August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

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Vierundsechzigstes Capitel.

Es gibt doch noch gute Menschen. Dies Kapitel erzählt es und wie sie lieben und wie sie zürnen.

In dem Vorzimmer Schwach's harrten schon lange ungeduldig zwei selig und doch betrübt pochende Menschenherzen auf den Abgang des Fliegenbesuches.

Menschenherz an Menschenherz ging in diesen zwei verschiedenen Paren vorüber, beide hatten sie Ein Ziel, den armen, gefallenen Schwach – wie verschieden waren sie! – –

Draußen vor der Wohnung sprach die Fliege, die ihrem Befriedigtsein Worte geben mußte, kichernd zu ihrem Gemal: »Jetzt wird er doch genug haben? So, jetzt kann er sich's merken!«

Drinnen sprach Madame Trullemaier, zitternd, mit dem Büchlein in der Hand, das sie unter der Schürze barg, als ob es den Tagesschein meiden müßte: »Ach, wenn es nur mehr wäre!«

Menschenherz und Menschenherz!

Den heutigen Tag hatten Poll und Madame Trullemaier als den großen, ereignißreichen festgesetzt. Das Abwälzen der schweren, drückenden Last vom Herzen, litt keinen Aufschub mehr, und der Besuch, der wahrlich so frühzeitig – um das Opfer ja nicht zu versäumen – hätte ausbleiben können, bewirkte ein peinigendes Harren.

Endlich waren die Fliegen von ihrem Zucker, den sie 165 mit ihren Rüsseln gierig beleckten und aufsogen, davon geflogen, und die beiden Diener traten zu Schwach, der sich vor Schmerz hätte eben ausweinen mögen, und dem die Seltenheit und Schwere, womit die Thränen-Quelle beim Manne fließt, diesmal den Schmerz nur noch härter und drückender machte.

Wäre es nicht das schönste Bildchen für einen Maler: Poll und Madame Trullemaier voll Scham, Herzbedrängniß, und stiller Seligkeit, im Bewußtsein einer recht ehrlichen That, vor Schwach stehend, verlegen um Worte suchend, und Schwach selbst, verlegen, voll Weh, bedrängt, und doch voll Herzlichkeit seine beiden Diener vor sich sehend?

Welcher Maler könnte aber das Verhältniß der Personen ausdrücken, ihre Dankbarkeit erkennbar, ihr Fühlen, ihre That und ihr Verhältniß deutlich machen?

Es wäre ein ehrendes Bild für die Kunst, ein ehrendes Bild für das Menschenherz – trotz der Fliege und gleichartigem Geschmeiß!

Da steht aber der Farbenkünstler beschämt und gesteht seine Geringfügigkeit; da muß jedoch auch das schildernde Wort bescheiden weichen. Das ganz so darzustellen wie es war, dazu ist die Sprache zu schwach, die Satzfügung zu schwerfällig, und Tinte und Druckschwärze fallen plump auf das Papier, wo schimmervoller, durchsichtiger Hauch und Duft sein sollten.

Treue und Herzlichkeit und Vergeltung sind doch kein leerer Wahn! –

Kein leerer Wahn, trotz Fliege und ähnlichem Geschmeiß! –

Sie gingen alle Drei, Schwach und seine Hausleute, 166 mit schweren, bittern Thränen auseinander; – es war keinem dieser braven Menschen zu helfen!

Schwach wollte nichts von Poll und Madame Trullemaier; diese wollten nicht von Schwach die Entlassung oder das Anerbieten des ungestörten Verhältnisses nehmen, indem er ferner wieder wo arbeiten wolle, wenigstens bis sich für Poll und die Haushälterin gute Plätze finden würden. Er war gerührt und selig von der Dankbarkeit guter Menschen, denen er doch nur, wie er sich sagte, ihren Dienst bezahlt hatte! Und doch war er geistig vernichtet, daß es mit ihm so weit gekommen, daß seine Diener sich bewogen fanden, ihm ihr sauer Erspartes zu seinem Auskommen geben zu wollen!

Es war das Beste: sie gingen alle Drei ohne endliche Verständigung auseinander und brachen, von Thränen erstickt ab. Es war das Beste; was sollte sonst das Ende werden?

Schwach, dem die peinigenden Fliegenstiche nicht die Thränen hervorzulocken vermochten, Schwach traten sie doch jetzt vor die Augen.

Es dringt das Edle doch tiefer ins Herz, als das Böse!

Madame Trullemaier, nachdem sie sich draußen recht ausgeweint und ausgeschluchzt hatte, und die dabei so schwach geworden war, daß sie nun den niedern Holzblock wieder als Sitz verwenden gemußt, Madame Trullemaier sprang endlich, nach längerem hingebenden Schmerze, auf und wirthschaftete so energisch, daß von dem Klopfen ihres Hackmessers, von dem Brodeln und Zischen der Pfannen und Töpfe, ihr Herz, ihr ganzes Inneres betäubt ward.

Poll war auch lange nicht zu sehen, und in seinem Kabinetchen versteckt; aber endlich hörte man ihn draußen 167 klopfen, bürsten, werfen, poltern mit allerlei Zeug, und wieder klopfen, und wieder mit den Bürsten rauschen, als ob es gälte aus allen Stoffen unter seiner Hand den feinsten Staub zu fabriziren!

Er hatte nicht minder den Vorsatz der Selbstbetäubung; und gerade war es ihm, als müßte er, Schwach zum Trotze, dienen und putzen und reinigen, daß der Schweiß von den Backen rinne!

Auch nahm er sich fest vor – jetzt müsse das Ding anders gehen! »Jetzt habe ich lange genug den Kopf gehängt. Hoch auf, alte Rosine!« rief er sich zu, »Philosophie!« – Und hätte er einen Hut auf dem Kopfe gehabt, sicherlich, er hätte kühn herausfordernd ihn auf ein Ohr geschoben. So aber begnügte er sich blos, sich Eines zu pfeifen, und er pfiff recht trotzig-lustig darauf los, hämmerte mit dem Stäbchen noch ärger auf einen Fußteppich, ja arbeitete wüthend drein, wenn er merkte, daß eine vorübergehende Person nicht von dem Staube zu ersticken drohe.

Manche passirende Dame des Hauses warf ihm wüthende Blicke zu und keifte durch die Wolken hindurch; aber Poll überhallte nur noch ärger mit dem Klopfstäbchen ihre Worte; und wenn ein Herr vorüberging, pfnausend, athemlechzend, »pfühhh!« endlos vor sich blasend, das that ihm heimlich, aus Zorn gegen diese Menschheit, wohl!

Er rächte sich so an der schlechten Welt, die seinem Herrn so hart mitspielte. 168



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