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In keinem Geschichtsbuchs steht verzeichnet, wie viele Schlachten noch die königliche Armee, der Adel und das Volk der Republik mit den verschiedenen Feinden geschlagen haben. Man kämpfte überall; in den Wäldern und Feldern, in Dörfern, Städtchen und Städten. Man kämpfte in Kurpreußen und in den preußischen Lehnslanden, in Masowien, in Großpolen und Kleinpolen, in Reußen, Litauen und der Smudz, ohne Ruhepause Tag und Nacht.
Jede kleine Erdscholle war vom Blute durchtränkt. Die Namen der Ritter, ihre glänzenden Thaten, die großen Opfer, welche in jener Zeit auf den Altar des Vaterlandes gelegt worden, sind im Gedächtnis der Menschen erloschen, denn kein Chronikenschreiber hat sie verzeichnet, kein Lautenschläger hat ihr Lob gesungen. Aber die Kraft und der Widerstand der Feinde mußte endlich an der Macht dieser gemeinsamen Bemühungen zerschellen.
Und wie die Jäger erzitternd und erbleichend den Fuß zur Flucht wenden, wenn der majestätische Löwe, von ihren Pfeilen scheinbar zum Tode dahingestreckt, plötzlich noch einmal sein Haupt erhebt, die königliche Mähne schüttelt und sein gewaltiges Gebrüll erschallen läßt, so hatte sich die Republik erhoben, immer drohender, immer gewaltiger, voll des göttlichen Zornes, bereit, der ganzen Welt die Stirn zu bieten, während Angst und Schrecken die Glieder der Feinde befiel. Sie dachten nicht mehr daran, das Land zu bekriegen oder Beute zu gewinnen; all ihr Trachten und Sinnen mußte nunmehr darauf gerichtet sein, dem Rachen des Löwen zu entfliehen, die heimatlichen Stätten glücklich wieder zu erreichen.
Es half nichts, daß eine Liga nach der anderen geschlossen wurde, daß neue Heere der Ungarn, Siebenbürger und Wallachen in die Grenzen des Reiches brachen. Einmal noch zog ein böses Unwetter über das Land, zwischen Krakau, Warschau und Berestetsch, doch seine Gewalt zerschellte an den polnischen Panzern und Schilden, so daß es zerstiebte und in alle vier Winde verwehte.
Der König von Schweden, welcher zuerst an seiner Sache verzweifelte, eilte nach Dänemark, um dort den Eroberungszug zu beginnen, der Kurfürst, zuerst Verbündeter der Schweden, begann an dem Joch zu rütteln, welches er sich selbst auferlegt und schlug auf die Schweden los, die mörderischen Scharen Rakotschys flohen zurück in ihre siebenbürgische Heimat, die Herr Lubomirski inzwischen mit Feuer und Schwert verwüstet hatte.
Doch es war ihnen leichter geworden in die Republik einzufallen, als aus ihr hinauszukommen. Als sie auf dem Rückzuge beim Ueberschreiten der Grenze von den Polen überfallen und ausgehalten wurden, da baten die Siebenbürger Grafen die Herren Potozki, Lubomirski und Tscharniezki fußfällig um Erbarmen.
»Wir wollen die Waffen niederlegen, unsere Millionen hergeben,« riefen sie, »nur laßt uns abziehen.«
Und die Hetmane nahmen das Lösegeld an; sie hatten Erbarmen mit den Elenden und ließen sie ziehen. Aber sie fielen den Tartarenhorden dicht an der Schwelle ihrer Heimat in die Hände und nur wenige retteten ihr Leben.
Allmählich kehrte der Friede in die polnischen Ebenen zurück. Der König stand noch im Begriff, die preußischen Festungen zurückzunehmen, während Herr Tscharniezki die polnischen Schwerter bis nach Dänemark zu tragen beauftragt war, da sich die Republik nicht mehr dabei bescheiden wollte, die Feinde nur hinauszutreiben, sondern sie auch bis in die Ferne zu verfolgen.
Städte und Dörfer begannen sich aus den Trümmern zu erheben, das Volk kam aus den Waldverstecken zu ihren alten Wohnstätten zurück und der Pflug durchfurchte wieder die blutgedüngten Aecker.
Es war im Herbst des Jahres 1657, gleich nach der Beendigung des ungarischen Feldzuges; in dem größten Teil der Republik war die Ordnung und Ruhe wiederhergestellt, besonders still ging es in der Smudz her.
Diejenigen der Laudaer, welche mit Herrn Wolodyjowski ausgezogen waren, weilten noch weit, weit in der Ferne, im Felde; aber man erwartete jetzt ihre Rückkehr.
Unterdessen waren die Greise, Weiber und die heranwachsende Jugend beiderlei Geschlechts in Morozy, Wolmontowitsch, Droschejki, Mosozi, Goschtschuny und Pazunel mit dem Umackern der Aecker und dem Ausstreuen der Wintersaaten beschäftigt. Gleichzeitig bemühten sie sich mit vereinten Kräften, die in den Hufenländern niedergebrannten Hütten und Stallungen wieder aufzubauen, damit die zurückkehrenden Krieger ein Obdach fänden und nicht zu hungern brauchten.
Olenka befand sich schon geraume Zeit mit Anusia Borschobohata und dem Schwertträger in Wodockt. Herr Thomas hatte es nicht eilig, auf sein Stammgut Billewitsche zu kommen, einmal, weil es niedergebrannt war, zweitens, weil er sich in der Gesellschaft der Mädchen wohler befand, als allein. Er richtete mit Olenka zusammen in Wodockt die Wirtschaft wieder ein und half somit die alte Ordnung wieder herstellen.
Das Fräulein wollte Wodockt auf das Beste wieder herstellen, denn dieses Stammgut sollte zusammen mit Mitrun ihre Mitgift ausmachen, wenn sie in das Kloster eintrat, d. h. als Eigentum an den Orden der Benediktinerinnen übergehen, in welchen sie einzutreten gedachte. Sie hatte die Absicht, vom nächsten Neujahr ab ihr Noviziat anzutreten.
Wenn sie alles überdachte, was ihr begegnet war und wie wechselvoll das Leben ihr mitgespielt hatte, welch harte Enttäuschungen sie erlitten, so war sie je länger desto mehr zu der Ueberzeugung gelangt, daß es Gottes Wille sei. Ihr war, als stoße eine unsichtbare Hand sie hin zur stillen Zelle, als spreche eine Stimme zu ihr:
»Dort findest du Frieden und das Ende aller weltlichen Sorgen!«
So hatte sie beschlossen, der Stimme zu folgen. Da sie jedoch im Innersten ihrer Seele sich noch zu sehr an die Erde und die Welt gefesselt fühlte, so wünschte sie sich durch Frömmigkeit, gute Werke und heiße Arbeit für die klösterliche Stille vorzubereiten. In diesen Bemühungen wurde sie oft durch Stimmen aus der Ferne gestört, die verworrene Kunde zu ihr trugen.
So begannen die Menschen sich zu erzählen, daß dieser berühmte Babinitsch, von dessen Thaten die ganze Republik widerhallte, und Kmiziz, ein und dieselbe Person sei. Die einen widersprachen dem, andere beharrten um so fester auf dieser Behauptung.
Olenka wollte solcher Nachricht keinen Glauben schenken. Ihrem Gedächtnis waren nur allzusehr alle Unthaten Kmiziz's gegenwärtig, sie gedachte seiner den Radziwill geleisteten Dienste, und gegenüber diesen Gedanken konnte sie nicht annehmen, daß er der Besieger des Fürsten Boguslaw, ein treuer Diener des Königs, ein so eifriger Patriot geworden sein sollte. Dennoch wurde ihr Friede durch solche Gerüchte gestört; Schmerz und Gram wollten sich von neuem in ihrem Herzen einnisten.
Vielleicht wäre dem allem durch den beschleunigten Eintritt in das Kloster abzuhelfen gewesen, doch die Nonnen waren verstreut, die Kloster verlassen. Diejenigen Nonnen, welche dem Uebermut und der Raubsucht der Soldaten während des Krieges entronnen waren, begannen erst jetzt allmählich sich wieder einzufinden und zu sammeln.
Dazu war das allgemeine Elend so groß, daß diejenigen, welche die Absicht hatten, sich hinter die Klostermauern zu flüchten, nicht nur Lebensmittel für sich selbst, sondern für den ganzen Konvent mitbringen mußten.
Olenka wollte ja nun mit vollen Händen geben, sie wollte nicht nur eine Klosterschwester werden, sondern die Ernährerin der Schwestern.
Der Schwertträger, welcher wußte, daß seine Arbeit der Ehre Gottes geweiht sein sollte, arbeitete mit großem Eifer. Beide, Olenka und er, besuchten zusammen fleißig die Vorwerke, beaufsichtigten die Herbstarbeiten, welche dann im nächsten Frühjahre ihren Segen bringen sollten. Zuweilen wurden sie auf diesen Wegen von Anusia Borschobohata begleitet, welche die ihr von Kmiziz widerfahrene Beleidigung nicht vergessen konnte und nun täglich drohte, auch in das Kloster einzutreten. Sie wollte nur noch auf die Wiederkehr des Herrn Wolodyjowski warten, der seine Laudaer Fahne zurückbringen mußte, um sich von diesem alten Freunde zu verabschieden. Meist jedoch blieb der Schwertträger mit Olenka allein, weil Anusia die Wirtschaftsarbeiten langweilig fand.
Eines Tages ritten sie wieder auf den kleinen Reitpferden nach Mitrun, wo gerade jetzt über dem Aufbau der während des Krieges niedergebrannten Scheuern und Ställe gearbeitet wurde.
Sie wollten auf dem Wege dorthin in die Kirche eintreten, da heute der Jahrestag der Schlacht bei Wolmontowitsch war, wo Babinitsch in der höchsten Not als Retter erschienen war. Der ganze Tag war ihnen unter allerlei Beschäftigungen schnell vergangen, so daß sie erst gegen Abend aus Mitrun fortkonnten.
Auf der Hinfahrt hatten sie den Kirchweg benutzt, die Rückfahrt mußten sie durchaus über Lubitsch und Wolmontowitsch machen. Kaum hatte das Fräulein die ersten Rauchwölkchen aus den Schornsteinen des Dorfes Lubitsch gesehen, als sie auch schon mit abgewandtem Gesicht schnell zu beten anfing, um die traurigen Gedanken zu bannen, welche ihr kamen, während der Schwertträger schweigend neben ihr dahin ritt und nur eifrig Umschau hielt.
Endlich, als sie das Drehrad der Dorfstraße hinter sich hatten, sagte er:
»Es ist doch ein herrlicher Besitz, dieses Lubitsch. Es ist doppelt soviel wert als Mitrun.«
Olenka betete weiter.
In dem Schwertträger erwachte der alte Oekonom, vielleicht auch der Edelmann, welcher sich gern sprechen hört, denn nach einer Weile sprach er, wie zu sich selbst:
»Von Rechtswegen gehört es doch uns ... Es ist seit ewigen Zeiten Eigentum der Billewitsch, durch Mühsal und Schweiß erworben. Jener Unglückselige muß längst tot sein, da er sich bisher nicht gemeldet hat; aber selbst wenn er sich melden sollte, ist das Recht mit uns«
Hier wandte er sich an Olenka:
»Wie denkst du darüber? Bitte!«
»Dieser Ort ist verflucht. Mag mit ihm geschehen, was da will.«
»Aber er gehört uns von Rechtswegen. Denke, der Ort war verflucht in böser Hand; er wird zum Segen werden in guter Hand. Das Recht ist unser!«
»Niemals! Ich will nichts davon hören! Der Großvater hat die Verschreibung bedingungslos gemacht, mögen denn seine Verwandten es nehmen.«
Mit diesen Worten trieb sie ihr Pferd zur Eile an, der Schwertträger mußte ihr nach und sie ritten im Trab bis weit hinaus auf der offenen Landstraße. Erst draußen im offenen Felde verlangsamte Olenka das Tempo. Unterdessen war die Nacht hereingebrochen, aber es war nicht finster, denn der Vollmond stieg rot hinter dem Walde von Wolmontowitsch heraus und leuchtete über der ganzen Gegend mit blassem Schimmer.
»Ah! welch schöne Nacht hat Gott uns gegeben,« sagte der Schwertträger, während er lange in die volle Mondscheibe blickte.
»Wie weit man doch Wolmontowitsch leuchten sieht!« sagte Olenka.
»Weil die Schindeln auf den Dächern noch nicht schwarz geworden sind,« versetzte der Schwertträger.
Weiter kamen sie mit ihrer Unterredung nicht. Von Ferne drang das Knarren von Wagenrädern an ihr Ohr. Zu sehen war anfangs nichts, denn der Weg war hier hügelig; doch es währte nicht lange, da tauchten hinter dem Hügel erst ein Paar Pferde auf, die vor die Deichsel eines Wagens gespannt waren, dahinter noch ein Paar, welche in der Deichsel gingen und zuletzt ein gewöhnlicher Leiterwagen, von mehreren Reitern umgeben.
»Was mögen das für Leute sein?« sagte der Schwertträger.
Er hielt sein Pferd an, Olenka blieb neben ihm.
Der Wagen kam näher; jetzt war er dicht bei ihnen.
»Halt!« rief der Schwertträger. »Wen habt ihr da?«
Einer der Reiter wandte sich ihnen zu:
»Wir bringen Herrn Kmiziz, welcher von den Ungarn bei Magierow schwer verwundet worden ist.«
»Und das Wort ist Fleisch geworden!« schrie der Schwertträger.
Olenka kam plötzlich ein Schwindel an, der Herzschlag stockte, der Atem ging ihr aus. In ihrem Innern tönte es fort und fort: »Jesus, Maria! Er ist es!« Dann verließ sie die Besinnung; sie wußte nicht mehr, wo sie war, was mit ihr geschah.
Aber sie fiel nicht vom Pferde, denn mechanisch hatte sie nach der Leiter des Wagens gegriffen und sich krampfhaft daran festgehalten. In dem Augenblick, wo sie wieder zu sich kam, fiel ihr Blick auf eine unbewegliche Menschengestalt, welche auf dem Wagen ausgestreckt lag. Ja, das war er, Herr Andreas Kmiziz, der Fahnenträger von Orschan. Er lag auf dem Rücken; sein Kopf war mit Tüchern umwickelt, aber in dem blassen Mondschein konnte man genau das blasse, ruhige Gesicht erkennen. Es sah aus, als wäre es aus Marmor gemeißelt oder im Eiseshauche des Todes erstarrt. Die geschlossenen Augen waren tief eingesunken, keine noch so leise Bewegung verriet, ob er noch lebte.
»Mit Gott! ...« sagte der Herr Schwertträger, während er die Mütze abnahm und das Pferd zum Weiterreiten spornte.
»Halt!« rief Olenka.
Und sie frug leise mit fieberhafter Hast:
»Lebt er noch oder ist er tot?«
»Er lebt, aber der Tod schwebt über ihm.«
Der Schwertträger, welcher sich wieder über das Gesicht des Daliegenden gebeugt hatte, sagte noch einmal:
»Ihr bringt ihn nicht mehr lebend nach Lubitsch.«
»Er befahl, ihn unter allen Umständen hierher zu bringen, weil er hier sterben will,« sagte der Reiter.
»Mit Gott! Eilt euch!« sprach der Schwertträger.
»Gott befohlen!« antworteten die Leute.
Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung und Olenka ritt mit dem Schwertträger, was die Pferde ausgreifen konnten, nach der entgegengesetzten Richtung. Sie flogen durch Wolmontowitsch wie zwei Nachtgespenster; ohne ein Wort zu sprechen, langten sie in Wodockt an. Erst als sie von den Pferden stiegen, wandte sich Olenka an den Oheim:
»Man muß ihm einen Geistlichen schicken!« sagte sie, mit vor Erschöpfung müder Stimme. »Es muß sogleich ein Bote nach Upit abgehen!«
Der Schwertträger beeilte sich, den Auftrag Olenkas auszuführen. Sie aber ging direkt in ihr Gemach und fiel vor dem Bilde der Gottesmutter auf die Kniee.
Einige Stunden darauf, schon spät in der Nacht, hörte man vor dem Thore des Gutshofes ein Glöcklein vorüberklingeln. Es war der Geistliche, welcher mit den Sterbesakramenten nach Lubitsch zu eilte.
Fräulein Alexandra kniete noch immer. Ihre Lippen murmelten die Litanei für die Sterbenden. Und als sie dieselbe zu Ende gebetet, berührte sie mit der Stirn den Boden und wiederholte unablässig:
»Herr, rechne es ihm an, daß er von der Hand der Feinde stirbt! ... Herr, verzeihe ihm seine Schuld! Herr, erbarme dich seiner!«
Darüber verging die ganze Nacht. Der Geistliche blieb bis zum Morgen in Lubitsch, auf dem Rückwege trat er in Wodockt ein. Olenka lief ihm eilends entgegen.
»Ist er tot?« frug sie.
Mehr konnte sie nicht sprechen; der Atem ging ihr aus.
»Er lebt noch,« antwortete der Geistliche.
In den folgenden Tagen flogen täglich mehreremale Boten von Wodockt nach Lubitsch und jeder derselben kehrte mit der Nachricht zurück: »der Herr Fahnenträger lebt noch.« Endlich brachte einer die Nachricht, daß der Feldscheer, welchen man bis von Kiejdan hergeholt, festgestellt habe, Herr Kmiziz werde nicht nur nicht sterben, sondern von seinen Wunden genesen. Dieselben heilen glücklich und die Kräfte beginnen zurückzukehren.
Fräulein Alexandra sandte reiche Geschenke auf Dankmessen nach Upit, aber sie sandte keinen Boten mehr nach Lubitsch und – seltsam! mit der Beruhigung zugleich zog der frühere, schon überwunden geglaubte Schmerz über die Vergehen des Herrn Andreas in das Herz des Mädchens ein. Seine größte Schuld war ihr wieder in ihrer vollen Schändlichkeit gegenwärtig, so groß und schwer, daß sie nie verziehen werden konnte. Nur der Tod hätte vermocht, das Andenken daran auszulöschen ... Jetzt, da er gesund wurde, lastete dieselbe wieder auf ihm ... Und dennoch, – alles, was irgend zu seiner Entschuldigung dienen konnte, sagte sie sich unaufhörlich vor, um das Gefühl der Verachtung gegen ihn nicht zu mächtig werden zu lassen.
Sie härmte sich in diesen Tagen so sehr, ihre Seele litt unter den Widersprüchen ihrer Gedanken so fürchterlich, daß ihre Gesundheit schwankend wurde.
Das machte Herrn Thomas sehr besorgt. Als er also eines Abends allein mit ihr blieb, frug er sie:
»Sage mir aufrichtig, Olenka, was denkst du über den Fahnenträger von Orschan?«
»Gott allein weiß, daß ich gar nicht an ihn denken will!« antwortete Olenka.
»Denn siehe! ... Du magerst ab ... Hm! ... Es könnte ja sein, daß du noch ... Ich will dich nicht quälen, aber ich möchte doch gerne wissen, was in dir vorgeht ... Meinst du nicht auch, daß der Wunsch und Wille deines Großvaters noch in Erfüllung gehen könnte?«
»Niemals!« antwortete Olenka. »Der Großvater hat mir die Pforte offen gelassen, durch welche ich zum Frieden gelangen kann und nächstes Neujahr will ich dort anklopfen. Damit erfülle ich seinen Willen.«
»Ich habe ja auch nicht geglaubt,« versetzte der Schwertträger, »was einige hier verlauten ließen, nämlich, daß der Herr Babinitsch und Kmiziz ein und dieselbe Person sei; aber er hat doch bei Magierow auf Seiten des Vaterlandes gestanden, gegen die Feinde gekämpft und sein Blut vergossen. Es ist dies eine späte Besserung, aber doch eine Besserung!«
»Jawohl!« antwortete das Mädchen mit vom Schmerz bebender Stimme. »Dient denn etwa der Fürst Boguslaw nicht jetzt auch im Heere des Königs?– Möge Gott beiden verzeihen, besonders diesem hier, dessen Blut für das Vaterland geflossen ist ... Die Menschen werden aber immer das Recht behalten, zu sprechen, daß beide im Augenblick höchster Gefahr, im höchsten Elend und Niedergange des Vaterlandes, dasselbe nicht nur verließen, sondern zu den Feinden sich gesellten und erst dann wieder zu ihm zu halten begannen, als das Kriegsglück die Feinde verließ, ihr Fuß auf dem blutgetränkten Boden auszugleiten begann und ihr eigener Vorteil gebot, sich dem Sieger anzuschließen. Seht, das ist ihre Schuld! Es giebt keine Verräter mehr, weil der Verrat keinen Nutzen mehr bringt. Soll das ein Verdienst sein? ... Ist das nicht ein neuer Beweis, daß solche Menschen immer nur bereitwillig dem Stärkeren dienen? Wollte Gott! Wollte Gott, daß es anders wäre; aber solche Schuld kann nicht durch die Schlacht bei Magierow getilgt werden ...
»Es ist wahr! Ich kann das nicht bestreiten,« sagte der Schwertträger.
»Sie ist schwer zu ertragen, diese Wahrheit, doch bleibt es wahr! Alle früheren Verräter sind in das Lager des Königs übergegangen.
»Auf dem Fahnenträger lastet eine noch größere Schuld, wie auf dem Fürsten Boguslaw, denn Herr Kmiziz hat sich erboten, den König auszuliefern, eine That, vor welcher selbst der Fürst zurückschreckte. Kann eine zufällig erhaltene Schußwunde solche Schuld tilgen? ... Ich wollte mir gern meine rechte Hand abschlagen lassen, wenn ich glauben dürfte, das ist nicht geschehen ... aber es ist einmal geschehen und kann nie wieder ungeschehen gemacht werden. Gott hat ihm wohl das Leben erhalten, um ihm Zeit zur Buße zu lassen ... Nein, lieber Oheim! Wir werden uns selber betrügen, wenn wir uns einreden wollten, – seine Schuld sei gesühnt. Was könnte uns das nützen? Läßt sich das Gewissen betrügen? Nein! Gottes Wille geschehe. Was einmal zerrissen ist, läßt sich nicht mehr ganz machen; es wäre nur Flickwerk! Ich bin glücklich darüber, daß der Herr Fahnenträger leben bleibt ..., ich gestehe das gern, denn ich betrachte es als ein Zeichen, daß Gott noch nicht ganz seine Hand von ihm genommen hat ... Aber das muß mir genügen! Es wird mich glücklich machen, einst zu erfahren, daß seine Schuld getilgt ist; weiter wünsche, weiter verlange ich nichts und sollte meine Seele unter der Last der Pein erliegen ... Gott helfe mir ...«
Weiter kam Olenka nicht. Sie brach in lautes, heftiges Weinen aus. Es waren ihre letzten Thränen! Sie hatte sich leicht gesprochen, alles gesagt, was sie tief verborgen im Herzen getragen; von da ab kehrten Ruhe und Friede wieder bei ihr ein.