Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14. Kapitel

Es war der erste Juli. Zwischen Powonski und der Ansiedelung, welche später Marymont genannt wurde, wurde eine feierliche Feldmesse gelesen, welcher dreißigtausend Stammsoldaten in andächtiger Sammlung beiwohnten. Der König gelobte, daß er im Falle des Sieges der heiligen Mutter eine Kirche stiften wolle. Seinem Beispiele folgend gelobte ein jeder der Würdenträger, die Hetmane und Ritterschaft ein Opfer, je nach den Kräften und dem Vermögen des einzelnen. Heute sollte Warschau wieder in die Hände der Polen zurückerobert werden, oder die polnische Armee war zu Grunde gerichtet.

Nach Beendigung des Gottesdienstes ging jeder der Offiziere zu seinem Kommando. Herr Sapieha hatte gegenüber der Kirche zum heiligen Geist Stellung genommen, welche zu jener Zeit noch außerhalb der Stadtmauern lag, aber von den Schweden besetz und in eine kleine Festung umgewandelt war, da sie den Poken sonst einen wichtigen Stützpunkt geboten hätte. Herr Tscharniezki sollte das Danziger Haus erobern, dessen Rückseite einen Teil der Festungsmauer bildete, die, wenn sie durchbrochen werden konnte, den direkten Eintritt in die Stadt vermittelte. Peter Opalinski, Wojewode von Podlachien, war mit den Großpolen und Masuren vor dem Krakauer Thor und der Weichsel aufgestellt. Die Stammsoldaten nahmen die Fläche vor dem Neustädtischen Thore ein. Es lagen so viele Menschen vor Warschau, daß es unmöglich war, alle an die Mauern heranzuziehen. Die ganze Ebene, alle benachbarten Dörfer und Auen glichen einem Meere von Menschen. So weit das Auge reichte, nichts als Zelte und Menschen, dahinter die Wagenburg bis weit, weit hin. Der Blick verlor sich in der grauen Ferne und konnte das Ende davon nicht finden.

Jene, welche nicht bis dicht unter die Mauern heran konnten, harrten dennoch kampfbereit des Augenblicks, wo sie den Stürmenden in die Mauerbreschen folgen durften. Der Donner der Geschütze verstummte nicht einen Augenblick. Man wollte nur noch die Antwort Wittenbergs auf das Schreiben Johann Kasimirs abwarten, welches zur Uebergabe der Stadt nochmals aufforderte; fiel diese verneinend aus, dann sollte der Sturm beginnen. Wittemberg hatte die Uebergabe wieder abgelehnt, und nun ertönte rings um die Stadt das unheilverkündende Sturmsignal, der Sturm begann gleichzeitig von allen Seiten.

Von den Mauern stiegen weiße Rauchwölkchen in langen Linien auf, Funken sprühten zwischendurch, mächtiger Donner erschütterte die Luft und machte die Erde erbeben. Die Kugeln rissen ganze Reihen der Stürmenden nieder, doch die Lücken füllten sich immer wieder, die Polen drängten vorwärts, nicht Tod, nicht Verderben achtend. Die schwarzen Wolken Pulverdampfes verhüllten die Sonne; es wurde dunkel. Jeder der Feldherren griff die Mauern da an, wo sie ihm zunächst lagen.

Den Großpolen und Masuren fiel der schwerste Teil der Arbeit zu, denn die Paläste und Häuser längs der Krakauer Vorstadt waren alle befestigt und wurden von den Schweden verteidigt. Die Masuren waren aber so voll wütender Kampfeslust, daß ihrem Anprall nichts zu widerstehen vermochte. Sie nahmen ein Haus nach dem anderen in rascher Aufeinanderfolge, auch die Paläste fielen schnell in ihre Hände, obgleich ihnen aus allen Fensterhöhlen Musketenkugeln entgegenflogen. Die Besatzung war vollständig vernichtet.

Der Kleinadel wetteiferte mit den Bauern in Mut und Begeisterung. Man hatte befohlen, Bündel unreifen Getreides mit sich zu nehmen, sie zum Schutze gegen die Kugeln vorzuhalten. Im Eifer warfen sie dieselben fort und stürmten mit bloßer Brust vorwärts. Nach blutigem Kampfe hatten sie die Kapelle der Schujskis und den stolzen Palast der Koniezpolskis genommen. Von den in den anliegenden Baulichkeiten verborgenen Schweden wurde keiner am Leben gelassen. In der Nähe des Palais Kasanowski versuchten die schwedischen Füsiliere in der Straße festen Fuß zu fassen, um unter dem Schutze der Mauern des Schlosses, der Bernhardinerkirche und des Glockenturmes derselben, die Angreifer zurückzuschlagen.

Aber der dichte Kugelregen vermochte nicht, dieselben zu schrecken. Mit dem Rufe »Vorwärts, Masuren!« stürzten die Offiziere vor und ihnen nach die Mannschaften, das Viereck der Schweden im Augenblick zersprengend. Feind und Freund, in dichtem Klumpen zusammengeballt, wälzten sich zwischen dem Palast Kasanowski, der Bernhardinerkirche und dem Krakauer Thor im Blute. Immer neue Streitkräfte rückten von beiden Seiten an, bis endlich die Polen das Feld behaupteten und nun jene berühmte Erstürmung des Kasanowskischen Palais und der Bernhardinerkirche begann, welche hauptsächlich das Los der Schlacht entschied.

Herr Sagloba war im Irrtum befangen gewesen, als er am Abend zuvor geglaubt hatte, der König wolle ihn zu seiner Assistenz bei sich behalten. Im Gegenteil! Der Monarch vertraute ihm, als einem berühmten und erfahrenen Krieger, das Kommando über die Troßknechte, welche als Freiwillige durchaus die Erstürmung des Krakauer Thores mitmachen wollten. Zwar hatte er die Absicht, mit seinem Kommando hinterdrein zu ziehen und sich mit der Besetzung der eroberten Schlosser zu begnügen. Doch die Verwirrung und das Handgemenge war bald so groß, daß auch er mit seinen Leuten vom Strome fortgerissen wurde. Obgleich von Natur etwas ängstlich und darauf bedacht, wo irgend möglich das eigene Leben zu schützen und zu erhalten, war er doch im Laufe der Jahre und angesichts der vielen blutigen Kämpfe, die er oft unfreiwillig mitgemacht, so daran gewöhnt, daß er im Notfalle auch seinen Mann stellte, wie jeder andere oder noch besser, da Verzweiflung und Wut ihm den rechten Kampfesmut finden ließen.

So befand er sich auch gegenwärtig, ohne es zu wollen, unter dem Thorbogen des Kasanowskischen Palais, oder besser gesagt, in der Hölle, welche unter jenem brodelte, also mitten im heißesten Kampfgewühl, verdeckt von Rauch und Dampf, umtost vom Geschrei und dem Gestöhn der Kämpfenden. Tausende von Aexten, Spitzhacken und Beilen schlugen auf das Thor los; tausende Männerarme stemmten und rüttelten daran. Die einen fielen wie vom Blitz getroffen von den Kugeln, die von oben auf sie abgefeuert wurden, während die anderen schon nachdrängend ihre Stelle ausfüllten, auf ihren Leibern herumtretend in das Innere zu gelangen suchten, als ob sie absichtlich den Tod suchten.

Einen hartnäckigeren Kampf und eine verzweifeltere Verteidigung hatte der Alte nie gesehen. Aus den höher gelegenen Stockwerken regnete es Kugeln hernieder; glühendes Pech wurde auf die Untenstehenden gegossen, welche nicht ausweichen konnten, da sie von außen her von den Ihrigen gedrängt wurden.

Man konnte einzelne wahrnehmen, die schweißtriefend, pulvergeschwärzt, mit zusammengebissenen Zähnen und stierem Blicke Balken schwangen, so lang und groß, daß unter gewöhnlichen Verhältnissen drei Männer daran zu tragen gehabt hätten. So verdreifachte die Begeisterung die Kräfte. Gleichzeitig wurde auch von den Belagerern nach allen Fenstern geschossen, Leitern wurden von außen angesetzt, Löcher in die Mauern geschlagen; die Löcher wurden sofort durch Musketenläufe von innen heraus besetzt, es dampfte und rauchte, daß trotz des hellen Tages Dämmerung hier eingebrochen war. Doch das alles hinderte nicht die Fortsetzung des Kampfes, der von seiten der Stürmenden nur um so heftiger entbrannte, je mehr Hindernisse sich ihnen entgegentürmten, während Kriegsgeschrei von der Bernhardinerkirche her verkündete, daß auch dort mit gleicher Wut gekämpft wurde.

Plötzlich ertönte die Stimme Saglobas mit solcher Macht, daß sie den ganzen Lärm durchdrang:

»Legt Pulver unter das Thor!«

Im Nu war ein Fäßchen mit Pulver gefüllt herbeigeschafft. Er befahl nun gleich, in die dicken Bohlen dicht unter den Angeln ein Loch zu hauen, gerade groß genug, um das Fäßchen darin unterzubringen. Als es darinnen steckte, zündete Sagloba selbst den Schwefelfaden an, der es in Brand stecken sollte und kommandierte gleichzeitig:

»Zur Seite! Fort!«

Die Nächststehenden sprangen schleunigst bei Seite, soweit das bei dem Gedränge möglich war, dann trat eine Weile schweigenden Erwartens ein.

Da – ein furchtbarer Knall erschütterte die Luft, neue Rauchwolken stiegen in die Höhe. Herr Sagloba und seine Leute springen wieder vor, um die Wirkung der Sprengung zu prüfen. Zwar hatte der Druck das Thor nicht ganz zerschmettert, doch war es auf der rechten Seite aus den Angeln gehoben, ein paar Querbalken, die schon durch die Axthiebe angebrochen, waren vollends losgesprungen, das Schloß ausgedreht und der eine Thorflügel so weit in den Flur hineingedrückt, daß ein Mann bequem hindurchschlüpfen konnte.

Wieder dröhnten Axtschläge gewaltig an den angebrochenen Turm, hundert Schultern stemmten gegen den hängenden Thorflügel, der gleich darauf unter entsetzlichem Gepolter in das Innere des dunklen Flures fiel, den Eingang bloßlegend. Es fielen noch einige Schüsse in dem Dunkel des Ganges, der vom Flur aus in das Innere führte, doch der Strom der Stürmenden drängte mit unwiderstehlicher Gewalt in das Innere des Hauses, – das Palais war genommen!

Gleichzeitig kletterten die Stürmenden auf den Leitern durch die bloßgelegten Fensterhöhlen in die Zimmer und Säle, ein gräßliches Handgemenge entstand. Gemach nach Gemach mußte erobert, jeder Korridor, jedes Stockwerk mußte einzeln erkämpft werden. Stellenweise barsten die schon halb eingeschlagenen Mauern vollends, die Decken stürzten ein und begruben unter ihren Trümmern Schweden und Polen. Doch die Masuren drangen überall durch, verschafften sich überall Eingang. In den Korridoren hatten sich stellenweise die Gefallenen so angehäuft, daß die Schweden ihre Leiber als Barrikaden benutzten. Keiner verlangte Pardon, keinem wurde es freiwillig gewährt, das Blut floß in Strömen die Treppe hinunter. Nur vereinzelte Häuflein Schweden waren noch übrig geblieben und kämpften blutüberströmt, oft nur noch knieend, um ihr Leben. Von allen Seiten bedrängt, durch die Ueberzahl fast erdrückt, starben die tapferen Schweden den Heldentod ohne andere Zeugen ihres Endes, als die blutbespritzten Steinfiguren der mythologischen Götter, welche die Wände des Palastes zierten.

Rochus Kowalski wütete in den oberen Gemächern, während Herr Sagloba mit seiner Abteilung auf die Terrasse geeilt war, um die dort sich verteidigenden schwedischen Füsiliere anzugreifen. Nachdem sie teils getötet, teils unschädlich gemacht waren, durcheilte er die herrlichen, in ganz Europa berühmten Kasanowskischen Gärten.

Die Bäume waren dort schon umgehauen, die seltenen Gesträuche durch die polnischen Kugeln vernichtet, die Wasserwerke zerschmettert, der Rasen von den Granaten aufgewühlt, überall Vernichtung und Zerstörung, obgleich die Schweden nichts angerührt hatten aus Rücksicht auf die Person Radziejowskis.

Auch hier tobte ein kurzer grausamer Kampf, dann waren die Schweden unter der Anführung Saglobas vollständig geschlagen, die Soldaten zerstreuten sich in den Gärten und im Palast, nach Beute suchend.

Sagloba ging durch die Gärten bis an das Ende derselben, wo die Mauern einen mächtigen Vorsprung bildeten. Dort war es schattig, dort wollte der Ritter ein wenig ausruhen und den Schweiß von der müden Stirn trocknen. Plötzlich stand er vor einem Käfig, der in den Vorsprung der Mauern eingelassen war und hinter dessen Gitter sich monströse Geschöpfe bewegten, welche den Herannahenden mißtrauisch betrachteten.

Die Lage des Käfigs war eine so geschützte, daß die Kugeln, welche von außen her eingedrungen waren, ihm nichts anhaben konnten. Die Thür desselben stand weit offen, doch machten jene häßlichen, abgemagerten Geschöpfe keinen Gebrauch von ihrer Freiheit, sie schienen vor dem Donner der Geschütze und dem Lärmen der Schlacht hierher geflohen zu sein und drückten sich beim Anblick Saglobas ängstlich knurrend in eine Ecke.

»Es sind entweder Affen oder Teufel,« sagte Sagloba still für sich. Und noch entflammt vom Zornesmut des Kampfes, hob er sein Schwert, trat in den Käfig und schlug auf die Affen, denn solche waren es, ein. Beim ersten Schlage packte die Tiere eine große Panik. Von den Schweden an eine gute Behandlung gewöhnt, – diese hatten ihre Rationen stets mit den Affen geteilt, weil die drolligen Geschöpfe ihnen Spaß machten – sprangen sie bei den Schlägen, die Sagloba schnell nach einander auf sie führte, wie rasend in langen Sprüngen umher, und da Sagloba ihnen den Ausgang verstellte, so klammerten sie sich an die Stäbe des Käsige, bis endlich einer der Affen in der Angst ihrem Peiniger auf den Rücken sprang und mit den Armen den Kopf desselben fassend, ihn fest an sich drückte. Ein anderer hing sich an seinen Arm, ein dritter vorn an die Brust, ein vierter verwickelte sich in die lang geschlitzten Aermel seines Schnürenrockes, welche über dem Rücken zusammengebunden waren, um im Kampfe nicht hinderlich zu sein.

So arg bedrängt und gewürgt, daß er kaum noch atmen konnte, schrie der Alte, so laut er konnte:

»Zu Hilfe, meine Herren, zu Hilfe! Rettet!«

Das Geschrei lockte einige Soldaten herbei, welche mit geschwungenen Säbeln herzuspringend, im ersten Augenblick nicht erkennen konnten, was hier vor sich ging. Wie von einem gewaltigen Zauber gefesselt, blieben sie regungslos stehen. Endlich brachen sie sämtlich in ein schallendes Gelächter aus. Es kamen immer mehr Soldaten dazu und so ansteckend wirkte das Lachen, daß die Hinzugekommenen sogleich mit einstimmten und lachten, bis sie sich die Seiten halten mußten. Erst als Rochus Kowalski ebenfalls angerannt kam, weil er die Stimme des Ohms erkannt hatte, befreite er den Armen aus den Umarmungen der Affen.

»Ihr Schelme!« schrie Sagloba noch ganz atemlos, »ist das etwas so Lächerliches, wenn ein Mensch von diesen afrikanischen Ungeheuern fast erdrückt wird? Hätte man euch doch totgeschlagen! Wäre ich nicht, so könntet ihr jetzt noch eure Köpfe am Thore da draußen einrennen; besseres seid ihr nicht wert! Ich hätte euch totschlagen lassen sollen, die ihr dümmer seid, wie diese Affen hier!«

»Besser ihr wäret tot, ihr Affenkönig!« schrie einer der zunächst stehenden Waffenknechte.

» Simiarum destructor! Der von den Affen Besiegte!« ein anderer.

»Der Affen-Sieger!« setzte ein Dritter hinzu.

»Ach was, Sieger! Doch der Besiegte!« rief es durcheinander.

Hier machte Rochus den Spöttereien ein Ende, indem er dem ersten der Maulhelden einen Stoß vor die Brust versetzte, daß dieser lang hinfiel. Einige wichen vor der Wut des starken Mannes zurück, andere griffen nach ihren Säbeln, da wurde der Ausbruch eines blutigen Streites durch das erneute heftige Schießen und Kampfgeschrei am Bernhardinerkloster verhindert.

»Auf! Zum Kloster! zum Kloster! zu Hilfe den Unsrigen!« kommandierte Sagloba.

Bei diesen Worten lief er voraus, hinauf in die oberen Stockwerke des Palais, von dessen rechtem Flügel aus man die Kirche übersehen konnte. Dieselbe schien Feuer zu sprühen. Die Menge der Stürmenden unten bemühte sich krampfhaft, in das Innere der Kirche zu dringen, doch erfolglos. Unter dem Kreuzfeuer der Belagerten fielen Hunderte von Polen ganz nutzlos, denn auch vom Krakauer Thor her hagelten die Kugeln auf sie nieder wie Kieselsteinchen.

»Kanonen her!« schrie Sagloba.

Es fanden sich größere und kleinere Geschütze genug im Palais, die man, wenn auch mit Mühe, an die Fensterhöhlen der oberen Stockwerke schleppte. Aus den Trümmern kostbarer Geräte, den Sockeln zerschlagener Marmorstatuen und anderen Gegenständen wurden Lafetten hergestellt, und noch vor Ablauf einer halben Stunde starrten aus allen der Kirche zugewendeten Fenstern des Palais Kanonenrohre.

»Rochus!« sprach der ungewöhnlich erregte alte Ritter zu seinem Verwandten. »Ich muß etwas ganz Außerordentliches vollbringen, sonst ist mein Ruhm dahin! Durch diese Affenbrut komme ich in den Mund des ganzen Heeres und wenn ich auch nicht auf den Mund gefallen bin, so kann ich doch nicht alle bösen Mäuler stopfen. Ich muß den lächerlichen Eindruck, den meine Lage gemacht hat, verwischen, sonst bleibe ich, so lange ich lebe, im Munde der ganzen Republik der Affenkönig.«

»Ihr habt recht, Ohm! Der Eindruck muß verwischt werden.«

»Die beste Gelegenheit dazu bietet sich jetzt; denn so wie ich das Palais Kasanowski erobert habe ... wer dürfte wagen, mir das abzusprechen ... wer hat es erobert, wenn nicht ich! ...«

»Es soll nur einer wagen, zu sagen, ihr hättet es nicht!« bekräftigte Rochus.

»... So will ich auch diese Kirche erobern, so wahr Gott mir helfe, Amen!« endete Sagloba.

Dann wandte er sich seinen Leuten zu, welche schon an den Kanonen standen und kommandierte:

»Feuer!«

Die Schweden, welche die Kirche mit verzweifelter Anstrengung verteidigten, überfiel ein gewaltiger Schrecken, als plötzlich die eine Seitenwand derselben ins Schwanken geriet. Diejenigen, welche an den Fenstern, den Schießlöchern, den Fluglöchern der im Gemäuer nistenden Tauben und in den inneren Vertiefungen der Simse sich befanden, von wo aus sie auf die Belagerer schossen, wurden von Ziegeln, Mauergeröll und Kalk überschüttet. Der schreckliche Staub, welcher aufgewirbelt wurde, erfüllte vereint mit dem Pulverdampf das Innere der Kirche und benahm den darin Befindlichen den Atem. Es wurde dunkel, so dunkel darin, daß einer den anderen nicht mehr sehen konnte. Die Rufe: »wir ersticken! wir ersticken!« vergrößerten die Panik. Die ganze Kirche geriet ins Schwanken. Die Mauern rissen unter großem Getöse, Ziegeln stürzten polternd hernieder, Kugeln sausten pfeifend durch die Fenster, klirrend rasselten die Bleieinfassungen der Scheiben auf den Boden, Hitze verbreitete sich von den Ausströmungen der Menschen. Alles das verwandelte das Innere des Gotteshauses in eine irdische Hölle. Die erschreckten Verteidiger sprangen von dem Thor, den Fenstern und Schießlöchern fort; der Schrecken ward zum wahnsinnigen Entsetzen. Wieder riefen durchdringende Stimmen: »Wir ersticken! wir ersticken!« bis plötzlich aus Hunderten von Kehlen der Schrei ertönte:

»Die weiße Fahne! Steckt die weiße Fahne aus!«

Der Kommandant, General Erskin, greift selbst nach ihr, um sie auszustecken. In diesem Augenblick wird das Thor gesprengt. Wie ein Lavastrom wälzt sich die Menge der Belagerer herein; eine tiefe Stille tritt ein, welche nur durch das Klirren der aufeinanderschlagenden Säbel unterbrochen wird, zuweilen ein unartikulierter Laut, ein Röcheln, ein Flehen um Gnade. Eine Stunde hat das Gemetzel gedauert; da dringt aus der Höhe des Glockenturmes feierliches Geläute durch die Luft; es ist die große Glocke der Bernhardinerkirche, welche den Masuren zum Siege, den Schweden das Grabgeläute läutet.

Der Palast Kasanowski, die Bernhardinerkirche mit dem Glockenturm sind in den Händen der Polen. Herr Peter Opalinski, der Wojewode von Podlachien erscheint unter der bluttriefenden Menge zu Pferde vor dem Palast.

»Wer ist uns vom Palast aus zu Hilfe gekommen?« schrie er so laut, daß er den Lärm übertönte.

»Derjenige, welcher den Palast erstürmt hat!« antwortet ihm ein starker Mann, der plötzlich vor dem Wojewoden aufgetaucht ist. »Ich!«

»Wie nennt ihr euch?«

»Sagloba!«

»Vivat Sagloba!« schrie es aus tausend Kehlen.

Doch der schreckliche Sagloba achtet nicht darauf, sondern mit der Spitze seines Krummsäbels nach dem Krakauer Thore zeigend, ruft er laut:

»Wir sind noch nicht fertig! Richtet die Kanonenläufe auf die Mauern und das Thor! Vorwärts! Mir nach! Zum Thore.«

Die entfesselte Menge ist eben im Begriff, den Sturm auf das Thor zu beginnen, da, o Wunder! Statt sich zu kräftigen, wird das Feuer der Schweden schwächer. Gleichzeitig ruft eine laute Stimme vom Glockenturm herab:

»Herr Tscharniezki ist schon in der Stadt! Ich sehe unsere Fahnen!«

Das Feuern der Schweden wird noch schwächer.

»Halt! Halt!« kommandiert der Wojewode.

Doch die Menge hört nicht, sie rennt blindlings dem Thore zu. Da wird die weiße Fahne oben aufgezogen! ...

Herr Tscharniezki war wirklich schon innerhalb der Stadt. Nachdem er das Danziger Haus mit Leichtigkeit genommen, stürzte er sich mit seinen Leuten wie die wilde Jagd in die Straßen der Stadt. Er fand den Palast Danillowitsch ebenfalls schon in den Händen der Polen, und als eine Weile nachher auch die Abzeichen der litauischen Regimenter bei der Kirche vom heiligen Geist auf den Mauern aufgepflanzt wurden, da erkannte Wittemberg, daß jeder weitere Widerstand Wahnsinn sein mußte. Zwar verteidigten sich die Schweden noch in den hohen Gebäuden der Alt- und der Neustadt, doch, da auch die Einwohner der Stadt nun zu den Waffen griffen, konnte die weitere Verteidigung nur zu unnützem Blutvergießen führen, ohne Hoffnung auf endlichen Sieg.

So bliesen denn die Trompeten zum Rückzuge, auf den Mauern wehten die weißen Fahnen. Als das die polnischen Kommandeure sahen, stellten sie den Kampf überall ein, worauf der schwedische General Loewenhaupt in Begleitung einiger polnischer Hauptleute zum Neustädtischen Thor hinaus, dem Hauptquartier des feindlichen Lagers zuritt.

Johann Kasimir, in den Wiederbesitz Warschaus gelangt, blieb auf den, von ihm selbst, dem General Wittemberg gestellten Bedingungen bestehen. Das gute Herz des Königs wollte ferneres Blutvergießen vermeiden. Die Stadt sollte mit allen Beutegegenständen, die sich darin befanden, den Polen ausgeliefert werden. Jedem schwedischen Soldaten sollte nur mitzunehmen erlaubt sein, was er als Eigentum aus Schweden mitgebracht hatte. Die Besatzung sollte samt allen Generalen freien Abzug mit der Waffe haben, unter Mitnahme der Kranken, Verwundeten und aller schwedischen Damen, deren eine große Anzahl in Warschau lebte. Den Polen, welche noch im schwedischen Heere dienten, sollte im Hinblick darauf, daß wohl keiner freiwillig mehr dort diente, Amnestie erteilt werden. Ausgeschlossen von dieser Amnestie war einzig und allein Boguslaw Radziwill und seine Armee. Wittemberg wurde es um so leichter, auf diesen Passus einzugehen, da der Fürst gegenwärtig mit Douglas am Bug stand.

Die Kapitulationsbedingungen wurden sogleich unterschrieben. Die Glocken aller Kirchen verkündeten mit fröhlichem Geläute, daß die Hauptstadt wieder auf ihren rechtmäßigen Herrn übergegangen war. Eine Stunde später wälzte sich eine Menge der ärmsten Einwohner der Stadt aus den Thoren, um im Lager Obdach und Nahrung zu suchen. Der Hunger hatte sie sehr mitgenommen. Der König befahl zu geben, was man entbehren konnte; er selbst ritt fort, sich den Auszug der Schweden anzusehen.

Umgeben von seinem weltlichen und geistlichen Stabe bot Johann Kasimir ein Bild edler, schöner Männlichkeit. Das Kronenheer mit den Hetmanen an der Spitze, Tscharniezki mit seiner Division, die Litauer unter Sapieha, die Stammsoldaten des allgemeinen Aufgebots, sie alle waren um ihren Herrn geschart, denn alle waren begierig, die Schweden zu sehen, mit denen sie noch vor wenigen Stunden im gräßlichen Kampfe gelegen. Sämtliche Thore waren bereits vom Moment der Uebergabe ab von polnischen Wachtposten besetzt. Kommissarien hatten die Aufsicht über den Auszug; ihnen war die Revision der Ausziehenden anvertraut, auch daß keiner ein Beutestück mit sich führe. Eine besondere Kommission war mit der Uebernahme sämtlicher Beutestücke in der Stadt beschäftigt.

Zuerst kamen die Reiter, deren nicht viele waren, da die Reiter Boguslaws vom Ausmarsch ausgeschlossen wurden. Ihnen folgte die Artillerie mit den leichten Feldgeschützen, die schweren Festungsgeschütze sollten den Polen ausgeliefert werden. Neben ihnen schritten die Feuerwerker mit angesteckten Lunten, über ihnen flatterten die Fahnen, welche beim vorüberziehen vor dem Könige gesenkt wurden. Die Artilleristen schritten stolz einher und blickten den Polen dreist in die Augen, als wollten sie sagen: »Wir treffen uns noch!« und die Polen zollten ihren stämmigen Gestalten und dem durch das Unglück ungeschwächten Mute aufrichtige Bewunderung. Dann kamen die Wagen mit den Verwundeten; in dem ersten derselben lag Benedikt Oxenstjerna, der Kanzler, vor welchem der König das Gewehr präsentieren ließ, zum Zeichen, daß er auch im Feinde die Tugend zu ehren wisse.

Mit dem Schall der Trommeln und Pauken und ebenfalls wehenden Fahnen zogen jetzt die so berühmten, unvergleichlichen Füsiliere der schwedischen Armee daher, deren speerstarrende Karrees Supanhazy mit wandelnden Schlössern verglich. Dicht hinter ihnen sah man eine glänzende Abteilung Reiter, von Kopf bis zu Fuß im Panzer; in ihrer Mitte die blaue Fahne mit dem goldenen Löwen. Diese Reiter umgaben den Stab. Bei ihrem Anblick ging ein Gemurmel durch die Reihen des polnischen Heeres:

»Wittemberg kommt! Wittemberg!«

Da war er, der Feldmarschall, in Begleitung Wrangels des Jüngeren, Horns, Erskins, Loewenhaupts und Forgells. Gierig wandten sich die Augen der Polen diesen Magnaten zu, ganz besonders suchten sie das Gesicht Wittembergs. Das Antlitz des Feldmarschalls ließ durchaus nicht den großen Krieger erraten, der er war. Es war stark gealtert und trug die Spuren der schweren Krankheit, an der er litt. Seine Züge waren scharf, die Oberlippe deckte ein schwaches Bärtchen, dessen Enden hoch in die Höhe gedreht waren. Die zusammengepreßten Lippen, die lange spitze Nase gaben ihm das Aussehen eines habgierigen Geizhalses. Er trug einen Koller von schwarzem Sammet, einen schwarzen Schlapphut und sah eher aus wie ein Astrologe oder Medikus; nur die schwere goldene Kette mit dem Brillantstern daran und der Feldmarschallstab in der Hand ließen die hohe Würde erraten, die er bekleidete.

Während er vorüber ritt, schweiften seine Blicke unruhig hin zu dem Könige, seinem Stabe und den Gliedern der Fahnen, worauf er an der Menge der Stammsoldaten und der zahllosen ungeregelten Masse der Volontarier und Bauern hängen blieb.

Ein ironisches Lächeln umspielte seine bleichen Lippen.

Aber durch diese Menge zog mit immer lauter werdendem Gemurmel der eine Name: »Wittemberg, Wittemberg!«

Mit jeder Minute klang dieses Gemurmel lauter und drohender, wie das Grollen des Donners vor dem Ausbruch des Gewitters. Von Zeit zu Zeit verhallte es; dann konnte man weit, weit hinten in den Reihen eine laute Stimme hören, welche etwas vorzutragen schien. Dieser Stimme antworteten andere, fielen erst einzeln, dann immer zahlreicher ein und pflanzten die Worte fort; der Schall trug sie weiter und weiter, bis sie endlich laut ausgrollten, wie der herannahende Sturm.

Die Würdenträger blickten besorgt auf den Monarchen.

»Was soll das? Was bedeutet das?« frug Johann Kasimir.

Da wurde aus dem Grollen plötzlich ein donnerndes Gebrüll; die Menge des allgemeinen Aufgebotes bewegte sich vorwärts, wie ein Getreidefeld, wenn der Sturm mit seinen Riesenflügeln darüber hinweht. Plötzlich blitzten ein paar tausend Säbel in der Sonne.

»Was ist das? Was soll das?« frug der König wieder.

Niemand konnte Bescheid geben.

Da rief Herr Wolodyjowski, welcher in der Nähe Sapiehas stand:

»Das kann nur Herr Sagloba sein!«

Er hatte das Richtige erraten. Kaum waren die Kapitulationsbedingungen bekannt gemacht und zu Saglobas Ohren gedrungen, da verfiel der alte Edelmann in einen solchen Zorn, daß er eine Zeitlang die Sprache verlor. Als er sich erholt hatte, war sein Erstes, unter den Stammsoldaten und den Bauern des allgemeinen Aufgebotes Aufruhr zu säen. Man hörte ihn gern an, denn es erschien allen nur gerecht, wenn nach so viel Tapferkeit, so vielen Mühen und so vielem Blutvergießen dem Feinde der Abzug nicht unter so leichten Bedingungen erlaubt worden wäre. So hatten sich denn große Kreise von Hörern um Sagloba gesammelt und dieser streute mit vollen Händen die Funken in das zum Feuerfangen so leicht bereite Material, und fachte durch die Macht seiner Beredtsamkeit das Flämmchen der Empörung zur Flamme, die bald lodernd emporschlagen mußte.

»Meine Herren!« sagte er. »Seht, diese alten Hände haben während voller fünfzig Jahre an allen Enden und Ecken der Republik zum Wohle des Vaterlandes das ihrige beigetragen. Jetzt eben noch – ich habe Zeugen zur Stelle – haben sie den Palast Kasanowski und die Bernhardinerkirche erobern helfen. Diese Eroberung war hauptsächlich die Ursache, daß die Schweden sich zur Kapitulation entschlossen. Erst als ich die Kanonenrohre auf die Mauern der Kirche richten ließ, verließ sie der Mut. Man schonte uns nicht, Brüder! Unser Blut floß in Strömen bei der Erstürmung, dennoch hat man für uns keinen Laut des Bedauerns, sondern man zeigt dem ausziehenden Feinde ein Mitgefühl, das er nicht verdient. Wir, Brüder! haben unsere Wirtschaften verlassen, die Knechte ohne Aufsicht, unsere Frauen ohne Männer und unsere Kinder ohne den Schutz der Väter gelassen ... – o meine Kinderchen, wie mag es euch jetzt gehen! – sind hierher gekommen, haben unsere Brust den feindlichen Kugeln preisgegeben und nun? welchen Lohn erhalten wir dafür? Da seht! Dort zieht Wittemberg frei aus, die Waffen in der Hand, während man ihn noch mit kriegerischen Ehren verabschiedet, ihn, Wittemberg, den Henkersknecht, der unser Vaterland geknechtet, den Gotteslästerer, den Mordbrenner und Mädchenschänder, der uns alles geraubt, was uns heilig und teuer war ... Wehe dir, du Vaterland! Schande auf euch, ihr Adligen! und wehe euch, ihr Gotteshäuser, dir Tschenstochau! Das Blut und die Thränen, die um euch geflossen, sie sind umsonst vergossen, denn – Wittemberg zieht frei hinaus, er wird bald wiederkehren, um neues Blut und neue Thränen zu erpressen, vollends totzuschlagen, was noch am Leben geblieben, zu verbrennen, was noch steht und zu schänden, was etwa noch zu schänden blieb. Weine Polen, weine Litauen, weint alle ihr Stände, wie ich alter Soldat weine, der mit einem Fuße im Grabe steht und mit ansehen muß, wie man den Feind entläßt, ohne Entschädigung zu fordern für die Schäden, die er angerichtet. Wehe dir, Ilium! Du Stadt des Priamus! Wehe! Wehe! Wehe!«

In dieser Weise sprach Sagloba und Tausende hörten ihn. Zornig sträubte sich das Haar auf den Köpfen der Zuhörer, während er fortfuhr zu jammern und sich die Kleider vom Leibe zu reißen. Seine Stimme drang bis herüber zu dem Kronenheere und seine Worte fielen auch dort auf fruchtbaren Boden, denn der Haß gegen Wittemberg loderte thatsächlich in aller Herzen. Der Tumult wäre unstreitig sogleich losgebrochen, wenn Sagloba ihn nicht absichtlich zurückgehalten hätte aus Furcht, Wittemberg könne ihn benutzen, um neues Unheil zu stiften. Aber jetzt, bei dem Auszuge des Verhaßten, jetzt, wenn er vor den Augen der Entrüsteten der Freiheit zuzog, war der Augenblick gekommen, ihn der Wut der Bauern preiszugeben.

Seine Berechnung hatte ihn nicht getäuscht. Beim Anblick des Tyrannen befiel die siegestrunkene Menge eine Wut ohnegleichen, das Unwetter brach los. Tausende Säbel blitzten, aus tausenden von Kehlen scholl es: »Nieder mit Wittemberg! Her mit ihm! Schlagt ihn tot! Schlagt ihn tot!« Die Schar der Troßknechte schloß sich johlend und brüllend dem Tumult an, selbst die regulären Truppen begannen gegen den Bedrücker zu murren und dieses Murren pflanzte sich fort bis in die nächste Umgebung des Königs.

Im ersten Augenblick entstand im Stabe große Verlegenheit. Man verstand recht gut, um was es sich handelte, aber – was war zu thun? In der nächsten Umgebung des Königs wurden vereinzelte Stimmen laut: »Barmherziger Gott! Retten! Beschützen! Es ist eine Schande, einen Vertrag zu brechen!«

Schon brachen die Bauern durch die Reihen der am Wege aufgestellten Fahnen, die dem Andrange nicht widerstanden und in Unordnung gerieten. Ringsum nichts als blitzende Säbelklingen, erhitzte Gesichter, zornsprühende Augen und brüllende Kehlen. Das Geschrei und Geheule pflanzte sich mit rasender Eile fort. Allen voran stürzten die Troßknechte hervor, allerhand Gesindel folgte ihnen, in Aussehen und Gebahren wilden Tieren ähnlicher denn Menschen.

Auch Wittemberg erriet, was sich hier vorbereitete. Sein Gesicht wurde kreideweiß, kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn und – der Feldmarschall, welcher noch kurz zuvor die halbe Welt in Schrecken gesetzt, der bisher unüberwindliche Sieger – er fühlte zum ersten Male Furcht vor dieser johlenden Menge, so große Furcht, daß er darüber die Besinnung verlor. Er bebte am ganzen Leibe, die Arme sanken ihm schlaff herab, so daß ihm der Feldherrnstab entsank und der Speichel ihn: aus dem Munde auf die goldene Kette herab lief. Immer näher rückte die tobende Menge; schon hatte sie die Generäle Wittembergs umringt, schon zuckten die Säbel nach ihnen. Die Generäle hatten ebenfalls ihre Degen gezogen; sie wollten wenigstens, während der Feldmarschall vor Angst bebte, wie Männer mit der Waffe in der Hand sterben. Da eilte Wolodyjowski dem Stabe Wittembergs zu Hilfe. Er durchbrach mit seiner Fahne die Menge und umstellte die Generäle ringsum wie mit einer Mauer. Das wütende Gebrüll der Menge mischte sich mit den abwehrenden Rufen der Laudaer.

»Zum Könige!« kommandierte der kleine Ritter.

Und vorwärts ging es, dem Könige zu. Doch die Menge ließ nicht ab, umringte sie von allen Seiten, drohte mit Säbeln und Stangen, aber Wolodyjowski drängte vorwärts, von Zeit zu Zeit die flache Klinge brauchend, um die Zudringlichsten abzuwehren.

Jetzt kamen auch andere Fahnen herzu; Woynillowitsch, Wiltschkowski und der Knäs Polubinski. Sie alle zusammen wehrten den Bauern und führten Wittemberg samt seinem Stabe vor das Angesicht Johann Kasimirs.

Aber statt sich dadurch zu beruhigen, wurde der Tumult nur größer. Einen Augenblick hatte es den Anschein, als wolle die entfesselte Menge trotz der Anwesenheit der Majestät die Generäle mit Gewalt nehmen. Wittemberg faßte sich angesichts des gewährleisteten Schutzes etwas, doch das Angstgefühl verließ ihn nicht. Er sprang vom Pferde, und wie der von Wölfen oder Hunden verfolgte Hase in der Todesangst bis unter die Wagenräder der Fuhrwerke flüchtet, so rannte er, trotz dem Podagra, an dem er litt, zum Könige. Dort sank er in die Kniee und den Steigbügel des Sattels fassend, schrie er aus vollem Halse:

»Rettet mich, Allergnädigster Herr, rettet mich! Ihr gabt mir euer Königswort, der Vertrag ist unterschrieben! Rettet! Rettet! Erbarmt euch unser! Laßt mich nicht ermorden!«

Von Widerwillen und Ekel über solche Feigheit und Erniedrigung erfüllt, wandte der König sich ab, während er sagte:

»Beruhigt euch, Herr Feldmarschall.«

Doch der König war sehr bekümmert. Obgleich die Reiterfahnen der Ritter die Generäle zu schützen bereit standen und die Fußsoldaten Samojskis einen Kordon um sie geschlossen hatten, wurde das Gedränge von außen her immer größer. Was für ein Ende sollte das nehmen.

Der König blickte hilfesuchend auf Herrn Tscharniezki. Doch dieser sprach nicht; er drehte nur wütend an seinem Bart. Die Zügellosigkeit des gemeinen Volkes empörte ihn.

Endlich sagte der Kanzler Koryzinski:

»Allergnädigster Herr! Der Vertrag muß gehalten werden.«

»Jawohl!« entgegnete der König.

Wittemberg, welcher die Züge des Königs aufmerksam betrachtete, atmete auf.

»Ich glaube an Ew. Majestät Wort, wie an Gottes Wort!«

»Warum habt ihr dann so viele Treubrüche begangen, wenn ihr an Gott glaubt?« sagte der alte Kronenhetman Potozki. »Ihr habt Verträge und Kapitulationen für nichts geachtet, oder habt ihr etwa nicht gegen alles Völkerrecht das Regiment des Königs samt seinem General Wolff vernichtet? Worin der Mensch sündigt, damit wird er gestraft.«

»Das hat Miller, nicht ich!« antwortete Wittemberg.

Der Hetman warf ihm einen verächtlichen Blick zu, dann wandte er sich an den König.

»Ich möchte Ew. Majestät nicht auch zum Treubruch verleiten, denn die Polen schätzen sich selbst zu hoch, um sich auf gleiche Stufe mit diesem hier zu stellen.«

»Was aber können wir thun?« frug der König.

»Wenn wir Wittemberg jetzt nach Preußen zurückschicken, so wird er in kurzem von tausenden Adliger eingeholt, und ehe er Pultusk erreicht, nichts mehr von ihm übrig sein; es sei denn, daß unsere ganze Armee ihn begleitet und das ist unmöglich ... Hören Ew. Majestät, wie sie johlen? ... Fürwahr ..., sie sind im Rechte, wenn sie sein Blut fordern! ... Wir müssen für jetzt seine Person in Sicherheit bringen, bis die Wut des Volkes sich gelegt haben wird.«

»Das wird das Beste sein!« meinte auch der Kanzler Koryzinski.

»Aber wie sollen wir das thun, wohin ihn bringen?« versetzte der Wojewode von Reußen. »Wir können ihn zum Kuckuck doch nicht hier behalten, sonst haben wir die schönste Revolution im Heere.«

Da trat der Herr Samojski vor, der Selbstherr von Samoschtsch, und indem er die Lippen in gewohnter Weise aufwarf, sagte er wie immer sehr pathetisch:

»Wie wäre es, Allergnädigster Herr!? Ich nehme ihn zu mir nach Samoschtsch, bis Friede geschlossen ist. Ich will ihn dort schon vor der Rachsucht des Adels bewahren ... man soll es nur wagen, mir ihn zu entreißen.«

»Aber wie wollt ihr ihn unterwegs beschützen?« frug der Kanzler.

»Ha, ich habe Leute genug. Füsiliere, Kanonen, Troßknechte! Wie? Man soll nur mit dem Samojski anbandeln, wir wollen sehen!«

Bei diesen Worten stemmte er die Arme in die Seiten, klatschte mit den Waden das Pferd und schaukelte sich im Sattel.

»Ich weiß keinen besseren Rat!« sagte der Kanzler.

»Auch ich nicht!« setzte Herr Lanzkoronski hinzu.

»So nehmt sie, Herr Starost!« sprach der König zu Samojski.

Doch Wittemberg, welcher sich überzeugt hielt, daß sein Leben nicht bedroht war, hielt es für angezeigt, dagegen zu protestieren.

»Das hätten wir nicht für möglich gehalten,« sagte er. »Einsperren lassen wir uns nicht.«

Herr Potozki machte eine Bewegung mit der Hand. In die Ferne weisend, sagte er:

»Dann bitte ich, eurem Abzug steht nichts entgegen, wir halten euch nicht auf.«

Wittemberg verstummte.

Sofort sandte der Kanzler eine Anzahl Offiziere aus, der empörten Menge zu erklären, daß Wittemberg nicht freigelassen, sondern nach Samoschtsch abgeführt werden sollte. Wenn diese Nachricht den Tumult auch nicht ganz beilegte, so beschwichtigte sie ihn doch. Ehe der Abend einbrach, war die allgemeine Aufmerksamkeit anderem zugelenkt. Der König ergriff Besitz von der wiedereroberten Hauptstadt und dieser Umstand erfüllte Aller Herzen mit Freude.

Die Freude des Königs wurde ein wenig durch den Gedanken getrübt, daß er die Vertragsbedingungen nicht vollständig hatte einhalten können. Er härmte sich darüber ebensosehr, wie über die Zügellosigkeit des Kleinadels und der Bauern.

Tscharniezki wütete innerlich.

»Man kann mit solch einem Heere gar nichts Sicheres unternehmen,« sagte er zum Könige. »Bald mangelt es ihm an Mut, bald kämpft jeder einzelne Mann wie ein Held. Alles hängt von seiner Laune ab und ein leiser Anstoß kann es zum Aufstande bringen.«

»Sorgen wir nur trotz allem, daß wir es zusammenhalten, denn wir brauchen es noch nötig,« versetzte der König. »Es hat den Anschein, daß verschiedene Adlige heimzukehren gedenken, weil sie glauben, mit der Einnahme Warschaus sei der ganze Krieg zu Ende.«

»Der Anstifter des Tumultes,« fuhr Tscharniezki fort, »müßte ohne Ansehen der Person und der Verdienste an die Schleife gelegt werden.«

Man ließ auch Herrn Sagloba überall auf das Eifrigste suchen; man wußte ganz gut, daß er der Veranstalter des Aufruhrs gewesen, aber Herr Sagloba war wie vom Erdboden verschwunden. Es wurde in der Stadt, in den Zelten, in der Wagenburg, ja sogar unter den Tartaren nach seinem Verbleib geforscht, alles umsonst. Tysenhaus, welcher die Güte und das liebevolle Gemüt des Königs besser noch kannte, als jeder andere, meinte sogar, das Nichtauffinden des alten Ritters sei dem Könige gar nicht unlieb; er habe sogar eine novene (neuntägiges Gebet) für die Sicherheit des Verschwundenen abgehalten.

Acht Tage nach der Einnahme Warschaus, als der König einmal bei Tische recht heiterer Laune war, hörte seine Umgebung ihn die folgenden Worte aussprechen:

»Macht doch überall bekannt, daß Herr Sagloba sich nicht länger verborgen halten soll, denn wir sehnen uns nach seinen Scherzen!«

Als der Herr Kastellan von Kijow ein sehr böses Gesicht dazu machte, setzte der Monarch hinzu:

»Wollte man in dieser Republik nur Gerechtigkeit an Stelle der Barmherzigkeit üben, so müßte man statt des Herzens ein Beil in der Brust tragen, denn nirgend findet man mehr Schuldige als bei uns, aber auch nirgend so vollkommene Reue und Besserung als in diesem Lande.«

Bei diesen Worten dachte der Monarch mehr noch an Babinitsch, als an Sagloba, umsomehr, als der junge Held am vorigen Tage einen Fußfall vor dem Könige gethan hatte, mit der Bitte, ihn nach Litauen zu senden. Er hatte diese Bitte damit begründet, daß er dort die Erhebung schüren, die Schweden mit Hilfe der dortigen Freischärler nach Möglichkeit austilgen wolle. Da der König ohnedies die Absicht hatte, einen erfahrenen und zuverlässigen Soldaten zu demselben Zweck dorthin zu senden, so gab er seine Einwilligung, stattete ihn aus, gab ihm seinen Segen und flüsterte ihm beim Abschied noch einen guten Wunsch ins Ohr, bei welchem Kmiziz tief errötete und dem gütigen Herrn dankend zu Füßen fiel.

Heute am frühen Morgen war er abgereist. Supanhazy hatte ihm, durch ein reiches Geschenk bewogen, erlaubt, anderthalb tausend Kosaken aus der Dobrudscha mitzunehmen, eine Streitkraft, mit der sich schon etwas unternehmen ließ. Kampfesmut und Thatendrang erfüllte das Herz des jungen Helden, Hoffnung lachte ihm freundlich entgegen; er träumte von Ruhm und Ehre, von Lobpreisungen, die ganz Litauen ihm zollen würde und die dann auch zu den Ohren der einzigen Einen dringen mußten, die ihre Lippen dann vielleicht wiederholten! ... O, seine Seele bekam Flügel.

Auch der Gedanke hatte ihn zur beschleunigten Abreise getrieben, daß er der Erste sein werde, der die Nachricht von der glücklichen Einnahme Warschaus in die Provinzen trug. Ueberall, wo die Hufe seiner Pferde hintraten, wollte er den Sieg verkünden, seine Worte sollten in alle Gegenden hinausgetragen werden von denen, welchen er sie zuerst verkündet. Und so war es auch. Wo er hinkam, da flossen Thränen der Freude und des Dankes, da wurden bei der frohen Nachricht, die er brachte, die Glocken in den Kirchen geläutet, das » Te deum laudamus« angestimmt. Selbst in den stillen Wäldern, durch die er ritt, schienen die Bäume sich zuzuflüstern, die Aehren in den Feldern vom Winde bewegt, schienen sich zuzuraunen:

»Die Schweden sind geschlagen! Warschau ist unser!«


 << zurück weiter >>