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Ein wohlhabender Besuch voll Armseligkeit.
Schwach's Unglück, in Verbindung mit Rübe's Bankerott und den Nebenumständen, verfehlten nicht dem Publikum der Stadt angenehme Aufregung und willkommene Zerstreuung zu verschaffen.
Auf allen Bierbänken wurden große Diskussionen gehalten; zwischen den trennenden Abgründen von Glas zu Glas der Unbekanntesten, schlug sich die vereinende Brücke der Konversation; und die Geister der Dummheit, der flachsten Ansichten, der Schadenlust, des zeitverwüstenden Geschwätzes, der Uebertreibung, hielten ihren Kirmeßtanz darauf; nur selten, besser gesagt gar nicht, fiel ein Wort des Mitleides.
Schwach war ja ein Mann, der im Stillen gewirkt, und von dem es nicht mit großen Buchstaben oft in gewissen Rubriken der Zeitung geheißen hatte: »Her Herkules Schwach, Privatier, mit dem Motto: – hier beliebe Jeder nach Lust einen recht langen Bibelvers, oder eine vielzeilige Gedichtzitation einzuschieben – einen Thaler.« – Wie konnte Schwach, bei einem so unpraktischen Verfahren, Achtung oder gar erst Mitleid erwecken, da er die alberne Weise des Wohlthuns hatte, keinen Armen unbeschenkt, ja nicht reichlich bedacht von seiner Wohnung gehen zu lassen, während er sie alle hätte sehr gut von der Thüre stoßen und für den zehnten Theil des Geldes sich in der Zeitung einen Wohlthäter genannt sehen können! – Wie kann man nur so verkehrt handeln und einem im Elende lebenden 151 Familienvater, der zu verschämt ist, um Jemanden um ein Stückchen Brod anzuflehen, und dessen Elend man zufällig erfährt, eine reichliche Spende zart und geheim zukommen zu lassen – während jede landesfürstliche Behörde, für ein weit kleineres Geld, eine öffentliche Danksagung erläßt, »dem edelmüthigen Spender,« der einem ohnehin reich dotirten, unter hohem Protektorate stehenden Institute, noch etwas schenkt?
So ein Familienvater ißt sich einmal, nach langem Hunger, mit seinen unschuldigen Kleinen satt – aber von Druckerschwärze versteht er nichts. – Er ist zu bedauern; aber man kann ihm nicht helfen! – Und hilft man ihm– dann erfüllt sich das Schicksal in gerechter Weise, wenn es Einem wie Schwach ergeht.
Die Herren A, B, C und &c., wissen das sehr wohl und sind – »wahrhaft edelmüthige Spender!«
Auch die Chokoladefabrikanten wohnen nicht jenseits des blauen Flusses, auch in ihre Laden dringt die Kunde der wichtigsten Geschehnisse; und wenn Herr Fliege bei einem großen Päckchen homöopathischer Chokolade von der Kunde des Schwach'schen Ereignisses erreicht wurde, darf es uns gar nicht wundern.
Herr Fliege eilte sogleich zu seiner Frau und hielt eine sehr demosthenische Rede, in Folge derer man die unter dem Fette prasselnd gewordene Stimme der guten dicken Dame sehr angelegentlich, und für das Fett anstrengend, kichern gehört haben wollte.
»Das ist das Ende von den Grundsätzen solcher Leute!« sagte Fliege unter Anderm. »Und es geschieht ihnen recht, weil sie ihre Nase zu hoch tragen und sich um Unsereins, auf die man doch gewiß stolz sein kann, gar nicht umsehen!« 152
»Jetzt sollten wir ihn besuchen!« rasselte Madame Fliege. –
Herr und Madame Chokolade erschienen auch wirklich, sobald der Kakao und die fälschende gemeine Bohne es erlaubten, bei Schwach, und man will, auf dem Wege, von der Dame die Worte gehört haben: »Warte, Dir werden wir es zeigen!«
Wem mag dies gegolten haben?
Etwa Schwach's Widersachern?
Schwach sah seine sehr entfernten Verwandten eines Morgens eintreten, und das Blut schoß ihm vor Scham und Wehe zu Herzen. Vor Scham über das stattgehabte Ereigniß, vor Wehe über den Gedanken, den Verwandte ihm hervorriefen: meine arme Mutter . . . nicht einmal den Gedanken an eine Mutter soll ich haben! –
Herr und Madame Fliege waren sehr elegant gekleidet, sehr elegant! An dem Halse hingen dicke, schwere Goldketten, an den Fingern strotzten plumpe Goldmassen in Ringformen, am Jabot streckten sich Nadeln und Knöpfe vor, an der Taille hingen und glänzten Uhren, Uhrenketten, ganze Troddel von Petschaften und Bijouterien, die Beiden waren geschmückt, wie es wohlbehäbige Bürger, im Bewußtsein ihres Steuerbogens und ihrer Stadtgerechtigkeit, nur immer in schönster Ueberladung sein können.
So geschmückt hatte sie Schwach noch nie gesehen.
Fliege nahm die scheinbar freundlichste, unschuldigste Miene an, und die Dame setzte sich, mit möglichster Ausbreitung ihres Seidenkleides, damit Schwach es ja besehe und bedenke, was die Elle gekostet haben möge!
»Sie befinden sich, mein lieber Verwandter?« fragte Fliege mit seinem Fistel und einem eigenthümlichen Anfluge 153 in der Höflichkeit. Dabei sah er auffällig im ganzen Zimmer umher. So rasch, daß keine Antwort erfolgen konnte und auch keine erfolgen sollte, fuhr Fliege fort. »Haben von dem Malheur gehört. – Doch, Sie sehen, trotz der Geschichte, gut aus! – Nun, wenn ein Mann in der Noth nur gesund ist!«
»Sind die Siegel alle an einem Tage angelegt worden?« fragte die Dame mit angenommener Naivität, indem sie Schwach mit Freiheit ins Gesicht sah. – »Du, Emerich, siehe einmal, so viel Siegel!«
»Mein lieber Schwach!« pfiff Emerich Fliege mit der Pickelflöte seiner Stimme. »Sie wissen, ich bin ein Mann von Grundsätzen, und als Mann von Grundsätzen bleiben ich mir treu. Ich habe schon damals, als die Summe aufgefunden wurde, und wir als Verwandte von der Seligen nichts erhielten, gar nichts, schon damals habe ich gesagt – Sie sind unser Verwandter und sage es noch, trotz Ihrem Prozesse!«
»Sehr schön von Ihnen, sehr schön!« sagte Schwach, dem der geringste Glaube in dieser Hinsicht Trost war.
»Und ich habe zu meiner Frau gesagt,« flötete Fliege weiter, »Frau! Obwol uns Schwach nicht besucht, obwol er nicht an uns gedacht, die ganze Zeit über . . . . mein Grundsatz bleibt, wir dürfen doch seiner nicht vergessen!« –
»O das ist edel,« sagte Schwach gerührt; »und ich danke Ihnen!«
»Aber, Herr Schwach,« sagte, nur boshafter durch Schwach's Ernst, die Frau mit sehr fettgedrückter Stimme, »Sie können sich doch in Ihrer Wohnung setzen wie Sie wollen, trotz der Pfändung, nicht wahr? – Emerich, sieh 154 nur die schönen Möbel!« Und sie lächelte heimlich unter der Nase.
Schwach fuhr es jetzt wie Nadeln ins Herz.
»Ich habe mir gedacht,« pfiff Fliege weiter, »der arme Schwach ist jetzt ganz ausgepfändet, er hat früher nichts besessen, er besitzt wieder nichts, man darf ihn doch nicht verlassen!«
Schwach senkte den Blick zur Erde.
»Auch an der Pendeluhr ein Siegel? Ich hätte in meinem Leben nicht gedacht, daß man auch an Pendeluhren Siegel hängt!« sagte die Frau.
»Mein lieber Schwach!« pfiff der Gemal. »Wir haben nichts geerbt, und haben es auch, Gott sei Dank, nicht nothwendig gehabt. Wir haben auch, während der Zeit, als Sie Vermögen hatten, nichts davon genossen, gar nichts. – Nicht wahr, Herr Schwach, mein lieber Verwandter, das werden Sie doch gestehen? – – Wir haben also nichts geerbt und nichts genossen, wenn man nicht etwa den Trauerschmaus rechnen will. Und doch habe ich gesagt, müssen wir grundsätzlich zu Schwach gehen und ihm Trost geben!«
»Danke, danke,« hauchte Schwach mit gepreßter Kehle.
»Alles haben sie so versiegelt?« frug wieder die Frau mit Nachdruck. »Sie haben Ihnen doch nicht auch das Bettzeug genommen, daß Sie auf gar nichts schlafen müssen?«
Schwach sah zu Boden, er hätte über dieses plumpe Mitleid weinen mögen wie ein Kind. Hätte er den bösen Hinterhalt voraus geahnt – was dann erst?
»So lange man Geld hat, habe ich gesagt« – pfiff Fliege weiter, mit der ganzen Kälte und kleinlichen Bosheit eines 155 Spießbürgers, der seinen Stand als Zentrum und den Brennpunkt der Welt betrachtet, während er zugleich Alles, was nicht Gewerbe, handelnd und »bürgerlich« gestempelt ist, für Auswüchse, Mißgeburten und den Bodensatz der menschlichen Gesellschaft hält – »so lange man Geld hat, kann man stolz sein; das ist recht, es schadet nichts; aber wenn man nichts hat, da hört der Stolz auf; man braucht sich nicht zu schämen, man muß auf jede Weise sehen, wie man zu etwas kommt. Sie sind sicher meines Grundsatzes; nicht wahr, lieber Verwandter, Herr Schwach?«
Schwach nickte zustimmend und preßte ein »Ja« hervor.
»Sieh nur, meine Liebe, wie schön die Zimmer gemalt sind; so schöne Malerei haben wir nie gehabt!« fistulirte der Chokolade-Chemiker, die Fortsetzung seiner Rede unterbrechend.
»Gott behüte uns vor einer Pfändung!« sagte die Frau mit dem unschuldigsten Ausdrucke. »Aber so theuere Malerei bekämen sie nicht bei uns zu pfänden. Das ist viel zu kostbar für uns!«
»Richtig, ich sprach von Stolz,« nahm Fliege wieder das Wort. »Also, stolz braucht man nicht zu sein, ohne Geld – damit sind Sie einverstanden. Nun, meinte ich zu meiner Frau, wie wäre es, wenn wir zu Schwach gingen und ihm einen Antrag machten?«
»Zu schämen braucht er sich nicht, sagtest Du.«
»Er ist ja unser Verwandter, sagte ich, und da kann man Rücksicht nehmen, da, ist mein Grundsatz, muß man Mitleid haben!« 156
»Er hat es auch nicht so gemeint, sagtest Du, wie es aussah, nämlich, daß wir ihm viel zu geringe wären. Er hatte nur immer viel zu thun. Nicht wahr?«
»Ein reicher Herr hat immer große Geldgeschäfte, und wir, die wir keine großen Geldgeschäfte haben, liegen gar nicht in seinen Wegen, sagte ich. – Darum . . .«
»Herr Schwach, was hat dieser feine Teppich gekostet?«
»Ich . . . weiß wirklich . . . nicht,« hauchte Schwach fast bebend, mit zu Boden gesenktem Kopfe.
Die Dame warf ihrem Manne heimlich einen triumfirenden Blick zu.
»Darum,« setzte Fliege weiter, »dürfen wir uns nicht beleidigt fühlen; nein, wir müssen thun, als wenn gar nichts vorgefallen wäre.«
»Wird auch eine öffentliche Versteigerung stattfinden, Herr Schwach? Ja?«
»Darum, sagte ich, müssen wir für Schwach sorgen! – Wer weiß, wie lange er noch mit dem Wenigen auskömmt, das ihm geblieben! Sie haben doch Alles gepfändet, Alles?«
Schwach bejahte.
»Siehst Du, mein Kind, Du meintest, er könne doch noch etwas haben; er hat aber gar nichts mehr!« –
»Wenn Sie Ihnen nur den Fußteppich gelassen hätten, der ist auch seine hundert Thaler werth. So ein schöner Fußteppich!« – Die dicke Frau lächelte unter der Nase und kühlte mit einem Fächer, von Anno Türkenkrieg, das rothe, wulstige Gesicht, während sie die Hand 157 mit den dickberingten Fingern für Schwach so sichtbar als möglich zu machen suchte.
»Also, mein lieber Verwandter, wenn Sie gar nichts haben, und es könnte der Fall eintreten, daß es Ihnen am allerschlechtesten geht; wenn Sie nichts haben, hören Sie und nehmen Sie meinen Vorschlag an.«
»Ihren Vorschlag?«
»Ja, ein Vorschlag. Ich sagte: Herkules Schwach kann jetzt noch etwas haben; aber wie lange währt das, und er leidet Mangel an dem Nothwendigsten? – Gegen den Mangel müssen wir sorgen, wir sind ja Verwandte! – Also, an Essen soll es Ihnen nicht fehlen.«
Schwach sah empor, so flehend, wie ein Ecce-homo-Bild mit den Worten: Herr, verzeihe ihnen, sie wissen nicht, was sie thun!
»An der Mittagskost durchaus nicht.«
»Wir kochen nicht fein und nobel; aber wie es ehrsamen, rechtschaffenen Bürgersleuten zukommt,« sagte die Frau.
»Mein Geschäft geht zwar gut, und wir können es Beide selbst versehen; aber, wenn Sie nichts zu thun haben und keine Bedienstung in einer Schreibstube, so könnten Sie in unserem Laden sitzen.«
Schwach fuhr es wie ein Messerstich ins Herz und er seufzte schwer.
»Es ist kein nobles Geschäft, aber doch ein ehrbares,« sagte Madame Fliege erquickt.
»Die Chokolade ist numerirt, Sie könnten leicht die Preise lernen und die Kunden bedienen – es ist keine 158 Anstrengung; und die Kost haben Sie bei uns, so lange bis Sie was Besseres finden.«
Schwach bebte und suchte um Worte.
»Sie dürfen nicht glauben,« sagte rasch die Frau, »daß Sie etwa zurückgesetzt werden; nein. Sie sind unser Verwandter, Sie werden an unserem Tische sitzen und . . .«
»Ich weiß,« sagte Fliege auf der Schneide seines Organs, »es wird Ihnen Anfangs schwer fallen; aber, mein Gott, mein Grundsatz ist, stolz darf man nicht mehr sein, wenn es einmal um den täglichen Bissen geht.«
»Du, Emerich, könntest Du nicht auch Herrn Schwach bei uns wohnen lassen? Er ist ja unser Verwandter. Und in unserer großen Wohnung wird sich noch ein Winkelchen ausfindig machen lassen.«
»Wenn Sie keine Wohnung haben sollten, auf der Gasse dürfen Sie nicht bleiben, so lange Fliege lebt!«
»Wie können Sie auch nur so unter lauter Siegel herumgehen? Es ist ja Alles, Alles gepfändet! Ich – wenn das, Gott behüte, mir geschehen – ich kröche in den schlechtesten Winkel. – Emerich, ist bei uns nirgends Platz?«
»Mein bester Herr Verwandter,« sagte Schwach langsam und wollte, durch und durch von Weh erfüllt, seine Ablehnung vorbringen.
Fliege fürchtete schon, Schwach könnte zu rasch der Pein durch rundes Abschlagen ein Ende machen, und warf daher rasch ein. »Lassen Sie sich nicht vom Gegensatze der früheren Zeit blenden! Ich weiß, man schämt sich gerne. Aber lassen Sie das bei Seite; unser Grundsatz ist: wir 159 geben, was wir geben wollen, gerne, und rechnen gar nicht nach, ob der Dienst nöthig ist oder nicht.«
»Im Laden sitzen ist ja so leicht!«
»Im Winter bekommen Sie eine Kohlenpfanne.«
»Und ich will allen Hausleuten sagen, sie sollen schonend mit Ihnen umgehen; Sie haben einmal es größer geben können als sie alle. – Emerich, habe ich nicht schon das voraus erwähnt?«
»Ja. Und fürchten Sie nichts, unsere Kost ist wirklich gut, unsere Gehilfen müssen immer genug zu essen haben. Mein Grundsatz ist: anstatt gar nichts, ist ja das doch gut!«
»Wir meinen es wirklich gut mit Ihnen.«
»Ich gäbe es Ihnen gerne umsonst, wenn Sie es fordern könnten; aber ich weiß: ganz geschenkt wollen Sie doch nichts nehmen!«
Schwach drängten sich jetzt Thränen in die Augen, und er preßte sie gewaltsam zurück.
»Herr Fliege . . .« sagte er mit Mühe.
»Nun, Sie willigen ein?« unterbrach Fliege. »Frau, Du kannst vielleicht noch heute mehr antragen, mich soll's freuen!«
»Herr Fliege, ich danke Ihnen für Ihre Güte; aber Gebrauch werde ich nicht davon machen!«
»Nicht?« pfiff Fliege, scheinbar erstaunt, als hätte er die unerwartetste Antwort erhalten.
»Warum nicht?« fragte die Frau.
»Ich kann nicht, ich kann nicht . . .«
»Stolz! Stolz mein Lieber! Legen Sie das ab, das schickt sich nicht in solchen Verhältnissen!«
»Wer weiß, was ich thäte, wenn ich nichts hätte!« 160
»Wir haben, Gott sei Dank, an nichts Noth; aber, wenn es je darauf ankommen könnte, dann . . . . Denken Sie: Sie kommen um 6 Uhr Morgens, Sie brauchen nicht den Laden aufzusperren, das thut schon mein Lehrjunge, und bleiben bis sieben Uhr Abends; um zwölf Uhr wird bei uns gegessen, und Sie haben die Mittagskost. Für Früh und Abend findet sich immer ein Bischen Kakao oder Chokolade. – Kakao und Chokolade, zwei Dinge, die vielleicht Manchen nicht nobel genug für ein Geschäft scheinen mögen; aber sie haben mich nie in Noth gebracht!«
Dies Alles sagte Fliege mit der ganzen Gemeinheit und Gemüthlosigkeit eines echten, versauerten Spießbürgers, der sich Geld erarbeitet hat, wie das dumme Vieh im Joche zieht, und der da meint, das Jochziehen sei der größte Triumf der Menschheit und des menschlichen Geistes! – Der ganze Verstand solcher Personen reicht bei Angriffen und Disputationen blos bis dahin, daß sie auf ihren kleinen Säckel klopfen. Das ist ihr Anfang und Ende, ihr Vorder- und Nachsatz, ihre ganze Logik. Sie repräsentiren nicht die Macht des Geldes, nein, dessen Schwäche; – sie sind nicht die personifizirte Größe, nein die zweibeinig wandelnde Kleinlichkeit des Geldes; – sie glauben zu leiten, und werden immer an der Nase geführt; sie sind – o ewiges, altes Wort – »Filister!« –
Nicht so selten sind diese Leute; sie stehen dick und breit vor den Ladenthüren und Hausthoren; sie gehen auch hager, aber mit dem unverkennbaren Ausdrucke der Bundesgemeinschaft, mit Weibern und Kindern, durch alle Straßen; – die »Ehrbarkeit« haben sie gepachtet und machen diese edle Eigenschaft zu dem was sie selbst sind – zur Fratze! 161
»Daß Sie ehrlich sein werden,« pfiff Fliege mit der gewohnten Dreistigkeit solcher Leute weiter, »das versteht sich von selbst. – Und höflich, nun das ist zwar nicht Jeder gerne, der früher selbst Jemand gewesen; aber wenn Sie sich nur eine Zeitlang selbst überwinden, so geht es schon! Es ist überhaupt nur so lange Sie Noth leiden; wenn Sie einen Erwerb wissen, können Sie ja gehen!«
»Herr Fliege, ich danke und mache durchaus keinen Gebrauch!«
»Wenn Sie durchaus nicht wollen!«
»Emerich verliere nicht so rasch die Geduld,« warf die Frau scheinbar besorgt ein; »man muß auf das Unglück Rücksicht nehmen. Herr Schwach wird sich schon nach und nach fügen!«
»Herr Schwach, bedenken Sie, in dieser schlimmen Zeit ist nichts zu verwerfen, zudem bei Verwandten. – Noth thut weh!«
Schwach fuhr mit der Hand über Augenbrauen und Stirne und bewegte verneinend den Kopf.
»Ich habe das Meinige gethan,« pikolirte Fliege, während er die scheinbar ehrlichste, in Gutmüthigkeit einfältige Miene annahm. »Ich habe es gut gemeint – es sollte mich schmerzen, wenn Sie heimlich Entbehrung litten – Sie werden an mich denken!«
»Vielleicht wird Herr Schwach doch noch zu uns, als seinen Verwandten, kommen!« – sagte die Dame ebenso einladend als zurückstoßend. – »Die Dienstboten draußen 162 dienen doch nicht mehr? Die sind nur so im Quartier, bis sie wieder Dienst bekommen? Natürlich!« – Sie sah auf ihre große goldene Uhr und hielt sie, unter Schwach's Augen, ihrem Gatten hin. »Sieh, Emerich, schon so spät!« Dabei kehrte sie den Rücken ihrer reich beklumpten Hand abermals gegen Schwach's Auge.
Emerich legte den Zeigefinger zum wiederholtenmale an die Nase, scheinbar um sich zu entsinnen. aber doch nur um dem Schmuck-losen Schwach seinen glitzernden Brillantring zu zeigen, da ihm die Frau das gute Beispiel gegeben. Hierauf sagte er: »Richtig, ich habe Geschäfte! – Nun, ich habe das Meine gethan. – Sie sehen, trotzdem Sie an uns nicht dachten und uns ganz vergessen zu haben schienen, so wollen wir doch an Sie denken – es ist in bester Freundschaft!«
»Dieser große Spiegel!« rief die Frau, ehe Schwach antworten konnte und ging an den Spiegel hinan, ihre Toilette richtend. »Es ist doch Jammerschade, wenn man denkt, daß das Alles in fremde Hände kommen wird!« –
»Also, Herr Schwach, mein lieber Verwandter,« pfiff Fliege boshaft-freundlich, »erinnern Sie sich an mich, wenn Sie mich brauchen sollten. Was ich gesagt, halte ich.«
»Meinerseits ist nicht die Verwandtschaft; aber ich fühle wie mein Mann. Vergessen Sie uns jetzt nicht auch!« –
»Leben Sie wohl!«
»Ich empfehle mich Ihnen!« – Großer zeremonieller 163 Kleider- und Schmuck-ausbreitender Knix, nicht ohne den sonderbarsten Blick, der sagen wollte: »Verstehst Du?«
Schwach verbeugte sich, er hätte mögen schluchzen – wie ein Kind und sich verbergen.
»Apropos!« wendete sich die Dame noch einmal bei der Thüre zurück. »Unsere Adresse wissen Sie doch noch? Emerich Fliege, Chololademacher, Bürger und Meister in der Stadt, Hauptstraße, zum grünen Löwen.
»Hier ist meine Adresse.« Fliege langte eine aus seiner Brieftasche, mit großem Ringenaufwande hervor, wobei er, zur Vollendung der Gemeinheit, auch noch Geldscheine knistern ließ, und legte die Adresse auf den Tisch.
»Und, lieber Herr Verwandter,« sagte die Dame noch zum letzten Stoße, recht schneidend mit erhöhter Stimme, »wenn die öffentliche Versteigerung sein sollte, seien Sie doch so gut und benachrichtigen Sie uns – aus Freundschaft! Man pflegt so billig zu kaufen! – Es wird doch Versteigerung sein? – Vergessen Sie nicht!«
Somit knixten und grüßten Beide noch einmal; und die ganze spießbürgerliche Gemeinheit verschwand mit ihnen. 164