hart, und fast wollte es ihm als eine gerechte Vergeltung erscheinen, daß sie sich jetzt auch gegen den allzu strengen Richter kehrte …

Annemarie kam zurück, er wollte sie umfassen, aber sie entzog sich ihm, warf sich in das Sofa und fing zum Gotterbarmen zu weinen an. Er setzte sich zu ihr, sprach kein Wort, sondern streichelte ihr nur ab und zu den blonden Kopf. Da begann sie sich allmählich zu beruhigen und sträubte sich nicht, als er sie auf seine starken Arme nahm und ins Schlafzimmer trug. Er entkleidete sie, brachte sie zu Bett wie ein krankes Kind und löschte still das Licht. Da schmiegte sie ihren Kopf an seine Brust. Und weil er sie mit Fragen verschonte, fing sie an zu erzählen, ab und zu von einem Stoß des Nachschluchzens unterbrochen:

»Heute vormittag kamen sie. Die Döhlau und die … die andere. Schon nach ein paar Minuten merkte ich, wer sie war. An der Art, wie sie sich überall umsah, oder es war vielleicht ein Instinkt. Aber ich ließ mir nichts anmerken, nahm mich sehr zusammen. Trotzdem ich gewaltige Angst hatte, denn, du … sie ist viel schöner als ich. Und wie sie erzählte, sie hätte Orlowen gekauft, wußte ich, sie ist nur gekommen, dich zurückzugewinnen. Also wir plaudern so von diesem und jenem; plötzlich fragt sie: ›Haben Sie gute Nachrichten von Ihrer Frau Mutter?‹ … Ich denk', mir soll das Herz stillstehen, und ich weiß jetzt noch nicht, wie ich's fertigbekam … also ich sag' ganz unnatürlich ruhig: ›Danke, ja! Aber, verzeihen Sie, gnädige Frau, woher kennen Sie meine Mama?‹ … ›Ich wollte sie als Gesellschafterin engagieren, bin aber nachher wieder davon abgekommen‹, erwidert sie so nebenher. Und jetzt muß mir wohl der liebe Gott selbst die Worte eingegeben haben, daß ich sagen konnte: ›Meine Mama schrieb mir davon. Sie hatte die Absicht, sich einen Wirkungskreis zu suchen, aber die Stellung, die sich ihr bot, gefiel ihr nicht. Die Dame hätte einen zu schlechten Ruf gehabt, sie wäre zu sehr hinter den Männern her gewesen. Sogar hinter solchen, die sie schon einmal verschmäht hätten.‹«

Da mußte er mitten in Sorge und Kümmernis auflachen.

»Donnerwetter, Annemarie, das hast du ihr wirklich gesagt?«

»Ja,« erwiderte sie kleinlaut, »und jetzt bist du mir wohl deswegen bös?«

»Bewahre, geschah ihr nur recht! Ich mußte lachen, weil sie's zweimal am selben Tag gehört hat. Eine Stunde später etwa von mir. Und jetzt freue ich mich, daß ich's rausgekriegt habe. Sie wird mich wohl von nun an in Frieden lassen.«

Annemarie schmiegte sich enger an ihn und seufzte erleichtert auf.

»Also danach, wie ich das gesagt hatte, sah sie mich ganz seltsam an – ich kann es nicht beschreiben. Wie mit einem traurigen Neid, und dann ging sie mit der Landrätin in die Stadt zurück. Ich aber lief wie irr in der Stube umher und schrie immer: ›Ich hab' eine Mutter, ich hab' eine Mutter … meine Mutter lebt, und kein Mensch hat es mir gesagt … Alle haben mir immer gesagt, sie sei gestorben, wie ich kaum ein halbes Jahr alt gewesen …‹ Und plötzlich überfiel mich eine furchtbare Angst. Andere Kinder, denen eine Mutter stirbt, haben doch das Grab, in dem sie ruht, ich aber hatte nie ein Grab gesehen, auch nie danach gefragt … weshalb hatte man mir dann erzählt, sie wäre gestorben? … Hieß das, sie wäre so unwürdig gewesen, daß man von ihr nur noch wie von einer Toten sprechen durfte? … Fünf Minuten später saß ich im Wagen und jagte nach Kalinzinnen …« Und wieder fing sie an, fassungslos zu weinen, von der Erinnerung geschüttelt.

Er strich ihr sanft über das volle Haar.

»Laß gut sein, Annemarie! Morgen sprechen wir weiter darüber, es nimmt dich zu sehr mit.«

Sie schüttelte heftig den Kopf:

»Ah nein, ich muß heut noch Gewißheit haben!«

»Gewißheit … worüber?«

Er fühlte deutlich, wie sie ihn im Dunkeln ansah.

»Wenn ich zu Ende bin, wirst du wohl nicht mehr fragen … Also an der Freitreppe empfing mich der Feyerabend, druckste an was herum, ich sah es ihm an, und als ich energisch wurde, erzählte er. Schon seit einigen Tagen sei eine fremde alte Dame im Schloß, und Papa halte sie wie eine Gefangene. Nur die Doris dürfte zu ihr, Essen bringen und die Zimmer aufräumen, müsse aber jedesmal hinterher den Schlüssel abliefern. Und Papa habe ihr aufs strengste verboten, zu irgend jemand darüber zu sprechen. Da hoben mich die Ängste, ich zu ihm, er wollte mich wieder abweisen, aber ich um den Küchenflügel herum, im Parke holte ich ihn ein. Und da – o Gott – sah er mich ganz feindselig an, und, es ist entsetzlich, ich glaube, er … er denkt nicht mehr so klar wie früher! Ich trete auf ihn zu: ›Lieber Papa‹, aber er hebt die Hand: ›Hab' ich dir denn nicht verboten, mich so zu nennen? Und was willst du noch hier? Ich hab's dem Oberst Wegener ja schon gesagt, du sollst reichlich abgefunden werden. Aber er nahm natürlich deine und ihre Partei … Alle sind gegen mich! Alle! Kein Mensch, der zu mir sagt: Gorski, du hattest recht damals. Der Hund mußte sterben!‹ Die Knie zittern mir vor Schreck und Angst, ich weiß nicht, was ich sagen soll; da faßt er mich bei der Hand: ›Komm!‹ Und er führt mich durch den ganzen Park bis zu den alten Kiefern … ich weiß nicht, ob du den Platz kennst?«

»O doch …«

»Nun also, da fängt er an zu erklären. Neben dem Wacholderbusch hätte er gestanden, an dem großen Findlingsstein der andere. ›Wer,‹ frag' ich, ›welcher andere?‹ Er sieht mich lange an: ›Du weißt es nicht?‹ ›Wirklich nicht!‹ … Da schüttelt er mich an der Schulter und schreit auf, ich kann es gar nicht beschreiben, wie: ›Eine weiß es, aber sie sagt's nicht! Vor ein paar Tagen saß sie da auf der Bank, aber sie log natürlich. Also frag' du sie jetzt, wen ich damals erschossen habe! Ihren Buhlen bloß … oder deinen Vater?‹«

Gaston wollte ihr mit der Hand den Mund schließen, aber das Wort war schon heraus. Und sie schob ihn heftig von sich:

»Wozu? Wenn du richten sollst, mußt du doch die Wahrheit wissen!«

Da nahm er, trotz allem Widerstreben, ihren Kopf in seinen Arm und sprach eindringlich und leise:

»Ich und richten? Über wen, mein liebes Kind? Über eine arme alte Frau, die vom Leben schwerer gezüchtigt worden ist, als wenn man sie damals zum Tod verurteilt hätte? Oder über deinen Vater, weil er unter einem Schlag zusammengebrochen ist, der nicht ihm galt? Der mich treffen sollte in dem Teuersten, was ich auf dieser Welt hab', in dir und meinem Jungen? Ich weiß heute nicht einmal mehr, ob ich das Recht hätte, die Frau zu verdammen, die diesen Streich geführt hat. Und ich bin ja selbst reichlich mit Schuld beladen … ganz genau besehen, du auch ein bißchen … Hätte ich mich damals nicht so über alle Maßen in dich verliebt, hätte ich wohl nie den Entschluß gefaßt, mich mit kurzem Schnitt von ihr zu scheiden. Also da meine ich, wir überlassen das Richteramt einem, dem es allein zukommt, weil vor ihm alle Herzen bloßliegen.«

»Und ich,« fragte sie nach einer Weile, »was wird aus mir?«

Da konnte er sich nicht helfen, mußte mit Tränen in den Augen auflachen:

»Ja, du Dummchen, was soll denn aus dir noch mehr werden als meine Frau? Oder hast du was Besseres in Aussicht, willst mir kündigen?«

Sie seufzte schwer auf und führte seine Hand an ihre Lippen.

»Es ist gut«, sagte sie aus tiefstem Herzensgrund, wie ein nach langem Weinen getröstetes Kind. Danach nestelte sie ihren Kopf unter seine Schulter, wie ein verklammtes Küchlein, das unter dem wärmenden Flügel der Mutter Zuflucht sucht. Und nach kurzer Frist merkte er an ihren regelmäßigen Atemzügen, daß sie eingeschlafen war. Da löste er sanft seinen Arm und drehte sich auf die andere Seite. Auch über ihn kam die Müdigkeit nach dem langen, von Aufregungen erfüllten Tag, und der Dienst, den er seiner Schwadron angesetzt hatte, fing in wenigen Stunden an.

Im Hinüberdämmern aber vernahm er, daß vor dem Gartentor auf der Chaussee ein Wagen anhielt. Eine Weile danach pochte es mit leisem Finger am Fenster: »Herr Rittmeister?«

Er erhob sich behutsam und öffnete lautlos den Laden. Draußen stand der alte Kalinzinner Kutscher Heurich. Ein Schauder vor kommendem Unheil flog ihm über den Rücken, aber er nahm sich gewaltsam zusammen, legte den Finger auf den Mund. Und erst, als er sah, daß der Alte begriffen hatte, fragte er leise: »Heurich, ist was passiert?«

»Das Schloß brännt, Herr Rittmeister, an allen Ecken und Enden. Und das Schlimmste, der gnädige Herr is nirgends nich zu finden.«

Ihm wankten die Knie, er mußte sich am Fensterbrett festhalten. Annemarie bewegte sich: »Mußt du schon zum Dienst?« fragte sie schlaftrunken.

Er schob den Alten vom Fenster fort und sagte ruhig: »Ja, mein Kind, es ist wieder mal soweit. Schlaf hübsch weiter: ich bin bald zurück! Und für meinen Kaffee hab' ich schon gestern sorgen lassen!«

Da schlief sie wieder ein. Er ging leise aus dem Zimmer, raffte aus dem großen Schrank im Flur an Kleidungsstücken zusammen, was ihm in die Hand fiel, und saß ein paar Minuten später im Wagen. Und der Alte schien verstanden zu haben, daß die junge Frau in dem Häuschen drinnen geschont werden mußte, solange es ging. Seine vier Hannoveraner wollten flott antraben, aber er verhielt sie ein ganzes Ende lang mit eiserner Faust, so daß sie im Schritt gehen mußten. Erst als sie von der lauten Steinchaussee auf den weichen Feldweg bogen, gab er ihnen die Köpfe frei und half mit einem scharfen Zungenschnalzen nach.

Der leichte Jagdwagen schleuderte bei der rasenden Fahrt in den Gleisen. Gaston stand aufrecht und klammerte sich an die Lehne des Bockes.

»Wie ist's denn ausgekommen, Heurich?« schrie er dem Alten ins Ohr.

»Weiß nich, Härr Rittmeister! Um elf Uhr ungefähr fing der Nachtwächter an zu tuten. Wir lagen alle schon längst in de Bätten. Natürlich jeder raus und in de Büxen. Wie ich aus der Kutscherwohnung rannte, knallten im Schloß schon de Fänsterscheiben, fast alle auf einmal, und Feier und Rauch fuhr raus wie der Deiwel!«

»Donnerwetter noch mal, das sieht doch aber ganz nach 'ner vorsätzlichen Brandstiftung aus?«

Der Alte zuckte mit den Achseln.

»Härr Rittmeister, die Leite reden viel! Ich hab' mich um nuscht gekimmert, möcht' mir auch nicht das Maul verbrännen. Der alte gnäd'ge Härr war immer zu mir e guter Härr, so einen Härren hat's iberhaupt nich mehr gegeben! Da soll ich vielleicht zu böser Lätzt die Hand gegen ihn aufheben vor Gericht? Ah nei, Härr Rittmeister, da wird' ich ja am Änd noch die Krätz' dran kriegen wegen Untreie, dänn mit derselben Hand hab' ich ihm doch gelobt, ich wird' zeitlebens e getreier Knächt von ihm sein …«

Er schwang den rechten Arm in der Luft, als führte er eine Peitsche, und schrie seine vier Gäule an, die bergaufwärts in kürzeren Trab gefallen waren:

»Also, was soll das jetzt heißen? Kost' der Hafer vielleicht kein Gäld? Und wänn ich sag' Tempo, dann is doch auch Tämpo, nich wahr?«

Und als hätten sie den mehr gemütlichen als zornigen Zuruf verstanden, die vier Hannoveraner sprangen ins Geschirr in einem rasenden Galopp, daß der von ihnen gezogene Wagen wie ein leichtes Boot im Sturme tanzte. Der Rittmeister mußte sich noch fester anklammern, aber die sausende Fahrt war ihm recht. Vielleicht gab's da hinten, wo über dem Baldahner Walde sich der rote Glast am dunklen Nachthimmel hob, noch etwas zu retten … ein edles, in Wirrnis verfallenes Leben, das in sorgsamer Pflege sich wieder auf den geraden Weg fand …

»Hat man denn gar keinen Versuch gemacht, den Brand zu löschen?« schrie er dem Alten ins Ohr.

»Aber gewiß doch, Härr Rittmeister! Unsere Spritz' hat gearbeit', nach 'ner halben Stund' is auch die Orlower gekommen. Wie aber der Inspäkter e reitenden Boten nach Ordensburg schicken wollt', sagt' ich: ›Lassen Se dem Kärl man ruhig zu Haus, Härr Inspäkter, es hilft ja doch nuscht! Nich mehr, als wänn e Mück' in e brännenden Strohstoggen spucken möcht'!‹« Und er wies mit dem Kopfe nach dem hellen Schein, aus dem jetzt ein lohender Strahl nach oben schoß, gefolgt von einer Garbe sprühender Funken … Da ließ Gaston sich auf den Wagensitz fallen. Der Alte hatte recht, da war nichts mehr zu retten. Auch nichts mehr zu versöhnen im langsamen Lauf der Zeit.

Ein jäher Frostschauer flog ihm über den Rücken. Er glaubte zu ahnen, wie der Gedanke der Vernichtung in dem verirrten Geiste Wurzel geschlagen und zur Tat gewachsen war. Aus dem nagenden Grimm, eher einen Frevel zu begehen, als dem Eindringling aus vermeintlich fremdem Blut den Zutritt zu verstatten. Etwas Adliges lag in der Tat, aber ihm graute vor dem Augenblick, in dem er seinem armen jungen Weib die Kunde bringen mußte …

Um das brennende Schloß stand ein Kreis notdürftig angezogener Frauen und Kinder. Die Männer waren mit den Spritzen nach den Ställen und Scheunen gezogen. Der Morgenwind hatte sich aufgemacht, warf Funken und Feuerballen nach dem Wirtschaftshofe hinüber, qualmender Dampf stieg auf, wenn sie die nassen Schilfdächer trafen, auf denen dunkle Gestalten kletterten. Freigelassene Ackergäule rasten in dem weiten Viereck des Hofes, die in die Fohlenkoppel getriebene Viehherde drängte sich eng zusammen und brüllte. Der schwere friesische Stier umrannte sie im Kreise und warf mit bohrendem Horn breite Placken aus dem weichen Grund. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und schleuderte ein grollendes Röhren nach der Feuersglut hinüber, wie ein brunftender Hirsch.

Als der Wagen hielt, kam der Inspektor gelaufen und erstattete in militärischer Haltung Bericht. Wie mit einem einzigen Schlage sei das Feuer ausgebrochen, aus allen Fenstern zugleich. Eine Stunde vorher etwa habe der Wächter gesehen, wie ein einzelnes Licht durch alle Räume wanderte, aber er habe sich nicht weiter beunruhigt. Das sei in der letzten Zeit öfter vorgekommen, daß der alte gnädige Herr zur Nachtzeit noch in allen Stuben nachsah, weil er sich vor einem Einbruch fürchtete. Als aber die Meldung kam, habe er, der Inspektor, sich gleich sein Teil gedacht. Nicht umsonst habe der alte Herr im Schloßkeller Fässer und Fässer Branntwein stapeln lassen aus der Brennerei, und wenn man sich vergegenwärtigte, daß das Feuer an mindestens zwanzig Stellen zugleich ausgebrochen sei, müsse man ganz von selbst zu einer Schlußfolgerung kommen, die man sich freilich kaum auszusprechen traue …

Der Rittmeister hatte mit eisigem Gesicht zugehört.

»Na bitte … genieren Sie sich nicht!«

Der Beamte zuckte mit den Achseln.

»Auf der anderen Seite fehlt jeder vernünftige Grund. Das Schloß war kaum zum vierten Teile seines Wertes versichert und der alte Herr im übrigen doch in geradezu glänzender Vermögenslage. Das kann ich wohl als sein erster Wirtschaftsbeamter am besten beurteilen.«

»Na also,« sagte Gaston, »dann müßten Sie wohl auch der erste sein, der es sich zur Pflicht macht, solche törichten Legenden gleich im Aufkeimen zu zertreten. Mein Herr Schwiegervater hatte die Angewohnheit, bei brennendem Licht im Bett zu lesen. Dabei ist er wohl eingeschlafen, und wer weiß, wie lange das Feuer geschwelt haben mag, ehe der Wächter es entdeckte!«

Der Inspektor klappte die Hacken zusammen.

»Sehr wohl, Herr Rittmeister! Der Kerl hat wahrscheinlich irgendwo hinterm Zaune geschlafen und nachher, zu seiner Entschuldigung, sich ein Märchen ausgedacht.«

»Leicht möglich«, sagte er, hob zwei Finger der Rechten an den Mützenschirm und ließ den eifrigen Beamten, der so rasch eine bessere Erklärung fand, stehen …

Das Feuer hatte sich selbst aufgefressen. Nur aus dem Mittelbau, der erst im letzten Jahrhundert mit reichlichem Holzwerk neu errichtet worden war, züngelten noch die Flammen. Warfen gleißenden Schein auf die beiden Seitenflügel, leuchteten durch leere Fensteröffnungen. Von Zeit zu Zeit gab es ein berstendes Krachen, wenn wieder einmal eine Decke einstürzte über verschwelten Trägern, ein kurzer Funkenregen stiebte in die Höhe.

Gaston stand auf dem weiten Rasenplatze vor der Freitreppe. Die bunten Blumenbeete waren zertreten. Kostbare alte Schränke und Truhen, Stühle und Teppiche, von eilig zugreifenden Händen aus dem Erdgeschoß geborgen, standen und lagen umher. Ein stolzer Herrensitz war gebrochen, ein in Jahrhunderten sorgsam gemehrter Besitz vernichtet und zerstört. Und, im letzten Grunde, warum? Weil ein in Liebe und Haß gleich unersättliches Weib in ihrer Rache kein Maß noch Ziel fand …

Über den Park her kam der neue Tag mit leise einsetzendem Regen; weißlicher Qualm hob sich aus der Brandstätte. Gaston spürte, wie jemand hinter ihn trat. Er wandte den Kopf. Der alte Heurich war's, das Gesicht von Rauch geschwärzt, Kopf- und Barthaare versengt.

»Härr Rittmeister,« sagte er halblaut, »ich hab' eine Mälldung zu machen. Aber daß um Himmels willen das dammlige Weibsvolk nuscht märkt, sonst kommen se alle hingerannt …«

»Es ist gut, Heurich! Was gibt's?«

»Ich hab' ihn nämlich gefunden, den alten gnäd'gen Härrn!«

Gaston fuhr trotz der Warnung jäh herum:

»Er lebt?«

Die von Feuer und Rauch gebeizten Augen des Alten füllten sich mit Tränen:

»Ach du mein liebes Gottchen, Härr Rittmeister, wänn ich ihm nich an der goldnen Uhrkätt' erkannt hätt … na schön!« Und er fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase. »Also, weil doch der Nachtwächter gesagt hat, im Härrnzimmer hätt' er ihn zulätzt gesehen, hab' ich's riskiert. Die Däck' knasterte ja all bedänklich, alles in der Stub' war verbrannt, aber die geplatzten Fänster hatten Durchzug gegeben. Und er lag mitten auf dem Boden, der glimmte noch. Da hab' ich ihm rausgetragen, gleich bis in die kleine Kappäll' im Park … auf 'm Schragen hab' ich ihm hingelegt. Und wänn Härr Rittmeister nu befehlen möcht', was gemacht werden soll? Ich dänk, am bästen wär', der Ställmacher schlägt aus e paar Brättern so was wie 'n Sarch zusammen, und wir nageln gleich zu, damit die Frau Rittmeister sich vor dem gnäd'gen Härrn Vater selig nich allzusehr erschräcken.«

Gaston nickte schweigend und ging langsam durch den regenschweren Morgen nach der kleinen Kapelle, die unter hochragenden alten Tannen wie im Halbdunkel stand. Auf einem Sargschragen mitten im dämmerigen Raume lag, was von dem Herrn von Kalinzinnen übriggeblieben war. Unsägliches Mitleiden schnürte ihm das Herz zusammen, er nahm das gestickte Altartuch, deckte den Toten zu, sprach zu seinen Häupten ein stilles Gebet. Als er aber die schwere Eichentür hinter sich schloß, flog der Haß über ihn mit loderndem Fittich. Vor wenigen Stunden noch hatte er weichmütige Worte der Verzeihung gesprochen, jetzt krallte sich ihm die Gier der Vergeltung ins Herz, erfüllte ihn ganz und gar. Was aus ihm selbst dann wurde, war ihm gleichgültig. Vielleicht verstattete man es ihm nach der Gewalttat, als einfacher Soldat in der Front den Tod vorm Feind zu suchen. Anders, als er sich's geträumt hatte. Aber er ließ Weib und Kind in Sicherheit zurück, zog mit leichtem Herzen ins Feld …


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