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1 |
Gut und Leben raubte lang allen Lebenden
Jener grimme Greis:
Ueber die Wegscheide, die er bewachte,
Konnte Keiner lebend kommen. |
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2 |
Einsam immer saß er und aß,
Lud nie den Mann zum Mal
Bis müd und matt und unvermögend
Jetzt ein Gast die Gaße gegangen kam. |
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3 |
Des Tranks bedürftig betheuerte sich der Fremdling
Und heißen Hunger zu haben;
Mit verzagtem Herzen zeigt' er Vertrauen
Zu dem übel gearteten. |
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4 |
Trank und Speise spendet' er dem Müden
Gern aus ganzem Herzen,
Gedachte Gottes und gab dem Bedürftigen,
Weil er sich verworfen wuste. |
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5 |
Aufstand Jener mit übelm Vorsatz;
Nicht bedurfte der Wandrer der Wohlthat.
Die Sünde schwoll: im Schlaf ermordet er,
Wie weis er war, den Reuigen. |
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6 |
Den Gott im Himmel um Hülfe flehte der,
Als er verwundet erwachte;
Aber der Andere nahm seine Sünden auf sich,
Der ihn schuldlos erschlug. |
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7 |
Heilige Engel schwebten vom Himmel hernieder
Und bargen seine Seele:
Ein lauteres Leben lebt sie ewig
Bei Gott dem Allgütigen. |
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8 |
Besitz und Gesundheit sind Keinem sicher
Wie gut es ihm ergehe.
Oft verderbt uns, woran wir am Wenigsten dachten;
Niemand setzt sich selbst sein Schicksal. |
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9 |
Nicht versahen sichs Säwaldi und Unnar,
Daß ihr Glück so bald zerbräche;
Doch musten sie nackt, da nichts ihnen blieb,
Wie Wölfe fliehen zum Walde. |
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10 |
Zum Fall hat Viele die Liebe geführt;
Viel Schmerzen schufen die Frauen:
Mein befleckte Manche, die der mächtige Gott
Doch so schön geschaffen. |
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11 |
Schwertbrüder waren Swafudr und Swarthedin,
Mochten nicht ohn einander sein.
Eines Weibes wegen wurden sie sich feind:
Die stand ihnen zum Sturz bestimmt. |
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12 |
Alles vergaßen sie über dem Glanz der Schönen,
Scherz und schöne Tage,
Sie schlugen alles sich aus dem Sinn
Bis auf der Lieben lichten Leib. |
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13 |
Da wurden ihnen düster die dunkeln Nächte,
Sie schliefen den süßen Schlaf nicht mehr.
Aus diesem Harme erwuchs der Haß
Zwischen Bundesbrüdern. |
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14 |
Allzuoft wird Unenthaltsamkeit
Grimmig vergolten,
Den Holmgang gingen sie um das holde Weib
Und lagen beid im Blute. |
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15 |
Uebermuthes soll sich keiner vermeßen:
Des ward ich wohl gewahr,
Denn abgefallen sind allermeist
Von Gott, die sich ihm ergaben. |
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16 |
Reich und mächtig waren Nadey und Webogi,
Lustig zu leben allein bedacht;
Von Feuer zu Feuer nun sieht man sie fahren,
Die schnöden Geschwüre zu bähen. |
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17 |
Sie hofften nur auf sich und dauchten sich hoch
Ueber alle Sterblichen;
Aber den Lauf wies ihrem Looße
Anders der Allmächtige. |
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18 |
Sie lebten nach Lust und Laune dahin
Und sparten im Spiele das Gold nicht:
Das büßen nun beide, da sie bettelnd wechseln
Zwischen Frost und Feuer. |
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19 |
Dem Abgünstigen traue nicht allzuviel
Wie süß er red und raune.
Heuchl ihm Freundschaft: fremden Trug
Laßen wir weislich uns warnen. |
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20 |
So erging es Sörli dem guten,
Als er sich in Wigolfs Gewalt gab:
Er traut' ihm treulich; doch Jener trog ihn,
Der seinen Bruder erschlagen. |
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21 |
Er gewährt' ihnen Frieden als wär es von Herzen;
Man verhieß ihm Gold dagegen.
Sie schienen versöhnt beim süßen Meth;
Noch kam der Falsch nicht zum Vorschein. |
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22 |
Aber darauf am andern Tag
Als sie Rygiarthal erritten,
Mit Schwertern erschlugen sie den Schuldlosen
Und ließen sein Leben schwinden. |
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23 |
Die Hülle trugen sie auf heimlichen Wegen
Und bargen im Brunnen die Stücken.
Sie wollten es hehlen; der Herr aber sahs,
Der heilige, himmelhernieder. |
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24 |
Die Seele lud er, der süße Gott,
In seine Freuden zu fahren;
Doch mag er wohl säumig die Mordgesellen
Ihres langen Leids erledigen. |
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25 |
Die Disen bitte, die Bräute des Himmels,
Dir holdes Herz zu hegen:
Deinen Wünschen werden sie in kommenden Wochen
Alles zu Liebe lenken. |
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26 |
Das Werk des Unmuths, das auf dir lastet,
Büße nicht Böses häufend.
Liebesthat versöhne den Schwerverletzten:
Das, sagt man, frommt der Seele. |
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27 |
Um Gnadengaben flehe zu Gott,
Dem mächtigen, der uns Menschen schuf;
Uebels viel befährt der Mann,
Der seinen Vater versäumt. |
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28 |
Mit brünstigem Flehn erbitte dir
Wes du dich bedürftig dünkst.
Wer nichts erbittet dem bietet man nichts:
Wer ersinnt des Schweigenden Schäden? |
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29 |
Spät komm ich gefahren, frühe beschieden
Vor des Fürsten Thüre.
Da erhoff ich, was mir verheißen ist:
Kost erlangt wer verlangt. |
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30 |
Die Sünden sind Schuld, daß wir trauernd scheiden
Aus dieser Welt des Wehs.
Niemand fürchte sich, der nichts verbrach:
Ein reines Herz errettet. |
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31 |
Wolfsgestalt gewinnen alle,
Die wandelbaren Sinnes sind.
Da erfährt wohl Jeder, der fahren soll
Ueber feuriger Flammen Glut. |
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32 |
Freundlichen Rath und weise geflochtnen
Sagt' ich dir siebenfach:
Vernimm ihn wohl und vergiß ihn nie,
Er ist wohl werth zu wißen. |
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33 |
Erst will ich dir sagen wie selig ich war
In dieser Welt des Wehs.
Das ist das andre: daß alle Menschen
Wider Willen Leichen werden. |
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34 |
Wollust und Stolz betrügt die Sterblichen,
Daß sie nach Schätzen schielen.
Zu langem Leide wird das lichte Gold;
Manchen bethören Thaler. |
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35 |
Munter meist erschien ich den Menschen,
Denn wenig wust ich voraus:
Die zeitliche Welt hat wollustreich
Der Schöpfer geschaffen. |
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36 |
Mit Neigen saß ich und nickte lange;
Doch groß war die Lust zu leben.
Aber des Waltenden Willen entschied,
Zum Tode führen Wege viel. |
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37 |
Die Tage der Krankheit fühlt' ich unsanft
Mir um die Hüfte geheftet;
Zerreißen wollt ich sie; aber sie waren stärker:
Leichter geht sichs lose. |
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38 |
Allein wust ich, wie überall
Mir die Schmerzen schwollen.
Heim luden mich der Hölle Töchter
Graunvoll alle Abend.. |
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39 |
Die Sonne sah ich, das schöne Tagsgestirn,
Sinken in die Welt des Schreiens,
Und der Hölle Gitter hört ich mir zur Linken
Schaurig erschallen. |
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40 |
Die Sonne sah ich blutroth scheinen,
Wie ich von der Welt mich wandte;
Doch heller schien sie mir und herlicher
Als ich sie noch je gesehen. |
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41 |
Die Sonne sah ich, sie war so schön
Als säh ich Gott den Schöpfer selbst.
Ich neigte der herlichen heut zum letzten Mal
In dieser Welt des Wehs. |
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42 |
Die Sonne sah ich, so war ihr Glanz
Daß sonst mir nichts bewust mehr war.
Die Höllenflüße hallten zur Linken mir
Gemischt mit manches Menschen Blut. |
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43 |
Die Sonne sah ich bebenden Angesichts.
Der Schrecken voll und Schmerzen,
Denn mein Herz, das hart bedrängte,
Zerging in Angst und Ohnmacht. |
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44 |
Die Sonne sah ich noch selten verzagter;
Ich war der Welt schier halb entwandt;
Die Zunge stand mir starr im Munde,
So fühlt' ich sie von Frost erfaßt. |
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45 |
Die Sonne sollt ich nicht wiedersehn
Nach jenem trüben Tage;
Der blaue Himmel verbarg sich mir,
In Schmerzen entschwand die Besinnung. |
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46 |
Der Stern der Hoffnung (die Seele) in der Stunde der Neugeburt
Entflog der bangen Brust.
Er schwang sich hoch empor und setzte sich nirgends,
Daß er zur Ruhe kommen konnte. |
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47 |
Aber am ängstlichsten war mir die eine Nacht,
Wo ich starr lag auf dem Stroh:
Da verstand ich erst ganz das göttliche Wort:
Vom Staube stammen die Sterblichen. |
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48 |
Das wiß und erwäge der waltende Gott,
Der die Welt und den Himmel wirkte,
Wie einsam wir beim Abschied bleiben,
Zählten wir gleich der Freunde viel. |
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49 |
Seiner Thaten Frucht empfängt ein Jeder:
Selig. wer da wohl gewirkt!
Ich schatzentblößter kam auf ein Bett
Von schierem Sande zu liegen. |
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50 |
Der Haut zu pflegen vergißt man der Pflicht:
Dieß dünkt das erste Bedürfniss;
Doch mir verleidete sich die Lauge solchen Bads
Ueber alle Maßen. |
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51 |
Auf der Nornen Stuhl saß ich neun Tage,
Ward dann auf den Hengst gehoben.
Schauerlich schien die Sonne der Riesin
Aus Nacht und Nebel nieder. |
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52 |
Innen und außen wähnt ich alle sieben
Unterwelten zu durchwandern;
Auf und nieder sucht ich ängstlich den Weg,
Der leidlicher zu wandern wäre. |
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53 |
Nun ist zu sagen, was ich zuerst ersah
Als ich zu den Qualorten kam:
Versengte Vögel, die Seelen waren,
Flogen wie Fliegen umher. |
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54 |
Von Westen drangen die Drachen des Wahns
Und bedeckten die glühenden Gaßen.
Sie schlugen die Schwingen als sollte der Himmel
Bersten und die Erde. |
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55 |
Den Sonnenhirsch sah ich von Süden kommen
Von Zwein am Zaum geleitet;
Auf dem Felde standen seine Füße,
Die Hörner hob er zum Himmel. |
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56 |
Von Norden ritten der Nüchternheit Söhne;
Ihrer sieben sah ich.
Volle Hörner hoben sie des herlichen Meths
Aus des guten Gottes Brunnen. |
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57 |
Der Wind schwieg, die Waßer stockten:
Da hört ich kläglichen Klang.
Aus allen Kräften eifrige Weiber
Malten das Müll zum Mal. |
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58 |
Triefende Steine sah ich die traurigen Weiber
Uebel handhaben;
Blutige Herzen hingen von ihren Brüsten
Zu langem Leide nieder. |
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59 |
Viel Männer sah ich matt von Wunden
Auf den glühenden Gaßen.
Ihr Angesicht dauchte mich immerdar
Roth von rauchendem Blut. |
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60 |
Viele sah ich der Erde befohlen
Ohne das letzte Geleit;
Heidnische Sterne umstanden ihr Haupt
Von Todesstäben getroffen. |
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61 |
Manche sah ich da, die der Missgunst sich
Um Anderer Glück ergeben,
Blutge Runen standen auf ihrer Brust
Vermerkt des Meines halb. |
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62 |
Manchen sah ich da, der weglos muste
In der Oede traurig irren.
Der Lohn wird dem, der dieser Welt
Eitelkeit sich äffen läßt. |
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63 |
Männer sah ich da, die manches Stück
Von Anderer Gut sich angeeignet;
In Scharen gingen sie zu Schatzliebs Burg
Und schleppten Bürden von Blei. |
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64 |
Männer sah ich da, die Manchen hatten
Entleibt dem Gut zu Liebe;
Die Brust durchbohrten den Bösewichtern
Grimme Giftdrachen. |
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65 |
Männer sah ich da, die es missen wollten,
Die heiligen Tage zu halten.
Ihre Hände waren an heiße Steine
Nothfest genagelt. |
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66 |
Männer sah ich da, die mehr als billig
Der Hochmuth höhnte.
Ihr Gewand war wunderbar
Uebergoßen mit Blut. |
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67 |
Männer sah ich da, die manch Wort hatten
Auf andre Leute gelogen:
Ihren Häuptern hackten die Höllenraben
Eifrig die Augen aus. |
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68 |
Alle Schrecken mag Einer nicht wißen,
Die die Höllenkinder quälen.
Süße Sünden werden schwer gebüßt;
Hochmuth kommt vor dem Fall. |
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69 |
Männer sah ich da, die manchen Schatz
Gott zu Liebe gegeben:
Himmlische Kerzen über ihren Häuptern
Brannten lichterloh. |
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70 |
Männer sah ich da, die großmüthig
Den Armen geholfen hatten:
Heilige Bücher lasen die Himmlischen
Ueber ihren Häuptern. |
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71 |
Männer sah ich da, die sich gemartert
Hatten viel mit Fasten.
Ihnen neigten die Engel Gottes:
Das ist süße Seligkeit. |
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72 |
Männer sah ich da, die ihrer Mutter
Das Mal zum Mund geführt.
In Himmelsstralen standen ihnen
Die Betten gebreitet. |
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73 |
Himmlische Mädchen wuschen ihnen
Die Seele rein von Sünden,
Die freiwillig mit keuschem Fasten
Sich manchen Tag gemartert. |
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74 |
Himmlische Wagen sah ich zum Himmel fahren
Empor die göttlichen Gaßen.
Männer lenkten sie, die unter Mörderhand
Ledig sanken aller Schuld. |
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75 |
Allmächtiger Vater, gleichmächtiger Sohn,
Heiliger Geist des Himmels,
Dich bitt ich, nimm die du erschaffen hast
Uns aus dem Elend alle. |
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76 |
Beugwör und Lisiwör sitzen vor des Hirten Thor
Auf dem Orgelstuhl,
Flüßiges Eisen entfließt ihren Nasen;
So weckten sie Haß und Wuth. |
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77 |
Frigg, Odins Frau, fährt auf der Erde Schiff
Zu der Wollust Wonne,
Ihre Segel senkt sie spät,
Die an harten Tauen hangen. |
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78 |
Erbe, dein Vater allein verhalf dir
Mit Solkatlis Söhnen
Zu des Hirschen Horn, das aus dem Hügel nahm
Der weise Wigdwalin. |
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79 |
Das sind die Runen, die da ritzten
Njörds Töchter neun,
Radwör die älteste, und Kreppwör die jüngste
Mit ihrer Schwestern sieben. |
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80 |
Welche Gewalttaten wirkten nicht
Swafr und Swafrlogi!
Blut weckten sie, Wunden sogen sie
Tödliche, bitterböse. |
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81 |
Dieses Lied, das ich dich lehrte,
Sollst du vor dem Volke singen:
Das Sonnenlied wird selten wohl
Den Leuten zu lügen scheinen. |
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82 |
Hier laß uns scheiden; am schönen Tag
Finden wir uns wieder.
Gebe Gott den Begrabnen Ruhe
Und verleihe den Lebenden Frieden. |
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83 |
Tröstliche Lehre ward dir im Traum gesungen
Und Wahrheit ward dir enthüllt.
Von allen Lebenden war Niemand so gelehrt,
Daß er das Sonnenlied singen hörte. |