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Am andern Tage jedoch war Schwarz, nachdem er vortrefflich ausgeschlafen hatte, schon ganz ruhig und lachte sogar über den vorigen Tag wie über seine eigenen Besorgnisse.
– Man lässt gar viele schöne Phrasen vom Stapel, dachte er – aber wie ist die Wirklichkeit? Ein Tor nur stößt das Glück von sich. Gustav war der beste Beweis, was ein einseitiges, wenn auch heftiges, wenn auch noch so sehr männliches Gefühl bedeutet. Man zahlt's mit dem Leben und ich tauge wenig zum tragischen Helden. Übrigens, was kümmert's jemand, wenn ich Helenen liebe und sie mich? Augustinowicz, so sieh' doch auf, Spitzbube! Sage an, welcher hundertzüngige Satan hat gestern irgend einem nussfarbigen Sonnenschirme den Kopf verdreht – Beichte!
– Hast du ihr Gesicht gesehen? – fragte Augustinowicz, sich zu einem Seufzer zwingend.
– Ich sah es und bei Jupiter! es gleicht einem frisch ausgerissenen Rettich – die Mutter sieht wie ein Trog Sauermilch aus. Nun? hast du dich verliebt, Alter?
– Gemach, das sind gar reiche Frauen.
– Beide? Wie viel hat die Tochter?
– Wer würde eine solche Summe zusammenzählen – und sie wird einmal noch reicher.
– Reicher? – an Mann und Kindern?
– Nicht das, aber die Mutter ist eines Prozesses wegen hierhergekommen, und weißt du, mit wem sie prozessiert? – Mit unserm Nachbar, dem Grafen, der ihr einige tausend Gulden schuldet.
– Woher weißt du das alles? Kennst du sie seit lange?
– Seit gestern. Ich lernte sie zufälligerweise kennen: sie fragten mich nach dem Weg – wohin? ... aus Ehre, ich merkte es kaum, aber ich sagte, dass das Wetter wunderhübsch sei und ich fragte sie, ob sie nicht erlaubten, dass ich sie ein wenig begleite. Die Alte ist eine wahre Plaudertasche – ich erfuhr sogleich, wer sie wären und weshalb sie hergekommen Man fragte mich, ob ich nicht den Grafen kenne? Ich erwiderte, dass ich dort ein täglicher Gast sei und dass ich auf den Alten einwirken werde, ihr seine Schuld zu zahlen. Ich sagte ihr auch, dass ich Doktor der Medizin, der Theologie und vieler anderen Wissenschaften und schönen Künste sei – dass ich eine ungeheuere Praxis in Kiew habe. Daraus begann die Mutter mir ihre und ihrer Tochter Gebrechen ins Ohr zu flüstern. Ich versprach sie zu besuchen und der Sache auf den Grund zu sehen.
– Natürlich. Was meinte die Tochter dazu?
– Sie hing die rote Flagge auf dem Gesichte aus ... die Mutter schalt sie deswegen aus, rief alle Heiligen an und versicherte mich ihres besondern Schutzes zur Zeit des Jüngsten Gerichtes. Siehst du nun ein, dass ich gewonnenes Spiel habe?
– Du bist sehr naiv ...
– Ich werde heute bei ihnen sein.
– Bei den Heiligen?
– Nein – bei meinen neuen Bekannten. Ich werde beiden anraten zu heiraten.
– Die Jüngere dich?
– Was willst du, mein Lieber! der Mensch altert; ich denke übrigens, dass wir auch dir bald unsere Glückwünsche darbringen werden.
– Ich bat dich schon, zwischen mir und Helenen nicht zu vermitteln.
– Gut! Ich sage dir nur, dass sie wunderschön ist.
– Bah! – erwiderte Schwarz mit schlecht verhehlter Zufriedenheit.
In diesem Augenblicke trat Wassilkiewicz ein.
– Im Vorbeigehen – sagte er – Karl erwartet mich unten, wir reisen beide aufs Land. Schwarz, ich habe ein Geschäft mit dir. Ich will's kurz machen! ich wollte mich in die Liebesverhältnisse nicht mengen – ungeachtet der Bitten Augustinowiczs – aber es zieht sich schon gar zu lange hin. Sprich, was gedenkst du mit der Potkanska zu machen?
Schwarz stieß das in der Hand haltende Pfeifenrohr heftig in eine Zimmerecke, dann setzte er sich und blickte Wassilkiewicz in die Augen.
– Eine Frage für eine Frage – sagte er. – Sprich, was kümmert's dich?
Wassilkiewicz runzelte die Stirne, es tobte in ihm, er erwiderte aber ruhig:
– Ich frage dich wie ein Kollege den andern. Helene gehört nicht zu der Klasse von Frauen, die man heute liebt und morgen zu lieben aufhört Übriges hat Potkanskis eingedenk jeder seiner Kollegen das Recht, auf eine solche Frage eine Antwort zu heischen.
Schwarz erhob sich mit zornfunkelnden Augen.
– Und wenn ich keine Antwort gebe – was dann? rief er aus. – Wer hat ein Anrecht auf Helene? wer wagt es, sich zwischen mich und sie zu stellen?
Jetzt brauste Wassilkiewicz seinerseits auf.
– Du lockerer Zeisig hast also gedacht, dass wir dir erlauben werden mit dem armen Weibe dein Spiel zu treiben, ohne zu fragen, wohin das führe? Möge der Satan sein Spiel mit dir treiben! Du musst uns gegenüber für die Ehre der Witwe Potkanskis gutstehen und nicht ich allein werde dich daran mahnen!
Sie standen eine Weile einander gegenüber, Auge in Auge, mit drohender Stirne, als wollten sie gegenseitig den Kampf ausfechten. Endlich fasste sich Schwarz zuerst, wenn auch noch bebend vor Zorn und begann:
– Höre, Wassilkiewicz! Wenn mir das ein anderer getan hätte, ich würde ihn zur Türe hinausgeworfen haben. Ich gehöre nicht zu denen, die sich kommandieren lassen und begreife noch immer nicht, weshalb ihr euch in fremde Angelegenheiten mengt. Jedenfalls verletzt es mich. Ich antworte demnach dir und allen, die sich um die Ehre Helenens zu kümmern ein Gelüst tragen, dass ich nur mir allein für diese Ehre Rechenschaft zu geben habe, dass ich niemandem das Recht einräume meine Handlung zu bemäkeln und dass du und die Deinen eine durch nichts gerechtfertigte, brutale und für die Potkanska nachteilige Dummheit begehen, wenn ihr für sie in die Schranken tretet. Ich habe geendet und entferne mich, dir Zeit lassend zu überlegen, was du getan. – Wassilkiewicz blieb mit Augustinowicz zurück.
– Nun? – er hat dir den Kopf gewaschen?– fragte der letztere.
– Unstreitig.
– He? Gestehst du es ein, dass er dir den Kopf gewaschen?
– Kein Zweifel.
– Weil du eine Dummheit begangen – mit ihm muss man leise auftreten – er hat einen harten Schädel!
Schwarz begab sich geradeaus zu Helenen. Er war im höchsten Grade aufgeregt; er konnte sich Wassilkiewiczs Verfahren nicht erklären, fühlte jedoch, dass das Hineindrängen eines Dritten zwischen Helenen und ihn sie nur voneinander entferne, statt sie näher zu bringen. Als er in die. Wohnung Helenens trat, fand er die Türe ihres Zimmers geschlossen; die Magd konnte ihm nicht sagen, was die Frau mache. Er öffnete leise die Türe – Helene schlief auf die Lehne des Fauteuils gestützt; Schwarz blieb an der Türe stehen und betrachtete sie mit einem eigentümlichen Gesichtsausdrucke. Sie wachte nicht auf: ihr voller Busen hob und senkte sich gleichförmig. Es gibt nichts Weicheres als die sanfte Bewegung eines Frauenbusens. Auf ihn gelehnt kann man entschlummern wie in einer Wiege oder in dem von einer leichten Welle bewegten Boote. Jeder erinnert sich, so an der Mutterbrust eingeschlummert zu sein. Das geheimnisvolle Traumreich offenbart sich im Weibe durch diese Bewegung allein, die man eine gesegnete nennen darf, so Viele Bedingungen des menschlichen Glückes wogen der Art dem Lande der Ruhe zu. Die Bewegung der Engelsfittiche muss dieser gleichen. Sie schläfert alles ein, vom Weinen des Kindes bis zu den stolzen Gedanken des Weisen. Das Haupt des Weisen, schlummernd auf dem Busen des Weibes, ist der größte Triumph der Liebe. Schwarz gingen wohl solche Gedanken durch den Kopf, denn auf die schlummernde Helene blickend, besänftigte er sich immer mehr, es war die Nacht, die in den Morgen übergeht Er neigte sich ihr zu und berührte leise mit den Lippen ihre Hand. Helene schauerte zusammen und die Augen weit öffnend lächelte sie wie ein Kind, das der samtweiche Kuss der Mutter aus dem Schlafe weckt. Zum ersten Male trat Schwarz mit einer so zarten Liebkosung zu ihr – gewöhnlich war er, wenn nicht strenge, jedenfalls ernst, jetzt kam er, den unangenehmen Eindruck seines Streites mit Wassilkiewicz zu ihren Füßen zu verwischen, zu vergessen. Die wunderbare Macht des Weibes, unter dessen Einfluss der trübe Bodensatz des Gemüts auf den Grund des Vergessens niederfällt, hatte ihn langsam bewältigt. Er war aber zu sehr aufgeregt gewesen, als dass sich nicht durch ein Wort ein Teil der Bitterkeit offenbarte, die er vor einem Momente erst empfunden hatte. Er hob den Kopf in die Höhe, blickte der Potkanska in die Augen und sprach:
– Helene, mir scheint, dass ich dich sehr innig liebe, aber die Dummheit der Leute reizt meine Eigenliebe, fordert mich heraus. Ich wollte in dir selbst neue Kraft schöpfen. Vertraue mir Helene – liebe mich!
– Ich verstehe dich nicht, mein Joseph!
Schwarz ergriff Helenens Hand und sprach sanft:
– Und doch solltest du mich Verstehen. Ich schmeichle mir, dass ich weder in der Liebe für dich noch in der Arbeit für dein Glück hinter Potkanski zurückstehe. Aber es ist ein Unterschied zwischen uns. Er, der Sohn eines Magnaten, konnte dir gleich die Hand reichen, dich mit Überfluss umgeben – ich bin der Sohn eines Handwerkers, ich muss noch lange für dein und mein Glück arbeiten. Ich werde dich nicht verlassen, aber ich will nicht, dass du als meine Frau wieder mit der kalten Wirklichkeit der Armut in Berührung kommst, der du durch ihn entwöhnt wurdest. Dazu bedarf es aber deiner vertrauenden Liebe. Sprich, Helene ...
Helene erwiderte nichts, aber sie näherte sich Joseph, legte den Kopf an feine Brust und blickte ihn mit ihren kindlichen Augen vertrauensvoll an.
– Das ist meine Antwort, meine gute Helene – sagte Schwarz, und ein inniger Kuss vereinte ihre Lippen mit den seinigen. – Vielleicht ist's Egoismus meinerseits, aber vergib mir ihn – fuhr Schwarz fort. Ich habe dich weder durch mein Verdienst noch durch Leiden errungen, ich habe für dich rein nichts getan. Das Phantom des Reichtums, mit dem dich Potkanski umgab, einerseits, das der Aufopferung Gustavs andrerseits würden immer zwischen uns stehen. Gestatte mir, Helene, dich zu verdienen – es fehlt mir nicht an Kraft und Energie, – ich werde dich nicht täuschen.
Schwarz schien es vielleicht, dass er aufrichtig spreche, aber es war unschwer zu ersehen, wie viel Anteil die verletzte Eigenliebe an diesen Worten hatte, wenn man auf die derzeitigen Lebensverhältnisse Helenens einen Blick warf. Wenn Schwarz sogleich um ihre Hand gebeten hätte, die Verhältnisse hätten sich kaum und jedenfalls nicht zum Schlimmen verändert. Er hätte in diesem Falle die Wohnung mit ihr geteilt, er hätte sich Augustinowiczs und aller Ausgaben für ihn entledigt. Dagegen muss man andrerseits anerkennen, dass er das Gustav gegebene Wort mit aller Gewissenhaftigkeit einhielt. Bei Helene hatte sich nichts geändert – Schwarz hätte sie also unter denselben Verhältnissen geheiratet, in welchen sie sich seit zwei Jahren befand. Von dem, was er Helenen von seinem Ehrgeize sagte, war unstreitig nur die Hälfte wahr; mehr noch herrschte in ihm der Wunsch vor, den Gegnern den Handschuh hinzuwerfen Das vorzüglichste Motiv aber, weshalb er Helenen nicht heiratete, war ihr gegenseitiges Verhältnis – die allzuvertrauliche Annäherung zwischen Personen, die durch keine Bande vereinigt sind, die eine größere Berechtigung zu Küssen und Liebkosungen geben. Der Kelch war zur Hälfte geleert. Die Legitimität hätte den gekosteten Süßigkeiten den Reiz der verbotenen Frucht geraubt, ohne neue zu verheißen. Es zeigte sich demnach, dass Augustinowicz teilweise nicht unrecht hatte. Schwarz gestand es vielleicht sich selbst nicht, dass er eben deshalb keine Veränderung in den Verhältnissen wünschte, weil ihm die vorhandenen bequem waren. Liebte er demnach Helene nicht? Wohl liebte er sie, sonst hätte er sie nicht täglich besucht, hätte ihr nicht die Hände, Stirne und Mund geküsst; vergessen wir aber nicht, dass all dies nur zur Hälfte die Begierde befriedigt, der wir unter anderen Bedingungen vor dem Altare Genüge leisten. Der Begriff: Verlobte ist gleichsam ein durchsichtiger Schleier aus einem nackten Weibe. Wir treten an den Altar, um ihn herunterzureißen – heruntergerissen büßen wir einen Teil des Zaubers ein. Die ehrliche menschliche Natur entschädigt diesen Verlust mit dem Begriffe: Zuneigung; wo auch diese fehlt, tritt ein noch weniger lockendes Ding ein – Gewohnheit. Aber das Leben schreitet vorwärts. Schwarz hatte den Schleier schon etwas verschoben, zum völligen Fallenlassen führten zwei Wege – der eine nannte sich Altar, der andere ... der andere war das momentane Selbstvergessen, der Sieg der Leidenschaft über die Ehre – ein weniger redlicher, ein grader unredlicher, aber ein rascher und lockender Weg. Der erste war schwer – beim zweiten war jeder Moment eine Versuchung, jeder Kuss ein Sporn. Zum ersten benahm die allzufrüh begonnene Beschützung Helenens die Lust, zum zweiten riet die Eigenliebe. Der erste Weg war aber der ehrenhafte – der zweite nicht. Schwarz stand am Scheidewege. Man könnte eigentlich sagen, dass ein ehrlicher Mann nicht zaudern dürfe; aber es ist immer die Frage erlaubt, wie ein ehrlicher Mann handeln würde, wenn die Gewalt der Versuchung den Fond der Ehrenhaftigkeit überwöge?
Helene liebte Schwarz, erwiderte nervös seine Küsse. Aus Erfahrung konnte sie keine Entscheidung treffen, die Unerfahrenheit brachte die Schwere des Gewichtes zum Schwanken, das in der Seele Schwarzens die Ehrlichkeit und Ehre im Gleichgewicht erhielt. Das Zauberwörtchen: »Liebe« bringt zuweilen große und kleine Kämpfe, Qual und Unruhe mit sich. Der ganze Schwarm fliegt mutwillig, heftig mit Sausen und Brausen, mit Schellengeklingel von allen Seiten herbei, spielt mit dem Herzen wie mit einem Balle, schleudert es bis an die Sterne oder stampft es auf dem Boden. Es öffnen sich da alle Kammern deiner Seele und man ahnt es kaum, was sie enthalten. Alle sieben Todsünden mit allen möglichen Tugenden führen um dich ein Wettrennen auf. Du siehst dich da ganz anders, als du je gedacht; du hörst auf, dir zu trauen, verdächtigst dich auf jedem Schritte, verlierst die Herrschaft über dich. Die Flammen der Leidenschaft lodern aus der Tiefe deines Seins auf, irren gleich Irrlichtern auf dem Sumpfe umher, schleichen, winden sich, flackern auf und erlöschen. Die Geistesnacht wird von ihrem Lichte blitzhell erleuchtet – sie zeigen dir in ihren Farben dein eigenes Innere. Du spielst die Rolle eines Schauspielers und Sehers, bist gleichsam ein Boot ohne Ruder auf Flammenwogen ...·Dann endet ein einzelner Donnerschlag alles ... das. Feuerwerk erlischt – du träumst dann wie Dante von Himmel und Hölle. Traurig, wenn beim Erwachen dich nicht jemand für die ausgestandene Pein entschädigt. Die Ruhe kehrt wohl wieder, aber nicht das Glück. Der abgehauene Arm schmerzt nicht mehr, er ist aber auch dahin.
Augustinowicz hatte vielleicht nicht ganz unrecht, dass es nicht der Mühe lohne, das Leben für ein einziges Gefühl in die Schanze zu schlagen. Es zieme sich vielleicht nicht, an die engen Wände des eigenen Egoismus und der eigenen Gelüste sich zu stoßen. Über uns und zu unsern Seiten liegt die weite Welt – es tosen da die von der ganzen Menschheit aufgeregten Wellen, ist es da nicht besser, den Anker zu lichten, das Fahrzeug vom Ufer abzustoßen, das wehklagende Herz zu trösten und in die Zukunft hineinzusegeln, ohne Glück, aber mit der Arbeit, ohne Glauben, aber mit dem Gedanken? Das ist gewiss, dass man bis zu einer derartigen Feuerprobe den Metallwert der menschlichen Seele, so zu sagen, nicht bestimmen kann. Man konnte demnach für das künftige Verfahren Schwarzens gar keine Bürgschaft leisten. Er war manchen Versuchungen ausgesetzt – das ist uns bekannt; wir geben auch zu, dass er ihnen nach Möglichkeit entgegenkämpfte; wie es aber endete, ob er oder sie sich als stärker herausstellt, das erfahren wir später.