August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

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Einundsechzigstes Capitel.

Ein reuiger Sünder – Sturmglocken klingen – ein Haus brennt – die Feuermänner und abermals eine Geschichte aus dem Feuer – das Ende eines Kapitalmenschen.

Stehe auf, armer, gebrochener Familienvater, Du sorgender Mann, der Du für Deine verlangenden Kinder Brot schaffen mußtest, dessen heißes Herz mit dem raschen Verstande davonlief, der an Außerordentliches glaubte, weil rings umher die Welt mit Außergewöhnlichem ihn blendete – der an den Schein sich hingab, weil derselbe glänzte – der leichten Glaubens, leichten Sinnes, leichten Wortes und leichter Zunge, aber auch leichten Kisten und Kastens war, und doch für eine zahlreiche Familie in schweren Sorgen Brod schaffen mußte!

Wäre Schwach ein strenger, zürnender Richter gewesen und hätte über den vor ihm auf den Knien Liegenden das Beil geschwungen – der zusammengesunkene Sünder hätte in diesem Augenblicke den Hals nicht gezuckt; hingestreckt hätte er ihn mit dem ergebenen Ausdrucke: »Herr, ich habe gesündigt – ich trage die Schuld – ich will die Strafe tragen!«

So gebrochen, so vernichtet, so gewissensgepeinigt lag Schnepselmann, und er, der Wortreiche, der Mann mit rastlosen Händen und Gliedern – regte sich nicht und schwieg!

Wie lange wäre er da gelegen, hätte Schwach nicht gehandelt? Aber Schwach, der am meisten vom Schmerz 131 Belastete, der allseitig Enterbte, Beschädigte, zu Grunde Gerichtete, Schwach, mit gemartertem Herzen, dem die Folterstöße und Marterwerkzeuge des Schicksals doch nicht die Güte aus dem Innern treiben konnten, Schwach senkte nach kurzer Ueberraschung und lautloser Pause das milde, blaue Auge zu ihm hinab, legte ihm die sanfte, weiche, runde Hand auf die wirren, schweißdurchnäßten Hare und rief gerührt: »Schnepselmann!«

Schnepselmann zuckte auf unter diesem rührenden Rufe und würgte ein Schluchzen zurück. Er war ein Mann und mußte sich doch des Weinens schämen!

Krimpler stand und sah die rührende Gruppe; fast hätte er ganz Rübe's vergessen, so erfüllt war sein Herz von diesem Auftritte.

Als Schnepselmann noch kniete und noch das Wort nicht nehmen konnte, nahm es Schwach wieder. »Stehen Sie auf, Schnepselmann!« sagte er sanft und tastete dem Angeredeten, wie ein Vater einem Kinde, auf den Kopf. »Stehen Sie auf . . . Sie können nichts dafür!«

»Sie können nichts dafür!« Das war das Wort; und kein kunstreicher Redner hätte, bei allem Suchen nach Worten, treffender das rechte, belebende, einfachst bezeichnende Wort finden können. Schnepselmann erhob sich, wie von einem Lebensfunken geweckt, er sah Schwach ins Gesicht, er erkannte in dem treuherzigen Auge, in dem mitleidsvollen Zug um die Lippen, den Edlen – und jetzt mußte er den Mann innig an sich drücken!

Schwach suchte nach seiner Hand und drückte sie ihm mild versöhnend. Wäre der leiseste Zweifel über den Agenten in ihm aufgestiegen, jetzt, bei diesem Benehmen, bei 132 dieser Treuherzigkeit, die Schwach zu erkennen glaubte, wäre der Zweifel gewichen für alle Zeit.

Es gibt ein Benehmen, welches die Unschuld heiligt und erkennbar macht! Kein Schaukünstler wird es ganz nachahmen, kein Heuchler es richtig treffen. Und gibt es Schurken, welche es im Leben, zum rechten Augenblicke wirklich treffen, wolan, dann sind sie Ausnahmen, Ausgeburten der menschlichen Gesellschaft, wie sie die Natur nur selten mißzeugt!

Jetzt fielen die ersten bangen Worte von allen Seiten. Wie die gelöste, zurückgedrängt gewesene Quelle erst langsam wiederkehrt, dann aber mit voller Strömung sich ergießt, so waren auch die Worte hier. Mittheilungen der bewegendsten Art, bedrückende und erlösende, wurden lange von allen Dreien gewechselt.

Diese Vorgänge nahmen Zeit in Anspruch. Vom ersten Eintritte der Unglücksschwangeren, bis jetzt, waren geraume Stunden verflossen. – Der Abend brach herein und begann mit seinem versöhnenden Schleier die betrübten Gesichter, die gepfändeten, entstellten Möbel, die ganze bejammernswerthe Umgebung einzuhüllen.

Da tönten plötzlich dumpf von den nahen Thürmen die Glocken. Ein schwerer Schlag . . . ein zweiter nach kurzer Pause . . . ein dumpfes Zusammendröhnen von Glocken . . . Feuer! Feuer! lärmte es durch die Straßen.

Die Menschenmassen kamen in eilende Bewegung, die Wagen setzten sich in Galopp . . . Jetzt rasselten die schweren Spritzen und Wasserwägen über das Steinpflaster . . . die Signalhörner bliesen markdurchdringend . . . Feuer! 133 Feuer! Der Lärm wurde größer, das Geschrei und Gewirre stärker.

Schnepselmann eilte zum Fenster. Als besorgter, in feuergefährlicher Umgebung wohnender Familienvater, rief er zuerst zum aufgerissenen Fenster hinaus: »Wo Feuer? Wo?« –

Die Eilenden kümmerten sich anfänglich nicht um den Ruf, dann sendeten aber einige tüchtige, zur Hilfe vorüber rennende Schreier, den Namen der Straße nach der Höhe. –

Das Feuer war außer der Tragweite zu den Wohnungen aller Anwesenden.

Aber, fast gleich nach den ersten Antwortenden, wiederholte ein zweiter Trupp den Ruf und setzte ein Wort hinzu. –

Hatte Krimpler recht gehört?

»Bei Wem?« rief er rasch. –

»Bei Rübe!« schrieen die früheren Stimmen hinauf.

»Rübe!« wiederholten Schnepselmann und Krimpler zugleich und sahen sich bleich gegenseitig ins Gesicht.

»Kommen Sie, kommen Sie!« rief Krimpler endlich rasch, erfaßte Schnepselmann bei dem Arme und zog ihn fort. Beide beschworen Schwach, sich zu beruhigen und hier zu warten – sie wollten wiederkehren – und sie eilten davon.

Draußen stürmte es, rasselten die Wagen fort, bliesen die schaurigen Hörner.

Während das Geschrei und Rennen der bewegten Masse währte, brach vollends der Abend herein . . . der Horizont röthete sich, der Flammenschein und die Rauchsäule waren von Schwach's Fenster aus sichtbar. 134

Er stand hinter den Scheiben und sah dahin.

Dort war der Mann, der sein Vermögen in der Hand hielt. –

Sein Vermögen? – »Und wenn das Gericht zu Ende mir doch etwas zuerkennen würde – dort steigen die Rauchsäulen – in den Flammen prasselt meine Zukunft empor – auf dem Schutthaufen wächst meine Armut! –«

Armer Schwach; wie wehe, wie wehe war ihm!

Lange stand er so und starrte hinaus. Wäre sein Herz jetzt frei, sein Arm gestärkt, von kräftigem Willen belebt gewesen – er wäre hinausgeeilt und hätte seinem Feinde das Wasser zugeschleppt, hätte gelöscht und geholfen wie der eifrigste, dafür besoldete Arbeiter. So aber war seine Kraft vernichtet; er stand und sah zu – dort ragte die Flammen- und Rauchsäule seines nun jedenfalls sicheren Elends empor!

Lange währte der Brand, lange war sein Harren. –

Endlich, es herrschte draußen bereits tiefes Dunkel und die Lampe brannte bereits bei Schwach – da hörte Schwach seine Außenthüre gehen – viele und schwere Tritte wurden hörbar – ein ganzer Zug Menschen kam herein.

Es waren Krimpler, Schnepselmann dabei, und mehrere Arbeiter, mit ledernen Schurzfellen, entblößten schwarzen Armen und rußigen Gesichtern – ein Geschlecht von Ziklopen! –

Einige Arbeiter stützten einen Kameraden, der eine Wunde am Kopfe hatte, und er sah sehr schmerzlich, aber doch mit männlicher Kraft darein.

Ein junger, über und über berußter Arbeiter, aber doch dabei schön in seiner schlanken, kräftigen, wohlgebauten 135 Gestalt, leitete fast den Zug; und sie ließen den verwundeten Ziklopen auf einen weichen Stuhl in Schwach's Zimmer nieder.

Schwach konnte sich vom Staunen gar nicht erholen.

Krimpler und Schnepselmann reichten ihm stumm und bewegt die Hand.

Da trat der junge, kräftig gebaute Arbeiter lächelnd hervor – streckte ihm auch seine sehnige Hand entgegen, und sagte lächelnd: »Gott zum Gruße – kennen Sie mich nicht, Herr Schwach? –«

»Otto!« rief Schwach erstaunt aus, nachdem er ihm ins Gesicht gesehen hatte. »Krimpler's Otto . . .«

»Ja, mein Otto!« sagte Krimpler, als flößte ihm der Beisatz »Krimpler's Otto« Stolz und Freude ein.

»Wie kommen Sie hierher?« fragte Schwach.

»Brave Männer, ausgezeichnete Männer!« nahm schon Schnepselmann das Wort und sprudelte einen Schauerregen von Lobeserhebungen, trotz seiner Athemlosigkeit, auf die Arbeiter. »Noch nie gesehen; unerhört; dieser Muth; welche Verwegenheit; ohne sie wäre Alles verloren, Alles! – Wie die Feuergeister, wie . . .«

»Brave Jungens!« rief Krimpler dazwischen aus, und Otto unterbrach vollkommen Schnepselmann's Strom der Beredsamkeit.

»Wir waren seit heute Morgens,« sprach er, »herübergekommen, um in einer neuen Fabrik eine Dampfmaschine aufzustellen. Ein prächtiges Werk, das manchen tüchtigen 136 Hammerschlag gekostet und unter Phillip's Maschinen keine der schlechtesten ist! Wir waren herübergekommen mit Rädern und Werkstücken, um die Maschine aufzustellen, und haben tüchtig gearbeitet! – Wir waren eben im besten Hämmern, Fügen und Klopfen, da stürmten draußen die Glocken. Feuer! hieß es, Feuer! – Das war das Wort für uns! – Feuer, das bringt Leben in unsere Glieder; aber nützen muß es und nicht stören, sonst sind wir alle wie die Teufel los d'rauf, wir alle, Männer vom Eisen und was mit dem Pochhammer zu thun hat! – Vorwärts! – Hurrah! riefen wir; – und Alle schnurstracks fort auf gesunden Beinen, wohin uns die vorrasselnden Spritzen und Wasserwagen zeigen wollten. Wir liefen und kamen in die Straße, die ich gut kannte, in das Haus das ich kannte . . . da war der Platz meines Vaters, Rübe's Komptoir! – Hurrah Jungen! sagte ich, das geht mich an, da ist mein Vater bedienstet – d'rauf los! – Und wie die Wildteufel stürzten sie darein, und wälzten sich mit feuchten Decken, und trugen Schläuche an die gefährlichsten Orte. Wie die Katzen kletterten sie, wie Feuergeister sind sie in die Flammen gegangen! Meine braven Kameraden sollen leben! Wenn sie viel, fast dasselbe auch ohne mich gethan hätten; aber auf meinen Ruf waren sie doch noch mehr beseelt – sie sollen leben!«

Dabei schwang Otto seinen Arm zur Höhe und brachte es ihnen aus. Die neugierig miteingedrungenen Fremden stimmten ein dreimaliges, begeistertes, »Lebe hoch!«

Otto fuhr wieder fort. »Ruff drang mit ein in die Räume..– Sie kennen Ruff?«

»Wer ist Ruff?« fragte Schwach. 137

»Dieser da!« entgegnete Otto und zeigte auf den Verwundeten. Dieser lächelte unter seinem Ruße und Blute. »Ruff, unser wackerer alter Heizer, mit den sonderbaren Geschichten; – ich habe Ihnen ja erzählt . . .«

Schwach ging rasch hin und drückte ihm die Hand, was Ruff, trotz Schmerzen, lächelnd erwiderte.

»Ruff war auch dabei!« fuhr Otto fort. »Und dieser alte Feuergeist hat das Seine gethan! Die Bücher, die Kasse! rief ich. Und wir wälzten, mit Gefahr, brennende Warenballen wenigstens halbwegs hinweg, die vor der Komptoirthüre herabgestürzt waren – sprangen durch die lodernde Flamme, und brachen hinein. Drinnen gloste und glimmte schon Alles. Die Papiere rauchten. Nur daß der Hofwinkel so schmal und der Luftzug dort so geringe war, machte es, daß nicht schon Alles in hellen Flammen stand und ausgebraunt hatte. Wir schlugen die Scheiben ein, brachen die Eisengitter aus, warfen die Bücher hinaus, wo sie gelöscht und in Sicherheit gebracht wurden, und arbeiteten fort. – Das Feuer ist angelegt! rief Ruff. – Woher kömmt dieses frische Stroh, dieser Pack Zünder hier? – Ich arbeitete und löschte fort; er aber drang auf die nächste Thüre, die nicht öffnen wollte. – Sie war verschlossen – er hieb ein und sprengte sie – drinnen war Alles in lichten Flammen. – Das ist angelegt! rief Ruff wieder – hier innen könnte es sonst nicht brennen! Er drang durch Feuer und Rauch zur Kasse – sie war nicht verschlossen; die Kasse war leer, blos mit Papierfetzen und Feuerungsmaterial belegt. – Hier muß, nicht lange noch, ein Spitzbube gewesen sein! rief Ruff in 138 den erstickenden Rauch. Die Kasse ist absichtlich offen und mit Papieren zum Verkohlen belegt! – Ruff sah um sich – ja dort – zwischen einer kleinen Hinterthüre, war ein Stück Tuch eingeklemmt – ein Rock-Ende; das Thürschloß war falsch, neben dem Riegelloche zugesperrt, wahrscheinlichst in Eile. – Ruff riß die tapetenverkleidete Thüre auf, stürzte in den finstern, schmalen Gang, der zu ihr führte – es gloste und glimmte – dort zuckte abermals ein Zündhölzchen auf, das die böswillige Hand auf einen Augenblick sehen ließ. – Ruff stürzte darauf los – er griff und faßte einen Mann! Der Mann wehrte sich und packte fest – sie stürzten zu Boden – das Stroh alter Warenballen zündete sich um sie – sie wälzten im Feuer – der Mann schlug mit einem schweren Schlüssel nach Ruff's Kopf – Ruff griff erschöpft, aber wie ein Wolf mit den Zähnen nach des Mannes Brust und wälzte sich vorwärts. – »Hilfe, Hilfe!« – Sie kam auf das Geschrei – sie waren Beide erlöst! –«

Otto holte nur kurz und heftig Athem, dann fuhr er fort. »Die Feuerwache war bereits da und nahm den Mann in Empfang; er war mit Schriften, Geldern, Obligationen schwer bepackt – es war der Räuber und Mordbrenner!«

»Wer ist er? Kannte ihn Niemand?« fragte Schwach.

Otto wollte eben Antwort geben, da schlug auf der Straße unten herauf ein Schreien und Toben, von den Stimmen einer Volksmasse, und drang zu dem offenen Fenster herein. Die heimkehrenden Spritzen rasselten dazu und die Flammen der Fackelmänner, die auf den Wagen saßen, zuckten grellroth in die Höhe. 139

Alle eilten ans Fenster.

Da war ein sonderbares, ergreifendes Schauspiel zu sehen. –

Eine Soldaten-Patrouille mit aufgepflanztem Bajonnette transportirte einen Mann. Die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden, der Rock wehte zerrissen und in verbrannten Fetzen um seinen Körper; – eine zerzauste, zottige Perrücke hing, wie zum Hohne, sonderbar auf seinem kahl durchschimmernden Schädel; – die Fackeln beleuchteten ihn!

Schwach sah hinab auf den Transport – den kleinen elenden Mann – sah noch einmal recht hin . . .

»Rübe!« rief er, und stürzte entsetzt vom Fenster zurück.

Der kleine spindeldürre Mann in Fetzen und zausiger Perrücke, vor den Ausbrüchen der wüthenden Volksmasse, die ihn umheulte, geschützt durch Bewaffnete, welche ihn transportirten; – der Mann mit den Händen auf dem Rücken geknebelt, beleuchtet vom grellen Fackellichte – der Räuber und Mordbrenner, welcher ins Gefängniß wanderte – war . . . Rübe, der Kaufherr – der Kapital-Mensch!140



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