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Die große Hotelglocke auf der Diele des Königlichen Hofes gab mit bimmelndem Läuten das langersehnte Zeichen zum Beginn des Festessens. Die Spitzen der Behörden und die Offiziere, die plaudernd vor dem Eingange des stattlichen Hauses standen, setzten sich langsam in Bewegung. Als Herr von Döhlau zur Linken des Geheimrats die Treppe zur Hotelterrasse hinanstieg, traf ihn ein hilfesuchender Blick seiner jungen Frau. Besorgt trat er näher: »Na, Schatz, was gibt's?«
»Du mußt mit mir sofort nach Hause fahren!«
»Aber Kindchen,« erwiderte er halblaut, »das geht jetzt nicht! Beim besten Willen nicht!«
Das kleine Bündel aus Seide, Brüsseler Spitzen und undiszipliniertem Weiberfleisch richtete sich zornig auf.
»Auch nicht, wenn ich dir sage, daß ich mich hier schrecklich elend fühle?«
Einige der in der Nähe stehenden Damen wurden schon aufmerksam. Herr von Döhlau beugte sich hinab.
»Um Gottes willen, liebste Marion, mäßige dich! Ich hatte dich doch so sehr gebeten, dich ein wenig zu fügen! Glaub' mir, meine Stellung hier wird unhaltbar, wenn du dir keine Mühe gibst, dich – ein bißchen nur – den ungewohnten Verhältnissen anzupassen!«
»Und wenn ich es nun darauf anlegen würde, dieser lächerlichen Episode in unserem Leben so rasch wie möglich ein Ende zu machen?«
Herr von Döhlau antwortete nicht, in seine Stirn grub sich eine steile Falte. Gleich darauf aber sah er sich lächelnd um und winkte einem der jüngeren Offiziere, mit dem er in den vergangenen Wochen der Strohwitwerzeit mit tiefem Trunke zuweilen Vertrauliches gesprochen hatte.
»Ach, lieber Herr von Gorski?«
Der kleine Leutnant, der im Begriff gewesen war, auf das frisch aus der Königsberger Pension zurückgekehrte Kommandeurstöchterlein loszusteuern, hob den Kopf mit der keck in die Luft ragenden Hakennase:
»Das hohe Landratsamt befiehlt?«
»Sie sollen mir helfen, einen Eid schwören! Meine Frau will durchaus nicht glauben, daß ich unbedingt an dem eben beginnenden Festessen teilnehmen muß.«
Karl von Gorski zog mit übertrieben tiefer Verneigung die kleine Hand, die sich ihm entgegenstreckte, an die Lippen.
»Später, lieber Herr von Döhlau, später. Jetzt möchte ich zunächst meiner Befriedigung Ausdruck verleihen, daß die begeisterte Schilderung, die Sie mir vor einigen Wochen gegeben haben, von der Wirklichkeit noch um einige hundert Längen überholt wird. Verliebte Ehemänner pflegen sonst zu übertreiben, aber diesmal …«
Frau von Döhlau lächelte, schon ein wenig versöhnt.
»Wahrhaftig? Hat er zuweilen von mir gesprochen?«
»Nur zuweilen? Sooft ich die Ehre hatte, mit Ihrem Herrn Gemahl zusammenzusein, kostete es Mühe, ihn auf ein anderes Thema zu bringen. Jetzt finde ich's ja begreiflich …«
»Und Sie geben mir die Versicherung, er darf bei diesem Essen nicht fehlen?«
Karl von Gorski machte ein ganz entsetztes Gesicht und schwindelte drauflos:
»Fehlen? Bei der feierlichen Zeremonie, die nachher im großen Saale unter strengstem Ausschluß der Öffentlichkeit vollzogen wird? Um Gottes willen, gnädige Frau, haben Sie eine Ahnung, welcher Gefahr Ihr Herr Gemahl sich dadurch aussetzen würde?«
Frau von Döhlau hob neugierig das feine Näschen.
»Was könnte ihm denn passieren?«
»Das darf ich Ihnen leider nicht verraten, gnädige Frau, ein heiliger Eid bindet uns allen die Zunge. Aber Sie werden verstehen, in Ostpreußen herrschen noch gewisse Gepflogenheiten, die den kultivierteren Bewohnern des Westens geradezu barbarisch vorkommen müßten!«
Der kleinen Frau flog unwillkürlich ein Schauer über den Rücken. Sie streckte ihrem Gatten die Hand entgegen.
»Dann geh, lieber Botho! Ich fühle mich schon ein wenig besser, und du darfst versichert sein, ich werde mich nicht langweilen. Ich werde mir hier auf der Terrasse ebenfalls ein Diner servieren lassen, und der Herr Leutnant soll dabei mein Gast sein!«
Herr von Döhlau empfahl sich mit einem Erleichterungsseufzer. Aber während er sich dem schon ungeduldig wartenden hohen Vorgesetzten anschloß, sprang ihn in banger Sorge die Frage an, was werden sollte, wenn seine Versuche, das kapriziöse kleine Geschöpf zu einer leidlich präsentablen Beamtenfrau zu erziehen, fehlschlugen. Er hing mit Leib und Seele an seinem Beruf, und hoch hinauf reckten sich seine Pläne. Der Landratsposten hier an der russischen Grenze war doch nur ein Übergang, der nicht lange dauern konnte, wenn – ja, wenn es ihm eben glückte, den Beweis zu erbringen, daß die Bedenken grundlos waren, die seine Vorgesetzten an die Verbindung mit einer politisch nicht einwandfreien Familie knüpften. Das war nun einmal nicht anders in preußischen Landen, der Staatsdiener hatte »einwandfrei« zu sein, im Dienst wie zu Hause. Wer's nicht leisten konnte, wurde ohne viel Aufsehens, aber rücksichtslos abgestoßen. In dieser strengen Auslese lag einer der Gründe von Preußens Größe, aber wen's traf im Fluge berechtigter Hoffnungen, den schlug es im innersten Lebensnerv … Und ein Gefühl fast der Reue überkam ihn, daß er an einem der entscheidenden Wendepunkte des Lebens einer unklaren Leidenschaft nachgegeben hatte, statt der Stimme kühl abwägenden Verstandes. Wie toll hatte er sich in dem Trubel des rheinischen Karnevals in das launenhafte und zierliche Persönchen verliebt, und ganz allmählich erst war die Ernüchterung gekommen! Zugleich mit der niederdrückenden Erkenntnis, daß selbst seine nächsten Freunde die übereilte Werbung auf den schier ungeheuerlichen Reichtum der jungen Braut zurückführten. Er allein wußte es besser, aber wer hätte ihm wohl geglaubt, wenn er erklärte, ihm wäre erst ein paar Stunden nach der Verlobung bekanntgeworden, er habe in raschem Ansturm die einzige Tochter so ziemlich des reichsten Mannes im lothringischen Industriebezirk erobert? …
Die Ordensburger Damen waren nach Hause gegangen, sich für die Festlichkeiten des Abends vorzubereiten, nicht ohne einen mißbilligenden Blick auf die Gattin des neuen Landrates, die sich – unglaublicherweise – anschickte, auf der Hotelterrasse ganz öffentlich zu Mittag zu essen. Das mochte vielleicht in einer Großstadt Sitte sein, wo kein Mensch den anderen kannte, hier aber wirkte es als unziemliche Überhebung. Und nicht einmal die Entschuldigung hatte die junge Frau für sich, daß im eigenen Hause noch nicht das Herdfeuer brannte. Vor vier Wochen schon waren die großen Wagen mit der inneren Einrichtung gekommen, von der man sich Wunderdinge erzählte, und vor einigen Tagen ein ganzer Troß von Dienerschaft, Zofen und Zimmermädchen, Kutscher und Schofföre; man munkelte sogar von einem französischen Koch, der ein Gehalt bekomme, höher als das eines preußischen Regierungsrates. Aber das imponierte vielleicht den Kaufleuten, die an diesem verschwenderischen Haushalte reichlichen Verdienst erhofften. Die Frauen der Offiziere und Beamten einigten sich ohne besondere Verabredung in einem Gefühl ruhiger Abwehr. Schon jetzt war vorauszusehen, wie sich der Verkehr mit dem jungen Landratspaar im kommenden Winter gestalten würde. Eine einzige Einladung hin und her nach dem Austausch der offiziellen Besuche und damit Schluß! Frauen, die ihren Stolz darein setzten, mit schmaler Wirtschaftskasse auszukommen, konnten nicht plötzlich schlemmerische Diners veranstalten, nur, weil sich unter den Gästen eine verwöhnte junge Dame befand, die mit einem silbernen Löffel im Mund geboren war … Und man müßte sich ja genieren, mit ihr über die Straße zu gehen, wenn man selbst ein dürftiges Leinenkleidchen trug, indessen die andere in einem raffinierten Spitzenkleide prangte, mit einem Reiher auf dem Hütchen, den jede Kennerin auf dreihundert Mark zum mindesten einschätzen mußte …
Fräulein Ilse Harbrecht ging neben ihrer Mutter und dankte freundlich für die Grüße der Bürgerschaft, im Inneren aber wälzte sie zornige Gedanken. Seit Monaten schon hatte sie sich auf das Wiedersehen mit einem gefreut, von dem sie wußte, daß er trotz seines unscheinbaren Äußeren ein Held war. Ein Held, der sich ohne Wimperzucken für den Freund in Todesgefahr gestürzt hatte … An dem Tage, an dem er wegen seines Duells mit dem älteren Brinckenwurff auf Festung gehen mußte, hatte es sich getroffen, daß sie dringend eine Freundin in der Bahnhofstraße besuchen mußte. Zufällig um die Zeit, da der Leutnant Karl von Gorski sich an die Eisenbahn begab, um für lange sechs Monate nach Weichselmünde zu reisen. Er ließ den Krümperwagen halten, sprang heraus: »Aber nein, Fräulein Ilse, daß ich noch das Glück habe, gerade Ihnen zu begegnen? Davon werde ich in mancher trüben Stunde zehren! Auf der anderen Seite aber ist es eine ganz niederträchtige Strafverschärfung, daß ich Sie ein halbes Jahr lang nicht sehen darf. Ich werde an die zuständige Kommandanturbehörde ein höchst energisches Gesuch richten, mir unter diesem Gesichtspunkte die Hälfte der Haft zu erlassen!«
So hatte er halb ernst, halb scherzhaft gesprochen, wie es seine Art war, sie aber wußte im Augenblick vor Verlegenheit nichts zu erwidern. Erst, als er wieder in den Wagen kletterte, rief sie ihm nach: »Schreiben Sie mal 'ne Postkarte, Herr von Gorski!«
»Wird besorgt, mein gnädiges Fräulein«, rief er zurück, der Wagen bog um die Ecke. Sie aber ging in einer seligen Beklommenheit nach Hause und vermied es, irgendeinen der zahlreichen Bekannten anzusprechen, denen sie auf dem Heimwege begegnete … denn das war ihr nicht erst heute klar geworden, daß der Leutnant Karl von Gorski sie ganz besonders gern hatte …
Die erste Karte, die Fräulein Ilse Harbrecht aus Weichselmünde empfing, wies eine selbstgefertigte Zeichnung auf. Einen Leutnant mit ungeheuerlich großen Ohren, der über einem mächtigen Folianten büffelte. Darunter aber stand: »Der ergebenst Unterfertigte hat den Entschluß gefaßt, sich zur Kriegsakademie vorzubereiten. Um dem Übelstande abzuhelfen, daß es in der Familie Gorski noch nie einen Kommandierenden General gegeben hat. Außerdem ist ihm von einem gleichermaßen eingespundeten Duellverbrecher aus der Garde versichert worden, daß man in Berlin bedeutend billiger lebt als in Ordensburg, woraus sich gewisse freundliche Aspekten ergeben für einen seit einiger Zeit außerordentlich genau rechnenden Leutnant. Ergebenst grüßend Karlchen G.« Und alle vier Wochen kamen weitere Postkarten, eine davon aber schien in falsche Hände geraten zu sein …
Eines Abends nämlich, als Ilse dem Vater die Zigarrenkiste und den Aschbecher brachte, strich der ihr mit einer seltsam zarten Bewegung über den blonden Zopf: »Sieh mal an, ich hatte gar nicht gedacht, daß ich schon eine so große Tochter hab' … Und, wie meinst du, Muttchen, ob wir das Mädchen nicht für ein paar Monate nach Königsberg geben? Wenn sie mal heiraten soll, muß sie entschieden eine bessere Aussprache lernen!« Und er deklamierte in übertriebenem Dialekt die ersten Verse von »Häktors Abschied«, so daß die Mutter Tränen lachte … Acht Tage darauf aber saß Ilse in dem altberühmten Pensionat für Töchter höherer Stände der Schwestern Grandjean in Königsberg … die Weichselmünder Postkarten blieben aus, nachdem noch eine einzige durch einen Zufall den Weg durch die strengen Absperrungen gefunden hatte, die das Haus in der stillen Tragheimer Kirchenstraße umgaben wie Drahthindernisse und Wolfsgruben eine Festung. Einen großohrigen Leutnant zeigte sie mit einem Riesenschloß vor dem Munde. Darunter aber stand: »Regimentsbefehl vom 19. Januar 1914« … da wußte sie natürlich Bescheid, aber ebenso natürlich war es, daß sie mit Hilfe einer unverdächtigen Mitpensionärin es fertigbrachte, eine Ansichtspostkarte als Antwort durch die feindlichen Linien zu schmuggeln. Einen deutschen und einen österreichischen Soldaten zeigte sie, die sich die Hand schüttelten. »In Treue fest vom Rheine bis zur Donau« stand darunter. Sie brauchte nur in den Gewehrkolben des deutschen Infanteristen die Buchstaben »I. H.« zu schreiben, um des Verständnisses sicher zu sein …
Dann hatte sie geduldig auf das Wiedersehen gewartet. Nach allem Vorausgegangenen mußte es der schönste und herrlichste Augenblick des ganzen bisherigen Lebens werden. Ein heimliches Grüßen zwischen all den gleichgültigen Tausenden, sie beide allein wußten Bescheid … Und jetzt war es so ganz anders gekommen, so beschämend, daß sie kaum die Tränen zurückhalten konnte, während sie an der Seite der ahnungslosen Mutter durch die Menge schritt. Den Bruchteil einer Sekunde hatte es so ausgesehen, als wenn der Leutnant von Gorski sie begrüßen wollte, dann aber war er in steilem Winkel abgebogen, auf diese kokette junge Landratsfrau zu, die sich mit ihrer Pariser Toilette wie ein Pfau neben den einfachen Offiziersdamen spreizte. Und nicht genug an einem Handkusse, nach kurzer Pause bog er sich zum zweiten Male hinab, küßte – das sah sie mit ihren scharfen Augen genau – dieser eitlen Pute die vom Handschuh freigelassene Stelle in der Nähe des spitzenbesetzten Ärmels … da wurde ihr das Herz in der Brust hart wie ein Stein, und sie beschloß, dem Treulosen es auszuzahlen, wenn sie am Abend das Schwadronsfest der Fünften besuchte … da spielte er nämlich als Verfasser eines Prologs und Regisseur eines militärischen Lustspieles eine Art von Hauptrolle. Sie aber strafte ihn natürlich mit schärfster Nichtachtung, bis er sie nach dem Grunde fragte. Na, und dann sollte er eine Antwort kriegen, mit der alles aus war … das schwor sie sich zu und beschloß, den ganzen Nachmittag zu verwenden, um sich für diese entscheidende Minute gehörig vorzubereiten …
Der Missetäter aber, um den Ilse Harbrecht so schweren Kummer litt, tafelte unterdessen schon längst auf der Hotelterrasse und erzählte mit unerschütterlichem Gesicht lügenhafte Schauergeschichten. Von den Wolfsjagden, die fast in jedem Winter in der nächsten Umgebung Ordensburgs abgehalten werden müßten, wenn das gierige Raubgesindel in allzu großen Scharen aus dem längst kahl gefressenen Rußland herüberkäme, und daß in diesen Zeiten die Einwohner des Städtchens sich nur in Trupps zu zehn Mann aus den bis zum Dache eingeschneiten Häusern wägten. Natürlich bis an die Zähne bewaffnet. Daß aber trotzdem – so erzählte er weiter – bei der ungeschützten Landbevölkerung zahlreiche Unglücksfälle vorkämen. So seien erst im letzten Winter in dem nahegelegenen Dorfe Schikorren zehn alte Frauen beim Brennholzsammeln von den Wölfen bis auf die in dicken Holzschuhen steckenden Füße gefressen worden. Die elfte hingegen habe sich retten können, weil sie wegen erschrecklicher Magerkeit selbst von den hungrigen Raubtieren verschmäht worden sei. Ein wenig beleidigt hob die kleine Dame das Näschen.
»Sie glauben doch nicht etwa, Herr Leutnant, daß ich all diese Schilderungen für bare Münze nehme?«
Karl von Gorski ließ das Monokel fallen und klappte unter dem Tisch die sporenbewehrten Hacken zusammen.
»Im Gegenteil, gnädige Frau, ich bin tief betrübt, daß Sie mir mit so ungerechtfertigtem Mißtrauen begegnen. Die Wolfsgeschichte eben war nur ein Auftakt gewissermaßen zu Ausführungen, die Ihnen noch viel unglaublicher klingen werden. Daß man nämlich auch hier bei uns im sogenannten wilden Osten sich das Leben sehr nett und behaglich einrichten kann, wenn man nur ein wenig guten Willen mitbringt.«
Frau von Döhlau blickte argwöhnisch auf.
»Weshalb halten Sie mir eigentlich diese pädagogische Vorlesung? Da hat Ihnen doch sicher mein Mann erzählt, wie ungern ich ihm hierher gefolgt bin? Und daß ich wenig Lust verspüre, in diesem trostlosen kleinen Nest länger als ein paar Wochen auszuhalten?«
»Um Gottes willen, gnädige Frau!« Er tat ehrlich erschreckt. »Das wollten Sie uns allen hier antun? Haben Sie denn nicht bemerkt, welchen ungeheuerlichen Eindruck die Tatsache, daß Sie in all Ihrer entzückenden Eleganz hier auf dieser kümmerlichen Terrasse saßen, auf das gesamte Offizierkorps gemacht hat? Die Parade wäre deswegen beinahe verunglückt, weil alle Leutnants nach Ihnen schielten, statt nach der im militärischen Interesse so notwendigen Richtung …«
»Davon habe ich nicht das geringste bemerkt. Ihre Herren Kameraden hatten ja nur Augen für den alten General, der mit seinem gewaltigen Schlachtroß – ungalant genug – die Aussicht versperrte!«
»Aber, gnädige Frau,« – Karlchen Gorski strich sich schmunzelnd den spärlichen Schnurrbart – »ein preußischer Leutnant hat doch zwei Augen! Und glauben Sie mir, er kriegt es fertig, mit einem die strengen Gebote der Disziplin zu befolgen, mit dem anderen aber einer schönen Frau zu huldigen, die seine Begeisterung erweckt. Verlassen Sie sich darauf, es würde im Regiment ein halb Dutzend Selbstmorde geben, wenn Sie jetzt wieder abreisen wollten!«
Frau von Döhlau lachte auf. In ihrem Köpfchen regte sich ein abenteuerlicher Plan. Eigentlich wunderte sie sich, daß sie nicht schon früher darauf verfallen war, so nahe hatte es gelegen, sich die Langeweile hier durch eine amüsante Intrige zu kürzen …
Sie streckte dem kleinen Leutnant über den Tisch hinweg die Hand entgegen: »Vielen Dank! Aber Sie und Ihre Herren Kameraden würden nicht viel davon haben, denn ich bin bei den ehrwürdigen Schwestern der heiligen Ursula in Thildonck nach ganz altmodischen Grundsätzen erzogen worden. Ich liebe meinen Mann und würde selbst einen kleinen Flirt als etwas Unerlaubtes ansehen!«
Karl von Gorski zog die wohlgepflegte, mit blitzenden Ringen geschmückte Hand an die Lippen.
»Selbstverständlich, gnädige Frau! Und Sie dürfen versichert sein, genau so habe ich Sie eingeschätzt, als ich das Glück hatte, vor einer halben Stunde Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen!«
»Wahrhaftig? Nun, dann sollen Sie auch extra belohnt werden! Ich habe eine Freundin, neben der ich mich ungefähr ausnehme wie ein Aschenbrödel neben einer Prinzessin …«
»Unmöglich!«
»Doch! Und die sollen Sie kennenlernen! Ich bin überzeugt, ich brauche ihr nur eine kurze Depesche nach ihrem Schlosse in der Nähe von Paris zu schicken, und sie kommt hierher. Außerdem beabsichtigte ich, zwei meiner Kusinen einzuladen, die ebenso niedlich wie reich sind …«
Er stieß einen komischen Seufzer aus.
»Halten Sie ein, gnädige Frau! Das ist fast zuviel des Segens! Aber haben Sie die Güte, den Einladungen nicht meinen Steckbrief beizulegen. Sonst – verlassen Sie sich darauf – kommen die Damen nicht!« Sie drohte ihm mit dem rosigen Zeigefinger.
»Wollen Sie von mir Komplimente hören? Und Sie haben doch sicherlich die Werke der berühmten Madame de Staël gelesen?«
»Selbstverständlich,« log er dreist, »wie wohl so ziemlich jeder preußische Leutnant!« Keine Ahnung hatte er, was das für ein überspanntes Frauenzimmer sein möchte …
»Nun denn, an irgendeiner Stelle sagt sie: Häßliche Männer gibt es nicht. Nur dumme oder geistreiche.«
»Ein schwacher Trost«, gab er schlagfertig zurück. »Mit den Geistvollen unterhält man sich, die Dummen aber umarmt man.«
Frau von Döhlau stand auf und zog sich langsam die Handschuhe an. Der Kellner stürzte davon, das in der Einfahrt stehende Auto zu holen.
»Warten Sie's doch ab,« sagte sie mit einem seltsamen Lächeln, das wie ein Schlänglein um ihre mit diskretem Rot getönten Lippen spielte, »warten Sie's ab, ob meine Freundin und meine Kusinen nicht – ebenso wie ich – der Ansicht unserer Landsmännin sind. Jedenfalls wird es sehr amüsant werden in den kommenden Wochen. Vormittags veranstalten wir mit Ihnen und Ihren Herren Kameraden Autoausflüge in die Umgebung, um sechs Uhr wird bei uns zu Mittag gegessen und abends getanzt.«
»Großartig! Nur möchte ich Sie bitten, ab und zu auch den hiesigen Regimentskommandeur einzuladen. Der hat die merkwürdige Gepflogenheit, zu den unglaublichsten Tages- und Nachtstunden seinen Leutnants Dienst anzusetzen. Es wäre mehr als gemein, wenn er dadurch unser reizendes Vergnügungsprogramm stören würde.«
Frau von Döhlau in ihrer süßen Unbekümmertheit um die realen Dinge des Lebens verstand den Spott nicht. Sie stieg in ihr am Fuße der Treppe vorfahrendes Auto: »Da muß mein Mann eben mit diesem Herrn Regimentskommandeur ein ernsthaftes Wörtlein sprechen. Und wo sieht man sich heute abend, mon lieutenant?«
»Wenn gnädige Frau uns mit dem Herrn Gemahl im sogenannten Schützengarten die Ehre geben wollte? Da feiert die fünfte Schwadron ihr Fest.«
»Die Schwadron des Herrn Rittmeisters von Foucar? Dann kommen wir bestimmt!«
»Es wird uns eine Riesenehre sein! Aber darf ich zur Erhöhung meiner Vorfreude nicht den Namen der Freundin erfahren, die gnädige Frau zur Belohnung meiner vielfältigen Tugenden einzuladen gedenken?«
Das Auto zog an, Frau von Döhlau lächelte dem Offizier über die Schulter zu: »Leider nein, das würde mir den. größten Teil der geplanten Überraschung verderben. Ich bitte Sie auch, über unser Komplott zu jedermann zu schweigen …«
»Selbstverständlich! In Verschwiegenheit bin ich eine der leistungsfähigsten Firmen am hiesigen Platze …«
Karlchen Gorski klappte mit einer letzten Verneigung die Hacken zusammen und ging durch die leeren Gastzimmer des Vorderhauses nach dem Festsaale hinüber, in dem das große Diner stattfand. Sein Fehlen an der langen Tafel der Leutnants war sicherlich gar nicht bemerkt worden.
Wenn aber doch – um Ausreden war er noch nie verlegen gewesen. Und er war sehr mit sich selbst zufrieden, weil er wieder Gelegenheit gehabt hatte, ein wenig Schicksal zu spielen. Die Einladungen, mit denen diese putzige kleine Frau ihn zu belohnen gedachte, interessierten ihn nicht. Sein Herz war längst, wie man zu sagen pflegte, in festen Händen. Bei einem gerad gewachsenen und gut gezogenen Mädel, das sich in dem Jahr der Trennung aus einem spillerigen Backfisch zu einer hold erblühten Jungfrau entwickelt hatte. Die gedachte er zu heiraten, wenn die Frage des Kommißvermögens glücklich gelöst wäre, und mit ihr eine ordentliche Ehe zu führen. Unwillkürlich aber mußte er denken: wie mochte es wohl einem Manne zumute sein, der sich so einen kleinen Racker geheiratet hatte wie diese Tochter des lothringischen Hüttenbesitzers? Ekelhaft mußte das sein, zum Dienst zu gehen und nicht zu wissen, ob hinter einem das eigene Haus rein blieb …