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12.

Die Vergangenheit der jungen Gräfin war gar traurig verflossen. Bei Lebzeiten des Vaters saß sie Tage lang im einsamen, fast ärmlichen Zimmer, das Zwitschern der Sperlinge hinter dem Fenster, oder das Hadern der Mägde in der Küche anhörend. Der alte Graf war abends erschöpft und gebrochen von dem ewigen Gießen vom Leeren ins Leere, wie er selbst seine Prozesse nannte. Nichts glückte ihm. Ehedem war er gewandt und betriebsam gewesen; er wollte der Aristokratie sich als Beispiel ausstellen, wie die Adligen sich der Arbeit und der Industrie hingeben sollten, aber das Resultat dieses Strebens war der Verlust seines Vermögens. Es blieb ihm als Ersatz die Erfahrung, die er gerne für einige Tausende hingegeben hätte, – und noch etwas, was er nicht veräußert hätte, nämlich die Erinnerung und der Familienstolz. Der Kitt dieser Erfahrung und dieses Hochmuts war die ihm innwohnende Bitterkeit gegenüber dem Leben, den Menschen und der ganzen Welt. Es war dies natürlich. Die Seinen nahmen ihn nicht auf, und die ihn ausnahmen – taten es auf eine Weise, dass einem unwillkürlich die Fabel von dem in Agonie liegenden Löwen und den Eselshufen einfiel. Wenn er einen Sohn gehabt hätte! Der junge Adler wäre dem Neste mit frischer Kraft entflogen, der Sonne, dem Glanze zu ... aber eine Tochter?! Der Graf täuschte sich nicht: die Tochter musste ein altes Fräulein bleiben oder nach seinem Tode den ersten besten, der sich darbieten würde, heiraten. Deshalb liebte der Graf die Tochter nicht, wie er sollte. Dafür oder trotzdem liebte ihn die Tochter herzlich: sie liebte ihn, denn seine Haare waren weiß, denn er war unglücklich, übrigens auch deshalb, weil sie niemand anderen zu lieben hatte. Endlich war er für sie der letzte Band der Erzählung, die sie in der Fantasie weiter fortspann. Oft erzählte ihr der Alte mit seiner grämlichen Stimme die einstigen von Licht und Glanz strahlenden Taten ihrer Vorfahren, – die Geschichte ihrer Ahnen, der Grafen und Gräfinnen; ihm horchend lebte und wehte ihre Seele in der Vergangenheit. Oft schien es ihr, dass vom Goldgrunde der Legende sich eine geflügelte Gestalt erhebe – halb Ritter, halb Husar mit dem Krummsäbel in der Hand, der Adlersohn der Steppen, zum Kampfe bereit. Er schwang den Säbel und er säuberte die Steppe von den Tataren, so dass man die Krim und im Hintergrunde das blaue Meer erblickte. Wie breit die Steppe, so weit hallten die Lieder von seinen Taten, und dann neigte er, der wenn auch Tapfere, aber Junge, der wenn auch Blutgetränkte, aber Liebende, die Stirne vor einer Frauengestalt. Gewöhnliche Träume einer Magnatentochter! – Diese Frauengestalt war sie – er ein Herburt oder Korecki.

Ihre Träume entsprachen ihrer Erziehung, und waren auch diese Träume nicht vorteilhaft, ja sogar schädlich, waren sie doch schön. – Wenn der Alte seine Erzählung beendete und der Gegenwart gedachte, fügte er mit Bitterkeit hinzu: »Meine Schuld, meine Schuld« – sie legte ihm die Arme um den Hals, und sprach gewöhnlich: »Nicht deine Schuld, Papachen! die Zeiten kehren wieder! Sie kehrten aber nicht wieder. Der Alte starb, und es erschien als Vormund kein aus dem dunklen Grunde des Bildes sich erhebender Ritter. Die erschienene Gestalt hatte nichts Ritterliches an sich. Dieser Kopf mit dem strengen Antlitze und der breiten Stirne, das kalte Gesicht eines modernen Denkers, passte durchaus nicht, selbst nicht in der Fantasie der Gräfin zum Messinghelme mit den Straußfedern. Ganz andere Potenzen mussten auf der Stirne desjenigen pulsieren, der die geflügelten Rotten den Tataren entgegenführte. Andrerseits war Schwarz für die Gräfin eine ganz neue Erscheinung, die ihre Verwunderung erregte. Er machte wenig Worte, sprach aber durch die Tat. In kurzer Zeit verstand er es; für sie alles zu sein; sie beobachtete bei ihm Festigkeit, Energie, Raschheit im Handeln. Sie vermochte sich Vielleicht nicht vorzustellen, dass auch dies Männlichkeit, nur eine andere als die mittelalterliche war. – Doch vermochte sie denn nicht dies zu bemerken? Dem alten Grafen war nichts gelungen – Schwarz richtete, als er ihre Angelegenheiten in die Hand nahm, an einem Tage mehr aus, als der Graf in zehn Tagen. Er begriff, dass die Gräfin einen kleinen Fond benötigte, um in Kleinigkeiten nicht die Gefälligkeit und die Tasche der Frau Witzberg ins Anspruch nehmen zu dürfen. Dieser Gedanke machte sie erbeben – Schwarz sah es voraus. Er rettete radial die Überreste der Einkünfte des Grafen und seine Schritte in dieser Beziehung glichen dem Lanzettschnitte, sie waren sicher, von Erfolg begleitet. Natürlich zog Schwarz den Rat eines Rechtsfreundes ein, der trotz seiner Jugend den Teufel bekehrt hätte, aber warum wusste sich der alte Graf nicht zu raten? Dies brachte die junge Gräfin auf gewisse Ideen. Sie stellte sich die Aristokratie unter der Gestalt ihres Vaters, die Demokratie in der Person Schwarzens vor. »Ach, was das für Leute sein müssen!« dachte sie fast mit Angst – »schreckliche Leute, die die Hindernisse zu brechen verstehen, ganz andere Leute«. Das Übrige sagten ihr die Bücher. Die junge Gräfin ließ hier ihren Gedanken freien Spielraum. Als sie Schwarz einmal um die Einzelheiten feiner Vergangenheit befragte, erwiderte er ihr mit aller Ungeniertheit: »Mein Vater war ein Schmidt!« Es erschien ihr fast unbegreiflich, wie man solche Dinge so geradeaus sagen konnte, sie dachte, dass er es ihr wenigstens hätte verheimlichen sollen – und er machte kein Geheimnis daraus, während diese Worte ein Hammer waren, der die Seele der Gräfin gar schwer traf. Sie war auf ihn erstaunte Blicke, als suchte sie an ihm die Lederschürze oder die Spuren der sprühenden Funken auf den Händen. Übrigens dürfen wir nicht verbergen, dass ungeachtet aller ihrer Erkenntlichkeit für Schwarz und Frau Witzberg sie anfangs, wenn auch im Stiller der Ansicht war, dass die über ihrer Stirne sich erhebende Grafenkrone diese Leute für sie gewonnen habe, und sie das Magnatenkind schon deshalb aufgenommen hatten, um auf diese Weise Ehre einzulegen Dann erkannte sie wohl, dass sie wenigstens in Bezug aus Schwarz sich vollkommen geirrt habe. Er sprach das Wort Graf gerade so aus, wie Jude, Zigeuner oder Schlachziz, ohne auf die besondere Bedeutung dieser Worte irgend ein Gewicht zu legen. Sollte ihm der Unterschied fremd sein? – Nein – das konnte sie nicht annehmen, wenn auch in der Wirklichkeit die Frage der Aristokratie und Demokratie in seinem Geiste noch brach lag. Sie verdächtigte ihn damals der absichtlichen Ignorierung, doch nicht das allein – die Gräfin bemerkte auch, dass in dem Benehmen Schwarzens ihr gegenüber ein gewisses Höherstehen, – ja eine Art nachsichtiger Herablassung bemerkbar war. Er war für sie zart und gut, aber der Art, als wollte er zeigen, dass sein Benehmen das Nachgeben des Mächtigen für den Schwachen, die Nachsicht des energischen Mannes für ein Kind sei. Dagegen fühlte sie sich andrerseits unter dieser Obhut so sichert Es schien ihr, für Schwarz fei nichts unmöglich. Sie konnte ruhig und ungestört schlafen – er wachte. Einmal jedoch versuchte sie es, sich ihm gegenüber anders zu stellen – sie wollte ihn mit ihrer Bildung blenden, und es geschah, dass Schwarz milde ihre Auffassung berichtigte, ihr zeigte, was darin wahr und was irrig, mit einem Worte, zu ihrem nicht geringen Arger sie belehrte, aufklärte. Sie versuchte dann, ihm mit ihrem Talente zu imponieren, setzte sich einmal ans Piano und gleichsam mit und wider Willen überschüttete sie ihn mit einer Kaskade von Melodien; was weiter?! – der geärgerte Augustinowicz setzte sich nach ihr ans Klavier und spielte bedeutend besser. Der verstand wieder alles, wusste alles! Mit einer sehr verdutzten Miene begab sich diesen Abend die Gräfin in ihr Stübchen. Dass sie aber diese Verhältnisse begriff und würdigte, bewies, dass sie kein gewöhnliches Köpfchen hatte. Auch war es nicht zu verwundern, dass sie an solche Dinge kurz nach dem Tode des Vaters dachte, denn sogar die Verzweiflung eines »gut konstituierten« Weibes hat in sich mehr oder weniger sachverständige aber nebstbei unschuldige Koketterie.

Es begann demnach ein stiller Kampf zwischen dem Sohne des Volkes und der aristokratischen Jungfrau. Es bildeten sich der Art die kaum begreiflichen Verhältnisse, die wir oben erwähnten. Dieser Kampf war für ihn umso gefährlichen als er ihn nicht einmal geahnt hatte: – die Gräfin blendete ihn wohl nicht, erweckte aber in ihm die lebhafteste Sympathie – sie wurde ihm so zu sagen ein geliebtes Kind, dessen Los er, wie er dachte, in der Hand hatte. Von ihr eingenommen, vernachlässigte er Helenen gar sehr – seine Besuche bei dieser wurden immer seltener. Es beschäftigte ihn mehr der Gedanke, der Gräfin irgend eine Annehmlichkeit zu bereiten, ohne dass es ihm einfiel, Helenen eine Unannehmlichkeit zu ersparen. Was die Gräfin betraf, ist es selbstverständlich, dass in ihren Gefühlen für ihn nichts Feindliches einfließen konnte. Die etwas verletzte Eigenliebe vermochte eher zur Liebe wie zum Hasse zu führen. Um die Wahrheit zu sagen, die Gräfin Lula wünschte einfach, dass dieser eifrige Demokrat in der Zukunft demütig und verliebt zu ihren aristokratischen Knien das Haupt beuge. Dieses Ziel schwebte ihr nicht gleich klar vor; sie setzte es sich erst dann, als sie bemerkte, dass Schwarz nebstdem auch ein schöner Mann sei. Wir bringen hier in Erinnerung, dass die Gräfin Leokadia zwanzig Jahre hatte, und seit lange in ihrem Gemüte mannigfaches Sehnen, Hangen und Bangen wach geworden, von all dem sie sich keine Rechenschaft zu geben wusste. In der Sprache der Dichter würde man es das Echo des Wunsches heißem »zu lieben und geliebt zu werden, wenn man auch dabei das junge Leben aushaucht«. – Doch wie dem immer sei, es reichte hin Lula einen Anhaltspunkt zu geben, immerfort an Schwarz zu denken. Das Vertrauen, das sie zu ihm hatte, die Dankbarkeit für seine Fürsorge steigerte immer mehr ihre für ihn gehegte Sympathie. Es ist wohl wahr, dass die Mutter Lulas, die selige alte Gräfin ihr zu sagen pflegte, dass ein wohlerzogenes Fräulein sich nicht verlieben dürfe, aber die Mutter Natur flüsterte ihr ganz etwas anderes zu. In der Tat sind derartige Mütter gar oft nicht mit einander einverstanden. Es geschieht deshalb, weil in dem Gemüte der Mehrheit der Frauen selten echte, üppige Gefühle wachsen und gedeihen, während da tausende nervöser Liebeleien sich einnisten, weniger geflügelte ... aber auch weniger bindende ...

Lula konstatierte das Faktum, dass Schwarz ein verständiger, edler und schöner Mann sei, wobei wir nicht zu verbürgen uns erkühnen, auf welche dieser Eigenschaften sie das meiste Gewicht legte. Als sie sich nun an diesem Abende zur Ruhe begab, stellte sie sich die in der Folge wichtige Frage: »Und wenn er mich liebte?« Statt der Antwort lief sie mit ihren nackten Füßchen halb entkleidet zum Spiegel. Nur dem Autor ist es gestattet, ein solches Bild zu sehen. Das Nachthäubchen schwebte bloß auf dein Köpfchen und unter dem Händchen fielen die Ringe dunkler Haare auf die weißen Schultern. Mit leuchtenden Augen und wogendem Busen blickte sie in den Spiegel. »Und wenn er mich liebte?« – wiederholte sie, – »wenn er hier bleich und glühend kniete ...« Hier? und in einem solchen Momente? Purpurröte übergoss ihr das Antlitz und den Nacken – sie löschte das Licht aus.

Seit dieser Zeit zeigten sich bei Lula besondere Veränderungen; manchmal bemächtigte sich ihrer eine eigene Bangigkeit, sie wurde nachdenkend; zuweilen ging sie wie verschlafen und schwerfällig einher – dann barg sie wieder das Köpfchen an die Brust Malinkas, sie ohne Grund küssend. Schwarz sah sie täglich. Es verflossen Tage ... Monate ... und nach und nach ging im Gemüte Schwarzens ein Umwandlungsprozess vor sich. Das geliebte Kind war herangereift und hatte sich in seiner Anschauung in ein schönes Weib in voller Blüte verwandelt. Sein Blick besaß nicht mehr, wenn er ihn auf sie richtete, die frühere volle Klarheit und Ruhe. Früher hätte er sie an der eigenen Brust in Schlaf wiegen und schlummernd wie ein Kind ins Bettchen legen können; jetzt würde ihn dies bis ins innerste Mark ergriffen haben. Die Idylle wurde in der Seele beider immer lebendiger, bis endlich nach Ablauf von so und so vielen Tagen, oder so und so vielen Monaten in der Wohnung der Frau Witzberg und in der von Schwarz nachfolgende Gespräche geführt wurden.

*

– Und wenn du lieben solltest, Malinka?

– Ich wäre dann, meine teure Lula, sehr glücklich und würde recht innig lieben; und siehst du, Lula, mit Hilfe Gottes hätte auch er mich geliebt.

– Wenn er aber nicht liebte?

Malinka rieb sich mit der Hand die Stirne.

– Ich weiß nicht, das weiß ich nicht, aber es scheint mir, dass es auch im Lieben einen Unterschied gibt. Ich würde so sehr lieben ... O Gott! ich kann es nicht aussprechen ... wie sehr ich lieben würde ...

Malinka warf die Arme um den Hals der Freundin, drückte sie ans Herz und überschüttete sie mit Küssen und Liebkosungen.

– Meine Lula, o, er hätte mich dann lieben müssen.

Wie zwei Täubchen verbarg jede ihr Köpfchen am Busen der andern. Es herrschte Stille.

– Malinka! – rief Lula aus und Tränen erstickten ihre Stimme.

– Meine herzige Lula!

– Malinka, ich liebe.

– Ich weiß es, Lula.

*

– Alter! – sagte Augustinowicz zu Schwarz.

– Was gibt's Neues?

– Hole mich der ... wenn es neu ist. Ich sah, Alter – wie du den Schleier der Gräfin küsstest ... Nun, du bist ein Freund des Küssens – warte, ich habe da einen Regenschirm, vielleicht möchtest du ihn küssen – und wenn dir der nicht recht ist, vielleicht meinen vorjährigen Überrock. Das Unterfutter in den Ärmeln ist abgerissen, sonst ist er noch gut erhalten. Hole mich der ...! Reiche mir nur die Pfeife ... Ich weiß, mein Alter, was das zu bedeuten hat; die einfältige Witzberg weiß es nicht, aber ich weiß es.

Schwarz bedeckte sich das Gesicht mit den Händen. Augustinowicz blickte ihn schweigend an, scharrte mit den Füßen unter dem Tischchen, räusperte sich, brummte etwas zwischen den Zähnen und rief endlich mit gerührter Stimme aus:

– Alter! ...

Schwarz erwiderte nichts. Augustinowicz rüttelte ihn teilnahmsvoll am Arme.

– Nun, Alter, kränke dich nicht, quäle dich nicht ... antworte wenigstens, es tut dir um Helenen leid.

Schwarz zuckte zusammen.

– Es geht dir um Helenen. Du bist brav, Alter ... Was ist da zu tun; bei Jupiter! heirate ...

Schwarz erhob sich. Ein fester Entschluss leuchtete ihm klar auf der breiten Stirne und wenn auch die zusammengezogenen Brauen Schmerz und Kampf andeuteten, war es doch sichtbar, dass Schwarz den Sieg davontragen werde. Er drückte Augustinowicz die Hand.

– Ich gehe.

– Wohin?

– Zu Helene.

Augustinowicz stierte ihn an.

– Zu He–le–ne? ...

– Ja wohl – erwiderte Schwarz: genug des Betrags und des Schwankens! Ich gehe zu Helenen, sie um ihre Hand zu bitten.

Augustinowicz blickte dem Abgehenden nach, wiegte den Kopf und brummte zwischen den Zähnen:

– Siehst du's nun, du dummer Adam, wie es die Leute anstellen.

Dann stopfte er sich die Pfeife, drehte sich auf dem Bette um Und schmauchte mit verdoppelter Energie.


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