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10. Kapitel

Eine Woche nachher hatte Kmiziz die Grenze Preußens überschritten. Es war ihm das gar nicht schwer geworden, denn er war kurz vor dem Abmarsch des Herrn Feldhauptmann so heimlich und geräuschlos in die Wälder getaucht, daß Douglas mit Bestimmtheit glaubte, er sei mit der ganzen Division nach Warschau zurückgezogen und habe nur kleine Besatzungen zum Schutz in den kleinen Schlössern hier gelassen.

Douglas folgte nun der Spur Goschewskis, mit ihm Radziejowski und Radziwill.

Kmiziz erfuhr das noch vor dem Ueberschreiten der Grenze und kränkte sich grausig, daß er seinem Todfeinde nicht Auge in Auge werde gegenüberstehen können und daß die verdiente Strafe vielleicht den Fürsten von einer anderen Hand als der seinigen, z. B. von der Hand Wolodyjowski treffen könnte, welcher ihm ebenfalls Rache geschworen hatte.

Da er nun an der Person des Vaterlandsverräters für das Unglück, das durch seine Schuld über die Republik gekommen war, und für die eigene ihm zugefügte Not nicht Rache nehmen konnte, so übte er dieselbe auf gräßliche Weise an den Besitzungen desselben. Noch in derselben Nacht, in welcher die Tartaren den Grenzpfahl hinter sich ließen, rötete sich der Himmel von den angezündeten Dörfern. Schreien und Wehklagen füllte die Luft. Wer in polnischer Sprache um Barmherzigkeit flehte, der wurde auf Befehl des Führers geschont, dafür wurden die deutschen Ansiedelungen, Kolonieen, Dörfer und Städte Preußens in ein Flammenmeer verwandelt.

Wie ein Strom brennenden Oeles ergoß sich die Tartarenhorde über die sonst so stillen und friedlichen Fluren. Man hätte denken können, daß jeder Tartar sich verdoppele und verdreifache, um gleichzeitig an mehreren Stellen brandschatzen zu können. Nicht die Getreidefelder, nicht die Obstbäume in den Gärten wurden geschont.

Kmiziz selbst, von Natur wild und grausam, freute sich der Zerstörung, wenn er auch nicht thätig an dem Zerstörungswerke mit arbeitete. Er erinnerte sich jetzt oft jener Zeiten, wo er auf seinen Streifzügen den Chowanski so gequält hatte, und seine Kumpane traten ihm dabei leibhaftig vor Augen. Kokosinski, der Riese Hippocentaurus Kulwiez, Ranizki der Weise, Uhlick der Spielmann, Rekutsch, der kein Menschenblut auf dem Gewissen hatte, und Zend, welcher so vortrefflich verstanden hatte, die Stimmen der Vögel nachzuahmen.

Das hinderte ihn nicht, beim Leuchten der brennenden Dörfer allabendlich den Rosenkranz zu beten; denn auch wehmütige und sehnsüchtige Gedanken kamen zu ihm zu Gaste. Alle jene, deren Andenken ihm so lieb war, brieten, ausgenommen den Rekutsch, sicherlich in der Hölle. Jetzt, ja jetzt hätten sie Gelegenheit gehabt, sich im Blute zu baden, ohne die Blutschuld auf ihr Gewissen zu laden, zum Heile des Vaterlandes ...«

Herr Andreas seufzte schmerzlich bei dem Gedanken, welch ein verderbenbringendes Ding die Zügellosigkeit ist, wenn sie im Uebermut der Jugend so weit getrieben wird, daß nichts mehr die daraus entstandenen Verschuldungen gut zu machen vermag.

Am wehmütigsten stimmte ihn aber die Erinnerung an Olenka. Je weiter er in Preußen vordrang, desto heißer brannte die Wunde seines Herzens; wie die Flammen, die er in den Hütten der Dörfer und Städte anfachen ließ. Er sprach im Stillen oft mit sich selbst und seufzte zu seinem Mädchen:

»Mein geliebtes Täubchen, du hast mich sicherlich schon vergessen, und wenn du meiner gedenkst, dann muß Zorn dein Herz erfüllen, während ich fern von dir, Tag und Nacht, im Kampf und während der Ruhe nur an dich denke und meine Seele über Flüsse und Wälder dir zufliegt, um zu deinen Füßen zu liegen. Der Republik und dir ist mein Blut und Leben geweiht, aber wehe mir, wenn dein Herz mich auf ewig verdammen sollte.«

Auf diese Weise drang er die Grenze entlang immer weiter nach Norden vor. Die Sehnsucht packte ihn immer heftiger. Am liebsten wäre er schon in Tauroggen gewesen, aber der Weg dorthin war noch weit und voller Gefahren, denn endlich begann man sich zu wehren. Alles, was lebte, griff zu den Waffen, um den Verwüstungen, durch die Tartaren verübt, Einhalt zu thun. Die Besatzungen selbst ganz entfernt gelegener Städte eilten herbei, formierten ein Regiment, ein zweites wurde aus den Jünglingen der Städte gebildet und bald war ein so ansehnliches Heer beisammen, daß immer zwanzig Mann auf einen Tartaren kamen.

Kmiziz griff diese Kommandos an, überfiel sie wie der Blitz, versprengte sie, wich ihnen aus, suchte sie zu umgehen, verschwand in den Wäldern, um plötzlich wieder aufzutauchen, aber er kam nicht mehr so schnell vorwärts. Er war gezwungen, sich tage- ja wochenlang im Dickicht des Waldes oder im Röhricht an den Ufern der Seen zu verbergen. Das Volk sammelte sich immer zahlreicher zu seiner Abwehr, er wurde gehetzt wie ein Wolf und biß um sich, wie ein Wolf.

Da er es liebte, gründlich zu arbeiten, so blieb er trotz der Verfolgungen zuweilen so lange in einer Gegend, bis dieselbe vollständig verwüstet war. Irgend ein Zufall hatte seinen Namen bekannt gemacht, welcher nunmehr bis zum Baltischen Meere mit Schrecken und Entsetzen genannt wurde.

Zwar hätte Herr Babinitsch sich wieder in die Grenzen der Republik zurückziehen und an den kleinen Kommandos vorüber nach Tauroggen gelangen können, doch das wollte er nicht. Er wollte nicht nur sich selbst, sondern vor allem dem Vaterlande dienen.

Unterdessen waren Nachrichten nach Preußen gelangt, welche den Bewohnern neuen Mut einflößten, das Herz Kmiziz's aber mit unaussprechlichem Schmerz erfüllten. Das Gerücht, daß der König von Polen eine große Schlacht bei Warschau verloren hatte, faßte immer mehr festen Fuß. »Karl Gustav und der Kurfürst haben das ganze Heer Johann Kasimirs geschlagen,« hörte man immer wieder freudig ausrufen. »Warschau ist wieder genommen! Es ist der größte Sieg während des ganzen Krieges, die Republik ist verloren!« tönte es Kmiziz überall entgegen. Konnte man diesen Gerüchten Glauben schenken, so war freilich alles verloren, denn ihnen zufolge waren die polnischen Armeen sämtlich vernichtet, die Hetmane alle gefallen und der König in Gefangenschaft geraten.

So sollte denn mit einem Schlage alles vorüber, alles vernichtet sein? Die ganze, sich aufraffende, siegende Republik nur eine Ausgeburt der Phantasie gewesen sein? Alles, die ganze Macht Polens, das ganze Heer, so viele große Männer und Krieger, das alles sollte vom Erdboden getilgt und verweht sein wie Rauch? Es sollte keine anderen Vaterlandsverteidiger mehr geben, wie die losen Parteien der Aufständischen, welche aus die Nachricht von der Niederlage des Heeres auseinanderstieben würden wie der Wind?!

Kmiziz rang die Hände, raufte das Haar und raffte die nasse Erde mit den Händen auf, um den brennenden Kopf damit zu kühlen.

»Auch ich werde fallen!« sagte er sich, »zuerst aber richte ich ein Blutbad an.«

Wie ein Verzweifelter begann er sich nun zu wehren. Er suchte keine Verstecke mehr auf; den ersehnten Tod zu finden stürzte er sich auf dreimal stärkere Truppenabteilungen der Feinde und besiegte sie. Der Rest jedes Menschlichkeitsgefühls erstarb in den Tartaren; sie verwandelten sich in eine Horde Raubtiere. Dieses raubgierige, früher zu einem Kampf im offenen Felde ganz unbrauchbare Volk hatte sich, unbeschadet seiner Fähigkeit und Geschicklichkeit in Plänkeleien, durch die andauernden Kämpfe und die Uebung zu so tüchtigen Kriegern herausgebildet, daß es jedem Angriff einer regulären Truppe Stand zu halten vermochte und sich nicht gescheut hätte, ein Karree der schweren dalekarlischen Garde anzugreifen.

Kmiziz hatte ihnen abgewöhnt, sich mit Beutestücken zu belasten. Sie nahmen nur noch Geld, besonders Gold, welches sie in die Sättel einnähten. Daher kam es auch, daß, wenn einer von ihnen fiel, die anderen sich mit wahrer Wut um sein Pferd und seinen Sattel schlugen. Indem sie sich auf diese Weise bereicherten, verloren sie nichts von ihrer fast übermenschlichen Beweglichkeit. Nachdem sie erkannt hatten, daß unter keinem Führer der Welt ihnen so reiche Beute werden konnte, wie unter ihm, hatten sie die Zuneigung eines Jagdhundes zum Jäger gefaßt, und mit wahrhaft muhamedanischer Rechtlichkeit legten sie nach jeder Schlacht den Löwenanteil der Beute in die Hände Sorokas und der Kiemlitsch für den » bagadyr« nieder.

»Allah!« pflegte Akbah-Ulan zu sagen. »Wenige von ihnen werden Backtschir-Seraj wiedersehen, diejenigen aber, welche es wiedersehen, werden alle Mohren werden.«

Babinitsch, welcher von jeher von Kriegsbeute gelebt hatte, gelangte hier zu großen Schätzen, das aber, was er suchte, den Tod, fand er nicht.

So verfloß wieder ein Monat mit Hetzen und Jagen. Obgleich die Klepper gut genährt waren, da es ihnen an Gerste und Weizen nicht fehlte, so waren ihnen doch ein paar Ruhetage dringend nötig. Deshalb zog der junge Hauptmann eines Tages bei Dospada über die Grenze in die Republik zurück, um die Klepper ruhen zu lassen, um durch neue Aushebungen Freiwilliger die entstandenen Lücken wieder zu füllen, und um Nachrichten über den Zustand der Republik einzuziehen.

Die Nachrichten liefen denn auch bald ein. Sie lauteten so freudig, daß Kmiziz fast von Sinnen kam. Es war also Thatsache, daß der ebenso tapfere, wie unglückselige Johann Kasimir die große Schlacht bei Warschau, welche drei Tage gedauert, verloren hatte. Aber was war die Ursache?

Das allgemeine Aufgebot war in großen Mengen in die Heimat zurückgekehrt und was davon dageblieben war, kämpfte nicht mehr mit jener Begeisterung, wie bei der Einnahme von Warschau und hatte am dritten Tage der Schlacht Verwirrung in das Heer gebracht. Während der ersten beiden Tage hatte sich die Wagschale des Sieges den Polen zugeneigt. Die regulären Stammtruppen hatten zur Verwunderung der schwedischen und brandenburgischen Generäle gezeigt, daß sie nicht nur bei kleineren Gefechten, sondern auch in der großen Schlacht den geübtesten und tapfersten Krieger an Ausdauer und Geschicklichkeit gleichkamen.

Johann Kasimir hatte sich unsterblichen Ruhm erworben. Man sprach davon, daß er sich als Feldherr wohl mit Karl Gustav messen könne, und daß er unstreitig die Schlacht gewonnen hätte, wenn man allen seinen Befehlen genau nachgekommen wäre.

Es währte nicht lange, so erhielt Kmiziz auch Nachrichten von Augenzeugen der Schlacht. Er traf mit Edelleuten zusammen, welche zum allgemeinen Aufgebot gehörten, dennoch aber an der Schlacht teilgenommen hatten. Der eine derselben berichtete ihm über den glänzenden Angriff der Husaren, während welchem Karl Gustav, der trotz der Beschwörungen der Generäle sich nicht zum Rückzüge entschließen konnte, fast das Leben verloren hätte. Allesamt aber bestritten, daß das Heer ausgelöst und die Hetmane gefallen seien. Die ganze Armee, ausgenommen das allgemeine Aufgebot, war unberührt geblieben und zog sich in guter Ordnung in das Innere des Landes zurück.

Auf der Warschauer Brücke, welche eingestürzt war, hatte man zwar Kanonen verloren, dafür war aber »der Mut und die Begeisterung wieder über die Weichsel gebracht worden«. Das Heer schwor bei allem, was heilig, daß die nächste Schlacht unter solchem Feldherrn wie Johann Kasimir gewonnen werden müsse, diese hier verlorene sei nur eine Probe, wenn auch eine verunglückte, welche nur geeignet sei, Trost und Beruhigung zu verbreiten.

Kmiziz zerbrach sich den Kopf, wer denn jene erste Schreckensbotschaft verbreitet haben mochte. Man erklärte ihm, daß nur Karl Gustav selbst diese übertriebenen Gerüchte in Umlauf gesetzt haben könne, da er völlig ratlos sei. Einige schwedische Offiziere, welche er eingefangen hatte, bestätigten diese Ansicht.

Kmiziz erfuhr von ihnen auch, daß der Kurfürst in großer Bekümmernis sei und immer mehr an einen Rückzug denke; daß seine Hauptmacht bei Warschau stehe, ein großer Teil seiner Truppen gefallen sei, ein anderer einer gräßlichen Krankheit zum Opfer falle. Unterdessen hätten die Großpolen sich seine Abwesenheit zu Nutze gemacht; sie seien in die Mark Brandenburg eingebrochen und richteten dort große Verwüstungen an. Die Zeit könne nicht mehr fern sein, da der Kurfürst sich von den Schweden losmachen werde.

»Man muß ihm also zusetzen,« dachte Kmiziz, »damit er zu einem schnelleren Entschlusse gedrängt wird.«

Da die Klepper ausgeruht und die Lücken im Heere gefüllt waren, überschritt er wieder die Grenze Preußens und zog wie ein Rachegeist über die deutschen Fluren.

Verschiedene »Parteien« folgten seinem Beispiel. Der Widerstand drüben wurde schon schwächer und die Botschaften, die ihnen folgten, lauteten immer freudiger, ja so freudig, daß man kaum wagte, ihnen Glauben beizumessen.

Zuerst erzählte man sich, daß Karl Gustav, welcher nach der Schlacht bei Warschau sich bis Radom zurückgezogen hatte, in Eilmärschen nach Preußen zu marschierte. Was war geschehen? Warum trat er den Rückzug an? Eine Zeitlang konnte niemand diese Fragen beantworten, bis plötzlich wieder der Name Tscharniezki damit in Verbindung gebracht wurde. Er hatte die Nachhut des Königlichen Heeres bei Lipiez, bei Strschemeschno und dicht bei Rawa geschlagen, und als er in Erfahrung gebracht, daß zweitausend Reiter von Krakau her sich zurückzogen, griff er dieselben an und ließ keinen am Leben. Der Hauptmann Forgell, der Bruder des Generals, geriet mit dreizehn Rittmeistern und vierundzwanzig Offizieren in Gefangenschaft. Andere verdoppelten die Zahl der Gefangenen und wieder andere behaupteten schon voll Begeisterung, daß Johann Kasimir gar keine Niederlage bei Warschau erlitten hatte, sondern sein Rückzug nach dem Süden nur eine List war, um den Feind zu locken.

Kmiziz selbst dachte so, denn seit seinem Knabenalter Soldat, verstand er das Kriegshandwerk, und noch niemals hatte er gehört, daß der Sieger nach einem Siege sich schlechter befinden sollte, wie vordem. Und nach allem, was man hörte, ging es den Schweden schlecht und das seit der Warschauer Schlacht.

Da fielen dem Herrn Andreas die prophetischen Worte Saglobas ein, welche er bei ihrem letzten Zusammensein gesprochen hatte, nämlich, daß ein Sieg der schwedischen Sache gar nichts nützen würde, eine einzige Niederlage aber das Verderben für sie bedeuten mußte.

»Er ist doch ein kluger Kopf!« dachte Kmiziz. Es war, als hätte er im Buche der Zukunft gelesen.

Hier fielen ihm auch die anderen Prophezeiungen Saglobas ein. Er, Kmiziz alias Babinitsch, sollte darnach nach Tauroggen gelangen, seine Olenka finden, versöhnen, sie heiraten und Nachkommenschaft zur Ehre des Landes mit ihr großziehen. Als er daran dachte, strömte Feuer durch seine Adern; er beschloß, keinen Augenblick mehr zu zaudern, für eine Zeitlang Preußen und seine Rache zu lassen und nach Tauroggen zu fliegen.

Am Vorabend seiner Abreise dorthin kam ein Laudaer Edelmann aus der Fahne Wolodyjowskis bei ihm an; er brachte ihm einen Brief von dem kleinen Ritter.

»Wir folgen mit dem Heere des Feldhauptmanns von Litauen und dem Fürst-Truchseß der Spur Boguslaws und Waldecks,« schrieb Herr Michael. »Schlage dich zu uns, denn die Zeit der Rache ist gekommen.«

Herr Andreas wollte seinen Augen nicht trauen. Einen Augenblick hatte er den Boten im Verdacht, daß er von irgend einem preußischen Kommandanten ausgeschickt sei, um ihn mit seinem ganzen Tschambul in einen Hinterhalt zu locken. Sollte Goschewski wirklich noch einmal nach Preußen ziehen wollen? Es war unmöglich, das nicht zu glauben. Das war die Handschrift, das, das Wappen Wolodyjowskis, auch des Edelmannes erinnerte er sich jetzt. Er begann ihn auszufragen, wo Herr Goschewski sei und wohin er zu marschieren gedachte.

Der Edelmann war etwas beschränkt. Er meinte: es sei nicht seine Sache, zu wissen, wohin der Herr Hetman wolle; er wisse nur, daß derselbe mit seiner litauisch-tartarischen Division zwei Tagereisen von hier entfernt sei und daß die Laudaer Fahne ihn begleite. Herr Tscharniezki hatte sich dieselbe eine Zeitlang von ihm geliehen gehabt, aber sie schon lange zurückgeschickt; jetzt gehe sie dahin, wohin er sie führt.

»Man sagt,« schloß der Edelmann, »daß wir nach Preußen gehen; die Soldaten freuen sich schrecklich darauf ... Es ist unsere Pflicht, zu gehorchen und zuzuschlagen.«

Nachdem Kmiziz den Bericht angehört, besann er sich nicht lange, schlug mit seinem Tschambul die entgegengesetzte Richtung ein und ritt im Eilmarsch dem Herrn Hetman entgegen. Zwei Tage später, schon spät abends, fiel er dem Herrn Wolodyjowski in die Arme, welcher, nachdem er ihn abgeherzt hatte, gleich rief:

»Graf Waldeck und Boguslaw sind in Prostki; sie bauen Schanzen, sie wollen ihr Lager befestigen. Wir wollen sie dort angreifen.«

»Heute?« frug Kmiziz.

»Morgen mit dem Allerfrühesten, also in zwei bis drei Stunden.«

Sie umarmten sich wieder.

»Ein Etwas flüstert mir zu, daß Gott ihn mir ausliefert!« rief Kmiziz tiefbewegt.

»Auch ich denke das.«

»Ich habe mir gelobt, jedes Jahr an dem Tage zu fasten, an welchem ich mit ihm zusammentreffe.«

»Gottes Beistand kann nicht schaden,« entgegnete Herr Michael. »Ich will auch nicht neidisch sein, wenn du ihn triffst, denn deine Not ist die größere.«

»Michael! Ich sah nie einen edleren und großherzigeren Kavalier als dich!«

»Laß dich einmal betrachten, Andrusch. Du bist vom Winde ganz braun geworden; aber du hast dich wacker geführt. Die ganze Division betrachtet mit Achtung deine Arbeit. Du läßt nichts hinter dir, wie Trümmer und Kadaver. Du bist ein berühmter Soldat. Selbst Herrn Sagloba, wenn er hier wäre, würde es schwer fallen, etwas Besseres an sich zu finden.«

Um Gotteswillen! Wo ist Herr Sagloba?«

»Er ist beim Herrn Sapieha geblieben, weil er ganz verschwollen ist vom Weinen und vor Verzweiflung über den Tod des Rochus Kowalski ...«

»Ist Herr Kowalski gefallen?«

Wolodyjowski preßte die Lippen auseinander.

»Weißt du, wer ihn erschlagen hat?« sagte er dann.

»Wie soll ich das wissen? ... Erzähle!«

»Der Fürst Boguslaw!«

Kmiziz drehte sich auf dem Absatz herum als hätte er einen Stich bekommen und sog zischend zwischen den Zähnen die Luft ein, wie wenn er einen großen Schmerz spürte, dann fiel er zähneknirschend auf eine Bank und stützte schweigend den Kopf in die Hände.

Herr Wolodyjowski klatschte in die Hände und befahl dem herbeigeeilten Diener, Wein zu bringen, worauf er sich dicht neben Kmiziz setzte, die Becher füllte und erst dann sagte:

»Rochus Kowalski ist den Heldentod gestorben. Wolle Gott, daß wir ein ebenso schönes Ende finden. Genug, wenn ich dir sage, daß Karolus selbst, nachdem er das Feld behauptet hatte, ihm das Begräbnis ausrichtete und ein ganzes Garderegiment dazu kommandierte, die Ehrensalve über seinem Sarge abzugeben.«

»Wenn nur nicht gerade diese Hände, diese verruchten Hände ihn getötet hätten,« rief Kmiziz.

»Ja, es waren die Hände Boguslaws; ich weiß es von den Husaren, welche mit eigenen Augen diese jämmerliche That mit angesehen haben.«

»Warst du nicht dabei?«

»Während der Schlacht kann man den Platz nicht wählen, da muß man stehen, wo man hingestellt wird. Wäre ich dort gewesen, so würde entweder ich nicht hiersitzen oder Boguslaw dort keine Schanzen bauen.«

»Sprich, wie ist das alles gekommen? Mein Haß wird immer größer.«

Wolodyjowski trank, wischte sein gelbes Schnurrbärtchen ab und begann:

»Du wirst wohl Berichte über die Schlacht bei Warschau schon gehört haben, denn alle Welt spricht davon, darum will ich mich nicht dabei aufhalten. Unser Allergnädigster Herr ... Gott gebe ihm Gesundheit und ein langes Leben ... denn unter einem anderen Herrn würde das Vaterland in seinem Elend zu Grunde gehen ... er hat sich als ausgezeichneter Feldherr erwiesen. Wenn der Gehorsam so ausgezeichnet gewesen wäre wie der Befehlshaber, so hätten die Chronikenschreiber über einen großen Sieg der Polen über die Schweden zu berichten, einen Sieg, demjenigen bei Grunwald und Berestetsch gleich. Kurz also, am ersten Tage schlugen wir die Schweden, am zweiten schwankte das Glück, doch wir behielten die Oberhand. Da gingen die litauischen Husaren, bei welchen Rochus Kowalski diente, unter dem Knäs Polubinski, einem großen Soldaten, zur Attacke vor. Ich sah sie, als sie losgingen, so wie ich dich jetzt sehe, denn ich stand mit den Laudaern auf einer Anhöhe unter einer Schanze. Es waren eintausendzweihundert Mann, so herrlich man Mann und Roß je gesehen. Sie jagten ein halbes Gewände vor uns vorüber, daß der Erdboden dröhnte. Wir sahen, wie die Brandenburger Füsiliere ihre Piken in den Boden stemmten, um den ersten Anlauf aufzuhalten. Andere feuerten ihre Musketen ab, daß sie ganz in Rauchwolken gehüllt waren. Wir sehen: die Husaren lassen die Zügel locker. Gott, mit welcher Gewalt stürmten sie los! Sie verschwanden im Rauche. Meine Soldaten fangen an zu schreien: ›Sie brechen durch! Sie brechen durch!‹ Einen Augenblick sah man nichts, nur ein Donner, ein Klingen folgte, als würden in tausend Schmieden die Hämmer geschwungen. Endlich sehen wir: Jesus, Maria! Die Brandenburger liegen da wie ein Aehrenfeld, über welches der Sturm hinweggefegt ist, die Husaren sind schon hinter ihnen, nur die Lanzen sieht man noch blinken. Sie fliegen auf die Schweden zu, sie überrennen die Reiter, daß sie daliegen wie hingemäht. Sie nehmen ein zweites Regiment – ein Donner – die Kanonen werden abgefeuert ... Wir sehen sie weiterfliegen wie die Rauchwolke vor dem Winde ... Sie durchbrechen die schwedische Infanterie ... Alles flieht, stiebt auseinander, sie jagen durch eine Gasse von Menschen; um ein Kleines hätten sie die ganze Armee überritten! ... Jetzt stoßen sie mit der berittenen Garde zusammen, inmitten welcher Karolus hält ... und auch die Garde stiebt auseinander! ...«

Hier unterbrach Wolodyjowski seine Erzählung, denn Kmiziz ballte die Fäuste und preßte mit ihnen die Augen, während er schrie:

»Mutter Gottes! einmal so etwas sehen, dann fallen!«

»Eine solche Attacke werde ich niemals mehr sehen,« fuhr der kleine Ritter fort. Dann schickte man auch uns zur Attacke ... Gesehen habe ich dann nichts weiter, und was ich dir jetzt erzähle, weiß ich aus dem Munde eines schwedischen Offiziers, welcher an der Seite Karl Gustavs den Ansturm ausgehalten und den Verlauf der Attacke mit eigenen Augen angesehen hatte. Als die Husaren sich den Weg durch die Garde bahnten, faßte Forgiel, derselbe, welcher später bei Rawa in unsere Hände fiel, den König an dem Arm. ›Majestät, rettet Schweden, rettet euch selbst‹, schrie er. ›Entflicht! Entflieht! Sie sind nicht aufzuhalten.‹ Und Karolus erwiderte darauf: ›Es ist zu spät – jetzt heißt es siegen oder sterben!‹ Andere Generale kommen herbei, sie flehen und bitten, es nutzt nichts! Der König drängte vorwärts ... da prallten sie aufeinander, die Garde war zersprengt, ehe man bis zehn zählen konnte. Wer stürzte, der wurde überritten, die anderen kugelten auseinander wie Erbsen. Der König allein wehrte sich; Kowalski erkannte ihn, denn er hatte ihn schon zweimal gesehen. Ein Reiter sprengte vor, den König zu schützen ... aber diejenigen, welche es gesehen, sagten, daß der Blitz nicht schneller niederfahren kann, wie das Schwert des Rochus; er spaltete dem Reiter den Kopf. Da warf der König selbst sich ihm entgegen ...«

Wolodyjowski setzte wieder ab und seufzte schwer. Doch Kmiziz rief gleich:

»Mache ein Ende, mir stockt der Atem!«

»Sie kämpften nun Brust an Brust, die Pferde rieben sich aneinander, die Säbel klirrten! Da sehe ich, sagt der Offizier, den König schon mit dem Pferde am Boden! Er rafft sich auf, zieht die Pistole, schießt ab und fehlt. Da faßt ihn Rochus am Schopfe, denn der Hut war ihm herabgefallen; er hat das Schwert schon erhoben, schon überfällt eine Ohnmacht die Schweden, der Schrecken lähmt ihre Glieder, denn alles war so schnell gegangen, daß Rettung unmöglich war. Plötzlich erscheint Boguslaw wie aus dem Boden gewachsen und schießt dem Rochus eine Schrotladung in das Ohr, die ihm den Kopf samt den Helm zerschmettert.«

»Um Gotteswillen! Blieb ihm keine Zeit zur Abwehr?« schrie Herr Andreas, seine Haare raufend.

»Gott gewährte ihm diese Gnade nicht,« antwortete Herr Michael, »Wir errieten mit Sagloba sogleich, wie das geschah. Der arme Wicht hatte von Kleinauf bei den Radziwills gedient. Beim Anblick seines früheren Herrn erschrak er. Vielleicht war es ihm niemals in den Sinn gekommen, daß man die Hand gegen einen Radziwill erheben könne. Das pflegt zuweilen der Fall zu sein. Er hat seinen Mut mit dem Leben bezahlt. Herr Sagloba ist ein seltsamer Mensch. Rochus war ihm gar nicht verwandt, trotzdem trauert er um ihn wie um einen Sohn ... Im Grunde genommen ist da nichts zu trauern, denn man konnte den Kowalski um seinen Tod beneiden.«

Der Edelmann wird dazu geboren, aus daß er jeden Augenblick bereit ist, sein Leben für das Vaterland hinzugeben, aber – von Kowalski werden die Geschichtsschreiber erzählen, kommende Geschlechter werden seinen Namen preisen.

Herr Wolodyjowski schwieg still. Nach einer Weile bekreuzte er sich und betete:

»Herr, gieb ihm den ewigen Frieden und das ewige Licht leuchte ihm ...«

»In Ewigkeit, Amen!« schloß Kmiziz.

Beide beteten noch eine Zeitlang, vielleicht um einen gleichen Heldentod, nur, daß er sie nicht von der Hand Boguslaw treffen möge. Endlich sagte Michael:

»Der Probst Piekarski hat uns versichert, daß Rochus direkt in den Himmel kam.«

»So wird es sein! Dann braucht er aber unsere Gebete nicht.«

»Die Gebete sind immer nötig, denn sie kommen den anderen Seelen zu gute, vielleicht sogar uns selbst.«

Kmiziz seufzte.

»Unsere Hoffnung beruht auf der Barmherzigkeit Gottes,« sagte er. »Ich denke, daß für das, was ich in Preußen vollbracht habe, mir Gott ein paar Jahre Fegefeuer erläßt.«

»Es wird alles dort oben angeschrieben. Was der Säbel hier auf Erden verrichtet, das trägt der himmlische Sekretär in das Himmelsbuch ein.«

»Auch ich habe bei Radziwill gedient, aber ich werde mich durch den Anblick Boguslaws nicht aus der Fassung bringen lassen. Gott! Gott! Prostki liegt so nahe. Gedenke, o Herr, daß er auch dein Feind ist ...«

»Und der Feind des Vaterlandes!« sagte Herr Michael. »Hoffen wir, daß seine Zeit kommt. Herr Sagloba hat nach jener Attacke dasselbe prophezeit, er sprach es im größten Schmerze aus, das Gesicht mit Thränen überflutet, wie in Erleuchtung. Er fluchte dem Boguslaw, daß den Zuhörern die Haare zu Berge standen. Der Fürst Kasimir Michael Radziwill, welcher mit uns gegen ihn zieht, sah im Traume die zwei Trompeten, welche die Radziwills im Wappen haben, durch einen Bären zerfressen, und sagte am folgenden Tage: ›Es trifft entweder mich oder einen anderen Radziwill ein Unglück.‹«

»Durch einen Bären?« frug Kmiziz erbleichend.

»Ja, durch einen Bären!«

Das Gesicht des Herrn Andreas erhellte sich, als wäre ein Strahl der Morgenröte darüber geglitten. Er erhob die Augen zum Himmel und sagte:

»Ich führe ja den Bären im Wappen. Gelobt sei Gott in der Höhe! Und du, o heilige Mutter Gottes! Herr! Herr! Ich bin nicht würdig dieser Gnade!«

Als Wolodyjowski das hörte, wurde er sehr gerührt. Er erkannte in diesem Zusammentreffen ein Zeichen des Himmels.

»Andrusch!« rief er. »Zur Sicherheit küsse vor Beginn der Schlacht dem Jesukindlein die Füße; ich will für mich um den Sakowitsch bitten.«

»Prostki! Prostki!« wiederholte Kmiziz fieberhaft. »Wann rücken wir aus?«

»Mit Tagesanbruch. Sieh, es fängt schon an zu dämmern.«

Kmiziz näherte sich dem zerschlagenen Fenster der Hütte, blickte hinauf nach dem Himmel und sagte:

»Die Sterne bleichen schon. Ave Maria! ...«

In diesem Augenblick ertönte von ferne ein Hahnenschrei und gleichzeitig das leise Blasen einer Trompete. Eine halbe Stunde später befand sich das ganze Dorf in Bewegung. Man hörte Waffenklirren und das Schnaufen von Pferden. Schwarze Reitermassen sammelten sich auf der Landstraße.

Die Luft ward vom Lichte durchtränkt. Ein bleicher Schimmer versilberte die Schäfte der Speere, gaukelte über die blanken Schwertscheiden. Dunkle, bärtige, ernst dreinblickende Gesichter, Helme, Käppis, Kapuzen, Tartarenmützen aus Schaffell tauchten aus der Dämmerung auf. Endlich setzte sich der Zug, mit Herrn Kmiziz im Vortrab, in Bewegung nach Prostki. Das Heer zog in langer, schnell sich fortbewegender Schlangenlinie dahin.

Die Pferde in den ersten Reihen schnauften, die anderen thaten es ihnen nach.

Weiße Nebelwolken lagen noch über Feldern und Wiesen.

Rings herrschte tiefe Stille, nur der Wachtelkönig ließ seinen Ruf in den tauigen Gräsern erschallen.


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