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3.

Ein Monat war verflossen. Es war ein heiterer Herbstabend – die Sonne erlosch langsam auf den Türmen Kiews und den fernen Steppengräbern. Im Dachstübchen, der Wohnung von Schwarz und Gustav, war es noch hell. Beide saßen über die Arbeit gebeugt, stille, ängstlich noch die letzten Abendstrahlen benutzend. Gustav war vor kurzem erst aus der Stadt zurückgekehrt; er war blass und schnaubte mehr als gewöhnlich; aus dem Antlitze war eine gewisse Unruhe, Bitterkeit, ja ein wenn auch geheimes Weh zu bemerken, das aber in den fieberhaft glühenden Augen zu lesen war. Beide schwiegen, es war aber sichtbar, dass Gustav dieses Schweigen unterbrechen wollte, denn er wendete sich mehr als einmal Schwarz zu; es schien ihm aber Mühe zu kosten, das erste Wort hervorzubringen und er versenkte sich wieder ins Buch. Endlich sprach sich die Ungeduld offenbar auf seinem Gesichte aus, er nahm rasch die Mütze vom Tische, erhob sich und fragte:

– Wie spät ist es?

– Sechs Uhr.

– Warum machst du dich nicht auf den Weg zur Potkanska, du gehst doch jeden Abend zu ihr?

Schwarz erhob sich und wendete sich Gustav zu.

– Gustav! du selbst und auf ihr Verlangen hast mich hingeführt. Doch lassen wir das – sprechen wir nicht von dem, was beiden unliebsam wäre; wir verstehen einander übrigens vollkommen. Ich sage dir also, dass ich nicht zur Potkanska gehen werde, nicht heute und nicht morgen, ja niemals. Da hast du darauf mein Wort und meine Hand.

Sie standen sich schweigend gegenüber, Schwarz mit der vorgestreckten Hand, Gustav zögernd und von der heikligen Lage verwirrt – endlich drückte er Schwarzens Hand. Augenscheinlich fiel es beiden schwer ein Wort hervorzubringen; vergebens suchte der eine nach einem herzlichen Ausdrucke, während der andere kein Wort des Dankes finden konnte. Sie trennten sich schweigend. Gar sonderbare Gefühle bemächtigen sich manchmal des Menschen, Gefühle, denen gerade entgegengesetzt, die man uns als den Lohn einer edlen Tat darstellt. Schwarz versprach Gustav, die Witwe nicht mehr zu besuchen. Ob er sie liebte, oder nicht, jedenfalls war es seinerseits ein Opfer, denn in seinem mühseligen, einförmigen Leben war sie allein der lichte Punkt, um den seine Gedanken kreisten. Selbst wenn auch das Schwärmen von ihr nur die wenigen, der schweren Arbeit entrissenen, und der Ruhe wie der Freiheit des Geistes geweiheten Minuten ausfüllte – solchen Momenten entsagen, hieß der Ruhe ihren Reiz nehmen, die Leere im Leben dort einreißen lassen, wo ein höheres Gefühl keimen und erblühen könnte. – Schwarz hatte aber nach kurzem Nachdenken, ohne zu schwanken entsagt. Er hatte das Opfer gebracht. Als aber Gustav die Stube verlassen hatte, sprach sich auf dem Gesichte Schwarzens Unlust, Verdruss, selbst Zorn aus. War es das Leid um die Vergangenheit oder das Bedauern über die vor einem Momente vollbrachte Tat? – Nein. –·Als Schwarz Gustaven die Hand entgegenstreckte, zögerte dieser, sie zu ergreifen. Das von einem energischen Gemüte angebotene Opfer nicht annehmen, heißt die Opfertat selbst mit dem Scheine der Lächerlichkeit bedecken und das in der Überzeugung desjenigen, der das Opfer bringt; das heißt undankbar sein; heißt das Samenkorn dumpfen Hasses in das üppig wuchernde Feld der Eigenliebe werfen. Aber das Opfer des Nebenbuhlers annehmen, heißt für das an Hochmut reiche Gemüt sein moralisches »Ich« einem andern unter die Füße legen, heißt das mit Gewalt in die Hand gedrückte Almosen, um das man nicht gebeten, annehmen. Es gleicht dies beinahe einem leichten Fußtritte. Der Hochmut will eher Gläubiger als Schuldner sein. Deshalb zuckte um den Mund Gustavs, als er auf die Straße trat, bittere Ironie und die zusammengepressten Lippen brummten vor sich hin:

– Immer besser! Gnade, Gnade! Verneige dich täglich vor Herrn Schwarz und danke für die Gnade. Ein lustiges Leben!

Er versank in tiefe und unliebsame Gedanken. Er hatte sogar aufgehört an sich zu denken, ein grenzenloses Weh umgarnte ihn. Er fühlte im Gemüte einen traurigen Widerhall, und es kostete ihm Anstrengung, sich nur eines Augenblickes des Glückes zu erinnern. Dieses Echo tönte in ihm gleich einer gesprungenen Saite. Geist und Gemüt hatten sich in ihm gesondert. Die eine erschöpfte Hälfte lechzte nach Ruhe, die andere düstere, aber noch elastische riss ihn in den Lebensstrudel. Mit der einen Hälfte sah er noch Licht und ein Ziel vor Augen, mit der andern versank er in finstere Nacht, ins Nichts. Was diesem grämlichen Menschen den Gnadenstoß gab, war ein gewisses Etwas in ihm, das den eigenen Schmerz höhnte, es war ein boshafter Dämon, der ihm mit der einen Hand seine eigene Gestalt zeigte, bleich, hässlich, zusammengekrümmt, und mit der zweiten in den Wolken oder im Morgenlichte die Witwe Potkanskis in ihrer ganzen üppigen Schönheit und Marmorruhe. – Von dem Brausen des innern Kampfes fast betäubt schritt er dahin, ohne zu wissen welchen Weg er eingeschlagen hatte, als er plötzlich hinter sich eine wohlbekannte Bassstimme ein lustiges Liedchen trillern hörte:

Hop! Hop! Hop! Hop!
Der Huf ist fest geschmiedet ...

Er blickte sich um – es war Wassilkiewicz mit Augustinowicz.

– Wohin des Weges, Gustav? – fragte der erste.

– Ja? ... ha! wohin – (blickt auf die Uhr) Zur Witwe ist's noch zu früh! ... Indessen gehe ich in den Klub.

– Nun, so geh' gradeaus zur Witwe.

– Wie? Weshalb?

– Wehe, wehe! – rief Augustinowicz, die Arme gen Himmel erhebend und begann, ohne auf die Vorbeigehenden zu achten, laut zu deklamieren:

»Das Schloss samt der Hochzeitsfeier,
Deckt ein ew'ger Trauerschleier,
Aus den Mauern wächst wildes Kraut, .
Am Tore der Hund winselt laut.«

– Du hast nichts mehr im Klub zu tun – fügte Wassilkiewicz hinzu.

– Was ist geschehen?

– Dort brüten Trauer und Grausen – fuhr Augustinowicz fort.

– So sprich doch! was ist vorgefallen?

– Ein Unglück!

– Welches?

– Ein schreckliches!

– Sprich du für ihn menschlich, Wassilkiewicz!

– Das Universitätsgericht hat unsern Klub geschlossen. Es hat jemand denunziert, dass dort Studentenversammlungen stattfinden.

– Wann fand das statt?

– Vor zwei Stunden.

– Man muss an Ort und Stelle Erkundigung einziehen.

– Ich rate es dir nicht. Man sperrt dich ins Loch.

– »Die weißen Arme sie mit Seilen binden ...«

– Augustinowicz, sei ruhig! Warum taten sie es nicht an einem Abende? Sie hätten uns ja wie die Fische im Netze gefangen.

– Nun, es war ihnen mehr ums Schließen, als ums Fangen zu tun; wenn aber jemand jetzt hinkäme, würden sie ihn zuverlässig absangen.

– Wo geht ihr hin?

– »Wie auf die Losung des Sturms die Klane das Feuerkreuz ...«

– Ich bat dich schon, dich stille zu Verhalten

– »Eben so der tapfere Rodrigus« ...

– So ist's, – unterbrach ihn Wassilkiewicz – wir gehen die andern zu warnen, darum lebe wohl oder komm mit uns ...

– Ich kann nicht.

– Wohin gehst du?

– Zur Potkanska.

– Lebe wohl!

– Auf Wiedersehen!

Gustav rieb sich nach ihrem Fortgehen die Hände, für einen Augenblick erheiterte ein Lächeln der Zufriedenheit sein verdüstertes Gesicht. Er freute sich, dass man den Klub geschlossen hatte, es verschwand dadurch die Furcht, dass die Witwe, wenn ihr der Entschluss Schwarzens zu Ohren gekommen, aufs neue wieder den Klub besuchen werde, um ihn dort zu sehen. Die Furcht war nicht unbegründet:

Gustav erinnerte·sich, dass allen Bitten und Überzeugungsgründen zum Trotze nur das Versprechen, Schwarz bei ihr einzuführen, sie endlich von diesem unschicklichen Schritte abzuhalten vermochte. Jetzt hatte er nichts mehr zu fürchten. – Nach einer kleinen Weile zog er die Glocke an der Wohnung der Witwe.

– Wie befindet sich die Frau? – fragte er die Magd.

– Sie ist gesund, nur geht sie immerfort im Zimmer

herum und spricht mit sich selbst, – erwiderte die Dienerin.

Gustav trat ins Zimmer. Die Wohnung der Witwe bestand aus zwei Stäbchen, deren Fenster auf den Garten gingen – das erste Gemach stellte gleichsam den Salon vor, das zweite das Schlafgemach, in das Gustav eben eintrat. In diesem war der obere Teil des Fensters bogenförmig ausgeschnitten und hatte von einer schmalen Holzleiste getrennt farbige Scheiben in Form von halb blauen, halb roten Rosetten. In einer Ecke stand ein Mahagonitischchen mit einer Decke von kurzgeschorenem Samt, auf dem zwei fotografierte Porträts sich befanden. Das eine in einem hölzernen, inkrustierten Rahmen stellte einen jungen Mann vor mit einer hohen Stirne, blonden Haaren und schönen aristokratischen Gesichtszügen – es war dies Potkanski; das zweite stellte die Witwe vor mit einem kleinen, weißgekleideten Mägdlein auf den Knien. Vor den Porträts lag ein Immortellenkranz von schwarzem Flor umwunden und ein vertrockneter Myrtenzweig – In der zweiten Zimmerecke befand sich zwischen zwei wenig voneinander getrennten Bettstätten eine Wiege, jetzt – leer, ehedem – voll kindlichen Lallens und Kosens. Ihr grüner Überzug, von dem Lichte der bunten Scheiben farbig angehaucht, schien sich leicht zu bewegen. Man konnte glauben, dass nach einer kleinen Weile ein weißes Händchen den Überzug zurückwerfen und ein Kinderköpfchen jubelnd auf die Mutter blicken werde. Es herrschte eine stille Trauer in der Atmosphäre dieses Stübchens. Die durchs Fenster hineinblickenden Akazienblätter warfen einen dunkeln Schatten auf den Boden und verbreiteten vom Winde bewegt zeitweise einen schwankenden Schimmer. An der Türe befand sich ein kleiner Weihkessel mit einer Statuette, den Taufengel mit wie zum Segnen vorgestreckten Händen darstellend. In diesem Augenblicke strahlte das Haupt des Engels in farbigem Glanze wie verklärt von der Glorie der Anmut, der Unschuld und der Ruhe. So sehr jetzt hier die Trauer vorherrschte, ebensosehr hatte hier früher die Freude gethront. Was gab es für ein Plaudern und Kosen, wenn Potkanski abends müde von der Arbeit heimkehrte, mit einer Hand die Taille der Frau umfasste, mit der andern ihr goldenes Haar bei Seite schob und diese teuere und zu der Zeit heitere Stirne küsste! Wie still und innig war die Freude, wenn sie so schweigend, Brust an Brust, Auge in Auge dastanden, Liebesstatuen gleich. Dann pflegten sie zur Wiege zu laufen, in der das Kindchen auf mannigfache Weise lallte und die Füßchen erhebend die glücklichen Eltern anlächelte. Jetzt war es da öde. Einen gar rührenden Anblick bot diese Wiege dar. Es schien, als ob sich ein Kind darin befinde. Mehr als einmal war die Witwe, kurz nach ihrem Unglücke, in der Nacht erwacht und hatte vorsichtig die Hand in die Wiege gesteckt, überzeugt, dass sich Gott ihrer erbarmt, das Kind aus dem Grabe genommen und es wieder in die Wiege gelegt habe. Mit einem Worte, diese Wände hatten gar viel gesehen: die Freude und das Glück ungetrübter Liebe, dann Verzweiflung, Tränen groß wie Perlen, endlich eine stille, starre, hartnäckige, an Irrsinn grenzende Trauer.

So war dieses Schlafgemach beschaffen und solche Gedanken machte es rege. Der kleine Salon hatte, allen derartigen Gemächern gleich, etwas Eleganz und viel Leere. Auch hier schien das Echo der verflossenen glücklichen Momente herumzuirren – der Salon war licht, reinlich aber alltäglich. Er grenzte an die Stube der Magd – ein kleiner, dunkler Alkoven mit dem Ausgange auf die Stiege und einer hölzernen Scheidewand Es war dies die frühere Wohnung Potkanskis. Es war schwer zu begreifen, woher nach dessen Tode die Miete für ein solches Lokal bestritten wurde, doch dies war Gustavs Sache, er allein wusste, was er tat. Der Hauseigentümer hatte gar keine Forderung – wie sich dies alles gestaltete, erwähnen wir später. So oft Gustav in das Gemach eintrat – schauerte er zusammen. In dem Orte, wo alles von ihr voll war, wo alles, was nicht sie war, für sie war, fühlte er immer eine gewisse Schwere auf der Brust, als ob ihm gleichsam eine Hand das Herz in die Tiefe drücke. Dieser Druck war für ihn aber eine wahre Wolllust. Es war ihm, als ob die Brust sich anschicke mehr Luft einzuatmen. Vom Gefühle des Glückes gebeugt zu werden, heißt fast glücklich sein, nur dass dahinter das unbegrenzte Feld des Sehnens liegt. Es bemächtigt sich dann des ganzen Menschen, dringt ins Blut, offenbart sich im Beben der Rede, im Glanze des Auges. Dieses Sehnen hat kein ausgesprochenes Verlangen, kennt die Grenze nicht zwischen wenig und viel. Es verlangt alles, wenn auch verschämt. Der Mensch zeigt sich da äußerlich kühner als im Innern seines Ich; die eigenen Worte frappieren ihn, es scheint ihm, dass sie ein anderer spreche – er schlägt das Auge nieder, möchte krampfhaft lachen oder schluchzen. Er liebt, betet an – vergöttert das Weib wie einen Engel und begehrt den Engel als Weib. All dies ging mit Gustav vor, als er in das Stübchen trat. Alle Arten von Begierden, die Gemüt und Blut zusammen nur zu erzeugen vermögen, umschwärmten ihn gleich wie eine Vogelschar. Sie stand vor ihm.

Sie war blass, ihre Wangen waren nur von einer leichten Röte angehaucht, Vielleicht war's nur der Abendreflex. Ihr zartes Profil zeichnete sich schweigend wie eine Silhouette aus dem Grunde des Fensters ab. Sie hielt einen Kamm in der Hand und kämmte, vor einem silberumrahmten kleinen Spiegel stehend, ihr Haar. Die üppigen aufgelösten Flechten wanden sich wellenartig um ihre blasse Stirne. Dies Goldhaar rieselte über Brust und Schultern gleich wie aufgelöster Bernstein. Gustav bemerkend, begrüßte sie ihn mit der Hand und einem kaum bemerkbarem Lächeln. Die Witwe war schon seit lange aus ihrer Erstarrung erstanden. Die plötzliche und heftige Erschütterung, die der Anblick Schwarzens in ihr hervorgerufen, hatte sie erweckt. Sie begann zu denken. Eine Sache nur konnte sie sich im Anfange nicht erklären: die Gestalt Schwarzens verflocht sich in ihrem Geiste der Art mit der Gestalt Potkanskis, dass sie selbst nicht wusste, ob ihr früherer Mann Schwarz oder Potkanski geheißen habe. Es waren dies noch die Überreste des Irrsinns. Aber in Kürze kehrte der Strahl des Lichtes wieder in den in Dunkel gehüllten Geist. Sie bat Gustav, ihr dazu zu verhelfen, Schwarz zu sehen. – Gustav willigte wenn auch widerstrebend ein. Mit bangem Sehnen harrte sie des Abends, an dem sie der Erinnerung des einstigen Glückes ins Auge blicken konnte. Nicht Schwarz suchte sie, wohl aber die Erinnerung in ihm, und deshalb war er ihr unentbehrlich. Langsam, ja kaum bemerkbar verwandelte sich die Vergangenheit in die Gegenwart, der Traum in Wirklichkeit. Schwarz hatte dies bemerkt und versprach Gustav – nicht zu ihr zu gehen; Helena für diese Kunde vorzubereiten, sie ihr mitzuteilen war Gustav vorbehalten. Es war leicht vorauszusehen, welchen Eindruck dies aus sie hervorbringen musste. Sie schlug die Hände über den Kopf zusammen. Die Haarwellen fielen ihr rauschend über die Schultern.

– Wo werde ich ihn sehen? – fragte sie Gustav ungestüm.

Dieser schwieg.

– Ich muss ihn sehen, hier oder wo immer. Er sieht Kazimir so ähnlich ... Mein Gott! Ich lebe ja nur ... von dieser Erinnerung Panie Gustav ...

Gustav schwieg. Es empörte ihn dieser blinde Egoismus der Witwe nicht wenig. Aufs neue spielte sich in seinem Innern ein ganzes Drama ab. Sie bat ihn, alles anzuwenden, sein eigenes Glück zu untergraben. Nein! – da müsste er ja ein Narr sein. Aber – dachte er wieder – sie bat ihn ja. Er biss sich die Lippen blutig und schwieg. Er habe doch auch ein gewisses Anrecht aus Leben. Alles was in ihm nur menschlich war, widersetzte sich mit verzweifelter Energie ihren Bitten – sie drang indessen immer mehr in ihn:

– Panie Gustav, Ihnen gelingt's, es so einzurichten, dass ich ihn sehe. Ich will ihn sehen! Warum fügen Sie mir einen solchen Schmerz zu?

Ein kalter Schweiß trat Gustav auf die Stirne, – er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und erwiderte mit düsterer Stimme:

– Ich verursache Ihnen keinen Schmerz ... aber ... (seine Stimme zitterte, er musste sich anstrengen ihr nicht zu Füßen zu fallen und auszurufen: »ich liebe dich ja! quäle mich nicht!«) er will nicht herkommen – schloss er kaum hörbar.

Er hätte viel darum gegeben, diesen Moment zu vermeiden. Helena bedeckte sich das Antlitz mit den Händen und fiel auf einen Lehnstuhl. Wieder herrschte eine Weile Stille, man hörte das Rauschen der Blätter hinter dem Fenster ... und hier wand sich eine Menschenseele im Kampfe mit sich selbst. Schwarz zu ihr führen, damit er ihm Helena raube – hieß für Gustav das Unglück entfesseln. Doch der Kampf war von kurzer Dauer: er kniete vor der Witwe nieder, drückte ihre Hand an die Lippen und sprach mit unterbrochener Stimme:

– Ich tue was ich vermag ... Er wird herkommen! ... Es gehe wie es wolle ... Er kommt, nur kann ich nicht bestimmen, wann ... ich bringe ihn selbst her ...

Bald darauf verließ er die Wohnung Helenens und brummte mit zusammengedrückten Zähnen:

– Ja ... er wird kommen! aber nicht ich bringe ihn ... er kommt ... in einem Monate ... in zwei ... In einem Monate bin ich vielleicht schon ruhig.

Ein Hustenanfall unterbrach die weitere Überlegung. Er irrte noch lange in den Straßen herum; als er endlich heimkehrte, schlug es aus dem Kirchturme zwei Uhr. Schwarz schlief bereits ... Er atmete gleichmäßig, ruhig ... Das Lampenlicht fiel ihm auf die gewölbte Stirne und die entblößte Brust ... Gustav betrachtete fieberhaft diese Brust. In seinen Augen blitzte Hass auf. Er saß so ungefähr eine Stunde – plötzlich zuckte er zusammen ... Er war zum Bewusstsein gelangt. Es erwachte in ihm ein Gefühl, gänzlich entgegengesetzt dem, das er bis jetzt gehegt hatte. Er fühlte, dass er Hunger habe. Er ging also zum Büchergestelle, holte sich von da ein Stück schwarzen, ungebeutelten Brotes und begann hastig zu essen. Er hatte seit zwei Tagen nichts in den Mund genommen.


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